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Lange vor der Ersten Ordnung und dem Imperium wachten die Jedi-Ritter über die Hohe Republik. Es war ein goldenes Zeitalter des Friedens – bis die Nihil kamen …
Die brutalen Piraten, die sich selbst »Nihil« nennen, wurden zurückgeschlagen. Doch der Preis für die Rettung der Raumstation Starlight Beacon war hoch. Die Jedi-Ritter müssen sich nun ausruhen, die Verwundeten pflegen und die Toten betrauern. Doch der Sturm, dem sie getrotzt haben, ist noch nicht vorbei. Im Gegenteil! Die Nihil bereiten bereits ihre nächste Attacke vor. Sie ist brutal, risikoreich – und hat das Potenzial, das Licht der Jedi zum Verlöschen zu bringen.
Die erste Phase der Hohen Republik:
1. Das Licht der Jedi
2. Im Zeichen des Sturms
3. Der gefallene Stern
4. Orkanläuferin
Weitere Bände sind bereits in Vorbereitung.
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Seitenzahl: 536
Buch
Lange vor der ersten Ordnung und dem Imperium wachten die Jedi-Ritter über die Hohe Republik. Es war ein goldenes Zeitalter des Friedens.
Die brutalen Piraten, die sich selbst »Nihil« nennen, wurden zurückgeschlagen. Doch der Preis für die Rettung der Raumstation Starlight Beacon war hoch. Die Jedi-Ritter müssen sich nun ausruhen, die Verwundeten pflegen und die Toten betrauern. Doch der Sturm, dem sie getrotzt haben, ist noch nicht vorbei. Im Gegenteil! Die Nihil bereiten bereits ihre nächste Attacke vor. Sie ist brutal, risikoreich – und hat das Potenzial, das Licht der Jedi zum Verlöschen zu bringen.
Die Star-Wars-Romane aus dem Zeitalter der Hohen Republik bei Blanvalet:
1. Das Licht der Jedi
2. Im Zeichen des Sturms
3. Der gefallene Stern
Weitere Bände sind bereits in Vorbereitung.
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Claudia Gray
Die Hohe Republik
Der gefallene Stern
Deutsch von Andreas Kasprzak
Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »Star Wars™ The Fallen Star (The High Republic 3)« bei DelRey, New York.
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Copyright der Originalausgabe © 2022 by Lucasfilm Ltd. & ® or ™ where indicated.
All rights reserved.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Alexander Groß
Covergestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft nach einer Originalvorlage © & ™ 2022 LUCASFILMLTD
Covermotiv: Yihyoung Li
Coverdesign: Jeff Langevin and Scott Biel
HK · Herstellung: sam
Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN978-3-641-29082-5V002
www.blanvalet.de
Für Sarah Simpson Weiss, die mich vor mir selbst rettet, manchmal sogar täglich.
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis …
Die tragischen Ereignisse der Republik-Schau haben die Galaxis wachgerüttelt. Die Jedi und die Republik gingen in die Offensive, um die räuberischen NIHIL aufzuhalten. Nachdem die brutalen Piraten fast vollständig besiegt wurden, sucht Jedi-Meisterin AVARKRISS nach dem vermeintlichen Auge der Nihil, LOURNADEE, die sie ein für alle Mal gefangen nehmen will.
Die Jedi ahnen nicht, dass der wahre Anführer der Nihil, der hinterhältige MARCHIONRO, einen Angriff auf die Jedi und die Republik plant, wie es ihn in dieser Größenordnung seit Jahrhunderten nicht mehr gab. Sollte er Erfolg haben, werden die Nihil siegen, und das Licht der Jedi wird erlöschen.
Nur die tapferen Jedi-Ritter der STARLIGHT-STATION stehen ihm noch im Weg, aber womöglich sind nicht einmal sie Ro gewachsen – oder dem uralten Feind, der wieder über die Galaxis herfallen könnte …
Der Langträger glitt so geschmeidig und lautlos ins Nefitifi-System wie eine scharfe Nadel, die durch schwarzen Stoff stach. Vor ein paar Millionen Jahren war einer der Sterne dieses vormals binären Systems explodiert, und die Supernova hatte einen atemberaubenden Nebel aus tiefvioletten und dunkelblauen Gasranken zurückgelassen. Radioaktiv und undurchsichtig hingen sie zwischen den Planeten und verbargen das gesamte System unter ihren Verwirbelungen.
Viele Schmuggler hatten schon versucht, diesen Nebel für ihre Zwecke zu nutzen.
Und falls die Vermutung der Jedi stimmte, dann versuchten die Nihil es nun ebenfalls.
Es war ihre letzte Zuflucht.
»Empfangen wir irgendwelche Signale?«, fragte Meisterin Indeera Stokes ihren Padawan.
Bell Zettifar neben ihr schüttelte den Kopf. »Nichts, auf keiner Frequenz. Da draußen ist alles ruhig.«
»Das sollte es aber nicht sein.« Meisterin Nib Assek schüttelte den Kopf, wobei die Schatten ihr graues Haar silbern färbten (wenn ein Langträger die Energie auf fünfzig Prozent herunterfuhr, um keine Aufmerksamkeit zu erregen – so, wie dieser hier es gerade tat –, dann wurde auch das Licht entsprechend gedämpft). »Schmuggler sind schon seit Langem in diesem Winkel der Galaxis aktiv. Es sollte Kommleuchtfeuer geben, Sender, die versteckte Beute auf den Asteroiden markieren. Etwas in der Art. Aber stattdessen … nichts.«
Bell wechselte einen Blick mit dem anderen Padawan, dem Wookiee Burryaga, der an Meisterin Asseks Seite stand. Sie wussten beide, was die Bemerkung zu bedeuten hatte: Es war zu still im Nefitifi-System. Hier keine Aktivität zu erfassen, war, als würde man auf Coruscant landen, und der gesamte Planet wäre verlassen – ein sicherer Beweis, dass etwas nicht stimmte.
Und in diesem Fall konnte es eigentlich nur bedeuten, dass die Nihil in der Nähe waren.
»Sie müssen Kommdämpfer benutzen«, sagte Bell zu Meisterin Indeera. »Entweder in Form von Satelliten oder an Bord ihrer Schiffe.«
»Ich würde auf ihre Schiffe tippen. Nun, wir sollten es schon bald herausfinden.« Seine Meisterin straffte die Schultern. Die tholothianischen Tentakel kräuselten sich auf ihrem Rücken, und Bell spürte den erwartungsvollen Schauer, der alle Jedi an Bord durchlief. Die Macht warnte sie vor … nun, was immer ihnen bevorstand. Schließlich legte Indeera die Hand auf den Griff ihres Lichtschwertes. »Die anderen Langträger melden ähnliche Daten – oder, besser gesagt, einen Mangel an Daten. Die Nihil müssen ganz in der Nähe sein.«
Endlich ging es los. Eine Chance, gegen die Nihil zuzuschlagen. Seit dem Verlust seines ehemaligen Meisters, Loden Greatstorm, hatte Bell auf eine solche Gelegenheit gewartet. Aber nicht aus Rachsucht. Meister Greatstorm hätte das nicht gewollt. Nein, es ging Bell um das Gefühl, etwas – irgendetwas – getan zu haben, um dieses Übel zu bekämpfen, das seinen Meister auf dem Gewissen hatte. Die Nihil waren bereits so gut wie besiegt; Meisterin Avar Kriss machte gerade Jagd auf ihren Anführer, das Auge, und stand kurz davor, ihn zu schnappen. Trotzdem würden weder Bell noch der Rest der Galaxis Ruhe finden, bis diese Bedrohung ein für alle Mal aus der Welt geschafft war.
Das Debakel bei der Republik-Schau vor ein paar Monaten hätte das Vertrauen in die Republik – und in die Jedi – empfindlich schwächen können. Doch stattdessen waren die Nihil nun auf der Flucht. Das Blatt hatte sich gewendet. Nicht mehr lange, und dieser Teil der Galaxis würde wieder sicher sein.
Und wenn sich alles wieder normalisierte, würde Bell ja vielleicht auch sein Selbstbewusstsein zurückerlangen.
Als der Langträger durch eine weitere dichte Wolke aus farbigen Gasen glitt, war Meisterin Indeera die Erste, die es spürte. »Sie sind über uns. Fast direkt über uns.« Burryaga knurrte zustimmend.
Einen Herzschlag später begannen die Sensoren des Schiffes zu blinken, aber die Warnung durch die Macht war viel unmittelbarer und stärker: Bells Sinne und Muskeln spannten sich an, wappneten ihn für alles, was folgen mochte.
Es geht los, dachte er, den Blick auf die Aussichtsfenster gerichtet. Die dunklen, wogenden Gase des Nebels wurden durchsichtiger, als der Langträger höher stieg, und dann kam über ihnen der Bauch eines Nihil-Schiffes in Sicht. Bell stellte sich vor, wie dort oben gerade sämtliche Alarme gleichzeitig losschrillten, wie hektische Aktivität auf der Brücke um sich griff, während Schlachtvorbereitungen getroffen wurden – sicher zweifelte keiner der Nihil daran, dass die Jedi gekommen waren, um zu kämpfen.
Und ja, die Jedi waren kampfbereit. Das waren sie schon, seit sie die Starlight-Station verlassen hatten. Nun war der Moment endlich gekommen.
Für Meister Loden, dachte Bell. Auf dass nie wieder jemand dasselbe Leid durch die Hand der Nihil erfahren muss wie er.
Sie hatten einen Enterangriff geplant, genau für eine Situation wie diese: Das Mutterschiff des Jedi-Kampfverbandes hielt das Nihil-Schiff mit seinem Traktorstrahl fest, während der Langträger, der Bell und die anderen an Bord hatte, an einer der Luftschleusen andockte – so wären gleichzeitig alle Fluchtwege auf dieser Seite des Schiffes blockiert. Das Andockmanöver war hart und schnell und erzwungen, und der gesamte Langträger schüttelte sich, aber die Jedi blieben ruhig stehen. Sie spürten die unverkennbare Vibration, als der Kontakt hergestellt wurde.
»Für das Licht und das Leben!«, rief Meisterin Assek und stürmte auf das Nihil-Schiff.
Bell hatte die Macht selten mit solcher Intensität gespürt wie jetzt, während er in ein Meer aus loderndem Blasterfeuer vorschnellte. Er wirbelte sein Schwert durch die Luft und wehrte den Beschuss ab, auch wenn viele Laserstrahlen ihm so nahe kamen, dass er ihre Hitze spüren konnte. Der Gestank von Ozon füllte seine Nase. Seine Bewegungen waren fließend, und es fühlte sich an, als müsste er abgesehen von seiner Konzentration nichts dazu beitragen. Rings um sich sah er ein Heer gesichtsloser, seelenloser Masken – Nihil, die feuerten, Nihil, die sich verteilten, Nihil, die flohen –, und die Jedi rückten schnell und entschlossen gegen sie vor.
»Jetzt!«, rief Meisterin Indeera über den Kampflärm hinweg, als sie alle die Warnung der Macht spürten. Bell duckte sich hinter einen Metallträger und fand dort gerade lange genug Deckung, um sich seine Atemmaske überzustreifen. Kaum dass er fertig war, ertönte das verräterische Zischen von Ventilen, und er wusste: Die Nihil hatten ihr giftiges Gas freigesetzt.
Zu spät, dachte Bell, nicht ohne Befriedigung. Diesmal wart ihr nicht schnell genug.
Meisterin Indeera führte den Sturm auf den Maschinenraum an – oder was einem Maschinenraum am nächsten kam; das Nihil-Schiff war ein verwirrendes Sammelsurium zusammengebastelter Schiffskomponenten. Bell und Burryaga folgten dicht hinter ihr, um das Schiff lahmzulegen, während Meisterin Assek die Aufgabe zufiel, die Nihil an der Luftschleuse zurückzuhalten.
Obwohl sie in angezogenem Sprint dahinrannten, konnte Bell sehen, dass das Schiff geradezu gefährlich klapprig war. Sein Inneres war hässlich, karg und vollkommen zweckmäßig. Was könnte jemanden dazu bringen, in so einem Ding leben zu wollen? War das der Lohn dafür, sich den Nihil anzuschließen und Tod und Zerstörung über unschuldige Wesen in etlichen Systemen zu bringen? Ein Leben in tropfender, stickiger Dunkelheit am Rand des Raums, wo nur der Traum von reicher Beute die Trostlosigkeit unterbrach? War das überhaupt ein Leben?
Diese Fragen nahmen nur einen winzigen Teil von Bells Bewusstseins ein; genauer würde er sich erst später damit auseinandersetzen. Hier und jetzt musste er seine Mission erfüllen.
Grünes Gas füllte die Korridore mit einem ätzenden Dunst, aber dank ihrer Atemmasken konnte es den Jedi nichts anhaben. Allerdings verringerte es die Sicht, sodass Bell die verschlossene Tür vor ihnen spürte, lange bevor er sie sah. Meisterin Indeera und Burryaga schien es ähnlich zu ergehen, denn sie kamen ebenfalls schlitternd zum Stehen.
»Sollen wir anklopfen?«, fragte Bell. Der fürchterliche Scherz ließ Burryaga stöhnen.
Meisterin Indeera rammte kommentarlos ihr Lichtschwert in den Verriegelungsmechanismus der Tür. Das Glühen von schmelzendem Metall tauchte ihre Gesichter ein paar Sekunden lang in einen orangefarbenen Schein, bis die Tür nachgab. Sie glitt stotternd auf und enthüllte eine Handvoll Nihil, die meisten von ihnen jung und unbewaffnet – und schlau genug, sich zu ergeben.
Dass er keine weiteren Leben nehmen musste, erleichterte Bell. Er würde natürlich tun, was immer nötig war, aber die Trauer über Loden Greatstorms Tod saß noch immer so tief wie eine scharfe Klinge; sie könnte ihn auf einen gefährlichen Pfad führen. Insofern begnügte er sich gerne damit, diese Nihil gefangen zu nehmen.
Ihr habt mich vieles gelehrt, Meister, dachte Bell, an die Erinnerung Greatstorms gerichtet, die er stets in seinem Geist trug.
Als sie die Gefangenen zusammengetrieben hatten, heulte Burryaga eine Frage.
»Ja, ich habe auch das Gefühl, dass dieses Schiff nur von einer Rumpfmannschaft bemannt wird«, sagte Bell. »Glaubst du, Marschallin Kriss’ Jagd nach dem Auge hat sie demoralisiert? Ich könnte mir vorstellen, dass sie zu Hunderten oder sogar Tausenden desertieren.« Ihm widerstrebte die Vorstellung, dass einige Nihil der gerechten Strafe für begangene Gräuel entgehen könnten, aber das Wichtigste war, weitere Gräuel zu verhindern. Falls der Preis für das Leben etlicher Unschuldiger darin bestand, dass ein paar Nihil-Deserteure ungeschoren davonkamen, dann sollte es eben so sein.
Wir sind jetzt in der Offensive, sagte sich Bell. Wir geben den Nihil ihre eigene Medizin zu kosten. Und wir tun es für Euch, Meister Loden – und all die anderen, die so leiden mussten wie Ihr …
Er wollte gar nicht daran denken.
Zu seiner Erleichterung schien Burryaga nicht aufzufallen, dass er abgelenkt war. Der Wookiee schüttelte jedenfalls nur den Kopf und knurrte.
»Ja, es war einfach«, stimmte Bell zu. »Aber ich würde nicht sagen, zu einfach. Falls die Nihil gerade dabei sind, sich aufzulösen, werde ich mich sicher nicht beschweren.«
Zumindest, was das anging, pflichtete Burryaga ihm voll und ganz bei.
Regald Coll hatte mehr Humor als die meisten Jedi. Zumindest hörte er das immer wieder von Nicht-Jedi; die meisten anderen Ordensmitglieder standen dieser Einschätzung eher skeptisch gegenüber.
Aber so wie Regald das sah, hatten sie einfach nicht genug Sinn für Humor, um seinen Humor zu würdigen.
»Was hat es eigentlich mit dieser Sturm-Terminologie auf sich?«, fragte er seine neuesten Gefangenen, eine wildäugige Erwachsene namens Chancey Yarrow und eine junge Frau, die sich lediglich als Nan identifiziert hatte. »Ich meine, ihr wollt doch alle ein großer Sturm sein, aber jede Gruppe besteht aus Brisen, Winden und Orkanen. Wie weit runter geht das? Ist ein Nihil allein, ich weiß auch nicht … ein laues Lüftchen?«
Sie hatten die Gefangenen nahe der Nihil-Flotte im Ocktai-System geschnappt – bei einem der zahlreichen simultanen Angriffe auf die Piraten. Ihr Schiff war aber wohl nicht Teil jener Flotte gewesen. Vermutlich hätte man die Frauen nur befragt und dann weiterfliegen lassen, hätte Nan nicht einen Blaster gezückt, sobald sie den ersten Jedi sah. Daraufhin hatte man ihre Identität überprüft. Und das wiederum hatte ihre wahre Zugehörigkeit ans Licht gebracht.
Nan schien vor Wut über ihre Gefangennahme zu kochen; Chancey Yarrow hingegen wirkte vollkommen ungerührt, als sie sagte: »Sie sind nicht so witzig, wie Sie vielleicht glauben.«
»Vermutlich nicht«, erwiderte Regald. »Denn ich glaube, ich bin zum Totlachen, und niemand kann wirklich so witzig sein.« Es reichte ihm, wenn er selbst seine Scherze genoss.
»Ich bin nicht länger eine Nihil«, erklärte Nan. Die Worte klangen gepresst, so, als müsste sie sich zwingen, sie auszusprechen. »Wir arbeiten für …« Sie brach ab, als sie den Blick ihrer Begleiterin auffing. Chancey Yarrows Augen waren so eisig, dass sie Lava gefrieren lassen könnten. Regald überlegte, ob er einen »Schneesturm«-Spruch anbringen sollte, passend zum Thema von gerade eben, aber letzten Endes entschied er sich dagegen. Nan beendete derweil ihren Satz: »Wir arbeiten allein. Ich bin schon seit Monaten nicht mehr bei den Nihil.«
»Wie praktisch für Sie«, kommentierte Regald. »Und wer weiß? Vielleicht sagen Sie sogar die Wahrheit. Aber das müssen Sie erst beweisen, bevor wir Sie gehen lassen können.«
Die Gaze Electric hing zu diesem Zeitpunkt in der Stille des Raums zwischen den Systemen, weit entfernt von der Jedi-Offensive. Niemand an Bord machte sich die Mühe, die jüngsten Aktivitäten der Jedi zu überwachen, geschweige denn, sich Sorgen über ihre Kameraden zu machen. Stattdessen schien an Bord, abgesehen von den üblichen Wartungsarbeiten, nicht viel vor sich gehen. Und so achtete auch niemand auf Thaya Ferr – eine bloße Assistentin, keine Kriegerin –, während sie durch die langen Korridore schritt.
Thaya war ein Mensch mittleren Alters und absolut unauffällig in ihrem Aussehen: glattes braunes Haar, zu einem praktischen Pferdeschwanz nach hinten gebunden; ein schlichter Overall; keine verräterischen Markierungen, keine Maske, keine Waffe. Das Interessanteste, was sie bei sich trug, war ein simpler Datenblock.
Dieser Block wies ihr den Weg zu ihrem ersten Ziel – der Kabine einer Ithorianerin. Thaya drückte den Summer und setzte ein ausdrucksloses Lächeln auf, bevor die Tür aufglitt.
»Guten Morgen«, sagte sie mit der mechanischen Fröhlichkeit eines Droiden. »Es wird dich bestimmt freuen zu erfahren, dass das Auge der Nihil eine neue Aufgabe für dich gefunden hat. Eine, die perfekt zu deinen Talenten passt. Alle weiteren Informationen findest du hier.« Sie reichte der anderen Frau eine kleine Datenkarte, wobei sie aber ohne Pause weitersprach; sie wollte der Ithorianerin keine Gelegenheit zu einer Frage geben. »Dein Flug startet um dreizehn Uhr im Haupthangar. Danke!«
Auch jetzt gab Thaya der Ithorianerin keine Gelegenheit zu einer Frage oder einem Protest oder irgendeiner anderen Reaktion; sie machte kehrt und marschierte, noch immer lächelnd, davon. Was die Frau dachte, war irrelevant. Sie würde gehorchen, was bedeutete, dass sie das Schiff mehrere Tage vor dem Ithorianer verlassen würde, mit dem sie ein Team bildete. Der sollte nämlich verschwinden, ohne Aufmerksamkeit zu erregen – und das war einfacher, wenn die Person, der es am ehesten auffallen würde, bereits fort war.
Es gab natürlich noch andere Gründe, aber mit denen wollte Thaya sich erst auseinandersetzen, wenn sie die restlichen Transferbefehle übermittelt hatte.
Als sie schließlich fertig war, eilte sie zurück zur Brücke der Gaze Electric. Zum Auge. Zu Marchion Ro persönlich.
Er saß auf dem Kommandosessel und studierte einen Bericht. Thaya war sicher, dass es um die Angriffe auf andere Nihil-Schiffe ging – Schiffe, deren Mannschaften loyal zu Lourna Dee standen und somit kaum noch Nihil genannt werden konnten, jedenfalls, soweit es Thaya anging –, aber Ro mochte keine neugierigen Untergebenen, also achtete sie nicht weiter darauf. Stattdessen blieb sie ein paar Schritte entfernt stehen und wartete geduldig, bis er Notiz von ihr nahm.
Einige Mitglieder der Brückenmannschaft lächelten verächtlich, und Thaya wusste auch, warum: Sie hatte keine Macht, war lediglich Marchion Ros Botenmädchen.
Die meisten Leute unterschätzten, wie viel man auf solchen Botengängen lernen konnte oder wie sehr ein Anführer sich auf jene zu verlassen lernte, die ihm seine alltäglichen trivialen Aufgaben abnahmen.
Thaya Ferr wusste mehr als sonst irgendjemand hier.
Schließlich wandte Ro sich ihr zu. »Hast du die Versetzungsbefehle überbracht?«
»Ja, Herr. Ich werde die nächsten Befehle vorbereiten und sie später verteilen.«
Ein paar Nihil spitzten die Ohren, als sie das Wort »Versetzungsbefehle« hörten. Hatte etwa jemand das Vertrauen oder die Gunst von Marchion Ro verloren? Sicher hofften sie auf Namen, auf zusätzliche Details, damit sie die Betroffenen besser verspotten konnten. Keiner der Anwesenden schien es für möglich zu halten, dass auch ihn ein solcher Befehl erwarten könnte. Genauso wollte es Ro, und genauso würde Thaya ihre Aufgabe auch handhaben.
Marchion Ro wandte sich einem anderen Thema zu – einem Thema, welches das allgemeine Interesse garantiert von etwaigen Versetzungen fortlenken würde, wie Thaya sehr wohl wusste. »Es scheint, als wäre Lourna Dees Gefangennahme nur noch eine Frage der Zeit.«
»Glauben die Jedi noch immer, dass sie das Auge der Nihil ist?« Thaya stellte die Frage in exakt dem ungläubigen Tonfall, den Ro ihrer Einschätzung nach erwartete.
Sein Lächeln gab ihr recht. »Sie werden die Wahrheit noch früh genug erfahren, Ferr. Fürs Erste werden wir ihnen den Spaß lassen. Sollen sie sich in dem Glauben sonnen, dass sie die Nihil besiegt haben. Das ist ein Fehler, den sie nie wieder machen werden.«
Stellan Gios gehörte zu den Jedi, die die Macht als einen Himmel voller Sterne wahrnahmen. Punkte gleißender Helligkeit und Energie, scheinbar durch unendliche Weiten und Kälte voneinander getrennt – in Wirklichkeit aber eng miteinander verbunden. Familien, Freunde, Stämme, Organisationen: Sie alle bildeten ihre eigenen Konstellationen und verliehen diesem Sternenhimmel Form und Bedeutung. Und waren er, Avar Kriss und Elzar Mann nicht ebenso eine Konstellation? Stellan hatte sie seit seiner Kindheit jedenfalls stets als solche betrachtet. Die Macht strahlte aus ihnen heraus und erhellte die ausladende Dunkelheit ringsum. Hätte Stellan die Fähigkeit, jedes lebende Wesen wahrzunehmen, dann wäre es dasselbe, als würde er alle Sterne des Universums gleichzeitig sehen: völlige, pure, allumfassende Helligkeit.
Und er hatte sich diesem idealen Moment selten so nahe gefühlt wie heute.
Bunte Banner wehten im Sonnenschein über einem Meer von Tausenden, die lachten, an Zelten und Ständen aßen und den wunderschönen Tag genossen, während sie – endlich – ein Gefühl wahrer Sicherheit genießen konnten.
Endlich, dachte er, haben wir die Freude wiedergefunden, die die Nihil uns so lange gestohlen hatten. Endlich können wir unsere Einheit feiern, so, wie wir es von Beginn an hätten tun sollen.
Stellan und die anderen Jedi von der Starlight-Station standen auf der Plattform, die oberhalb der Feierlichkeiten aufgebaut war. Für den Großteil der Galaxis war Eiram ein unbedeutender Planet, ein winziger Fleck auf der Sternenkarte, zu belanglos, um sich seine Position oder auch nur seinen Namen zu merken. Doch Eiram hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass dieser Teil des Raums der Republik beitrat. Was diese jüngste Mission hier nur umso symbolischer machte.
Vor Kurzem hatte ein schwerer Sturm den Planeten heimgesucht – ein Zyklon von einer Größenordnung, wie sie nur auf einer Handvoll Welten möglich war; groß genug, dass fast eine gesamte Halbkugel in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die höllischen Winde hatten die Entsalzungsanlagen verwüstet, welche die einzige Trinkwasserquelle des Planeten darstellten. Es war eine Krise, an der ein unabhängiger Planet leicht hätte zugrunde gehen können. Etwas, das zu einem Massenexodus oder einem Versorgungsnotstand hätte führen können.
Doch für Planeten, die zur Republik gehörten, gab es auch in so ernster Lage Hoffnung.
»Und so kam es, dass die Starlight-Station nicht an ihren Platz zwischen den Sternen zurückkehrte, sondern hierhergezogen wurde!« Der Geschichtenerzähler deutete auf das Holo, das Bilder genau dieser Rettungsaktion zeigte: die Starlight, wie sie durch das All geschleppt wurde – eine solche Maßnahme war erst ein Mal zuvor durchgeführt worden, um den Planeten Dalna vor dem Untergang zu bewahren. Die Kinder, die im Kreis um den Geschichtenerzähler herumsaßen, stießen bewundernde »Ohs« und »Ahs« aus, und das Schimmern des Hologramms spiegelte sich in ihren großen Augen. »Die Republik und die Jedi kamen, um uns alle zu retten. Sie brachten uns Wasser und Vorräte und das Wichtigste überhaupt … Hoffnung.«
Stellan empfand einen Anflug von Bedauern darüber, dass er nicht selbst hier gewesen war, um seinen Beitrag zum Wiederaufbau zu leisten. Er war zu jenem Zeitpunkt noch auf Coruscant gewesen, darum hatte er Meister Estala Maru beauftragt, jeden Schritt der Mission zu überwachen. Es war nicht so, als hätte Stellan den Spezialisten vor Ort misstraut, aber er wusste, dass alles perfekt sein musste. Und es gab keinen größeren Perfektionisten in der Galaxis als Estala Maru.
Die Reparaturen an den Entsalzungsanlagen waren noch immer nicht ganz abgeschlossen gewesen, als Stellan vor zwei Tagen an den Äußeren Rand zurückgekehrt war, doch alles, was jetzt noch getan werden musste, war, die neuen Schleusentore zu installieren, was in ein, maximal zwei Wochen geschehen sein würde – sobald sie die nötigen Schleppfahrzeuge organisieren konnten. Die Einwohner von Eiram mussten ihr Wasser also immer noch rationieren, aber es waren großzügige Rationen, und nach mehreren Wochen der Not wollten die Leute endlich feiern.
Stellan machte eine dahin gehende Bemerkung, woraufhin Maru erwiderte: »Ja. Es ist für alle der perfekte Moment. Und dass die Kanzlerin gerade Zeit für eine Ansprache hatte, schadet natürlich auch nicht.«
»So ist das eben in der Politik«, sagte Stellan.
Es war gut, dass Kanzlerin Lina Soh sich die Zeit genommen hatte, der Feier beizuwohnen, und sei es nur in holografischer Form. Das flackernde Bild im Zentrum der Plattform zeigte die Kanzlerin auf einem hochlehnigen Stuhl sitzend, eingerahmt von ihren mächtigen Targonen, die zufrieden auf dem Boden schlummerten. Kurz begegneten sich Stellans und Sohs Blicke. Die Feier hier weckte in ihnen beiden Erinnerungen an die Republik-Schau. Und in vielen anderen ebenfalls. Das Bild von Stellan, wie er den bewusstlosen Körper der Kanzlerin aus den Trümmern gehoben hatte, war längst ikonisch geworden – ein Symbol für die Brutalität der Nihil, aber auch für die Unverwüstlichkeit der Republik. Und es hatte sie beide auf seltsame Weise miteinander verbunden, zumindest in den Augen der Öffentlichkeit. Es hatte Stellan zu dem Jedi gemacht, dem Gesicht des Ordens.
»Wenn wir eine Konstellation sind«, hatte Elzar Mann gesagt, bevor er sich zur persönlichen Besinnung zurückgezogen hatte, »dann hat der Rat dich gerade zum Nordstern gemacht.«
Stellan war nicht sicher, was er davon halten sollte, aber er war auf schuldbewusste Weise erleichtert, dass die Kanzlerin nicht persönlich hier sein konnte. Andernfalls hätten die Leute vermutlich ein weiteres ikonisches Bild erwartet.
Ebenfalls per Hologramm zugeschaltet waren zwei weitere Mitglieder des Jedi-Rates, die Meister Adampo und Poof. Kameradroiden schwebten zwischen den Ballons und Wimpeln und fingen das Geschehen für alle Zuschauer von Kennerla bis Coruscant ein. Ganz gleich, wie weit dieser Teil der galaktischen Grenze auch vom Kern entfernt sein mochte, heute ruhte die gesamte Aufmerksamkeit der Republik auf Eiram.
»Sie haben so etwas gebraucht«, murmelte Stellan, während er den Blick über die ausgelassene Menge schweifen ließ.
Maru überraschte ihn mit seiner Erwiderung: »Wir haben so etwas gebraucht.«
Und es stimmte. Stellans scharfe Augen entdeckten mehrere weiß-golden gewandete Gestalten unter den Zuschauern: Bell Zettifar und Indeera Stokes nippten Orangen-Ram’bucha aus ihren Tassen; Nib Assek half OrbaLin, sich einen Weg zu den Tänzern zu bahnen, damit er ihre Aufführung besser bewundern konnte; und Burryaga spielte mit einigen kleinen Kindern. Ein Jedi zu sein, war eine heilige Pflicht – aber das Licht verlangte mehr als nur Gehorsam und Opferbereitschaft. Manchmal musste ein Jedi auch simple, reine Freude genießen können. Heute hatten sie alle Gelegenheit dazu.
»Ein schöner Anblick, findet Ihr nicht?«, fragte Regasa Elarec Yovet von den Togruta. Sie war persönlich erschienen und stand hoch aufgerichtet neben dem flackernden Hologramm der Kanzlerin.
Es war Soh, die darauf antwortete, aber Stellans Erwiderung wäre genauso ausgefallen. »Ja, Euer Majestät. Und er ist wohlverdient.«
»Gleich ist es so weit, Herr«, sagte Thaya Ferr.
Marchion Ro nickte seinen Unterlingen unmerklich zu, während er in die Tiefen der holografischen Sternenkarte starrte. Seine ausgewählten Ziele glühten rot inmitten der weißen Sterne, und er musterte sie eines nach dem anderen.
Es waren ganz normale Welten, groß und wohlhabend genug, um zumindest innerhalb ihres Sektors eine gewisse Bedeutung zu haben, aber nicht groß oder wohlhabend genug, um über eine starke planetare Verteidigung zu verfügen oder zu viel galaktische Aufmerksamkeit zu genießen. Marchion schritt durch das Hologramm hindurch und stellte sich vor, dass die Sonnen und Planeten sich dabei vor ihm teilten.
Seine Ziele hatten alle zwei Dinge gemein: Erstens, sie verfügten alle über ein modernes Kommunikationsnetzwerk, das es ihnen erlaubte, die galaktische Regierung auf Coruscant binnen weniger Minuten zu erreichen.
Und zweitens, sie waren alle weit von der Starlight-Station entfernt.
Er lächelte sein blutloses Lächeln. »Los.«
Aleen. Ein Planet, weder besonders bedeutend noch besonders berühmt. In grauer Vergangenheit war er von Kriegen verwüstet worden, aber das letzte Mal, dass hier irgendetwas Bedeutsames geschehen war, lag inzwischen schon lange Zeit zurück – doch genauso wollten es seine Bewohner, und wenn es nach ihnen ging, dürfte es noch viele, viele Jahre genauso unspektakulär weitergehen. Die Legenden der alten Kriege reichten aus, um die Aleener den Wert ihres ereignislosen Lebens zu lehren.
Yeksom. Eine der ältesten Mitgliedswelten der Republik am Äußeren Rand, die während der letzten Jahre unter schweren Erdbeben zu leiden hatte. Die Republik half dem Planeten, Frühwarnsysteme einzurichten und ihre Städte klüger zu bauen, aber es war ein langwieriger, aufwendiger Prozess. Dementsprechend verunsichert war die Bevölkerung; es gab kaum jemanden, der nicht Freunde oder Verwandte bei einem Beben verloren hatte, und Trauer verschleierte den grauen Himmel von Yeksom.
Japeal. Ein Planet an der Grenze, der sich in jüngster Zeit reger Aktivität erfreute – so viel Aktivität, dass gerade drei kleine Raumstationen in seinem Orbit gebaut wurden. Das gemäßigte Klima und der Überfluss an trinkbarem Wasser lockten mehr und mehr Siedler an, die von einem friedlichen neuen Zuhause träumten. Dutzende Spezies hatten in neu gegründeten Städten Geschäfte und Gasthäuser eröffnet; Ingenieure legten ein System von Straßen und Brücken an; und Familien verpassten ihren brandneuen Fertigbauhäusern einen persönlichen Anstrich.
Tais Brabbo. Ein Planet voller Wesen, die irgendwann vom rechten Weg abgekommen – oder abgebracht worden – waren. Wenn man den Gerüchten glaubte, hatten die Hutten einmal erwogen, einen Teil ihrer Geschäfte hierher zu verlagern, sich letztlich aber dagegen entschieden, weil Tais Brabbo selbst ihnen zu korrupt war. Es war eine Welt, auf der man ganz leicht untertauchen oder verschwinden konnte. An jedem Tag trieben sich hier mehrere Millionen Wesen herum, und die meisten von ihnen wollten dem strengen Auge der Behörden entgehen; es gab zwar einen planetaren Sicherheitsdienst, aber der war ebenso bestechlich wie inkompetent.
Auf jedem dieser Planeten, unter vier verschiedenfarbigen Himmeln, ging eine Unzahl von Wesen ihren höchst unterschiedlichen Geschäften nach, sei es nun das Spinnen von Muunyak-Wolle oder das Annehmen von Kopfgeldaufträgen. Aber sie alle hörten nun exakt dasselbe Geräusch: das Dröhnen von näher kommenden Raumschiffantrieben.
All diese Millionen Wesen hoben den Kopf. Und alle sahen sie die Nihil-Schiffe, die vom Himmel herabstießen, so schnell und zahlreich wie Regentropfen. Der Beginn eines Sturms.
Sie warfen Sprengladungen ab. Ihre Kanonen feuerten. Der Angriff verwüstete Wohnhäuser, Fabriken, Brücken, Cantinas, Medizentren, Hangars. Es gab keine speziellen Ziele – alles war ein Ziel. Einem Beobachter musste es erscheinen, als wollten die Nihil Chaos um des Chaos willen anrichten. Vor allem wenn man die Geschichten kannte, die über die Piraten erzählt wurden.
Ein Passagierschiff, das gerade von Japeal startete, hatte Glück; es nahm Schaden – ein schwerer Treffer an der Backbordseite –, aber es konnte sich aus dem Orbit schleppen und in den Hyperraum springen. Die Mannschaft und die überlebenden Passagiere hielten es für ein Wunder, dass sie entkommen waren, um von diesem Tag zu berichten … so sie denn rechtzeitig Hilfe fanden.
In Wirklichkeit war dieses »Wunder« aber ein Teil von Marchion Ros Plänen, die er vor den Überfällen an seine Leute durchgegeben hatte. Sie brauchten Überlebende, die geradewegs zur Starlight-Station flüchteten, wo sie Schutz und medizinische Versorgung erwarteten – und die ganze Aufmerksamkeit der Jedi.
Kaum dass Stellan Gios von Eiram zur Starlight-Station zurückgekehrt war, erreichte sie die Nachricht von den Nihil-Überfällen. Estala Maru, der seine Worte normalerweise mit großem Bedacht wählte, zischte ein paar Ausdrücke, die auf den meisten Planeten als obszön gelten würden. »Die Nihil greifen also immer noch an, und wozu? Ich kann jedenfalls keinen Sinn erkennen. Sie machen sich ja nicht mal mehr die Mühe, Schiffe oder Planeten zu plündern.« Er schüttelte grimmig den Kopf. »Solange auch nur eine Brise übrig ist, werden sie weiter Ärger machen.«
»Aber diese Überfälle haben längst nicht mehr die Größenordnung wie ihre früheren Attacken«, warf Stellan ein. Nicht dass Maru daran erinnert werden musste. »Wir haben große Fortschritte gemacht. Und es war ja zu erwarten gewesen, dass die Nihil wahllos um sich schlagen würden, je näher sie dem Ende kommen. Fürs Erste sollten wir uns darauf konzentrieren, den Opfern zu helfen. Es sieht aus, als wären mehrere beschädigte Schiffe auf dem Weg hierher, und gewiss haben sie viele Verwundete an Bord …«
»Ich habe bereits ein paar Padawane losgeschickt, um die Krankenstation für zusätzliche Patienten vorzubereiten«, sagte Maru. Seine fanatische Detailversessenheit wurde in Krisensituationen nur umso größer, und Stellan war selten so froh darüber gewesen wie heute.
»Ausgezeichnet.« Er legte Maru die Hand auf die Schulter. »Maru, manchmal glaube ich, ohne Euch würde diese gesamte Raumstation auseinanderbrechen.«
»Vergesst das bloß nicht«, brummte Maru, doch das schroffe Gebaren des Kessurianers war nur Fassade; Stellan konnte das zufriedene Leuchten in seinen Augen sehen.
Anschließend eilte Stellan davon. Dieses Problem war also gelöst, aber es gab noch viele andere Dinge, um die sie sich kümmern mussten. Ein paar der Schiffe hatten bereits gemeldet, dass sie einen Landeplatz brauchten, und weitere würden sicher folgen.
Wenn er ehrlich sein sollte, beunruhigten ihn diese Nihil-Angriffe mehr, als er zeigen wollte. Stellan hatte von Beginn an Zweifel an Avar Kriss’ unerbittlicher Jagd auf das Auge der Nihil gehabt – es fühlte sich zu sehr nach einer persönlichen Vendetta an. Der Rat hatte Avar mit der Aufsicht über die Starlight betraut, und diese Raumstation war das Symbol der Republik in diesem Teil der Galaxis … Dennoch war Avar ohne Zögern losgezogen, um eine Offensive zu leiten, für die Dutzende andere ebenso qualifiziert wären. Konnte es sein, dass ihre Suche die Nihil zu diesen Akten der Zerstörung angestachelt hatte?
Aber vielleicht zeigen diese Angriffe auch, dass Avars Plan funktioniert, räumte Stellan ein. Das Auge flieht vor ihr. Vielleicht hat es den Kontakt mit dem Rest der Piraten verloren. Möglicherweise ist das, was wir gerade sehen, ein letztes Aufbäumen, bevor die Nihil in kleine Grüppchen auseinanderbrechen.
In dem Fall würde Stellan nicht zögern, sich bei Avar für seine Zweifel zu entschuldigen. Doch bis sie Gewissheit hatten … würde er weiter an seinen Ansichten festhalten.
Eine elektronische Stimme zirpte: »Meister Stellan Gios?«
Er drehte sich halb herum und sah einen Logistikdroiden auf sich zurollen, kupferfarben, mit einem vage humanoiden Oberkörper auf einem radbetriebenen Sockel. »Ja? Hast du eine Nachricht für mich?«
»Die Nachricht ist, dass Sie mein neuer Meister sind. Ich bin Jott-Jott-Fünf-Eins-Vier-Fünf, und ich bin bereit, jeden Aspekt Ihrer Existenz zu archivieren, zu priorisieren, zu sortieren oder anderweitig zu organisieren.« Der Droide vibrierte förmlich vor Diensteifer.
»Da muss es ein Missverständnis geben, Vier-Fünf«, sagte Stellan. »Ich habe keinen neuen Droiden angefordert, und der Rat hätte es sicher erwähnt …«
»Ich bin ein Geschenk«, verkündete JJ-5145 mit offensichtlichem Stolz. »Elzar Mann lässt Ihnen ausrichten, dass er nicht länger als Ihre rechte Hand fungieren kann. Deshalb möchte er, dass ich diese Funktion übernehme.«
Ein Droide, der ihm auf Schritt und Tritt folgte und alles, was er tat, organisierte? Das war so ziemlich das Schlimmste, was Stellan sich vorstellen konnte.
Und natürlich wusste Elzar das.
Stellan hatte schwere Gewissensbisse, weil er seinen alten Freund nicht begleitet hatte, um ihm bei der Bewältigung seine kürzlichen Glaubenskrise zu helfen – so, wie er es eigentlich geplant und sogar versprochen hatte. Es gab einfach zu viele andere Pflichten, die Stellans Zeit in Anspruch nahmen. Er hatte zwar einen geeigneten Ersatz gefunden, der Elzar auf seiner schwierigen Reise begleiten konnte, aber auf einer unterbewussten Ebene befürchtete er, dass Elzar deswegen wütend auf ihn sein könnte … und bei Elzars gegenwärtiger Gemütslage wären jegliche Ressentiments eine Pforte zur dunklen Seite.
Doch so, wie es aussah, war Elzar nicht wütend auf ihn; er war gerade verärgert genug, um ihm einen kleinen Streich zu spielen.
JJ-5145 erklärte: »Sie haben seit drei Komma eins Sekunden nichts gesagt. Wissen Sie vielleicht nicht, wie Sie Ihre Gedanken priorisieren sollen? Zählen Sie sie doch einfach auf, dann kann ich Ihnen helfen, eine möglichst effiziente Rangfolge zu erstellen.«
»Nicht nötig, Vier-Fünf«, erwiderte Stellan hastig. »Wie wäre es, wenn du den Padawanen hilfst, die Krankenstation vorzubereiten? Das wäre wirklich eine große Hilfe.« Er wies der Einheit den Weg, froh, dass er eine Aufgabe für sie hatte. Später würde er sich ein paar andere Aufgaben ausdenken, die den Droiden für einige Tage beschäftigt halten sollten.
Eine hatte er sogar schon: Finde die perfekte Rache für einen schlechten Scherz.
Das erste Schiff, das die Starlight-Station nach den Nihil-Angriffen erreichte, war weder beschädigt, noch hatte es Verwundete an Bord. Es war ein Langträger, der einige Jedi von einem weiteren Einsatz im Ocktai-System zurückbrachte – und mit ihnen eine Handvoll Gefangene.
Bell Zettifar war gerade damit fertig geworden, die medizinischen Vorräte der Krankenstation zu überprüfen, und er wollte schon losgehen, um beim Transport der Gefangenen zu helfen, aber seine Meisterin, Indeera Stokes, winkte ab. »Es sind nur ein paar, und falls sie Hilfe brauchen, kann ich das übernehmen«, sagte sie. »Du hast dir ein wenig Freizeit verdient.«
Sie spürte natürlich, dass seine Stimmung selbst jetzt, Monate nach dem Tod von Loden Greatstorm, noch immer getrübt war. Bell wollte nicht, dass seine neue Meisterin glaubte, er würde sie nicht schätzen – oder dass sie den Eindruck gewann, die Trauer um seinen früheren Meister könnte seine weitere Ausbildung behindern (denn es war offensichtlich, dass er weitere Ausbildung brauchte; Bells Überzeugung, dass er für den Ritterstand bereit wäre, hatte sich gemeinsam mit Meister Loden in Staub aufgelöst).
Doch darüber konnte er sich später noch den Kopf zerbrechen. Im Moment gab es wenig mehr, was er tun konnte, als zu sagen: »Danke, Meisterin Indeera.«
Sie nickte, während sie davonging. »Wir werden bald alle Hände voll zu tun haben. Da nutzt man jedes bisschen freie Zeit besser aus.«
Burryaga, der gerade ebenfalls nichts anderes zu tun hatte, fragte knurrend, ob Bell mit ihm meditieren wollte. Durch gemeinsame Meditationsübungen ließ sich manchmal erreichen, was man allein nicht bewerkstelligen konnte; oft war es einfacher, eine andere Person zu beruhigen – oder von einer anderen Person beruhigt zu werden. Es war also keine schlechte Idee, aber eine dunkle Gestalt am Ende des Korridors erinnerte Bell daran, dass er sich erst noch um etwas anderes kümmern musste. Etwas, das er schon den ganzen Tag hatte tun wollen, seit sie heute Morgen von Eiram zur Starlight zurückgekehrt waren.
»Warte einen Moment«, bat er Burryaga, dann ließ er sich auf ein Knie sinken und breitete die Arme aus. »Komm her, Funke!«
Die Aschehündin rannte aus den Schatten und sprang in Bells Umarmung, um ihn mit all ihrem Enthusiasmus willkommen zu heißen. Ein paar Sekunden ließ er sich das Gesicht ablecken, bevor er dem Tier die Hand auf den Kopf legte, um es zu beruhigen. Funkes Fell glühte warm unter seinen Fingern. »Ruhig, Funke, ruhig. Ich bin ja wieder da.«
Die Aschehündin drehte sich fröhlich im Kreis, und Bell konnte nicht anders, als zu grinsen. Wenn man alle Sorgen vergessen und ganz im Moment leben wollte, gab es nichts Besseres als die Zuneigung eines Tieres.
Burryaga gab ein leises schnaufendes Geräusch von sich. Bell hob den Kopf und sah, dass Jedi-Ritter Regald Coll gerade zwei Nihil-Gefangene durch den Hauptkorridor führte. Eine war eine hochgewachsene Frau mit langen Zöpfen, deren Wangenknochen scharf genug waren, um sich daran zu schneiden; die andere war ein Mädchen, vielleicht ein wenig jünger als Bell – ihre Kleidung war etwas zu groß für ihren Körper, was sie automatisch noch viel jünger erscheinen ließ.
Bell war dem Mädchen noch nie begegnet, aber er kannte das Gesicht aus den Sicherheitsbesprechungen.
»Nan mag aussehen, als wäre sie fast noch ein Kind«, hatte Reath ihn gewarnt, kurz nachdem die Nachricht ihrer Gefangennahme die Station erreicht hatte. »Aber sie ist alles andere als ein Kind. Sie ist unglaublich gerissen. Mit ihr müssen wir vorsichtig sein.«
Bell hatte vermutet, dass Reath Silas nur auf diese Weise über Nan sprach, weil sie ihn so geschickt hinters Licht geführt hatte. Aber als er sie nun vorbeigehen sah, den Kopf trotz ihrer gefesselten Hände hoch erhoben, da hätte er Regald Coll am liebsten dieselbe Warnung zugerufen.
»Ich schlage vor, wir warten noch, bevor du sie befragst«, wandte Regald sich an Stellan Gios. »Unser Transporter war klein. Möglicherweise haben die Gefangenen von den erfolgreichen Angriffen ihrer Kameraden gehört. Das könnte sie vielleicht …«
»Übermütig machen«, beendete Stellan den Satz für ihn. »Womöglich sogar arrogant. Sie werden glauben, die Nihil würden sie befreien. Und wenn nichts dergleichen passiert … macht sie das vielleicht ein wenig kooperativer.«
»Sie behaupten, nicht länger zu den Nihil zu gehören«, sagte Regald, »aber dieses Mädchen, Nan? Sie gehörte vor ein paar Monaten definitiv noch zu ihnen. Und ist es nicht ein praktischer Zufall, dass sie sich ausgerechnet jetzt von ihnen lossagt?«
»Nun, es wäre möglich.« Stellan blickte nachdenklich drein. »Falls sie die Nihil tatsächlich verlassen hat – und falls wir den Grund dafür herausfinden –, könnte uns das wertvolle Informationen verschaffen. Vielleicht könnten wir weitere Mitglieder dazu bringen, der Bande den Rücken zu kehren.«
»Das würde uns viel Zeit sparen. Trotzdem: Ich habe da meine Zweifel.« Regald vermisste die gute alte Zeit, als er noch mit den Jünglingen gearbeitet hatte; wenn man da ein Problem sah (zum Beispiel einen Dreijährigen, der sich zu nah an eine offene Flamme heranwagte), war die Lösung in der Regel klar (zum Beispiel, besagten Dreijährigen aus der Nähe der offenen Flamme zu entfernen). »Werdet Ihr das Verhör persönlich leiten, oder gebt ihr Elzar Mann den Vortritt? Ich helfe gerne, aber ich muss Euch warnen, meine Scherze lassen mich nicht gerade furchteinflößend wirken. Andererseits besteht natürlich immer die Möglichkeit, dass die Gefangenen alles ausspucken, nur damit ich endlich den Mund halte …«
Ein Schmunzeln huschte über Stellans Gesicht. »Ich werde darauf zurückkommen, falls mir nichts anderes mehr einfällt. Elzar ist leider gerade nicht hier. Er ist auf einer noch wichtigeren Mission.«
»Und was könnte das für eine Mission sein?«
»Er nimmt sich eine kleine Auszeit, um seine Verbindung mit der Macht zu stärken«, erklärte Stellan. »Und mit dem großen Jedi, der er einst werden mag.«
Auf dem Meeresplaneten Ledalau gab es lediglich ein paar Tausend Quadratmeter trockenes Land, alles in einem winzigen Archipel konzentriert. Einst hatte es auf dieser Welt gewaltige Kontinente gegeben, aber die waren schon vor Jahrtausenden von den Ozeanen verschluckt worden, und nur wenige Überbleibsel jener alten Zivilisationen hatten die Zeit überdauert. Heute besaß Ledalau keine nennenswerten Ressourcen und auch keine Infrastruktur, weswegen sich nur wenige Fremde hierher verirrten. Aber genau das machte den Planeten zum perfekten Ort für eine meditative Selbstfindung.
Oder um sämtlichen Stolz ausgetrieben zu bekommen.
Bei seiner Ankunft vor ein paar Wochen war Elzar skeptisch gewesen. Die Inseln befanden sich hoch oben in der nördlichen Hemisphäre, weswegen das Wetter enttäuschend kühl und neblig war – und Elzar glaubte nun mal, dass man sich besser konzentrieren konnte, wenn einem nicht die Zähne klapperten. Dann hatte man ihn darauf hingewiesen, dass er nicht zu üben brauchte, was ihm bereits leichtfiel, und dass er auch einfach auf der Starlight hätte bleiben können, falls es ihm nur darum ging, bereits Bekanntes durchzuexerzieren.
Also hatte er seine anfänglichen Vorstellungen von einem tropischen Paradies begraben und sich seiner Aufgabe gewidmet. Seine Unterkunft war eine winzige Steinhütte, die gerade genug Platz für ein Schlafzimmer und eine Toilette bot. Es gab keine Kommgeräte, keine Form von Unterhaltung, keine Droiden, nur die Handvoll Gegenstände, die er brauchte, um sich selbst zu versorgen … und seine Begleiterin, die ihn so schroff zurechtgewiesen hatte und auch sonst nicht lange um den heißen Brei herumredete.
Sobald er seinen Frieden mit der Situation gemacht hatte, begann Elzar, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen, die ihn hierhergeführt hatten.
Ich habe von der Dunklen Seite gezehrt, um stärker in der Macht zu werden.
Er hatte sich nicht vom Licht abgewandt, und er hatte auch nicht das Gefühl, als bestünde da eine echte Gefahr. Eine derartige Existenz war für ihn vollkommen unvorstellbar – er glaubte noch immer an das Gute und an die Wahrheit, an die Lektionen, die er als Jüngling von Yoda gelernt hatte und später als Padawan von Meister Roland Quarry. Aber Zorn war unausweichlich ebenso wie Furcht. Extreme Umstände erzeugten extreme Emotionen. Sie zu verleugnen, war sinnlos. Also, warum sollte man sie nicht einsetzen?
Selbst jetzt, Wochen später, hatte er keine befriedigende Antwort gefunden. Doch er hatte zumindest erkannt, dass diese Frage vermutlich für die meisten Sith-Lords der erste Schritt auf dem Weg zur Dunklen Seite war. Und wenn man ihr einmal nachgab, war es beim nächsten Mal nur noch halb so schwer, und schon bald … fand man sich im Würgegriff der Dunkelheit wieder.
Wo liegt die Grenze?, fragte sich Elzar. Du weißt es nicht. Wie auch? Und darum darfst du diesen Pfad gar nicht erst betreten.
Ebenso war ihm klar geworden, dass es nicht nur negative Gefühle waren, die ihn an diesen Punkt geführt hatten.
Sich dieser Wahrheit zu stellen, war besonders schwer gewesen, selbst hier. Aber er musste sich mit ihr auseinandersetzen. Wenn er nachts zu den drei großen schimmernden Monden von Ledalau emporblickte, dann stellte er sie sich als Lichtpunkte am Himmel über Avar Kriss vor.
Ihre emotionale Bindung hätte nie so stark werden dürfen. Viele Padawane waren im Geheimen intim miteinander; die Pubertät war eine Entwicklungsphase bei fast allen intelligenten Spezies, und sie forderte ihren Tribut. Lehrer und Meister taten in der Regel so, als würden sie nichts darüber wissen – solange niemand zu weit ging. Wenn sich romantische Beziehungen formten, wurden nur selten Verwarnungen ausgesprochen; stattdessen brachen die Meister mit ihren Padawanen dann zu einer langen Mission fernab des Jedi-Tempels auf. Und wenn sich die beiden Schüler wiedersahen, waren sie in der Regel erwachsen genug, um nicht wieder in alte Muster zurückzufallen.
Elzar und Avar hatte man nicht auf diese Weise voneinander trennen müssen. Sie waren vernünftig gewesen. Sie hatten gewusst, was sie taten und wo die Grenzen lagen.
Oder zumindest hatte Elzar das geglaubt. Doch obwohl er seitdem reifer geworden war und ganz neue Einblicke gewonnen hatte, schien er seine Gefühle für Avar einfach nicht hinter sich lassen zu können.
Wie viel von meiner Verwirrung und meinem Zorn liegt in diesen Gefühlen begründet?, hatte er sich oft gefragt, während er stundenlang auf den Knien meditierte. Wie viel Energie vergeude ich mit dem Wunsch nach etwas, das nie sein kann?
Zumindest was das anging, gab es klare Grenzen. Elzar fühlte – nein, wusste –, dass Avar noch immer Gefühle für ihn hatte, aber er wusste auch, dass sie niemals ihren Eid brechen würde. Also, warum war es für ihn so schwer?
Es dauerte lange, aber schließlich wurde ihm klar, dass es nicht der Mangel an Antworten war, der ihn belastete. Es war seine Weigerung, auch nur die Fragen zu stellen.
Nach dieser Einsicht setzte sich der Rest des Puzzles überraschend schnell zusammen. Elzar entwickelte einen Rhythmus: Am Morgen eine Meditation, dann ein paar Übungen und eine leichte Mahlzeit. Im Anschluss tiefere meditative Übungen, mehr körperliches Training und schließlich ein Abendessen, das nährstoffreich genug war, um ihn ruhig schlafen zu lassen. Dazwischen gestattete er sich ein paar Momente der Frustration und der Wut, ohne sie aber als Motivation zu nutzen oder anderweitig von ihnen zu zehren. Und wenn er zum Nachthimmel hochblickte, gestattete er sich sogar, an Avar zu denken.
Darüber hinaus hatte seine Begleiterin ihre eigenen Übungen für Elzar – die ihn nicht selten in Regen und Kälte hinausführten und unglaublich irritierend waren. Aber er erfüllte sie aus Respekt. Die Frau hatte sich schließlich bereit erklärt, hierherzukommen und ihm zu helfen. Sie war eine Jedi-Ritterin, nur ein paar Jahre älter als er selbst, die sich einst für ein Leben als Wegsuchende entschieden hatte.
»Konzentriert Euch.« Orla Jareni klang immer ein wenig amüsiert, selbst in Augenblicken wie diesem. »Seid ganz in diesem Moment. In diesem Atemzug.«
Elzar atmete tief ein und stemmte sich wieder in den Handstand hoch. Einen Moment später schlug die nächste Welle über ihm zusammen.
Als Orla vorgeschlagen hatte, sie sollten im Wasser meditieren, hatte Elzar ihr erklärt (nicht ohne ein gewisses Maß an Selbstzufriedenheit, wenn er ehrlich sein sollte), dass er das bereits regelmäßig tat. Er hatte ihr seine Übungen beschrieben, überzeugt, dass selbst sie davon beeindruckt sein müsste.
Doch es schien, als könnte nichts Orla Jareni beeindrucken.
»Schön«, hatte sie gesagt. »Ihr lasst Euch also von der Strömung mittreiben. Und dann seid Ihr überrascht, wenn Eure Gedanken irgendwohin abschweifen, wo sie nichts verloren haben. Nein, nein. Ihr werdet Euch der Brandung entgegenstellen. Aber nicht, um Euch ihrer Macht zu widersetzen – sondern um mit ihr zu koexistieren. Akzeptiert sie, ohne Eure eigene Position aufzugeben.«
»Und das heißt …?«
Sie hatte auf die felsige Küste gedeutet. »Watet vier oder fünf Schritte ins Wasser hinaus, dann geht in den Handstand und haltet ihn, wenn die Flut kommt.« Und genau das hatte Elzar seitdem jeden Tag geübt.
Das Wasser reichte ihm zwischen den Wellen nur bis zu den Handgelenken, aber es schwoll bis auf Hüfthöhe an, sobald eine der brutalen und schrecklich kalten Wogen heranbrandete. Elzar grub seine Finger in den Sand und beschwor die Macht, um sich aufrecht zu halten. Nach ein paar Sekunden rollte das Wasser dann wieder ins Meer, und er blieb durchnässt und zitternd, aber nach wie vor im Handstand zurück.
»Ausgezeichnet«, sagte Orla, die sicher und trocken am Ufer stand.
»Ich weiß nicht, ob mir das beim Meditieren hilft«, rief Elzar zurück. »Aber ich werde definitiv besser darin, nicht zu ertrinken.«
»Na, das ist doch immerhin etwas.«
Eine weitere Woge rollte auf ihn zu, und Elzar schloss die Augen. Diesmal war es einfacher, zu vergessen, dass Orla ihn beobachtete, und das Geschenk des Ozeans anzunehmen.
Er ließ sein Bewusstsein aus seinem Körper herausströmen, ins Wasser hinein, bis er all die anderen Lebensformen um ihn herum wahrnehmen konnte: die Fische, die Meeressäuger, die Pflanzen, die aus den Tiefen emporwuchsen und sich in den Gezeiten wiegten. Es war ein Gefühl, das er schon in der Vergangenheit genossen hatte, aber diesmal war es anders, stärker … und zwar, weil er sich ihm nicht ganz hingab. Sein Körper blieb angespannt, ein Felsen in der Brandung; der Zeit ausgeliefert, aber in diesem Moment stark und unnachgiebig. Elzar brauchte eine Weile, bis ihm auffiel, dass er die einzelnen Wellen kaum noch wahrnahm. Seine Atmung hatte sich an den Rhythmus des Wassers angepasst, und seine Verbindung mit dem Leben um ihn herum fühlte sich realer und unmittelbarer an als die Wogen oder der Sand unter seinen Handflächen.
Das ist wahres Gleichgewicht, dachte er nun, während er einmal mehr im Handstand den Wellen trotzte, und er hatte keine Mühe, in diesem Gleichgewicht zu verharren, körperlich ebenso wie geistig, bis die Flut schließlich wieder von der Küste zurückrollte.
Elzar stieß sich mit den Händen vom Boden ab, landete aufrecht im knöcheltiefen Wasser und genoss das Gefühl an seinen Füßen.
Am Ufer schlang Orla Jareni ihren schneeweißen Umhang enger um sich. »Ihr habt große Fortschritte gemacht. Als Ihr es das erste Mal versucht habt, war ich nicht sicher, ob Ihr mehr Salzwasser oder Sand verschluckt habt.«
Er grinste. »Lob? Von Euch? Da muss ich Euch aber wirklich beeindruckt haben.«
»Mein Lob muss man sich erarbeiten«, räumte sie ein. »Ich hoffe, Ihr wisst es zu schätzen.«
»Das tue ich. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr.« Er machte eine Pause. »Ich denke, wenn ich diesen Ort verlasse, werde ich eine Weile keine ›Experimente‹ mehr mit der Macht anstellen. Eine lange Weile.«
Orla neigte den Kopf zur Seite, und das kühle Sonnenlicht ließ ihre Haut schimmern wie frisch gefallenen Schnee. »Als ich Euch riet, damit aufzuhören, meinte ich nie für immer. Ihr seid ein intuitiver Machtnutzer, Elzar. Das ist eine Stärke, keine Schwäche … wenn man seine Grenzen kennt.«
»Die muss ich aber erst noch finden. Und ich fühle mich stark genug, um auch so weiterzumachen.«
»Ihr limitiert Euch selbst, das wisst Ihr hoffentlich.« Orla zog eine stark gewölbte Augenbraue nach oben. »Und nicht nur, was die Nutzung der Macht anbelangt, sondern auch die Macht in Euch.«
»Ich weiß«, gestand Elzar. »Es fühlte sich an wie … wie ein verwundetes Bein. Ich weiß, ich werde es wieder belasten können – aber jetzt noch nicht. Oder irre ich mich in dem Punkt ebenfalls?«
»Nein. Das klingt ziemlich vernünftig. Wir Jedi verbringen so viel unserer Zeit damit, unsere Machtfähigkeiten zu üben, dass andere Talente manchmal in den Hintergrund rücken. Vielleicht ist es ganz gut, wenn Ihr eine Weile Eure Stärken jenseits der Macht erforscht.«
Elzar trocknete sich das nasse Haar, das während seiner Zeit auf Ledalau ein wenig länger und struppiger geworden war. »Aber verratet mir eines – wie werde ich erkennen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, um … mich der Macht wieder zu öffnen?«
Wenn sie wollte, konnte Orla Jareni ganz schön durchtrieben grinsen. »Vertraut auf Euch selbst, Dummerchen. Jetzt trocknet Euch ab und packt Eure Sachen.«
»Heute schon?« Er wusste, dass sich seine Zeit hier dem Ende zuneigte, aber sie hatte nie ein konkretes Datum genannt, damit er den Strom der Zeit organischer wahrnahm.
»Heute Nachmittag, falls Ihr das hinkriegt.«
Elzar kriegte es hin. Das war der Vorteil, wenn man nur mit leichtem Gepäck reiste. Binnen Stundenfrist war er trocken und abflugbereit.
Die Zeit mit Orla Jareni war voller Überraschungen gewesen. Sein Freund Stellan Gios hatte den Kontakt zwischen ihnen hergestellt, und in gewisser Weise war das schon eine Überraschung gewesen, wenn man bedachte, wie wenig Stellan sonst von Wegsuchenden hielt. Dann hatte Orla sich als eisern, aber humorvoll erwiesen, und sie hielt sogar noch weniger von Konventionen als Elzar selbst. Unter ihrem wachsamen Auge hatte er gelernt, sich besser und schneller zu konzentrieren – im Stillen überkam ihn Scham, als er sich eingestand, dass er angenommen hatte, er würde Orla um den kleinen Finger wickeln. Er hatte gar nicht gemerkt, wie oft er in letzter Zeit mit Frauen flirtete, bis er einer begegnet war, die nicht darauf ansprang.
Falls Orla glaubt, dass ich bereit bin, dann muss es wirklich so sein, dachte er, nachdem er fertig gepackt hatte. Andernfalls würde ich noch immer am Ufer Handstände machen.
Er war unglaublich dankbar, sie als seine Lehrerin gehabt zu haben – so dankbar, dass er beinahe ein schlechtes Gewissen wegen des Logistikdroiden empfand, den er Stellan aufs Auge gedrückt hatte.
Aber nur beinahe. Er grinste, während er den Verschluss seiner Tasche zuzog und nach draußen ging.
Der Nebel hatte sich dicht und feucht über die Insel gesenkt. Elzar schlang seine Robe enger um sich und rief: »Orla? Wo steckt Ihr?«
»Hier!« Ihre Stimme ertönte in der Ferne, also beeilte er sich, ihr zu folgen.
Er hatte den Großteil seiner Zeit an der Küste oder in einer kleinen Hütte verbracht, weswegen ihm das Inselinnere noch immer fremd war. Sobald der Sand fruchtbarer Erde Platz machte, wurde der Nebel dichter, und er wogte in unruhigen Schwaden um Elzar herum. Aber Orla war irgendwo dort vorn, also hastete er weiter.
Dann tauchte vor ihm ein Monolith aus dem Dunst auf.
Er war nicht sonderlich hoch – ungefähr so groß wie Elzar selbst –, und die zeremoniellen Schnitzereien und Bemalungen, die ihn einst zweifellos verziert hatten, waren im Lauf der Jahrtausende verblasst oder abgeschliffen worden. Alles, was übrig war, war bräunlicher Stein. Hatte sich vor dieser Platte einst ein Opferaltar befunden? In diesem Augenblick, eingehüllt in die Stille des wogenden Nebels, konnte Elzar nicht anders, als zu spüren, wie heilig dieser Ort war.
Bildete er sich das nur ein, oder war hier sogar die Macht stärker? Nein, er war ziemlich sicher, dass es stimmte.
Ich wette, unser Schiff ist noch gar nicht da, überlegte er, während er den Quader genauer betrachtete. Orla wollte, dass ich dieses uralte Relikt finde und versuche, es zu verstehen. Eine letzte Lektion vielleicht? Sollte er sich hinknien? Die Augen schließen? Wie sollte er einer Kultur Respekt erweisen, über die er absolut nichts wusste?
»Elzar?« Diesmal war Orlas Stimme näher, und er erspähte ihre Silhouette inmitten des Nebels, als sie auf ihn zukam.
»Ich bin hier«, antwortete er und wartete dann auf ihre nächsten Instruktionen. Aus den Augenwinkeln sah er immer noch den Monolithen, und seine Präsenz fühlte sich unglaublich intensiv an – fast, als würde er ihn anstarren.
»Oh, gut.« Orla grinste, als sie die letzten Meter zurücklegte. »Ihr habt unseren Navigator gefunden.«
Elzar starrte sie verdutzt an. Dann drehte er den Kopf in Richtung des Felsen … und stellte fest, dass seine Sinne ihm keinen Streich gespielt hatten. Das Ding starrte ihn wirklich an.
»Dieser Fels …«, begann er.
»Es ist kein Fels«, korrigierte Orla. Sie stieß den Quader freundschaftlich mit dem Ellbogen an. Er rührte sich nicht. »Das ist unser vintianischer Navigator für den Rückflug zur Starlight. Er zieht es vor, wenn man ihn bei seinem Spitznamen nennt, Geode. Geode, darf ich vorstellen, das ist Jedi-Ritter Elzar Mann.«
»Ähm«, machte Elzar. »Freut mich, Sie kennenzulernen.« Geode sagte nichts – natürlich nicht, immerhin war er ein Fels! Wollte Orla ihn vielleicht nur auf die Probe stellen?
Doch die Wegsuchende schien sich kaum für seine Reaktion zu interessieren. Stattdessen schritt sie weiter auf ihr Schiff zu. Er folgte ihr, wobei er alle paar Schritte über die Schulter spähte. Geode folgte ihnen nicht, stand nur reglos da. Ja, entschied Elzar. Das musste definitiv ein Test sein.
Ihr Ziel entpuppte sich als kleiner Frachter mit blauer Hülle und einem vorstehenden Cockpit, das beinahe schon komisch aussah – wie ein Auge, das aus seiner Höhle quoll. Auf der Rampe stand ein junges Menschenmädchen mit gebräunter Haut und langem dunklem Haar, das die Druckanzeigen der Luftschleuse überprüfte. Ohne sich umzudrehen, rief sie: »Willkommen zurück, Orla!«
»Danke, Affie.« Orla deutete auf das Mädchen. »Elzar Mann; Affie Hollow – und umgekehrt.« Affies Begrüßung bestand aus einem knappen Nicken, bevor sie sich wieder ihren Anzeigen zuwandte. »Und jetzt lasst mich Euch den Captain der Schiff vorstellen: Leox Gyasi.«
»Sei gegrüßt, Reisender in der Leere«, intonierte ein hochgewachsener Mensch, der am oberen Ende der Rampe aufgetaucht war. Er hatte dunkelblondes welliges Haar und trug ein loses Hemd, das bis zu seiner Brust offen war; vermutlich, damit man die Ansammlung von farbenprächtigen Perlen sehen konnte, die um seinen Hals hing.
»Die Schiff«, wiederholte Elzar, als er zu begreifen begann. »Natürlich. Ich hörte von ihrer Reise zur Amaxiner-Station.«
»Das war ein höllischer Ritt, sage ich dir.« Leox starrte ins Nichts, als würde er sich ganz in jenem vergangenen Abenteuer verlieren. Was gar nicht so unwahrscheinlich war; dem schwachen Geruch in der Luft nach zu urteilen, hatte er seiner Vorstellungskraft mit ein wenig Gewürz auf die Sprünge geholfen. »Geode, Kumpel, es ist Zeit zu starten. Komm schon.«
Elzar stellte erschrocken fest, dass der Monolith nur ungefähr einen Meter hinter ihm stand. Dann war es also doch kein Test, fuhr es ihm durch den Kopf. Unser Navigator ist wirklich ein … Fels.
Na schön, ein Vintianer. Aber Vintianer sehen aus wie Felsen.
Die junge Frau, Affie, neigte den Kopf zur Seite, und ihre Miene wurde grimmig. Elzar konnte das kleine Kommgerät an ihrem Ohr sehen, und was immer sie gerade hörte, es schien ihr nicht zu gefallen. »Was ist los?«, fragte er.
»Die Nihil«, sagte Affie. Elzar fluchte im Stillen. Orla fluchte laut. Und Affie fuhr fort: »Wir haben ein paar Berichte aufgeschnappt, wonach sie in mehreren Systemen gleichzeitig zugeschlagen haben. Nur eine Handvoll kleiner Welten, aber weit voneinander entfernt. Es gibt offenbar keinen gemeinsamen Nenner. Und die Nihil haben nicht mal irgendwas gestohlen. Sie jagten einfach in die Luft, was immer sie fanden, und verschwanden dann wieder.«
»Das hat sicher nichts Gutes zu bedeuten.« Gyasi war entweder schlagartig nüchtern geworden, oder er war doch nicht so gewürzumnebelt, wie Elzar anfangs vermutet hatte, denn der Captain überprüfte konzentriert die Informationen auf seinem Datenblock, wobei er mit seinen langen Fingern immer wieder nach unten scrollte. »Aber keines ihrer Ziele befand sich in diesem Sektor.«
»Dann sollten wir zumindest sicher zurückfliegen können«, sagte Orla in erleichtertem Tonfall.
Elzar konnte diese Erleichterung nicht teilen. Nach der Republik-Schau – und vor allem jetzt, wo sich die Schlinge um das Auge immer weiter zusammenzog – hatte er gehofft, dass die Nihil fürs Erste keinen weiteren Ärger machen würden. Doch stattdessen hatten sie sich bereits wieder zurückgemeldet. Zugegeben, ihre Angriffe schienen weit von der Größenordnung voriger Überfälle entfernt zu sein, aber auch die kleinste Nihil-Aktivität reichte aus, um Elzar nervös zu machen.
Er versuchte, das Positive zu sehen. Falls es nur kleine Angriffe waren, dann hatte Avar ihnen vielleicht schwer genug zugesetzt, um sie ein wenig Respekt zu lehren. Dazu imstande wäre sie jedenfalls.
Ja. Es gab nichts, was Avar Kriss nicht vollbringen könnte.
Weit entfernt, an Bord der Gaze Electric, stand Marchion Ro vor seinen Auserwählten.
Werrera, der Ithorianer, schweigsam und skeptisch; Leyel, die Menschenfrau, klein gewachsen, aber stämmig, mit einer Mähne dichten ergrauenden Haares, zu einem Zopf geflochten, der ihr fast bis zur Hüfte reichte; Cale, der Pau’aner, dessen Fänge selbst für seine Spezies ungewöhnlich lang waren, der aber sonst keinerlei hervorstechende Merkmale besaß. Die drei waren allesamt hochbegabte Techniker, doch keiner von ihnen hatte sich je auf andere Weise aus der Masse der Nihil hervorgetan; keiner von ihnen war sonderlich brutal oder gnädig, brillant oder beeinflussbar.
Aber sie waren echte Gläubige.
Das Versprechen der Nihil, die goldene Zukunft, von der Ro so oft gesprochen hatte – für die meisten war es eine Hoffnung, ein Traum. Aber in diesen dreien lebte sein Versprechen. Sie glaubten daran, vollkommen und unbeirrbar. In gewisser Weise hatten sie jene goldene Zukunft also schon erreicht. Das war ihr Geschenk an ihre Familien und Freunde: ein sicherer Platz in diesem verheißenen Land, erbaut auf dem Blut und den Tränen zahlloser anderer in der Galaxis.
Und jetzt würde ihr Glaube Marchion Ro helfen, sein nächstes Ziel zu erreichen.
Was die Familienmitglieder und Freunde der drei betraf – oder was bei den Nihil als Freunde durchging –, so waren sie alle auf andere Schiffe versetzt worden, weit entfernt von der Gaze Electric. Die Letzten hatten das Flaggschiff heute um dreizehn Uhr verlassen. Sie konnten also nicht protestieren oder versuchen, die Meinung dieser drei zu ändern. Nein, sie würden nicht mal wissen, dass sie fort waren, zumindest nicht, bis es schon zu spät war.
»Ihr werdet alle Datenbanken löschen, sobald ihr von Bord geht, und nur die falschen Logbucheinträge und Übertragungen im System lassen«, instruierte Ro die Loyalisten, während sie vor ihm standen. Besagte Logbucheinträge würden ihr Schiff als einen unscheinbaren, unabhängigen Frachter identifizieren, außergewöhnlich allein wegen der Fracht, die er vermeintlich transportierte: wilde Tiere oder, genauer, Rathtare – niemand würde es eilig haben, den Frachtraum zu inspizieren, um sich von der Richtigkeit dieser Informationen zu überzeugen. »Sollen die Jedi davon halten, was sie wollen. Eure wahre Aufgabe werdet ihr ihnen noch früh genug offenbaren.«
»Ja, o Auge.« Cale – der sich selbst zum Sprecher der Gruppe bestimmt hatte – starrte Ro mit solcher Ehrfurcht an, dass es eher beunruhigend als befriedigend wirkte. Zum Glück ließ sich Marchion Ro so schnell von nichts beunruhigen. »Wir sind bereit.«