Stasi im Görlitzer Justizapparat 1982 - 2024 - Jürgen G. H. Hoppmann - E-Book

Stasi im Görlitzer Justizapparat 1982 - 2024 E-Book

Jürgen G.H. Hoppmann

0,0

Beschreibung

Dokumentation auf Basis aktueller Forschungsaufträge und Rückfragen bei Bundesarchiven sowie Forschungs- und Gedenkstätten in Berlin (Normannenstraße), Dresden (Riesaer Straße, Fuchsbau) und Leipzig (Rundes Eck), u.a. 334 Seiten Duplikate, übermittelt am 4. August 2023 vom Bundesarchiv Stasi-Unterlagen-Archiv im Rahmen des Forschungsauftrags AU 5/02 006350/21 Z 000162/23Z »Maßnahmen des MfS zur Überwachung der Bürgerrechtsbewegung Ende 1989 in Görlitz und Räumung der Kreisdienststelle«, ergänzt Forschungsaufträge zu den Themen »Neues Forum in Görlitz« und »Überwachung von Reisen in die DDR durch das MfS«, ferner Zeitzeugen, engagierte Bürger und Journalisten in Görlitz. Sachdienliche Hinweise wurden vertraulich behandelt und zum Schutz der Informanten anonymisiert. Duplikate aus den Stasi-Archiven online über https://www.truecrime.cloud/ abrufbar.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 278

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Prolog

Der Zwang zum Entertainment

True Crime – ein mörderischer Spaß?

Ledig ein Einzelfall – so das Investigativ-Ressort der ZEIT

True Crime – bitterer Ernst

Die Presse als Vierte Gewalt?

I. Stasi und Putins Agenda

Desinformation

Schau- und Geheimprozesse

Zersetzung

Plötzlicher Herztod

Milliardenjagd und Altstadtmillion

Falsche Priester und Fake Jews

Missbrauchs-Netzwerke, systemübergreifend

II. Täter

Oberstaatsanwalt Matthieu, ehem. DDR, Görlitz

Leitender Oberstaatsanwalt Fresemann, Görlitz

Justizministerin Katja Meier, Dresden

Amtsärztin Waegner-Voigt, Psychiater Spirling

Ri’inAG Beate Nieragden und RiLG Torsten Koschinka

VRiLG Hauke Hinrichs, stellv. PräsLG Elmar Kirchberg

Gericht und Gefängnis, Görlitz

Sächsisches Verfassungsgericht, Leipzig

Carlo Ranzoni, Europäischer Menschengerichtshof

EU-Kommission Warschau und Brüssel

III. Trittbrettfahrer

Axel Krüger und sein Anwalt Christian Reichardt

Sebastian Beutler und Cornelius Pollmer

Carsten Schmidt ./. Lukas Rietzschel

Maik Altmann und Jana Krauß: Motor Görlitz

Franziska Schubert, Joachim Schulze: Bündnisgrüne

Bormann, Gąsior und Thoermer

Christiane Hoffmann und Andrea Behr

Gerd Weise, Prokurist Kulturservice Görlitz

Eugen Böhler, (k)ein Pastor

Helmut Linke und Ludwig Ammer: Diakonisches Werk

Schröders wunderbare Welt und die Insel der Sinne

Gysis Horoskop, Honorarstreit und Altstadtmillion

IV. Duplikate aus den Stasi-Archiven

Abkürzungen MfS und DDR-spezifischer Wortschatz

IM-Liste, Klarnamen-Recherce beantragt läuft:

Katapult-Magazin: DDR-Überwachung wirkt bis heute nach

2023 Forschungsantrag Überwachung u. Räumung Kreisdienststelle Görlitz, 0162/23Z

1982, Berlin, Büro der Leitung, Situation der Kirchen in der DDR, 8592

1982, Bezirksverwaltung Dresden, archivierter Operativer Vorgang »Keller«, 1739-83

1985-1989 Bezirksverwaltung Leipzig, Abteilung XIX 236, 045838/92 Z L

1985-1987 Bezirksverwaltung Leipzig, Abteilung XIX 00236, 045838/92 Z

1989 Berlin, Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, 14327

1989 Berlin, Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, 41927

1989 Bezirksverwaltung Dresden, Zentrale Koordinierungsgruppe, 3157

1989 Bezirksverwaltung Dresden, Auswertungs- und Kontrollgruppe, 8970

1989 Bezirksverwaltung Dresden Auswertungs- und Kontrollgruppe, 10032

1989 Bezirksverwaltung Dresden, Auswertungs- und Kontrollgruppe, 13997

1989 Bezirksverwaltung Dresden, Büro der Leitung, 7375

1989 Kreisdienststelle Görlitz, 70145

1989 Kreisdienststelle Niesky, 6313

Neues Forum 1989/90 in Görlitz, Neuauflage 2023

Rückblick, Neuauflage 2023 Viadukt-Verlag Görlitz

V. Opfer

Angehörige, Überlebende und Geflüchtete

Werner Gruhn, DDR-Kripo, und Klaus Süßenbach, Vater

Knut Beulich und seine Dokfilm-Rechercheure

Lechner und Karbaum, Oberbürgermeister i.R.

LABA-Fashion Gerhard Zschau: Der Fall »Monika«

Lisa Maria Baier und ihr zensiertes Kunstwerk

Polnische Künstler in der Galerie Neun Görlitz

Linda Scholz und das Görlitzer Trostzentrum

Heide-Leocardia Hoppmann

… und die Verstummten

VI. Gute Geister

Meine Ärzte

Michael Prochnow: Verleger

Dieter Liebig: Pfarrer und Landrat i.R., Schriftsteller

Christiane Hoffmann und Stefan Waldau

Thomas Kiemle und die Freequi J. Band

Jana Lübeck und Tom Hohlfeld

Herrmann Rueth, René Harder, Moritz Manuel Michel

Bone: Idyllebeauftragter mit Vorgeschichte

Bernd und Markus Kremser: Görlitzer Allgemeine

Reinhard Seeliger: Sonnenorgler

Alexander Ahrens: Jurist, Sinologe und Politiker

Jörg Michel: Sektenbeauftragter der ev. Kirche

Rudolf Bahro, DDR-Bürgerrechtler

Kurt Biedenkopf, Jurist und Ministerpräsident

Maik Hosang, Philosoph und Hochschullehrer

Stephan Meyer, Wirtschaftsingenieur und Landrat

Wolfgang Geierhos, Rektor Polizei-Hochschule

Inga Arnold-Geierhos, Kunsthistorikerin

Leo Löwenthal, Literatursoziologe

Tessa Enright, Übersetzerin und Korrektorin

VII. Rechtsmissbrauch

VIII. Anhang

Dokumentarfilme und Podcasts

Spielfilme und Miniserien

Ausgewählte Literatur

Websites und Online-Dokumentationen

Bildnachweis

Anmerkungen

Jürgen G. H. Hoppmann

Stasi im Görlitzer Justizapparat 1984 – 2024

Wie das MfS die Bürgerrechtsbewegung zersetzte,

das Neue Forum unterwanderte

und die Erstürmung der Stasi-Zentrale steuerte,

über Staatsanwaltschaft und Gerichte

Putins Agenda in Ostsachsen verwirklicht.

dritte, überarbeite Auflage

© 2024 Jürgen G. H. Hoppmann Krischelstraße 13, 02826 Görlitz, ohne Verwendung von KI. Buchsatz und digitales Publishing via Papyrus Autor, Umschlaggestaltung: ArsAstrologica Verlag Görlitz, siehe Bildnachweis. Korrektorat zweite Auflage: Dieter Liebig, Dittersbach. Schriftfont: Palatino Linotype Font: Microsoft, Redmond, Vollkorn Variable Font: Friedrich Althausen, Schwielowsee, Lato font family, Lukasz Dziedzic & Adam Twardoch, Warschau. Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten: https://dnb.dnb.de

ISBN 978-3-384-08015-8 (Softcover)

ISBN 978-3-384-08016-5 (E-Book)

ISBN 978-3-989-11943-7 (Hörbuch)

Umschlaggestaltung unter Verwendung von Fotos aus dem Buch »Die Görlitzer Kirche und das MfS«, Neuauflage des Viadukt Verlag von 2023 sowie einem Artikel der Sächsischen Zeitung vom 14.9.2020, Titel »Schlimm ist nicht der Tod, sondern das einsame Leben«, sowie Wikimedia Commons: Logo_Volt_Europa.svg.png und Elements_of_a_fingerprint.jpg

Dokumentation auf Basis aktueller Forschungsaufträge und Rückfragen bei Bundesarchiven sowie Forschungs- und Gedenkstätten in Berlin (Normannenstraße), Dresden (Riesaer Straße, Fuchsbau) und Leipzig (Rundes Eck), u.a. 334 Seiten Duplikate, übermittelt am 4. August 2023 vom Bundesarchiv Stasi-Unterlagen-Archiv im Rahmen des Forschungsauftrags AU 5/02 006350/21 Z 000162/23Z »Maßnahmen des MfS zur Überwachung der Bürgerrechtsbewegung Ende 1989 in Görlitz und Räumung der Kreisdienststelle«, ergänzt Forschungsaufträge zu den Themen »Neues Forum in Görlitz« und »Überwachung von Reisen in die DDR durch das MfS«, ferner Zeitzeugen, engagierte Bürger und Journalisten in Görlitz. Sachdienliche Hinweise wurden vertraulich behandelt und zum Schutz der Informanten anonymisiert. Duplikate aus den Stasi-Archiven online via https://www.truecrime.cloud/

Es ist ein jeder Mensche sein eigner Gott

und auch sein eigner Teufel.

Zu welcher Qual er sich neigt und einergibt

die treibt und führt ihn,

derselben Werkmeister wird er.

Jacob Böhme 1575 – 1624

zitiert im Film »Willkommen Witamy Görlitz Zgorzelec«

zur Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas

Den Opfern des Teekellers zu DDR-Zeiten gewidmet, ihren Angehörigen und Überlebenden, nach der Wende geflüchtet oder hiergeblieben in Görlitz, eingeschüchtert und verstummt in einer Trauer, die nicht vergeht, die wie eine schwarze Wolke über der Stadt liegt und alles erstickt.

Die Macht von Stasi-Seilschaften im Justizapparat erlebt der Autor, seit er sich Mitte der 2000er-Jahre mit dem Thema beschäftigt. Infolge dessen wird er mit Schauprozessen im Stil des Stalinismus überzogen. Seiner ältesten Tochter Heide brachte es 2017 den Tod. Für seine witzigen Kriminalromane musste er 2022 ins Gefängnis. Autorenlesungen wurden verboten.

Kopien dieses Buches gehen an Gerichte, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt, sowie eine ganze Reihe engagierter Bürger in Deutschland und im europäischen Ausland.

»Ein Einzelfall« schrieb das Investigativ-Ressort der ZEIT. Ist dem wirklich so? Die hier geschilderten Vorgänge sind exemplarisch für Rechtlosigkeit in Ostdeutschland, die auch von Bündnisgrünen getragen wird und Menschen in die Arme von Rechtspopulisten treibt.

»Democracy Dies in Darkness« ist das Motto der Washington Post. Exemplare dieses Buches gehen an zahlreiche Bürgerrechtler und Informanten in Ostsachsen, deren Anonymität gewahrt werden, an das Stasi-Unterlagen-Archiv, Gerichte, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt sowie überregionale Medienhäuser und Investigativjournalisten:

Can Merey, Leiter Investigativ, RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND)

Peter Tiede und Hans-Wilhelm Saure, Axel Springer SE, Redaktion BILD

Martin Nejezchleba, ZEIT IM OSTEN, Korrespondentenbüro Leipzig

Daniel Drepper, Leiter Recherchekooperation NDR/WDR/SZ

Jörg Diehl, Koordinator Investigativ des SPIEGEL

ZDF Hauptstadtstudio Berlin, Redaktion frontal

CORRECTIV – Recherchen für die Gesellschaft

Journalistenbüro Ginzel Kraushaar Datt GbR

MDR-Fernsehen, Redaktion Politische Magazine & Reportagen

Prolog

Zu Beginn dieser Dokumentation über Stasi und DDR, deren Strukturen heute noch aktiv sind, in 2024, muss ich eines klarstellen: Aufgewachsen in Westberlin kurz hinter der Mauer, war ich ein glückliches Kind mit aufblasbarer Pittiplatsch-Puppe vom Ost-Sandmännchen und pustete auf unsere Schwarz-Weiß-Mattscheibe bei Zauberbildern von Taddeus Punkt.[Fußnote 1]

Der Zwang zum Entertainment

Mir liegt die Opferrolle nicht. Das Unrecht will in die Welt geschrien werden – und zwar unterhaltsam, damit es die Menschen erreicht.

Werde ich nun Wutbürger?

Trommler auf Montagsdemos?

YouTube-Verschwörungstheoretiker?

Biedere ich mich einem rechtsextremen Verlag an?

Tauche ich im linksextremistischen Anarcho-Underground ab?

Gott bewahre! Um die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, wähle ich den Weg des Selfpublishings – mit allen Konsequenten. Möge man mich doch verklagen! »Nach hiesiger Kenntnis dürfte Facebook zu DDR-Zeiten noch keine große Rolle gespielt haben«[Fußnote 2], reicht als Begründung, um mich finanziell tief in den Boden zu rammen bzw. für alle Zeiten wegzusperren.

Ich schildere Stasi-Techniken, die heutzutage angewendet werden, um die demokratischen Strukturen in Ostdeutschland abzuwickeln. Egal, ob die AfD die kommenden Landtagswahlen gewinnt oder nicht: Die Justiz hat den Machtwechsel längst vollzogen.

Ich zeige auf Staatsanwälte, Richter und mit ihnen verbandelte Seilschaften, wie es sie überall in den Neuen Ländern gibt, nenne Namen, drucke Bilder und Zeitungsartikel ab, ohne Rücksprache. Man würde es mir sowieso nicht gestatten – aus Angst vor den korrupten Richtern und Staatsanwälten im Osten. So denken Investigativjournalisten, genau wie jene gelernten DDR-Bürger, die das, was sie denken, nur hinter vorgehaltener Hand äußern. »Ich sage nichts«, ist in Görlitz ein geflügeltes Wort.

Stasi-Akten und Gerichtsdokumente veröffentliche ich, gebe sprachlosen Opfern eine Stimme, anonymisiere meine Informanten und schildere den Rechtsmissbrauch der vergangenen Jahrzehnte, wie ich ihn erlebte. Und bei all dem Jammer vergesse ich nicht, die Guten Geister hochleben zu lassen. Ihnen ist es zu verdanken, dass uns der Atem nicht ausgeht.

Warum ich dieses Buch publiziere? Weil ich trotzig bin wie der olle Luther. »Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?«, aus dem Römerbrief kreist mir im Kopf.

Eine Kindheit in Westberlin. Als Jugendlicher in der Freien und Hansestadt Hamburg. Später dann Bremen, Wien, München, Warschau und Nürnberg. Ohne Angst aufgewachsen, in Frieden und Gerechtigkeit. Bürger eines merkwürdig chaotischen Staatenbundes namens »Europa«, der trotz aller Unkenrufe nicht zerbricht, sondern sich von Jahr zu Jahr erweitert. Ein babylonisches Sprachgewirr, das dennoch funktioniert. Stacheldraht-umzäunte Grenzen, die durchlässig werden. Währungen, die sich vereinen. Krisen, die bewältigt werden. Solidarität mit einem Nachbarstaat, der überfallen wird. Hoffnung, die zuletzt stirbt. Vielleicht ist es die Künstlerseele, die mich treibt …[Fußnote 3]

True Crime – ein mörderischer Spaß?

Dieses Buch behandelt brutale Rechtsbrüche in Sachsen, kriminelle Seilschaften und eine mögliche Infiltration der ostdeutschen Bündnisgrünen durch Informelle Mitarbeiter des MfS. Es geht um den unaufgeklärten Tod von mindestens 20 Jugendlichen in den 80er-Jahren, Todesfälle nach der Wende, u.a. den meiner Tochter Heide-Leocardia, um willkürliche Verhaftungen durch die Görlitzer Staatsanwaltschaft und eine Serie von Gerichtsverfahren gegen mich ohne Recht auf Pflichtverteidiger. Kein Anwalt hilft mir bei diesem Buch. Ich schreibe laienhaft und kompliziert. Sorry!

Jetzt und hier in Görlitz: Ein pseudo-linksalternativer Werbefuzzi, dessen Klägeranwalt mich bei der letzten Verhandlung niederschreien durfte. Ein rechtsradikaler Richter, für die AfD im Stadtrat, segnete das ab. Jetzt bin ich geschwächt durch Knochenmarkkrebs-Chemotherapie und Symptome von Morbus Parkinson. Dennoch keine anwaltliche Vertretung. So steht es in der Ladung: 27.8.2024, Sitzungssaal 155, Amtsgericht Görlitz um 9:30 Uhr. Zwanzig Jahre Justizterror. Ich bin 67 Jahre alt.

November vor zwei Jahren, Landgericht Görlitz: Der Richter beleidigt mich vulgär und erklärt, er habe keine »Lust« zuzuhören, entzieht mir als Angeklagten sogar das letzte Wort. Das Sächsische Verfassungsgericht in Leipzig urteilt, mir stehe dieses Grundrecht nicht zu[Fußnote 4]. Die bündnisgrüne Justizministerin lehnt eine Stellungnahme ab, ebenso all ihre Parteigenossen, die ich jahrelang unterstützt hatte.

Sommer 2023: über 14.000 Euro Gerichtskosten bzw. 80 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, veranlasst durch einen ehemaligen DDR-Kreisstaatsanwalt, der immer noch im Amt ist[Fußnote 5]. Das Bundesarchiv übersendet gut 300 Seiten Dokumente-Kopien aus den Stasi-Archiven[Fußnote 6]. Die Rolle jenes Staatsanwalts wirft Fragen auf. Informelle Mitarbeiter des MfS, die das Neue Forum unterwanderten – und evtl. Jahre später in 1993 die Bündnisgrünen?

Im Herbst brachte ich Neuauflagen vergriffener Publikation von DDR-Bürgerrechtlern raus. Haftladung kurz vor der BuchBerlin. In mein Privatinsolvenzkonto wurde unterhalb des Existenzminimums reingepfändet. Ich konnte die Miete nicht zahlen, hatte kaum Geld zum essen – und das kurz vor Beginn der Hochdosis-Chemotherapie.

Ledig ein Einzelfall – so das Investigativ-Ressort der ZEIT

Bei den Görlitzer Literaturtagen hatte man mich in Stasi-Manier abgeführt – direkt vor der Bühne. Das war im letzten Jahr, kurz vor der Leipziger Buchmesse, in der Deutschlands führende Wochenzeitung einen Görlitzer Schriftsteller-Kollegen hochleben ließ, den hier keiner kennt – ein reines Kunstprodukt[Fußnote 7].

Wenn DIE ZEIT über Ostdeutschland berichtet, scheint es stets so, als wären die Menschen hier das Problem, als müssten sie therapiert und allesamt auf die Couch eines Psychiaters gelegt werden. Wie ohnmächtig sich die Ostdeutschen gegenüber korrupten Seilschaften aus Wirtschaft, Politik und Justiz fühlen, wie stark hier Putins Agenda mithilfe von Stasi und West-Bonzen realisiert wurde, dazu findet sich höchstens etwas im Magazin ZEIT VERBRECHEN, das über kriminelle Richter und Staatsanwälte in Westdeutschland berichtet.

Tatsache ist, dass in Ostdeutschland ein Großteil der Richter und Staatsanwälte aus der DDR übernommen wurde – und dass es bislang tunlichst vermieden wurde, einen ostdeutschen Richter ans Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu berufen. Wie stark sich Regierungsparteien und demokratische Opposition vor einer Blockade des höchsten deutschen Gerichts durch Extremisten fürchten, zeigt eine aktuelle Gesetzesinitiative vor eventuellen Wahlsiegen der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg[Fußnote 8]. Bei der Präsentation des Regierungsentwurfs fragte eine MDR-Reporterin, wie sich dies auf die Justiz einzelner Bundesländer auswirken könnte. Damit meint sie wohl das sächsische Verfassungsgericht, welches mir 2023 das Grundrecht auf ein faires Verfahren verweigerte.

Zukünftige Prozesse werde ich nicht nach Leipzig, sondern direkt nach Karlsruhe tragen. Deutschland ist geteilt. Ostdeutschland ähnelt, was den Unrechtsstaat betrifft, in vielem der von Putin annektierten Ostukraine. Dies und die Korruption vermeintlicher Gutmenschen, die von der Stasi-Justiz profitieren und Ossis als Nazis beschimpfen, verbittert die Menschen hier, treibt sie in die Fänge politischer Rattenfänger im rechten und linken Spektrum.

True Crime – bitterer Ernst

Seit 2006 verurteilten mich Görlitzer Gerichte zu Ordnungsgeld von mehr als einer halben Million Euro bzw. zwei Jahren Ordnungshaft – wenn ich öffentlich meine Kinder vor sexuellem Missbrauch schütze. Was einem engagierten ostdeutschen Dokumentarfilmer (S. 240) und seinem Investigativ-Team blühte, als sie ein dunkles Kapitel der Görlitzer DDR-Geschichte aufgriffen (siehe S. 58, 140, 178 und 238), ist zentrales Thema dieses Buches. Pädophilie und eine Serie von zwei Dutzend Todesfällen. Bürgerrechtler, die ihn bei Recherchen unterstützten, verließen die Stadt aus Angst vor willkürlicher Inhaftierung. Aus persönlicher Betroffenheit griff ich das Thema auf und wurde somit Opfer von Stasi-Seilschaften im Sächsischen Justizsystem.

Polnische Staatsbürger wurden ohne Beweis und Gerichtsverfahren mit Geldstrafe und Einreiseverbot belegt. Es gab Anfang der 2000er-Jahre die wochenlange Inhaftierung einer Mutter ohne rechtliche Legitimation. Meine Anzeige gegen die Görlitzer Staatsanwaltschaft führte dazu, dass besagter Staatsanwalt aus der ehemaligen DDR Ordnungshaft gegen mich durchsetzte. Die Polen aus der Nachbarstadt Zgorzelec nennen so etwas »Papiermafia«.

Zudem drei Tagen im Görlitzer Gefängnis, was mir ein witziger Thriller einbrachte: »Der Astrologe – eine gänzlich unwahre Geschichte«, weder pornografisch noch rechts- oder linksextrem. Inhaftiert schrieb ich die besten Passagen von »Die Herzheilerin – und andere Grausamkeiten«, dem nächsten witzigen und etwas zeitkritischen Thriller. Auf irgendwelchen Schwarzen Listen muss ich stehen, im Westen bei der ZEIT-Redaktion in Hamburg und/oder im Osten bei den Gutmenschen der Sächsischen Zeitung und den Görlitzer Literaturtagen. Keine Ahnung, wieso. Lesen Sie meine Krimis, die es auch als Hörbücher gibt, die Bürgerrechtler-Dokumentationen und sonstige Publikationen. Urteilen Sie selbst[Fußnote 9]!

Im Knast sprach ich mit der Gefängnispsychologin über die Strafen wegen Pädophilie-Prävention. Sie war schockiert – auch von der Tatsache, dass alle sächsischen Gerichte die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Psychosozialen Prozessbegleitung[Fußnote 10] anfordern, bloß nicht Görlitz. Dies hat mir die zuständige Therapeutin versichert. Sie ist an der TU Chemnitz tätig: Forschungsprojekte zur Therapie von Päderasten. Eigentlich wäre sie genau die Richtige, um mir und meinen Kindern beizustehen.

Missbrauchsprävention existiert in Görlitz auch nur auf dem Papier. Unterstützung vor Gericht durch Selbsthilfe-Projekte in der Region? Fehlanzeige! Bis nach Dresden kontaktierte ich engagierte Sozialarbeiter. Allesamt winkten sie ab, als ich Görlitz erwähnte.

Der ehemalige Vorsitzende des Weißen Rings hier in der Stadt meinte resigniert, als ich meinen Fall schildert: »Die machen bei Gericht, was sie wollen.« Ein Spruch, der vielen hier auf den Lippen liegt.

Die Presse als Vierte Gewalt?

In Ostdeutschland schwer möglich, da westliche Pressekonzerne nach Treuhandaufkäufen die hoch belasteten Chefs der gleichgeschalteten DDR-Presseorgane übernahmen. Wie zu DDR-Zeiten herrscht in Ostsachsen die Sächsische Zeitung. Ein engagierter Versuch, das Pressemonopol aufzubrechen, scheiterte (S. 175). Lediglich kostenlose Anzeigenblätter, in denen seriöse Journalisten gelegentlich kritische Beiträge unterbringen (S. 241, 278 und 281), überwinden die Gleichschaltung der Medienlandschaft.

Westdeutschlands Presse funktioniert ähnlich, wenn sie über den Osten berichtet (siehe Seite 96 und 129). Den Ostdeutschen drei Jahrzehnte nach der Wende lehren, »mit Messer und Gabel zu essen«, und Les:erInn*en das Gendersprech einzuhämmern, das muss schiefgehen.

Wer im Kommunismus großgeworden ist, misstraut der sogenannten »Systempresse« mit ihrem »Gutmenschentum«. Bestes (bzw. schlechtestes) Beispiel ist ein schwer depressiver Lukas Rietzschel (S. 130 – 134), der mit gewaltiger Medien-Promotion als (vermeintlich) Görlitzer Autor gepusht wird und bundesweit die Mär verbreitet, Ostdeutschland sei von degenerierten, debilen Nazis besiedelt.

So wird berechtigte Kritik an hiesigen Lebensverhältnissen im Keim erstickt: der Landkreis Görlitz zählt im Dynamicranking 2024 zu den schwächsten Regionen Deutschlands[Fußnote 11]. Korruption, Vetternwirtschaft und fehlende Rechtsstaatlichkeit sind die wahren Probleme. Das wird unter den Tisch gekehrt.

Dass nicht nur die AfD und andere Rechtsextreme, sondern auch Teile der Bündnisgrünen und Linksalternative wie Motor Görlitz von diesem System profitieren, verstärkt die Hoffnungslosigkeit.

Abb. 1: facebook.com/ArsAstrologica und Lars Poeck ig-fotografie.de

I. Stasi und Putins Agenda

Wenn man sich fragt, warum gerade in Ostsachsen die rechtsradikale AfD und die stalinistische BSW so stark sind, warum Justizapparat und Machtverhältnisse denen Russlands ähneln, lohnt ein Blick auf Putins Dresdner Seilschaften.

Der STERN hat’s getan, bietet einen reich bebilderten Artikel zum Durchklicken[Fußnote 12]. Lesefaulen sei ein MDR-Podcast sehr ans Herz gelegt[Fußnote 13] und Podcastjunkies werde ihre helle Freude haben an einer vierteiligen Serie, die kostenlos bei DER SPIEGEL downloadbar ist: »Putins Aufstieg«[Fußnote 14].

Wer an der Druckfassung meines Buches verzweifelt, wegen der vielen klein gedruckten Links in den Anmerkungen, der möge sich die E-Book-Fassung zulegen. Dort klickt man sich direkt ins Internet durch. Ein wahres Vergnügen! Auch die Filme, die empfohlen werden, haben es in sich.

Meine Publikation soll auch die jungen Leser ansprechen. Neben komplizierten Bandwurmsätzen im akademischen Stil, die mir hoffentlich den Respekt von Historikern, Journalisten und Juristen verschaffen, sind ganze Kapitel und Unterkapitel in flott lesbarer Umgangssprache verfasst.

Gehen wir »in medias res« (Für Laien, die nicht gleich meiner Wenigkeit in Hamburg auf dem ehrenwerten Bismarck-Gymnasium den Lateinlehrer bis zur Weißglut triezten: Gehen wir »in die Mitte der Dinge«, kommen wir ohne Umschweife zur Sache).

Im Folgenden zitiere ich aus den oben angeführten Investigativrecherchen seriöser Nachrichtenmagazine. Sogenannte »alternative Fakten« von Reichsbürgern, Trump- oder Putin-Fans, die mit Trollfabriken ganz Deutschland überziehen[Fußnote 15], ignoriere ich.

MDR INVESTIGATIV »Putins Dresdner Seilschaften«

In dieser Folge geht es um Wladimir Putin und um seine Zeit als KGB-Mann in der DDR. Und zwar in Dresden. Einer, der damals in den 1980er-Jahren viel mit Putin zu tun hatte, war der inzwischen verstorbene Stasi-Oberst Günther Wenzel.

Secilia Kloppmann (SK): Für Wladimir Putin war diese Zeit in Dresden ganz offensichtlich eine prägende. Hier hat er auch Verbindungen geknüpft, die bis heute Auswirkungen auf Russland haben. Mein Kollege Frank Wolfgang Sonntag hat vor mittlerweile über 20 Jahren auch Zeitzeugen und Weggefährten getroffen und im Zuge der aktuellen Ereignisse noch einmal neu auf Dokumente und Aussagen von damals geschaut. Frank ist mein Gast in diesem Podcast. Ich grüße dich, Frank, du hast dich schon vor ziemlich langer Zeit vor über 20 Jahren mit dem Thema Putin in Dresden beschäftigt. Warum eigentlich?

Frank Wolfgang Sonntag (FWS): Vor 22 Jahren, genau im Jahre 2000, da wurde Putin Präsident der Russischen Föderation. Er war vorher Interims-Präsident, und aus diesem Anlass - wir saßen damals als MDR auch noch in Dresden - haben wir uns damals angeschaut, was hat Putin denn in Dresden eigentlich gemacht? Da hat man die Schwierigkeit, er war KGB-Offizier, und gearbeitet hat er natürlich mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Die Offiziere der Staatssicherheit, die wollten nie vor die Kamera, die waren öffentlichkeitsscheu. Die wurden auch, als die Urheber alles Bösen in der DDR einseitig bezeichnet, während die SED Leute ja quasi exkulpiert wurden. Darüber waren die frustriert. Die hatten wenig Rente und wollten deshalb nicht mit Journalisten reden.

SK: 2000, hast du gesagt, das heißt, es war ein bisschen länger als zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR. Und da haben auch noch offenbar eine ganze Menge von den Leuten gelebt, die heute nicht mehr leben. Konntest du die treffen?

FWS: Mir ist es zumindest gelungen, mit einigen der damaligen Akteure der Staatssicherheit ins Gespräch zu kommen. Ohne Kamera. Ich bin ja Fernsehjournalist und brauche natürlich immer Interviews vor der Kamera. Das ist mir nicht gelungen. Aber sie haben mit mir am Telefon und zum Teil an der Haustür geredet. Zum Beispiel der stellvertretende Leiter der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit, Oberst Anders. Der war damals noch am Leben, der ist inzwischen verstorben. Der hat mit mir geredet. Der Chef der Bezirksverwaltung, Generalmajor Böhm, der hat gleich nach der Wende Selbstmord gemacht und die Konsequenzen gezogen. Da war also der Anders der höchste im Bezirk Dresden von der Staatssicherheit. Der hatte mit Putin zu tun, und er hat mir etwas beschrieben, wie sein Eindruck von Putin war.

SK: Und hast du auch rausbekommen, was Putins Aufgabe war?

FWS: In Ansätzen schon. Also zunächst sollte man mal sagen, die DDR hatte verschiedene Bezirke, keine Bundesländer. Und wie es eine Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in jedem Bezirk gab, gab es auch eine Residentur des KGB in jeder Bezirksstadt. Und Putin war in der Residentur in Dresden, in der Angelikastraße 4. Da haben so 12 bis 16 Offiziere und Dolmetscher und so weiter gearbeitet. (…) Man hat versucht, unter den Ausreiseantragstellern auch Agenten anzuwerben, weil die waren zwar mit der DDR nicht einverstanden, aber waren trotzdem Gorbatschow-Anhänger. Und der KGB hat dann die Karte gespielt, »Wir sind ja auch für Gorbatschow«, und da haben sie Ausreiseantragsteller, die dann später in der Bundesrepublik Spionageaufgaben erfüllen sollten, angeworben.

SK: Diese Residentur, des KGB, war das jetzt was Offizielles? Also hat man das gewusst zu DDR-Zeiten, was in der Angelikastraße 4 vor sich geht oder wer da sitzt?

FWS: Ich bin kein Dresdener. Ich wusste es nicht. Wahrscheinlich wussten das einige Dresdner - andere nicht. Da kann ich nur spekulieren. Ich bin aus Leipzig. Auch Leipzig hatte eine Residentur des KGB. Auf der Käthe-Kollwitz-Straße war die, das habe ich auch erst nach der Wende erfahren,

SK: Und an dieser Stelle auch gleich noch mal der kleine Einschub für alle diejenigen, die sich den Beitrag von Frank Wolfgang Sonntag auch anschauen möchten: Den kann man finden zum Beispiel in der ARD-Mediathek in der Sendung exakt vom 23. März. Und man kann den auch finden unter dem Titel »Putin und seine Seilschaften« auf YouTube in unserem Chanel MDR Investigativ.[Fußnote 16] (…) Ja, das sagt ja Putin auch noch bis heute, dass Gorbatschow für ihn schuld ist am Zerfall des Sowjetreiches ….

FWS: Ja, das hat sich damals schon abgezeichnet. Putin war kein Gorbatschow-Anhänger. Putin ist kein Liberaler. Putin ist ein Autokrat. All das, was Gorbatschow wollte, ein weltoffenes Russland, weg von militärischer Unterdrückung anderer Staaten, das ist nicht Putins Sache. Putin ist ein KGB-Mann, der ganz klar hierarchisch autokratisch herrscht.

SK: Was hatte denn der Wenzel eigentlich für einen Blick auf diese Leute in der KGB-Residentur? Wie war das persönliche Verhältnis mit denen?

FWS: (…) Also die haben ihre Freizeit gemeinsam verbracht, der KGB und das Ministerium für Staatssicherheit.

SK: Es ist schon über 30 Jahre her, dass die Mauer gefallen ist. Man braucht Zeitzeugen, man braucht Experten, aber natürlich auch Dokumente. Und du hast jetzt auch noch mal zum Beispiel Stasi-Unterlagen durchforstet und hast da auch ein interessantes Dokument gefunden. Was war das?

FWS: Wenn ich mal noch einmal zurückgehen darf. Bei meinem ersten Beitrag vor 22 Jahren, da waren bestimmte Sachen bei der Staatssicherheit noch nicht erschlossen. Da gab es keine Dokumente. Da gab es die Fotos, die ich jetzt in dem Beitrag verwenden konnte, noch nicht. Da war der Stasiausweis von Putin noch nicht gefunden. Jetzt, 22 Jahre später, sind da einzelne Bruchstücke aufgetaucht.

SK: Der Podcast heißt „Putins Dresdner Seilschaften“. Und das nicht ohne Grund. Denn in der Residentur haben noch andere KGB-Kollegen gearbeitet von Wladimir Putin und zwei davon spielen bis heute eine enorme Rolle in Russland …

FWS: Das ist ja das Interessante an der KGB-Residentur in Dresden. Da saßen zwölf bis 16 Leute, und drei davon haben jetzt herausragende Rollen in Russland. Da ist zunächst einmal der Präsident selbst, Vladimir Putin. Aber es ist auch der Chef des Rüstungskonzerns Rostec, ein gewisser Sergej Tschemesow und der dritte im Bunde von diesem Triumvirat, ist Nikolai Tokarev. Der ist der Chef von Transneft. Das ist eine russische Firma, die für das gesamte Erdöl-Leitungsnetz, insgesamt 58.000 Kilometer, verantwortlich ist,

SK: Das eine ist Rostec. Das andere ist Transneft. Das ist ein riesiger Rüstungskonzern. Und das andere sind die Ölpipelines. Das sind Schlüsseltechnologien. Schlüsselindustrien für Russland …

FWS: Russland absolut, ja, das ist das Tafelsilber.

SK: Beide sind 2007 von Wladimir Putin zu den Chefs dieser Firmen ernannt worden. Das ist ja jetzt kein Zufall, oder?

FWS: Es ist natürlich eine Seilschaft, dass gerade diese es sind, die mit Putin zusammen in der Residentur gesessen haben, zusammengearbeitet hatten, die er kannte, mit denen er befreundet war, denen er vertraute.

SK: Sowohl Sergej Tschemesow als auch Nikolai Tokarev gehören zu den Oligarchen Russlands und sind auch aktuell auf der Sanktionsliste. Frank, was heißt das eigentlich?

FWS: Es heißt zum einen erst mal, in der Residentur von Dresden saßen drei spätere Milliardäre. Denn Tschemesow, der wird als der fünftreichste Mann Russlands gehandelt. Kürzlich ist in Spanien in Barcelona im Hafen von Barcelona seine Yacht Valerie beschlagnahmt worden, von den spanischen Behörden. Diese Yacht hat einen Wert von 130 Millionen Euro. Letztendlich sind Tschemesow und Tokarev zwei Oligarchen, beide Milliardäre. Und dieses Wort Oligarchen bedeutet ja eigentlich, das ist die »Herrschaft der Wenigen«, Oligarchie. Ich würde aber eher sagen, da sie beide Milliardäre sind, in staatlichen Unternehmen Milliardäre geworden - sie sind Kleptokraten. Es ist die Kleptokratie, die Herrschaft der Diebe. Ihre Milliarden haben sie eigentlich dem russischen Volk gestohlen. Nur deshalb, weil andere arm sind und sie die Bodenschätze verhökern und sich selbst Teile des Gewinns in die Taschen stecken, sind sie so unfassbar reich.

SK: Ich habe zum Beispiel in dem Film von Alexej Nawalny gesehen, er behauptet zum Beispiel das Transneft, also Nikolai Tokarev, unter anderem auch maßgeblich diesen Putin-Palast am Schwarzen Meer finanziert haben soll. Also Geheimdienstleute in wirklichen Spitzenpositionen, sowohl in der Industrie und auch in der Politik. Wladimir Putin als Präsident. Es wird ja doch sehr offen damit umgegangen, mit der Geheimdienstvergangenheit von Wladimir Putin und auch von den anderen beiden. Hat denn der Geheimdienst in Russland einen anderen Stellenwert als zum Beispiel bei uns?

FWS: Selbstverständlich hat der KGB in Russland und die Nachfolgeorganisation des KGB einen ganz anderen Stellenwert als der BND und Verfassungsschutz in Deutschland. Erstens mal sind das viel größere Apparate, die weltweit wohl auch sehr erfolgreich operieren, die Verbrechen bis hin zu Morden und versuchten Mordanschlägen begehen. Russland ist keine Demokratie, wie das Deutschland ist, und eine Diktatur muss natürlich schon aus Selbstschutz viel stärker auf Geheimdienst, Unterdrückung und solcher militärischen Spionagemaßnahmen setzen, als dass in Deutschland der Fall ist.

STERN »Werdegang eines Diktators« 08.10.2023

Der schnellste Weg zum sozialen Aufstieg ist für ihn der KGB – wie für viele andere auch. Bereits in der neunten Klasse bewirbt sich der junge Putin um eine Aufnahme. Doch ihm wird zunächst ein Jura-Studium empfohlen. Er befolgt den Ratschlag und schafft es anschließend, 1975 beim KGB aufgenommen zu werden. Mit 28 Jahren beginnt er seine Karriere bei der ersten Hauptabteilung des sowjetischen Geheimdienstes. Auslandsspionage ist die Aufgabe.

Putin ist ab 1985 in der DDR in nachgeordneter Funktion stationiert, hauptsächlich in Dresden. (…) 1990 wird Putin zurückbeordert. (…) Als die Sowjetunion zusammenbricht, muss sich Putin umorientieren. Da kommt ihm sein ehemaliger Professor Anatoli Sobtschak zu Hilfe. Der Mann ist inzwischen zum Bürgermeister von Sankt Petersburg aufgestiegen. Er ernennt seinen ehemaligen Studenten 1991 zum Leiter des städtischen Komitees für Außenbeziehungen und 1992 zum Vizebürgermeister. Bereits zu seiner Zeit in Sankt Petersburg werden erste Korruptionsvorwürfe gegen Putin laut. Doch Sobtschak nimmt ihn in Schutz. Das Verfahren wird eingestellt.

In deutschen Geheimdienstkreisen kursieren Gerüchte, dass er während seiner Stationierung in der DDR nach Österreich zum Skifahren kam. Nach seiner Rückkehr ins heimatliche St. Petersburg, wo er zur rechten Hand von Sobtschak aufsteigt, kommt er auf jeden Fall mit österreichischen Politikern in Kontakt.

Im Juni 1996 muss sich Putin wieder neu orientieren. Sein Gönner Sobtschak verliert seine angestrebte Wiederwahl zum Bürgermeister. Putin tritt daraufhin von seinen kommunalen Ämtern in St. Petersburg zurück und sucht sich einen neuen Mentor: Boris Jelzin. Putin springt dem damaligen russischen Präsidenten in einem örtlichen Wahlkampfstab zu Hilfe. Und wird belohnt. Im August 1996 wird er zum stellvertretenden Leiter der Kreml-Liegenschaftsverwaltung, im März 1997 zum stellvertretenden Kanzleileiter des Präsidenten. (…) Im Mai 1998 steigt Putin mit 45 Jahren zum stellvertretenden Chef der Präsidialverwaltung auf.

Im Juli 1998 geht für Putin ein Traum in Erfüllung: Der ehemalige unbedeutende KGB-Agent, der von Kollegen abfällig als Motte bezeichnet wurde, steigt zum Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB auf. Mit 45 Jahren ist Putin an der Spitze der Geheimdienstler angekommen. Gleichzeitig beruft Jelzin seinen neuen Vertrauten zum Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation. Das Foto zeigt Putin und den damaligen Präsidenten bei einem Treffen im Kreml im Juli 1999. Zu diesem Zeitpunkt ist Jelzin auf dem Tiefpunkt seiner Beliebtheit angelangt.

Die russischen Oligarchen sehen sich nach einem neuen Mann für den Kreml um. Es sind vor allem die Milliardäre Boris Beresowski und Roman Abramowitsch, die nach einem Nachfolger für Jelzin suchen. Ihre Wahl fällt auf Putin. Sie sehen in ihm den Mann, der ihre Sicherheit gewährleisten und ihr Vermögen schützen wird. Es vergeht kaum mehr als ein Jahr seit seinem Aufstieg zum FSB-Chef – und schon landet Putin mit der Hilfe der Oligarchen im Sessel des Ministerpräsidenten.

Dann tritt Jelzin zur Seite, um Putin bei Anbruch des neuen Jahrtausends die Macht zu übergeben. Er ist der Favorit der russischen Oligarchen. Mit ihm an der Spitze glauben sie sich und ihr Vermögen geschützt. Es sind vor allem die Milliardäre Boris Beresowski und Roman Abramowitsch, die Putin an der Macht sehen wollen. Der Medienmogul Beresowski lässt Putin zum starken Mann stilisieren.

»Mir kam es so vor, als ob er ideologisch unser Mann wäre. Ein Mann unserer Generation, der im Prinzip alles versteht, und Russland in dieselbe Richtung bewegen möchte wie wir, in Richtung der Offenheit, der Demokratie«, erklärt Jahre später Michail Chodorkowski, ein ehemaliger Oligarch. Auch er gehört zu Beginn zu den Unterstützern Putins. »Wie sehr habe ich mich doch getäuscht«, sagt er heute.

»Er ist ein sehr talentierter KGB-Mann. Wenn Sie links sind, wird Putin so sein, dass Sie denken, dass er auch links ist. Ihnen gefallen Nationalisten, Putin wird sich so geben, dass Sie ihn für einen Nationalisten halten. Ihnen gefallen Konservative, dann werden Sie den Eindruck gewinnen, dass er ein Konservativer ist. Das ist ein Talent«, erklärt Chodorkowski. So habe Putin alle an der Nase herumführen können.

Am 31. Dezember 1999 tritt Jelzin überraschend zurück. Am Silvesterabend hat Russland plötzlich einen neuen Mann an der Spitze der Regierung. Verfassungsgemäß übernimmt Putin die Amtsgeschäfte des Präsidenten der Russischen Föderation – in der Theorie bis zur Wahl eines Nachfolgers. Dass der neue Chef im Kreml nicht gedenkt die Macht bald wieder abzugeben, wird schnell deutlich. Am 10. Januar 2000 entlässt Putin einige Kremlgrößen und nimmt Umbesetzungen in der Regierung vor – auf die Posten rücken seine eigenen Leute nach.

Die Medienstrategie geht auf. Putin gewinnt am 26. März 2000 die Präsidentschaftswahl und wird zweiter Präsident der Russischen Föderation. Im ersten Wahlgang erringt er 52,9 Prozent der Stimmen. Nach Jahren der Skandale, Verarmung und einem allgemeinen Gefühl nationaler Schwäche und Blamage erscheint die Wahl Putins vielen Russen als ein Neubeginn. Und die Oligarchen geben sich der Hoffnung hin, eigene Machtpositionen und Privilegien behalten zu können. Es sind schließlich ihr Geld und ihre Medien, die Putin an die Macht bringen.

Putin, der ein Produkt der Medien ist, muss erfahren, dass die vierte Gewalt im Staat ihn nicht nur in den Präsidentensessel befördern, sondern ihn auch zerstören kann. (…) Putins Versprechen, die Freiheit der Medien zu wahren, entpuppt sich schnell als Lüge. Die wenigen von der Regierung unabhängige Fernsehsender Russlands werden in kurzer Zeit unter die Kontrolle des Kremls gebracht.

Im Ausland versucht Putin noch das Gesicht eines Demokraten zu wahren, stellt sich den Fragen unabhängiger Journalisten. (…) Doch Putins Rückkehr an die Spitze des Kremls wird von Massenprotesten überschattet. Nach seiner Inauguration zum Präsidenten am 6. Mai 2012 demonstrieren in Moskau Zehntausende gegen die Wahlfälschungen bei den Präsidentschaftswahlen. Zusammen mit den Protesten nach den Parlamentswahlen ab Dezember 2011 werden die Demonstrationen zur größten Protestkundgebung in der jüngeren Geschichte des Landes. Unter den Demonstranten ist auch der Oppositionspolitiker Boris Nemzow. Keine drei Jahre später sollte er vor den Mauern des Kremls erschossen werden. Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt.

»Das Ziel der Regierung ist nicht nur die Auslöschung der bestehenden oppositionellen Strukturen. Damit soll das Entstehen möglicher oppositioneller Bewegungen oder Organisationen gleich im Keim erstickt und unmöglich gemacht werden«, erklärt der Politologe Andrej Kolesnikow im Gespräch mit dem Stern. »Alles ist darauf ausgerichtet, jegliche für den Kreml nicht kontrollierbare, zivilgesellschaftliche Aktivitäten zu unterbinden. Putin kehrt der Demokratie ganz offen den Rücken zu. Ihre Stelle nimmt eine Ideologie aus russischem Nationalismus, Traditionalismus und Imperialismus ein«, so Kolesnikow.

DER SPIEGEL »Putins Aufstieg« vierteilige Podcastserie

Folge 1: Wie ein Unbekannter zum mächtigsten Mann Russlands wurde. »Operation Nachfolger«: Wie Jelzin und sein Clan eine künstliche Partei erschaffen, die für Putin die Duma-Wahl gewinnen soll. Wie sie den heutigen Verteidigungsminister und damaligen Volkshelden Sergej Schoigu als Parteichef installieren, damit Putin im Falle einer Niederlage keinen politischen Schaden erleidet. Und wie deutlich der designierte Präsident schon zum Jahrtausendwechsel definiert, wie sein Russland aussehen wird.

Folge 2: Wie Wladimir Putin sich Macht und Kontrolle über ganz Russland sicherte. Als er seine zweite Amtsperiode als Präsident antritt, hat Putin Russland wieder erfolgreich gemacht. Steigende Öl- und Gaspreise haben die Wirtschaft angekurbelt und Putins Reich zu einem attraktiven Geschäftspartner des Westens werden lassen. Westliche Staatsleute suchen seine Nähe. (…) Und selbst den Terror im eigenen Land scheint Putin nun unter Kontrolle zu haben.

Auf den Ehrenplätzen jener Tribüne stehen der amtierende ukrainische Präsident Leonid Kutschma, der amtierende Ministerpräsident Wiktor Janukowytsch und auch Wladimir Putin. Janukowytsch verliert letztlich. Und diese Niederlage seines russischen Einflussversuchs gegen die ›Orangene Revolution‹ verändert Putins gesamte politische Agenda. Der Westen scheint diese Veränderung entweder nicht zu bemerken oder nicht ernst zu nehmen. Bis Russland 2008 mit militärischer Härte im Kaukasuskrieg eingreift.