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Sanfte Hügel, raue Steilküsten und eine große Liebe in dramatischen Zeiten – der erste Band der Sturmjahre-Saga von Lia Scott Schottland 1917: Grüne Wiesen, graue Steinhäuser und starke Winde – das ist die Heimat von Bonnie und ihrer großen Familie im beschaulichen Foxgirth. Dort ist Bonnie Krankenschwester. Doch seit der Erste Weltkrieg tobt, versorgt sie verletzte Soldaten in einem weit entfernten Krankenhaus. Eines Tages landet ihr Bruder Archie verwundet auf ihrer Station, zusammen mit seinem Kameraden Connor, den Bonnies Lachen in all der düsteren Zeit glücklich macht. Bald reisen Bonnie und die Männer zurück in die Heimat, wo sie auf eine bessere Zukunft hoffen. Doch als Connor die Schatten der Vergangenheit einholen, muss Bonnie eine mutige Entscheidung treffen. Der fesselnde Auftakt der Sturmjahre-Saga in Schottland – eine gefühlvolle Geschichte über Heimat, Familie und den Mut, für die Liebe zu kämpfen. Große Emotionen vor der atemberaubenden Kulisse Schottlands – die Sturmjahre-Saga. Band 1: Ein Gefühl von Unendlichkeit Band 2: Das Versprechen einer neuen Zeit Band 3: Die Melodie der Freiheit Band 4: Der Ruf des Glücks Band 5: Ein Traum von morgen
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Seitenzahl: 611
Lia Scott
Ein Gefühl von Unendlichkeit
Schottland 1917: Grüne Wiesen, graue Steinhäuser und starke Winde – das ist die Heimat von Bonnie und ihrer großen Familie im beschaulichen Foxgirth. Dort ist Bonnie Krankenschwester. Doch seit der Erste Weltkrieg tobt, versorgt sie verletzte Soldaten in einem weit entfernten Krankenhaus. Eines Tages landet ihr Bruder Archie verwundet auf ihrer Station, zusammen mit seinem Kameraden Connor, den Bonnies Lachen in all der düsteren Zeit glücklich macht. Bald reisen Bonnie und die Männer zurück in die Heimat, wo sie auf eine bessere Zukunft hoffen. Doch als Connor die Schatten der Vergangenheit einholen, muss Bonnie eine mutige Entscheidung treffen.
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Lia Scott ist das Pseudonym der deutschen Autorin Lilian Kaliner (*1984), die mit ihrer Familie und vielen Tieren in der Nähe von Freiburg lebt. Mit der Sturmjahre-Serie vereint sie ihre Liebe zu Schottland mit bewegenden Schicksalen der Zeit – während und nach dem Ersten Weltkrieg. Im Zentrum der Reihe steht die Dennon-Familie, deren Geschwister unterschiedlicher nicht sein könnten, aber dennoch gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen.
Die Autorin ist auf Instagram und Facebook zu finden, sowie auf ihrer eigenen Webseite.
In Flanders fields the poppies blow Between the crosses, row on row, That mark our place; and in the sky The larks, still bravely singing, fly Scarce heard amid the guns below.
We are the dead. Short days ago We lived, felt dawn, saw sunset glow, Loved, and were loved, and now we lie In Flanders fields.
Take up our quarrel with the foe: To you from failing hands we throw The torch; be yours to hold it high. If ye break faith with us who die We shall not sleep, though poppies grow In Flanders fields.
»In Flanders Fields« Lieutenant Colonel John McCrae, 1915
Der große Krieg wütet bereits seit über drei Jahren. Das erste Mal in der Geschichte stehen Schotten und Engländer Seite an Seite gegen einen gemeinsamen Feind. Fast neun Millionen Männer des Königreichs, viele aus einfachen Verhältnissen, sind aufgebrochen, um ihr Land, die Freiheit und die Krone gegen einen gefürchteten Feind zu verteidigen. Mit nichts als einer rudimentären militärischen Ausbildung wurden sie verschifft und in die Hölle des Krieges gestoßen. Wer jetzt noch lebt, hat sich verändert. Aus den Bauernjungen, die aus Ehrgefühl und Abenteuerlust aufbrachen, wurden Männer, die vom Krieg gezeichnet sind.
Der zermürbende Stellungskrieg hat sich festgefahren, und ein Ende ist nicht in Sicht.
Doch auch in der Heimat kämpfen die Menschen ums Überleben. Frauen müssen ohne Ehemänner, Väter und Brüder zurechtkommen. Krankenschwestern stehen an vorderster Front auf dem Festland oder versorgen den schier endlosen Strom an Verwundeten in England und Schottland. Sorge, Erschöpfung und Aufopferung sind zum Normalzustand für eine ganze Generation geworden.
Mit Willenskraft und Leidenschaft sucht sie nach ihrem Weg in eine Zukunft nach dem Krieg.
Es sind Jahre der Sehnsucht und der starken Gefühle. Denn die Liebe keimt auch in den widrigsten Zeiten.
Die hellen Schreie der Küstenseeschwalben kündigten den Sommer an. Bonnie saß im satten Gras und drehte den Stängel einer Wildblume zwischen den Fingerspitzen. Sie sog die laue Luft in ihre Lungen und ließ den Blick über die Steilklippen schweifen. Das Rauschen des Meeres bildete die Hintergrundmusik dieser Region. In verlässlicher Gleichmäßigkeit schlugen die Wellen gegen die roten Felsen, wie um den Takt des Lebens entlang der Küste vorzugeben. Sie schloss die Lider und lauschte dem Summen einer Biene.
»Bonnie, du kommst zu spät zum Dienst«, drang wie aus weiter Entfernung eine Stimme zu ihr. Dann kroch Kälte an ihren Beinen hinauf.
Sie schlug die Augen auf und sah Juliana vor sich stehen, die Bonnies Bettdecke in den Händen hielt. Unter den Augen ihrer Zimmergenossin und Arbeitskollegin prangten dunkle Schatten, die genau wie der Abdruck, den die kürzlich abgesetzte Haube auf Julianas hellbraunen Haaren hinterlassen hatte, auf deren Nachtschicht verwiesen.
Bonnie setzte sich auf und zog fröstelnd das Nachthemd bis zu den Knöcheln hinunter. Sie war nicht an Schottlands Küsten. Ganz im Gegenteil, ihre Heimat schien so weit von London entfernt zu sein wie ein anderes Leben. Und es war auch nicht Frühsommer, sondern ein weiterer trüber Novembertag, der gerade begann.
»Ich habe dich schon vor über einer halben Stunde geweckt, ehe ich zum Frühstück gegangen bin«, sagte Juliana und schüttelte den Kopf. »Wirst du etwa krank?« Sie musterte ihre Arbeitskollegin mit dem geübten Blick einer Krankenschwester. »Du bist doch sonst schon immer vor der Zeit auf.«
Plötzlich war Bonnie hellwach und sprang aus dem Bett. Sie musste erneut eingenickt sein. »Wann beginnt meine Schicht?«, rief sie und stürzte zum Waschtisch.
Juliana warf die Decke zurück auf die durchgelegene Matratze. »Dein Dienst hat bereits vor zehn Minuten angefangen.«
»Mist!« Bonnie tauchte die Hände in das eisige Wasser in der weißen Porzellanschale und wusch ihr Gesicht. Auf ihrer Haut verspürte sie ein beißendes Prickeln.
Kaum hatte sie sich abgetrocknet, reichte Juliana ihr die sorgsam auf einem Bügel aufgehängte Schwesterntracht. Während Bonnie diese anzog, entledigte Juliana sich ihrer eigenen und kroch in ihr Bett, das Bonnies gegenüberstand. Meist sahen sie und ihre beiden Mitbewohnerinnen sich nur kurz zwischen den Schichten; die eine stand auf, die andere ging schlafen. So war es schon seit Jahren beinahe tagein und tagaus.
»Dann gibt es heute wohl kein Frühstück«, murmelte Bonnie, band ihre Haare zusammen und steckte in Windeseile die Haube darauf fest. Einen ganzen Vormittag ohne etwas im Magen durchzuhalten, würde hart werden, doch sie hatte es sich selbst zuzuschreiben, dass sie spät dran war. Eine gute Tasse Tee wäre bei der Kälte, die in dem kleinen Schlafzimmer herrschte, eine wahre Wohltat, dachte Bonnie, während sie den Sitz der Haube im Spiegel kontrollierte. Obwohl sie gerade erst aufgestanden war, sah sie heute kaum wacher aus als Juliana nach der Nachtschicht. Bonnie zwickte sich in die Wangen, um wenigstens etwas Farbe auf ihre blasse Haut zu zaubern, auch wenn diese schnell wieder verschwinden würde.
Ihre Zimmergenossin gähnte und nahm ein Bündel vom Nachttisch. »Ich habe noch Kekse, vielleicht hast du nachher ein paar ruhige Minuten.«
Bonnie griff danach. »Ruhige Minuten?«
Juliana zog eine Grimasse und sank ins Kissen. »Ehe ich es vergesse: Dr. Wright verlangt nach dir.«
»Was will er denn?« Bonnie ließ die in braunes Papier eingeschlagenen Kekse in der Schürzentasche verschwinden.
»Ich habe keine Ahnung, ich sollte es dir nur ausrichten.« Juliana hatte die Augen bereits geschlossen, während sie die letzten Worte murmelte.
»Ich gehe gleich zu ihm. Schlaf gut«, sagte Bonnie, schlüpfte in die Schuhe und öffnete die Zimmertür. Dann rauschte sie die knarzenden Treppen hinunter bis ins Erdgeschoss des Second London General Hospital. Sie eilte die Gänge entlang. Die Wände warfen das klappernde Geräusch ihrer Absätze zurück, und Bonnie wich einem Patienten auf Krücken aus, der gerade von einer ihrer Kolleginnen gezeigt bekam, wie er mit der Gehhilfe richtig umzugehen hatte. Schon jetzt, am frühen Vormittag, drang aus dem Untergeschoss, in dem die Küche untergebracht war, der Geruch nach Brühe herauf und ließ Bonnies Magen knurren. »Nicht jetzt«, zischte sie ihm zu und bemühte sich, nicht an die Kekse in ihrer Schürze zu denken.
Vor Dr. Wrights Tür blieb sie stehen, schob einige lose Strähnen unter ihre Haube und überprüfte den Sitz ihrer Tracht. Sicherlich verriet ihre schnelle Atmung Bonnies holprigen Start in den Tag. Ausgerechnet heute, da sie sich verspätet hatte, wurde sie auch noch unverzüglich in das Zimmer des Stationsarztes gerufen. Was wollte er nur von ihr? Bonnie schnaufte durch, um nicht nach Luft schnappend ins Zimmer zu stolpern, und klopfte an.
»Kommen Sie herein«, hörte sie Dr. Wrights nasale Stimme durch das Holz.
Sie öffnete und trat ein. Bonnie überlegte, ob sie sich für das Gespräch lieber setzen sollte, während der grauhaarige Mann die Augen weiterhin auf Patientenakten gerichtet hielt.
Doch da nahm er schon die Brille ab und sah zu ihr hinüber. »Schwester Bonnie«, begrüßte er sie.
»Guten Morgen, Sir.« Ihre Finger griffen in den Stoff ihrer Schürze. »Es tut mir leid, dass ich heute zu spät zum Dienst erscheine, ich war wohl etwas übermüdet«, setzte sie an.
Dr. Wright kniff die Augen zusammen und lächelte schließlich, worauf sich ein Kranz aus Falten an seinen Schläfen bildete. »Deshalb habe ich Sie nicht kommen lassen.«
War es zu früh, erleichtert zu sein? Ihre Finger ließen den Stoff los. »Weshalb haben Sie nach mir geschickt?«, fragte Bonnie und ging fieberhaft die letzten Tage durch, um etwas zu finden, das sie womöglich verpatzt haben könnte. Dr. Wright bat selten Krankenschwestern in sein Büro, und wenn er es tat, dann war es für gewöhnlich kein gutes Zeichen. Erst kürzlich war eine seit wenigen Wochen hier tätige junge Kollegin heulend aus dieser Tür gestürzt. Das Mädchen war unerfahren, kaum ausgebildet und von den Zuständen hier überwältigt gewesen. Bonnie war nicht entgangen, wie ihre Hände gezittert hatten, wenn sie die Leiber der frisch eingelieferten und notdürftig versorgten Soldaten waschen sollte. Das Gemisch aus getrocknetem Schlamm, geronnenem Blut und Wochen altem Schmutz abzubekommen, konnte eine belastende und zugleich übelriechende Angelegenheit sein. Doch es war nun mal notwendig und eine Aufgabe für weniger qualifiziertes Personal. Oft genug war es den Männern unangenehm, die Prozedur über sich ergehen zu lassen, umso wichtiger war eine unbeschwerte Herangehensweise der Pflegerinnen. Sie nahmen die Veteranen hier in Empfang und waren deren erster Kontakt mit der Heimat nach dem oft langen Einsatz auf dem Festland. Eine freundliche Miene und einige belebende Sätze, ja vielleicht sogar ein Scherz, konnten den Männern das Ankommen und den Umgang mit ihrer Verwundung und ihrem Zustand erleichtern. Bonnie hatte das Mädel seit jenem Tag nicht mehr gesehen, vielleicht war sie in die Küche versetzt worden. Oder man hatte sie nach Hause geschickt. Bonnie verspürte Mitgefühl, doch vermutlich war es so das Beste für alle. Man musste dafür gemacht sein, den Alltag in einem Krankenhaus auszuhalten. Oder sich schlicht daran gewöhnen und die Zähne zusammenbeißen, bis man alles besser wegsteckte.
Ein noch breiteres Lächeln zog sich über den Mund des Mannes. »Sie erledigen Ihre Arbeit, wie mir berichtet wird, sehr gewissenhaft.«
Das unerwartete Kompliment tat gut, erklärte jedoch nicht, was der Stationsarzt von ihr wollte. Bonnie nickte und zwang sich, geduldig zu sein. »Danke, Sir.«
»Wir hatten eine unruhige Nacht.« Er seufzte und rieb sich über die Augen. Dr. Wright wirkte noch erschöpfter als üblich. Trotz seines fortgeschrittenen Alters hatte er, wie etliche andere Ärzte, den Ruhestand aufgeschoben, um sein Land in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Gestern Nachmittag wurden einige Soldaten der Royal Scots eingeliefert.«
Schotten. Bonnie presste die Lippen aufeinander, während sie versuchte, im Gesicht des Arztes zu lesen.
»Ich habe in den letzten Jahren mehr Verwundete gesehen, als ich zählen kann. Viele gebrochene Männer und unzählige, die wütend waren.« Er machte eine Pause und schüttelte den Kopf. »Hin und wieder auch Wahnsinnige.«
»Ich weiß«, sagte Bonnie leise. Auch sie hatte diese Männer erlebt. Sie gepflegt, ihnen zugehört und, wenn nötig, deren Hand gehalten. Nach Feierabend ließ sie sich hin und wieder Briefe diktieren, die ihre Patienten ihren Ehefrauen oder Eltern schickten. Bonnie hatte oft genug einen Einblick in das Seelenheil verwundeter Soldaten erhalten, um die vielfältigen Reaktionen darauf zu kennen.
Dr. Wright räusperte sich und stützte die Ellenbogen auf das Pult. Seine braunen Augen musterten sie trotz seiner Müdigkeit wach. »Aber solch einen Haufen habe ich nie zuvor gesehen. Einige können es kaum erwarten, gleich wieder auf den Kontinent zurückgeschickt zu werden, nachdem man sie gerade erst zusammengeflickt hat. Und manche derjenigen, die nicht mehr tauglich sind, wollen es nicht akzeptieren. Elf Männer, und einer schaut finsterer drein als der andere.« Er machte eine Pause. »Wir mussten sie in ein gemeinsames Zimmer legen, weil die anderen Patienten sich keinen Raum mit ihnen teilen wollten. Die Betten stehen eng an eng und die Stimmung ist angespannt.« Dr. Wright schüttelte das ergraute Haupt. »Das sind nicht mehr die Jungen vom Lande, die damals auf die Schiffe verfrachtet wurden. Ich habe mir ihre Unterlagen angesehen, und sie sind allesamt von Anfang an dabei. Ein eingeschworener Haufen, einige von ihnen sind an der Front erwachsen geworden, und vermutlich mussten sie zusehen, wie fast alle ihrer Kameraden der ursprünglichen Einheit gefallen sind. Und nun hat es sie selbst erwischt.« Eine erneute Pause folgte, und in Bonnies Gedanken nahmen die Männer, über die er sprach, Gestalt an. »Einer von der Bande macht noch mehr Probleme als der Rest. Gleich nach seiner Ankunft hat er einen Assistenzarzt am Kragen gepackt. Er drohte ihm Gewalt an, wenn der ihm nicht die Bescheinigung ausstellte, dass er wieder in den Kampfeinsatz könnte.« Der Arzt beugte sich vor. »Dieser Kerl hat einen Arm verloren!«, erklärte er und schüttelte erneut den Kopf. »Mir scheint es, als sei er so etwas wie der Anführer der Truppe, aber den Unterlagen nach steht er im Rang nicht über den anderen. Im Gegenteil: Mehrere Verwarnungen sind hier aufgelistet, und wenn ich die knappen Notizen richtig deute, gilt er als Unruhestifter, auch wenn er durchaus taktisches Geschick gezeigt haben soll. Ich habe mir das alles angesehen, um zu entscheiden, ob wir die Kerle hier überhaupt behandeln können, wenn sie ihr Benehmen denn nicht ändern werden, oder ob wir eine andere Lösung brauchen.«
Bonnie überlegte fieberhaft, weshalb Dr. Wright sie hatte kommen lassen und warum er ihr all dies erzählte. Nachzufragen wagte sie nicht.
»Ihre Kolleginnen weigern sich, dieses Zimmer zu betreten. Die Halunken haben zwei der Schwestern heute Nacht vertrieben, eine weitere in den frühen Morgenstunden. Doch diese Männer brauchen, auch wenn sie es nicht einsehen, dringend die richtige Behandlung.« Mit der Hand deutete er auf eine der Akten. »Der mit dem amputierten Arm hat womöglich eine Entzündung, da der Verband nun schon längst hätte gewechselt werden sollen, und wenn er Pech hat, wird er nicht nur einen Arm, sondern bald auch sein Leben verloren haben, wenn er nicht schnellstens richtig versorgt wird.«
Bonnie nickte. Wundbrand war ein Gegner, den sie alle fürchteten. Zu oft hatten sie schon gegen ihn verloren. »Und weil ich die einzige Schottin im Krankenhaus bin, hoffen Sie, dass diese Kerle mich das tun lassen?«, erriet Bonnie den Gedankengang ihres Vorgesetzten.
Dr. Wright brummte bestätigend. »Man hört es nicht nur, man sieht Ihnen Ihre Herkunft auch auf den ersten Blick an.« Seine Augen huschten über ihre Schwesternhaube, die heute sicherlich nicht so ordentlich angesteckt war wie üblich.
Bonnie schalt sich in Gedanken dafür, noch einmal eingedöst zu sein. Der Oberschwester würde es nicht entgehen, und Bonnie konnte sich auf einen Rüffel einstellen.
»Eine Sache habe ich schon angeordnet: Die Männer werden so schnell wie möglich nach Schottland verlegt, sobald ein weiterer Transport möglich ist«, sprach er weiter. »Sehen Sie zu, dass Sie die dringend notwendige Wundpflege vornehmen können, und überzeugen Sie Ihre Landsleute davon, möglichst keine Ärzte mehr zu bedrohen. Ich würde ungern die Militärpolizei einschalten, nach allem, was diese Kerle für ihr Land getan haben.«
»Natürlich, Sir.« Bonnie machte auf dem Absatz kehrt und griff nach der Türklinke.
»Zimmer 213. Wenn es nicht anders geht, dann werden die Männer fixiert!«, rief er ihr hinterher, während sie auf den Flur trat.
»Der Tag wird immer besser«, murmelte Bonnie. Sie packte einen der Kekse aus und steckte ihn sich in den Mund, dann ging sie zu den Metallwagen hinüber, auf denen vorbereitetes Verbandsmaterial, Medikamente und verschiedene Salben lagen.
Rose, eine ihrer Kolleginnen, trat neben sie. »Hat der Chef dir die Schotten zugeteilt?«, fragte sie, und ein mitleidiges Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab.
Bonnie schluckte das staubtrockene Gebäck hinunter. »Einer muss es ja machen, und vermutlich hat Dr. Wright recht und diese grässlich roten Haare und mein Dialekt werden mir dabei helfen«, sagte sie und zwinkerte Rose zu. »Und ansonsten dürfen wir die Männer festschnallen lassen, das ist auch schon länger nicht mehr vorgekommen. Eine echte Abwechslung, will ich meinen«, sagte Bonnie lachend.
Ihre Kollegin kicherte und hob die Hände. Gekonnt wickelte sie einige der widerspenstigen Strähnen, die ein zweites Mal unter Bonnies Haube herausgerutscht waren, um einen Finger und steckte sie zurück. »Pass gut auf«, zischte sie. »Einer von diesen Highlandern hat mir vorhin einen Klaps auf den Hintern gegeben. Alleine deshalb hätten sie es schon verdient, fixiert zu werden. Wäre ich nicht im Dienst gewesen, hätte ich ihm eine gescheuert. Stattdessen müssen sie jetzt alle länger auf ihr Schmerzmittel warten. Das wird dem Kerl hoffentlich eine Lehre sein, eine Schwester so zu behandeln.« Rose schnappte sich eine Bettpfanne und verschwand in einem der Krankenzimmer.
»Na, das kann ja heiter werden«, flüsterte Bonnie, zählte die Tabletten und Spritzen durch und schob den Rolltisch auf das ausgeblichene Schild mit der Nummer 213 zu.
Bonnie drückte die Klinke herunter, gab der Tür einen Schubs und stieß mit der Hüfte den Tisch ins Zimmer. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und bemühte sich, die süßlich verbrauchte Luft zu ignorieren. Ein gellender Pfiff durchbrach die Stille, und gleich darauf war Gejohle zu hören. Bonnie unterdrückte ein Stöhnen und streckte den Rücken durch. Sie zwang sich zu einem professionellen Lächeln. Nicht zu freundlich, um ihre neuen Patienten nicht auf unangemessene Ideen zu bringen, aber dennoch liebenswürdig genug, um eine angenehme Stimmung zu verbreiten, während sie sich ein Bild von der Situation machte.
»Na, Süße, willst du jetzt dein Glück versuchen?«, rief einer der Soldaten ihr zu. Sein Bein steckte in einem Gips und war an einer Halterung gesichert.
Bonnie beachtete ihn nicht, da er wohl kaum fähig wäre aufzustehen, und sah sich weiter um.
Der Mann im vorletzten Bett auf der rechten Seite lag mit dem nackten Rücken zu ihr. Ein Verband zog sich über seine linke Schulter. Bei keinem der anderen Männer war ein amputierter Arm zu erkennen.
Bonnie steuerte zielstrebig mit dem quietschenden Tisch auf ihn zu. Wenn der Stationsarzt richtiglag, und dies hier der Anführer der Bande war, würde sie ihn sich als Erstes vornehmen. Gleich zu Anfang die härteste Nuss zu knacken, erschien ihr eine gute Idee zu sein.
Bonnie spürte die Blicke der Männer auf sich, als sie neben das Bett trat.
Der Soldat lag auf der Seite, sie konnte sein Gesicht nicht sehen, da sein Kopf von einer dicken Bandage bedeckt wurde. Dennoch ahnte sie, dass er wach war. Zu angespannt wirkte sein Körper, scheinbar bereit, jeden Moment aufzuspringen.
Sie legte die Fingerspitzen der linken Hand auf seine Haut, um mit der rechten den Verband zu lösen. »In Ordnung, Soldat, ich schaue mir das hier jetzt an und versorge die Wunde, damit Sie bald wieder zu Hause sein und einen guten schottischen Whisky trinken können«, sprach sie leise auf ihn ein und versuchte nicht wie üblich, ihre landestypische Aussprache zu unterdrücken.
Kurz spürte sie, wie seine Muskeln unter ihren Fingern zuckten. »Du hattest schon immer die sanftesten Hände«, brummte er. »Viel zu schade für meine Freunde hier.«
Bonnie biss sich auf die Unterlippe und schloss die Augen. Bewegungslos ruhten ihre Hände auf ihm. Das konnte nicht sein. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit? Und doch war ihr bei Dr. Wrights Erwähnung der Royal Scots ein Schauer über den Rücken gelaufen. Endlich schaffte sie es, wieder zu atmen, und öffnete die Lider. »Warum habe ich mir nicht denken können, dass nur du so dumm sein kannst? Hast du wirklich einen Arzt bedroht, damit er dich mit einem Arm zurück aufs Festland schickt?«, stieß sie hervor und schmeckte die Tränen auf ihrer Zunge.
»Einer ist mehr als genug«, sagte er und drehte sich auf den Rücken. In seinen Mundwinkeln zuckte ein Grinsen. »Heulst du wegen des Arms?«
Unfähig etwas zu sagen beugte sich Bonnie vor, schlang die Arme um ihn und küsste seine verschwitzte Stirn. Wie lange war es her? Jahre waren vergangen, die sich wie ein halbes Leben anfühlten. Wieder erklang Johlen, doch sie beachtete es nicht.
Für einen verschwindend kurzen Moment berührten seine Lippen sanft ihre Wangen, so wie er sie damals zum Abschied geküsst hatte. Dann legte sich seine Hand in ihren Nacken. »Sorg dafür, dass sie mich zurückschicken. Verstanden?«, zischte er.
Bonnie stemmte sich hoch und sah in das eine Auge, das nicht von dem Verband bedeckt war. »Willst du Dickschädel auch noch den anderen Arm verlieren, Archie?« Nun war auch ihr danach, einen Schotten zu ohrfeigen. Und sie würde es sich sogar erlauben können, da dieser Mistkerl ihr deswegen ganz sicher keine Probleme bereiten würde. Dennoch verschob Bonnie die Sache zumindest für den Moment. Sie sollte sich ihrer Tracht angemessen verhalten.
»Du weißt, warum ich zurück muss«, brachte er hervor, und sein Blick lag starr auf ihr.
Bonnie zog die Nase hoch und nickte leicht. Natürlich wusste sie, was er meinte. Doch niemand würde einen Mann mit nur einem Arm in den Kampf schicken. Nicht einmal Archie Dennon konnte so etwas durchsetzen.
»Hübsches Mädchen hast du da«, rief ein Kerl zwei Betten weiter. »Hättest uns ruhig mal von ihr erzählen können. Ich bin mir sicher, das hätte die ein oder andere Wache angenehmer gemacht.«
Bonnie sah strafend zu ihm hinüber. »Herrgott, das ist mein Bruder, also sparen Sie sich Ihre Anzüglichkeiten.«
»Halbbruder«, ergänzte Archie, wie er es immer tat, wenn ihre Familienverhältnisse zur Sprache kamen.
»Das ist ja noch besser. Mein Verband muss auch gewechselt werden, Süße.« Der Soldat deutete auf seinen Bauch und grinste.
»Keiner rührt meine Schwester an.« Archie kniff das Auge zusammen und sah die Bettreihen entlang, als wollte er von jedem einzelnen seiner Kameraden eine Bestätigung, dass sie ihn verstanden hatten.
»Halbschwester, meinst du wohl«, murmelte Bonnie.
»Aye. Schon gut. Ist nur ewig her, dass wir so ein hübsches Mädel gesehen haben.« Beschwichtigend hob der Kerl die Hände.
Bonnie nutzte die Ablenkung und machte sich wieder an Archies Verband zu schaffen. Der Geruch, den ihr Bruder verströmte, versprach nichts Gutes.
Er zuckte kaum merklich zusammen.
»Wann wurde das das letzte Mal frisch verbunden?«, fragte sie beim Anblick der geröteten Naht.
»Vor ein paar Tagen«, gab er unwillig zu.
»Das muss jeden Tag gereinigt werden, wenn es nicht zu faulen anfangen soll.« Da die Operation eindeutig nicht mehr als drei oder vier Tage zurücklag, schloss Bonnie, dass der Verband kein einziges Mal gewechselt worden war, weil Archie sich wie ein Halbwilder aufgeführt hatte.
»Die Zeit habe ich nicht.« Er griff nach ihrem Handgelenk und drückte es ein wenig zu fest.
»Du wirst in diesem Krieg nicht mehr kämpfen«, sagte sie energisch. »Die Wunde nicht behandeln zu lassen, wird daran nichts ändern, es wird dich höchstens ins Grab bringen. Das muss dir doch klar sein!«
»Ich muss rausfinden, ob Ian das Gefecht überstanden hat«, murmelte Archie und senkte den Blick.
Vor Bonnies Augen erschienen rote Haare und Sommersprossen. Und das freche Gesicht, das sie in ihren Träumen aufsuchte. Ganz so, wie es auch Archies Antlitz getan hatte. »Ian lebt«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihm.
»Und damit das so bleibt, muss ich zurück.« Er schaute sie erneut eindringlich an. »Ich habe Ma geschworen, auf ihn aufzupassen.«
»Das hast du rund drei Jahre lang getan.« Ihre Finger fuhren durch seine schwarzen Haare und überprüften den Sitz des Kopfverbands. »Er ist unser Bruder, und er kommt zu uns zurück. Du kennst ihn doch: Ian hat mehr Glück als Verstand. Lass uns einfach beten, dass das auch weiterhin so bleibt.«
Bonnie beobachtete, wie er die Zähne zusammenbiss und gleich darauf das Gesicht schmerzhaft verzog.
»Ist dein Auge verletzt?«, fragte sie und hoffte inständig, dass Archie zumindest seine Sehfähigkeit behalten hatte. Der Schock, dass ihr Bruder einen Arm verloren hatte, drohte sie zu überwältigen. Auch wenn sie an derlei Verwundungen gewöhnt war, fühlte es sich in diesem Fall anders an. Es war persönlich. Und es schmerzte. Ebenso wie die Sorge um Ian. Sie durfte nicht daran denken, dass ihr kleiner Bruder tot sein könnte. So lange sie keinen Brief erhalten hatten, in dem genau das stand, wollte sie den Gedanken verdrängen so gut es ging.
Archie schüttelte den Kopf und sank ins Kissen zurück. »Nur das Lid und die Wange.«
»Ich schaue mir das trotzdem gleich an. Du hast Glück gehabt.« Aufmunternd lächelte sie ihn an.
»Ich habe einen Arm verloren und liege hier. Das soll Glück sein?«
»Der Kopf wäre schlimmer gewesen.« Bonnie gluckste. Auch wenn ihr Bruder es in diesem Moment nicht wahrhaben wollte, so war eine Verletzung ein Segen. Sie wusste, dass viele Männer dafür beteten, verwundet und in die Heimat zurückgeschickt zu werden. »Besser verwundet als tot«, hatte sie in den vergangenen Jahren unzählige Male von Patienten gehört. Sie gab etwas Salbe auf einen Wattebausch und tupfte die Stelle ab, an der sich bis vor wenigen Tagen noch der zweite Arm ihres Bruders befunden hatte. »Was ist denn überhaupt passiert?«
»Eine Granate. Mehrere Splitter haben den Arm und die Arterie zerfetzt, und einer hat das Gesicht erwischt«, berichtete Archie nüchtern. »Hab mir den Arm selbst abgebunden, um nicht zu verbluten. Bis man uns endlich aufgelesen und rausgeschleppt hatte, war die Blutversorgung schon zu lange unterbrochen, und dieser Metzger von einem Arzt hat ihn mir abgenommen.«
»Er hat immerhin ordentliche Arbeit geleistet.« Die Amputation war sorgfältig ausgeführt worden, das hatte Bonnie gleich erkannt. Nur die Pflege seitdem ließ zu wünschen übrig.
»Der macht ja auch den ganzen Tag nichts anderes, als mit seiner Säge zu spielen«, knurrte Archie. »Du kannst dir nicht vorstellen, was da vor sich geht.« Er wandte den Blick ab.
Sie legte ihre Handfläche an seine Wange. Wie gerne sie ihn erneut umarmen würde, doch sicherlich wäre dies Archie vor seinen Kameraden nicht recht. Wobei es ihn vermutlich auch ohne diese gestört hätte. Die kantigen Gesichtszüge ihres Bruders und seine gerunzelte Stirn hatten stets einen unnahbaren Eindruck gemacht, aber eigentlich war er tief, sehr tief in seinem Innern ein guter Kerl. Doch nun lag in Archies Blick etwas, das sie erschaudern ließ. Der Krieg hatte ihn unweigerlich verändert, und sie vermochte zu diesem Zeitpunkt nicht abzuschätzen, wie sehr. Bonnie riss sich zusammen und griff nach einem frischen Verband. In diesem Moment war es sein Körper, der ihrer Fürsorge bedurfte, die Seele würde wohl oder übel warten müssen. Sie musste sich beeilen, um alle Männer zügig zu versorgen. »Es ist vorbei, Archie.«
»Es wird nie vorbei sein. Für keinen von uns. Jetzt tu, was du tun musst, und lass uns nicht darüber reden«, sagte er leise und drehte ihr erneut den Rücken zu.
Connor rappelte sich auf und rutschte, so weit sein Bein es zuließ, näher an das Kopfende des Bettes, um sich dort anzulehnen. Er betrachtete frustriert den weißen Vorhang, der zugezogen zwischen seinem und Archies Bett hing und ihm den Blick auf das versperrte, was er seit einigen Minuten hörte. Die engelsgleiche Stimme klang weich und warm, und dennoch waren ihre Antworten schlagfertig. Archies Schwester. Connor streckte sich, konnte den Stoff jedoch nicht erreichen. Er fluchte und lehnte sich ins Kissen zurück. Hätte einer der Kameraden nur nicht die letzte Krankenschwester verschreckt. Vor einigen Stunden hatte diese den Vorhang zugezogen, um Connor zu verarzten, war dann aber, noch ehe sie überhaupt damit angefangen hatte, mit einer Schimpftirade aus dem Raum verschwunden. Die Schmerzmittel hatte sie natürlich mitgenommen, was sein Oberschenkel mit einem pochenden Brennen quittierte.
Halbgeschwister, hatte Archie vorhin ergänzt, als die Frau selbstsicher einen der Soldaten in die Schranken gewiesen hatte. Vielleicht erklärte dieser Umstand, dass beide so gegensätzliche Persönlichkeiten hatten, wie Connor herauszuhören glaubte. Archie, das Raubein, der vor nichts zurückschreckte und sich grundsätzlich an der Grenze zur Selbstzerstörung bewegte, und dieses zauberhafte Wesen, von dem er bisher nur die Stimme kannte. Wie sie wohl aussah?
Als Archie die Granate erwähnt hatte, die für seinen fehlenden Arm verantwortlich war, hatte Connor die Augen geschlossen. Es war seine Granate gewesen. Für ihn bestimmt und nicht für Archie. Und nun lagen sie beide hier und Connor wusste, wie viel dieser Umstand seinem Weggefährten abverlangte. Zwar hatten Archie und seine Schwester leise gesprochen, dennoch hatte Connor jedes Wort verstanden. Archie wollte zurück zu Ian. Zu dem aufgekratzten jungen Kerl, der, als der Krieg begann, mehr Junge als Mann gewesen war und den sie während des Gefechts bei Cambrai aus den Augen verloren hatten. Obwohl sein Kamerad es mehr als einmal probiert hatte, hatten sie keine Informationen zu Ian und den anderen erhalten. Waren überhaupt noch welche von ihnen übrig, oder waren die Männer in diesem Zimmer der traurige Rest des neunten Bataillons?
Archie und er waren mit letzter Kraft verwundet in Deckung gekrochen und hatten dort ausgeharrt, während um sie herum weiter der Kampf tobte. Irgendwann hatte ein Kamerad ihnen seinen Wasserkanister zugeworfen und war gleich darauf wieder verschwunden. Bis zur Dunkelheit hatten sie in einer Ruine gelegen und Connor hatte längst seinen Frieden damit gemacht, dass nun alles vorbei war. So schlimm hatte er es gar nicht gefunden. Vermutlich hatte er schon seit jenem Augusttag, an dem er sich früh morgens bei den Royal Scots eingeschrieben hatte, damit gerechnet, dass so sein Ende aussehen würde.
Um Archies willen hatte Connor trotzdem auf Rettung gehofft, auch wenn ihm nach einer Weile klargeworden war, dass es für dessen Arm keine mehr geben würde. Und dann waren sie doch noch aufgelesen und auf Tragen gepackt worden, nachdem die Mörsergeräusche weiter entfernt dröhnten und sich die gegnerische Artillerie auf einen anderen Bereich einschoss. Connor hatte geglaubt, vor Schmerz das Bewusstsein verlieren zu müssen. Vielleicht war es sogar so gewesen. Die folgenden Stunden waren in seiner Erinnerung verschwommen. Außer ein paar Bildfetzen von blutverschmierten Kitteln, einer Spritze, die endlich die Erlösung von den Schmerzen brachte, und den Schreien um ihn herum, war alles verschwunden. Auch von den nächsten zwei Tagen wusste Connor nicht mehr viel, was vermutlich ein Segen war.
Er schüttelte den Kopf und betrachtete das Bein, das erst vor wenigen Tagen in einem in Frankreich aus dem Boden gestampften Krankenhaus operiert worden war. Die klobige Schiene machte einen Positionswechsel beinahe unmöglich. »Vermutlich werden Sie nie wieder rennen können«, hatte der Chirurg ihm mit knappen Worten prognostiziert. »Vielleicht sogar nicht einmal richtig gehen.« Dass man ihm das Bein nicht direkt an Ort und Stelle abgenommen hatte, war einzig und allein dem glücklichen Umstand geschuldet, dass gerade einer dieser Röntgenwagen vor dem Krankenhaus geparkt war. Connor wusste nicht viel über Marie Curie, noch weniger über Radiologie, doch so wie er es verstanden hatte, verdankte er dieser Frau die Tatsache, dass er noch beide Beine besaß. Vor dem Einsatz der Petites Curies, dieser mit neuester Technik ausgestatteten Fahrzeuge, hatte man nicht lange gefackelt und verletzte Gliedmaßen im Zweifelsfall einfach abgenommen. Und das viel zu oft, da man die Art der Verletzung im Durcheinander der ganzen verwundeten Soldaten, die in einem unaufhörlichen Strom von der Front antransportiert wurden, nicht genau hatte einschätzen können. Noch immer geschah es täglich unzählige Male. Connor hingegen war der Luxus zuteilgeworden, geröntgt zu werden und dann auch noch auf dem Tisch eines Chirurgen zu landen. Er schmunzelte. Was man in einem Krieg so als Luxus empfand! Seine Finger strichen über die saubere weiße Bettdecke, die auf jeden Fall einen darstellte. Ebenso wie das Essen, das ihnen hier serviert wurde. Wer die Schmerzen einigermaßen aushalten konnte, stürzte sich wie ein Raubtier auf die Teller.
Doch die Stimmung war gedrückt. Vermutlich empfand fast jeder von ihnen seine Verletzung als Schande. In der ersten Zeit hatten die meisten sich eine kleine, saubere Schusswunde und damit das Ticket nach Hause gewünscht. Sie hätten mit einem steifen Arm oder einem leichten Humpeln für den Rest ihres Lebens nur zu gerne im Tausch für die Heimkehr gezahlt. Connor war es jedoch anders ergangen. Und Archie sowieso. Der hatte, kaum dass er neben ihm aus der Narkose erwacht war, aufstehen und nach Ian suchen wollen. Das ganze Lazarett hatte er zusammengebrüllt, bis eine Krankenschwester verschnupft versprach, die Namen aller Patienten zu überprüfen. Doch Ian war nicht darunter gewesen. Also hatte Archie erst recht das Bett verlassen und zu ihrer Einheit zurückkehren wollen.
Schließlich hatten ihm die Ärzte in regelmäßigen Abständen etwas gespritzt, und so richtig war Archie erst wieder im Zug zu sich gekommen, in den man sie nach der Überfahrt des Ärmelkanals verfrachtet hatte. Sein Kamerad hatte sich mit einem Schwall an Beschimpfungen bei jedem, der ihm unter die Nase kam, für seine Rückkehr auf die Insel bedankt. Vielleicht konnte seine Schwester ja verhindern, dass man sie dank Archie noch woandershin verfrachtete. In einen abgelegenen Kellerraum des Krankenhauses oder sonst wohin. Auch so schon war die Stimmung hier im Zimmer angespannt, ja beinahe explosiv. Schmerzen und gekränkter Stolz waren eine gefährliche Mischung, und so manch einer hatte sich, nachdem er erst einmal den anfänglichen Schock der Front verwunden hatte, geschworen, bis zum Ende durchzuhalten. Einige der Kameraden hatten gehofft, dabei zu sein, wenn sie diesen beschissenen Krieg endlich gewinnen sollten.
Connor hingegen beschäftigten ganz andere Gedanken. Er streckte den Arm aus und schob seine Finger zwischen den Stäben der Schiene unter den Verband. Das ständige Jucken machte ihn fast verrückt, doch vermutlich lag das auch an der längst überfälligen Reinigung der Wunden. Während er sich ausgiebig den Oberschenkel rieb, blickte er aus dem Fenster. England. Nie hatte Connor vorgehabt, diesen Teil des Königreichs zu betreten. Und nun lag er hier und alles, was er von seinem Bett aus durch die Scheibe erkennen konnte, war der graue, unwirsche Londoner Himmel.
»Eine Narbe wird dir bleiben«, hörte er die weiche Stimme nebenan und dann ein helles Lachen. »Du hast schon immer etwas verwegen ausgesehen, aber jetzt passt dein Gesicht endgültig zu deinem Charakter.«
Ein Grinsen zog sich über Connors Lippen.
»Ein Mann muss nicht schön sein«, knurrte Archie.
»Das warst du auch noch nie«, reizte sie ihn weiter. »Sofern deine Freunde ihre Finger bei sich behalten, werde ich mir nun den Rest von euch ansehen«, sprach sie so laut, dass Connor klar war, dass die Worte an seine Kameraden und auch an ihn gerichtet waren.
»Sie werden handzahm sein«, versprach Archie.
Connor kniff die Augen zusammen und lauschte auf ihre Schritte. Als er aufsah, erblickte er eine schmale Frau, die beinahe verloren wirkte in der voluminösen Schwesterntracht aus einem blauen Kleid und einer weißen Schürze. Das leuchtende hellrote Haar, das nur am Ansatz der Haube zu erkennen war, fesselte seinen Blick. Wie sehr diese Farbe ihn an die Heimat erinnerte. Französinnen hatten selten rotes Haar, wie er festgestellt hatte, und dies hier musste abgesehen von dem einiger Kameraden das erste seit Jahren sein, das er sah. Es schimmerte im Licht der Deckenleuchte und zog seinen Blick magisch an.
Ohne ihn anzusehen, griff sie nach dem Krankenblatt und überflog die Zeilen, die er in den letzten Tagen so oft gelesen hatte, als müsste er sich immer wieder versichern, dass der Arzt ihm tatsächlich eine Handvoll Splitter aus dem Bein gezogen hatte.
Dann lächelte sie ihn flüchtig an, klappte die Schiene auseinander und schnitt mit einer Schere den Verband auf.
Bis gerade eben hatten ihn noch das Jucken und die Schmerzen beinahe in den Wahnsinn getrieben, vor allem, weil er schon seit Ewigkeiten keine Schmerzmittel mehr eingenommen hatte. Aber jetzt war alles, was er spürte, ein Kitzeln in der Magengegend. Connor war unfähig, die grünblauen Augen unter den schmalen und reizend geschwungenen Brauen nicht anzustarren.
Leichtfüßig eilte sie zum Rolltisch, um neue Materialien zusammenzusuchen. Archies Schwester sah diesem kein Stück ähnlich, aber sie erinnerte Connor schmerzlich an jemand anderes.
»Sie sehen aus wie Ian«, entfuhr es ihm. Sogar ihre Bewegungen glichen in ihrer Geschicklichkeit denen ihres Bruders. Es war geradezu verblüffend. Connor hatte anfangs kaum glauben wollen, dass Archie und der deutlich jüngere Ian tatsächlich verwandt waren. Sie waren ihm so gegensätzlich wie Sonne und Mond erschienen, was wohl daran lag, dass sie ebenfalls Halbgeschwister waren. Und doch war da diese Verbindung zwischen den Brüdern zu spüren gewesen, die Connor hin und wieder melancholisch gestimmt hatte.
Ihre Hände hielten einen Augenblick lang inne, dann sah sie zu ihm. »Dass ich Ian ähnlich sehe, höre ich nicht zum ersten Mal.«
Connor verfluchte sich innerlich, einen derart blöden Spruch gemacht zu haben. Natürlich wusste diese Frau, dass sie ihrem Bruder auffallend glich. »Entschuldigung, das war unpassend«, beeilte er sich zu sagen.
Sie setzte ein liebenswürdiges Lächeln auf und Connor war froh, dass er lag und nicht stand, da er sonst vermutlich weiche Knie bekommen hätte. Weiche Knie – du Versager kannst nicht einmal mehr stehen. Scharf sog er Luft ein.
»Sie kennen Ian also«, begann sie, während sie vorsichtig seine Wunden abtupfte.
Das Brennen war leichter auszuhalten, wenn er in ihr Gesicht blickte. Vermutlich war alles im Leben besser zu ertragen, wenn man eine solche Aussicht genoss.
»Hat bei meinem Bruder endlich der Bartwuchs eingesetzt?« Sie linste ihn frech an.
»Ich fürchte, das wird bei Ian nichts mehr.« Das erste Mal seit Tagen lachte Connor und es tat verdammt gut. Doch ihre Frage erinnerte ihn auch an etwas. Er fuhr prüfend mit der Hand über seine Wangen. Es wurde dringend Zeit, dass er sich rasierte.
Als ihr Blick auf ihm ruhte, hatte er Mühe, nicht wegzusehen. Verlegen verschränkte er die Arme vor der Brust. Er konnte nicht nur sein Bein, sondern seinen kompletten Körper riechen. Wann hatte er sich überhaupt das letzte Mal gründlich gewaschen? Ein Eimer Wasser und ein Lappen wären nach dem langen Transport eine wahre Wohltat. Der Gestank in diesem Zimmer war infolge all der Wunden und des Fieberschweißes einiger Kameraden kaum auszuhalten. Leider hatte sich seine Nase auch nach Jahren in modrigen Schützengräben nicht an üble Gerüche gewöhnt.
»Ich bringe Rasierzeug und Waschschüsseln, sobald ich diese Heldenwunden versorgt habe«, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken erraten, »ihr habt es wirklich dringend nötig.« Mit der Spitze des Zeigefingers fuhr sie kaum merklich seitlich der Nähte an seinem Oberschenkel entlang. »Heilt gut«, stellte sie fest und deckte die Stellen ab, die nach ihrer Berührung zu glühen schienen.
»Wie lange dauert es, bis ich es belasten kann?«, fragte Connor, um sich von unangemessenen Gedanken abzulenken.
»Wochen. Mindestens.« Routiniert wickelte sie einen frischen Verband um seinen Oberschenkel und befestigte die Schiene wieder.
»Was muss ich tun, damit es schneller geht?« Er stützte sich auf den Ellenbogen auf und beugte sich zu ihr. »Wenn Archie zurückgeht, gehe ich mit«, flüsterte er.
Sie runzelte die Stirn und brachte ihr Gesicht so nahe an seins, dass Connor ihren Duft nach Seife und Frühling einatmen konnte. »Archie geht nach Hause und nirgendwohin sonst«, sprach sie mit gesenkter Stimme. »Nicht einmal er wird es mit nur einem Arm zurück an die Front schaffen.« Sie schwieg einen Moment, blieb aber weiterhin neben ihm.
Connor lauschte auf ihre Atemzüge und genoss erneut ihren Wohlgeruch.
»Warum wollen Sie unbedingt zurück in den Krieg? Reicht ein zerfetztes Bein nicht aus?«, fragte sie.
»Ich gehe dorthin, wo Archie hingeht«, sagte er leise.
»Wissen Sie, wem Sie da folgen?« Sie klang amüsiert und gleichzeitig besorgt.
»Nur zu genau.«
»Na, dann ist gut.« Sie rückte von ihm ab und der Duft verschwand mit ihr. Vom Tisch nahm sie eine neue Infusion und befestigte sie an der Halterung seines Bettes. »Was machen die Schmerzen, Connor?«
»Sie haben sich meinen Namen gemerkt«, stellte er lächelnd fest.
»Ich merke mir die Namen all meiner Patienten, Private Connor Fletcher vom neunten Bataillon der Royal Scots.« Aus den Augenwinkeln betrachtete sie ihn einen Moment lang. »Also, was ist mit den Schmerzen?«
»Sind verdammt stark«, gab er zu.
Sie nickte, kramte in der Tasche ihrer Schürze und spritzte ein Mittel in seinen Zugang. »Sollte bald erträglicher werden.« Sie notierte etwas auf seinem Krankenblatt, dann wandte sie sich rasch um und schien zum nächsten Patienten gehen zu wollen.
»Warten Sie!«
Sie wandte sich zu ihm um. »Brauchen Sie noch etwas?«
»Ihren Namen.«
»Bonnie«, sagte sie und schmunzelte.
»Dann vielen Dank, Schwester Bonnie.«
Kaum war sie an das Bett gegenüber geeilt, wurde der Vorhang neben ihm geräuschvoll zur Seite gezogen und Archie starrte ihn mit seinem einen Auge an.
»Was ist?«, fragte Connor betont gelassen.
»Das ist meine Schwester«, knurrte sein Kamerad und hatte denselben wilden Blick, den Connor bei Archie schon so oft in den letzten Jahren gesehen hatte.
»Sie sind immer die Schwestern von jemandem«, gab er zurück. »Du müsstest das doch am allerbesten wissen, oder liege ich falsch?« Ganz sicher war Archie kein Kind von Unschuld, auch wenn er jetzt einen auf großer Bruder machte. Doch Bonnie kam Connor nicht so vor, als ob sie auf irgendjemandes Hilfe angewiesen wäre.
Archies Auge wurde noch ein wenig schmaler. »In ein paar Tagen kommen wir hier raus. Lass Bonnie so lange in Ruhe oder du erlebst eine Seite an mir, die du noch nicht kennst.«
Selbst mit nur einem Arm flößte Archie Respekt ein. Und dieser Mann hatte ihm das Leben gerettet. »Schon gut.« Connor lehnte sich zurück ins Kissen und sah hinüber zu Fred, der sich mit einem Strahlen auf den Lippen von Bonnie untersuchen ließ. Verdammt, war das ein himmlisches Geschöpf!
»Augen an die Decke, Soldat«, brummte Archie.
Connor stöhnte und tat, wie ihm geheißen, auch wenn Archie nicht befugt war, ihm Weisungen zu erteilen, da sie beide kein Interesse daran gehabt hatten, es über den Rang eines Private hinaus zu etwas bei den Royal Scots zu bringen. Längst hatte sich Bonnies Bild in seine Gedanken eingebrannt. Grinsend verschränkte er die Arme im Nacken.
Der Tag war lang und anstrengend gewesen, so wie jeder andere in den vergangenen Jahren. Neben der Versorgung von Archie und seinen Kameraden hatte Bonnie unzählige andere Aufgaben zu erledigen gehabt; sie musste Instrumente sterilisieren, Bettpfannen leeren, Medikamente austeilen und was sonst noch alles anfiel. Beim Lunch hatte sie sich ausgehungert über ihren Teller hergemacht und war gleich darauf zurück zur Station geeilt. Wie schon am Morgen klopfte sie jetzt, am späten Nachmittag, an Dr. Wrights Tür.
»Ja bitte?«
Sie straffte die Schultern und trat in den mit dunklen und wuchtigen Holzmöbeln eingerichteten Raum ein.
Eine elektrische Schreibtischlampe erhellte die Unterlagen in Dr. Wrights Händen und er nahm die Lesebrille ab. »Schwester Bonnie.« Er bedeutete ihr, sich auf einen der abgenutzten Stühle vor dem breiten Schreibtisch zu setzen.
Bonnie nahm Platz. »Haben Sie einen Augenblick, Sir?«
»Haben die Schotten Ihnen Probleme bereitet wie allen anderen auch?« Mit gerunzelten Augenbrauen betrachtete er sie.
»Nein, nichts dergleichen.«
»Sehr gut.« Er nickte. »Was kann ich für Sie tun?«
Bonnie sah auf ihre Finger, die ineinander verschlungen in ihrem Schoß lagen. »Wie sich herausgestellt hat, ist dieser Verrückte mit dem amputierten Arm mein Bruder«, sagte sie leise.
»Ihr Bruder?« Überraschung zeichnete sich auf dem Gesicht des Stationsarztes ab. Dann schlug er eine der Akten auf. »Archibald Dennon. Er hat einen anderen Zunamen als Sie, dabei sind Sie unverheiratet.« Es war Dr. Wright anzusehen, wie er versuchte, aus der Information schlau zu werden.
»Meine Mutter war zweimal verheiratet«, erklärte Bonnie. Dass drei der Kinder ihrer Ma den Nachnamen Dennon trugen, während Bonnie und die zwei jüngsten Ian und Tommy Macay hießen, war selbst in ihrem Heimatort den meisten Leuten zu kompliziert, weshalb von ihnen im Allgemeinen als den Dennons gesprochen wurde. Bonnie hatte es aufgegeben, jeden zu korrigieren, und es akzeptiert. Doch hier war sie schlicht Schwester Bonnie.
»Na, Ihr Bruder scheint mir jedenfalls gut zu den Dandy Ninth zu passen.« Ein Lachen drang aus der Brust des Arztes.
Anscheinend war der Ruf des neunten Bataillons inzwischen sogar bis nach London durchgedrungen. In ihrer Heimat war man mächtig stolz auf die Dandy Ninth, doch wann immer Bonnie etwas in der Zeitung über das Bataillon las, krampfte sich ihr Magen zusammen. Es schien ihr, als sei ausgerechnet diese Einheit der Royal Scots an den schlimmsten Schlachten beteiligt und die Verluste waren ein ums andere Mal entsprechend hoch. Irgendwann hatte sie einfach aufgehört, in ihrer knappen Freizeit einen Blick auf die Nachrichten zu werfen. Dort stand, wie heldenhaft sich die britischen Truppen bewährten, doch Bonnie sah die Wahrheit und deren schreckliche Folgen tagtäglich mit ihren eigenen Augen. Propaganda wirkte bei ihr schon lange nicht mehr. Alle waren kriegsmüde und es leid, dass dieser Krieg kein Ende nehmen wollte.
»Und wird Archibald sich von jetzt an benehmen?«, riss Dr. Wright sie aus ihren Gedanken.
»Das kann ich Ihnen nicht versprechen. Archie hat unseren jüngeren Bruder bei Cambrai zurückgelassen und sich in den Kopf gesetzt, wieder an die Front zu gehen, was natürlich völliger Unfug ist.«
Dr. Wright fuhr sich durch die grauen Haare. »Ich verstehe«, murmelte er.
»Deshalb wollte ich fragen, ob es möglich wäre, dass ich die Männer auf dem Transport nach Edinburgh begleite, um sicherzustellen, dass Archie auch dort ankommt und nicht unterwegs verschwindet.« Sie wagte nicht, ihn anzusehen. »Ich bin selbstverständlich bereit, dafür die Urlaubstage zu verwenden, die ich noch nicht genommen habe«, fügte sie hastig hinzu, in der Hoffnung, einen Deal anzubieten, den der Arzt annehmen würde.
»Das sollte sich einrichten lassen«, sagte er. »Sie wissen, wie chronisch unterbesetzt die Ambulanzzüge sind. Einige der Männer sind ernsthaft verletzt und ich hätte ein besseres Gefühl, wenn sie unter Ihrer Aufsicht reisen.« Er lehnte sich in dem Ledersessel zurück und als Bonnie aufsah, schienen seine wachen Augen in den ihren lesen zu wollen. »Sie sind als Freiwillige hier. Vielleicht wird es Zeit, ebenfalls nach Hause zu gehen?«
Hatte sie sich verhört? Bonnie richtete sich auf und musterte den älteren Mann. »Sie brauchen mich nicht mehr?«
»Wir brauchen jede Hand. Vor allem die von Frauen, die wie Sie schon vor Ausbruch des Kriegs als Krankenschwester gearbeitet und eine entsprechende Ausbildung haben«, sagte Dr. Wright.
»Und warum bieten Sie mir die Heimkehr dennoch an?«
»Weil Ihr Bruder jetzt wieder da ist. Und Sie schon seit über zweieinhalb Jahren bei uns sind. Waren Sie seitdem überhaupt wieder im Norden?«
»Im vergangenen Jahr für eine Woche«, sagte Bonnie. Es war ein trauriger Besuch in der Heimat gewesen, bei dem sie sich unentwegt daran erinnert fühlte, was fehlte: ihre Brüder. Doch hatte es ihr gutgetan, ihre Ma und die anderen zu sehen. Und etwas Kraft zu schöpfen.
»Sie haben ohne Frage Ihren Anteil für diese Sache gegeben.«
Diese Sache. Dieser verflucht abscheuliche Krieg mit allem, was er mit sich brachte. Statt zu Hause in ihrem Dorf Kinder zu entbinden und Hausbesuche zu machen, schuftete sie in diesen Mauern täglich bis zur Erschöpfung. Aber daran würde sich so schnell nichts ändern. »Ich muss weiter hier arbeiten, bis der Krieg endlich gewonnen ist«, gab Bonnie entschieden zurück.
»Sie müssen?« Dr. Wright legte den Kopf schief und wieder schien er in sie hineinsehen zu wollen.
»Bis alle meine Brüder zu Hause sind«, sagte Bonnie.
»Wie viele Brüder haben Sie an der Front?« Dies war längst kein übliches Gespräch zwischen Arzt und Schwester, aber es war ein vertrauensvoller Austausch, der sich in diesem Moment merkwürdig gut anfühlte. Vielleicht lag es daran, dass dieser Mann eine väterliche Ruhe ausstrahlte und Bonnie es nicht gewohnt war, einen Vater zu haben.
»Jetzt noch zwei. Mein jüngerer Bruder ist mit Archie ausgerückt und der Älteste von uns ist …«, sie hielt inne und runzelte die Stirn. »Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, wo Keillan gerade steckt.«
»Drei Söhne und eine Tochter im Dienst für unser Land. Ihre Eltern müssen stolz sein, gleichzeitig aber vor Sorge umkommen.« Sein Blick wanderte zu einem Bilderrahmen auf seinem Schreibtisch.
Bonnie reckte sich etwas und erkannte einen jungen Mann auf dem Foto. »Ist das Ihr Sohn?«
Dr. Wright brummte bestätigend. »Robert arbeitet in Frankreich in einem Feldlazarett.« Seine Augen fanden die ihren wieder. »Und Sie wollen tatsächlich erneut verlängern? Haben Sie das mit Ihrer Familie besprochen?«
»Meine Mutter kennt meine Meinung«, versicherte Bonnie. »Sie bekommt mit Archie einen von uns zurück, das muss vorerst genügen.«
Dr. Wright nickte und Bonnie las Anerkennung in seinem Blick. »Wollen Sie sich zumindest nach Edinburgh versetzen lassen? Dann wären Sie etwas näher bei Ihrer Familie.«
Grüne Hügel und felsige Klippen tauchten vor Bonnies geistigem Auge auf – ganz so, wie sie es erst heute Morgen im Halbschlaf gesehen hatte. Beinahe glaubte sie, den Wind zu riechen, der über das Meer kam. War es an der Zeit, das Second London General Hospital zu verlassen? »Ist das denn möglich?«, fragte Bonnie und nahm wahr, wie ihre Stimme flatterte. Sie hatte sich einst bewusst für eine Stelle in London beworben und es hin und wieder bereut. Damals hatte es sich richtig angefühlt, allerdings hatte sie auch nicht geahnt, wie lange sie hier sein würde.
»Wir wollen Sie ungern verlieren, aber ich finde, Sie haben es sich durch Ihr beherztes Anpacken verdient. Ich werde ein Telegramm an die Kollegen in Craigleith schicken und fragen, ob sie Verwendung für Sie hätten. Ihr Bruder und seine Leute werden dorthin ins Second Scottish General Hospital verlegt, da die Männer des neunten Bataillons, ebenso wie Sie, Schwester Bonnie, aus der Gegend rund um Edinburgh stammen. Die Kollegen dort werden Sie sicherlich gerne aufnehmen.« Er zwinkerte ihr zu. »Sie wissen so gut wie ich, dass auch die Krankenhäuser in Schottland jede Krankenschwester benötigen, die sie kriegen können.«
Eine Welle an Gefühlen überrollte Bonnie. Wie lange hatte sie ihre Ma und die anderen nicht mehr gesehen? Dieser schreckliche Krieg, unter dessen Härte die Zivilbevölkerung vor allem auf dem Festland litt, schien einfach kein Ende zu nehmen. Und auch die Schotten spürten die Folgen. Ihr kleiner Heimatort Foxgirth lag östlich von Edinburgh in Haddingtonshire. Sie würde ihre Familie hin und wieder besuchen können. »Danke.« Mehr brachte sie nicht heraus.
»Alles Gute für Sie.« Dr. Wright nickte ihr zu.
Allem Anschein nach war längst entschieden, dass sie zukünftig in der Heimat arbeiten würde. Bonnie trat aus dem Raum und atmete, nachdem sie die Tür geschlossen hatte, tief ein. Wieder brannten ihre Augen, wie am Morgen, als sie Archies unverkennbar raue Stimme vernommen hatte. Archie. Im Laufschritt stürzte sie den Gang entlang und lief in das Krankenzimmer der schottischen Soldaten. Statt unangemessenen Sprüchen und grimmigen Blicken empfingen sie Gesichter, die bei ihrem Anblick lächelten. Bonnie ging an den anderen Betten vorüber und auf das ihres Bruders zu.
Archie lag auf dem Rücken und schien zu schlafen. Als sie sich auf den Rand der Matratze setzte, griff seine Hand nach ihrer. Langsam öffnete er sein unverletztes Auge und betrachtete sie.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
»Will die ganze Zeit meinen Arm bewegen, bis mir schließlich einfällt, dass er irgendwo in französischem Schlamm verrottet.«
»Das klingt furchtbar, Archie«, tadelte sie ihn.
»Stimmt aber nun mal. Wahrscheinlich haben schon Fliegen ihre Eier drin abgelegt und in Kürze wird er zu einem Festmahl für die Maden werden.«
Bonnie schüttelte sich. »Ist ja auch egal. Ich habe jedenfalls großartige Nachrichten: Ich werde euch begleiten!«, platzte es aus ihr heraus.
Stöhnend schob er den Oberkörper hoch. »Wohin?«
»Nach Hause natürlich. So wie es aussieht, werde ich für den Rest des Krieges nach Edinburgh versetzt.«
Archie presste die Zähne aufeinander und fixierte einen imaginären Punkt an der Wand. »Diese Mistkerle lassen mich nicht zurück.«
Bonnie war sich sicher, dass es keine Frage, sondern eine Feststellung war. »Dein Einsatz ist vorbei, Soldat.« Mit der Hand fuhr sie über eins seiner Beine, die sich unter der dünnen Decke abzeichneten.
»Dann komm du auch mit nach Hause«, stieß er hervor.
»Mir stehen noch zwei Wochen Urlaub zu, die werde ich nehmen, um dich die erste Zeit daheim zu versorgen. Danach werde ich nach Edinburgh gehen.«
»Hast du nicht inzwischen genug Bettpfannen geleert?« In seiner Stimme lag Spott. Archie war verletzt, das spürte Bonnie. Nicht der fehlende Arm war das Problem, sondern sein Geist.
Sie ignorierte den Spruch über ihre Arbeit und lächelte. »Du kennst unseren Pakt. Es ist noch nicht vorbei.«
»Ich habe ihn bereits gebrochen.« Seine Lippen wurden schmal und sein Blick wurde noch fester.
»Das hast du nicht, das war höhere Gewalt. Und jetzt kommst du nach Hause und tust, was es dort zu tun gibt. Die anderen werden dich brauchen.«
»Ich habe wohl keine andere Wahl.« Frustration zeichnete sich auf Archies Gesicht ab, doch offensichtlich waren ihre Worte zu ihm durchgedrungen.
Erleichterung machte sich in Bonnie breit. Sie hatte schon befürchtet, Archie notfalls eine Beruhigungsspritze verpassen zu müssen, um ihn bewusstlos nach Norden zu bringen. »Vermutlich geht es schon übermorgen los. Dann werden sie euch dort noch etwas im Krankenhaus behalten und anschließend nach Hause schicken.«
Ihr Bruder ließ den Blick über seine Kameraden schweifen. »In alle Winde verstreuen werden wir uns. Nach all der Zeit«, flüsterte er. »Kannst du uns was zum Schreiben organisieren, damit wir unsere Adressen austauschen können? Auch wenn wir uns vermutlich nie wiedersehen werden, erscheint es mir richtig.«
»Das mache ich natürlich.« Bonnie sah auf das Bett neben ihm, das Connor gehörte.
Dieser schien das Gespräch zu verfolgen und runzelte die Stirn. Beinahe enttäuscht stellte sie fest, dass Connor das Rasierzeug tatsächlich benutzt hatte. Die rostroten Bartstoppeln, die vorhin noch in Kontrast zu seinem hellbraunen Haar gestanden hatten, waren verschwunden. Ihr Blick streifte die kräftigen Schultern, die sich unter seinem schlichten Hemd mit dem ausgefransten Kragen abzeichneten. Obwohl es November war, wies seine Haut eine Restbräune auf.
Sie selbst wurde nie braun, höchstens so rot wie ein gekochter Krebs. Aber für eine Frau galt es auch als unschicklich, braungebrannt zu sein. Ihre ältere Schwester Blaire scherte sich um diesen Umstand allerdings wenig und setzte sogar im Hochsommer keinen Hut auf. Doch Blaire war auch nicht rothaarig wie sie und musste keine Zunahme der Sommersprossen fürchten, so wie Bonnie. Abwesend sah sie auf den Knick in Connors Nasenrücken.
»Schau ihn nicht so an«, raunte Archie und zupfte an ihrer Schürze. »Ist unziemlich für ein Mädel, einen Mann so unverhohlen anzustarren.«
»Ich bin kein Mädchen mehr und ich starre nicht, sondern wollte nur sehen, ob er fiebert«, log Bonnie und legte die Handfläche auf die Stirn ihres Bruders. »Du jedenfalls hast noch immer leicht erhöhte Temperatur und das gefällt mir nicht.«
»Zu schade, dass deine Kräuter weit entfernt in unserem Haus sind.« Er lachte heiser auf.
Tee mit Birkenrinde wäre in diesem Fall das Richtige gewesen. Bonnie seufzte, stand auf und ging in die Mitte des Raums. »Ich habe jetzt Feierabend und komme erst morgen früh wieder. Ich konnte die Nachtschwester überzeugen, euch zu versorgen. Es kostet mich eine Flasche Gin, damit sie sich hier hinein traut, also benehmt euch gefälligst.« Streng sah sie von einem zum anderen. »In ein paar Tagen fahren wir zusammen nach Hause und ihr müsst sie ihre Arbeit machen lassen. Wer Wundbrand bekommt, bleibt hier.«
Zustimmendes Brummen war aus den Betten zu vernehmen, und Archie grinste sie an.
Ja, nicht nur ihr Bruder hatte die Fähigkeit, sich durchzusetzen. Zweieinhalb Jahre täglichen Umgangs mit Soldaten hatten ihr Selbstvertrauen herausgefordert und gestärkt. Das würde auch Archie noch zu spüren bekommen, vermutete Bonnie. Nach all der Zeit würden sie ihre Beziehung neu ordnen müssen, zweifelsohne hatte ein jeder von ihnen sich verändert. Doch für heute war sie einfach froh, ihn lebend vor sich zu sehen und ihn ihrer Ma zurückbringen zu können.
Der Wind fuhr durch ihre Haare, und Bonnie atmete die belebend kühle Luft ein. Da sie im Krankenhausgebäude in einem der Schwesternzimmer lebte, gab es wenig Gelegenheit, es zu verlassen. Mit dem Fahrrad nach jeder Schicht eine Runde durch Chelsea zu drehen, war zu einem alltäglichen Ritual für sie geworden, sofern das Wetter es zuließ. War es zu windig, ging sie stattdessen auf dem Gelände des St. Mark’s College spazieren, auf dem das Second London General Hospital zum Kriegsbeginn 1914 eingerichtet worden war. Leider gelang es ihr nicht immer, die Gedanken an ihre Arbeit während der Fahrt abzuschütteln. Heute war wieder einer dieser Tage, an dem sie kaum zum Verschnaufen gekommen war. Bonnie sehnte sich nach Wasser und Seife, um die Spuren der Schicht von ihrer Haut zu waschen. Wenigstens hatte es heute nicht nach Tod gerochen. Daran würde sie sich nie gewöhnen.
Sie trat ein wenig schneller in die Pedale und genoss das Gefühl, die King’s Road geradezu entlangzusausen. Ihre Kolleginnen in den Feldlazaretten mussten diesen Geruch täglich ertragen. Das Schlimmste an Bonnies Arbeit war, wenn die Ambulanzzüge mit den Massen an Verwundeten hereinrollten. Um diese schneller entladen zu können, war zu Beginn des Krieges die Westseite des Gebäudes teilweise eingerissen worden, um einen direkten Zugang zur Plattform des Chelsea Bahnhofs zu ermöglichen. Die Männer kamen meist aus Frankreich und Belgien und an ihren Kleidern haftete noch der Schlamm der Front, der die furchtbaren Verwundungen überdeckte und oft verschlimmerte. Wer einigermaßen transportfähig war, wurde auf dem Festland umgehend auf ein Schiff verladen und dann in einen der langen Züge gepackt, um sie schnellstmöglich in britische Krankenhäuser zu bringen. Oft genug waren die Verletzungen schwerwiegender als gedacht; entsprechend häufig war es zu spät für eine rettende Operation.
Bonnie konnte sich kaum ausmalen, wie furchtbar die Zustände in den Feldlazaretten waren und wie hilflos sich die Schwestern angesichts der Flut an verletzten Männern fühlen mochten. Was sie hier in London zu sehen bekamen, war nur die Spitze des Eisbergs. Die Anzahl der Betten hatte während der Kriegsjahre zugenommen, und so verfügte das Second London General Hospital inzwischen über einhundertsiebzig Betten für Offiziere und ganze neunhundertvierundsiebzig für Soldaten. Natürlich kannte Bonnie die Zahlen genau, hatte sie doch miterlebt, wie es nach und nach mehr geworden waren, und noch wurden die Betten nicht wieder weniger.
Bonnie stand auf, um kräftiger in die Pedale zu treten. Ihre Gedanken wanderten zurück zu der Zeit, als sie den Entschluss gefasst hatte, nicht in Foxgirth zu bleiben, sondern sich wie ihre Brüder freiwillig zu melden und in die Ferne zu ziehen. Jedoch hatte sie ihrer Ma damals versprechen müssen, nicht auf dem Festland an der Front zu arbeiten. Und wie immer war Archie derjenige gewesen, der in dieser Sache das letzte Wort gehabt hatte. Alleine, dass sie Schottland verließ, um in London zu helfen, dürfte ihm nicht gepasst haben. Doch als Bonnie die Bewerbung schrieb, waren ihre Brüder längst in Frankreich gewesen. Dabei war sie eine erwachsene Frau, und doch hatte er sich in den Wochen, bevor die Brüder aufgebrochen waren, aufgeführt, als sei sie noch immer das kleine Mädchen, das er früher auf seinem Rücken getragen hatte. Gerade so, wie er es vorhin schon wieder gemacht hatte. Trotzdem hatte Bonnie sich durchgesetzt und getan, was sich richtig angefühlt hatte. Sie hatte geglaubt, dass es hier in der Hauptstadt Englands mehr Verwundete und daher auch mehr Bedarf an Schwestern wie ihr geben würde. Wenn sie den Truppen schon nicht aufs Festland hatte folgen können, hatte sie wenigstens an den Ort in Großbritannien gewollt, wo sie am meisten von Nutzen sein konnte. Doch längst waren vielerorts Krankenhäuser wie dieses eröffnet worden, um den nicht enden wollenden Strom an Verletzten zu versorgen. Gut möglich, dass es wirklich an der Zeit war, ihrer Berufung wieder in der Heimat nachzugehen, nach der sie sich regelmäßig sehnte.
Ihr Umzug nach London damals war nicht das erste Mal gewesen, dass Bonnie für ihre Leidenschaft eingetreten war. Die gute Ausbildung, die ihr in Edinburgh zuteilgeworden war, hatte vor Jahren kurzzeitig den Familienfrieden bedroht. Dass sie dafür unbedingt in die Stadt gehen wollte, hatte Archie seinerzeit ebenfalls nicht behagt. Es war eines der wenigen Male gewesen, in denen sich der ältere Keillan gegen Archie aufgelehnt und Bonnie bei ihrer Entscheidung unterstützt hatte. Natürlich hatte Bonnie ihre Familie und Foxgirth während der Ausbildung am Queen Victoria Jubilee Institut for Nurses schmerzlich vermisst, so wie jetzt auch. Dennoch hatte Bonnie nur ein Ziel gehabt: sich so viel Wissen als Krankenschwester anzueignen wie irgend möglich. Die beste Schule dafür war nun mal in Edinburgh gewesen und so hatte Bonnie getan, was für ihren Traum nötig war.
Ihr Gedankenkarussell gelangte wieder in der Gegenwart an. Und in dieser lag Archie, als wäre es ein schlechter Witz des Schicksals, in ihrem Krankenhaus und hatte die Hälfte seiner Spannweite eingebüßt. Aber er lebte immerhin.
Bonnie sprang ab und schob das Fahrrad neben die Tür. Mit müden Beinen stieg sie die Treppe bis in den dritten Stock zu den Schwesternunterkünften hinauf. Die alten Holzstufen quietschten bei jedem Schritt. Schon im Flur empfing sie der Geruch nach Abendessen. Jetzt erst bemerkte sie, wie sehr ihr Magen inzwischen erneut nach Nahrung verlangte. Aber vorher musste sie sich waschen und diese schrecklich ausladende Tracht mit den Spuren des Tages loswerden. Leise öffnete Bonnie die Tür zu dem Zimmer, das sie sich mit Juliana und Meredith teilte, und schlich hinein. Die Vorhänge waren zugezogen und Bonnie erkannte nur die Umrisse der Möbel, doch da es bereits dämmerte, machte es keinen Sinn, diese zu öffnen. Rasch entzündete sie eine Öllampe auf ihrem Nachttisch. Gleich darauf erhellte ein zuckendes Licht den Raum.