Take me down under: Tasmanien im Herzen - Raik Thorstad - E-Book

Take me down under: Tasmanien im Herzen E-Book

Raik Thorstad

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine traurige Nachricht vom anderen Ende der Welt führt Vince nach langer Zeit auf die heimatliche Kirschplantage in Tasmanien zurück. Dort erwartet ihn nicht nur die eine oder andere Katastrophe, sondern mit seinem Ziehbruder Jamie auch seine Vergangenheit, die ihn nie wirklich losgelassen hat. Trotz der Kluft, die nicht nur durch die Jahre der Trennung zwischen ihnen entstanden ist, müssen sich die beiden Männer zusammenraufen, um das zu retten, was sie lieben. Schon bald muss Vince sich fragen, ob das auch Jamie mit einschließt und ob es für sie eine zweite Chance geben kann. Doch wie soll Vince ihm noch einmal vertrauen, nachdem Jamie ihn damals im Stich gelassen hat? Aber vielleicht trägt Vince nicht nur Tasmanien im Herzen, sondern nach wie vor auch Jamie...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 743

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Deutsche Erstausgabe (ePub) Oktober 2019

© 2019 by Raik Thorstad

Verlagsrechte © 2019 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

ISBN-13: 978-3-95823-782-7

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem den Autor des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber seiner Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane des Autors und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

Klappentext:

Eine traurige Nachricht vom anderen Ende der Welt führt Vince nach langer Zeit auf die heimatliche Kirschplantage in Tasmanien zurück. Dort erwartet ihn nicht nur die eine oder andere Katastrophe, sondern mit seinem Ziehbruder Jamie auch seine Vergangenheit, die ihn nie wirklich losgelassen hat. Trotz der Kluft, die nicht nur durch die Jahre der Trennung zwischen ihnen entstanden ist, müssen sich die beiden Männer zusammenraufen, um das zu retten, was sie lieben. Schon bald muss Vince sich fragen, ob das auch Jamie mit einschließt und ob es für sie eine zweite Chance geben kann. Doch wie soll Vince ihm noch einmal vertrauen, nachdem Jamie ihn damals im Stich gelassen hat? Aber vielleicht trägt Vince nicht nur Tasmanien im Herzen, sondern nach wie vor auch Jamie...

Danksagung

Mit von einem Herzen kommenden Dank an all die lieben Helferlein da draußen, die auf kleine oder große Weise dafür gesorgt haben, dass dieses Buch das Licht der Welt erblickt.

Besonders hervorgehoben sei Freddy, die uns aus unserer Titelmisere erlöst hat und nicht nur diesem Buch, sondern auch mindestens einem folgenden mit ihrer Idee einen Namen gegeben hat. Vielen Dank für deinen Einsatz!

Und – weil ich's kann – danke an die australische Fauna, weil sie einfach die schönste der Welt ist und ich sonst nie Gelegenheit haben werde, mich persönlich bei einem Schnabeltier zu bedanken.

Du bist mein Blutsbruder, liebes Schnabeltier. Du legst Eier und säugst deine Jungen, du hast einen Schnabel und trotzdem ein Fell, einen Biberschwanz und trotzdem einen Giftdorn. Du beweist jeden Tag, dass man aus zwei Welten stammen und dennoch eine grandiose Einheit sein kann.

#schnabeltieresindbestimmtbigender

Prolog

Es waren sieben Jahre vergangen. Sieben Jahre, in denen er nicht die Kirschblüte miterlebt hatte. Sieben Jahre, in denen er nicht durch den Regenwald gestromert war. Sieben Jahre ohne Heimkehr. Und nun dies.

Vince legte das Smartphone so behutsam auf den Tisch, als könnte es explodieren, wenn es zu starker Erschütterung ausgesetzt wurde. Ganz falsch war das nicht, auch wenn keine Feuerlohe daraus hervorsteigen würde, sondern allenfalls ein Regenschauer aus Glassplittern. Er hätte wirklich eine Schutzfolie aufziehen sollen. Im Nachhinein war man immer klüger – und vorher geizig.

Ein zittriger Atemzug entfuhr ihm, als er die Ellbogen auf den Tisch stützte, die Fingerspitzen an die Schläfen legte und auf das gesprungene, dunkle Display starrte.

Sieben Jahre.

Inzwischen war er fast dreißig, hatte weit mehr von der Welt gesehen, als er sich je hätte vorstellen können, und war um etliche Erfahrungen reicher. Auf manche hätte er gern verzichtet, aber hieß es nicht immer, dass man an jeder Erfahrung wuchs, egal, ob gut oder schlecht? Oder verwechselte er das mit Werbung, die sich angeblich immer lohnte, solange sie nur Aufmerksamkeit erzeugte?

Eine Erschütterung ging durch die Tischplatte. Anfangs glaubte Vince, dass sich sein inneres Beben auf das Holz übertragen hatte. Dann fiel ihm auf, dass auch der Rest des Gebäudes wackelte und das Fenster vibrierte. Der alltägliche Verkehrslärm von draußen war verflucht laut, aber er hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass er es manchmal nicht einmal bemerkte, wenn ein schwerer Lastwagen das alte Mehrfamilienhaus in Schwingung versetzte.

In den ersten Wochen war er nachts aus dem Schlaf hochgefahren, wenn sich frühmorgens die ersten Schwerlasttransporter durch die viel zu enge Straße quetschten. Monmouth war eine alte Stadt, die ihre enge Baustruktur über die Jahrhunderte beibehalten hatte. Das machte das walisische Städtchen neben vielen anderen Vorzügen ausgesprochen charmant, aber nicht eben verkehrsfreundlich.

Er würde Monmouth vermissen. Nicht so sehr wie Wayatinah, aber immer noch genug.

Vince kniff die Fingernägel in die Schläfen, um zu sich zu kommen. Der scharfe Schmerz machte ihm das hohle Gefühl in seiner Brust nur umso bewusster.

Sieben Jahre waren viel Zeit. Vielleicht nicht genug. Aber gleichzeitig viel zu viel, wenn man jemanden, der einem wichtig war, so lange nicht gesehen hatte.

Er musste Vorbereitungen treffen, packen, sich kümmern. Es gab keine Alternative, auch wenn ein Teil von ihm sich wie ein kleiner Junge unter dem Tisch verstecken wollte, am besten mit einer Decke als Vorhang, wie er es als Kind so gerngehabt hatte. Eine warme Dunkelheit konnte ungeheuer gut trösten, wenn draußen der Sturm heulte, man allein war und sich fürchtete.

Mit einem Seufzen schob Vince das Smartphone in die Seitentasche seiner Anzugjacke und stand auf, um in die Küche zu gehen.

Gordon saß wie so oft auf der Arbeitsplatte und spielte auf seinem uralten Game Boy erster Generation. Seine Beine baumelten vor dem Loch hin und her, wo sich einmal die Tür zum Mülleimer befunden hatte. Sie war vor einer Weile rausgebrochen, bei irgendeiner Party.

Die Mikrowelle lief und es stank nach einem asiatischen Fertiggericht, das den Namen nicht verdiente. Weder asiatisch noch Gericht, denn dann hätte man glauben können, dass die widerliche Pampe tatsächlich essbar war.

Vince klopfte an den Türrahmen. »He.«

Gordon nickte, um ihn wissen zu lassen, dass er ihn gehört hatte, sah aber nicht auf. Aus dem Game Boy erklang das monotone Pling-Pling eines Marios, der graue Münzen sammelte.

»Ich muss nach Hause«, sagte Vince und wunderte sich, dass seine Stimme glatt und sicher wie eh und je klang.

»Da hast du dir ja ganz schön was vorgenommen. Gibt's einen besonderen Grund?« Gordon verzog den Mund – wahrscheinlich hatte er ein 1-up verpasst.

Vince trommelte mit den Fingern gegen den Türrahmen. »Meine Mutter ist gestorben.«

Nun sah Gordon doch auf, den breiten Mund unvorteilhaft aufgerissen und die Augen weit. »Schon wieder?«

Es wäre zum Lachen gewesen, wenn das hohle Gefühl nicht im Begriff gewesen wäre, Vince von innen aufzufressen. »Nicht meine leibliche Mutter. Die andere.«

Der Game Boy gab ein Geräusch von sich, das verriet, dass Super Mario ebenfalls seinen letzten Gang angetreten hatte. Normalerweise hätte Gordon geflucht oder Vince angepfiffen, weil er ihn gestört hatte. Doch dieses Mal ignorierte er das Gerät und sagte: »Tut mir leid, Mann.«

Gordon war ein guter Freund. Meistens. Manchmal. Fein, er war vermutlich Vince' einziger Freund und damit naturgemäß auch der beste. Und in diesem Moment war er vor allem anderen seine einzige Hoffnung.

»Ich brauche Geld«, gestand er tonlos. »Eine Menge Geld.«

Gordon rieb sich mit der Hand über das Gesicht. »Wie viel ist eine Menge?«

Vince hatte nachgesehen. Wenn er es eilends nach Cardiff schaffte, konnte er in zwei Tagen zu Hause sein. Falls alle Flüge pünktlich abhoben, hieß das. Falls es keine Schwierigkeiten gab, wenn er das Land verlassen wollte. Es gab eine Menge Unwägbarkeiten, aber auf die konnte er sich nicht versteifen. Sonst würde er nicht aus dem Haus gehen.

Er schluckte und senkte den Blick zum verkratzten Küchenfußboden. »Tausend. Besser tausendzweihundert.«

»Und wie viel hast du?«

»Fünfzig?« Wenn es hochkam.

Gordon stieß ein merkwürdiges Geräusch zwischen Lachen und Ächzen aus. »Was mit deinen Kreditkarten ist, brauch ich dich gar nicht erst zu fragen, oder?«

Vince schloss die Augen. »Nein, und zwar so gar nicht.«

»Tja. Scheiße, Mann.«

Das Schweigen war lang und bitter. Und vielleicht hoffte der Dreckskerl in Vince sogar, dass Gordon ihm den Mittelfinger zeigen und ihn wegschicken würde. Dann hätte er einen Grund, sich doch noch unter den Tisch zu setzen und vor sich hin zu heulen, statt Reisevorbereitungen zu treffen.

Aber natürlich kam er nicht so leicht vom Haken.

»Okay. Ich kann die Kohle besorgen, denke ich. Und ich fahre dich nach Cardiff, wenn du willst. Aber dafür bekomme ich deinen Laptop. Und deine Lederjacke, die du mir nie leihen willst.«

Vince versuchte zu ergründen, ob er erleichtert oder enttäuscht war. Er gab rasch wieder auf. »Danke. Du kriegst es wieder.«

»Nein, tu ich nicht. Deshalb will ich ja deinen Kram, du Penner.« Man konnte Gordon alles Mögliche vorwerfen, aber eines war er nicht: ein Träumer.

Kapitel 1

Vince liebte das Fliegen. Nein, er liebte es überhaupt, unterwegs zu sein. Es musste nicht unbedingt ein Flugzeug sein, auf dessen Abheben er wartete. Das Losruckeln eines Zugs oder das sanfte Abdrehen einer Fähre vom Pier war genauso gut. Oder das Gefühl, mit einem gemieteten Cabrio oder Jeep eine Landstraße entlangzubrausen, die Musik laut aufgedreht und ohne zu wissen, was ihn hinter dem nächsten Hügel erwartete.

Das Reisen hielt ihn in der Spur, erdete ihn, gab ihm Kraft.

Doch dieses Mal war es anders. Der Fluggesellschaft konnte er keinen Vorwurf machen. Sämtliche Flüge hatten pünktlich abgehoben. Aber selbst für Vince' Reiselust und Freude am Dröhnen der Triebwerke waren vier Umstiege in knapp vierzig Stunden zu viel des Guten. Von Cardiff war er abgeflogen und Hobart kannte er zur Genüge. Dasselbe galt für Melbourne und London, aber dass ihm in Abu Dhabi nicht genug Zeit geblieben war, um kurz die Nase aus dem Flughafengebäude zu strecken und das Flair des Persischen Golfs zu genießen, deprimierte ihn.

Wann würde er schon noch einmal die Gelegenheit erhalten, sich die beeindruckende Skyline anzusehen und durch die orientalisch geprägte und trotzdem fast futuristisch wirkende Innenstadt zu schlendern?

Doch für Bedauern oder Wehmut war es zu spät. Der Landeanflug stand kurz bevor. Sie zogen eine letzte Schleife vor der Küste. Nur noch wenige Augenblicke, dann würde sich das Flugzeug zur Seite neigen und… da war sie. Seine Heimat. Ein grüner Fleck inmitten des Ozeans. Das grüne Paradies Australiens, das über das rot verbrannte Outback nur spotten konnte.

Vince stockte der Atem und zum ersten Mal, seitdem er die knapp formulierte E-Mail auf seinem Smartphone entdeckt hatte, fühlte sich etwas richtig an. Und das wiederum war ganz und gar falsch.

Der Sinkflug schüttelte die kleine Maschine kräftig durch. Vince' Sitznachbarin – eine ältere Frau, die ihn an eines der Golden Girls erinnerte – wurde bleich und murmelte, dass man offensichtlich mal wieder einen Flugschüler ins Cockpit gelassen hatte.

Vince konnte sein Grinsen nicht rasch genug verbergen und fing sich einen finsteren Blick ein. Aber woher sollte die Lady auch ahnen, dass sie ihn unwissentlich an Gordons Abschiedsworte erinnert hatte?

»Tja, dann mach's mal gut, was? Und denk dran, den Finger schon mal am Sauerstoff zu haben, wenn du in den Bumsbomber nach Tasmanien steigst. Weiß ja jeder, dass sie nur die abgewrackten oder ganz jungen Piloten Kurzstrecke fliegen lassen.«

Obwohl es ein warmer Sommertag Ende August gewesen war, hatte er stolz Vince' ehemalige Lederjacke zur Schau getragen und zum Abschied grinsend den Kragen aufgestellt.

Vince würde Gordon, den struppigen Paradiesvogel, den er vor knapp zwei Jahren während einer Kneipentour durch Stockholm kennengelernt hatte, wirklich vermissen. Ihn und seine Lederjacke. Den Laptop nicht. Der hatte sowieso schon auf dem letzten Loch gepfiffen. Aber das hatte er Gordon nicht verraten.

Auf der Südhalbkugel war immer noch Winter, aber es sollte nicht mehr lange dauern, bis sich der Frühling ankündigte, den Schnee im Inland schmolz und das Grün im ganzen Land dazu ansetzte, jeden Meter Boden zu erobern, der sich bisher gegen es zur Wehr gesetzt hatte.

Nur Susan würde nicht mehr da sein.

Nicht zum ersten Mal, seitdem er Monmouth hinter sich gelassen hatte, brannten Vince' Augen. Es fielen keine Tränen – dafür war er zu müde –, aber seine Wangen spannten trotzdem unter ihrem Gewicht.

Ich komme nach Hause, Susan, sagte er sich zum wiederholten Mal. Und Es tut mir leid, dass ich zu spät bin.

Letztendlich war es das, was ihm zu schaffen machte. Nicht die Umstiege oder die vielen Stunden in der Holzklasse. Susan war fort und er hatte nicht von ihr Abschied nehmen können. Genauso wenig wie von seiner leiblichen Mutter. Und bei beiden blieb nichts als Schmerz und ein vages Gefühl von Ungerechtigkeit zurück.

Gut, Vince' Mutter war bei ihrem Tod deutlich jünger gewesen als Susan. Nicht einmal zweiunddreißig Jahre hatte sie gezählt, als ein betrunkener Tourist die Kontrolle über seinen Caravan verloren und sie in ihrem Kleinwagen frontal gerammt hatte. Vince hatte sich später oft vorgebetet, dass es einfach ein Unglück gewesen war. Überflüssig, grausam für einen Elfjährigen, der allein zurückblieb, und zum Schreien ungerecht, aber ein Unglück, und vor denen war niemand und zu keiner Zeit seines Lebens sicher.

Aber Susan… Das war eine ganz andere Angelegenheit. Auch sie war eindeutig zu jung gewesen, um zu gehen – fünfundfünfzig war ein genauso mieses Alter wie einunddreißig –, aber in ihrem Fall war es ihr Körper gewesen, der abgeschaltet hatte. Von einem Tag auf den anderen.

Oder doch nicht?

Vince wusste es nicht und es wäre gottverdammt noch mal seine Aufgabe gewesen, Bescheid zu wissen. Susan hatte alles für ihn getan. Sie hatte ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, ein Zuhause gegeben, als er eines gebraucht hatte, hatte seine Eskapaden mit ihm ausgestanden und am Ende sogar hingenommen, dass er sie im Stich ließ.

War sie krank gewesen? Hatte es Anzeichen gegeben? Hatte er sie bei einem ihrer letzten Telefonate gefragt, wie es ihr ging?

Die Mail hatte keine seiner Fragen beantwortet. Mom hatte einen Schlaganfall. Trauerfeier und Beisetzung in drei Tagen. Komm her oder lass es bleiben. Dazu die Uhrzeit und die Adresse des Bestattungsinstituts.

Natürlich hätte er nach Einzelheiten fragen können, aber er hatte die E-Mail nicht beantwortet. Was hätte er schreiben sollen? Dass es ihm leidtat? Dass er da sein wollte, obwohl er nicht versprechen konnte, dass er es schaffte? Oder hätte er bei jeder Zwischenlandung eine Rückmeldung geben sollen? Hab jetzt Übergang in Melbourne. Stehe gerade auf dem Flughafen von Abu Dhabi und trinke Kaffee. Jamie hätte ihn wahrscheinlich blockiert.

Eine Windböe erfasste das Flugzeug und schüttelte es durch. Dann neigte sich seine Nase.

Vince' Herz tat einen aufgeregten Hüpfer. So ging es ihm jedes Mal, wenn er einen Flughafen ansteuerte. Er machte den Hals lang, suchte nach dem Delta des Derwent River, nach der türkisfarbenen Bucht vor dem Flughafengelände, nach dem Grün des Golfplatzes. Wieder ein Schlenker, ein Rucken und die Landebahn lag unter ihnen.

Ein paar flatterige Atemzüge später setzten sie auf und er war wieder dort, wo seine Reise begonnen hatte.

Sobald Vince sein Gepäck abgeholt hatte, suchte er eine der Toiletten des Flughafens auf, wusch sich hastig und wechselte die Kleidung. Sein Anzug war nicht schwarz, sondern dunkelgrau, aber er hatte die Reise besser überstanden, als Vince zu hoffen gewagt hatte. War es wirklich keine drei Tage her, dass er den Anzug von der Reinigung geholt und sich äußerlich wie innerlich auf ein Bewerbungsgespräch vorbereitet hatte, nur damit im letzten Moment sein Smartphone piepsen musste?

Die Trauerfeier und die Beisetzung fanden in Hobart statt. Hier war Susan geboren worden, hier lag Barega begraben. Es war nur richtig, dass sie an seiner Seite ruhen würde. Abgesehen davon waren die Möglichkeiten begrenzt, wenn man in einem winzigen Dorf lebte, dessen Campingplatzbesucher im Sommer die Anzahl der Einwohner um ein Vielfaches überstiegen. Wayatinah hatte keinen eigenen Friedhof, erst recht kein Krematorium, und dasselbe galt für die meisten Städte im Umkreis. Da war es leichter, die Trauerfeier in der knapp eineinhalb Stunden entfernten Hauptstadt abzuhalten.

Apropos Dorf: Hobart mochte als Großstadt gelten, aber ihr öffentliches Verkehrssystem war genauso schlecht ausgebaut wie auf der restlichen Insel. Früher hatte Vince sich nicht daran gestört, aber nachdem er London und Berlin mit ihren omnipräsenten, niemals schlafenden U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen kennengelernt hatte, fühlte er sich irgendwie gestrandet, als er das Flughafengebäude verließ.

Er seufzte und schob fröstelnd die Hände in die Hosentaschen. Die Reisetasche hing ihm wie ein unförmiger Sack über der Schulter und sein altersschwacher Rollkoffer geriet bei jeder Unebenheit ins Schlingern.

Vince steuerte auf das erste Taxi in der sehr kurzen Reihe zu. Die Fahrt in die Stadt würde ihn eines großen Teils seiner restlichen Barschaft berauben. Darüber, was nach der Bestattung kommen würde, dachte er lieber gar nicht erst nach.

Nachdem er sein Gepäck in den Kofferraum geladen hatte, stieg er ein und wurde von einem breiten Lächeln begrüßt. Seine Fahrerin war eine sportliche Frau in ihren Vierzigern oder Fünfzigern, die ihr dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden trug.

»Willkommen auf Tassie«, sagte sie quirlig. »Einen guten Flug gehabt? Wo darf es denn hingehen?«

Vince nannte ihr die Adresse im alten Teil Hobarts. Daraufhin zog sie eine betroffene Miene und ihr Tonfall verlor etwas von seiner Lebhaftigkeit. »Oh, verstehe. Eine Bestattung, ja? Hast du noch etwas Zeit? Es wird sich unterwegs ein bisschen stauen, fürchte ich.«

Vince sah auf die Uhr seines Handys – der Akku war so gut wie leer – und nickte. »Noch eine ganze Weile sogar. Der Flieger war überpünktlich.« Ihm blieben noch über zwei Stunden bis zur Trauerfeier in der Kapelle. Und er hatte sich immer noch nicht entschieden, ob er daran teilnehmen oder doch lieber erst auf dem Friedhof zur Trauergemeinde stoßen wollte.

»Dann ist es ja gut.« Mit einem Seitenblick auf ihn fuhr sie an, die Hände fest um das Lenkrad geschlossen. Nachdem sie sich in den Verkehr auf der Hauptstraße eingefädelt hatte, meinte sie: »Dein erster Besuch auf unserer schönen Insel? Wenn ja, täte es mir leid, wenn er von einem so traurigen Anlass überschattet wird.«

Vince stutzte, war im ersten Moment sogar auf schwer fassbare Weise beleidigt. Aber woher sollte die Taxifahrerin es besser wissen?

»Nein, ganz im Gegenteil. In Tassie geboren und aufgewachsen. Aber im Zentrum, nicht hier an der Küste.«

»Oh! Huh. Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.«

»Wieso?«

Sie hob eine Hand vom Steuer und bewegte sie unstet in der Luft. »Ich weiß auch nicht. Du klingst gar nicht, als wärst du von hier. Ich hätte auf einen Briten getippt.« Wieder betrachtete sie ihn von der Seite, dann schien sie sich selbst zuzunicken. »Ja, ein waschechter Brite.«

Vince rang sich ein halbherziges Lächeln ab. »Tja, dann war ich wohl wirklich zu lange dort. Ich komme gerade aus Wales.« Und war es nicht kurios? Jahrelang hatte man ihn auf der halben Welt für seinen breiten australischen Akzent aufgezogen und nun hatte er ihn abgestreift, ohne es auch nur zu bemerken.

»Mach dir nichts draus, Kumpel. Ich geb dir zwei Tage, dann hörst du dich wieder wie einer von uns an.«

Vince grinste pflichtschuldig, erwiderte jedoch nichts. Fragte auch nicht, wie sie darauf kam, dass er bleiben würde. Wahrscheinlich gehörte sie denjenigen an, die sich nicht vorstellen konnten, die Insel auf Dauer zu verlassen. Aber sie arbeitete – und lebte vermutlich auch – in Hobart. Er hingegen war an einem Ort aufgewachsen, den selbst die berühmten sieben Zwerge hinter den sieben Bergen ohne Google Maps nicht finden würden. Und außerdem war sie bestimmt normal. Er nicht.

Klar, jeder Mensch unterschied sich in irgendeinem Punkt von seinem Nachbarn. Kollegen. Was auch immer. Aber je kleiner eine Bevölkerung war, desto problematischer wurde es, wenn die eigene Andersartigkeit ein Kuriosum darstellte. Dann konnte man sich nur damit abfinden – oder einen Ort suchen, an den man besser passte.

Vince konnte nicht von sich behaupten, diesen Ort bereits gefunden zu haben, aber er war auf einem guten Weg gewesen. Ja, das war er ganz sicher. Und wenn nicht, dann hatte er doch jede Menge Erfahrungen gesammelt und dabei herausgefunden, was er alles nicht wollte.

Auf der Brücke über den Derwent hatte es einen Unfall gegeben, sodass sich der Verkehr wie angekündigt staute. Dadurch fiel die Fahrt länger und damit teurer aus, als Vince sich erhofft hatte. Doch schließlich fuhren sie durch das Friedhofstor und hielten vor dem angeschlossenen Institut. Er zahlte, die Fahrerin wünschte ihm alles Gute und einen Augenblick später fand er sich allein mit seinem Gepäck auf dem Parkplatz wieder.

Ein eisiger Wind kam von der Bucht her. Wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte er in einiger Entfernung die ersten Grabreihen erkennen. Das letzte Mal, dass Vince hier gewesen war, war Jahre her, zur Bestattung seines Adoptivvaters Barega; jenem stillen Koloss von einem Mann, der ihm vielleicht nie direkt ein Vater, aber doch ein enger Freund und ein wertvolles Vorbild gewesen war.

Barega war nicht so schnell und überraschend gegangen wie Susan und Vince' leibliche Mutter Judy. Stattdessen hatte er gekämpft wie ein Löwe, aber die Ärzte hatten es einfach nicht rechtzeitig geschafft, ein Antibiotikum zu finden, auf das die Bakterien in seiner Lunge ansprachen.

Erneut fröstelte Vince. Manchmal fragte er sich, ob es an ihm lag. Ob ihn jemand verflucht hatte, dass ihn seine Bezugspersonen alle nach und nach und viel zu früh verließen. Nun war kaum noch jemand übrig, und der eine, der ihm geblieben war… Das war eine ganz eigene Geschichte.

Vince betrachtete die immergrünen Hecken, die sich um und über den gesamten Friedhof zogen, und spielte mit dem Gedanken, sein Gepäck dahinter verschwinden zu lassen. Wer erschien schon mit Koffer und Reisetasche zu einer Beerdigung? Aber dann fiel ihm ein, dass sie einen Großteil seines Besitzes enthielten und er sich kaum erlauben konnte, sie zu verlieren.

Denk nicht darüber nach. Denk überhaupt nicht in diese Richtung!

Er rückte seine Krawatte zurecht, nahm seine Habseligkeiten und näherte sich dem Eingang. Noch bevor er die Stufen betreten konnte, schwang die Tür auf. Ein älterer Mann in schwarzem Anzug trat ins Freie, unter dem Arm eine Vase mit einem Gesteck bunter Blumen.

Als er Vince bemerkte, lächelte er verbindlich. »Guten Tag. Kann ich behilflich sein?«

»Ich hoffe es«, erwiderte Vince. »Ich bin ein wenig früh dran, fürchte ich. Die Trauerfeier für Susan Headland?«

»Oh!« Der Mann neigte leicht den Kopf. »Gehören Sie zur Familie?«

»Ja.«

»Mein herzliches Beileid.« Es klang mechanisch und abgeschliffen vom häufigen Gebrauch, aber nicht unfreundlich. »Ich bin gerade auf dem Weg zur Kapelle, um letzte Hand an die Blumenarrangements zu legen. Sie befindet sich im hinteren Teil des Friedhofs. Wenn Sie möchten, können Sie mich gern begleiten.«

So viel zu der Frage, ob er an der Trauerfeier selbst teilnehmen würde. Doch er konnte schlecht erst in der Kapelle Zuflucht vor dem Wind suchen und dann kurz vor Beginn der Zeremonie wieder ins Freie schleichen.

Vince schluckte. »Das wäre mir recht, aber ich komme direkt vom Flughafen und…« Er deutete vielsagend auf sein Gepäck.

Der Bestattungsunternehmer zeigte erneut sein verbindlich-professionelles Lächeln. »Überhaupt kein Problem. Das bringen wir einfach in meinem Büro unter und Sie können es nach den Feierlichkeiten wieder abholen, Mr…«

»Lawson, Vince Lawson.« Und weil er zuvor gesagt hatte, dass er ein Angehöriger war, fügte er erklärend hinzu: »Susan Headland war meine Adoptivmutter.«

»Ich verstehe. Wie gesagt: Herzliches Beileid zu Ihrem Verlust.« Dieses Mal fiel die Beileidsbekundung etwas wärmer aus.

Stufe Zwo, für engere Verwandte, dachte Vince bissiger, als der Situation angemessen war.

Sie verstauten das Gepäck, bevor sie sich auf den leicht ansteigenden Weg zur Kapelle machten. Je weiter sie kamen, desto frischer wurde der Wind. Daher war Vince froh, als sie endlich ankamen und er sich in dem schlicht gehaltenen Innenraum wiederfand.

Der Anblick des Sargs inmitten eines Meers aus Blumen und mit Susans Foto auf dem Deckel traf ihn wie ein Schlag gegen den Kopf. Natürlich wusste er, warum er hier war, was geschehen war, aber… Nur ganz am Rande nahm Vince das geschnitzte Holzkreuz an der Wand oder die kleine Orgel wahr, die sich vorne links hinter einem Rednerpult versteckte. Es war alles so schrecklich unwichtig neben dem Wissen, wer dort in diesem wuchtigen Stück Holz lag und darauf wartete, zur letzten Ruhe gebettet zu werden.

Wieder brannten seine Augen, wieder wurde seine Kehle eng und wieder fragte etwas in ihm: Warum bist du nicht eher nach Hause gekommen? Du wusstest doch sowieso, dass es unabwendbar ist.

Er konnte das Aufschluchzen nicht länger im Zaum halten. Es brach sich mit Gewalt aus seiner Kehle frei und er bedeckte instinktiv die Augen mit der Hand, damit niemand seine Tränen sah.

Der Bestattungsunternehmer war auf einmal neben ihm, murmelte: »Kommen Sie.« Dann legte er Vince leicht die Hand unter den Ellbogen und führte ihn zu einem Stuhl. Es war der, der am weitesten außen in der letzten Reihe stand, halb verdeckt von der offenen Doppeltür.

Trotz der so plötzlich aufwallenden und überwältigenden Trauer empfand Vince Dankbarkeit für die Professionalität des namenlosen Bestatters. Bestimmt hatte er in seinem Berufsleben schon hundertmal erlebt, dass jemand angesichts des aufgebahrten Sargs die Fassung verlor. Oder jede andere vorstellbare und unvorstellbare Reaktion, die mit dem Verlust eines geliebten Menschen einherging.

»Hier.« Vince wurde etwas Weiches in die Hand geschoben. »Nehmen Sie sich Zeit. Kommen Sie zur Ruhe. Dafür sind wir letztendlich hier. Um uns zu verabschieden.«

Der Bestattungsunternehmer entfernte sich und sobald Vince allein war, putzte er sich mit dem Stofftaschentuch die Nase. Seine Augen trocknete er nicht. Es war fruchtlos, solange er sich nicht wieder im Griff hatte.

Für einen Moment dachte er darüber nach, sein Smartphone rauszuholen und Gordon anzurufen. Er sollte ihm ohnehin Bescheid geben, dass er gut angekommen war. Aber zum einen wäre ihm das pietätlos vorgekommen und zum anderen hatte er sowieso kein Netz, wie ihm mit Schrecken aufging. Sein Vertrag war auf Europa begrenzt.

Vince atmete durch den weit geöffneten Mund aus und hob den verschwommenen Blick zur milchig getünchten Decke der Kapelle.

Er wollte nicht behaupten, dass er sich der Endgültigkeit seiner Entscheidung bisher nicht klar gewesen wäre. Das konnte er nicht guten Gewissens, ohne sich zum Idioten zu machen. Aber erst jetzt dämmerte ihm tatsächlich, was er getan hatte.

Er war an jenen Ort zurückgekehrt, den er einmal als Gefängnis empfunden hatte. Aus dem er unbedingt hatte ausbrechen wollen. Und nun saß er hier und hatte nichts vorzuweisen. Keinen Job, keine Perspektive, keine Idee, wie es weitergehen sollte, kein Rückflugticket nach Europa oder auch nur nach Sydney oder Melbourne, aber dafür immerhin zwei ganze Taschen voller Klamotten, drei hoffnungslos überzogene Kreditkarten und ein schlechtes Gewissen von der Höhe des Mount Wellington.

Sauber, Vince, hast du prima hinbekommen. Du hast Susan nicht halb so stolz gemacht, wie du wolltest, und nicht ein Viertel so sehr, wie sie es verdient hat.

Falls der Tränenstrom zuvor eingetrocknet war, passierte er nun einen frischen Zufluss. Erneut verbarg Vince die Augen vor einem etwaigen Beobachter, wieder dauerte es nicht lange, bis seine Nase verstopft war.

Es ist in Ordnung, sagte er sich. Du kannst weinen. Das hier ist eine Trauerfeier, verflucht noch mal.

Aber es war nicht der Ort und auch nicht die Tatsache, ob man ihn sah oder nicht. Es war die Scham, die ihm das Gefühl gab, kein Recht auf seinen Schmerz zu haben. Er war gegangen und das konnte er nicht wiedergutmachen.

Dabei hatte er gewusst, wie schwierig die Situation zu Hause war. Sie hatten ihn gebraucht. Susan hatte ihn gebraucht. Gleichzeitig war aber auch sie es gewesen, die ihm den Arm um die Schulter gelegt und gesagt hatte: »Wenn du nicht glücklich bist, dann musst du einen Weg finden, es zu werden. Ich wäre eine schlechte Mutter, wenn ich dir so lange ein schlechtes Gewissen einreden würde, bis du wegen mir bleibst. Aber denk dran: Nur weil du jetzt gehst, heißt das nicht, dass du nicht zurückkommen kannst.«

Und genau das hätte er wahrscheinlich schon vor Jahren getan, wenn die Lage ein klein wenig anders gewesen wäre.

Vince wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber schließlich kamen die ersten Gäste. Er blieb in seiner Ecke und blickte zu Boden, begrüßte niemanden, sprach mit niemandem. Aber natürlich dauerte es nicht lange, bis ihn jemand bemerkte.

»Vince! Mein Gott, bist du das?« Vor ihm tauchte ein Paar schwarzer Samtstiefeletten auf. Nun konnte er wohl nicht mehr anders. »Wie lange ist das jetzt her? Vier, fünf Jahre?«

Er sah auf und in das Gesicht von Karen Quartermaine. Sie hatte mehr feine Falten im Gesicht als bei ihrer letzten Begegnung und ihr Haar war inzwischen auch eher grau als blond, darüber hinaus hatte sie sich kaum verändert. Dasselbe breite, einladende Lächeln, die gleichen ausdrucksstarken, lebenslustigen Augen, dieselbe Haltung, die sagte: »Komm nur her, Junge, ich nehm dich schon auf die Hörner.« Und dabei war es nicht wichtig, ob es sich bei diesem Jungen um eine Tigerotter handelte, die sich in ihren Garten verirrt hatte, um einen gottverdammten Holzwurm – einen der Großindustriellen, die ihr immer wieder ein Stück Land zum Roden abschwatzen wollten – oder um die Monatsabrechnung ihres kleinen Betriebs. Wenn irgendwann der Tag des Jüngsten Gerichts kam und die Erde in Lava versank, würde Karen die Erste sein, die mit dem Wischmopp um die Ecke kam, um den Schlamassel beiseitezuputzen.

In der Hoffnung, dass seine Augen nicht halb so rot waren, wie sie sich anfühlten, stand Vince auf. »Hallo, Karen. Gut, dich zu sehen. Und es waren sieben.«

»Sieben? Nein! Im Ernst?« Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass die ersten Strähnen aus ihrer eleganten Hochsteckfrisur flogen. Bis zum Abend würde sie sich garantiert vollends aufgelöst haben. Dann seufzte sie schwermütig. »So oder so, ich hätte mir wirklich gewünscht, dich unter anderen Umständen wiederzusehen. Es ist alles so furchtbar. Und es tut schrecklich weh.«

Vince nickte, froh, dass Karen aussprach, was er so schlecht in Worte fassen konnte. Und auch, dass sie nicht von Beileid redete. Karen und Susan waren enge Freundinnen gewesen. Sie war an diesem Tag nicht als Unterstützung für die Angehörigen hier – erst recht nicht aus Pflichtgefühl –, sondern sie war selbst eine Trauernde.

Sie reckte sich und zog ihn in eine halbe Umarmung. »Wir zwei machen schon was mit, hm? Erst Judy, jetzt Susan. Allmählich wird es einsam. Was waren wir drei nur für ein wunderbares Trio.«

Wieder beließ Vince es bei einem Nicken, aber er nahm Karens Hand und legte sie in seine Armbeuge. Von außen sah es vermutlich aus, als würde ein junger Mann seine Mutter oder Tante ritterlich unterstützen. Tatsächlich fühlte es sich an, als wäre es andersherum.

Mehr Trauergäste trafen ein. Mit Karen an seiner Seite fiel es Vince leichter, ihnen entgegenzutreten. Immer wieder fragte man ihn in verhuschtem Halbflüstern, wie lange er fortgewesen war – die Schätzungen schwankten zwischen drei und zehn Jahren –, wo er nun lebte, manchmal auch, was er beruflich machte. Einmal bemerkte jemand, dass er es weit gebracht haben musste, wenn er einen so schicken Anzug mit Weste und allem Schnickschnack trug.

Vince hätte beinahe aufgelacht. Sicher, mit dem Anzug war alles bestens und für die Menschen, die tief im Hinterland lebten, war er wirklich ein auffälliges Kleidungsstück. Nicht, weil sie es sich nicht leisten konnten, sich einen ähnlichen Anzug zu kaufen, sondern weil sie ihn zwischen Landwirtschaft, Camping-und-Rucksack-Tourismus und den wunderbar lockeren Gepflogenheiten der Insel einfach nicht brauchten. Und natürlich hatten sie keine Ahnung, dass es sich um eines der wenigen nicht abgetragenen Kleidungsstücke in seinem Besitz handelte oder dass er ihn in einem Outlet-Store gekauft hatte.

Dann, nach erstaunlich langer Zeit, fiel zum ersten Mal die Frage, vor der Vince sich gefürchtet hatte.

»Und jetzt, Kumpel?« Der alte Macintosh von der Forstverwaltung musterte ihn aus trüben Augen, die stets einen Punkt links hinter der Schulter des jeweiligen Gesprächspartners zu betrachten schienen. »Kommste jetzt zurück oder was? Wird kaum anders gehen, ne?«

Obwohl es in der Kapelle nicht übermäßig warm war, spürte Vince, wie ihm heiß wurde; fast wie bei einem Fieberschub. Was meinte Macintosh, wenn er sagte, dass es nicht anders ginge? Hatte er im Gegensatz zu den anderen Gästen begriffen, in welcher Lage Vince war? Der alte Haudegen war schon immer ein guter Beobachter gewesen, besonders, wenn es um ungezogene Jungen ging, die ständig Bäche stauten, sodass immer wieder der eine oder andere Garten unter Wasser stand. Einmal hatten sie sogar den Campingplatz geflutet.

»Mann, Mac.« Karen hängte sich mit ihrem ganzen Gewicht an Vince' Arm, als würde nur er sie daran hindern, zusammenzubrechen. »Lass ihn doch erst mal in Ruhe Susan unter die Erde bringen, bevor du ihn ausquetschst.«

Macintosh erwiderte etwas, aber Vince hörte ihn nicht. Eine andere Stimme zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Sie war tief und sonor, ging unter die Haut und blieb dort. Vince hätte sie selbst in einem vollen Stadion herausgehört.

Langsam drehte er sich um, ließ den Blick an den inzwischen gut gefüllten Stuhlreihen entlanggleiten. Die erste hatte man frei gelassen. Für die Familie. Himmel, was sollten sie mit vierzehn Plätzen anfangen?

Und da stand er. Am Nebeneingang. Sprach mit dem Bestattungsunternehmer und einer Frau in einem schlichten, irgendwie offiziell wirkenden Kostüm. Sicher bemühte er sich, leise zu reden, aber seine Stimme trug, machte sich die Akustik eines jeden Raums zu eigen, ob er wollte oder nicht.

Vince wollte verschwinden. Auf der Stelle. Er war nicht bereit für diese Begegnung und die Vorwürfe, die sie unweigerlich nach sich ziehen musste.

Aber da hatte Jamie ihn schon entdeckt. Seine Augenbrauen rutschten erst Richtung Haaransatz, bevor sie sich zusammenzogen und eine ärgerliche Linie bildeten. Vince kannte diesen Blick. Er machte ihn nervös. Dass Jamie sich in den letzten Jahren körperlich verändert hatte, war keine Hilfe. Sicher, er war schon immer ein Schrank von einem Mann gewesen, selbst als Teenager, als die meisten von ihnen noch mit kieksender Stimme und Wachstumsschmerzen zu kämpfen gehabt hatten. Aber jetzt war er eine ganze Schrankwand.

Red dir doch keinen Scheiß ein, grummelte Vince' gesunder Menschenverstand. Er ist garantiert nicht mehr gewachsen, seitdem ihr euch zuletzt gesehen habt, und die paar Muskeln, die dazu gekommen sind, sind ja wohl kaum der Rede wert. Wovor hast du Angst? Dass er dich zu Schaschlik verarbeitet?

Wenn es nur so einfach gewesen wäre.

Vince widmete seine Aufmerksamkeit seinem Ärmel und dem Knopf, der unmöglich richtig sitzen konnte. Nein, er musste ihn dringend richten. Und zwar so lange, bis er im Boden versunken war. Vince. Nicht der Knopf. Oder bis Jamie herüberkam, um ihn zu begrüßen.

Doch die Uhr tickte unhörbar, die letzten Gäste trafen ein, Vince pickte Staubkörnchen von seinem Revers und Jamie blieb bis zur letzten Minute, wo er war. Erst als die Frau im schwarzen Kostüm die Anwesenden bat, Platz zu nehmen, begriff Vince, dass er nicht auf eine Begrüßung zu hoffen brauchte.

Am liebsten hätte er sich auf den Stuhl in der Ecke zurückgezogen, den der Bestattungsunternehmer ihm vorhin zugewiesen hatte, aber Karen zog ihn mit milder Hartnäckigkeit nach vorn. Und natürlich ließ sie es sich nicht nehmen, ihn neben Jamie zu bugsieren, statt sich selbst als Puffer zwischen sie zu setzen.

Er kam sich unendlich linkisch und ungeschickt vor, als er sich niederließ. Es war ein Wunder, dass er sich nicht neben statt auf die Sitzfläche setzte; so groß war das Bedürfnis, sich auf dem begrenzten Raum von Jamie fernzuhalten. Wahrscheinlich war es eine unsinnige Regung.

Was sollte Jamie schon tun? Ihn vor aller Augen zur Sau machen? Ihm einen Fausthieb versetzen? Ihn übers Knie legen?

Vince schauderte. Verdient hätte er alles davon. Das wusste er seit Jahren, aber noch nie war es ihm so klar gewesen wie heute.

Auf einmal erwachte die Orgel zum Leben. Wer sie spielte, war nicht zu erkennen. Das Stück erkannte Vince jedoch sofort. Dasselbe galt für viele Gäste, denn er hörte es in seinem Rücken von mehreren Stellen leise auflachen oder verhalten kichern. Jemand murmelte: »Mein Gott, wie gut, dass es keine Einäscherung ist.« Daraufhin wurde das Gelächter lauter.

Wirklich, Susan? Light my Fire?The Doors? Hast du dir das gewünscht oder ist das auf Jamies Mist gewachsen?

Schließlich schwieg die Orgel, dafür knisterte das Mikrofon. Die Frau, mit der Jamie zuvor gesprochen hatte, war ans Rednerpult getreten.

»Liebe Freunde, liebe Gäste, lieber Jamie, lieber Vince.« Sie nickte ihnen zu und lächelte matt. Vince wünschte sich ein Loch, um darin zu verschwinden. Einen Kaninchentunnel, der ihn ans andere Ende der Welt brachte. »Wir sind heute hier zusammengekommen, um Abschied von einer lieben Freundin zu nehmen. Für die unter euch, die mich nicht kennen: Ich bin Diana Molier. Ich bin mit Susan zur Schule gegangen und sehr froh darüber, sie nie aus den Augen verloren zu haben. Daher stehe ich heute auch nicht als formelle Sprecherin vor euch, sondern als jemand, der euren Verlust teilt und – wie ich glaube – von Herzen versteht. Und so weiß ich auch, dass Susan sich über jedes Lachen und jedes Lächeln, das ihr gilt, gefreut hätte. Haltet euch daher nicht zurück, wenn ich euch jetzt auf einen Streifzug durch ihr Leben mitnehme. Denn ja, wir werden sie vermissen. Aber ihr Leben war nichts, was man beweinen sollte.«

Vince' Finger verkrampften sich. Er suchte nach Halt und einem Weg, nicht als Erster nach dem Taschentuch zu greifen.

Oh ja, Susan hätte es geliebt, wenn man auf ihrer Beerdigung lachte. Und grundsätzlich gab Vince Diana vollkommen recht: Susan hatte ein tolles Leben geführt, hatte ein einziges Mal geheiratet und ihren Mann über alles geliebt, war von wenig Familie, aber vielen wunderbaren Freunden umgeben gewesen, hatte hart gearbeitet, sich jedoch für das, was sie tat, stets begeistert. Selbst wenn sie abends fast zu müde gewesen war, um sich ins Bett zu schleppen.

Nur änderte all das nichts daran, dass sie viel zu jung gewesen war, um zu gehen. Sie hatte noch so viel vorgehabt. Erst bei ihrem letzten Telefonat hatte sie träumerisch gemeint, sie würde am liebsten in den Flieger nach England steigen und ihn besuchen.

Vince' Herz hämmerte. Jeder Schlag war ein giftig in sein Ohr gezischtes Wort: Idiot. Warum? Hornochse! Mom! Warum? Ungerecht.

Er war nicht bereit, ging ihm auf. Er war nicht bereit, im wahrsten Sinne des Wortes mutterseelenallein zu sein. Welcher Neunundzwanzigjährige hatte bitte sehr schon alle Elternteile verloren? Zumal er drei statt zwei gehabt hatte.

Er wandte kaum merklich den Kopf und studierte von der Seite Jamies reglose Züge. Natürlich. Seine Augen waren trocken. Seine Unterlippe zitterte nicht. Der Schweinehund war nicht einmal blass und wirkte ausgeschlafen. Er hatte sich schon immer besser im Griff gehabt als Vince, wenn es um das Verbergen seiner Gefühle ging. In ihm schien es einen Schalter zu geben, der bei Betätigung sämtliche Türen versperren und alle Fenster verriegeln und abdunkeln ließ.

Vince beneidete ihn darum.

Dann sah er auf einmal das ruckartige Heben und Senken von Jamies Adamsapfel. Und die Stelle an seinem Hals, an der er sich nicht sauber rasiert hatte. Und dass er viel zu steif dasaß.

Anscheinend schloss die eine oder andere Jalousie doch nicht so ordentlich, wie Jamie es sich sicher wünschte.

»Zu diesem Zeitpunkt trat Judy in ihr Leben. Und sie brachte Vince mit, in dem Susan schon lange, bevor sie ihn mit Barega adoptierte, einen zweiten Sohn sah.«

Sei still, dachte Vince müde. Sei still und lass mich gehen.

Kapitel 2

Ein letzter Handschlag, ausnahmsweise von jemandem, den Vince nicht kannte, dann war es geschafft. Allmählich löste sich die Trauergemeinde auf. Manche sprachen leise über ihre Fahrgemeinschaften nach Hause, während sie sich von der kleinen Grabstelle über der Bucht entfernten.

Vince wunderte sich ein wenig darüber. Er hatte erwartet, dass nach der Beisetzung eine bescheidene Feier stattfinden würde; entweder im Haupthaus des Bestattungsinstituts oder in einem Restaurant.

Doch vielleicht hatte zu wenig Zeit zwischen Todesfall und Beerdigung gelegen, als dass Jamie sich darum hätte kümmern können. Immerhin hatte er nun sowieso mehr zu tun, als ein einzelner Mann stemmen konnte. Selbst wenn er so tatkräftig und belastbar wie Vince' ehemals bester Freund und späterer Ziehbruder war.

Vince war sich Jamies Nähe unangenehm bewusst. Gefühlte Ewigkeiten hatten sie nebeneinander am offenen Grab gestanden, um die letzten guten Wünsche und Beileidsbekundungen entgegenzunehmen. Einige hatten ihnen nur stumm die Hand gedrückt, andere ein paar Worte gefunden, wieder andere sich fast überschlagen, um eine letzte Erinnerung an Susan mit ihnen zu teilen. Sie alle hatten es gut gemeint. Trotzdem hatte Vince sich gewünscht, dass sie sich ein wenig beeilen mochten. Und das lag nicht nur am zunehmend beißenden Wind, der schmeckte, als käme er direkt von der Antarktis her.

»Mr. Headland?« Der Bestattungsunternehmer näherte sich ihnen mit nach wie vor feierlicher Miene. »Können wir Ihnen noch etwas Gutes tun?«

Jamie schüttelte den Kopf. Vince spürte es mehr, als dass er es sah. »Nein, ich denke, wir können dies nun zum Abschluss bringen.«

Vince nahm das als Aufruf, sich endlich von Jamies Seite zu lösen. Mit weichen Knien umrundete er die Grabstätte. Für die Beerdigung war der Stein entfernt worden. Er stand einige Meter abseits in der Nähe des Zauns. Vince folgte einer inneren Stimme und kauerte sich daneben nieder, berührte den schlichten grauen Stein.

Ich bin zurückgekommen, sagte er stumm und stellte sich zum wohl hundertsten Mal dieselbe Frage: ob Barega von ihm enttäuscht gewesen wäre, dass er Tassie verlassen hatte. Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich hättest du es besser verstanden als alle anderen. Sogar besser als Susan. Es tut mir trotzdem leid.

Es fühlte sich dumm an, mit einem Stein zu kommunizieren, wenn die Grabstätte doch ein gutes Stück hinter ihm lag. Doch andererseits kam es nicht auf den Ort an. Das, was Barega ausgemacht hatte, befand sich weder in diesem Stein noch im Grab.

Pass gut auf sie auf, dachte Vince und strich mit dem Daumen unter dem Namenszug entlang. Jetzt hast du sie endlich wieder bei dir.

»Ich lasse ihren Namen und ihre Daten später eingravieren«, sagte Jamie auf einmal hinter ihm. »Dann hat alles seine Richtigkeit.«

Vince schloss für eine Sekunde die Augen, bevor er sich aufrichtete und schwerfällig umdrehte. Dann stand er Jamie gegenüber. Sie waren inzwischen allein. Nur ein paar Reihen weiter stand eine Nachbarin von ihnen am Grab ihrer eigenen Familie und hielt mit gefalteten Händen Zwiesprache mit den Verstorbenen.

Vor diesem Augenblick hatte Vince sich seit seiner Abreise gefürchtet. Wenn er ehrlich zu sich war, schon weit länger. Und genau wie er befürchtet hatte, fand er keine Worte und stellte zudem fest, dass er es nicht einmal geschafft hatte, Jamie auch nur Guten Tag zu sagen. Andererseits: Das hatte er ebenfalls nicht.

Vince würgte ein heiseres Gut hervor. Als wäre irgendetwas an diesem Tag gut. Schließlich riss er sich zusammen und stellte die Frage, die ihm bereits unterwegs durch den Kopf gegangen war: »Was ist passiert?«

Eine von Jamies buschigen Augenbrauen hob sich ganz allmählich. Es war die einzige Regung auf seinem Gesicht. Der Rest war karamellfarbene Leere.

Niemand veränderte seine Hautfarbe so schnell wie Jamie. Im Winter nahm er am ganzen Körper besagten warmen Karamellton an, der erst im Verlauf des Sommers wieder so dunkel wurde, als hätte man den Zucker zu lange in der Pfanne gelassen.

Vince hatte ihn immer darum beneidet. Nicht nur, weil er Jamies Hautton schöner als seinen eigenen fand, sondern auch, weil Jamie die Sonne weit besser vertrug als er selbst und sich nicht gleich am ersten warmen Tag des Jahres in ein von Sommersprossen gesprenkeltes Ferkelchen verwandelte. Und das war noch das beste Szenario: Bei jedem anderen verbrannte er sich gleich den Pelz.

»Ich hab's dir doch geschrieben. Es war ein Schlaganfall.«

»Ja, aber… Woher? Und warum? War sie krank oder…?«

Immer noch keine Regung auf Jamies Gesicht, aber seine Stimme wurde tiefer und deutete auf Anspannung hin. »Was willst du von mir hören? Ob es ihr nicht gut ging? Ob irgendetwas darauf hingedeutet hat? Ob es sich hätte verhindern lassen? Woher soll ich das wissen?«

Vince drehte sich halb zur Seite, um den Blick auf die Bucht zu richten. Es waren nur wenige Boote draußen. Zu kalt für die Touristen, zu früh am Tag für die Einheimischen, die erst ihr Tagewerk beenden mussten, bevor sie angeln oder segeln gehen konnten.

Jamie ins Gesicht zu sehen, war früher einmal etwas gewesen, das ihn beruhigt hatte. Schon als sie noch Kinder gewesen waren. Wenn es in der Klasse Streit gegeben hatte, hatte ihm ein Blick zu Jamie genügt, ein kurzes Nicken, damit er sich geerdet fühlte.

Nun aber konnte er den Anblick kaum ertragen. Die Leere war zu viel. Sie ließ Jamies braune Augen leblos wirken. Verflucht, selbst seine schwarzbraunen Locken, die ihm halb in die Stirn fielen, weil sie wieder einmal nicht richtig oder zu spät geschnitten worden waren, wirkten reglos.

»Sie war also nicht krank?«, fragte er leise. Er musste wissen, ob sie etwas vor ihm geheim gehalten hatte, so wie er vor ihr. »Es kam ganz unerwartet?«

»Du hast keine Ahnung, wie unerwartet.« Jamies Auflachen passte nicht auf einen Friedhof. Es war laut und schneidend und wäre in einer Piratenhöhle zwischen wilden Draufgängern und hübschen Huren besser aufgehoben gewesen.

Eine weitere Frage, die Vince sich nicht verbeißen konnte: »Warst… warst du bei ihr?« Die Vorstellung, dass Susan allein gewesen sein könnte, brach ihm fast das Herz.

Jamie schwieg, trat dann neben Vince und sah ebenfalls aufs Wasser hinaus. »Ja, aber es ging trotzdem nicht schnell genug.«

Vince nickte. Eine der eigenartigeren Erfahrungen, die er in den Großstädten der Welt gemacht hatte, war, für wie selbstverständlich deren Bewohner den Zugriff auf medizinische Versorgung hielten. In Metropolen, in denen es vor Ärzten und Krankenhäusern nur so wimmelte und die langen Wartezeiten für Facharzttermine die größten Probleme darstellten, konnte sich niemand vorstellen, was es bedeutete, Stunden von der nächsten Notaufnahme entfernt zu sein.

»Ey, gerade bei euch kriechen doch lauter so giftige Viecher rum. Was machst'n du, wenn du dir 'ne Axt ins Bein rammst oder auf 'ne Schlange trittst?«, hatte Gordon ihn mal gefragt.

Mit Vince' Antwort hatte er wenig anfangen können. »Die Finger von Werkzeugen lassen, mit denen man nicht umgehen kann, und sich ansonsten halt einfach nicht beißen lassen.«

Im Inland von Tassie konnte ein Schlaganfall oder Herzinfarkt, der andernorts bei rechtzeitiger Behandlung glimpflich ausgegangen wäre, zum Todesurteil werden. Man konnte nun einmal nicht im verlorenen Paradies leben, ohne einen Preis zu zahlen.

Jamie unterbrach Vince' Überlegungen. »Hast du dir ein Zimmer genommen? Ich frag nur wegen des Termins morgen.«

»Welcher Termin?«

»Na, der beim Anwalt. Hab ich dir doch geschrieben.«

Vince fasste endlich den Mut, Jamie wieder anzusehen, auch wenn er in erster Linie seiner Überraschung entsprang. »Nein, hast du nicht. Davon höre ich zum ersten Mal.«

»Klar, hab ich!«

Vince biss sich auf die Unterlippe. »Nein, hast du nicht!« Es war eine automatische Reaktion, auch wenn ihm vage bewusst war, dass es eventuell sein Handyvertrag gewesen war, der ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Aber das Nein-Doch-Nein-Jawohl-Gar-nicht!-Spiel zwischen ihnen hatte Tradition und er konnte gerade etwas gebrauchen, das sich vertraut anfühlte.

Jamies Miene wurde finster, dann stopfte er eine seiner gewaltigen Pranken in die hintere Tasche seiner Jeans – sie war ebenso tiefschwarz wie sein Hemd – und zog ein lächerlich kleines Handy der ersten Smartphone-Generation hervor. »Hier. Da hab ich's dir geschrieben. Termin in New Norfolk morgen Mittag um…« Er brach ab. »Ach, Scheiße. Hab's vergessen abzuschicken.«

»Hah!« Oh, wie schrecklich albern, sich an einem Triumph zu weiden, der gar keiner war und spätestens dann auffliegen würde, wenn Jamie herausfand, dass er kein Netz hatte.

»Erstick dran.«

Jepp, das hatte er verdient. Vince entschied sich für einen versöhnlicheren Kurs. »Was hat es mit dem Termin auf sich?«

»Testamentseröffnung«, entgegnete Jamie knapp. »Nachlass und so.«

Susan hatte ein Testament aufgesetzt? In ihrem Alter? Gut, es war vernünftig, besonders, wenn man Land besaß. Trotzdem tat Vince sich mit der Vorstellung schwer, dass seine lebensfrohe Adoptivmutter sich mit ihrem Tod auseinandergesetzt hatte. Er selbst war zu feige für solche Überlegungen.

»Und ich werde da gebraucht?« Das konnte er sich eigentlich nicht vorstellen. »Wie wäre das denn gelaufen, wenn ich nicht rechtzeitig hier gewesen wäre?«

»Dann wäre eine Menge Papierkram zwischen hier und… Wo bist du überhaupt hergekommen?«

Vince schluckte ein bisschen. Susan und Jamie konnten sich nicht oft über ihn unterhalten haben, wenn Jamie nicht einmal wusste, dass er seit mehr als sechs Monaten in Großbritannien gewesen war. Länger als erwartet, da er sofort Arbeit gefunden hatte und damit sein Aufenthaltsrecht geregelt war. Wenn er die Stelle nur auch hätte behalten können.

»Aus Wales. Monmouth, genau genommen.«

»Sagt mir nichts.«

»Dachte ich mir.«

Jamie warf ihm einen finsteren Blick zu. »Es kann nicht jeder ein Weltenbummler sein und sich überall auskennen.«

Vince hätte erklären können, dass Monmouth kaum groß genug war, als dass das Wissen um seine Lage oder Existenz unter Allgemeinbildung lief. Aber er verzichtete. Ihm war kalt und offenbar hatte er morgen einen Termin, von dem er bis vor einem Augenblick nichts gewusst hatte. Und er stand neben seinem Adoptivbruder, den er seit sieben Jahren nicht gesehen hatte, am Grab ihrer Mutter und musste sich bewusst machen, dass Jamie alles war, was ihm geblieben war.

Was für eine Farce.

***

Da Vince sich natürlich kein Zimmer genommen hatte und ihm ohnehin die Mittel dafür fehlten, nahm er Jamies Angebot, mit ihm nach Hause zu fahren, an. Von einer Einladung zu sprechen, wäre zu viel des Guten gewesen.

»Was ist jetzt? Hast du ein Zimmer oder nicht?«, hatte Jamie gefragt und auf Vince' Kopfschütteln hin erwidert: »Wäre ja auch Schwachsinn gewesen. Dann kommst du eben mit zu mir.«

Vor dem letzten Wort hatte Jamie ganz kurz gestutzt, als wäre ihm in diesem Moment bewusst geworden, dass kein Wir und kein Uns mehr existierte. Es gab nicht länger das Zuhause von Susan und Jamie, sondern nur noch seines.

Nun fuhren sie nach Westen, immer die einsame Landstraße hinunter, durch die in diesen Breiten noch gemäßigten Wälder und an endlosen Weiden entlang. Jamies alter Kombi roch nach Baumschnitt und es ächzte jedes Mal in der Federung, wenn sie über eine Unebenheit holperten.

Vince hatte den Ellbogen auf die Seitenverkleidung und den Kopf auf die Hand gestützt und sah nach draußen. Immer, wenn er daran gedacht hatte, nach Tassie zurückzukehren, war er davon ausgegangen, dass es im Frühjahr oder Sommer sein würde, wenn die ganze Insel vor Leben knisterte und die Luft so voller schwerer und erdiger Gerüche war, dass mancher davon Kopfschmerzen bekam.

Der tasmanische Winter dagegen war patschnass und grau und fühlte sich dank der eisigen Winde oft kälter an, als er in Wirklichkeit war. Okay, nass war es bei ihnen meistens. Auch etwas, das manche von Vince' lockeren Reisebekanntschaften mit Staunen erfüllt hatte.

»Ich dachte immer, Australien wäre total trocken! Buschbrände und so. Verdurstende Tiere.«

Je nach Laune hatte sich Vince dann auf einen Vortrag eingelassen oder es bei einem knappen »Australien ist groß und abgesehen davon hat das Festland nicht viel mit Tasmanien zu tun« belassen.

Aber er wollte sich nicht beschweren: Er hatte auch erst lernen müssen, dass nicht alle Schweden ständig betrunken waren und mit Hörnerhelmen herumrannten, dass England weit mehr als London war und dass die Deutschen im Allgemeinen nicht in Trachtenlederhosen im Bierzelt hockten und zur Blasmusik grölten. Klischees waren etwas Wunderbares, besonders, wenn sie sich in Wohlgefallen auflösten.

Seit dem Einsteigen hatten sie kein Wort mehr gewechselt. Vince war das nur recht. Während ihn auf der Trauerfeier noch der Stress wachgehalten hatte, merkte er jetzt, wie sein Körper in den Ruhemodus wechselte. Die Flüge und die Zeitumstellung hatten seinen Rhythmus vollkommen auf den Kopf gestellt. Obwohl heller Tag war, kam es ihm vor, als wäre es längst nach Mitternacht.

Immer wieder fielen Vince die Augen zu. Er schlief nicht, war aber auch nicht richtig wach. Manchmal blinzelte er und stellte fest, dass die Weide mit grasendem Fleckvieh, die er vor einer gefühlten Sekunde noch vor sich gehabt hatte, einem dunklen Tunnel aus Bäumen gewichen war. Dann wieder war es der Zeitrahmen, der sich ungefragt zu verschieben schien und ihn verwirrte. Einmal ging es so weit, dass er beim Aufschrecken fest überzeugt war, dass sie auf dem Weg an die Küste waren, um an einem abgelegenen und den Touristen weitgehend unbekannten Strand zu faulenzen.

Himmel, dieses Wochenende lag fast ein Jahrzehnt zurück! Sie hatten damals die Anschaffung des Kombis begossen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Motorhaube hatte noch eine ganze Woche nach Bier gestunken. Was hatten sie für einen Spaß gehabt. Wie sorgenfrei waren sie gewesen.

Damals hatte Vince zu wissen geglaubt, was das Leben für ihn bereithielt. Er war nicht immer zu hundert Prozent glücklich damit gewesen, da das Fernweh ein alter Begleiter war, aber doch ziemlich zufrieden. Wer konnte das schon von sich behaupten? Dass er in die eigene Zukunft sah und sagte: »Jepp, das passt. Das ist mein Leben und es ist gut so.« Aber natürlich hatte er erst viel zu spät erkannt, wie reich er beschenkt worden war. Im Zuspätkommen war er wirklich ganz groß.

Schließlich machte die vage bekannte Aussicht aus dem Fenster Vertrautem Platz. Trotz seiner Erschöpfung richtete Vince sich halb auf, als sie auf den Zubringer nach Wayatinah einbogen. Sein Herz verkrampfte sich und ein aufgeregtes Wispern setzte in seiner Brust ein. Neugierig sah er sich um, bemerkte Altes und Neues und begrüßte das eine wie das andere.

Einmal entdeckte er etwas, das ihn traurig machte: Als sie am Haus der Lancesters vorbeikamen, konnte er deren Garten einsehen. Und dort, mitten auf der Rasenfläche, lag ein Berg Trümmer.

»Oh Mann«, entfuhr es ihm. »Hast du das gesehen? Das Baumhaus von Johnny ist abgestürzt. Wie traurig ist das denn?«

Jamies Hand, die locker auf der Schaltung gelegen hatte, zuckte, als hätte er ganz vergessen, dass er nicht allein im Wagen saß. Dann warf er einen flüchtigen Blick auf die Ruine und schnaubte abfällig. »Ein Wunder, dass es nicht schon eher runtergekommen ist. Hab mich immer gefragt, was es überhaupt oben hält.«

»Stimmt. Spucke und guter Wille. Johnnys Vater meinte immer, das muss reichen.«

Wenn er heute darüber nachdachte, war es fahrlässig gewesen. Carl Lancester hatte das Baumhaus für seinen Sohn gebaut, nicht, damit sämtliche Kinder von Wayatinah darin spielten. Gut, sie waren nicht viele gewesen, aber immerhin genug, um das Holz gefährlich zum Ächzen zu bringen. Jung, wie sie waren, hatten sie die Lösung darin gesehen, von überall Seilreste anzuschleppen und in die Äste zu knoten, damit sie sich im Notfall wie Tarzan von der zusammenbrechenden Plattform schwingen konnten.

Vince wagte einen Blick zur Seite. Jamies war fest auf die Straße gerichtet und das war seltsam. Er kannte die Dirtroad, wie man die unausgebauten Buckelpisten nannte, zum Grundstück besser als jeder andere, inklusive jeder Stelle, die bei Regen rutschig wurde, und jedes Schlaglochs. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass Vince der Grund war, warum Jamie so starr geradeaus sah.

Ja, oder die Tatsache, dass er gerade seine Mutter beerdigt hat, du Egomane.

Vince seufzte lautlos. Es war so viel Zeit vergangen und trotzdem bezog er immer noch Reaktionen auf sich, die ihm gar nicht galten. Es war, als hätte er nichts gelernt. Ein störrischer Esel bis zum Schluss.

Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gebracht, als er Gordons Stimme zu hören glaubte. »Sieh es positiv: Esel sind verdammt niedlich.«

Vince musste wirklich einen Weg finden, ihn zu erreichen und ihm noch einmal danken. Obwohl seine Lederjacke einen sentimentalen Wert für ihn besessen hatte, war sie doch nicht ansatzweise das Geld wert gewesen, das Gordon ihm gegeben hatte. Nein, organisiert hatte. Der Teufel wusste, woher. Irgendwann würde er es ihm doch wiedergeben. Mit seinen Schulden bei den Kreditinstituten konnte er leben, mit denen bei Gordon nicht.

Auf einmal rumpelte es unter ihnen. Vince versetzte sich mit der eigenen Hand einen Schlag unters Kinn und setzte sich gerade hin. Das Wispern in seiner Brust wurde zu einem Schwirren, einem Summen, einem Gefühl des Wiedererkennens. Sie hatten die Brücke passiert.

Einen Augenblick später tauchte das hölzerne Farmhaus vor ihnen auf und begrüßte ihn mit offenen, weiß getünchten Fensterläden. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf den Glasscheiben, sodass es aussah, als würden sie ihm zuzwinkern. Etwas in ihm platzte ab, uralter Rost, und legte eine rohe, dankbare Zuneigung frei.

Gott, wie sehr hatte er diesen Ort vermisst. Das Farmhaus, daneben die wuchtige, steinalte Scheune, die seit Jahr und Tag als Geräteraum und Fahrzeugschuppen genutzt wurde, und am gegenüberliegenden Ende des staubigen Hofs…

Vince blieb die Luft weg. Er widerstand dem Bedürfnis, sich zu kneifen, hoffte, dass er doch eingeschlafen war. Aber er war tausendmal wacher, als ihm recht sein konnte.

Noch bevor der Wagen zum Stillstand gekommen war, hatte er den Gurt abgestreift und die Tür aufgerissen. Stolpernd schoss er ins Freie, rannte vor der Motorhaube her, hörte nur ganz entfernt das Quietschen der Bremsen und Jamies Aufschrei. Irgendwo bellte ein Hund.

Dann blieb er stehen, ebenso abrupt, wie er sich in Bewegung gesetzt hatte. Hilflos hob er die Arme, konnte nicht glauben, was seine Augen ihm zeigten.

Es waren Trümmer. Wie im Garten der Lancesters. Nur gewaltiger.

Von den vier Unterkünften für Saisonarbeiter, von denen er als Kind eine mit seiner Mutter bewohnt hatte, war kaum mehr als zersplittertes Holz geblieben. Dazwischen ragten Rohrleitungen und Kabel heraus, halb verdeckt vom Wellblech der eingebrochenen Dächer.

Der Anblick war verstörend, aber nichts gegen die Angst, die wie ein Schwall über Vince hinwegfloss. Fern jedes klaren Gedankens war ihm dennoch instinktiv bewusst, dass er sich keinem natürlichen Verfall gegenübersah. Und das ließ ihn erneut loslaufen, in die andere Richtung und um die Scheune herum. Unterwegs musste er über einen herabgestürzten Dachbalken springen, wuchtig genug, um einen Traktor unter sich zu begraben.

Der sanft abfallende Hang tauchte vor ihm auf. Endlos weites Land, auf dem Hunderte Kirschbäume stehen sollten. Taten sie aber nicht. Stattdessen abgebrochene und umgeschlagene Stämme, so weit der Blick reichte. Eine Schneise der Zerstörung, wie Vince sie bisher nur in Katastrophenfilmen gesehen hatte.

Müdigkeit und Entsetzen ließen ihn auf die Knie sinken. Er bemerkte es erst, als sich seine Hände ins feuchte Gras gruben. Sein Daumen streifte ein abgerissenes Ästchen, nicht länger als sein kleiner Finger. Automatisch griff er danach, wollte es einsammeln wie so viele größere und schwerere Zweige in seiner Jugend und Zeit als junger Erwachsener. Er hatte Stunden damit zugebracht, Bäume zu beschneiden, hochzubinden, auf Krankheiten zu prüfen und zu pflegen, wenn sie angeschlagen waren. Und ja, manchmal hatte er sie verflucht, wenn sie zur unmöglichsten Zeit in Blüte gingen, obwohl für die nächste Woche eine Kaltfront angekündigt war. Oder wenn die Früchte außer Plan reiften und sie auf einmal in Zeitnot gerieten. Oder wenn sie stundenlang nichts anderes machten, als ein Loch nach dem anderen zu graben, um Jungstämme zu setzen.

Aber das hier… Das hatte er sich nie gewünscht. Es war der Stoff, aus dem Albträume gewoben wurden. Und Vince verstand ihn nicht.

»Was ist hier passiert?«, flüsterte er in sich hinein und wunderte sich, als er eine Antwort bekam.

»Ein Sturm. So was habe ich noch nie erlebt. Einige im Dorf behaupten steif und fest, dass sich zwischendurch sogar eine Windhose gebildet hat. Schwachsinn, wenn du mich fragst, aber was soll's? Das Ergebnis ist dasselbe.«

Zum ersten Mal an diesem Tag hörte Vince Schmerz in Jamies Stimme, aber er war selbst zu betroffen, um zu reagieren. Die Plantage war das Lebenswerk der Headlands und letztendlich auch das seine, ob er es nun im Stich gelassen hatte oder nicht. Sie war viel mehr als ein Grundstück oder ein Haus mit Garten, in dem man sich zu Hause fühlte. Sie war eine eigene kleine Welt gewesen, umrahmt von einer weit größeren. Und nun war sie zerstört.

Kapitel 3

Das Aufwachen war am härtesten. Wenn er zwischen Schlaf und wacher Welt festhing, gab es diesen einen Moment, in dem sich alles ganz normal anfühlte. Dann wartete er auf das Schnaufen der Kaffeemaschine in der Küche und dachte schlaftrunken darüber nach, was er an diesem Tag zu tun hatte und oft auch – weil er es nicht anders kannte –, wie er seine Zeit am effektivsten nutzen konnte, um der vielen Arbeit Herr zu werden.

Der Augenblick der Erkenntnis sorgte jedes Mal dafür, dass er keine kalte Dusche mehr brauchte. Heute war es nicht anders.

Jamie setzte sich auf die Bettkante und rieb sich das Gesicht. Die Verzweiflung war ganz nah, er konnte sie an seinen Hinterkopf anklopfen spüren. Und verdammt, warum sollte er ihr nicht nachgeben?

Sie waren am Ende. Er war am Ende. All die harte Arbeit war innerhalb einer einzigen Nacht in Grund und Boden gestampft worden und mit ihr ganz nebenbei sein Lebenssinn. Nein, es wunderte ihn nicht, dass seine Mom dem nicht standgehalten hatte.