Tatort Oberbayern (eBook) - Friedrich Ani - E-Book

Tatort Oberbayern (eBook) E-Book

Friedrich Ani

0,0

Beschreibung

Münchens pulsierendes Leben, die geheimnisvolle Welt der Berge, die idyllischen Ufer der Donau und die verwunschenen Tiefen der Wälder - Oberbayern hat viele Gesichter, doch diese sind bei Weitem nicht immer so friedfertig, wie die Tourismusbroschüren glauben lassen. Denn 12 renommierte und deutschlandweit beliebte Krimiautoren aus der Region zeigen in ihren geistreichen und unterhaltsamen Kriminalerzählungen, dass sich unter der beschaulichen Oberfläche zwischen Garmisch, Eichstätt, Altötting und dem Berchtesgadener Land unerwartete Abgründe auftun. Jede Menge Lokalkolorit und Hochspannung für Einheimische, Zugereiste, aber auch Urlauber sind garantiert - so sicher wie die Weißwurst auf dem Oktoberfest!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 221

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

Angela Eßer (Hrsg.)

 

Tatort Oberbayern

 

 

12 Kriminalgeschichten

 

 

 

ars vivendi

 

Die Geschichte »Die Geburt des Herrn J.« erschien in:

Friedrich Ani, Unterhaltung, © 2014 Droemersche Verlagsanstalt Th.Knaur. Nachf. Gmbh & Co. KG, München

 

Die Geschichte »Krankheit der Jugend (1919)« erschien in:

Robert Hültner, Tödliches Bayern. Kriminalfälle aus zwei Jahrhunderten, © 2014 btb Verlag, München, in der Verlagsgruppe

Random House GmbH

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage Juni 2015)

 

© 2015 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat: Stephan Naguschewski

Umschlaggestaltung: Caroline Orth

 

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-568-7

 

Inhalt

Friedrich Ani · Die Geburt des Herrn J.

 

Janet Clark · Die erste Geige

 

Nicola Förg · Ausg’stopft is!

 

Uwe Gardein · Seitenstiche

 

Christine Grän · Gisele Bündchen minus zwanzig Zentimeter

 

Robert Hültner · Krankheit der Jugend (1919)

 

Bernhard Jaumann · Magda und Mario

 

Harry Kämmerer · Kostümzwang

 

Lotte Kinskofer · Wie damals beim »Kommissar«

 

Elke Pistor · Ludwig

 

Oliver Pötzsch · Das Horoskop

 

Irene Rodrian · Mord auf Krankenschein

 

Friedrich Ani · Die Geburt des Herrn J.

»Das musste jetzt mal sein«, sagte Carl Jeckel am Tresen der Gaststätte Postgarten in Maibach, einem Dreitausend-Einwohner-Ort im Schatten der Voralpen. Am Stammtisch brannten die vier roten Kerzen des Adventskranzes. Der Wirt, Leonhard »Hardy« Beck, blickte weniger gästeverachtend als gewöhnlich drein, und Monika, die mit ihren ständigen Hektikattacken auch den geduldigsten Gast brutal nervende Bedienung, hatte heute ihren freien Tag.

Das Leben aus der Sicht von Carl Jeckel hätte an diesem vierten Advent kaum besser sein können.

»Musste sein«, wiederholte Jeckel.

Hardy nickte. Er war dreiundsechzig, seit mehr als dreißig Jahren Wirt und konnte sich nicht erinnern, jemals einem seiner Gäste mehr als fünf Sätze lang zugehört zu haben, inklusive seiner Stammgäste, wie dem Jeckel Charly, dessen Redseligkeit nach Überzeugung des Wirts eine einzige Redunseligkeit war, besonders an Sonntagen.

Heute war Sonntag und Jeckel seit halb elf auf seinem Platz, und nichts deutete darauf hin, dass er seinen Hocker vor acht Uhr abends verlassen würde.

»Du kennst ja meinen Vater«, sagte er zum Wirt, zum Tresen, zu der Ansammlung von Gläsern auf dem abgeschabten Holzregal, zu seinem Weißbierglas. Weder Mensch noch Ding hörte ihm zu. »Er redet nicht viel, hockt beim Essen, schaufelt in sich rein, und meine Mama verzweifelt an ihm. Seit fünfundzwanzig Jahren. War übrigens nett, die Feier, die du zu ihrer Goldenen Hochzeit ausgerichtet hast, hab ich dir das schon gesagt? Hab ich mich schon bedankt, die Zeit vergeht so schnell. War wirklich nett bei dir, war ja zu erwarten.«

Der Wirt nickte, die Gläser im Regal standen kopf vor Begeisterung, das Weißbierglas salutierte.

»Schon wieder zwei Wochen her, der zweite Advent.« Er trank einen Schluck, und die Wahrheit schäumte ihm über die Lippen. »Jedenfalls, du kennst ja die Geschichte, er beschwert sich ständig über die Arbeit vom Paul, und der Paul lädt seinen Frust bei mir ab und wirft mir vor, ich würde meinen Laden schlecht führen und mich nicht kümmern. Mich nicht kümmern! Sepp-da-Depp. Wenn sich einer kümmert, dann ich. Ist das nicht so? Ich hab extra sonntags geöffnet, damit die Leute, die auf den Friedhof gehen, frische Blumen mitbringen können. Ist das nicht so? Seit wie lang hab ich mein Geschäft am Sonntag auf? Sag’s mir, Hardy. Sag auch mal was, los.«

Hardy sagte: »So ist das.«

»Und das ist die Wahrheit, Herr Barheit. Aber bei uns lädt jeder seinen Müll beim anderen ab. Das war früher schon so, in der Kindheit, du weißt das, du kennst unsere Familie, deine Frau hat bei uns in der Gärtnerei eingekauft, später auch in meinem Laden noch. Die Gärtnerei hatte ihre kritischen Phasen. War das nicht so? Was sagst du? War das nicht so?«

Hardy sagte: »So war das.«

»So und nicht anders. Sepp-da-Depp. Und ich sitz am Tisch, zwischen meiner Mama und meinem Vater und hör mir das Gezeter an. Gezeter ist gut gesagt. Gebrüll und Gemüll.«

Jeckel lachte, allerdings so kurz, dass weder der Wirt noch die Männer am Fensterplatz einstimmen konnten. Jeder der beiden Gäste saß am eigenen Tisch, Wilhelm »Bremser« Bertold und Roland Fuchs kannten sich gut, aber wenn sie in den Postgarten gingen, vermieden sie übertriebene Gesten der Freundschaft. Bremser war Frührentner, früher bei der Berufsfeuerwehr in München gewesen, Fuchs arbeitete seit knapp vierzig Jahren auf dem Postamt, höhere Ziele hatte er nie gehabt, irgendwann wäre er beinah Dienststellenleiter geworden, und die Gründe, die seinen Karrieresprung verhindert hatten, lagen im Dunklen, und dort sollten sie auch bleiben.

»Was für eine Kindheit, oder, Hardy? Ich hasse Maibach. Hab ich dir das schon mal so deutlich gesagt? Ja? Nein? Ich hasse Maibach, seit ich geboren bin. Ich war ein lausiger Skifahrer, erinnerst dich? Schuss runter, fertig. Im Sommer Schwimmen in diesem verseuchten See. Damals hatten wir noch keine Ringkanalisation, das waren noch Zeiten. Und was mach ich heut? Verkauf Blumen. Und wenn ich tot bin, bin ich immer noch umzingelt von Blumen. Dann ist’s aus mit dem Blumeneinkauf am Sonntag, so blöd wie ich ist niemand. Abgesehen davon, dass mein Laden dann nicht mehr existiert. Darf ich dir ein Geheimnis anvertrauen? Ich wollte zusperren. Die Sache hat sich dann erledigt. Vor drei Jahren war das. Und dann? Was dann? Sag was. Dann war ich so blöde, mit meinem Bruder darüber zu reden. Und du kennst den Paul, du kennst diese Arschgeige von Bruder. Der hat sich seit seinem elften Lebensjahr nicht verändert, auch im Hirn nicht. Besonders im Hirn nicht. Im Hirn hat der einen Fußball ohne Luft. Da bewegt sich nichts. Und ich geh auch noch zu dem hin und sag: Ich muss mit dir reden. Bin ich irre geworden? Was meinst du, Hardy? Ende der Fahnenstange? Die Maibach-Pest? Das Dorftrottel-Syndrom. Sepp-da-Depp. Geh ich zu meinem Bruder und will mit dem ein ernsthaftes Gespräch führen. Wer ist jetzt der Debilere von uns zwei? Wer ist in dieser Runde der Mega-Debili? Sag mir das, sag’s mir.«

Hardy sagte: »Schwer zu sagen.« Zwischendurch brachte er dem Bremser ein frisches Dunkles und Fuchs eine Rotweinschorle.

»Wir sind zu dir gekommen, weißt noch, oder? Saßen da bei der Tür, denkwürdiger Abend. Paul hörte mir zu, dann grinste er mich an, wie als Elfjähriger, schlug mir auf die Schulter, bestellte zwei Enzian, grinste weiter, als hätte er eine Gesichtslähmung, schob mir den Schnaps hin, trank seinen aus und sagte: ›Träum weiter, Bruderherz.‹ Soll ich dir verraten, seit wann ich diesen Spruch kenne? ›Träum weiter, Bruderherz.‹ Den hat der zu mir gesagt, da war er elf und ich acht. Ich schwör’s dir, Hardy.«

Hardy stellte ein weiteres Weißbier vor Jeckel auf den Tresen und sagte, als meinte er es ernst: »Zum Wohl.«

Augenblicklich tunkte Jeckel seinen Mund in den Schaum, hob dann das Glas und kippte es. Erfüllt von nährstoffreicher Hefe, setzte er seine Ansprache fort, fast beschwingt, mit gelegentlich von der Theke froschartig weghüpfenden Händen, die er danach wieder um das Glas legte, wie zur Beruhigung des Weißbiers.

»Dieser Mann ist ein angepasster Wurm, der ist innerlich aus seiner Muttererde nie rausgekommen. Begreifst du mich? Das ist mir plötzlich klargeworden, da hinten bei der Tür. Kannst du dir so was Ungeheuerliches vorstellen? Ich sitze bei dir an einem Montagabend, gemeinsam mit meinem hirnverwesten Bruder, trinke Schnaps und habe eine Erkenntnis. Und die Erkenntnis lautet: er der Wurm, ich der Schmetterling.«

Er senkte den Kopf. Dann machte er eine schnelle ausholende Handbewegung, verharrte, riss den Kopf in die Höhe. »Ich wiederhole das jetzt nicht. Damit du nicht denkst, ich schnapp über oder mach mich wichtig. War nur ein Gedanke. Aber eine Erkenntnis schon auch. Mein Bruder hat mit fünfzehn beschlossen, ich werde Gärtner wie mein Vater und ich werde die Gärtnerei übernehmen, im Dorf bleiben, heiraten, Kinder kriegen, mich im Einheimischenmodell einkaufen und ein schönes Leben haben, arbeitsam, aber schön. Wie ist’s gekommen? Genau so. Er hat’s hingekriegt, hat seine Lehre gemacht, stieg in den Betrieb ein, expandierte, belieferte irgendwann sämtliche Pfarreien im Landkreis, vielleicht nicht alle, aber die meisten, freundet sich mit Bürgermeistern an, wickelt Geschäfte mit Rathäusern und Standesämtern ab, cleverer Bursche, der Paule. Und ich? Was mach ich? Ich geh zur Polizei. Du weißt das, große Sache: Der Charly trägt jetzt eine Uniform, war schon was. Polizeiobermeister. Ich wollt nach München, zur Kripo. Da schaust du. Das habe ich für mich behalten. Hab eh das meiste im Leben für mich behalten, was geht das die Arschgeigen an. Was? Sag’s mir. Sag was.«

Hardy sagte nichts, legte dafür viel Ausdruck in seinen Blick. Jeckel empfand Zufriedenheit und Geborgenheit.

»Das war der Plan. Gehobener Dienst, raus aus Maibach und nie mehr zurück. Was erleben. Ist das verboten? Wie hört sich das in deinen Ohren an? Gut hört sich das an, selbstverständlich gut. Sepp-da-Depp. Sagt der zu mir: Träum weiter, Bruderherz. Ich hab zu ihm gesagt, zu meinem Fünfzigsten ist Schluss mit dem Laden in der Bahnhofstraße, soll ihn die Evelin übernehmen, hab ich zu ihm gesagt, die Evelin und ihr Mann, die kriegen das hin, das wird sich für die beiden lohnen. Und ich bin weg. Er fragt mich, was ich vorhabe, und ich sage: Berlin. Schaut er mich dermaßen blöde an, dass ich dachte, er brunzt gleich aus der Nase. Berlin. Als hätte ich einen Fluch ausgesprochen, verstehst du? Was ist schlimm an Berlin? Ich geh in die Hauptstadt, sage ich zu ihm, und dann schauen wir mal. Er fragt mich, ob ich spinne, ich sag zu ihm: Wenn hier einer spinnt, dann du, und zwar seit der Kindheit. Er wurde langsam wütend. Erinnerst du dich? Da hinten saß er, an der Wand, mit dem Gesicht zu dir, sensationell verwirrt. Auf meinem Konto sind achtunddreißigtausend Euro, die haben sich angesammelt im Lauf der Jahrhunderte, die ich jetzt hier leb. Die reichen eine Zeit lang, was meinst du? In Berlin kann man billig durch den Alltag kommen, davon hat der Gärtner natürlich keine Ahnung, dem mangelt’s vollständig an Vorstellungskraft. Der Paul hat die Fantasie eines Aschenbechers. Das weißt du so gut wie ich. Der Paul hat seine Birgit zu Haus sitzen, die kocht und hält das Haus in Ordnung, und seine zwei Buben schrei­ben gute Noten und fahren Ski im Winter und gehen im Sommer tauchen oben im Kolbsee. Mehr braucht er sich nicht vorzustellen. Sagt er zu mir, was das werden soll, ich hätte ja schon als Polizist auf ganzer Linie versagt. So reden die über mich, seit jeher. Ich hab aber nicht versagt, das weißt du so gut wie ich. Ich war auf Streife, und wir fuhren ganz Bad Hochstädt ab, die Einkaufsstraßen wegen der Einbrüche in letzter Zeit, und da ist plötzlich ein Lichtschein in der Jugendherberge, obwohl die eigentlich geschlossen war, und ich sag zum Haberl Werner, wir müssen rein, nachsehen, der Werner zögert noch, da knallt ein Schuss, wir aus dem Wagen, vorsichtig näher ans Objekt, wieder ein Schuss, wieder ein Lichtschein, unübersichtliche Situation, war doch alles nicht abzuschätzen, Sepp-da-Depp, was hätt ich machen sollen, hätt ich warten sollen, bis der einen von uns abknallt, kein Mensch wusste, was der für eine Waffe im Dunkeln auf uns richtet, es war Mitternacht, oder etwa nicht? War das vielleicht taghell? War da was zu sehen. Sag was. War da was zu erkennen in dem Haus? Nichts. Dann taucht das Gesicht hinter dem Fenster auf, und der Schein der Taschenlampe leuchtet, und ich seh die Pistole und dann? Was hättst du denn getan? Was hättst denn du getan, Bremser? Und du, Fuchsi? Ihr hättet alle dasselbe getan wie ich. Geschossen. Was denn sonst? Notwehr. Im Dunkeln. Der Einbrecher richtete eine Waffe auf uns, den Haberl und mich. Ein Schuss. Hinterher schreiben die Journalisten, ich hätt das realisieren müssen, dass der Junge bloß eine Schreckschusspistole hatte, das hätt ich hören müssen, ich hätt das merken müssen, dass nirgends eine Kugel einschlägt. Dass der bloß blufft. Hinterher haben alle Augen im Dunklen und sehen alles und wissen alles und sind clever, wie mein Bruder. Auf der ganzen Linie versagt. Stimmt. Er hat recht. Die haben doch recht seit jeher, findest du nicht? Ich find schon. Rechter hat kein Mensch. Keine Anklage, klare Notwehrsituation. Die haben demonstriert in Bad Hochstädt, gegen mich, hast du das vergessen? Kann man nicht vergessen, die haben den Rechtsstaat beschimpft, die Justiz, uns alle. Die Eltern des toten Jungen vornweg. Er war siebzehn, er hatte eine Pistole, ich war im Dienst, da waren die Einbrüche in den vergangenen Monaten, der Schaden ging in die Hunderttausende, wir sollten patrouillieren, schauen, dass die Serie endlich aufhört, wieder für Ruhe sorgen, dafür wurden wir bezahlt. Kapierst du das, Hardy? Ist das angekommen in diesem deinem Gehirn? Sehr gut. Im Gehirn meines Bruders ist nämlich nichts angekommen, nie, und im Gehirn meines Vaters und meiner Mutter genauso wenig. Wenn ich denen erzählt hätte, dass ich zur Kripo will, hätten die gewiehert.«

Er wartete, bis der Wirt das frische Glas hinstellte, und packte ihn dann am Handgelenk. »Ich hab meinen Laden nicht zugesperrt, aber nicht wegen meinem Bruder, garantiert nicht. Ich hab meinen Laden nicht zugesperrt, weil’s mir egal war. Das ist die Wahrheit, Herr Barheit. Es war mir alles bloß noch egal. Und in vier Tagen ist Weihnachten. Sehr schön. Fehlt nur noch der Schnee. Wahrscheinlich fällt der Schnee heuer aus, die Klimaerwärmung ist schuld. Oder der liebe Gott. Oder du. Oder du, Bremser. Ausgebremst. Ich muss jetzt nachdenken.«

Er verstummte, und der Wirt und die beiden Männer am Fenster überlegten, ob Jeckel tatsächlich nachdachte oder nur so tat. Für sie machte das keinen Unterschied, da ihnen egal war, was dabei herauskam.

Nach einigen Minuten, in denen ein adventliebes Schweigen den Postgarten erfüllte, glitt Jeckel vom Barhocker, verrückte ihn ein paar Zentimeter erst nach der einen, dann nach der anderen Seite und stützte beide Hände auf die Sitzfläche. »Ich fühle mich wie neugeboren«, sagte er zum Wirt, zu den Gläsern im Regal, zu seinem halbvollen Weißbierglas. »Und wenn ich genau nachdenk, fühle ich mich eigentlich wie überhaupt erst geboren. Nicht schlecht. Wie spät? Haufen Zeit schon wieder vergangen, das zermürbt einen. Hab ich zu meinem Vater gesagt: Rackerei zeitlebens, und die Zeit vergeht ohne dich. Hat er nicht verstanden. Meine Mutter saß mit am Tisch, schmierte sich ein Brot mit Marmelade, du kennst sie ja, sie kocht die Marmelade selber ein, seit meiner Kindheit geht das so, Brombeer, Himbeer, Erdbeer, die ganze Palette. Ich hasse Marmeladenbrote. Dann kam Paul, zu spät, hatte Streit mit seiner Birgit wegen der Kinder, der übliche Kram. Meine Mutter war selig, als die Familie wieder vereint am Tisch saß, Adventsfrühstück, selig sind die Adventsfrühstücker. Sehr wichtige Gespräche. Essen an Heiligabend, Würstel mit Kartoffelsalat, Gans am ersten Feiertag, völlig überraschend. Gegen das Blaukraut meiner Mutter kannst du nichts sagen, das sag ich dir, nichts kannst du sagen, also sag auch nichts. Mein Bruder rauchte, meine Mutter schnorrte eine, Ritual. Paul ging aufs Klo. Ich wartete, bis ich hörte, wie er die Tür verriegelte, dann nahm ich den vollen Aschenbecher, und die Kippen rieselten auf den schönen Teppichboden. So war das, mein Freund, schöne Sauerei alles in allem.«

Hardy sagte: »Wie geht’s eigentlich der Miriam?« Den Satz hatte er für fast jeden seiner Stammgäste parat, der Wortlaut war jedesmal der gleiche, bis auf den Namen der Frau, den wechselte er aus, damit keine Unstimmigkeiten aufkamen.

»Zu der geh ich jetzt«, sagte Jeckel. »Wir haben nichts mehr miteinander, aber manchmal kocht sie was, einen Braten, Hähnchen, sehr angenehm. Ideal für meine Verhältnisse. Ich zahl dann mal, wenn’s dir keine Umstände macht.«

»Einundzwanzig siebzig«, sagte Hardy ungezwungen.

Wie die Kripo rekonstruierte, schlug Carl Jeckel zuerst zweimal mit dem schweren Kristallaschenbecher auf seine Mutter ein, dann ebenfalls zweimal auf seinen Vater, und als Paul Jeckel aus dem Badezimmer kam, zertrümmerte er ihm mit zwei gezielten Schlägen den Schädel. Seinen Vater erdrosselte Carl Jeckel daraufhin mit dem Telefonkabel, und als seine Mutter aus dem Zimmer kriechen wollte, auch sie mit einem Verlängerungskabel, das zum Fernseher führte. Als der Erste Kriminalhauptkommissar Peters ihn fragte, warum er das getan habe, sagte Carl Jeckel: »Das musste jetzt mal sein.«

Am 24. Dezember schneite es dann doch noch im oberbayerischen Maibach.

Janet Clark · Die erste Geige

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!