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Nicht schwarz oder weiß sind die Charaktere, sondern bunt, oft zerrissene Naturen, wie sie nur das echte Leben kennt. Denn William Shakespeare war vor allem eins: ein ausgezeichneter Beobachter. Die Zeitlosigkeit seiner Stu¨cke wurzelt in der Gabe, tief in die menschliche Seele zu blicken - bis hinab in ihre Abgru¨nde. Zum 450. Geburtstag des Meisters verneigen sich 12 Autoren vor seinem Können und weben aus den klassischen Stoffen 12 fesselnde Krimigeschichten. Getreu dem Hamlet-Motto "In der Ku¨rze liegt die Wu¨rze" wird neu interpretiert, modernisiert, fortgeschrieben und nicht zuletzt nach Herzenslust kriminalisiert - ganz wie es uns gefällt …
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Seitenzahl: 323
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Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage März 2014)
© 2014 by ars vivendi verlag
GmbH & Co. KG, Cadolzburg
Alle Rechte vorbehalten
www.arsvivendi.com
Lektorat: Dr. Felicitas Igel und Stefan Imhof
Umschlaggestaltung: ars vivendi unter Verwendung einer Fotografie von plainpicture/neuebildanstalt/Baeppler
Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag
eISBN 978-3-86913-444-4
Thomas Kastura
(Hrsg.)
Todie,
ornottodie
14 Shakespeare-Krimis
ars vivendi
Inhalt
Vorwort
Friedrich Ani · Allerseelen
Richard III.
Ralf Kramp · Das Geheimnis der zwölften Nacht – Ein Lord-Merridew-Krimi
Was ihr wollt
Christian Klier · An angel is like you, Kate – act number six
König Heinrich V.
Nina George · Ein Sommernachtsalbtraum
Ein Sommernachtstraum
Anke Gebert · Theaterblut
Othello
Richard Birkefeld · Es war der Wickert, nicht der Jobatey …
Romeo und Julia
Ewald Arenz · Tod in Venedig
Der Kaufmann von Venedig
Tessa Korber · Wintermärchen – Sommerhorror
Das Wintermärchen
Roland Spranger · Der Macbeth-Kandidat
Macbeth
Elmar Tannert · Alle wollen Karolina
Der Sturm
Petra Nacke · Blutsbande
Titus Andronicus
Gisbert Haefs · Learum, larum, Löffelstiel – Ein Totengespräch
König Lear
Jürgen Alberts · Lasst mich den Falstaff auch noch spielen … – Ein Krimi in zwei (bis drei) Stimmen
Die lustigen Weiber von Windsor
Thomas Kastura · Hamlet Remurdered
Hamlet
Die Autoren
Vorwort
»Wem der Neid, die krumme Arglist, Nahrung gibt, des Biss wagt an die Besten sich«, heißt es in Heinrich VIII. Wer auch immer die Theaterstücke verfasste, die gemeinhin dem Stratforder Handschuhmachersohn William Shakespeare zugeschrieben werden (oder einer Reihe anderer mehr oder weniger unwahrscheinlicher Kandidaten): Als Krimiautor könnte man tatsächlich neidisch werden auf diesen frühen King of Suspense. Vor allem die Tragödien und Historiendramen lassen sich oftmals als Paradebeispiele für handlungsstarke Thriller lesen, für verzwickte Intrigen und düstere Racheorgien, für scharfsinnige Dialoge und blutige Action. Ob Plot, Figuren oder Sprache: Hier hat jemand so gute und gründliche Arbeit geleistet, dass einem heute fast alles, was an Spannungsliteratur nachfolgte, als Imitation oder Variation erscheint.
Neidisch könnte man übrigens auch auf die Epoche Shakespeares werden, zumindest in künstlerischer Hinsicht: Das Theater diente im elisabethanischen und jakobäischen Zeitalter noch vorwiegend der Unterhaltung, es war überaus populär und publikumsorientiert – eine Ausrichtung, die gleichermaßen auf den Krimi zutrifft. Freilich gelang es Shakespeare und anderen seines Faches, eine packende Story mit Macht- und Gesellschaftskritik zu verbinden, wenn auch nur zwischen den Zeilen. Doch die grundlegenden Fragen des Lebens wurden schon damals verhandelt, und dafür eignen sich besonders gut Kapitalverbrechen: »Denn Mord, hat er schon keine Zunge, spricht mit wundervollen Stimmen«, mutmaßt Hamlet in Sherlock-Manier.
Da liegt es nahe, sich einmal literarisch zu verbeugen vor dem großen Ahnherrn. 14 deutsche Krimiautoren haben sich je ein Shakespeare-Stück vorgenommen und es neu interpretiert, um- und weitergedichtet, abgewandelt, ironisiert und vieles mehr. Zuerst hatte ich als Herausgeber die Befürchtung, dass jede zweite Kurzgeschichte einen Mafia-Paten zur Hauptfigur haben könnte. Heinrich IV., Macbeth, König Lear und einige andere wären dafür prädestiniert. Aber wenn man Autoren mit Shakespeare allein lässt, treibt ihre Fantasie die üppigsten Blüten. So sind für den Band To die, or not to die Texte entstanden, die selbst für eine Krimianthologie außergewöhnlich vielfältig sind – woran die jeweilige Vorlage wohl einen erklecklichen Anteil hat.
Shakespeare inspiriert eben nach wie vor, zeugt Stoffe und Formen fort und fort und löst eine mitunter obsessive Zitierlust aus. Kein Wunder, denn zahlreiche Sentenzen aus seinen Stücken sind in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. »Was wir ersinnen, ist des Zufalls Spiel« – diese stark untertriebene Beteuerung des Schauspieler-Königs im Hamlet möge als Motto dieses Bandes dienen.
Mein Dank gilt allen Beiträgern des Buches, den Lektoren Dr. Felicitas Igel und Stefan Imhof sowie dem Verleger Norbert Treuheit, der die Geister aus ihren Bezirken herbeirief, seine Idee auszuführen.
Thomas Kastura
Bamberg, im Februar 2014
Wer hoch steht, bietet manchem Sturm ein Ziel,
Und wenn er fällt, zerschlägt er sich in Stücke.
aus: Richard III., I, 3
Friedrich Ani · Allerseelen
Sie lässt ihn zwei Minuten warten, bevor sie in den Vernehmungsraum geht und sich ihm gegenüber an den Tisch setzt. Er hält die Arme verschränkt, zeigt keine Regung. Die Protokollantin an der Kopfseite des Tisches blickt konzentriert auf ihren Laptop. Heute Morgen hat sie mit ihrem sechsundzwanzigjährigen Sohn in Sydney telefoniert, der ihr mitteilte, er werde trotz der sich ausbreitenden Buschbrände weiter durchs Land reisen, fotografieren, sich jeden Abend betrinken und keinen Gedanken an die Rückkehr verschwenden. Seine Mutter, Lisbeth Fernau, ist achtundfünfzig, seit zwanzig Jahren Single mit wechselnden Männerbekanntschaften, und wenn sie über ihr Leben nachdenkt, gerät sie in einen Strudel aus Schatten und Verzweiflung, gegen den sie sich mit einem Übermaß an Überstunden zu wehren versucht. Seit jeher gilt sie im Dezernat als eine der zuverlässigsten Protokollantinnen. Auch in schwierigen Situationen behält sie die Kontrolle und lässt sich offenbar von keinen noch so grauenhaften Schilderungen irritieren. Einige Kommissare fordern für ihre Befragungen ausschließlich sie an, weil sie dann sicher sein können, dass Lisbeth Fernau auch die stummen Momente präzise wiedergeben wird und die Niederschrift mit den nötigen Randnotizen zum Verhalten des Zeugen oder Beschuldigten versieht.
Am Morgen dieses 2. November wäre Lisbeth am liebsten zur Corneliusbrücke gegangen und in den Fluss gesprungen.
Von solchen Gedanken ist in ihrem schmalen, dezent geschminkten Gesicht mit den wachen blauen Augen und der leicht schräg stehenden Nase nichts zu lesen. Oberkommissarin Anna Welz hat sie auf dem Flur begrüßt und gedacht, dass sie selbst gern so ausgeglichen und tatendurstig wäre wie die ehemalige Postangestellte, die damals eher zufällig im Polizeipräsidium gelandet ist.
Für Anna Welz, einundvierzig, bedeutet die erneute Begegnung mit dem Zeugen, der für acht Uhr einbestellt worden und auf die Minute pünktlich erschienen ist, eine Herausforderung, die ihre kriminalistischen Fähigkeiten nur untergeordnet betrifft.
Es fällt ihr schwer, den Mann überhaupt nur anzuschauen und seinen vollkommen undefinierbaren Körpergeruch zu ertragen.
Sie ertappt sich bei Vorurteilen. Seine Gegenwart hat sie vom ersten Augenblick an mit Misstrauen und einer Art von Abscheu erfüllt, wie sie es bisher von sich nicht gekannt hat. Manchmal dreht sie den Ton des Fernsehers leiser, wenn die Greuel eines fernen Krieges in ihr Wohnzimmer dringen. Oder sie wendet sich beim Anblick von Gästen in einem Restaurant ab, die ihr Essen maßlos in sich hineinstopfen. Und sie hat kein Problem damit, gewisse Politiker zu verachten und ihre Einstellung vor Kollegen oder Freunden offen zu zeigen.
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