The Nearness of you - Iris Morland - E-Book
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The Nearness of you E-Book

Iris Morland

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Beschreibung

Wiedersehen in Fair Haven.

Als Sara Flannigan in ihre Heimatstadt Fair Haven zurückkehrt, möchte sie nur eines: für ihren Sohn und sich ein neues Leben aufbauen. Ein Mann ist das Letzte, was sie jetzt braucht. Doch als sie den neuen Arzt ihres Sohnes kennenlernt, gerät ihr Vorsatz ins Wanken. Das Problem? Es ist Harrison, der älteste Sohn der angesehenen Thorntons. Seine Familie wird eine Frau wie Sara niemals an seiner Seite akzeptieren ...

Harrison, aufgewachsen in der reichen und mächtigen Thornton Familie, ist ein angesehener Arzt in Fair Haven. Niemals würde er sich Gefühle für die Mutter eines seiner kleinen Patienten gestatten. Doch Sara ist schön und intelligent und er muss ständig an sie denken. Er will nicht nur eine Nacht mit ihr, er will sie für immer.

In Fair Haven stoßen diese Gefühle allerdings auf Missfallen und schon bald muss sich Harrison entscheiden, ob er um das Herz der Frau und die Liebe, kämpfen möchte …

Auftakt der Thorntons Family Reihe von Iris Morland für alle Fans von Lucy Score and Claire Kingsley. Die Titel können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Wiedersehen in Fair Haven.

Als Sara Flannigan in ihre Heimatstadt Fair Haven zurückkehrt, möchte sie nur eines: für ihren Sohn und sich ein neues Leben aufbauen. Ein Mann ist das Letzte, was sie jetzt braucht. Doch als sie den neuen Arzt ihres Sohnes kennenlernt, gerät ihr Vorsatz ins Wanken. Das Problem? Es ist Harrison, der älteste Sohn der angesehenen Thorntons. Seine Familie wird eine Frau wie Sara niemals an seiner Seite akzeptieren ...

Harrison, aufgewachsen in der reichen und mächtigen Thornton Familie, ist ein angesehener Arzt in Fair Haven. Niemals würde er sich Gefühle für die Mutter eines seiner kleinen Patienten gestatten. Doch Sara ist schön und intelligent und er muss ständig an sie denken. Er will nicht nur eine Nacht mit ihr, er will sie für immer.

In Fair Haven stoßen diese Gefühle allerdings auf Missfallen und schon bald muss sich Harrison entscheiden, ob er um das Herz der Frau und die Liebe, kämpfen möchte …

Auftakt der Thorntons Family Reihe von Iris Morland für alle Fans von Lucy Score and Claire Kingsley. Die Titel können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Iris Morland

The Nearness of you

Aus dem Amerikanischen von Katia Liebig

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

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EPILOG

Impressum

Lust auf more?

Für Christine und Erin –

ohne euch würde es dieses Buch nicht geben.

1

»James Daniels?«

»Flannigan«, korrigierte Sara Flannigan automatisch, bevor sie sich an ihren Sohn wandte. »Komm.«

James zuckte mit den Schultern, ohne den Blick von seinem Videospiel zu heben, folgte seiner Mutter aber ohne Protest in den hinteren Teil der Praxis. Gerade mal sechs Jahre alt und schon so stur wie ein Erwachsener, dachte Sara und schüttelte innerlich den Kopf. James war die Liebe ihres Lebens, seit man ihn rot, verschrumpelt und schreiend in ihre Arme gelegt hatte.

»Na, dann wollen wir erst mal den langweiligen Teil hinter uns bringen«, sagte die medizinische Assistentin, während sie James’ Gewicht und Körpergröße ermittelte und die beiden dann in eins der Sprechzimmer führte.

Sara hasste den kalten, antiseptischen Geruch in diesen Zimmern und das Knistern der Papierunterlage auf der Untersuchungsliege, wenn James anfing, vor Langeweile herumzuzappeln. Es war ihr erster Arztbesuch seit sechs Monaten – seit ihr wundervoller Kinderarzt in Seattle ihnen bestätigt hatte, dass ihr Sohn gesund war und aktuell keine Krebszellen nachgewiesen werden konnten, so dass James nicht mehr ständig zum Arzt musste.

Doch als Sara nun die geschwollenen Lymphknoten an seinem Hals erfühlt hatte, hatte sie sofort einen Termin bei einem Hausarzt in der kleinen Stadt Fair Haven, Washington, gemacht, in die sie erst vor zwei Monaten gezogen waren. Aber der Arzt hatte ihre Sorgen nicht ernst genommen.

Deshalb war sie nun hier, beim besten Kinderonkologen der Stadt, um sicherzugehen, dass der Krebs nicht zurückgekehrt war.

»Das sieht alles gut aus. Dr. Thornton kommt sofort.« Die medizinische Assistentin lächelte James zu, der nach wie vor mit den Beinen baumelnd in sein Spiel vertieft war und dabei mit den Fersen gegen die Untersuchungsliege trat.

Sara rieb die Handflächen aneinander. Sie hätte sich einen Pullover mitnehmen sollen. Warum war es in Arztpraxen eigentlich immer so kalt? Sie war noch nie in einer Praxis gewesen, egal zu welcher Jahreszeit, in der sie nicht im eisigen Luftzug der Klimaanlage gefroren hätte.

James’ geschwollene Lymphkonten hatten ganz sicher nichts zu bedeuten. Wahrscheinlich war er einfach nur erkältet. Der Krebs befand sich seit über vier Jahren in Remission, doch Sara konnte sich einfach nicht gegen die Erinnerungen wehren, die über sie hereinbrachen. Damals hatte er die gleichen Symptome gezeigt, und auch da war sie davon ausgegangen, dass es nichts Besonderes sei. Bis der Arzt ihr eröffnet hatte, dass ein Tumor die Knochen ihres Sohnes befallen hatte, zum Glück jedoch noch nicht das Knochenmark …

»Mrs. Daniels«, begrüßte Dr. Thornton sie, als er den Raum betrat.

Als Sara den Blick von ihren krampfhaft ineinander verschränkten Fingern hob, konnte sie gerade noch verhindern, dass ihr die Kinnlade runterfiel.

Das war Dr. Thornton? Dieser umwerfend attraktive Mann mit den dunklen Haaren und tiefgrünen Augen, gerade mal Anfang dreißig?

Sie schluckte trocken. »Flannigan«, korrigierte sie lahm. Sie war noch nicht dazu gekommen, nach der Scheidung auch offiziell wieder ihren Mädchennamen anzunehmen, und wurde so regelmäßig an ihren Ex-Mann erinnert, der sie so hinterhältig betrogen hatte.

Doch der Gedanke an ihn verflüchtigte sich augenblicklich, als ihr klar wurde, dass der Arzt ihres Sohnes nicht nur ein Familienmitglied der vermögenden Thorntons von Fair Haven war, sondern auch noch die Unverschämtheit besaß, weder fett noch hässlich zu sein.

Natürlich war er ein Thornton. Sara hatte seinen Namen schließlich im Internet gelesen, jedoch vor lauter Sorge um James nicht weiter darüber nachgedacht. Wieder mal typisch mein Glück, dachte sie.

Natürlich war er attraktiv. Groß und muskulös, füllte er seinen Arztkittel perfekt aus. Sara hatte gewusst, dass sein Vater Mediziner war, aber nicht, dass dessen ältester Sohn offenbar den gleichen Weg eingeschlagen hatte.

Die gesamte Thornton-Familie galt in Fair Haven sozusagen als der Adel der Stadt. Reich, schön und talentiert, wie sie waren, hatten alle sechs Kinder immer zu den beliebtesten Kids der Schule gehört. Für Sara, die in einem Trailer Park mit einer alkoholabhängigen Mutter und einer nicht ganz einfachen jüngeren Schwester aufgewachsen war, hatten die Throntons immer ein Leben verkörpert, das sie sich höchstens im Traum vorstellen konnte. Beide Elternteile – erfolgreich und gesund – in ihrem Leben zu haben? Funkelnagelneue Autos zu fahren, auf die besten Schulen zu gehen, jede Art von Sport oder Hobby betreiben zu können, egal, wie viel es kostete? Sie selbst hatte im sechsten Schuljahr aus dem Schulorchester austreten müssen, weil ihre Mutter die monatliche Miete für ihre billige Flöte nicht mehr hatte aufbringen können. Sie erinnerte sich noch gut an die glänzende neue Flöte, die Lizzie Thornton im selben Jahr bekommen hatte. Sara war förmlich grün geworden vor Neid.

Dr. Thornton blickte auf und riss sie aus ihren Gedanken. »Flannigan, den Namen kenne ich. Sind Sie …?«

»Die Tochter von Ruth Flannigan? Ja, die bin ich.«

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, es schien, als würde er sie zum ersten Mal richtig ansehen. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, dann hätte sie sich eingebildet, dass er sie interessiert musterte.

Doch dann wandte er sich ab, und Sara sagte sich, dass sie sich geirrt haben musste. Als ob einer aus dieser eingebildeten Familie sie auch nur eines Blickes würdigen würde! Ihr war sehr wohl bewusst, was sie über Leute wie Sara dachten, die arm und ohne Vater, dafür mit einer alkoholkranken Mutter aufgewachsen waren. Harrison Thornton war kurz nach seinem sechzehnten Geburtstag mit einem Porsche zum Unterricht gekommen. Sara erinnerte sich noch daran, wie sie vor der Junior High direkt neben der Highschool aus dem Bus gestiegen war und den leuchtend roten Sportwagen auf den Parkplatz hatte einbiegen sehen. Harrison hatte ausgesehen wie der coolste Typ im ganzen Universum.

Aber jetzt war er nicht mehr der coole Teenager. Er war ein Mann, der mit jeder Bewegung, jeder Geste Selbstvertrauen verströmte. Sara betrachtete ihn fasziniert und redete sich ein, dass sie ihn lediglich interessant fand. Nein, sie fand ihn nicht attraktiv, und sie dachte auch nicht daran, wie warm seine Hand gewesen war, als er sie begrüßt hatte, oder dass man ihn mit seinen skulpturalen Gesichtszügen, den breiten Schultern und der beeindruckenden Statur problemlos für einen bekannten Schauspieler hätte halten können.

»Und du musst James sein.« Harrison reichte ihrem Sohn die Hand, die dieser nach kurzem Zögern nahm. »Wie fühlst du dich?«

James zuckte mit den Schultern, was in letzter Zeit zu seiner Lieblingsgeste geworden war. »Gut.«

»Seine Lymphknoten sind geschwollen«, erklärte Sara. »Damals hatte er ähnliche Symptome.«

Harrison nickte und setzte sich. Er blätterte durch seine Unterlagen. »Er war zweiundzwanzig Monate alt, als bei ihm ein Neuroblastom festgestellt wurde, richtig? Und er befindet sich seit mittlerweile … vier Jahren in Remission?«

»Ja, das ist richtig. Als die Krankheit festgestellt wurde, hatte sie bereits seinen linken Oberschenkelknochen befallen.«

Sara konnte jedes Symptom, jedes Detail, jede Diagnose, die mit James’ Erkrankung zu tun hatte, im Schlaf herunterrasseln. Sie hatte sie ganz allein bekämpfen müssen, da ihr Ex-Mann es vorgezogen hatte, möglichst alle Arztbesuche und sonstigen Termine zu meiden. Saras Leben hatte nur noch aus Krebs, Krebs, Krebs bestanden. Als sie ihn schließlich besiegt hatten, hatte sie gar nicht gewusst, was sie nun mit sich anfangen sollte.

»Hat er noch weitere Symptome?«, fragte Harrison und machte sich Notizen.

»Nein, aber er hat eine Prellung am rechten Schienbein, die mir Sorgen bereitet.«

»Mom, ich habe dir doch gesagt, dass Travis mich beim Fußball getreten hat.« James schlug noch immer mit seinen Fersen gegen die Liege. »Es geht mir gut.«

»Ganz bestimmt, aber Vorsicht ist besser als Nachsicht, nicht wahr?« Harrison stand auf, zog sich ein Paar Handschuhe über und begann mit der Untersuchung. »Fühlst du dich müde oder erschöpft? Ist dir übel?«

James schüttelte den Kopf.

»Wie läuft es in der Schule?«

»Gut.«

Sara seufzte. »Er hat im Herbst hier angefangen und ist im Förderprogramm für besonders talentierte Schüler«, sagte sie und musste sich eingestehen, wie stolz sie darauf war. Ihr selbst war die Schule nie leichtgefallen, und ihren Sohn bereits nach wenigen Monaten an der Spitze seiner Klasse zu sehen, erfüllte sie mit Freude und Genugtuung.

»Wirklich? Das ist großartig. Und was machst du sonst so?« Harrison sah James in Ohren und Mund, während er seine typischen Fragen stellte.

»Ich spiele Fußball. Es macht Spaß, auch wenn ich immer Ärger kriege, wenn ich den Ball mit der Hand berühre.«

Harrison lachte, was Sara einen prickelnden Schauer über den Rücken jagte. Wieso musste er nur so verdammt attraktiv sein? Das war nicht fair.

»Ich war nie gut im Fußball«, gestand er. »Basketball ist eher mein Ding. Dabei kann man den Ball so viel anfassen, wie man will.«

James runzelte die Stirn. »Jack Talbert sagt, ich bin zu klein für Basketball, und ich werde niemals größer werden, als ich jetzt bin.«

»Nun, Jack Talbert kann sicher nicht in die Zukunft schauen. Und einer meiner besten Kumpel ist zwar nicht besonders groß, aber er ist der beste Point Guard, den ich kenne.«

James sah ihn mit großen Augen an. »Wirklich?«

»Wirklich. Größe kann beim Basketball von Vorteil sein, aber es gibt auch jede Menge Spieler unter zwei Meter zehn.« Harrison zwinkerte ihm zu. »Na, dann zeig mir mal deine Lymphknoten.«

Sara hielt den Atem an, während er den Hals ihres Sohnes abtastete. Beide Lymphknoten schienen größer zu sein als sonst, wie große Gummiknubbel. James hatte ihr versichert, dass sie nicht wehtaten, was ihr jedoch nur noch mehr Sorgen bereitet hatte, denn damals war es genau das Gleiche gewesen.

Sie versuchte, die Angst, die sich in ihr ausbreitete, zurückzudrängen. Wenn der Krebs zurück war, musste sie ihre Arbeit aufgeben, um sich um James zu kümmern. Beim ersten Mal war sie Hausfrau und Mutter gewesen, während Kyle voll gearbeitet hatte. Aber nun hatte sie gerade erst hier in Fair Haven als Lehrerin einer dritten Klasse angefangen. Wie sollte sie für sich und James sorgen, wenn er krank war?

Harrison setzte sich wieder hin, um sich weitere Notizen zu machen.

Schließlich hielt Sara es nicht mehr aus. »Und?«, fragte sie.

»Allein den geschwollenen Lymphknoten nach zu urteilen, bin ich mir ziemlich sicher, dass die Krankheit nicht zurückgekehrt ist«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Aber wir wollen natürlich sichergehen, deshalb werden wir einen Bluttest machen.«

James stöhnte genervt auf. Sara wusste, wie satt er es hatte, ständig Nadeln in die Haut gestochen zu bekommen.

»Und wenn sie doch zurückgekehrt ist?«, fragte sie nervös.

»Dann erstellen wir einen Behandlungsplan. Wir können den Bluttest gleich hier und heute machen, dann haben wir die Ergebnisse spätestens Ende der Woche.«

Sara stieß die Luft aus ihren Lungen. Ihre Angst war immer noch da, doch beim Anblick ihres Sohnes, der wieder in sein Spiel vertieft mit den Beinen baumelte, fiel es ihr schwer zu glauben, dass er wieder krank sein könnte.

Sie betete, dass sie sich nicht irrte.

***

Harrison Thornton sah Sara und ihrem Sohn nach, als die beiden zur Blutabnahme nach unten ins eine Etage tiefer gelegene Labor geführt wurden.

Er hatte Sara Flannigan seit der Highschool nicht mehr gesehen und, wenn er ehrlich war, auch nicht an sie gedacht. Die meisten Leute in Fair Haven hatten voller Verachtung auf ihre Familie hinabgesehen, und auch wenn Harrison und seine Geschwister ihr und ihrer Schwester das Leben nicht aktiv schwer gemacht hatten, so hatten sie sich auch nie darum bemüht, freundlich zu ihnen zu sein.

Harrison zuckte innerlich zusammen. Ein schlechtes Gewissen plagte ihn, gemeinsam mit einem anderen Gefühl, das er erst recht gern geleugnet hätte – einer gewissen Anziehung.

Sara hatte Fair Haven direkt nach der Schule verlassen, Harrison erinnerte sich vage, dass sie jung geheiratet hatte. Von einem Sohn hatte er nichts gewusst, ebenso wenig, dass sie offenbar wieder in der Stadt war. Warum sie wohl zurückgekehrt war? Ihre Schwester Megan hatte vor Kurzem eine kleine Bäckerei mit Café in der Stadt eröffnet. Vielleicht hatte Sara sich ja einfach wieder in die Nähe ihrer Mutter und ihrer Schwester begeben wollen.

Harrison selbst war einige Jahre älter als Sara, so dass sie nie zur selben Zeit in dieselbe Schule gegangen waren. Höchstens vielleicht in die Grundschule. Fair Haven war so klein, dass es nur eine einzige Grundschule, eine Junior High und eine Highschool gab. Die Junior High und die Highschool teilten sich sogar einen Parkplatz, und auch die Grundschule lag nur etwa eine Meile entfernt.

Doch da war noch etwas anderes in den Tiefen seines Gedächtnisses, wenn er an Sara Flannigan dachte, irgendetwas, das er über sie gehört hatte, aber es war schon so lange her, dass er sich nicht mehr erinnern konnte.

Jedenfalls war Sara Flannigan zu einer wunderschönen Frau geworden. Mit ihren dunklen Haaren, ihren Kurven und den blauen Augen war sie exakt der Typ Frau, den Harrison normalerweise auf einen Drink einladen würde.

Aber sie war die Mutter eines Patienten, und das hieß: keine Drinks. Dieses Spielchen hatte er einmal gespielt, und es war nicht gut ausgegangen.

Während er seinen Bericht beendete, versuchte er, Saras Gesicht wieder aus seinen Gedanken zu verdrängen. Als Kinderonkologe hatte er mit zahlreichen Eltern zu tun, und manchmal bestand seine Arbeit weniger darin, die Krebserkrankung der Kinder zu behandeln, als vielmehr die besorgten Eltern zu unterstützen, die ihre Kinder leiden sehen mussten. Am schlimmsten waren die Kinder, die es nicht schafften. Den Eltern sagen zu müssen, dass ihr Kind nicht geheilt werden konnte?

Das war der schlimmste Teil seiner Arbeit, und den würde er nicht mal seinem ärgsten Feind wünschen.

»Dr. Thornton, könnte ich Sie noch einen Moment sprechen?«

Sara stand im Türrahmen.

»James, geh mit der Schwester nach vorne. Ich möchte noch kurz mit dem Doktor sprechen«, sagte sie an ihren Sohn gewandt, der gehorsam Harrisons Assistentin folgte.

Sara schloss die Tür, blieb aber stehen. Sie rang die Hände und wirkte blass und sehr besorgt. Harrison empfand tiefes Mitgefühl mit ihr.

»Ms. Flannigan, bitte setzen Sie sich.« Er führte sie zu einem der Stühle. »Gab es ein Problem bei der Blutabnahme?«

Ihre Augen weiteten sich ein wenig. »O nein. James ist sehr tapfer. Er ist es schließlich gewohnt.« Sie lächelte traurig. »Wenn man als kleines Kind schon ständig gepikst und getestet wird, ist so eine kleine Blutabnahme vermutlich kaum der Rede wert. Er findet es eher langweilig, wenn die Schwester versucht, eine seiner Venen ausfindig zu machen.«

»Nun, es freut mich, dass es kein Problem für ihn war.« Harrison betrachtete sie und fragte mit leiser Stimme: »Aber was ist mit Ihnen? Ich weiß, dass es für Eltern genauso schwierig sein kann wie für ihre Kinder.«

Sara wischte sich über die Augen und lachte. »Ich weiß, Sie haben gesagt, dass der Krebs sehr wahrscheinlich nicht zurückgekehrt ist, aber ich muss immer wieder daran denken, wie wir seine erste Diagnose bekommen haben. Als der Arzt meinte, es könnte Krebs sein, habe ich gelacht. Es war einfach zu absurd.« Sie atmete tief ein. »Aber als es dann tatsächlich Krebs war und er eine Chemotherapie und Bestrahlung machen musste und …«

Harrison rückte seinen Stuhl ein wenig näher und legte seine Hand auf ihre. Obwohl er im Umgang mit besorgten Eltern geschult worden war, berührte Saras Qual ihn mehr als sonst. Vielleicht weil er spürte, wie sehr sie ihren Sohn liebte; oder vielleicht auch, weil er gerne mehr über sie wissen wollte. Ja, möglicherweise waren seine Motive vollkommen eigennützig.

»Sobald ich die Ergebnisse habe, rufe ich Sie an«, versprach er. »Ich kann nicht komplett ausschließen, dass die Krankheit zurückgekehrt ist, aber ich bin wirklich zuversichtlich, was die Ergebnisse betrifft. Lassen Sie sich davon nicht die Woche verderben. Genießen Sie die Zeit mit James, und freuen Sie sich darüber, was für ein schlauer, gesunder kleiner Junge er ist.«

»Sie haben recht. Ich meine, ich werde es versuchen.« Sie schniefte. »Im letzten Jahr habe ich es tatsächlich ganz gut hinbekommen. Er war gesund. Aber jedes Mal, wenn die Gefahr besteht, dass seine Krankheit zurückgekehrt ist, setzt bei mir alles aus. Es macht mich einfach fertig.«

Harrison bemerkte, dass seine Hand noch immer auf ihrer lag, und er konnte sich nicht davon abhalten, sie zu drücken. Als sie diese Geste erwiderte, spürte er es im ganzen Körper.

»Haben Sie mal mit jemandem über eine mögliche posttraumatische Belastungsstörung gesprochen?« Als sie ihn erschrocken ansah, erklärte er: »Ich weiß, die meisten Leute denken, so etwas trifft nur Soldaten, die aus dem Krieg zurückkehren, aber Sie sind buchstäblich durch die Hölle gegangen. Niemand würde es einfach so wegstecken, mitansehen zu müssen, wie das eigene Kind gegen Krebs kämpft.«

Sara zog ihre Hand zurück und starrte in die Ferne. »Ich habe noch nie darüber nachgedacht, aber vielleicht sollte ich das tun. Schließlich kann ich das unmöglich jedes Mal durchmachen, sobald James auch nur die geringsten Anzeichen dafür zeigt, krank zu sein. Was passiert, wenn er sich mal einen Knochen bricht oder so? Dann komme ich für den Rest meines Lebens in die Klapse.« Sie lachte, doch es war ein zittriges Lachen.

Harrison wünschte, er könnte sie in den Arm nehmen. Nicht weil sie so wunderschön war und ihr Kind zweifellos über alles liebte, sondern weil sie aussah, als könnte sie es brauchen. Doch stattdessen versicherte er ihr: »Sie haben das mit James großartig gemacht, und falls – der liebe Gott möge es verhindern – seine Krankheit tatsächlich zurückgekehrt sein sollte, dann werden wir sie gemeinsam bekämpfen. Das verspreche ich Ihnen.«

Ihre Augen glänzten, als sie zu ihm aufblickte. »Danke. Manchmal fühle ich mich, als lastete die ganze Welt auf meinen Schultern. Seit der Scheidung …« Als wäre ihr gerade bewusst geworden, dass sie möglicherweise zu viel von sich erzählte, unterbrach sie sich, stand auf und reichte ihm die Hand. »Danke noch mal, Dr. Thornton, für Ihre Hilfe.«

Als er ihre Hand nahm und auf sie hinunterblickte, konnte er in ihrem Gesicht sehen, dass sie ihn womöglich ebenso anziehend fand wie er sie. Ihre Augen weiteten sich ein wenig, und ihm fiel auf, wie rot ihre Lippen waren und wie lang und dunkel ihre Wimpern.

Die Tür hinter ihnen öffnete sich mit einem leisen Knarren.

»Mom, kommst du?« James steckte seinen Kopf ins Zimmer.

Sara zuckte zusammen. »Oh, James. Ja. Entschuldige, Dr. Thornton und ich haben uns nur ein wenig unterhalten.« Sie zog ihre Hand aus seiner.

Harrison nickte James zu, dessen Blick zu sagen schien: Ich weiß, was Sie da gerade über meine Mutter gedacht haben, und es gefällt mir nicht. Doch im nächsten Moment war der Blick verschwunden; vermutlich hatte Harrison ihn sich nur eingebildet.

»Ich melde mich, Ms. Flannigan. James, viel Erfolg beim Fußball. Und versuch’s mal mit Basketball, wenn du die Gelegenheit hast.«

James nickte und zupfte seine Mutter am Ärmel. »Komm schon, ich bin am Verhungern.«

»Okay, okay. Auf Wiedersehen, Dr. Thornton. Und danke noch mal.«

Harrison sah den beiden nach, als sie den Raum verließen, und sein Gefühl sagte ihm, dass er Sara Flannigan noch häufiger sehen würde.

2

Lächelnd beobachtete Sara, wie James draußen mit seinem Fahrrad herumkurvte. Wenn man ihn so sah, wäre man niemals auf den Gedanken gekommen, dass er einmal sehr krank gewesen war, und es fiel ihr schwer, zu glauben, dass er wieder krank sein könnte. Bei diesem Gedanken zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen.

Bitte lass es nichts sein. Lass es einfach nichts sein.

»Kannst du mir das mal abnehmen?«

Sara drehte sich um und sah ihre Mutter mit Tüten voller Lebensmittel jonglieren. Ruth Flannigan war mit sechzig noch einmal in eine Entzugsklinik gegangen, und nachdem sie nun seit einem Jahr trocken war, wollte Sara tatsächlich daran glauben, dass es diesmal so bleiben könnte. Mit ihren leuchtend rot gefärbten Haaren und der Cat-Eye-Brille war Ruth eine auffallende Erscheinung, was Sara als Kind geliebt und als Teenager gehasst hatte.

»Was hast du denn alles gekauft?« Sara nahm ihr zwei der Tüten ab und stellte sie auf den Küchentresen. Sie zog diverse Kartons mit Frühstücksflocken heraus – Lucky Charms, noch mehr Lucky Charms, Captain Crunch, Cini Minis – und seufzte. »Ich habe dir doch gesagt, nicht so ein Zuckerzeug zum Frühstück. Das macht James den ganzen Tag zappelig.«

»Sie waren im Angebot! Und lass dein Kind mal ein wenig leben. Eine Schüssel mit Marshmallows wird ihn schon nicht umbringen.«

Sara hatte keine Lust, darüber zu diskutieren. Nicht heute. Nachdem Ruth aus der Klinik entlassen worden war, hatte sie ihre älteste Tochter angerufen und sie gebeten, nach Fair Haven zurückzukommen. Der Alkohol hatte ihr zahlreiche gesundheitliche Probleme beschert, sie war arbeitsunfähig, und ohne Rente wusste sie einfach nicht, wie sie weitermachen sollte. Sara hatte Seattle eigentlich nicht verlassen wollen, doch nach der Scheidung hatte es sich dann richtig angefühlt, wieder nach Hause zurückzukehren. Sie hatte ihre Mutter aus dem Trailer Park geholt, war mit ihr und James in ein kleines, bescheidenes Haus gezogen und redete sich ein, das Richtige getan zu haben.

Auch wenn ihre Mutter nicht zuhörte, wenn es um James’ Ernährung ging.

»Mom, ich weiß, du meinst es nur gut«, sagte sie mit fester Stimme und zwang Ruth, ihr in die Augen zu sehen. »Aber James’ Gesundheitszustand ist nach wie vor nicht stabil. Solange ich für ihn verantwortlich bin, werde ich nicht zulassen, dass ihm irgendetwas passiert.«

Ruth sah aus, als wollte sie ihr widersprechen, doch dann seufzte sie nur tief. Ihre Schultern hoben und senkten sich. »Oh, Sara, siehst du denn nicht, dass er vollkommen gesund ist? Der Krebs ist fort. Lass deinen Sohn schmutzig werden und Zucker essen. Wir wissen beide, wie kurz das Leben sein kann.«

Sara wandte sich wieder den Einkaufstüten zu. Als sie sah, dass sich in einer von ihnen fast ausschließlich Obst und Gemüse befanden, zwang sie sich dazu, sich ein wenig zu beruhigen. »Ich war gestern mit James bei einem Onkologen«, gestand sie ihrer Mutter.

Ruth fiel ein Töpfchen mit Sour Cream aus der Hand. Es rollte über den Fußboden und blieb neben Saras Knöcheln liegen. »Du warst was? Warum hast du nichts gesagt?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht weil ich versucht habe, mir einzureden, dass es nicht wahr ist?« Als sie den Blick ihrer Mutter sah, bekam sie ein schlechtes Gewissen. »Entschuldige. Ich hätte es dir sagen sollen. Wahrscheinlich ist es gar nichts. Der Arzt selbst sagt das auch.«

»Aber es war genug, um dich dort hingehen zu lassen.«

Jetzt war es an Sara, dem Blick ihrer Mutter auszuweichen. Obwohl Ruth seit einem Jahr trocken war, vertraute Sara ihr noch immer nicht ganz. Zu oft hatte sie sie betrunken auf dem Sofa vorgefunden oder den Notarzt gerufen, weil sie das Bewusstsein verloren hatte und nicht aufzuwecken gewesen war. Es hatte einfach zu viele Entzugsversuche gegeben, die nicht lange gehalten hatten, zu viele verpasste Konzerte, Spiele und Elternabende. Sara hatte ihre jüngere Schwester Megan mehr oder weniger alleine großgezogen.

Vor einiger Zeit hatte sie deswegen eine Therapie gemacht. Sie wusste, dass sie ihrer Mutter vergeben musste – irgendwann.

»Ich weiß, dass du mir nicht vertraust«, sagte Ruth leise. Ihre Augen waren traurig. »Ich weiß, dass es nicht reicht, mit dem Trinken aufzuhören, um alle Probleme zu lösen. Mein Sponsor hat mir immer wieder gesagt, dass ich dir Zeit geben muss, aber ich wünschte, du hättest es mir gesagt. Du hast das alles schon einmal alleine durchgestanden.«

Sara biss sich auf die Wange. Ja, leider. Aus unerfindlichen Gründen tauchte plötzlich das Gesicht von Dr. Thornton vor ihrem inneren Auge auf. Sein freundliches, schönes Gesicht, die beruhigende Wirkung seiner Hand. Hatte sie sich von ihm angezogen gefühlt, weil er ihr genau das gesagt hatte, was sie hatte hören wollen, oder war da noch mehr gewesen? Etwas, über das sie nicht weiter nachdenken wollte?

»Mom! Mom! Travis hat einen riesigen Grashüpfer gefunden!« James stürmte in die Küche und riss das Tiefkühlfach auf, um sich ein Eis herauszunehmen.

»James, es ist zehn Uhr morgens«, protestierte Sara. Doch als sie Ruths hochgezogene Braue sah, gab sie nach. »Meinetwegen. Aber nur eins. Und nimm auch eins für Travis mit.«

»Komm mit raus, und sieh dir den Grashüpfer an. Er ist so grün«, sagte James mit riesigen Augen.

»Jamesy, komm, zeig deiner alten Großmutter den riesigen grünen Hüpfer. Vielleicht haben wir ja Glück und können auch ein paar Asseln fangen.«

Sara wurde ganz warm ums Herz, als sie ihrer Mutter mit James und Travis, dem Nachbarsjungen und Klassenkameraden ihres Sohnes, zusah. Travis hatte ein Talent dafür, sich selbst dann noch schmutzig zu machen, wenn es gar nicht geregnet hatte – Sara hatte keine Ahnung, wie er das schaffte. Außerdem hatte er einen wilden Haarwirbel am Hinterkopf. Aber er war ein guter Junge, und Sara verbrachte ihre Zeit weit lieber damit, ihren Sohn von Dreck und Schmutz zu befreien, als mit ihm ins Krankenhaus zur Bestrahlung zu fahren. Anfangs hatte sie Sorge gehabt, welchen Einfluss ihre Mutter auf James haben könnte, doch jetzt stellte sie erleichtert fest, wie selbstverständlich Ruth ihre Rolle als Großmutter ausfüllte. Wenn Sara wütend war, weil sie selbst diese Seite ihrer Mutter als Kind niemals zu Gesicht bekommen hatte, nun denn, dann würde sie ihre Wut hinunterschlucken und versuchen, sie hinter sich zu lassen.

Sara packte gerade die letzten Einkäufe aus, als ihr Handy klingelte. Nach einem Blick auf das Display war sie einen Augenblick lang versucht, nicht dranzugehen. Ihr Magen krampfte, und sie spürte, wie ihr Kopf anfing zu pochen.

Kyle Daniels stand dort.

Sie hätte es in Arschloch-Ex-Mann ändern sollen.

»Hallo?«, sagte sie schließlich möglichst ruhig.

»Sara? Ich dachte schon, du gehst nicht dran.« Kyle lachte, und sofort stellten sich Saras Nackenhaare auf.

Sie und Kyle hatten jung geheiratet, hauptsächlich weil Sara schwanger geworden war und nirgendwo sonst hingekonnt hätte – ohne Geld oder Job, aber mit einem Baby. Sie hatte versucht, daran zu glauben, dass sie und Kyle ein gemeinsames Laben miteinander aufbauen konnten, vor allem nachdem James zur Welt gekommen war, doch ihre ohnehin schon labile Ehe war sehr schnell in sich zusammengefallen, sobald auch noch ein Neugeborenes hinzugekommen war.

»Was macht Fair Haven? Oder zieht es dich schon wieder zurück in die Zivilisation?«

Sara zog eine Grimasse und starrte auf die Obstschale auf dem Tisch. »Was willst du, Kyle?«

»Oh, ein wenig empfindlich, was? Du weißt doch, ich mache nur Spaß. Eigentlich wollte ich mit dir über James reden.«

Sofort läuteten bei Sara alle Alarmglocken. Kyle hatte sich nie für seinen Sohn interessiert, erst recht nicht während dessen Krankheit. Doch seit der Scheidung hatte sich das geändert, auch wenn es ihm ganz offensichtlich nur darum ging, sich an Sara zu rächen, weil sie es gewagt hatte, Kyle zu verlassen.

»Sieh mal, ich weiß, du hast gesagt, dass ich ihn jederzeit sehen kann, aber ich wüsste nicht, wie das funktionieren sollte, jetzt, wo ihr zwei Stunden entfernt wohnt. Ich habe mit meinem Anwalt darüber gesprochen, und er ist ebenfalls der Meinung, dass du mit deinem Umzug unsere Sorgerechtsvereinbarung verletzt hast.«

Die Bananen und Äpfel verschwammen vor ihren Augen. »Nur für den Fall, dass du es vergessen hast: Ich habe das volle Sorgerecht für James«, sagte sie langsam, während die Wut in ihr aufstieg. »Ich könnte mit ihm nach Australien auswandern, wenn ich wollte.«

»Und wessen Idee war es, dir das Sorgerecht zu überlassen? Meine. Weil ich fand, dass es das Beste für ihn sei, bei seiner Mutter zu wohnen.« Kyle sprach das Wort »Mutter« immer in einem Ton aus, in dem andere vielleicht »Tausendfüßler« gesagt hätten. »Aber das bedeutet nicht, dass du ihn von mir fernhalten kannst. Ich werde nicht zulassen, dass du mich aus seinem Leben ausschließt.«

Jetzt war es aber genug. »Wann warst du denn jemals in seinem Leben? Du warst nicht mal da, als wir unter einem Dach gewohnt haben! Im letzten Jahr hast du ihn vielleicht fünfmal gesehen, und da hast du nur zwanzig Minuten entfernt gewohnt. Wenn du ihn wirklich sehen willst, setz dich ins Auto, und komm her.«

Doch Kyle sprang nicht darauf an. Sara kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass es nicht gut war, wütend zu werden, denn er würde es in jedem Fall gegen sie verwenden. »Jetzt werd nicht gleich emotional. Du weißt, dass ich nicht mit dir reden kann, wenn du so bist«, sagte er mit dieser Stimme, die an Saras Nerven kratzte wie Fingernägel auf einer Tafel. »Ich werde meinem Anwalt sagen, er soll sich mit deinem in Verbindung setzen, um die Angelegenheit auf vernünftige Art und Weise zu besprechen.«

»Tu das.«

Sie legte auf und schrie vor Wut so laut auf, dass Ruth den Kopf in die Küche steckte, um zu sehen, ob alles in Ordnung war.

»Nur Kyle«, sagte Sara.

Ruth nickte verständnisvoll. »Oh, das hätte ich wissen können. Ich lasse dich allein.«

Sara stand am Küchenfenster, sah zu, wie Ruth James und Travis dabei half, Asseln und Grashüpfer zu suchen, und versuchte sich zu beruhigen, doch es gelang ihr nicht. Sie hätte nie gedacht, dass sie einen Menschen jemals so hassen könnte, wie sie ihren Ex-Mann hasste. Als sie jünger gewesen war, hatten sein Reichtum und sein gesellschaftlicher Status ihr imponiert, und sie hatte sich eingeredet, einen solchen Mann nicht wert zu sein. Wie jung und naiv sie doch gewesen war. Als sie festgestellt hatte, dass sie schwanger war, hatte sie es Kyle voller Freude und Hoffnung erzählt. Sie konnten eine Familie sein – eine Familie, wie sie selbst sie niemals gehabt hatte.

Erst viel später war Sara bewusst geworden, dass Kyle sie nur geheiratet hatte, weil seine Eltern von ihrer Schwangerschaft erfahren und ihn gezwungen hatten. Er selbst hatte nie vorgehabt, sie zur Frau zu nehmen.

Sie atmete tief aus. Auch wenn sie das volle Sorgerecht für James hatte, besaß Kyle genug Geld und Verbindungen, um ihr das Leben zur Hölle zu machen, wenn er wollte. In ihrer Naivität hatte sie angenommen, dass er sich freuen würde, wenn sie ihn um die Scheidung bat. Er hatte sie jahrelang betrogen, und sie war nur bei ihm geblieben, weil sie sich um ihren kranken Sohn hatte kümmern müssen und jemanden brauchte, der sie finanziell unterstützte. Es war kein sonderlich romantisches Arrangement gewesen, doch sie hatte geglaubt, dass beide es verstanden hatten. Nachdem James in Remission gegangen war, hatte sie auf einem Gemeindecollege eine Ausbildung zur Lehrerin gemacht, damit sie genug Geld verdienen konnte, um Kyle zu verlassen.

Natürlich hatte Kyle sie auch nach ihrem Abschluss noch über ein Jahr lang zappeln lassen, bevor er schließlich in die Scheidung eingewilligt hatte, und Sara hatte geglaubt, seine letzten Kapriolen endlich hinter sich zu haben.

Wie naiv von ihr.

»Mom! Mom! Komm raus, und sieh dir an, was wir gefunden haben!« James kam in die Küche gerannt und zog sie am Ärmel. »Grandma sagt, es ist eine Biene, aber ich glaube, sie irrt sich.«

Sara ließ sich von ihm nach draußen ziehen, wo ihr sogleich ein riesiges Insekt präsentiert wurde – keine Biene, sondern eine Hornisse, was einiges Geschrei auslöste. Dann half sie James, vorne in der Einfahrt Asseln zu sammeln. Travis lief nach Hause, um sein Schmetterlingsnetz zu holen, auch wenn Sara in letzter Zeit keinerlei Schmetterlinge gesehen hatte. Als auch Travis’ Suche nach Schmetterlingen erfolglos blieb, konzentrierte er sich darauf, langsam kriechende Marienkäfer mit seinem Netz zu fangen.

»Hast du eben mit Dad gesprochen?«, fragte James. Sara hatte die Straßenmalkreide rausgeholt, und er zeichnete gerade einen pfirsichfarbenen Kreis neben ihr.

»Ja. Woher weißt du das?«

Er begann, den Kreis auszumalen. »Weil du immer so ein komisches Gesicht machst, wenn du mit ihm gesprochen hast. Als hättest du ein riesiges Insekt in der Küche gesehen.«

Sie lachte, aber es klang ein wenig traurig. »Tu ich das? Ich werde versuchen, es nicht mehr zu machen.«

»Meinst du, Dad mag mich?« Er sah zu ihr hoch.

Die Frage brach ihr das Herz. Sie gab sich alle Mühe, nicht das Insekt-in-der-Küche-Gesicht zu machen, was ihr vermutlich misslang. Verflucht seien Kyle und sein übergroßes Ego.

»Aber natürlich mag er dich«, versicherte sie ihrem Sohn. »Er hat nur immer sehr viel zu tun, und jetzt, da wir nicht mehr in der Nähe wohnen, ist es noch schwieriger für ihn, uns regelmäßig zu sehen.«

»Warum kommt er dann nicht einfach her?«

Weil wir auch direkt nebenan wohnen könnten – es wäre ihm vollkommen egal.

»Er muss arbeiten, Schatz. Das weißt du doch.«

James fing an, grüne Linien um den pfirsichfarbenen Kreis herum zu malen, das Gesicht in tiefe Falten gelegt.

Wenn ich einem anderen Menschen die Pest an den Hals wünschen könnte, dann meinem Ex.

***

Sobald er James Flannigans Ergebnisse vorliegen hatte, nutzte Harrison die erste Gelegenheit, um Sara anzurufen. Normalerweise überließ er das seinen medizinischen Angestellten, doch diesen Anruf wollte er selbst übernehmen. Dabei redete er sich ein, dass er es nicht tat, um ihre Stimme wiederzuhören.

»Hallo?« Sara nahm gleich beim ersten Klingeln ab.

»Ms. Flannigan, hallo. Ist gerade ein guter Zeitpunkt?«

»Ich möchte nicht unhöflich sein, aber gibt es überhaupt einen guten Zeitpunkt, um die Ergebnisse einer solchen Untersuchung zu erfahren?«, fragte sie, und er konnte die Anspannung in ihrer Stimme hören.

»Da haben Sie wohl recht. Ich möchte Sie auch gar nicht weiter auf die Folter spannen. Der Krebs ist nicht zurückgekehrt. James ist gesund.«

Harrison hörte sie tief einatmen. Er war selbst zutiefst erleichtert gewesen, als er die Ergebnisse bekommen und keinerlei Hinweise auf eine erneute Erkrankung gefunden hatte. Kaum vorstellbar, was es mit Sara gemacht hätte, das Gegenteil zu erfahren. Harrison hatte genug solche Telefonate führen müssen, um zu wissen, wie schwierig sie für alle Beteiligten waren.

»Gott sei Dank. O Gott! Ich danke Ihnen. Vielen Dank.« Sie atmete erneut tief ein. »Genau das habe ich heute gebraucht. Sie sind mein Held. Ich sollte Ihnen einen Geschenkkorb als Dankeschön schicken.«

Er lachte. »Ich habe nichts getan. Schicken Sie den Korb an James’ Gesundheit und Ihre Hingabe, ihn gesund zu halten.«

»Vielleicht sollte ich das. Danke noch mal.«

»Ich würde ihn gern nächsten Monat noch einmal sehen, um die vergrößerten Lymphknoten im Auge zu behalten. Nur als Vorsichtsmaßnahme.«

»Okay, ja, natürlich. Ich werde gleich einen Termin machen.«

Harrison verabschiedete sich und legte auf. Seine Sprechstunde war für heute beendet, es gab keine Patienten mehr, die auf ihn warteten. Normalerweise hätte er jetzt seinem jüngeren Bruder Caleb, der in Fair Haven als Polizist arbeitete, und ihrem gemeinsamen Freund Heath DiMarco eine Nachricht geschickt, aber Harrison war nicht in der Stimmung, durch die Bars zu ziehen. Tatsächlich war er seit dem Ende seines Arztpraktikums und der Eröffnung seiner Praxis vor ein paar Jahren mit kaum mehr als einer Handvoll Frauen ausgegangen.

Doch der Gedanke, jetzt in sein leeres Haus zu fahren, war noch weniger verlockend. Also schrieb er an Caleb und Heath, und die drei beschlossen, sich im Fainting Goat zu treffen, wo es das beste Bier der Stadt gab. Fair Haven war für genau zwei Dinge bekannt: für die beeindruckende Landschaft drum herum und für die lokalen Brauereien. Letztere waren für die meisten Leute ein Grund, länger in der Gegend zu bleiben.

Als Harrison die Bar betrat, waren Caleb und Heath bereits da. Caleb begrüßte ihn mit seiner üblichen Umarmung und einem freundschaftlichen Schulterklopfen. Mit seinen dunklen Haaren und seinem guten Aussehen war Caleb bei den Damen ziemlich beliebt und hatte vermutlich schon mehr von ihnen ausgeführt als jeder andere Hetero-Mann in dieser Stadt. Die Tatsache, dass er die meiste Zeit in Uniform herumlief, schadete dabei ganz sicher nicht. Als Polizist wusste Caleb so ziemlich alles über die Leute hier. Er war ein Stück größer als Harrison, was er seinem älteren Bruder als Teenager nur zu gern unter die Nase gerieben hatte, doch Harrison war im Vergleich zu Calebs beinahe schlaksiger Statur deutlich kräftiger gebaut.

Heath DiMarco war das exakte Gegenteil von Caleb. Er unterrichtete eine fünfte Klasse, trug eine Brille und ging selten mit Frauen aus, auch wenn Harrison wusste, dass sein Freund lange nicht so unerfahren mit der Damenwelt war, wie er die Leute gerne glauben ließ. Unter seinen Sakkos und den zerzausten kastanienbraunen Haaren sah er nämlich ziemlich gut aus.

»Wie läuft’s?«, fragte Caleb, als Harrison sich neben ihn setzte, und winkte der Barkeeperin. Die warf ihm einen lüsternen Blick zu, bevor sie mit wiegenden Hüften zu ihnen herüberkam.