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Eine tragfähige Therapeut-Klient-Beziehung ist für alle Psychotherapeuten, Psychologen, Ärzte, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen das zentrale Element einer erfolgreichen Therapie. Diese Arbeitsbeziehung muss stets aktiv hergestellt und gestaltet werden. In diesem Band wird zunächst die Wichtigkeit der therapeutischen Beziehung begründet, und es werden verschiedene Beziehungskonzepte diskutiert. Erörtert werden auch der Sinn und die Ziele der Beziehungsgestaltung und ihre therapeutische Funktion. Das Konzept der motivbezogenen komplementären Beziehungsgestaltung wird ebenfalls eingehend erläutert: Ein Therapeut sollte die zentralen Beziehungsmotive eines Klienten verstehen und sich zu diesen im Rahmen der therapeutischen Regeln komplementär verhalten. Die einzelnen Beziehungsmotive und die Arten von Komplementarität werden im Detail dargestellt. Therapeutische Strategien werden erklärt und an Beispielen und einem Transkript veranschaulicht. Schließlich wird auch auf andere Konzepte der Komplementarität eingegangen, und es werden Zusammenhänge und Unterschiede erläutert.
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Rainer Sachse
Therapeutische Beziehungsgestaltung
2., aktualisierte und ergänzte Auflage
Prof. Dr. Rainer Sachse, geb. 1948. 1969–1978 Studium der Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Ab 1980 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum. 1985 Promotion. 1991 Habilitation. Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1998 außerplanmäßiger Professor. Leiter des Institutes für Psychologische Psychotherapie (IPP), Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Persönlichkeitsstörungen, Klärungsorientierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie.
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2., aktualisierte und ergänzte Auflage 2016
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(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2718-8; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2718-9)
ISBN 978-3-8017-2718-5
http://doi.org/10.1026/02718-000
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1 Die Grundcharakteristika therapeutischer Beziehung
1.1 Arbeitsdefinition
1.2 Was ist eine Beziehung?
1.2.1 Theoretisches Konstrukt
1.2.2 Charakteristika von Beziehung
1.3 Therapeutische Beziehung
1.4 Zweck der Beziehung
1.5 Gestaltung der Beziehung
1.6 Macht
1.7 Beziehung und Technik
1.7.1 Relevante Dimensionen des Therapiegeschehens
1.7.2 Unterscheidung der Ebenen
2 Therapeut-Klient-Beziehung: Konzepte und Ergebnisse
2.1 Konzeptionen
2.1.1 Therapeutische Beziehungsgestaltung
2.1.2 Therapeutische Allianz
2.2 Zusammenhang: Therapeut-Klient-Beziehung – Therapieergebnis
2.3 Bedeutung der therapeutischen Beziehung in verschiedenen Therapieformen
2.4 Bedeutung der Therapeut-Klient-Beziehung für die Behandlung verschiedener Störungen
2.5 Resümee: Die Bedeutung therapeutischer Beziehungsgestaltung für den Therapieprozess
3 Funktionen und Arten der therapeutischen Beziehung
3.1 Funktionen
3.1.1 Therapeutische Beziehung als Grundlage von Psychotherapie
3.1.2 Die Bedeutung der therapeutischen Beziehungsgestaltung ist störungsabhängig
3.1.3 Beziehung als therapeutisches Agens
3.2 Gestaltung der therapeutischen Beziehung durch den Therapeuten
3.2.1 Allgemeine Beziehungsgestaltung
3.2.2 Komplementäre Beziehungsgestaltung
3.2.3 Störungsspezifische Beziehungsgestaltung
4 Allgemeine Beziehungsgestaltung zum Aufbau personalen Vertrauens
4.1 Verstehen
4.1.1 Aspekte des Verstehens
4.1.2 Verstehen als Aspekt der Beziehungsgestaltung
4.1.3 Funktionen des Verstehens für den Klienten
4.1.4 Funktion des Verstehens für den Therapeuten
4.2 Akzeptieren
4.2.1 Charakterisierung
4.2.2 Funktion der Akzeptierung für den Klienten
4.2.3 Funktion der Akzeptierung für den Therapeuten
4.2.4 Akzeptierung ist ein temporärer Prozess
4.2.5 Grenzen des Akzeptierens
4.3 Emotionale Wärme
4.3.1 Charakteristik
4.3.2 Funktion für den Klienten
4.4 Signalkongruenz
4.4.1 Charakteristik
4.4.2 Funktion für den Klienten
4.4.3 Voraussetzungen auf Seiten des Therapeuten
4.5 Respekt
4.5.1 Charakteristik
4.5.2 Funktion für den Klienten
4.6 Loyalität
4.6.1 Charakteristik
4.6.2 Funktion für den Klienten
5 Ziele der Beziehungsgestaltung und grundlegende Dilemmata
5.1 Das Dilemma von Akzeptieren und Verändern
5.1.1 Verschiedene therapeutische Aufgaben
5.1.2 Verändern bedeutet bewerten
5.1.3 Lösungen des Dilemmas
5.1.4 Der Klient entscheidet
5.2 Allgemeine Beziehungsgestaltung zum Aufbau von Kompetenzvertrauen
5.2.1 Kompetenz-Vertrauen
5.2.2 Verstehen
5.2.3 Steuern und strukturieren
5.2.4 Das Dilemma von Folgen und Steuern
5.3 Beziehungsgestaltung zum Aufbau von Vertrauen des Klienten zu sich selbst
5.3.1 Vertrauen in sich selbst ist notwendig
5.3.2 Auslösung negativer Emotionen und Bearbeitung
5.3.3 Angestrebter Zustand des Klienten
5.3.4 Zutrauen in den Klienten
5.3.5 Stärkung der Annäherungstendenz
5.3.6 Zutrauen durch Beziehung?
5.3.7 Wechsel von Stützung und Anforderung
5.4 Beziehungsgestaltung und Expertise
5.5 Haltung und Handlung
5.6 Beziehung als therapeutisches Agens
6 Komplementäre Beziehungsgestaltung
6.1 Was ist komplementäre Beziehungsgestaltung?
6.1.1 Das Konzept
6.1.2 Zentrale Beziehungsmotive
6.2 Anerkennung
6.2.1 Das Motiv „Anerkennung“
6.2.2 Schemata
6.2.3 Komplementarität zum Motiv Anerkennung
6.3 Wichtigkeit
6.3.1 Das Beziehungsmotiv Wichtigkeit
6.3.2 Schemata
6.3.3 Komplementarität
6.4 Verlässlichkeit
6.4.1 Das Beziehungsmotiv Verlässlichkeit
6.4.2 Schemata
6.4.3 Komplementarität
6.5 Solidarität
6.5.1 Das Beziehungsmotiv Solidarität
6.5.2 Schemata
6.5.3 Komplementarität
6.6 Autonomie
6.6.1 Das Beziehungsmotiv Autonomie
6.6.2 Schemata
6.6.3 Komplementarität
6.7 Grenzen
6.7.1 Das Beziehungsmotiv Grenzen
6.7.2 Schemata
6.7.3 Komplementarität
6.8 Weitere Komplementaritäten
7 Die Vereinbarkeit der beiden Komplementaritätskonzepte
7.1 Zwei Konzepte von Komplementaritäten
7.2 Das Konzept von Caspar und Grawe
7.3 Die Vereinbarkeit der beiden Konzepte
8 Realisation der Beziehungsgestaltung
8.1 Handlung
8.2 Implizite und explizite Botschaften
8.3 Mikro-Prozess-Ebene
8.4 Ein Therapeut sollte ständig Beziehungsgestaltung auf Mikro-Ebene realisieren
9 Beispiel für eine komplementäre Beziehungsgestaltung zum Anerkennungsmotiv
9.1 Der Fall
9.2 Das Transkript
9.3 Kommentar
Literatur
In diesem Kapitel wird dargestellt, was man unter „Beziehung“ verstehen kann und was eine therapeutische Beziehung auszeichnet.
Die Ausführungen über therapeutische Beziehung sollen mit einer Arbeitsdefinition (vgl. Otto, Euler & Mandl, 2000) begonnen werden:
Die therapeutische Beziehung ist eine Beziehung zwischen Therapeut und Klient, die zu einem therapeutischen Zweck vom Therapeuten aktiv gestaltet wird und endet, wenn der Zweck erfüllt ist oder wenn deutlich wird, dass er nicht erreicht werden kann.
Damit wird deutlich, dass es bezüglich der therapeutischen Beziehung mehrere Bestimmungsstücke gibt:
Beziehung
therapeutische Beziehung
Zweck
Gestaltung
Jeder weiß anscheinend, was eine Beziehung ist, doch jeder kommt in massive Schwierigkeiten, wenn er definieren soll, was eine Beziehung tatsächlich ist (Hinde, 1993). Im Hinblick auf den Begriff „Beziehung“ geht es den meisten wie Augustinus (1980) mit dem Begriff „Zeit“: Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.“ Der Begriff „Beziehung“ ist nur sehr schwer zu definieren. Daher kann hier auch nur eine „Arbeitsdefinition“ gegeben werden.
Der erste Aspekt von Beziehung ist, dass es sich, psychologisch gesehen, um ein theoretisches Konstrukt handelt.
Eine Beziehung ist nicht direkt beobachtbar, sondern ist nur aus dem Verhalten der beteiligten Akteure erschließbar.
Daher ist die psychologische Konzeption auch anders als die der „Beziehungs-Gesprächspsychotherapeuten“ (vgl. Sachse, 2005), die „Beziehung“ philosophisch als etwas „existentiell Seiendes“ auffassen. Ob zwei Personen eine Beziehung aufweisen und welche Art von Beziehung sie aufweisen, lässt sich nur aus ihrem Verhalten (einschließlich ihrer Aussagen über ihre Beziehung) erschließen; meist lässt es sich vor allem aus ihrem nonverbalen Handeln erschließen. Ohne dass sie interagieren oder sich zu ihrer Beziehung äußern, kann kein Beobachter etwas über die Beziehung wissen. Und auch dann kann er nicht direkt die Beziehung „sehen“, sondern er muss aus den Daten immer Schlüsse ziehen (und diese sind, wie alle Schlussfolgerungen, immer nur mehr oder weniger gut belegte Hypothesen; vgl. Becker & Sachse, 1997). Und damit gilt auch: Je nachdem, welche Informationen er erhält oder verarbeitet und je nachdem, welche Wissensbasen er für seine Schlussfolgerungen heranzieht, wird er zu unterschiedlichen Schlüssen gelangen.
Dies gilt auch für die Therapeut-Klient-Beziehung: Ob ein Therapeut und ein Klient eine Beziehung haben und wie diese Beziehung aussieht, lässt sich nur aus dem Verhalten der Akteure erschließen, kann aber nicht direkt wahrgenommen werden. Und so kann ein Therapeut, wenn er wissen will, wie gut die therapeutische Beziehung gerade ist, dies auch nur aus dem Verhalten des Klienten sowie aus seinem Klienten-Modell und aus seiner eigenen Einschätzung seiner Erwartungen und Gefühle dem Klienten gegenüber erschließen. Auch dann, wenn Klienten die Beziehung einschätzen, z. B. in Stunden-Beurteilungsbögen, liefern die Klienten immer Daten, die interpretiert werden müssen, denn diese Einschätzungen können sehr Unterschiedliches bedeuten. Da Klient und Therapeut jedoch andere Daten heranziehen (weil sie zu unterschiedlichen Datenquellen Zugang haben) und anders verarbeiten, werden Klient und Therapeut bezüglich der Beziehung oft zu unterschiedlichen Schlüssen gelangen.
Aufschlussreich sind hier vor allem die Reaktionen des Klienten auf die Interventionen des Therapeuten: Der Therapeut muss den Stand der Beziehung immer rekonstruieren. Diese Rekonstruktion muss dabei immer von Neuem erfolgen, denn die Beziehung ist ständigen Veränderungen unterworfen: Mit jeder Interaktion kann sich die Qualität der Beziehung ändern.
Und diese Rekonstruktion ist immer eine Hypothese, die mehr oder weniger gut durch Daten belegt ist und die von der Qualität der Informationsverarbeitung und Modellbildung des Therapeuten abhängt (siehe Becker & Sachse, 1997; Gäßler & Sachse, 1992a, 1992b; Sachse, 1992b, 1992c, 1992d): Je nachdem, wie gut ein Therapeut Informationen verarbeitet, je nachdem, wie hoch sein Expertise-Status ist, wird die Hypothese mehr oder weniger valide sein.
Die Tatsache, dass man immer nur aus Beobachtungen Rekonstruktionen über die Beziehung bilden muss, hat noch eine weitere Konsequenz: Die Rekonstruktion, die jeweils |11|gezogen wird, wird in hohem Maße vom jeweiligen Beobachter abhängen. Und konsequenterweise schätzen oft Therapeuten, Klienten und unabhängige Beobachter (z. B. ein Rater) die Therapeut-Klient-Beziehung recht unterschiedlich ein (vgl. Orlinsky, Grawe & Parks, 1994): Jeder nimmt schon aufgrund eigener Schemata und unterschiedlichen Wissens sowie unterschiedlicher Erwartungen andere Aspekte wahr und interpretiert sie anders; jeder zieht daher andere Schlüsse und „sieht“ eine andere Therapeut-Klient-Beziehung.
Daher gibt es auch niemals die (objektiv definierbare) Therapeut-Klient-Beziehung, sondern immer nur bestimmte Rekonstruktionen, die immer stark von der jeweiligen Beobachter-Perspektive abhängen.
Spricht man von einer „Gestaltung der Beziehung durch den Therapeuten“, dann impliziert das immer die Perspektive des Therapeuten, jedoch in der Hoffnung, dass der Klient zumindest Teil der Intention des Therapeuten auch erkennen und würdigen kann. Ob er dies dann aber tatsächlich tut, ist immer eine empirische Frage, man muss es testen.
Beziehung kann ansonsten bestimmt werden durch eine Reihe von Aspekten (vgl. Auhagen, 2008; Hinde, 1993; Sachse, 2000a; Schulz, 2000; Zimmer, 1983a, 1983b, 1983c, 1983d, 1983e):
Eine Beziehung zwischen zwei Personen A und B impliziert immer eine Interaktion zwischen den Personen: A verhält sich im Hinblick auf B und B verhält sich im Hinblick auf A. (Ohne Interaktion kann man schon deshalb gar nicht von Beziehung sprechen, weil man nichts beobachten kann. Und ohne beobachtbare Interaktion kann die Validität der „Behauptungen“ gar nicht eingeschätzt werden: A kann behaupten, eine bestimmte Beziehung zu B zu haben, aber ob das korrekt ist, kann ohne direkte Beobachtung der Interaktion gar nicht beurteilt werden.)
Eine Beziehung impliziert auch nicht nur eine einzelne Interaktion, sondern eine ganze Serie von Interaktionen über die Zeit: Es gab in der Vergangenheit Interaktionen, es gibt in der Gegenwart Interaktionen und es wird auch in Zukunft Interaktionen geben. Und: Frühere Interaktionen schaffen Erfahrungen und Erwartungen bei den Partnern und beeinflussen damit spätere (Hinde & Stevenson-Hinde, 1987).
Eine Beziehung impliziert auch, dass die Partner aneinander bestimmte Erwartungen haben, voneinander bestimmte Auffassungen und Meinungen und dass sie gegenseitig bestimmte Arten von Emotionen auslösen. (So hat A Annahmen darüber, wie B zu ihr steht, was B von ihr will, wie verlässlich B ist usw.; A hat wiederum bestimmte Erwartungen an B, ist bereit, bestimmte Dinge für B zu tun und hat bestimmte Emotionen B gegenüber.)
Beide Partner ziehen aus den Interaktionen bestimmte Gewinne oder Befriedigungen, stillen gegenseitig bestimmte Bedürfnisse. Anders ausgedrückt: Jede Person hat interaktionelle Ziele im Hinblick auf die andere Person, von denen sie hofft oder erwartet, dass diese von der anderen Person befriedigt werden. Und, wenn die Beziehung |12|stabil bleiben soll, werden diese Bedürfnisse auch (zumindest zum Teil) befriedigt (vgl. Sachse & Sachse, 2005).
Beide Interaktionspartner (IP) gewinnen füreinander eine bestimmte Art von Bedeutung oder Wichtigkeit: In einer Beziehung sind sich die IP gegenseitig wichtig.
Eine therapeutische Beziehung ist nun im Sinne der vorher gegebenen Bestimmungsstücke ebenfalls eine Beziehung:
Die Beziehung zwischen Therapeut und Klient ist nur erschließbar.
Es findet eine Interaktion zwischen Klient und Therapeut statt (aus der man Schlüsse ziehen kann).
Die Interaktionen erstrecken sich über einen bestimmten Zeitraum und finden in der Zukunft erneut statt.
Der Therapeut hat bestimmte Erwartungen an den Klienten, er entwickelt Modelle über den Klienten usw.; auch der Klient hat Erwartungen an den Therapeuten und der Therapeut löst beim Klienten Emotionen aus (und dies tut auch der Klient gelegentlich beim Therapeuten).
Insbesondere der Klient zieht aus der Interaktion Gewinne, aber auch der Therapeut kann viel lernen, die Interaktion spannend finden u. a.
Beide Partner haben damit interaktionelle Ziele im Hinblick aufeinander und befriedigen diese Ziele z. T., wenn die Beziehung fortgesetzt werden soll.
Eine therapeutische Beziehung ist allerdings nicht irgendeine Art von Beziehung, sondern sie ist eine ganz spezielle Art von Beziehung:
Wie in jeder Beziehung (Gaska & Frey, 1993), so spielen auch in einer Therapeutischen Beziehung Rollen eine wesentliche Rolle: Der Klient geht (oder sollte gehen) in die Klienten-Rolle, die mit bestimmten Erwartungen und Aufgaben verbunden ist und der Therapeut übernimmt die Therapeuten-Rolle, die mit anderen Erwartungen und Aufgaben verbunden ist.
Welche Interaktionen zwischen Therapeut und Klient stattfinden (wie die Rollen definiert sind), ist durch das therapeutische Regelsystem festgelegt; damit finden nur ganz bestimmte Arten von Interaktionen statt.
Innerhalb dieser Regeln gibt es für den Klienten einen (je nach Therapieform auch unterschiedlich großen) Spielraum dafür, seine Persönlichkeit zu entfalten; der Therapeut ist durch das Regelsystem weitaus stärker eingeschränkt als der Klient.
Viele „normale“ Formen von Interaktion sind damit „explizit ausgeschlossen“, z. B. alle erotischen Interaktionen, freundschaftliche Umgangsweisen u. a.
Der Zeitraum, über den sich die Interaktionen erstrecken, ist zeitlich begrenzt und genau definiert (meist 50 Minuten und ein Treffen pro Woche).
Der Therapeut kann nur ganz bestimmte Wünsche und Erwartungen des Klienten erfüllen und auch nur bestimmte Erwartungen an den Klienten haben, nämlich solche, die mit der Klärung, Bearbeitung und Lösung der Klienten-Probleme zu tun haben.
In der Beziehung lassen sich deshalb auch nur ganz bestimmte interaktionelle Ziele verfolgen und erreichen.
|13|Die therapeutische Beziehung ist durch besondere berufsrechtliche Aspekte gekennzeichnet (Stellpflug, 2008).
Die therapeutische Beziehung ist damit, verglichen mit anderen Arten von Beziehungen,
stark eingeschränkt,
stark regelgeleitet,
zeitlich eng definiert.
Aber sie ist auch
hoch spezifisch
und
hoch spezialisiert.
Und sie ist dadurch im Hinblick auf die Lösung der Klienten-Probleme auch
hoch effektiv.
Die Therapeut-Klient-Beziehung ist somit eine professionelle Beziehung: Therapeut und Klient gehen eine Beziehung zu einem bestimmten Zweck ein und bauen diese Beziehung auf, um bestimmte Ziele des Klienten zu erreichen; ist das Ziel erreicht oder wird klar, dass es nicht erreichbar ist, endet die Beziehung wieder (vgl. Wiedemann, 1983).
Eine solche professionelle therapeutische Beziehung weist damit eine Reihe von besonderen Charakteristika auf:
Die Beziehung zwischen Therapeut und Klient hat ganz bestimmte Ziele: Klienten haben bestimmte, z. B. auf ihr Problem und dessen Bearbeitung bezogene Erwartungen an den Therapeuten und Therapeuten haben bestimmte, z. B. auf die Mitarbeit des Klienten bezogene Erwartungen an den Klienten.
Die Beziehung ist auf bestimmte Arten der Interaktion begrenzt.
Die Beziehung ist durch Regeln gekennzeichnet, nach denen der Therapeut seine Interaktion ausrichtet.
Die Beziehung ist zeitlich eng begrenzt.
Die Beziehung ist asymmetrisch: Therapeut und Klient haben ganz unterschiedliche Rollen, Aufgaben und Expertisen; die Rollen und Aufgaben sind nicht austauschbar (ganz anders als z. B. in einer Freundschaftsbeziehung; vgl. Auhagen, 1993; Sachse, 1987, 1992a).
Therapeut und Klient bringen auch ganz unterschiedliche Expertise in die Beziehung ein: Der Klient ist Experte für seine Schemata, seine Probleme, seine Entscheidungen; der Therapeut ist Experte für die Bearbeitung, Klärung von Problemen, für Interventionen und das Erarbeiten von Lösungen (Sachse, 2000b).
Diese unterschiedlichen Expertisen von Klient und Therapeut sind für die Therapie von ganz besonderer Bedeutung. Der Klient ist von Anfang bis Ende der Beziehung Spezialist für sich selbst, seine Probleme, seine Ziele usw. Er weiß (potenziell) mehr über sich selbst, als der Therapeut je erfahren kann. Diese Expertise muss er in die Beziehung einbringen. Für eine effektive Psychotherapie muss der Klient dem Therapeuten Informationen über sich, seine Probleme und Ziele zur Verfügung stellen. Der Klient muss in |14|seiner Klienten-Rolle eine bestimmte Art von Verantwortung übernehmen: Informationen geben, Interventionen umsetzen, Änderungen initiieren etc.
Der Therapeut ist von Anfang an der Experte für die Bearbeitung und Lösung der Klienten-Probleme: Er kann die Probleme zwar nicht für den Klienten lösen, aber er kann dem Klienten Anregungen geben, wie der Klient konstruktiver als bisher mit seinen Problemen umgehen könnte; er kann dem Klienten damit bei der Bearbeitung der Probleme helfen und muss dies auch tun, da Klienten ihre Probleme allein nicht konstruktiv bearbeiten können (Sachse, 1990a, 1990b, 1990c, 1992a, 1992b). Damit ist der Therapeut auch Experte für den Therapieprozess und dessen Steuerung.
Der Therapeut ist in dem Therapie-Team der Experte für die Klärung und Lösung von Problemen und für das therapeutische Prozessgeschehen; der Klient ist Experte für die zu verändernden Inhalte, die Ziele und die Umsetzung neuen Handelns in den Alltag.
Therapeut und Klient bilden somit in der therapeutischen Beziehung ein Experten-Team mit unterschiedlichen Kompetenzen und Aufgaben. Dieses Experten-Team muss im Rahmen der Beziehung kooperieren, wenn der Zweck der Therapie erreicht werden soll.
Die therapeutische Beziehung dient, anders als in anderen Beziehungen, nur einem einzigen Zweck: Es geht darum, Probleme des Klienten zu klären, zu definieren und so weit wie möglich zu lösen (wobei „Probleme“ in einem weiten Sinne verstanden werden soll: Der Klient hat Ziele, die er allein nicht realisieren kann, er führt Handlungen aus, die er nicht unterlassen kann, er interpretiert Situationen in dysfunktionaler Weise u. Ä., d. h. er denkt, fühlt, handelt in einer Weise, die ihm Kosten einbringen, die er nicht akzeptieren will ).
Alle therapeutischen Regeln und alle in der Therapie zulässigen Interaktionen dienen nur diesem Zweck. Damit ist die therapeutische Beziehung ganz eindeutig keine Alltagsbeziehung. Denn Alltagsbeziehungen dienen immer vielen verschiedenen Zwecken; Alltagsbeziehungen haben sich jedoch offensichtlich als für die Problemlösungen des Klienten wenig effektiv erwiesen, denn sonst wäre der Klient nicht Klient: Und da Alltagsbeziehungen wenig effektiv sind, muss die therapeutische Beziehung deutlich anders sein als eine Alltagsbeziehung.
Die therapeutische Beziehung muss bestimmte Charakteristika aufweisen, die dazu dienen, dass der Therapeut den Klienten besonders effektiv bei der Problembearbeitung helfen kann.
Und der Therapeut kann den Klienten dann am besten helfen,
wenn er den Klienten nicht persönlich kennt und damit nicht in Rollenkonflikte kommt (z. B. zwischen „Freund“ und „Therapeut“);
wenn er Distanz zum Klienten halten kann und dadurch keine persönlichen Absichten im Hinblick auf den Klienten verfolgt, die mit den Absichten des Klienten interferieren;
|15|wenn er nicht persönlich in den Therapieprozess involviert ist und damit in der Lage bleibt, seine eigenen Bewertungen zurückzustellen;
wenn er sich zwar für den Klienten interessieren und den Klienten respektieren kann, aber ansonsten gar keine (anderen) interaktionellen Ziele dem Klienten gegenüber verfolgt.
Daher sind auch alle anderen Formen von Beziehung mit einer therapeutischen Beziehung inkompatibel:
Ist der Therapeut mit dem Klienten befreundet, gerät er z. B. leicht in einen Konflikt zwischen Solidarität und Konfrontation.
Besteht eine Partnerbeziehung, ist dem Therapeuten der Fortschritt des Klienten persönlich wichtig und er kann keine ausreichende Distanz mehr halten, konfligieren seine eigenen Ziele mit den Zielen des Klienten.
Kennt der Klient den Therapeuten aus anderen Kontexten, dann „zensiert“ er möglicherweise die Informationen, die er dem Therapeuten gibt.
Möchte der Klient eine andere Art von Beziehung zum Therapeuten als eine therapeutische Beziehung, versucht er, den Therapeuten auf seine Seite zu ziehen, werden damit aber unangenehme Probleme nicht mehr thematisierbar.
Das macht aber deutlich, dass eine therapeutische Beziehung umso effektiver in der Bearbeitung von Klienten-Problemen ist,
je professioneller sie ist;
je weniger sie eine Freundschafts- oder Partnerbeziehung ist
und je weniger außer-therapeutischen Kontakt Therapeut und Klient haben.
Die therapeutische Beziehung wird immer von beiden Partnern beeinflusst: Der Klient nimmt Einfluss auf die Beziehung nach seinen Erwartungen, nach seinen (möglicherweise dysfunktionalen) Interaktionsmustern, seinen Beziehungsmotiven usw. Er versucht, den Therapeuten dazu zu veranlassen, ihm eine bestimmte Art von Beziehung anzubieten (vgl. Sachse, 1999a, 2000c, 2001a, 2001b, 2002, 2004a, 2004b, 2004c).