Tod im Aargau - Ina Haller - E-Book

Tod im Aargau E-Book

Ina Haller

4,0

Beschreibung

Nach der spektakulären Ermordung eines Erfolgsautors muss sich Verlagsmitarbeiterin Andrina den bohrenden Fragen der Polizei stellen und findet die Verlagsräume verwüstet vor. Kurz darauf nimmt sich eine der beiden Verlegerinnen das Leben, und die Lektorin überlebt knapp einen Mordanschlag. Nach und nach erhärtet sich der Verdacht, dass die schrecklichen Ereignisse mit Andrina selbst zusammenhängen und sie in akuter Gefahr schwebt. Doch wer könnte einen Grund haben, sie zu töten?

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Ina Haller wurde 1972 geboren. Sie lebt mit ihrer Familie im Kanton Aargau, Schweiz. Nach dem Abitur studierte sie Geologie. Seit der Geburt ihrer drei Kinder ist sie «Vollzeit-Familienmanagerin» und Autorin. Zu ihrem Repertoire gehören Kurz- und Kindergeschichten sowie Kriminalromane.www.inahaller.ch

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: fotolia.com/Adamus Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-219-7 Originalausgabe

Für

EINS

Das Kurtheater Baden summte wie ein Bienenschwarm, und das Summen setzte sich in Andrinas Körper fort. Die Leute strömten herein. Das an einem Sonntag. Sie wurde immer nervöser, je mehr sich der Zuschauerbereich füllte.

Andrina schielte zu Brigitta Clemens, die neben ihr sass.

«Schau dir das an», sagte Brigitta. «Nie hätte ich mir das zu träumen gewagt. Eines der Bücher des Cleve-Verlags wird als Musical aufgeführt. Es ist einfach unglaublich.»

«Kneif mich mal», meinte Elisabeth Veldt, die auf Andrinas anderer Seite auf einen Stuhl rutschte. «Nie hätte ich gedacht, dass Ulrichs historischer Krimi so ein Potenzial hat.»

«Noch fünf Minuten!», zischte Brigitta und stiess Andrina mit dem Ellenbogen in die Seite.

Andrina wischte die schweissnassen Handflächen an ihrem Abendkleid ab. Die Nervosität war nicht mehr auszuhalten.

In diesem Moment wurde das Licht dunkler gedimmt, bis es ganz erlosch. Das Stimmengewirr um sie herum verebbte. Hier und da war ein Räuspern oder ein Hüsteln zu hören. Im nächsten Augenblick brandete tosender Applaus auf. Der Dirigent erschien. Mit einem Lächeln verbeugte er sich und wandte sich dem Orchester im Graben vor der Bühne zu. Er hob den Taktstock, und Trommelwirbel erklang. Trompeten und Geigen setzten ein. Die roten Samtvorhänge glitten auseinander.

Auf der Bühne war eine Schiffskabine nachgestellt. Andrina richtete sich auf, um besser sehen zu können. Plötzlich schnappte sie nach Luft. In der Bühnenmitte lag ein Mann, in dessen Brust senkrecht ein Schwert steckte. Die Musik brach abrupt ab. In der einsetzenden Stille hätte man eine Stecknadel fallen gehört. In diesem Moment polterte im Orchestergraben ein Instrument zu Boden. Von irgendwoher kam ein Aufschrei.

«Licht an!», brüllte der Dirigent. «Macht endlich die Vorhänge zu!»

«Oh mein Gott», flüsterte Elisabeth.

Sie ergriff Andrinas Hand, sprang auf und zog sie hinter sich her.

«Was?», setzte Andrina an.

«Mach schon», zischte Brigitta und stiess sie in den Rücken.

Sie rannten zur Bühne und schlüpften hinter den Vorhang, der inzwischen geschlossen worden war.

Ein Scheinwerfer war eingeschaltet worden und blendete Andrina im ersten Moment. Sie konnte ihren Blick nicht von dem Mann, der in einer Blutlache auf dem Holzboden lag, abwenden.

Es war Ulrich Strahm. Das Hemd und der Anzug waren blutdurchtränkt. Andrina trat auf ihn zu. Alles um sie herum klang mit einem Mal dumpf.

Die Augen des Mannes waren starr zur Decke gerichtet. Schrecken spiegelte sich in ihnen wider. Sein Mund war aufgerissen.

Andrina raffte ihr langes Kleid hoch und kniete neben ihn. Sie streckte die Hand aus und tastete seinen Hals entlang.

Die Haut fühlte sich weder warm noch kalt an. Aber unter der Haut gab es kein Pochen. Andrinas Augen glitten zum Schwert. Strahms Finger krallten sich um den Schaft. Ganz so, als wolle er es herausziehen. Andrina griff nach dem Gelenk der rechten Hand. Diese rutschte hinunter und fiel auf Strahms Bauch. Andrina schloss die Augen und presste ihren Finger auf die Haut, die sich beinahe wie Leder anfühlte. Nichts. Kein Puls. Eine Hand wurde auf Andrinas Schulter gelegt.

«Kommen Sie», sagte einer der Bühnenbildner. «Wir können für ihn nichts mehr tun. Die Polizei ist verständigt, und es ist besser, wenn wir nichts mehr anfassen.» Er zog an ihrem Arm. «Ausserdem sollten wir diesen Bereich verlassen, damit wir keine wertvollen Spuren verwischen.»

Andrina erhob sich und blieb auf wackeligen Beinen neben Strahm stehen. Von der anderen Seite des Vorhangs hörte sie die Stimme des Regisseurs. Sie nahm nur einzelne Wortfetzen wahr.

«Es tut uns leid … Bitte verlassen Sie … nachholen.»

Andrina sass auf einem Stuhl in der Garderobe. In den Händen hielt sie eine Tasse Tee, aus der sie aber nichts trank, denn sie traute ihrem Magen nicht. Sie hob den Kopf und starrte vor sich hin, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Mit den Fingern zupfte sie in ihren hochgesteckten Haaren.

Nach und nach lösten sich einzelne Strähnen aus der Haarspange. Andrina zog sie ganz heraus, und die Haare fielen über ihre Schultern auf den Rücken. Sie schüttelte den Kopf und legte die Spange neben die Tasse auf den Tisch.

Es klopfte. Andrina fuhr hoch. Bevor sie etwas sagen konnte, betraten zwei Männer den Raum.

«Frau Kaufmann?», fragte der Ältere der beiden.

Er trug die Uniform der Aargauer Kantonspolizei. Mit dem Zeigefinger schob er seine Brille auf der Nase zurecht.

«Ja?», antwortete Andrina. Sie stand auf und stützte sich mit einer Hand auf dem Tisch ab. Mit der anderen zwirbelte sie eine Haarsträhne zwischen den Fingern.

«Ich bin Erich Landolt, und das ist Marco Feller von der Kriminalpolizei Aargau.»

Der Beamte wies auf den zweiten Mann, der in das Licht der Deckenlampe trat. Er trug Jeans und Hemd.

Andrina stockte der Atem. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Warum, konnte sie sich nicht erklären. Eigentlich war er gar nicht ihr Typ. Sie stand auf blonde und blauäugige Männer.

Feller hatte jedoch dunkelbraune Haare wie sie. Das Einzige, das ihrem Schönheitsideal für Männer entsprach, waren seine Augen, die trotz der schummrigen Beleuchtung intensiv blau waren. Er war nicht viel älter als Andrina. Sie schätzte ihn auf Mitte dreissig. Als Begrüssung nickte er ihr zu.

«Dürfen wir Ihnen einige Fragen stellen?», fragte Landolt und holte Andrina in die Gegenwart zurück.

«Ja», brachte sie hervor und starrte wieder Feller an.

Seine Mundecken zuckten leicht nach oben, und in seinen Augen blitzte etwas auf, das Andrina als Spott deutete.

Sie sah zur Seite. Peinlich. Vermutlich reagierten alle Frauen so auf ihn, und er machte sich einen Spass daraus.

«Bitte setzen Sie sich», sagte Landolt und wies auf den Stuhl.

Andrina kam der Aufforderung nach und wich dabei Fellers Blick aus. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie er ein kleines Heft und einen Stift hervorholte.

«Sie kannten den Toten?», begann Landolt. Er sprach einen Mix aus Aargauer Dialekt und Zürichdeutsch.

Andrina nickte. «Ulrich Strahm», sagte sie. Ihre Stimme klang rau, und sie räusperte sich.

«Woher kennen Sie ihn?»

«Er ist einer unserer Autoren. Ich meine, er ist Autor von dem Verlag, bei dem ich arbeite.»

«Dem Cleve-Verlag?», fragte Landolt. Andrina nickte. «Er hat das Buch geschrieben, zu dem das Musical aufgeführt werden sollte?»

«Richtig, er ist der Autor des historischen Fantasykrimis ‹Unter dem Wind›. Nick Bold hat den Roman als Grundlage für sein Musical genommen.»

«Können Sie uns bitte erklären, worum es in dieser Geschichte geht?»

Andrina schaute an ihm vorbei zur Tür. «Der Roman spielt zur Zeit der Entdeckung Amerikas», gab sie mit monotoner Stimme Auskunft. «Es gibt eine Meuterei an Bord, bei der der Kapitän ermordet wird. Das sollte die erste Szene sein.»

Landolt runzelte die Stirn. «Darf ich nochmals nachhaken? Die Geschichte beginnt mit einer Leiche?» Er verzog seinen Mund.

«Claudio, der Kapitän, sitzt auf einem Stuhl. Er ist erschossen worden.»

«Nicht erstochen?» Andrina schüttelte den Kopf. «Wenn ich das richtig verstehe, soll dieser Claudio eine der Hauptrollen sein. Wie geht das, wenn die Hauptfigur gleich am Anfang stirbt?»

«Er kehrt später als Geist zurück und zieht die für seinen Tod Verantwortlichen zur Rechenschaft.» Ein Ausdruck der Verwirrung huschte über Landolts Gesicht. «Es ist ein Fantasykrimi. Da sind solche Sachen möglich.» Andrina zuckte mit den Schultern. Sie wunderte sich, wie ruhig und sachlich ihre Stimme klang.

«Okay, wir werden das Buch lesen.» Er blickte kurz Feller an, bevor er fortfuhr. «Welche Funktion haben Sie in dem Verlag? Sind Sie ebenfalls Autorin?»

Andrina schüttelte den Kopf. «Nein, ich bin Sekretärin.»

«Soviel ich weiss, gibt es den Verlag erst seit fünf Jahren. Waren Sie von Anfang an dabei?»

«Nein, ich arbeite erst ein knappes Jahr für Elisabeth und Brigitta.»

«Sie meinen Frau Clemens und Frau Veldt?»

«Ja. Sie sind die Verlegerinnen.»

«Bitte erläutern Sie Ihre Aufgaben.»

Andrina fragte sich, warum er das wissen wollte, begann aber eine kurze Zusammenfassung ihrer Tätigkeiten.

«Ich bin für alles Organisatorische zuständig. Damit meine ich den ganzen Schreibkram. Eingehende Manuskripte sichten, Absagen schreiben, erste Ansprechpartnerin für die Autoren. Zusätzlich bin ich für Veranstaltungen wie Lesungen zuständig. Seit Kurzem unterstütze ich unsere Lektorin. Wenn Sie so wollen, bin ich das Mädchen für alles.»

Andrinas Augen begegneten denen von Feller. Er lächelte sie an. Der Spott, oder was es auch immer gewesen war, war verschwunden.

«Das klingt sehr abwechslungsreich», sagte er.

Eindeutig ein Aargauer, wie sie selbst. Seinem Dialekt nach zu urteilen, ordnete sie ihn in den Westen des Kantons, nahe der Grenze zu Solothurn, ein.

«Ja, das ist es, und es macht Spass.»

«Was für eine Ausbildung muss man haben, um bei einem Verlag zu arbeiten. Ein Studium in Germanistik?»

Andrina schüttelte den Kopf. «Nein. Ich habe Geologie studiert, fand aber nach meinem Abschluss keine Arbeit. Über Umwege und durch eine Menge Zufälle bin ich beim Cleve-Verlag gelandet.»

Fellers Augenbrauen hoben sich. «Also hätte ich als Kripo-Beamter eine Chance?»

«Untersteh dich», fuhr Landolt dazwischen. «Max wäre bestimmt nicht begeistert.» Er schaute Andrina an. «Wohnen Sie in Baden?»

«Nein, in Aarau», entgegnete sie.

Fellers Augenbrauen zuckten noch ein Stück weiter nach oben. «Der Cleve-Verlag ist ebenfalls in Aarau, wenn ich mich richtig entsinne», sagte er.

«Ja. Wir sind heute wegen der Aufführung des Musicals hier.»

«Bitte erzählen Sie, was genau heute Abend passiert ist», schaltete sich Landolt wieder ein.

«Wir …» Andrina stockte. Wo sollte sie beginnen?

«Am besten von vorne», sagte Landolt, als habe er ihre Gedanken erraten. «Fangen wir damit an, wann Sie Strahm zum letzten Mal gesehen haben.»

Verdächtigt er etwa mich?, fragte sich Andrina. Das konnte nicht sein, denn die beiden Beamten schauten sie freundlich an.

Mit den Händen strich Andrina über den dunkelgrünen Stoff ihres Abendkleids. Fellers Augen folgten ihrer Bewegung, und sie wurde sich bewusst, was für eine elegante Erscheinung sie im Gegensatz zu ihm abgab.

«Gegen sieben Uhr am Abend bin ich hier angekommen. Wir waren in der Garderobe verabredet.»

«Wir?», hakte Landolt nach.

«Brigitta, Elisabeth, Ulrich und ich. Elisabeth hatte Champagner und Salzstangen mitgebracht. Nick Bold, der Komponist des Musicals, konnte heute Abend leider nicht kommen. Er hatte einen Autounfall und liegt im Spital.»

«Das stand in allen Zeitungen», bestätigte Landolt, und Feller nickte.

«Wir stiessen auf das Musical und Strahms Erfolg an. Ich blieb bis circa Viertel vor acht und ging anschliessend in den Zuschauerraum. Um Viertel nach acht sollte das Musical beginnen.»

«Danach haben Sie Ulrich Strahm nicht mehr gesehen?»

Andrina schüttelte den Kopf. «Ich meine nicht mehr …» Sie stockte.

Landolt nickte, während Feller mitschrieb.

«Haben Sie die Garderobe allein verlassen, oder ist jemand mitgekommen?»

«Ich ging allein. Elisabeth und Brigitta kamen später. Was ist eigentlich mit Klaus Mäder, der den Claudio spielen sollte?»

«Er wurde bewusstlos in seiner Garderobe aufgefunden und musste mit schweren Kopfverletzungen ins Spital eingeliefert werden.» Andrinas Augen weiteten sich. «Allerdings ist er nicht in Lebensgefahr», beruhigte Landolt sie. «Später haben Sie den Zuschauerraum nicht mehr verlassen?» Das klang eher wie eine Feststellung als wie eine Frage. Andrina schüttelte den Kopf. «Was passierte danach?»

«Es wurde dunkel, und das Musical begann. Als der Vorhang aufging, lag Ulrich auf der Bühne.»

«Das haben Sie sofort bemerkt?» Erstaunen blitzte in Landolts Augen auf.

«Nein. Die erste Szene sollte den ermordeten Schiffskapitän zeigen. Ich dachte zuerst, es wäre Klaus Mäder, und fragte mich, warum sie das Drehbuch in letzter Sekunde abgeändert hatten.» Andrina schluckte. Übelkeit stieg auf. «Plötzlich rief der Dirigent, man solle den Vorhang schliessen. Gleich darauf hat Elisabeth mich gepackt und zur Bühne gezogen.»

«Warum? Ich meine, warum hat sie Sie mit zur Bühne genommen?»

Andrina schaute den Beamten verwirrt an. Gute Frage. Das wusste sie selbst nicht. «Keine Ahnung», sagte sie.

«Als Sie auf der Bühne waren, erkannten Sie, dass es nicht Klaus Mäder, sondern Ulrich Strahm war?»

«Ja.»

«Was geschah dann?»

«Ich weiss es nicht mehr genau. Ich glaube, ich habe seinen Puls gefühlt.»

Die Beamten wechselten einen Blick.

«Sie haben die Leiche berührt?», hakte Landolt nach. Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine steile Falte.

Der Miene des Beamten nach zu urteilen, hatte sie einen Fehler gemacht. Zaghaft nickte sie.

«Haben Sie etwas verändert?»

«Verändert?», wiederholte Andrina.

«Ich meine, haben Sie die Leiche bewegt oder sonst etwas unmittelbar neben Herrn Strahm weggenommen oder hingelegt?»

Andrina überlegte. «Ich glaube nicht. Er hatte seine Hände um das Schwert gekrallt, und alles war voll Blut. Ich wollte seine Hand nehmen …»

«Warum?», unterbrach Landolt sie.

«Ich wollte schauen, ob dort Puls zu fühlen ist. Am Hals habe ich nichts gespürt. Die rechte Hand ist vom Schaft auf den Bauch gerutscht.»

Landolts Miene verfinsterte sich zusehends.

«Hatte er beide Hände um das Schwert gelegt?»

Andrina nickte. «Habe ich jetzt einen riesigen Fehler gemacht?»

Es war Feller, der antwortete. «Ihre Reaktion ist natürlich und lobenswert. Wenn Sie nichts Weiteres gemacht haben, ist das kein Problem.»

Landolts Kopf fuhr herum. Er öffnete den Mund, schloss ihn aber sogleich wieder.

Plötzlich kam Andrina sich dämlich vor. Wer mit einem Schwert erstochen worden war, konnte unmöglich noch leben. Sie schüttelte den Kopf. Ihr Handeln war also überflüssig gewesen und hatte eventuell sogar Spuren verwischt. Wichtige Spuren, die bei der Ergreifung des Täters helfen konnten.

«Es tut mir leid. Mir war es in diesem Augenblick nicht bewusst.» Sie wusste, wie lahm das klang.

«Es ist okay», sagte Feller. Landolts Miene hingegen verriet, dass es nicht in Ordnung war.

«Was ist danach passiert?», fragte Feller.

«Einer der Bühnenbildner hat mich weggeführt», sagte sie. «Er meinte, ich könne nichts mehr für ihn tun, und Sie kämen gleich.» Feller nickte, und Landolts Gesicht nahm einen entspannteren Ausdruck an. «Ich glaube, er hat mich hierhin gebracht und mir Tee gekocht. Da ich nicht wusste, was ich machen sollte, habe ich hier gewartet. Dann sind Sie gekommen.»

Die Beamten schwiegen und wechselten einen Blick. Landolt ergriff das Wort. «Ich denke, das reicht für den Moment. Wir werden bestimmt weitere Fragen an Sie haben. Halten Sie sich bitte zur Verfügung.»

«Ich kann gehen?»

«Ja. Bitte kommen Sie morgen zu Herrn Feller in das Polizeikommando in Aarau.»

«Oder ich kann direkt zu Ihnen in den Verlag kommen», meinte Feller. «Ich denke, das ist einfacher. Sagen wir, so gegen neun Uhr. Ist das für Sie in Ordnung?»

«Ja, klar», erwiderte sie.

Landolt reichte Andrina die Hand. Feller nickte ihr zu und folgte Landolt. Die Tür fiel hinter den Beamten ins Schloss, und Andrina war wieder allein.

Gedämpft drang das Stimmengemurmel aus dem Gang zu ihr herein. Andrina fiel mit einem Mal auf, wie heiss und stickig es in der Garderobe war. Sie konnte beinahe nicht atmen.

Nach und nach sickerte in ihr Bewusstsein, was geschehen war und was es bedeutete. Andrina presste die Hand auf den Mund und rannte zur Toilette.

ZWEI

Andrina stieg die Treppe zum Büro hoch, das Elisabeth und Brigitta für den Verlag gemietet hatten. Obwohl sie ein leichtes Sommerkleid trug, schwitzte sie bereits. Zwar hatte sie es gerne warm, aber die Temperaturen, die momentan vorherrschten, waren selbst ihr zu viel. Alle sprachen von einem Rekordsommer. Und das schon Anfang Juni. Sie konnte sich nicht erinnern, wann es im Juni um diese Zeit bereits so heiss gewesen war.

Andrina blieb kurz stehen und rieb mit den Zeigefingern über ihre Schläfen, hinter denen es schmerzhaft pochte. Sie fühlte sich völlig ausgelaugt und hatte das Gefühl, sie könne ihre Augen nicht richtig offen halten. Brigitta hatte sie erst gegen vier Uhr zu Hause abgesetzt. Schlaf hatte sie allerdings nicht finden können.

Kurz nach sechs Uhr war sie eingenickt, um eine Stunde später vom Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden.

Der Schock sass nach wie vor in ihren Gliedern. Sie bewegte sich wie durch Nebel und fragte sich, wie es Strahms Frau gehen musste.

Andrina hielt inne, als sie von oben Schritte hörte. Sie hob den Kopf und erkannte Feller. Bei Tageslicht sah er noch attraktiver aus als gestern in der schummrigen Beleuchtung der Garderobe.

Er warf einen Blick auf die Uhr. War sie zu spät? Nein, es war erst zehn vor neun.

«Wir sind ein wenig zu früh», sagte Feller anstelle einer Begrüßung.

«Ist noch niemand da?»

«Nein. Aber das ist kein Problem. Für Sie alle ist es gestern vermutlich sehr spät geworden.»

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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