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Wenn Hass zur tödlichen Obsession wird. Beim jährlichen Bärzelitreiben in Hallwil kommt es zu einer Messerattacke mit tödlichem Ausgang. Einziger Verdächtiger: Andrinas Mann Enrico. Doch Andrina hat einen anderen Verdacht. Die Zeugenaussagen könnten genauso gut auf Enricos Halbbruder Marco Feller zutreffen, Ermittler bei der Aargauer Kantonspolizei. Was hat ihn zu dieser Tat getrieben, und warum decken ihn seine Kollegen? Als Marco wenig später spurlos verschwindet, macht sich Andrina auf die Suche – nach ihm und nach der Wahrheit.
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Seitenzahl: 364
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Ina Haller lebt mit ihrer Familie im Kanton Aargau, Schweiz. Nach dem Abitur studierte sie Geologie. Seit der Geburt ihrer drei Kinder ist sie «Vollzeit-Familienmanagerin» und Autorin. Zu ihrem Repertoire gehören Kriminalromane sowie Kurz- und Kindergeschichten.
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Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ebenso sind die Orte, an denen die Verbrechen stattfinden, nur Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und realen Handlungen sind nicht gewollt und rein zufällig. Im Anhang finden sich Rezepte1 und ein Glossar1.
© 2022 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: mauritius images/Prisma/Frischknecht Patrick
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer
Umsetzung: Tobias Doetsch
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-96041-973-0
Originalausgabe
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Für Becca
Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen, und blieb abrupt stehen. Fassungslos starrte er auf den Mann, der gerade die Migros im City-Märt in Aarau verliess.
Konnte das sein?
Der Mann wechselte den Papiersack von der einen in die andere Hand und schaute auf seine Armbanduhr, bevor er weiterging.
Ja, das war er. Eindeutig.
Mehr als einmal hatte er versucht, sich auszumalen, was er empfinden würde, wenn er diesem Mann nach langer Zeit wieder begegnen würde.
Wie ein Wahnsinniger hatte er damals versucht, dessen Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Vergebens.
Und nun stiess er nach über zehn Jahren an diesem ungewöhnlich milden, beinahe frühlingshaft anmutenden Tag Anfang November fast mit ihm zusammen. An einem Ort, an dem er am wenigsten damit gerechnet hatte.
Er musste aufpassen, dass er ihn nicht gleich wieder verlor. Dabei musste er jedoch darauf achten, nichts zu überstürzen, um es nicht zu vermasseln.
Betont lässig schlenderte er dem Mann hinterher, wohl darauf bedacht, genügend Abstand zu halten.
Bei dem Optikergeschäft bog der Mann links ab und ging an den Bekleidungsgeschäften und den Buchhandlungen vorbei weiter zur Bahnhofstrasse. Er überquerte den Zebrastreifen und lief die Treppe nach oben zum Behmenplatz.
Unschlüssig blieb er vor der untersten Stufe stehen und starrte die Treppe hoch. Sollte er ihm folgen?
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann ihn erkannte, lag bei null. Das stimmte nicht, musste er widerwillig einräumen. Die Ähnlichkeit mit seinem Vater würde ihm sicher zum Verhängnis werden. Bei dem Veloparkplatz waren meistens nur wenige Leute unterwegs. Die Gefahr, selbst nach all den Jahren erkannt oder in Verbindung gebracht zu werden, war zu gross.
Zwei Jugendliche drängten an ihm vorbei und liefen die Treppe nach oben.
Er musste das Risiko eingehen, da er Gewissheit brauchte, ob er es wirklich war.
Zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte er die Treppe hoch. Auf dem Platz schaute er sich um. Zwei junge Männer lungerten auf den Treppenstufen vor dem überdachten Veloparkplatz herum und rauchten. Eine Frau kam ihm entgegen. Von dem Mann keine Spur.
Hatte er ihn verloren, weil er zu lange gezögert hatte?
Er wollte sich frustriert abwenden, als er bei den Velos eine Bewegung bemerkte.
Gerade stellte der Mann den Papiersack auf den Gepäckträger eines Velos.
Nachdem der Mann abgefahren war, ohne sich umzusehen, nahm er sein Velo und beeilte sich, ihm zu folgen. Es hatte einen Sinn gehabt, dass sein Auto nicht angesprungen war und er heute mit dem Velo in die Stadt fahren musste.
Der Mann legte ein zügiges Tempo vor, und fast hätte er ihn verloren. Ungefähr zehn Minuten später hielt er in einer Einfahrt eines Hauses und stieg vom Velo. Er drehte sich um und schaute kurz in seine Richtung.
Er war älter geworden, aber er war es. Definitiv.
Nichts überstürzen, dachte er. Die Aktion muss gut durchdacht sein. Er musste sich einen Plan zurechtlegen.
Ein Handy klingelte. Erschrocken holte er seins hervor und verfluchte sich, es nicht auf lautlos gestellt zu haben. Das Display war dunkel, und er brauchte einen Moment, bis er begriff, dass es nicht seins, sondern das des Mannes war.
Hatten sie etwa den gleichen Klingelton?
Was der Mann sagte, konnte er nicht verstehen, aber diese Stimme … Es war dieselbe, die ihm damals gesagt hatte, wie leid es ihm tue.
Der Mann lauschte und schaute abermals in seine Richtung. Erneut trafen sich ihre Blicke. Er lachte, und für einen Augenblick dachte er, es gelte ihm. Lachte er ihn etwa aus?
Sein Puls schnellte in die Höhe. Hatte er ihn erkannt?
Nach einigen Sekunden begriff er, dass nicht er, sondern der Gesprächspartner am Telefon damit gemeint war.
Der Mann wandte sich ab und ging mit dem Handy am Ohr und dem Papiersack in der anderen Hand zum Haus. Er lachte erneut, bevor die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel.
Das wird dir vergehen, dachte er. Und zwar gründlich.
«Vielen Dank, dass ihr gekommen seid», sagte Erika Fäs und reichte nacheinander Andrina und Enrico die Hand.
«Das ist das Mindeste, das wir tun können», erwiderte Enrico.
«Du musst dir keine Vorwürfe machen. Du kannst gar nichts dafür.» Erika ging vor Rebecca in die Hocke und drückte ihre Hand. Das fast zweijährige Mädchen strahlte sie an. «Eure Tochter ist ein Goldschatz», sagte Erika.
Sie blieb in der Tür stehen und schaute ihnen nach, als sie zur Strasse gingen. Dort angekommen, drehte Andrina sich um und blickte auf die in Schwarz gekleidete, zerbrechlich wirkende Gestalt.
«Sie sieht einsam aus», sagte Andrina und schloss den Reissverschluss ihrer Winterjacke.
Aus dem wolkenverhangenen Himmel hatte es zu nieseln angefangen, und die Bise hatte aufgefrischt. Enrico stellte den Kragen seiner Jacke auf. Als gebürtiger Süditaliener hatte er sich nie an den Aargauer Winter gewöhnen können, wie er mehrfach betont hatte.
«Ich mache mir Vorwürfe», sagte Enrico und nahm Rebecca auf den Arm. «Ich hätte merken müssen, dass etwas nicht stimmt.»
Seit jenem Dienstag eine Woche vor Weihnachten stellte er sich regelmässig die gleiche Frage, ob er Erikas Mann nicht hätte ansehen müssen, dass es ihm nicht gut ging. Alfred hatte Enricos Büro verlassen, dann war er zusammengebrochen und innert kurzer Zeit einem Herzinfarkt erlegen.
Obwohl Enrico keine Schuld traf, fühlte er sich für den Tod verantwortlich. Er war die letzte Person, die mit Alfred kurz vor dessen Zusammenbruch gesprochen hatte.
Der Achtundfünfzigjährige hinterliess eine Frau und zwei erwachsene Kinder, die im Ausland lebten. Die Beerdigung hatte vor Weihnachten stattgefunden. Am Stephanstag mussten Erikas Kinder und deren Familien abreisen. Erika hatte somit Silvester allein verbracht, was Enrico keine Ruhe gelassen hatte. Daher hatten sie ihr am heutigen zweiten Januar spontan einen Besuch abgestattet.
Sie winkten Erika ein letztes Mal zu und gingen weiter zum Auto, das Enrico in einiger Entfernung von dem Haus, in dem Erika wohnte, geparkt hatte.
«Erika tut –» Bevor Andrina den Satz beenden konnte, wurde sie von hinten gepackt. Sie stiess einen erstickten Schrei aus. Holzgeruch stieg in ihre Nase. Andrina wurde losgelassen und gleich erneut gepackt. Dornen stachen in ihr Gesicht und kratzten über ihre Haut. Gejohle drang gedämpft zu ihr vor. Andrina hörte Rebeccas Aufschrei.
«Es guets Nois!», rief eine Männerstimme dicht neben ihrem Ohr.
Andrina wurde losgelassen. Sie schaute in eine graue Maske mit einer Fratze. Die Gestalt schüttelte ihr Gewand, das aus Stechpalmenblättern bestand, und wandte sich ab. Eine Gruppe von Frauen und Männern lief ihr lachend nach. Andere Gestalten in Kostümen aus Tannenästen und aus Stroh folgten. Die Stechpalmengestalt hatte eine andere Frau gefasst, die ebenfalls aufschrie. Die Kostümierten umarmten weitere Männer und Frauen. Die Gruppe tanzte ausgelassen. Gelächter und Pfiffe waren zu hören.
Andrinas Puls beruhigte sich, als sie begriff, um wen es sich bei den finsteren Gestalten handelte.
«Madre mia, was ist das?», rief Enrico hervor und war in dem Tumult beinahe nicht zu verstehen. «Bis zur Fasnacht dauert es noch Wochen.» Er drückte Rebecca an sich und strich über ihren Rücken. Sie presste ihr Gesicht gegen seinen Hals und klammerte sich fest.
«Das hat nichts mit der Fasnacht zu tun. Das sind nur die Bärzeli-Buebe», antwortete Andrina.
«Die was?»
«Das ist ein lokaler Brauch hier in Hallwil, der am zweiten Januar, dem Berchtoldstag, stattfindet.» Andrina wich erneut mehreren Passanten aus. «Sie begrüssen das neue Jahr und wünschen jedem, der ihnen im Weg steht ‹es guets Nois›. Von ihnen umarmt zu werden bringt Glück. Das Gleiche gilt für diejenigen, die von der ‹Söiblootere› getroffen werden.»
«Von einer Schweinsblase?» Enrico rümpfte die Nase. «Ist das dieses Gebilde, mit dem der weiss Gekleidete, dem dieses Kamel folgt, auf die Leute einschlägt?»
«Genau. Die sind präpariert.»
«In dem Fall hast du gleich ein doppelt gutes Jahr vor dir, weil dich dieser Sägespänenhaufen und dieses Stachelungeheuer umarmt haben.»
«Es sieht so aus.»
Rebecca beruhigte sich und schaute mit grossen Augen zu der Horde, die einige Meter vor ihnen stehen geblieben war. Hin und wieder wurde sie von einem Aufschluchzer geschüttelt.
«Die Kostüme haben sicher eine Bedeutung.»
«Das ist richtig. Die vier, die an uns vorbeigegangen sind, sind der ‹Stächpaumig›, ‹Tannreesig›, ‹Straumaa› und der ‹Hobuspöönig›. Der ‹Straumaa›, also der mit dem Gewand aus Strohbündeln, und der ‹Hobuspöönig›, der Hobelspänige, stehen für den unfruchtbaren Winter. Der ‹Stächpaumig›, das ist der mit dem Stechpalmenkostüm, und der ‹Tannreesig›, der mit den Tannenästen, symbolisieren mit dem Immergrün den Frühling und das Leben. Zusätzlich gibt es einige andere Figuren. Das Kamel und der ‹Spielchärtler›, das ist der mit dem Jasskartenkostüm dort hinten, gehören dazu. Spontan kann ich dir nicht alle Figuren aufzählen und sagen, was sie bedeuten.»
«Das Ganze soll den Winter vertreiben und den Frühling wecken, nehme ich an.»
«So ist es.»
Die Maskierten umringten eine Gruppe aus jungen Frauen und Männern. Passanten feuerten sie an. Lachen schallte zu ihnen herüber. Einzelne Frauen und Männer wurden von ihren Kollegen zu den Verkleideten gestossen. Das Gejohle wurde lauter. Ein Mann taumelte zu Boden und riss den «Stächpaumig» mit sich. Der «Tannreesig» und andere Personen verloren ebenfalls das Gleichgewicht und gingen zu Boden. Weitere folgten, und es kam Andrina wie ein Knäuel aus Armen und Beinen vor, das über den Asphalt kugelte.
Schreie und Rufe mischten sich unter die Pfiffe.
Das klingt nicht mehr fröhlich, dachte Andrina. Unbehagen machte sich breit.
Eilig wurden zwei Männer hochgezogen. Andere rappelten sich auf, und eine Frau beugte sich über eine Person auf dem Boden. Eine weitere Frau presste die Hände gegen ihren Unterleib. Sie taumelte gekrümmt zur Seite und wurde von einem Mann aufgefangen. Der «Stächpaumig» lag auf dem Rücken. Ein Mann zog an dessen Maske.
Jemand zückte ein Handy, zwei Frauen kreischten, und ein weiterer Mann gestikulierte mit den Händen in der Luft. Er schrie etwas, das Andrina nicht verstand.
***
Andrina stellte zwei Tassen mit Tee auf das Glastischchen im Wohnzimmer. Eine Geruchsmischung von Nelken, Zimt, Orangen und Kardamom breitete sich aus.
Sie setzte sich neben Enrico und nahm ein Buch. Sie lehnte sich gegen ihn und schlug es auf. Enrico nahm die Fernbedienung, und eine Sekunde später hörte Andrina die Eingangsmelodie, die die Abendnachrichten ankündigte. Andrina blendete die Moderatorin aus und konzentrierte sich auf den Roman.
«Merda, das ist unser Auto!», rief Enrico, und Andrina schreckte aus ihrer Lektüre.
«Was? Wo?», stammelte sie.
«Dort.» Enrico wies auf den Bildschirm.
Andrina brauchte einen Augenblick, bis sie Enricos Audi erkannte, der im linken oberen Bildausschnitt aus der Parklücke fuhr, wendete und sich in die entgegengesetzte Richtung entfernte. Im vorderen Ausschnitt des Filmes, der von einem Handy stammen musste, sah sie die Bärzeli-Buebe und einige Frauen und Männer, die auf dem nassen Asphalt lagen. Ein Mann half einer Frau auf. Der «Tannreesig» rappelte sich auf. Als das Menschenknäuel weitestgehend entwirrt war, blieben drei Männer und zwei Frauen liegen. Die Kamera schwenkte rasch auf die Seite und erfasste Schaulustige.
«Heute kam es beim Bärzeli-Treiben in Hallwil zu einer Messerstecherei», sagte die Moderatorin.
«Eine Messerstecherei», flüsterte Andrina. «Wir sind Zeugen einer Messerstecherei geworden?»
Während der Heimfahrt hatte Andrina Enrico auf ihren Eindruck hingewiesen, dass die Stimmung gekippt war und sie eine Bedrohung wahrgenommen hatte. Sie war sich unschlüssig gewesen, ob sie nicht doch hätten helfen sollen.
«Es waren genügend Personen da, und wir wären im Weg gestanden», war seine Antwort gewesen. «Für mich sah es aus, als sei einer gestolpert und habe eine Kettenreaktion ausgelöst. Es ist für mich klar, dass die Unholde in den Kostümen nicht beweglich sind und wie gefällte Bäume umfallen, wenn sie das Gleichgewicht verlieren.»
Enrico beugte sich vor und starrte auf den Bildschirm.
«Die Gründe sind ungeklärt», fuhr die Moderatorin fort. «Ein Mann sei tödlich verletzt worden, und weitere mittel- bis schwer verletzte Personen mussten ins Spital eingeliefert werden, liess der Pressesprecher der Kantonspolizei verlauten. Weitere Personen haben leichte Verletzungen davongetragen. Ein Passant sagte aus, ein Wagen habe sich nach dem Vorfall schnell vom Ort des Überfalls entfernt. Weitere Erkenntnisse über die Hintergründe der Tat gibt es nicht. Es werden Zeugen gesucht.»
«Mamma mia, dein Gefühl hat dich nicht getrogen», stiess Enrico hervor. «Für mich herrschte eine ausgelassene Stimmung. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, es stimme etwas nicht. Auch nicht, als einige Leute umfielen.»
«Wir müssen uns melden.»
«Hast du mehr gesehen?», fragte Enrico. «Zum Beispiel, wie einer ein Messer in der Hand hatte?»
«Nein.»
«Ich wie gesagt auch nicht. Wir sind in dem Fall keine grosse Hilfe.»
Oder sie wären sogar das Gegenteil, dachte Andrina. Wie oft hatte sich ihre Freundin Susanna Marioni, die bei der Kantonspolizei in der Abteilung Leib und Leben arbeitete, beschwert. «Es rufen eine Menge Leute an, und die meisten haben keine brauchbaren Hinweise, sondern wollen sich nur wichtigmachen. Hilfreicher wäre es, wenn sich nur Leute melden, die genaue Angaben liefern können.»
Auf dem Wohnzimmerboden herrschte ein Chaos aus Schienen, Zügen, Häusern, Bäumen und anderen Teilen. Andrinas Schwester Seraina hatte ihrem Gottemeitli zu Weihnachten neue Bauteile für die Holzeisenbahn geschenkt.
Andrina und Enrico hatten heute frei. Er sass neben Rebecca. Die beiden legten gemeinsam eine Weiche in das Schienennetz.
Es klingelte an der Haustür.
Enrico brummte etwas Unverständliches und machte Anstalten aufzustehen.
«Ich übernehme das», erwiderte Andrina und erhob sich vom Sofa.
Ihr Erstaunen war gross, als sie Susanna Marioni und Max Wagner sah.
«So eine Überraschung», sagte sie.
Sie nahm Wagner und Susanna die Winterjacken ab und hängte sie an die Garderobe.
«Kommt rein», sagte sie betont locker, obwohl die ernsten Mienen der beiden sie verunsicherten. Das war kein spontaner Besuch, um ein gutes neues Jahr zu wünschen.
Wagner nahm seine Brille ab, die sich beschlagen hatte. Er reinigte sie mit dem Saum seines Pullovers und setzte sie wieder auf. Der graue Rahmen wirkte wie abgestimmt auf seine grauen Haare, die er vor Kurzem zu nur fünf Millimeter langen Stoppeln getrimmt haben musste. Die Frisur liess sein Gesicht hager und streng erscheinen. Andrina fragte sich, ob er abgenommen hatte.
Susanna strich eine Strähne ihrer weizenblonden Haare, die sich aus dem Rossschwanz gelöst hatte, hinter das Ohr. Ihr Gesicht war blass. Sie machte beinahe einen kranken Eindruck, der durch Schatten unter ihren Augen verstärkt wurde.
Irritiert schaute Enrico in Andrinas Richtung, als sie das Wohnzimmer betraten. Offenbar bemerkte er, wie kühl die Begrüssung ausfiel. Susanna kniete sich neben Rebecca.
«Das, was du baust, ist toll», sagte sie. Die Stimmung löste sich, und Andrina kam zum Schluss, es sich eingebildet zu haben.
Rebecca reichte ihr eine Schiene. «Du mitbauen.»
«Ein anderes Mal gerne. Heute bin ich aus einem anderen Grund da.» Das klang unheilverkündend, und das Knistern war zurück.
Susanna setzte sich neben Wagner, der am Esszimmertisch Platz genommen hatte.
«Papà hier», protestierte Rebecca, als Enrico sich einen Stuhl heranzog.
«Das ist okay», sagte Wagner und wies zu Rebecca. Enrico schob den Stuhl zurück und setzte sich neben Rebecca auf den Boden.
«Was ist passiert?», fragte Andrina besorgt.
War Seraina oder ihrer Familie etwas zugestossen? Sie hatte vor nicht einmal einer Stunde mit ihrer Schwester telefoniert. Da hatte sie geklungen, als sei alles in bester Ordnung.
«Was habt ihr gestern gemacht?», fragte Wagner ohne Einleitung.
Das klang schneidend. Als wolle er ein Alibi, dachte Andrina bestürzt.
«Wir haben ausgeschlafen», sagte Enrico. «Später sind wir nach Hallwil gefahren und haben Erika Fäs besucht. Ihr Mann erlitt vor Weihnachten bei JuraMed einen Herzinfarkt und starb. Wir wollten wissen, wie es ihr geht.»
Andrina fragte sich, ob Enrico ins Detail ging, weil er die Frage ebenfalls als Aufforderung für ein Alibi verstanden hatte.
«Wo wohnt Frau Fäs?»
Enrico nannte die Adresse.
«Von wann bis wann wart ihr dort?», fragte Wagner weiter.
«Wir sind am späten Vormittag hingefahren und hatten geplant, nur kurz bei ihr zu bleiben. Daraus wurde ein Mittagessen.»
«Das wie lange ging?» Wagner wirkte genervt, was Andrina nicht nachvollziehen konnte.
«Bis kurz nach zwei Uhr», erwiderte Enrico. «Danach sind wir nach Hause gefahren.»
«Gab es einen Zwischenfall, nachdem ihr von Frau Fäs aufgebrochen wart?»
Nun wurde Andrina klar, worauf Wagner anspielte.
«Auf dem Weg zum Auto sind wir den Bärzeli-Buebe begegnet», sagte sie. «Ich bin in den Genuss ihrer stacheligen Umarmung gekommen. Anschliessend sind wir direkt nach Hause gefahren.»
Andrina hielt Wagners Blick stand.
«Wir können keine Angaben zur Messerstecherei machen, falls du das meinst», sagte Enrico.
«Wieso weisst du von der Messerstecherei?», fragte Wagner.
«In den Nachrichten wurde gestern Abend darüber berichtet. Wir müssen in der Nähe gewesen sein, da wir unseren Wagen in dem Beitrag erkannt haben. Ich nehme an, ihr seid deswegen hier.» Kaum hatte Andrina das gesagt, wurde ihr bewusst, wie defensiv es rüberkommen musste.
Sie hätten gestern anrufen und melden sollen, in der Nähe gewesen zu sein, auch wenn sie keine Angaben zum Tathergang oder der Tatperson machen konnten.
Das Schweigen, das sich einstellte, war unangenehm. Nur das Aufeinandertreffen der Holzschienen war zu hören, während Rebecca weiter an der Bahnlinie baute. Andrina war froh, dass sie sich gerade selbst beschäftigte.
«Wir haben einen Hinweis zu einem blauen Wagen bekommen. Der Zeuge hat ausgesagt, eine dunkelhaarige, schlanke Person ungefähr ein Meter achtzig gross», er schaute zu Enrico, «sei zu dem Wagen geeilt. Darf ich fragen, welche Kleidung du gestern getragen hast?»
Enrico zögerte, als wolle er abwägen zu sagen, er wisse es nicht genau.
«Jeans, dunkle Jacke. Schal.»
Wagner schaute in sein Notizbuch und nickte.
«Es gibt genügend Leute, die im Moment so gekleidet herumlaufen», sagte Andrina. «Du auch.»
Wagner schwieg.
«Hat euer Zeuge Rebecca und mich erwähnt?», fuhr sie schnell fort. Sie musste aufpassen, Wagner in dieser Situation nicht gegen sich aufzubringen. Sie wollte ihn nicht extra provozieren.
«Er konnte sich an das Modell des Autos und an den Anfang des Kennzeichens erinnern und hat ausgesagt, der Wagen habe sich schnell vom Tatort entfernt», wiederholte Wagner.
Andrinas Kopf weigerte sich zuzulassen, was das bedeutete.
«Ich bin nicht zu schnell gefahren», sagte Enrico. Er sass weiterhin inmitten der Schienen und hielt eine Weiche in der Hand. Sein Rücken war durchgedrückt, als habe er einen Stock verschluckt. Das Gesicht hatte einen grauen Schimmer angenommen. «Nachdem die Gruppe an uns vorbeigegangen ist, sind wir in den Wagen gestiegen. Ich habe gewendet, und wir sind davongefahren. Dabei musste ich auf weitere Passanten achtgeben, die den Neujahrsunholden gefolgt sind. Wenn dieser Zeuge anderes behauptet, sind das falsche Angaben.»
Neues Schweigen, das ähnlich unangenehm wie das vorangegangene war.
«Rebecca hatte Angst. Ich war froh, als sie weitergegangen sind. Wir haben uns kein zweites Mal in die Nähe der Gruppe begeben», fühlte Andrina sich genötigt zu sagen. «Auch nicht, als einige Leute das Gleichgewicht verloren und zu Boden gingen.»
Was sollte das Ganze? Sie kannten Susanna und Wagner seit langer Zeit. Die beiden sollten wissen, dass weder Andrina noch Enrico wahllos mit einem Messer auf Passanten einstechen würden. Im gleichen Atemzug hörte sie Susannas Stimme im Kopf: «Wie oft habe ich von Zeugen gehört, dass sie jemanden lange kannten und der Person nie einen Mord zutrauen würden. Und passiert es, fallen sie aus allen Wolken.»
Susanna und Wagner mussten diesen Hinweisen nachgehen. Das war ihr Job. Allerdings konnten sie es weniger anschuldigend tun. Oder war dem nicht so, und Andrina reagierte überempfindlich?
«Wie weit war die Gruppe von euch weg, als einzelne Leute zu Boden gingen?», fragte Susanna. Zum Glück klang sie neutral.
«Vier oder fünf Meter? Ich bin schlecht im Schätzen. Abgesehen davon, dass wir kein Messer bei uns hatten, hatten wir keine Veranlassung, der Gruppe zu folgen.» Sei ruhig, dachte Andrina. Du machst es nur schlimmer.
«Was ist überhaupt genau passiert?», fragte Enrico. Die Blässe war verschwunden, und in seinen Augen loderte es. Andrina wusste, wie er sich bemühte, seinem Ärger über diese Unterstellung nicht freien Lauf zu lassen.
Wagner schaute ihn lange an, als überlege er, ob und was er ihnen erzählen durfte. «So genau weiss das keiner», begann er schliesslich. «Während die Gruppe durch das Dorf zog und Passanten in ihre stacheligen und kratzigen Umarmungen nahm, hat jemand mit einem Messer zugestossen. Mehrmals. Eine Frau und ein Mann wurden tödlich verletzt.» Das hiess, es hatte ein zweites Todesopfer gegeben, dachte Andrina entsetzt.
«Es gab mehrere Verletzte – von leicht bis schwer. Die Tatwaffe konnte nicht sichergestellt werden», sagte Wagner.
«Wer läuft mit einem Messer herum?», fragte Enrico. «War es eine geplante Aktion?»
Wagner blickte zu Susanna.
«Die Attacke muss zu dem Zeitpunkt erfolgt sein, als die Leute zu Boden gingen», fuhr Susanna fort. «Die Personen, die dabei beteiligt waren, aber unverletzt blieben, haben nicht mitbekommen, was genau passiert ist. Es ging alles zu schnell. Am Anfang fanden es alle lustig, bis jemand realisierte, dass es Verletzte gab.»
«Keiner konnte sagen, wann genau das Messer ins Spiel gekommen ist und warum», fügte Wagner an.
Andrina sah vor sich, wie sich einige Leute auf dem Boden wälzten. Sie hatte keinen gesehen, der plötzlich ein Messer in der Hand hielt. Sie erinnerte sich an die Beklemmung, die sie gespürt hatte, als die Stimmung gekippt war. Es mussten an die fünfzehn Personen gewesen sein, die auf dem Boden lagen. Mehrere hatten danebengestanden. Sie konnte nicht nachvollziehen, wie keiner, der näher am Geschehen war, bemerkt hatte, dass jemand ein Messer zückte und auf die Leute einstach.
«Warum gab es die Aussage, wir seien fluchtartig abgefahren?», fragte sie.
Schulterzucken war die Antwort.
«Könnte er ein anderes Auto gemeint haben?», fragte Andrina. «Wie viele Ziffern des Kennzeichens hat der Zeuge nennen können?»
Weder Susanna noch Wagner antworteten.
«Dunkle Wagen gibt es viele», fuhr Andrina fort.
«Habt ihr ein anderes Auto gesehen, das eurem ähnlich sah?», fragte Wagner.
Enrico und Andrina sahen einander an. Gleichzeitig schüttelten sie den Kopf. Falls ein anderer Wagen zum gleichen Zeitpunkt abgefahren war, hätte die Handykamera, die Enricos Wagen gefilmt hatte, das einfangen müssen. Es sei denn …
«Das Auto muss sich in die andere Richtung als wir entfernt haben», sagte Andrina.
«Wir haben keinerlei Aussage, die diese Annahme bestätigt», sagte Wagner.
Andrina sah zu, wie Wagners Wagen rückwärts aus der Einfahrt fuhr. Nachdem er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, verharrte sie einige Sekunden, bis der kalte Wind Regen in ihr Gesicht blies. Sie fuhr mit den Händen über ihre Oberarme und schloss die Tür.
Obwohl Wagners aggressiver Umgangston gegenüber Enrico am Ende abgenommen und er sich gemässigter verhalten hatte, blieb der schale Beigeschmack, den die Befragung hinterlassen hatte.
Andrina setzte sich zu Enrico und Rebecca auf den Boden. Rebecca kuschelte sich an sie. Enrico legte eine Schiene auf den Boden. «Mir ist die Lust zum Schienenlegen vergangen. Ich brauche eine Portion frische Luft.»
«Draussen ist es ungemütlich.»
«Das ist mir egal. Ich muss meinen Kopf durchlüften.»
Fünf Minuten später zog Andrina die Haustür ins Schloss und folgte Enrico, der den Kinderwagen mit Rebecca zur Strasse schob. Rebecca sah mit ihrem Skianzug und der tief in die Stirn gezogenen Kappe wie ein Eskimo aus. Andrina richtete den Plastikregenschutz, den sie über den Wagen gebreitet hatte.
Der Wind hatte weiter aufgefrischt, und die graue Wolkendecke war wie ein Deckel, der alles niederzudrücken schien. Es hatte aufgehört, stark zu regnen. Der Nieselregen war ähnlich unangenehm. Die Feuchtigkeit und Kälte drangen durch die Winterjacke, und Andrina fröstelte.
Bei der KEBA, der Kunsteisbahn, bogen sie in den Wald ab. Der Boden war schlammig, und Pfützen standen auf den Wegen, um die Enrico den Kinderwagen steuerte. Es war ausser ihnen keiner unterwegs, und es war, als seien sie am Ende der Welt. Schweigend folgten sie dem Verlauf des Vitaparcours. Durch die unbelaubten Büsche und Bäume konnte Andrina das Häxehüsli und den dazugehörenden Spielplatz mit der Grillstelle erkennen.
«Glaubst du, Max hat uns für tatverdächtig gehalten?», fragte sie.
«Er klang so.»
«Er sollte uns kennen.» Sie hatte angenommen, Max Wagner sei ein Freund.
«Er ist Polizist. Er musste diesem Hinweis nachgehen. Besonders, da dieser Zeuge genaue Angaben geliefert hat.»
«Ich würde gerne wissen, wer uns beschuldigt.»
«Nicht uns, sondern mich.»
«Das ist für mich gleichbedeutend mit uns. Ich war dabei.»
«Er beschuldigt uns nicht automatisch. Ihm ist nur aufgefallen, wie wir weggefahren sind.»
«Fluchtartig ist in diesem Fall übertrieben.»
«Das ist es. Seine Erinnerungen könnten sich jedoch verfälscht haben, nachdem er erfahren hat, was passiert ist. Oder er gehörte zu der Gruppe und stand unter Schock.»
Durchaus möglich, dachte Andrina. Trotzdem empfand sie es als persönlichen Affront.
«Es ist Routine, wenn sie uns befragen», wiederholte Enrico. «Sie müssen dem nachgehen.»
Sie folgten dem Weg, der nun leicht bergauf führte. Rebecca zupfte an dem Regenschutz, und er rutschte auf die Seite.
«Piccola, no.»
«Das weg», rief Rebecca.
«Es regnet nicht mehr.» Andrina entfernte den Schutz und legte ihn in den Korb des Buggys. «Es könnte eine Verwechslung vorliegen», sagte sie. «Die Person hat einen anderen Wagen gemeint und nicht uns.»
«Warum sollte Max Wagners Aufmerksamkeit dabei ausgerechnet uns zuteilwerden?»
Sie gingen geradeaus und erreichten den Suhrerchopf. Die reformierte Kirche schlug halb drei am Nachmittag. Auf der Strasse von Gränichen staute sich der Verkehr. Von ihrem Standort konnte Andrina das Ende der Blechschlange nicht erkennen.
«Warum sagt Max nicht, um welche Art Messer es sich handelt?», fragte Andrina. «Sie müssen mehr wissen. Der Rechtsmediziner kann anhand der Wunden Rückschlüsse auf die Tatwaffe ziehen.»
«Ermittlungstechnische Gründe», brummte Enrico. «Der Zeuge wird hundertprozentig mich gemeint haben», fuhr er fort. «Immerhin hat er das Kennzeichen nennen können.»
«Wie ich Max verstanden habe, war es nur der Anfang.»
«Sogar die ersten Ziffern dürften Max reichen. Die Polizei wird eine Abfrage im System machen und die Wagen herausfiltern, die auf die Beschreibung passen.»
Andrina hatte keine Ahnung, ob das dem Vorgehen entsprach. Falls es stimmte, müsste Wagner die anderen Autobesitzer auch aufsuchen. So hatte er allerdings nicht geklungen.
«Ich zermartere mir den Kopf, ob ich nicht etwas gesehen habe, das ich zu diesem Zeitpunkt als harmlos eingestuft habe», sagte Enrico. «Mir ist kalt. Lass uns nach Hause gehen.» Er drehte sich um, und sie folgten dem gleichen Weg zurück.
«Wenn ich darüber nachdenke, könnte ich etwas gesehen haben», sagte Andrina.
Enrico blieb stehen und starrte sie an.
«Kurz nachdem die Gruppe auf den Boden getorkelt ist, ist eine Person aufgestanden. Sie hat sich durch die Umstehenden geschlängelt und sich zügig in die uns entgegengesetzte Richtung entfernt.»
«War es ein Mann oder eine Frau?»
«Keine Ahnung.»
«Kannst du die Person beschreiben?»
«Jeans und Winterjacke. Wie alle, die gestern unterwegs waren. Von der Statur her würde ich auf einen Mann tippen. Er war gross und hatte breite Schultern.»
«Das trifft auf viele zu. An was kannst du dich sonst erinnern? Haarfarbe?»
«Ich glaube, er trug eine Kappe.»
«Ähnelte er mir?»
«Das kann ich nicht beantworten. Ich habe ihn nur von hinten gesehen.»
«Vielleicht reicht deine Beschreibung. Du musst mit Max reden.»
«Und wenn ich mich täusche? Am Ende hat er wie wir nichts mit alledem zu tun.»
Als Andrina das Sitzungszimmer des Cleve-Verlags um neun Uhr betrat, waren bereits alle versammelt.
«Wie schön, dass du gekommen bist», sagte Elisabeth Veldt, die Verlegerin des Cleve-Verlags und Andrinas Chefin.
Sie hatte Andrina gefragt, ob sie am Vormittag zum Neujahrsapéro kommen wolle. Obwohl Mittwoch nicht ihr Verlagstag war, hatte Andrina zugesagt. Enrico hatte den Vormittag freigenommen und würde am Nachmittag zur Arbeit gehen.
Elisabeth füllte Prosecco in die Gläser. Es verblüffte Andrina, welch entspannten Eindruck sie machte. Vor Weihnachten war sie übellaunig und reizbar gewesen. Kilian und Lukas hatten gewagt zu fragen, was los sei. Stattdessen hatten sie eine heftige Abfuhr erhalten. Sie sollten sich um ihre Angelegenheiten kümmern.
Das Weihnachtsgeschäft liefe nicht so wie im Jahr davor, hatte Tatjana angedeutet. Als Elisabeths Sekretärin hatte sie Zugang zu den Verkaufszahlen. Sie organisierte zudem alles, was mit Lesungen zu tun hatte, und kümmerte sich um die Social-Media-Accounts des Verlags.
«Ein kleiner Begrüssungsapéro muss sein», hatte Elisabeth erklärt. Da sie am Nachmittag wegmusste, fand er am Vormittag statt.
Auf dem Tisch standen Teller mit verschiedenen Gipfeli, Lachsbrötli und Gebäck sowie Orangensaft.
«Spasiba», sagte Tatjana, der Elisabeth das erste Glas reichte. Tatjana war die Tochter eines Russen und einer Deutschen. Sie war in Sankt Petersburg aufgewachsen. Seit sieben Jahren lebte sie in der Schweiz und war mit einem Schweizer verheiratet.
Stefanie stiess Andrina leicht mit dem Ellenbogen an. «Elisabeth hat sich richtig in Unkosten gestürzt», raunte sie ihr zu. Stefanie Dubach hatte wie Tatjana im letzten Sommer neu im Verlag angefangen und gehörte mit Andrina und Gabi Hug zum Lektorats-Team, das seit Dezember von Sybille Lenz verstärkt wurde. Gabi und Andrina arbeiteten Teilzeit, seitdem sie aus ihrem Mutterschaftsurlaub zurückgekehrt waren. An den beiden Tagen, an denen Andrina im Büro war, kümmerte sich ihre Schwester Seraina um Rebecca. Das war in der Regel dienstags und donnerstags und funktionierte nach wie vor gut.
Sybille nippte am Prosecco. Sie war zurückhaltend und das Gegenteil der stets grell gekleideten Tatjana. Am liebsten lief sie in Jeans und Schlabberpullover herum. Verstärkt wurde das unscheinbare Aussehen durch eine altmodische Brille.
Heute machte sie einen bedrückten Eindruck. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und die kurzen aschblonden Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht.
Lukas Sandmeier, der für den Vertrieb zuständig war, rückte seine Brille zurecht und musterte prüfend den Inhalt seines Glases. «Das scheint ein edler Tropfen zu sein.»
«Neujahr ist schliesslich nur einmal im Jahr», sagte Kilian Gerber und stiess mit seinem Glas gegen das von Lukas. Er war der Verantwortliche für die Cover-Gestaltung, für das Marketing und die Presse.
Elisabeth schlug leicht mit einem Löffel gegen ihr Glas.
«Achtung, Ansprache», flüsterte Lukas und setzte eine ernste Miene auf, die vermutlich seriös sein sollte. Das Gegenteil war der Fall, und Andrina und Stefanie mussten grinsen.
«Wie ich sehe, wird sich im neuen Jahr gegenüber dem alten nichts ändern», sagte Elisabeth und schaute dabei Lukas an. «Und das ist gut so. Ich hoffe auf weiterhin gute Zusammenarbeit und Kollegialität. Um deiner Befürchtung einer langen, langweiligen Rede nicht gerecht zu werden, Lukas, will ich mich kurzfassen. Im Weihnachtsgeschäft haben wir mehr Bücher verkauft, als es anfangs aussah. Das vergangene Jahr war somit ein durch und durch erfolgreiches. Das haben nur unsere erstklassigen Autorinnen und Autoren und dieses grossartige Team möglich gemacht. Machen wir dort weiter, wo wir aufgehört haben. Und nun lasst es euch schmecken.» Sie stiess mit Tatjana an, die ihr am nächsten stand.
«Ein Lob von Elisabeth», raunte Kilian Andrina zu. «Das muss man direkt mit einem roten Ausrufezeichen in der Agenda markieren.»
Lukas griff nach einem Lachsbrötchen, während Kilian sich drei Gebäckstücke sicherte.
«Du bleibst im neuen Jahr gleich verfressen wie im alten», sagte Gabi.
«Ich sehe nur zu, vom Besten etwas abzubekommen.» Er zeigte auf das Thunfisch-Canapé in Gabis Hand. «Diesen Fischkram könnt ihr gerne selbst essen.»
Andrina nahm sich einen Schokoladenmuffin und ignorierte Kilians Protest. Als sie sich gegen den Tisch lehnte, sah sie, wie Sybille ihr Glas auf einem Korpus abstellte und mit gesenktem Kopf aus dem Raum schlüpfte.
Stefanie öffnete ein Fenster. Feuchtkalte Luft strömte ins Innere. Das Rauschen des Regens wurde lauter.
«Mach es zu», protestierte Kilian. «Es zieht, und es regnet herein.»
«Das ist egal. Die Luft hier drin ist zum Schneiden», sagte Stefanie.
«Dieser Dauerregen nervt.»
«Sie haben gesagt, heute soll es besser werden. Einzelne Schauer und hin und wieder Sonne.»
«Wo siehst du Sonne? Und so ein einzelner Schauer dauert offenbar vierundzwanzig Stunden.» Mit einer energischen Bewegung schloss Kilian das Fenster und stellte sich neben Andrina.
«Was ist mit dir?», fragte er. «Du bist so schweigsam.»
«Nichts», antwortete sie und schaute zur Tür. Was war mit Sybille los? «Ich muss zur Toilette.»
Sie stellte das Glas auf den Tisch.
Statt den Weg zum WC einzuschlagen, öffnete sie die Tür zu Sybilles und Stefanies Büro.
Sybille stand am Fenster und starrte nach draussen. Andrina durchquerte den Raum und stellte sich neben sie. Sybille reagierte nicht.
«Was ist mit dir los?», fragte Andrina, und Sybille zuckte zusammen.
«Nichts», kam es erstickt zurück. Entsetzt bemerkte Andrina die Tränen, die in Sybilles Augen schimmerten.
«Entschuldige, wenn ich aufdringlich erscheine, aber nach nichts sieht das nicht aus.»
Sybille senkte den Kopf und knetete die Hände, die auf der Fensterbank lagen.
«Für mich hat das neue Jahr nicht gut angefangen, und mir ist nicht nach Feiern. Meine Schwester wäre vorgestern beinahe ermordet worden.»
Andrina stellte eine Tasse mit Tee vor Sybille auf den Tisch. Sybille legte ihre Hände um die Tasse. Bei diesem Anblick taten Andrinas Finger weh, aber Sybille schien die Hitze nicht zu spüren. Sie starrte auf einen Punkt neben der Tasse und sah aus, als habe sie Andrinas Anwesenheit vergessen.
Aus dem Sitzungszimmer schallte Gelächter. Der Apéro ging weiter. Elisabeth musste milde gestimmt sein, wenn sie es so lange zuliess.
Vor einigen Minuten hatte sie den Kopf zur Tür hereingestreckt und sich erkundigt, was los sei.
Sybille hatte etwas von ihrer verletzten Schwester gemurmelt, und Elisabeth hatte sich sogleich zurückgezogen.
«Was ist mit deiner Schwester passiert?», fragte Andrina vorsichtig. «Warum wollte sie jemand umbringen?»
«Das weiss ich nicht. Ich war nicht dabei. Soviel ich von der Mutter ihres Freundes erfahren habe, waren sie mit ihren Kollegen unterwegs, als der Täter sich auf sie stürzte.»
«Unterwegs? Wo?»
«In Hallwil.»
Andrina richtete sich kerzengerade auf. «Du meinst damit hoffentlich nicht den Bärzeli-Umzug.»
Sybilles Blick huschte zu Andrina und war Antwort genug.
«Sie waren mit Kollegen von Remo unterwegs, als es passierte.»
«Wer ist Remo?»
«Hannas Freund. Seine Eltern wohnen in Hallwil, und sie waren zum Mittagessen eingeladen. Anschliessend wollten sie sich das Treiben der Bärzeli-Buebe anschauen. Sie trafen Freunde von Remo und sind gemeinsam losgezogen. Als die Bärzeli-Buebe die Gruppe als ihre nächsten Opfer ausgesucht hatten, ist es passiert. In dem Getümmel hat einer zugestossen.»
«Zugestossen?», fragte Andrina.
«Mit einem Messer. Er muss auf meine Schwester und ihren Freund eingestochen haben. Genauso auf andere Passanten. Eine Person ist vor Ort gestorben, soviel ich weiss.»
Falsch, dachte Andrina. Es waren bereits zwei Tote. Sie korrigierte Sybille nicht – sie würde es früh genug erfahren. Hoffentlich starb kein weiterer. Der fahle Geschmack in Andrinas Mund verstärkte sich.
Das klang nach einem Gemetzel. Das hätten Enrico und sie sehen müssen. Das Gleiche galt für die Umstehenden.
Wenn sie Susanna und Wagner gestern richtig verstanden hatte, war das nicht der Fall.
Erneut fragte Andrina sich, um was für ein Messer es sich gehandelt hatte. Hatte der Täter eins von zu Hause mitgenommen? Falls das so war, wäre es vorsätzlich gewesen. Oder war es eine spontane Aktion gewesen?
«Was ist mit deiner Schwester?»
«Sie wurde mittelschwer verletzt. Im Gegensatz dazu kämpft Remo um sein Leben.» Sybille starrte in die Tasse, die sie nach wie vor umklammert hielt. «Die Polizei sagte, es könnte sich um einen gezielten Anschlag auf meine Schwester, ihren Freund und auf seine Kollegen handeln. Ich weiss nicht, wer einen Grund haben könnte.»
***
Andrina blickte auf ihre Armbanduhr. Kurz vor halb zwölf. Sie war zu früh dran und überlegte, ob sie das Polizeikommando betreten oder damit warten sollte. Andrina verspürte keinen grossen Wunsch reinzugehen. Zu oft war sie bereits in diesem Gebäude gewesen. Das letzte Mal lag erst vier Monate zurück. Dieses Mal kam erschwerend hinzu, dass Max Wagner in Betracht zog, Enrico habe mit dem Anschlag zu tun.
Wagner hatte sie im Büro angerufen. Es seien neue Fragen aufgetaucht, ob sie gegen Mittag zum Polizeikommando ins Telli kommen könne. Andrina hatte Enrico angerufen, dass es später werden könne. Da er zu JuraMed musste, hatte er Rebecca zu Seraina gebracht, die spontan übernommen hatte. Wie so oft hatte Andrina sich gefragt, was sie ohne ihre Schwester machen würde.
Andrina betrat das Gebäude und meldete sich an. Keine zwei Minuten später erschien Marco Feller. Er kam auf Andrina zu und nickte zur Begrüssung. «Corina und Max mussten unvorhergesehen weg und baten mich, die Befragung zu übernehmen.»
Das war Andrina alles andere als recht. Ihr Verhältnis hatte sich zwar seit Marcos Rückkehr im September normalisiert. Sich hin und wieder auf der Strasse zu treffen war in Ordnung, aber sie wollte von ihm nicht im Rahmen einer polizeilichen Ermittlung befragt werden. Das lag nicht nur an ihrer unschönen Trennung vor vier Jahren, die Marco lange nicht akzeptieren wollte. Ein weiterer Grund war Gabi. Marco hatte sich in eine Beziehung mit ihr geflüchtet, die ebenfalls in die Brüche gegangen war. Gabi hegte Misstrauen gegen ihn, da sie befürchtete, Marco wolle ihr den gemeinsamen Sohn André wegnehmen. Bisher hatte Marco nichts unternommen. Andrina kam es vor, als steigere sich Gabi in etwas hinein, und das war das grössere Problem.
Um nicht zwischen die Fronten zu geraten, bemühte Andrina sich, Abstand zu Marco zu halten, was ihr in den letzten Monaten gut gelungen war. Nur zwei- oder dreimal war sie ihm in Aarau begegnet, und sie hatten einige Worte gewechselt. Einmal hatte er sie auf einen Kaffee eingeladen.
Marco hielt ihr die Tür auf und bedeutete ihr mit einer Geste, voranzugehen. Schweigend gingen sie den Korridor entlang und betraten ein Sitzungszimmer, das Andrina sofort wiedererkannte. Auf dem Tisch lagen eine Mappe und ein Notizbuch.
Marco machte eine Handbewegung zu einem Stuhl, und Andrina setzte sich. Zu ihrem Erstaunen nahm er nicht ihr gegenüber Platz, sondern setzte sich über das Eck. Andrina unterdrückte den Impuls, ein Stück wegzurücken.
«Max sagte, ihr habt neue Fragen», begann Andrina, bevor Marco das Wort ergreifen konnte. «Ich kann euch nicht mehr als gestern sagen.»
Gleichzeitig dachte sie an das Gespräch, das sie mit Enrico geführt hatte. Inzwischen war sie zum Schluss gekommen, der Mann, den sie in Hallwil gesehen hatte, hatte nichts mit allem zu tun. Auch andere Personen, Männer, Frauen und Kinder, waren teilweise schnell weggegangen, um den Bärzeli-Buebe aus dem Weg zu gehen. Sie würde sicher keine Person in den Fokus der Polizei rücken, die sich am Montag in Hallwil vergnügt hatte. Was passierte, wenn man einen Unschuldigen bei der Polizei anschwärzte, erfuhr sie gerade am eigenen Leib.
«Es gibt einen Zeugen, dem ein Mann aufgefallen ist, der sich verdächtig verhalten hat», wiederholte Marco das, was Wagner gestern angedeutet hatte, ohne auf Andrinas Aussage einzugehen.
«Ich weiss, er hat euch auf Enrico angesetzt.»
«Das meine ich nicht. Er sprach von einer anderen Person.»
Die Polizei hatte ihr Augenmerk auf eine andere Person gelenkt? Das war neu.
«Mir ist leider in dem Tumult keiner aufgefallen. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Hin und wieder gab es einen Aufschrei, wenn jemand in den Genuss der stacheligen Umarmung kam.»
«Du hast keinen gesehen, der sich rasch entfernt hat?»
«Einige liefen vor den Bärzeli-Buebe davon. Davonlaufen ist übertrieben. Sie wichen ihnen aus und kehrten gleich darauf zurück.»
«Hast du gesehen, wie es dazu kam, dass die Gruppe zu Boden ging?»
Das hatten Wagner und Susanna bereits gefragt. Wie sie wusste, liess Wagners Team bei nachfolgenden Befragungen gerne Aussagen wiederholen, in der Hoffnung, es kämen neue Details hinzu. «Nein. Ich vermutete, es habe einer das Gleichgewicht verloren, ein anderer sei über ihn gestolpert, und das Ganze habe eine Kettenreaktion ausgelöst.»
«Es wurde keiner geschubst oder bewusst zu Fall gebracht?»
«Du meinst, es habe jemand einem ein Bein gestellt?», fragte Andrina zurück.
«Zum Beispiel.»
«Falls das so ist, habe ich es nicht gesehen.»
Marco nahm aus einer Mappe sechs Fotos und verteilte sie vor Andrina auf dem Tisch. «Kennst du diese Personen?»
Andrina nahm eins nach dem anderen in die Hand und betrachtete sie ausgiebig. Auf zwei Bildern waren Frauen, auf den anderen Männer. Alle mussten zwischen Ende zwanzig und Ende dreissig sein. Die Männer kannte sie nicht, und ob sie ihnen einmal zufällig auf der Strasse begegnet war, konnte sie ebenfalls nicht sagen.
Andrina nahm nochmals das Bild der Frau mit den langen dunkelblonden Haaren. Sie erinnerte sie an jemanden. Nach längerem Betrachten kam sie zum Schluss, dass sie die Frau nicht kannte. Andrina legte das Bild zu den anderen zurück.
Als sie den Kopf hob, bemerkte sie, wie Marco sie beobachtete. Der prüfende Blick seiner strahlend blauen Augen war ihr unangenehm.
Wie so oft, wenn sie ihn sah, fiel ihr die Ähnlichkeit mit seinem Halbbruder auf. Die gleichen dunkelbraunen Haare, in die sich hier und da ein graues verirrte. Die Kinnpartie hatte die gleiche Form, und die Mimik ähnelte der von Enrico. Einziger Unterschied waren Enricos dunklerer Teint und seine dunklen Augen, die das Erbe seiner süditalienischen Mutter waren.
«Ich kenne keinen von denen da.»
«Bist du sicher?»
«Ja. Wer sind sie? Tatverdächtige?»
«Nein. Sie waren vorgestern beim Bärzeli-Treiben.»
Sie waren nicht einfach da, sondern in unmittelbarer Nähe, ergänzte Andrina das, was sie zwischen den Zeilen heraushörte. War eine dieser Personen der potenzielle Zeuge, der die Polizei auf Enrico gehetzt hatte? Erneut schaute sie die Fotos an und blieb wiederum bei der Frau hängen. Die Erkenntnis kam wie aus dem Nichts. Das musste Sybilles Schwester sein.
Sybilles Schwester war eins der Opfer. Gehörten die anderen ebenfalls zu den Opfern? Waren sogar die Personen darunter, die die Attacke nicht überlebt hatten?
«Ich kenne sie nicht, aber sie hat Ähnlichkeit mit einer Arbeitskollegin – Sybille Lenz.»
Marco erwiderte nichts.
«Sybille hat mir heute Morgen erzählt, ihre Schwester sei in Hallwil gewesen und verletzt worden.»
Erneut keine Antwort.
«Wenn du wissen willst, ob ich sie bewusst in Hallwil gesehen habe, muss ich das verneinen. Genauso kann ich dir nicht sagen, ob einer von denen», sie zeigte auf die übrigen Fotos, «in der Nähe war und was er oder sie getan hat.»
Weiterhin Schweigen. Allmählich wurde es mühsam. Welche Information erhoffte er sich von ihr? Und warum durfte Marco sie befragen? Enrico war sein Halbbruder und Andrina somit seine Schwägerin. Obwohl sie keinen Kontakt pflegten, war Marco befangen.
«Okay», sagte er schliesslich und griff nach der zweiten Mappe. Er drehte sie auf dem Tisch hin und her, als wisse er nicht, wie er die nächste Frage formulieren sollte.
«Du, Enrico und Rebecca waren die ganze Zeit zusammen?»
Was sollte das heissen? Andrina verschränkte die Arme vor der Brust. Hielt er Enrico für tatverdächtig? Sah er die Gelegenheit, Enrico zu verunglimpfen und sich für damals zu rächen? Über dieses Stadium sollten sie längst hinaus sein. Zumindest hatte Andrina das angenommen. Zwischen den Halbbrüdern hatte im September eine Art Waffenstillstand geherrscht.
«Entschuldige, das war ungeschickt formuliert. Es gibt neue Aussagen.» Marco zog ein Blatt aus der Mappe und schob es zu Andrina. Ein Phantombild. «Kennst du diesen Mann?»
Andrina war über den Themenwechsel verwirrt, und es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, wem die Person ähnelte.
«Der sieht wie Enrico aus», stiess sie hervor. «Das ist unmöglich. Wir waren zusammen bei Erika Fäs und sind danach direkt zum Auto gegangen.»
«Das ist genau das Problem, das wir haben. Gemäss den Aussagen war der Mann allein unterwegs und hat sich der Gruppe um die Bärzeli-Buebe angeschlossen.»
«Wir sind zusammen zum Auto gegangen», sagte Andrina mit Nachdruck. «Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt, an dem der Bärzeli-Trupp auftauchte, keine Ahnung, dass das Treiben gerade stattfand. Enrico hatte Rebecca auf dem Arm, als mich der ‹Stächpaumig› überrumpelt hat. Danach hat er sie ins Auto gesetzt und ist in den Wagen gestiegen.»
Sie hob den Kopf. Marco beobachtete sie.
Andrina stutzte. Sie blickte auf das Bild und sah erneut Marco an.
«Was ist?», fragte er.
«Ist das keinem von euch aufgefallen?»
«Was?»
«Der Typ da hat nicht nur Ähnlichkeit mit Enrico.» Sie tippte mit dem Zeigefinger auf das Blatt.
«Mit wem sonst?»
«Mit dir.»
***