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Emma Goodwyn

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Beschreibung

Ein paar Tage Urlaub mit der ganzen Familie in Edinburgh – darauf hat John Mackenzie, Beefeater im Tower von London, sich schon lange gefreut. Doch das große Treffen der Clans, organisiert von seiner greisen, aber tatkräftigen Tante Isabel, wird überschattet von einem plötzlichen Todesfall. John bleiben nur wenige Tage, um den Täter zu entlarven – nun muss er sich mit Superintendent Simon Whittington zusammenraufen.

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Tod im Kilt

 

 

 

John Mackenzies zweiter Fall

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emma Goodwyn

Im Gegensatz zu den Schauplätzen

Im Gegensatz zu den Schauplätzen

sind alle Personen und Ereignisse der Handlung rein fiktiv, mögliche Ähnlichkeiten zu echten Personen und Geschehnissen keinesfalls beabsichtigt.

 

 

 

Mehr von Emma Goodwyn:

 

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Tod auf dem Campus

 

Besuchen Sie die Autorin unter

www.emma-goodwyn.com!

 

 

 

Copyright Text und graphische Gestaltung

Emma Goodwyn

c/o Hartmut Albert Fahrner

Am Tannenburganger 36

84028 Landshut

 

Kontakt: [email protected]

 

Veröffentlichungsdatum: 20. März 2013

 

Alle Rechte vorbehalten

(V7.1)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Idee zu Johns zweitem Fall entstand bereits 2009 beim bis dahin größten Treffen der schottischen Clans, „The Gathering“, in Edinburgh.

Das Festival gehörte zu einer Vielzahl von Veranstaltungen unter dem Motto „Homecoming Scotland“, die vor allem zum Ziel hatten, Menschen mit schottischen Wurzeln zurück in die Heimat ihrer Vorfahren zu führen.

An die 50.000 Besucher aus über 40 Ländern waren mit uns gemeinsam an jenem Juliwochenende im Holyrood Park versammelt und genossen die einzigartige Atmosphäre.

Vor dem Hintergrund dieses Erlebnisses beschloss ich, John und seine Familie nach seinem Debüt in „Tod im Tower“ auf die Reise nach Schottland zu schicken.

 

 

 

E. Goodwyn            

Kapitel 1

 

Staunend beäugt von einer Reihe Touristen folgten zwei Dutzend Frauen John Mackenzie unter ausgelassenem Gelächter aus dem White Tower hinaus in den Innenhof des Towers. Die Damen, allesamt nicht mehr ganz jung, bildeten mit ihren lila Gewändern und roten Hüten eine auffallende Truppe. Offensichtlich genossen sie das Aufsehen, das sie erregten, weidlich.

John konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als seine Mutter, die sich an die Spitze der Gruppe gesetzt hatte, einer Gruppe von Japanern huldvoll zuwinkte und sich dann kess in Positur stellte, als diese ihre Kameras zückten.

„Wetten, dass das Amerikaner sind, Sabine? Bestimmt irgendein verrückter Rentner-Club aus Florida“, brummte ein deutscher Tourist hinter Johns Rücken seiner Begleiterin zu. John wandte sich um, lüpfte höflich seine blau-rote Beefeater-Mütze und sprach das Paar auf Deutsch an.

„Sir, Madam, ich darf Ihnen versichern, es handelt sich um britische Staatsangehörige. Die Ladies gehören der Red Hat Society an, einem sozialen Netzwerk, das sich in erster Linie an Frauen mit Lebenserfahrung wendet. Die Vereinigung hat sich auf die Fahnen geschrieben, gemeinsam die schönen Seiten des Lebens zu genießen.“ Der Mann starrte ihn verblüfft an. Die Frau lachte.

„Mir gefällt das, Klaus. Wer sagt schon, dass wir Frauen im besten Alter damit zufrieden sein müssen, uns auf Kaffeefahrten neue Rheumadecken andrehen zu lassen? So einen Verein könnten wir zu Hause auch brauchen.“

 

Während er zum Tower Green voranschritt, dachte John zurück, wie belustigt er selbst und seine Geschwister noch vor einigen Monaten reagiert hatten, als seine Mutter ihnen von ihren neuen Aktivitäten berichtet hatte. Mittlerweile hatte sich die Familie an Emmelines gelegentliche Ausflüge gewöhnt.

„Und warum sollten die Frauen sich nicht mal eine Auszeit nehmen von ihrem üblichen Alltag? Grandmas Leben hat sich doch jahrelang nur um die Familie und ihren Gartenclub gedreht. Ich finde es gut, dass sie mal ein bisschen rauskommt und einfach Spaß hat“, hatte Renie, Johns älteste Nichte, bei der Neujahrsparade festgestellt.

Wenige Tage nach dem dramatischen Ende einer Mörderjagd, die drei der Mackenzies in tödliche Gefahr gebracht hatte, hatte sich die ganze Familie am Trafalgar Square versammelt, um Emmeline zuzuwinken. Mit über hundert rot behüteten Gefährtinnen war sie in einem Doppeldeckerbus bei der großen Parade mitgefahren und hatte sich sichtlich prächtig amüsiert.

 

Als die Frauentruppe sich um ihn versammelt hatte, fuhr John mit seiner Führung fort. Er wies auf die südwestliche Ecke des Innenhofs, wo sich die fachwerkbekränzte Fassade des Queen’s House befand.

„Meine Damen, an dieser Stelle möchte ich Ihnen von einer äußerst entschlossenen und couragierten Frau erzählen: Winifred Maxwell.

In Frankreich, wo der Stuart-König James II im Exil lebte, lernte Winifred 1699 Lord William Maxwell kennen, der wie sie Katholik und treuer Anhänger der Familie Stuart war. Sie verliebten sich, heirateten und zogen in ihre schottische Heimat zurück, wo sie auf dem Familiensitz der Maxwells lebten und zwei Kinder bekamen. So weit, so gut. Vermutlich hätten sie bis ans Ende ihrer Tage glücklich dort gelebt, wenn sich nicht im Jahr 1715 die Stuart-Getreuen, die sich Jakobiten nannten, zusammengeschlossen hätten, um den neuen englischen König George I zu stürzen und stattdessen mit dem Sohn von James II der Stuart-Monarchie wieder zur Herrschaft zu verhelfen. Winifreds Mann schloss sich den Rebellen an. Allerdings dauerte es nur wenige Monate, bis die Engländer den Aufstand niedergeschlagen hatten. Lord Maxwell wurde gefangen genommen und wie eine ganze Reihe anderer hier im Tower interniert. Als Winifred davon erfuhr, machte sie sich, begleitet nur von ihrer Zofe Evans, auf den langen Weg hierher.

Der schlimmste Winter seit Menschengedenken machte es unmöglich, in der Familienkutsche zu reisen, aber die beiden Frauen kämpften sich unerschrocken auf Pferden durch und erreichten nach fünfzehn Tagen London. In der Zwischenzeit hatte das Parlament beschlossen, alle Aufständischen zu begnadigen – mit Ausnahme einer Handvoll ihrer Anführer. Darunter war auch Winifreds Mann. In ihrer Verzweiflung beschloss sie, an den König persönlich zu appellieren. Da sie nicht zu ihm vorgelassen wurde, verkleidete sie sich als Dienstbote und schaffte es so tatsächlich bis in die Privatgemächer von George I. Aber auch ihr Bitten und die Petition, die sie aufgesetzt hatte, brachten nichts. Weitere Männer wurden zwar freigelassen, aber ihr Mann gehörte zu den dreien, die exekutiert werden sollten.

Während William sich gottergeben auf sein Schicksal vorbereitete und bereits die Rede verfasste, die er auf dem Schafott halten wollte, fasste seine Frau einen wagemutigen Plan. Am Tag vor der geplanten Hinrichtung betrat sie den Tower mit einigen anderen Frauen, die sie für ihre Absichten gewinnen konnte, und einer Flasche Cognac. Eine ihrer Begleiterinnen hatte unbemerkt ein zweites Gewand übergezogen. Die Wachen der Gefangenen vertrieben sich die Zeit meist mit ihren Frauen und dem Kartenspiel in der Wachstube in dem Gebäude hier, gleich hinter uns. Den Alkohol nahmen sie freudig an und sie ließen Lady Maxwell und eine weitere der Frauen zu William. In der Zelle wurde der Gefangene unbemerkt in das Frauengewand gesteckt und geschminkt. Die Frauen schafften es mit Hilfe des Alkohols und einiger Ablenkungstaktiken, die Wachen soweit zu verwirren, dass diesen nicht auffiel, dass am Ende eine ‚Frau‘ mehr den Tower verließ. Erst als William am Folgetag zur Hinrichtung geführt werden sollte, wurde sein Fehlen bemerkt. Trotz einer großen Suchaktion gelang es dem Paar, aus England zu fliehen. Winifred lebte mit ihrem Mann, um dessen Leben sie so mutig und listenreich gekämpft hatte, noch an die 30 Jahre lang in Italien. Das Kleid, in dem Lord Maxwell die Flucht gelang, ist übrigens bis heute im Besitz der Familie.“

John sah lächelnd in die Runde. „Eine solch bemerkenswerte Frau wie Winifred Maxwell würde sicher gut in die Reihen der Red Hat Society passen. Und damit sind wir am Ende der Führung angelangt. Ich hoffe, sie hat Ihnen gefallen. Sollten Sie noch Fragen haben, stehe ich gern zu Ihrer Verfügung.“

Die Frauen klatschten Beifall und zerstreuten sich dann, um noch ein paar Fotos zu schießen. Während John seinen Kollegen und Freund George Campbell entdeckte und über den Hof zu ihm hinüberging, scharten sich einige der Frauen um Emmeline Mackenzie.

„Dein Sohn ist ja ein fescher Bursche. Die Uniform steht ihm gut.“ Joan Cummings, mit 79 Jahren die Älteste der Gruppe, warf über den Hof hinweg einen Blick auf John und pfiff anerkennend. Die anderen Frauen kicherten. Emmeline lächelte geschmeichelt.

„Naja, ein junger Bursche ist er ja mit seinen 44 Jahren nicht gerade. Aber ich finde auch, dass er sich ganz hübsch herausgewachsen hat. Und ich bin sehr froh, dass er nach all den Jahren im Ausland nun endlich wieder in England ist. Er besucht uns auch regelmäßig draußen in Kew und hat sogar begonnen, mir bei meiner ehrenamtlichen Arbeit in den Königlichen Gärten zur Hand zu gehen.“

„Er war lange beim Militär, nicht wahr?“

„Ja. Als Psychologe hat er unsere Soldaten im Ausland betreut. Er war lange in Deutschland, aber in den letzten Jahren wurde er hauptsächlich bei den kämpfenden Einheiten in Afghanistan und im Irak eingesetzt. Irgendwann wurde es ihm zuviel und nach einem Hörsturz hat er sich entschieden, den Dienst aufzugeben. Glücklicherweise hat er über eine Empfehlung seines Kommandanten die Stelle hier bei den Beefeatern bekommen. In der ersten Zeit war es hier, glaube ich, nicht immer leicht für ihn. Er hat zwar nie direkt mit uns darüber gesprochen, aber es hat wohl eine Weile gedauert, bis er sich den Respekt seiner Kollegen erkämpft hatte. Am Anfang hatten die wohl Angst, dass da so ein verschrobener Psycho-Onkel zur Truppe stößt. Mittlerweile scheint er hier sehr glücklich zu sein.“

Mary Iverson, die gerade ihren Fünfzigsten gefeiert und damit das Eintrittsalter für die Red Hatters erreicht hatte, schob sich heran.

„Du sagtest, er wäre unverheiratet?“ Wieder Gekichere.

„Er gefällt dir wohl, Mary? Meinst du nicht, er ist ein wenig jung für dich?“, kam gutmütiger Spott aus den Reihen der Frauen. Emmeline winkte ab.

„Ach, ich bezweifle es mittlerweile schon, dass ich John einmal zum Traualtar werde schreiten sehen. Seine Schwester Maggie ist schon über 20 Jahre verheiratet und unser jüngster, David, ist mit seiner Annie auch schon ewig zusammen. Aber was das mit John noch werden soll …“

Mary Iverson machte ein enttäuschtes Gesicht.

„Du … meinst aber nicht, dass er … du weißt schon … gar nichts von Frauen wissen will?“

Emmeline warf ihr einen scharfen Blick zu.

„Unsinn. Als junger Mann hatte er eine sehr nette Freundin. Und kürzlich hat er mir erzählt, dass er manchmal mit der Sekretärin des Kommandanten ausgeht. Aber das sei rein freundschaftlich, sagte er. Sie haben sich wohl ein wenig kennengelernt, nachdem dieser furchtbare Mord hier passiert ist.“

Während die Frauen Emmelines dramatischer Schilderung der Geschehnisse im letzten Jahr lauschten, sah John auf die Uhr.

„Der Bus müsste eigentlich gleich da sein, um die Damen abzuholen. Bis später, George.“ Lächelnd ging er zu der Gruppe hinüber, um sie hinauszugeleiten.

Auf dem Weg zum Ausgang fragte seine Mutter, „Hast du in den letzten Tagen von Renie gehört?“

Johns Nichte befand sich seit einigen Monaten in Schottland. Dort half sie Isabel Mackenzie, der Patriarchin des Clans, aus dem Johns Vater stammte, bei den Vorbereitungen für das große Clantreffen in Edinburgh, das in zwei Wochen stattfinden sollte. Dazu würde die gesamte Familie nach Schottland reisen. Renie sollte mit ihnen danach wieder zurückkehren, um ihr Anthropologiestudium an der London School of Economics fortzuführen.

John nickte. „Sie rief mich gestern Abend kurz an. Ich habe das Gefühl, dass sie sich sehr wohl fühlt, obwohl das ganze Team jetzt in der heißen Phase vor Beginn des Festivals sehr viel zu tun hat und ständig etwas kurzfristig umdisponiert werden muss.“

Seine Mutter lächelte. „Unser Mädchen. Ich denke, diese Zeit in Schottland hat ihr gut getan. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, über Monate hinweg mit Isabel zusammenarbeiten zu müssen.“ Sie rümpfte ein wenig die Nase.

Emmeline und die über 90-jährige, aber immer noch sehr tatkräftige Tante ihres Mannes hatten nach Jahrzehnten des Gezänks am letzten Weihnachtsfest einen vorläufigen Waffenstillstand geschlossen. Noch ganz unter dem Eindruck ihres knappen Entrinnens hatte Johns Mutter damals vorgeschlagen, das Kriegsbeil zu begraben. John und seine Geschwister warteten nun mit Spannung darauf, wie lange der Frieden bestehen bleiben würde, sobald die beiden Frauen in Edinburgh wieder aufeinandertrafen.

John gab seiner Mutter einen Abschiedskuss.

„Vielen Dank für die interessante Führung, John. Meine Red Hat Sisters waren sehr angetan.“ Emmeline Mackenzie tätschelte ihrem Sohn liebevoll die Wange. John fühlte sich unversehens wie ein Erstklässler, der den Buchstabierwettbewerb gewonnen hatte.

„Keine Ursache, Mum. Ich wünsche euch noch einen schönen Nachmittag.“

Emmeline drehte sich noch einmal um. „Grüße Maggie, Alan, Tommy und Bella herzlich von mir, wenn du sie heute Abend besuchst, hörst du, mein Junge?“

John nickte und winkte den Frauen zu, die bereits in den Bus eingestiegen waren. Joan Cummings warf ihm keck eine Kusshand zu. Als der Bus abfuhr, schnaufte er erleichtert auf.

 

„Wie sehe ich aus, John? Fühlt sich voll krass an, im Rock rumzulaufen.“ Unsicher sah Tommy seinen Onkel an.

Maggie hatte Kilts, Hemden und Jacketts für ihren 14-jährigen Sohn und für John im Schlafzimmer bereitgelegt. Tante Isabel hatte einen Schneider in Inverness beauftragt, die traditionelle Ausstattung für die Männer der Familie zu fertigen. Dazu hatte Maggie ihre Maße genommen und vor Monaten nach Schottland übermittelt. Die kompletten Outfits hatte Renie vor wenigen Tagen hergeschickt.

„Das Gefühl ist wirklich ungewohnt. Zieh die Strümpfe hoch. Dann steckst du den Dolch, den Sgian Dubh, außen in den rechten Strumpf. Der Sporran wird vorne getragen, sieh mal.“ John zeigte seinem Neffen, wo der Fellbeutel platziert wurde. Dann zog er selbst sein Jackett gerade und nickte Tommy aufmunternd zu.

„So, jetzt wollen wir den anderen mal zeigen, wie gut uns der Mackenzie-Tartan steht.“ Er zog seinen Neffen die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, wo Maggie, ihr Mann Alan und Tommys jüngere Schwester Bella bei der Nachspeise saßen und auf ihren Auftritt warteten. Bella prustete los, als sie ins Wohnzimmer traten. „Tommy, du siehst aus wie ein –“ Sie quiekte und verstummte. „… echter Highlander!“, fuhr Maggie nahtlos fort. Aber es war zu spät. Tommy drehte sich um und rannte die Treppe wieder hinauf.

„Das könnt ihr vergessen, dass ich in diesem Kasperkostüm rumlaufe“, rief er über die Schulter zurück und warf die Tür seines Zimmers hinter sich zu. Maggie wollte sich schon erheben, aber ihr Mann hielt sie zurück.

„Lass mich mit ihm reden. In seinem Alter hätte ich genauso reagiert.“ Maggie ließ sich in ihren Stuhl zurücksinken und warf ihrer jüngsten Tochter einen grimmigen Blick zu.

„Du hättest wirklich ein wenig zartfühlender reagieren können.“

Bella gluckste unbeeindruckt. „Aber Tommy sieht wirklich wie ein Idiot aus in der Tracht, mit seinem blöden neuen Punker-Haarschnitt und dem Nasenring noch dazu.“

Ihre Mutter seufzte. John ergriff das Wort.

„Ich glaube, die Kleidung wirkt nur deshalb so komisch, weil sie für uns ungewohnt ist. Aber glaub mir, Bella, nach ein paar Tagen in Edinburgh wird dir dieser Aufzug ganz normal vorkommen. Dort werden Tausende von Leuten sein, die dieselbe Tracht tragen. Nur eben in unterschiedlichen Tartans, also den Farben und Karos, die für ihren Clan stehen.“

Bella sah ihren Onkel prüfend von oben bis unten an. „Ich finde, bei alten Leuten wie dir sieht es gar nicht so übel aus“, sagte sie dann großzügig. Damit stand sie auf und hüpfte durch die offene Terrassentür in den Garten hinaus.

John starrte hinterher. Dann setzte er sich und vergrub das Gesicht in den Händen, während seine Schwester kicherte. Sie tätschelte ihrem Bruder, der zwei Jahre jünger als sie war, tröstend den Rücken.

„Ach, John-Boy, mach dir nichts draus. Für eine Neunjährige wirkt jeder Mensch über 30, als stünde er schon mit einem Fuß im Grab. Aber ich bin sicher, es gibt genügend reifere Frauen, für die du durchaus attraktiv bist.“

„Reifere Frauen!“ John stöhnte und hob den Kopf. „Da könntest du Recht haben. Heute habe ich Mum und ihre Kumpaninnen von der Red Hat Society durch den Tower geführt. Als wir alle vor der Vitrine standen, in der die letzte Rüstung von Heinrich dem Achten ausgestellt ist – du weißt schon, die, die seiner Leibesfülle in den späteren Jahren angepasst war – gab es zuerst ein paar derbe Bemerkungen, so sinngemäß, dass er offensichtlich in jeder Hinsicht überragend ausgestattet gewesen wäre. Und dann hatte ich in dem dichten Gedränge definitiv das Gefühl, dass mich eine von den Ladies in den Hintern gekniffen hat.“

Maggie lachte schallend los, während ihr Bruder sie mit gespielter Empörung ansah. Als sie sich wieder gefasst hatte, brachte sie hervor, „Möchtest du vielleicht Anzeige wegen sexueller Belästigung gegen Unbekannt erstatten? Ich würde die Ermittlungen in diesem Fall persönlich führen, das verspreche ich dir.“

Maggie arbeitete seit vielen Jahren als Staatsanwältin für die Londoner Justiz.

„He, was gibt es bei euch Lustiges? Ich leiste Schwerstarbeit bei der Erziehung unseres halbwüchsigen Sohnes, während ihr euch hier köstlich amüsiert.“ Alan war wieder hereingekommen.

„Hast du mit Tommy geredet? Denkst du, er wird das Tragen des Kilts tatsächlich verweigern? Dann kriegt Tante Isabel einen Tobsuchtsanfall, befürchte ich.“

Gespannt sah Maggie ihren Mann an. Alan winkte ab.

„Er wird ihn schon anziehen, sobald wir dort sind, keine Sorge. Mein Argument, dass die schottischen Mädels das traditionelle Outfit sicher cooler finden werden, als wenn er mit seinen üblichen ausgebeulten Jeans dort auftaucht, hat ihn wohl überzeugt. Außerdem kann er dann den Strumpfdolch tragen, auf den er so steht.“ Alan ließ sich auf das Sofa fallen.

„Bei allem Respekt vor euren schottischen Traditionen – ich bin ganz froh, dass eure formidable Tante Isabel mir nahegelegt hat, als Engländer ohne einen Tropfen schottischen Bluts auf das Tragen der Tracht zu verzichten. Sie sagte mir zwar, dass ich als angeheiratetes Mitglied des Mackenzie-Clans theoretisch auch den Kilt tragen könnte, aber in meinen normalen Beinkleidern fühle ich mich doch entschieden wohler.“

Tante Isabel war nicht nur eine glühende Patriotin, sondern auch Vorsitzende des Komitees, welches das seit vielen Generationen größte Treffen schottischer Clans organisierte.

Maggie lachte. „Isabel ist wirklich trotz ihres Alters eine beeindruckende Frau, die es gewöhnt ist, ihren Willen durchzusetzen. Stellt euch vor, nun hat sie David dazu verdonnert, seinen alten Dudelsack wieder vorzuholen und seine eingerosteten Kenntnisse aufzufrischen. Die Pipe Band von Inverness wird die acht Finalisten der Weltmeisterschaft in den Highland Games ins Stadion geleiten. Sie möchte partout, dass David dabei mitmarschiert, und natürlich auch beim feierlichen Einzug aller Dudelsackbläser. Es sollen über tausend sein. Nun übt er schon seit Tagen wie ein Wilder ‚Scotland the Brave‘ und noch irgendein Stück.“

Alan grinste. „Ja, eurer Tante schlägt man eben nichts ab. Aber nun erzählt – was habe ich vorhin verpasst?“

Maggie setzte ein ernstes Gesicht auf.

„Mein Bruder wurde heute das Opfer eines unverzeihlichen, erniedrigenden Übergriffs mit eindeutig sexuellen Absichten. Ich denke, ich werde morgen sofort ein Sonderermittlungsteam zusammenstellen, das diese fidele Frauentruppe, der unsere Mutter sich angeschlossen hat, unter die Lupe nimmt. Wir werden nicht ruhen, bis wir die infame Person gefunden haben, die es wagt, einem königlichen Beefeater an den Hintern zu fassen. Und wisst ihr, wem ich die Leitung des Teams übertragen werde?“

Als beide Männer sie verständnislos anstarrten, breitete sie die Arme aus, wie ein Moderator, der einen Stargast präsentiert.

„Niemand geringerem als Superintendent Simon Whittington, dem Star der Metropolitan Police!“, schloss sie enthusiastisch. Alle drei brachen in Gelächter aus. Schließlich schüttelte John den Kopf.

„Unser liebster Cousin beschäftigt sich nur mit Kapitalverbrechen, alles andere wäre unter seiner Würde. Abgesehen davon ist er sicher vollauf damit beschäftigt, sich auf das große Golfturnier in St. Andrews vorzubereiten.“

Simon und seine Ehefrau, die Ehrenwerte Patricia Whittington-Armsworth, waren im August zu einem prestigeträchtigen Wohltätigkeitsturnier an der schottischen Ostküste eingeladen.

Maggie nickte.

„Sie fahren in den nächsten Tagen los. Patricia sagte mir kürzlich, sie würden vielleicht auf einen Sprung nach Edinburgh kommen, um sich auch etwas vom Clanfestival anzusehen. Von St. Andrews ist es ja nicht weit.“

John und sein Schwager sahen sich an und gaben dann beide Geräusche von sich, als müssten sie sich übergeben. Maggie maß die beiden mit einem strafenden Blick und hob an, „Wir hatten doch vereinbart …“

John winkte ab. „Ja, ja, du hast ja recht. Alte Gewohnheiten sterben nun mal langsam. Wenn sich jemand seit jüngster Kindheit als intriganter Widerling, als skrupelloser Egomane, schlicht als veritables Ekel erwiesen hat, ist es schwer, von diesem Bild abzurücken. Auch wenn ohne ihn unsere Mörderjagd letztes Jahr ein tragisches Ende genommen hätte.“

Alan sah seine Frau mit betretenem Gesicht an und ergriff das Wort.

„Wir haben ihm viel zu verdanken, Liebling, ich weiß. Also gebe ich hiermit zu Protokoll, dass euer Cousin ein großartiger Mensch, ein hochintelligenter Ermittler und der bestaussehendste Mann in ganz England ist.“

„Na, nun übertreib nicht gleich“, gab Maggie zurück. „Übrigens hat Renie sich heute gemeldet. Sie kann es kaum noch erwarten, dass wir kommen. Und sie sagte, sie hätte eine Überraschung für uns.“ Sie runzelte die Stirn. „Was das wohl sein mag?“

John stand auf und streckte sich. „Du wirst es erfahren. Bei Renie stehen Überraschungen sowieso immer auf der Tagesordnung. Ich danke dir für das vorzügliche Abendessen. Nun muss ich mich umziehen und zurück in den Tower.“

Als sie sich an der Haustür verabschiedeten, mahnte Maggie ihren Bruder scherzhaft, „Wir sind Mittwoch früh um acht Uhr vor dem Tower – wehe, du kommst wieder mal zu spät.“

John grinste. „Ich verspreche dir, ich werde ab 7.45 Uhr gestiefelt und gespornt vor dem Tor stehen.“

Während seine Eltern sowie David und Annie mit ihrem Söhnchen Christopher nach Edinburgh fliegen wollten, würde John mit Maggie und ihrer Familie in deren geräumigem Wagen nach Norden fahren.

Kapitel 2

 

Nachdem die U-Bahn ihn von Belgravia zum Tower Hill gebracht hatte, nutzte John den außergewöhnlich lauen Sommerabend zu einem Spaziergang an der Themse entlang, bevor er in seine Wohnung im Tower zurückkehrte. Das Ufer war dicht bevölkert. Nachdem er ein halbes Dutzend mal gebeten worden war, Touristenpärchen vor der beleuchteten Silhouette der Tower Bridge zu fotografieren, beschloss er, hinter den Festungsmauern zu verschwinden. „N’Abend, John“, begrüßte ihn Michael Conners, einer seiner Beefeater-Kollegen, freundlich am Tor.

„Hallo Michael. Hast du heute die Nachtschicht erwischt?“

Jeweils drei Beefeater schoben zusammen mit einigen Mitgliedern der Militärgarde jede Nacht im Tower Wache. John war froh, dass er diesen Dienst wegen seiner Zusatzaufgaben in der Pflege der Tower-Raben nur noch an zwei Nächten pro Monat übernehmen musste. Conners nickte und hob ein Buch hoch. „Sieh mal, was ich mir zum Lesen mitgebracht habe.“

„Gefiederte Freunde – Aufzucht und Pflege.“ John pfiff anerkennend durch die Zähne. „Du bereitest dich schon gewissenhaft darauf vor, für ein paar Tage unser Ravenmaster zu sein.“

Er klopfte seinem Kollegen auf die Schulter. „Bei dir werden die Raben in den besten Händen sein, Michael. Nächste Woche wird George dich genau einweisen und du kannst schon mal ein paar von meinen Aufgaben übernehmen, wenn ich abgereist bin. Außerdem weißt du ja, dass du immer anrufen kannst, falls es doch ein Problem geben sollte.“

George Campbell, der seit über 20 Jahren Chefpfleger der Raben war, hatte John vor einigen Monaten zu seinem Assistenten gemacht. Normalerweise war immer gewährleistet, dass einer der beiden im Tower war, um die Raben zu versorgen. Der Kommandant der Beefeater, Chief Patrick Mullins hatte für ein paar Tage im August ausnahmsweise beiden Männern frei gegeben. Campbells Familie stammte genauso wie Johns Vater aus Schottland. George und seine Frau Marcia wollten das große Clanfestival wenigstens für drei Tage ebenfalls besuchen.

„George fliegt am Freitag nach Edinburgh und kommt bereits am Sonntagabend wieder zurück. In der Zwischenzeit schaffst du das auf jeden Fall allein mit den Tieren.“

Conners grinste ihn an und warf einen bedeutsamen Blick auf Johns linke Hand, die eine lange Narbe zierte.

„Na, na, nun tu mal nicht so, als wäre dieser Job so einfach.“

John musste lachen.

„Mit kleineren Verlusten muss man immer rechnen. Aber jemand wie du, der 20 Jahre lang Einsätze in der Royal Air Force geflogen hat, wird ja wohl keine Furcht vor einem kleinen Vogel haben, oder doch?“ Conners brummte.

„Auf jeden Fall beneide ich dich nicht um deinen Trip nach Norden. Wer will schon da hinauf, wo die dort noch viel schlechteres Wetter haben als wir hier? Und dann noch zusammen mit der ganzen Familie.“ Er schüttelte sich theatralisch. „Das würde ich keine zwei Tage aushalten. Die Blagen von meiner Schwester könnten den Sanftmütigsten auf die Palme bringen. Und mein Schwager erst, dieser geschniegelte Typ – Investmentbanker – lauter Gauner sind das, sage ich dir …“

Bevor Conners sich weiter für dieses Thema erwärmen konnte, verabschiedete John sich hastig. Da die Raben es gewöhnt waren, im Morgengrauen gefüttert und aus ihrer Voliere gelassen zu werden, musste er in den Sommermonaten früh aus den Federn.

 

Als er am nächsten Morgen das Fleisch für die Raben klein schnitt, vernahm er Laufschritte draußen. Neugierig, wer um fünf Uhr früh schon unterwegs war, trat er aus dem Rabenhaus. Chief Mullins kam von seiner Wohnung hinter dem White Tower herüber und winkte.

„Donnerwetter, Chief, Sie sind ja früh auf den Beinen.“

Mullins trabte auf der Stelle. „Jetzt ist die beste Zeit zum Joggen, Mackenzie.“ Er klopfte sich auf den Bauch. „Im Urlaub in Italien habe ich ein wenig zugelegt, dagegen muss sofort was unternommen werden.“

Während John seinen durchtrainierten, hochgewachsenen Kommandanten, bei dem keinerlei Bauchansatz zu erkennen war, etwas zweifelnd ansah, erschien auf Mullins’ Gesicht ein Grinsen.

„An Ihrem Urlaubsziel werden Sie wohl kaum zunehmen. Der Fraß da oben muss ja die Hölle sein. Cheerio.“ Mit federnden Schritten lief er in Richtung Tor davon.

Aus der Voliere ertönte unwilliges Kreischen. Die Vögel hatten wenig Verständnis für Verzögerungen, wenn sie auf ihr Futter warteten. John beeilte sich, das Fleisch abzuwiegen – die Ration für jeden Vogel war genau festgelegt – und etwas Trockenfutter darüber zu streuen. Dann ergriff er die ersten vier Näpfe und öffnete das Gittertor zur Voliere. „Herrschaften, hier kommt euer Frühstück. Lasst es euch schmecken.“

Die beiden ranghöchsten Tiere, Bran und Florrie, bekamen als erste ihr Futter. Den jüngsten der Raben, Gworran, schien es nicht zu stören, dass er am längsten warten musste. Geduldig saß er auf seinem Lieblingsast und verfolgte jede von Johns Bewegungen mit schief gelegtem Kopf. Als John das Futter auf einem Brett deponierte, das auf dem Ast befestigt war, hopste Gworran herzu und rieb seinen Schnabel an Johns Hand. Dann pfiff er die ersten Töne der britischen Nationalhymne und stürzte sich auf das Fleisch. Mit den unterschiedlichen Geräuschen, die er nachahmen konnte, entwickelte er sich allmählich zu einer Attraktion für die Touristen, die sich häufig um ihn scharten, wenn er wie die anderen Vögel tagsüber im Gelände des Towers herumstrolchte.

Nachdem die anderen Vögel die Voliere verlassen hatten, schloss John eilig das Tor. Gworran musste heute noch ein wenig ausharren, bevor er hinauskonnte. Sein Flügel mussten wieder einmal gestutzt werden. Diese Prozedur war alle paar Monate fällig, damit die Vögel nicht fortfliegen konnten.

Da König Charles II im 17. Jahrhundert eine Prophezeiung erhalten hatte, dass das britische Königreich fallen würde, sollten keine Raben mehr im Tower leben, hatte er sicherheitshalber verfügt, dass zu jeder Zeit mindestens ein halbes Dutzend der Tiere hier gehalten werden mussten. Momentan lebten neun der intelligenten Vögel im Tower of London. Über die Jahrhunderte hatte es unter den wachsamen Augen der Rabenpfleger nur eine Handvoll der Tiere geschafft, das Weite zu suchen, was jedes Mal für landesweite Aufmerksamkeit sorgte. George Campbell achtete daher peinlich genau darauf, dass seine kleine Truppe vollständig blieb.

„Guten Morgen, John“, begrüßte er seinen Assistenten, als er in das Rabenhaus trat. „Bist du bereit für deinen ersten Flügelschnitt?“

John schluckte. „Morgen, George. Denkst du nicht, ich sollte dir heute noch einmal zusehen? Ich bin mir wirklich nicht sicher –“

„Unsinn“, schnitt ihm der Ältere freundlich, aber bestimmt das Wort ab. „Du hast mir doch schon etliche Male assistiert und weißt, was zu tun ist. Außerdem ist Gworran das geeignete Tier für deinen ersten Einsatz, da er dich sehr gern hat und die ganze Sache bestimmt friedlich über sich ergehen lassen wird.“

John seufzte und zog sich ebenso wie George zur Sicherheit ein Paar widerstandsfähige Handschuhe an. Dann holte er Gworran aus der Voliere, der sich bereitwillig von ihm aufnehmen ließ. Als er jedoch die Schere erblickte, die George in diesem Moment aus dem Wandschrank hervorholte, zuckte der Vogel zusammen und brach in lautes Keckern aus.

„Gut zupacken, John, sonst entwischt er dir“, riet George. „Und jetzt setz dich hierher und spreiz ihm den rechten Flügel ab.“

John standen bereits die Schweißtropfen auf der Stirn. „Aber vielleicht tue ich ihm weh –“

„Zum Donnerwetter, junger Mann. Nun mach schon, dann ist es gleich vorbei und Gworran hat wieder seine Ruhe.“

Behutsam ergriff John den Flügel und spreizte ihn so weit ab, dass er die Schwungfedern gut erreichen konnte. Während George ihm half, den Vogel festzuhalten, schnitt er sorgfältig die Federn ab und achtete darauf, keinen der durchbluteten Kiele zu verletzen. So verursachte das Flügelstutzen dem Tier genauso wenig Schmerzen wie das Haareschneiden einem Menschen. In wenigen Minuten war alles geschafft. John war froh, dass es ausreichte, den Vögeln immer nur jeweils einen Flügel zu stutzen.

„Fertig. Nun lass ihn hinaus.“

John tat, wie ihm geheißen. Gworran hüpfte hastig ein Stück fort, warf ihm noch einen vorwurfsvollen Blick zu und stapfte dann davon. John schnaufte tief durch und ging zurück in das Rabenhaus. George klopfte ihm schmunzelnd auf die Schulter.

„Für deinen ersten Versuch war das doch ganz ordentlich. Gworran wird dir jetzt sicher für ein, zwei Tage aus dem Weg gehen, aber bis du aus Schottland zurück bist, hat er sich wieder beruhigt.“

Gemeinsam machten sie sich daran, die Voliere zu reinigen und plauderten über die bevorstehende Zusammenkunft der schottischen Clans.

„Das wird ein Fest, John. Allein von uns werden über 100 aus der ganzen Welt anreisen. Ah, ich freue mich schon, das Campbell-Banner über dem Zelt flattern zu sehen.“

Jeder Clan bekam in dem riesigen Festivalgelände hinter Holyroodhouse, der königlichen Residenz in Edinburgh, ein eigenes Großzelt zur Verfügung gestellt, wo die Familienmitglieder sich treffen konnten.

„Über 100 Verwandte? Da habt ihr ja vielleicht sogar eine Chance auf den Preis für den Clan mit den meisten Teilnehmern, den das Komitee ausgesetzt hat.“ John war beeindruckt, aber George winkte ab.

„MacDonald – das ist die Familie mit den weltweit meisten Mitgliedern. Mehr als fünf Millionen sollen es sein. Ich wette, die werden das größte Kontingent bei unserem Treffen bilden. Aber einen Preis könnten die Campbells durchaus für sich verbuchen: Beim Highland Fling – da hat Erin, eine Großnichte von mir, sicher eine Siegchance. Sie ist in ihrer Altersklasse schottische Vizemeisterin.“

John hörte den Stolz in Georges Stimme. „Highland Fling? Das ist doch einer der Tänze, die Teil der Highland Games sind?“

Statt einer Antwort stützte George einen Arm auf die Hüfte, nahm den anderen Arm nach oben und winkelte unter einigem Ächzen das Knie an, so dass sein rechter Fuß an der linken Wade auflag. Dann summte er fröhlich eine Melodie und hüpfte erstaunlich graziös auf einem Bein herum. John applaudierte lachend. George beendete seine Darbietung mit einer Verbeugung und setzte sich dann schnaufend.

„Ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Aber vor vielen Jahren war ich mal ein ganz passabler Tänzer. Und nicht zu vergessen Hammerwerfer.“ Er lächelte versonnen. „Bei dieser Disziplin war ich meistens unschlagbar. Kugelstoßen ging auch noch ganz gut, aber beim Baumstammwerfen, da war ich meistens Letzter. Aber das ist alles lange her. Heutzutage schaue ich mir die großen Wettbewerbe nur noch im Fernsehen an.“

John schrubbte den letzten Futternapf sauber und griff nach einem Geschirrtuch.

„Dann wirst du dir in Edinburgh sicher die Endrunde der Weltmeisterschaft nicht entgehen lassen.“

George nickte nachdrücklich. „Auf keinen Fall. Das trifft sich hervorragend, dass das Finale beim Clantreffen ausgetragen werden wird. Allerdings glaube ich nicht, dass unser Mann, Tim Carlisle, eine Chance haben wird. Unser bester Wettkämpfer, Rory McAllister, liegt mit einer Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus, habe ich gestern in der Zeitung gelesen. Das ist schade, denn er hätte mit Sicherheit eine Chance auf den Sieg gehabt. In den letzten 15 Jahren haben fast immer Amerikaner oder Australier gewonnen. Eine Schande, das.“ Er schüttelte den Kopf. „Mittlerweile gibt es in Amerika mehr Highland Games als in Schottland, das muss man sich mal vorstellen. Bei denen ist das richtiges Big Business, mit Profis und Sponsoren und Werbeverträgen. Pah, damals bei uns ging es um die Ehre – und vielleicht mal um ein Fässchen Whisky für den Sieger.“

Seufzend erhob er sich und fasste sich sogleich mit einem unterdrückten Fluch ans Knie. „Herrjeh, die alten Knochen wollen auch nicht mehr so richtig. Das Tanzen überlasse ich wohl doch lieber dem Nachwuchs.“

 

Nach getaner Arbeit ging John durch die stille Festung zurück in seine Wohnung. Da sein Dienst heute erst am späten Vormittag begann, überlegte er flüchtig, sich noch einmal aufs Ohr zu legen, verwarf diesen Gedanken aber wieder. Er konnte die Zeit nutzen und seinen Koffer für Schottland packen.

Nach einer Stunde starrte er auf einen riesigen Haufen aus Kleidungsstücken, Schuhen, Büchern und allerlei Krimskrams. Damals, als ich für ein halbes Jahr zum Auslandseinsatz flog, hatte ich auch nicht mehr dabei, dachte er erheitert. Aber schließlich musste man bei dem berüchtigten schottischen Augustwetter ebenso auf heiße Sommertage wie auf sintflutartige Regenfälle bei kühlen Temperaturen gefasst sein.

Nachdem er es geschafft hatte, alles in den Koffer hineinzuzwängen, ging er in die Küche, um sich eine Tasse Darjeeling-Tee zu gönnen. Er hatte gerade den ersten Schluck genommen und war im Begriff, sich genüsslich über die Times herzumachen, als das Telefon klingelte. Er runzelte die Stirn. Es war immer noch früh am Morgen. In den vielen Jahren bei der Truppenbetreuung hatte er die Erfahrung gemacht, dass Anrufe zu ungewöhnlichen Zeiten selten etwas Gutes bedeuteten. Als er abhob und die aufgeregte Stimme seiner Mutter hörte, schlug sein Herz schneller.

„Mum, was ist los? Ist irgendwas mit Dad?“

„Unsinn, John, deinem Vater geht es gut“, kam es etwas unwirsch zurück. Dann hörte er, wie Emmeline tief Atem holte. Danach klang ihre Stimme ruhiger. „Ich wollte dich nicht erschrecken mit meinem frühen Anruf, John, tut mir leid. Aber ich musste mich gerade fürchterlich über Isabel aufregen.“

„Isabel? Was ist mit ihr?“

„Dieses Weib hat unsere Hotelreservierung vermasselt. Wir sollten doch alle im Riddick’s untergebracht sein. Das wäre wunderbar zentral gewesen und überhaupt soll das ein sehr angenehmes Haus sein. Und nun hat sie mich gerade angerufen, dass das Hotel überbucht ist und sie uns deshalb woanders Zimmer besorgen musste.“

„Aber Mum, wenn das mit der Überbuchung stimmt, dann kannst du den Fehler ja wohl kaum Tante Isabel ankreiden“, wandte John ein. Seine Mutter ließ ein unwilliges Schnauben hören.

„Hm. Ich denke, man hätte doch von der Cheforganisatorin dieses Clanfestivals erwarten können, dass sie in unserem Sinne auf die Hotelleitung einwirkt. Wenn sie sich etwas mehr Mühe gegeben hätte, hätten wir unsere Zimmer mit Sicherheit behalten können.“

John seufzte innerlich. „In welchem Hotel sind wir denn nun?“ Wieder machte seine Mutter ein abfälliges Geräusch.

„Stell dir vor, die ganze Stadt ist angeblich ausgebucht, so dass wir nur noch in der Universität etwas bekommen konnten. Nun müssen wir in einer Art Studentenwohnheim hausen, mit Essen in der Mensa, ist das nicht scheußlich?“

John bemühte sich, Emmeline zu beruhigen. „Ach, Mum, das ist doch nicht so schlimm. Für die paar Tage wird’s schon gehen –“ Weiter kam er nicht. Hörbar verstimmt unterbrach seine Mutter ihn, indem sie ankündigte, sie müsste jetzt seinen Geschwistern Bescheid geben. Kopfschüttelnd legte John auf und kehrte zu seiner Zeitung zurück.

 

Für den Abend vor der Abreise hatte er Bonnie Sedgwick zum Abendessen eingeladen. Bonnie regierte über das Vorzimmer von Chief Mullins. Obwohl sie nicht im Tower lebte, wusste sie stets bestens über alles Bescheid, was hier vor sich ging. Sie und John waren in seinem ersten Jahr hier gute Freunde geworden und Bonnie hatte sich gerne bereit erklärt, nach seinen Pflanzen zu sehen, so lange John fort war.

„Donnerwetter, seit meinem letzten Besuch hier ist das Grünzeug ja förmlich explodiert, John. Du musst wirklich ein Händchen für Pflanzen haben.“ Bonnie stand staunend in der Tür des kleinen Arbeitszimmers, in dem Johns Bücher und sein Computer schon fast hinter der überbordenden Flora verschwanden. Zu Johns Leidwesen ließen die recht kleinen Fenster der massiven Towergebäude trotz der Südseite nicht viel Licht herein. So hatte er probeweise ein paar spezielle Pflanzenleuchten installiert, die zu ungeahntem Wachstum geführt hatten.

Er nickte schmunzelnd. „Du hast recht. Die grünen Kerlchen hier halten mich ganz schön auf Trab. Ständig bin ich am Umtopfen. Wahrscheinlich werden sie mich eines Nachts wie dieses Monster aus ‚Little Shop of Horrors‘ mit Haut und Haar auffressen.“

Bonnie lachte. „Ach ja, Audrey hieß sie, glaube ich. Wenn das so weitergeht, werden sie zumindest irgendwann deine ganze Wohnung einnehmen. Was ist das überhaupt alles? Manches habe ich noch nie gesehen.“

Hier war John in seinem Element. „Also das hier ist eine Kiwano, eine Horngurke, die eigentlich in Australien und Teilen von Afrika kultiviert wird. Angeblich schmecken die Früchte wie eine Mischung aus Banane, Maracuja und Zitrone. Ich weiß allerdings noch nicht, ob die Früchte hier zur Reife kommen werden. Dann haben wir hier den Austrieb eines Kapokbaums, den ich aus einem Samen herangezogen habe. Er wächst beängstigend schnell und muss wohl bald umquartiert werden. Vielleicht findet meine Mutter einen Platz in einem der Gewächshäuser in Kew für ihn. Er hat nämlich wunderbare rosafarbene Blüten und produziert eine Art Baumwolle. Dann haben wir hier eine Reihe Chilisorten, z.B. Bangalore Torpedo oder die recht süße Chocolate Beauty, natürlich auch die berühmte Tabasco …“ Nach einer Weile bemerkte John, dass Bonnies Augen zunehmend glasig wurden.

„Entschuldige, ich könnte noch stundenlang weiter erzählen. Ich scheine von meiner Mutter das Faible für alles Grünzeug geerbt zu haben. Und ich finde es jedes Mal wieder faszinierend zu beobachten, was mit etwas Licht, Erde und Wasser aus einem unscheinbaren kleinen Samenkorn heranwächst. Aber keine Sorge, Bonnie, um die meisten der Pflanzen brauchst du dich nicht zu kümmern, die überstehen die paar Tage problemlos. Sieh her, ich habe die, die täglich Wasser brauchen, in diese Ecke gestellt.“

Nachdem er ihr alles erklärt hatte, nickte Bonnie erleichtert. „Na, das werde ich schaffen. Ich verspreche dir, ich werde mich so gut ich kann um die Pflanzen kümmern und jeden Tag ein Schwätzchen mit ihnen halten.“

John lachte. „Bonnie, du bist ein Goldstück. Aber jetzt essen wir. Es gibt Huhn mit Cashewnüssen.“

„Hmm, das klingt lecker. Dann erzähle ich dir erst nach dem Essen von dem Kind, das sich heute mitten auf dem Tower Green übergeben hat …“

Kapitel 3

 

Am Dienstagmorgen starteten sie pünktlich auf die rund 400 Meilen lange Reise.

„Wie gut, dass ihr diesen Achtsitzer habt. Bei der Menge an Gepäck hätten wir sonst mit zwei Autos fahren müssen, um alle Platz zu haben.“ John lehnte sich behaglich in seinem Sitz zurück und sah durch den Nieselregen die Vorstädte Londons an sich vorüberziehen.

„Was schätzt du, wie lange wir brauchen werden, Alan?“

Alan Hughes, der am Steuer saß, grinste seinem Schwager im Rückspiegel zu.

„Wenn Maggie und ich uns mit dem Fahren abwechseln, müssten wir es in sieben bis acht Stunden schaffen. Mit dir am Steuer –“

„– wären wir wohl doppelt so lange unterwegs“, fuhr Maggie nahtlos fort und kicherte. Bella sah neugierig von dem Buch auf, in dem sie las.

„Onkel John, verfährst du dich immer oder was? Wir haben ein Navigationssystem, sieh mal. Damit würdest auch du nach Edinburgh finden.“ Sie strahlte ihn an.

John schmunzelte. „Danke für den Hinweis, Bella. Was deine Eltern meinen, ist aber wohl eher, dass ich nicht gerade als Schnellfahrer bekannt bin.“

Nun prustete Maggie los.

„Nicht gerade als Schnellfahrer! Dass ich nicht lache.“ Sie drehte sich zu ihrer Tochter nach hinten. „Dein Onkel ist die größte Schnecke, die Großbritannien je gesehen hat. Er fährt sogar mit dem Fahrrad schneller als mit dem Auto. Sag mal, Schätzchen, wird dir auch nicht schlecht, wenn du im Auto liest?“

„Ich lese doch immer im Auto, Mummy. Kein Problem.“

 

Zwölf Stunden später öffnete John die hintere Wagentür und atmete tief durch. Er fühlte sich ein wenig wie ein Häftling, der soeben wieder in die Freiheit entlassen worden war. Nicht nur, dass Bella sich kurz hinter Birmingham übergeben hatte, nein, einige lange Staus hatten die Hauptverkehrsadern nach Norden verstopft. Alan hatte daraufhin beschlossen, über Ausweichrouten zu fahren, während Maggie der Meinung war, sie sollten auf dem Motorway bleiben. Während sie also unter stetigem Gezänk über endlose kleine Landstraßen gekurvt waren, hatte John sich bemüht, die grüngesichtige Bella von ihrem Leid abzulenken. Währenddessen hatte sein Neffe, der mit Ohrstöpseln und geschlossenen Augen in der hintersten Sitzreihe lümmelte, seinen iPod so laut aufgedreht, dass der Punkrock selbst die Fahrgeräusche übertönte.

 

„Hey, hier ist es ja cool.“ Bella war ebenfalls ausgestiegen und sah sich neugierig um. „Das sieht ja aus wie ein Gruselschloss. Werden wir da wohnen?“ Sie deutete auf ein dunkles Gebäude mit einer Vielzahl von Erkern und Türmen.

„Darin ist die Verwaltung des Studentenwohnheims, Bella. Unsere Zimmer werden sicher in einem der modernen Häuser da hinten sein.“ Maggie war wie immer perfekt vorbereitet. Während ihre Tochter eine enttäuschte Schnute zog, fischte Johns Schwester ihr Handy aus der Tasche. „Ich versuche gleich mal, David zu erreichen. Die anderen müssten ja längst hier sein.“

Als die Männer das gesammelte Gepäck der Familie ausgeladen hatten, trat Maggie herzu und rollte mit den Augen.

„Oh je, David sagt, dass Mum auf dem Kriegspfad ist. Der Flieger hatte wohl Verspätung und dann mussten sie ewig auf das Gepäck warten und als Krönung scheinen die Zimmer hier nicht ganz, sagen wir, den modernen Standards zu entsprechen.“

„Das kannst du laut sagen, Schwesterherz. Hallo alle miteinander.“ David war offensichtlich im Lauftempo hergeeilt, um die Familie zu begrüßen.

„Lasst uns erst mal zur Rezeption gehen. Ihr werdet sehen, die Leute hier sind wirklich sehr nett und bemüht, aber offensichtlich ist jede Unterkunft in Edinburgh total ausgebucht und die Reservierung für unsere Zimmer hier ist so kurzfristig gewesen, dass sie uns nur noch in einem Haus unterbringen konnten, das zur Renovierung ansteht. Außerdem konnten wir statt der bestellten fünf Zimmer nur vier kriegen. Eins für Mum und Dad, eins für Annie, Christopher und mich und zwei bleiben für euch.“

„Na, das ist doch kein Problem. Dann teile ich mir mit Tommy ein Zimmer und Bella bleibt bei Maggie und Alan“, meinte John. „Für die paar Tage wird das schon gehen.“

David grinste. „Wart’s ab, John. Aber da du ja an das Leben in Kasernen gewöhnt bist, wirst du dich hier bestimmt wohlfühlen.“

„Gibt’s wenigstens ’nen Fernseher?“, krähte Bella.

Maggie bedachte ihre Tochter mit einem strengen Blick. „Das ist nun wirklich nicht so wichtig. Mal ein paar Tage auf die Kiste zu verzichten, das schadet euch keinesfalls.“

„Aber W-LAN, das gibt’s doch hoffentlich?“ Beinahe flehentlich sah Tommy seinen Onkel an und war sichtlich erleichtert, als David nickte. Maggie schickte sich gerade an, wieder eine mütterliche Ermahnung zum Medienkonsum loszuwerden, als John zwei Koffer ergriff und sich in Richtung Rezeption aufmachte.

„Los, jetzt kommt schon. Lasst uns endlich die Zimmer beziehen und dann einen Happen zum Essen finden. Mir knurrt schon der Magen.“

 

Wenig später standen John und sein Neffe in dem kleinen Raum, den sie sich nun für fünf Tage teilen würden. Das Mobiliar hatte offensichtlich etliche Studentengenerationen kommen und gehen sehen. Alles war zwar sauber, aber abgewetzt und leicht windschief. An den olivgrünen Vorhängen hatten schon zu viele Hände ungeduldig gezerrt und die ehemals weißen Wände waren verkratzt und gesprenkelt.

John bemühte sich um ein Lächeln.

„Äh, naja, das sieht doch ganz … gemütlich aus.“

Aber Tommy hörte ihm überhaupt nicht zu. Er hatte seinen Rucksack auf eines der schmalen Betten geworfen und seinen Laptop schon hochgefahren. Nun grunzte er zufrieden.

„Alles klar, wir haben Verbindung zur Außenwelt.“

John beobachtete einige Momente lang, wie Tommys Finger über die Tastatur flitzten. „Ich bin online, also bin ich“, brummte er dann kopfschüttelnd und machte sich auf, seine Eltern zu suchen.

 

Im Nebenzimmer versuchte der nette Junge von der Rezeption gerade schwitzend, ein drittes Bett zwischen die beiden anderen zu bugsieren. Man konnte sich dort drin kaum noch umdrehen. Alan, der als Inhaber einer florierenden Computersoftwarefirma gewöhnt war, auf seinen Geschäftsreisen in Fünfsternehotels zu logieren, nahm es mit Humor.

---ENDE DER LESEPROBE---