Tödliche Intrige - Arnaldur Indriðason - E-Book

Tödliche Intrige E-Book

Arnaldur Indriðason

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Beschreibung

In diesem psychologischen Thriller von Arnaldur Indriðason über eine isländische Femme fatale geht es um Leidenschaft und Liebe - und um einen überaus raffiniert geplanten Mord.

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Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Zitat

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Über den Autor

Arnaldur Indriðason, Jahrgang 1961, war Journalist und Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung. Heute lebt er als freier Autor in Reykjavík und veröffentlicht mit sensationellem Erfolg seine Romane. NORDERMOOR (Bastei Lübbe Taschenbuch 14857) und TODESHAUCH (Bastei Lübbe Taschenbuch 15103) wurden mit dem begehrten »Nordic Crime Novel's Award« ausgezeichnet, ein einmaliger Erfolg in der Geschichte des renommierten Krimipreises. Auch MENSCHENSÖHNE (Bastei Lübbe Taschenbuch 15530), ENGELSSTIMME (Bastei Lübbe Taschenbuch 15440) und GLETSCHERGRAB (Bastei Lübbe Taschenbuch 15262) haben begeisterte Kritiken erhalten. Der Autor hat sich damit endgültig in die erste Liga der Kriminalschriftsteller eingereiht.

Mit TÖDLICHE INTRIGE liegt der erste psychologische Thriller des isländischen Bestsellerautors vor. Es ist die Geschichte einer Femme fatale, ein Roman über Leidenschaft, Intrigen und die Frage: Wie weit ist man bereit zu gehen, um zu Reichtum zu kommen? Arnaldur Indriðason beweist sein schriftstellerisches Können hierbei auf ganz neue, überraschende Weise.

ARNALDURINDRIÐASON

TÖDLICHEINTRIGE

Island Thriller

Aus dem Isländischen vonColetta Bürling

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Vorbemerkung:

In Island duzt heutzutage jeder jeden.

Man redet sich nur mit dem Vornamen an.

Dies wurde bei der Übersetzung beibehalten.

Namen, Personen und Begebenheiten in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig

© 2003 by Arnaldur Indriðason

Titel der isländischen Originalausgabe: »Bettý«,

erschienen bei Vaka-Helgafell, Reykjavik

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2005 by Bastei Lübbe AG, Köln

All rights reserved

Umschlaggestaltung: Nadine Littig

Titelbild: © mauritius images / Bernd Römmelt

Datenkonvertierung E-Book: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-1267-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

This was going to be such a lousy murder, it wouldn't even be a murder. It was going to be just a regular road accident, with guys drunk, and booze in the car, and all the rest.

James M. Cain

The Postman Always Rings Twice

1

Ich habe zwar immer noch nicht ganz durchschaut, was eigentlich geschehen ist, doch zumindest weiß ich jetzt, welche Rolle ich in in diesem Stück gespielt habe.

Ich versuche die ganze Zeit, die Zusammenhänge zu begreifen, aber das ist alles andere als einfach. Mir ist beispielsweise nicht einmal klar, wann es seinen Anfang genommen hat. Ich weiß nur, wann ich eingestiegen bin. Ich weiß, dass mein Auftritt in dem Augenblick begann, als ich sie zum ersten Mal sah, aber vielleicht war meine Rolle in diesem merkwürdigen Komplott da schon längst beschlossene Sache gewesen. Lange bevor sie kam, um mich zu treffen.

Hätte ich etwas vorhersehen können? Hätte ich das, was da ablief, durchschauen und die Flucht ergreifen können? Jetzt, nachdem sich herausgestellt hat, wie alles inszeniert war, sehe ich, dass ich im Grunde genommen tatsächlich hätte wissen können, worauf es hinauslief. Ich hätte die Gefahr sehen müssen. Ich hätte viel früher begreifen müssen, was sich abspielte. Ich hätte … ich hätte … ich hätte …

Seltsam, wie einfach es ist, Fehler zu machen, wenn man keinen Argwohn hegt. Und zu Fehlern werden sie eigentlich erst viel später, nämlich dann, wenn man die Zusammenhänge begreift: erst wenn man zurückblickt und sieht, wie alles vonstatten ging und weshalb und wozu. Ich habe Fehler gemacht. Ich bin in eine Falle nach der anderen getappt. In einige sogar wissentlich. Im Innersten wusste ich von ihnen und davon, wie gefährlich sie waren, aber ich wusste nicht alles.

Manchmal denke ich, dass ich in manche von ihnen wieder hineintappen würde, wenn ich wieder die Gelegenheit dazu hätte.

Man wird hier gut behandelt. Es gibt aber weder Zeitungen, Radio noch Fernseher, sodass ich keine Nachrichten erhalte. Und auch keinen Besuch. Mein Rechtsanwalt schaut ab und zu herein, in erster Linie, um mir klar zu machen, wie hoffnungslos mein Fall zu sein scheint. Ich kenne ihn nicht sehr gut. Er verfügt über große Erfahrung in Strafprozessen, gibt aber selber zu, dass er mit diesem Fall überfordert sein könnte. Er hat mit den Frauen gesprochen, die ich ausfindig gemacht habe, weil ich glaubte, dass mir das helfen würde, aber er bezweifelt es. Nur ein Bruchteil von dem, was sie unter Eid aussagen können, hat direkt mit der Sache zu tun.

Ich habe um Papier und Stift gebeten. Das Schweigen, das hier herrscht, umgibt mich wie eine Mauer. Alles verläuft in geordneten Bahnen. Zu festgesetzten Zeiten bringen sie mir etwas zu essen. Ich dusche täglich. Und dann kommen die Verhöre. Abends wird das Licht ausgeschaltet. Im Finstern mit all diesen Gedanken geht es mir am schlimmsten. Ich werfe mir vor, dass ich mich habe ausnutzen lassen. Ich hätte es voraussehen müssen.

Ich hätte es voraussehen müssen.

Und nachts, in der Dunkelheit, bricht dieses starke, tiefe Verlangen nach ihr über mich herein. Wenn ich sie doch noch ein einziges Mal treffen könnte. Wenn wir doch noch einmal zusammen sein könnten.

Trotz allem.

*

Ich kann mich nicht mehr erinnern, worum es bei dieser Konferenz in den Tagungsräumen der Universität genau ging. Ich erinnere mich nicht einmal an den Titel meines Vortrags, aber das spielt auch gar keine Rolle. Irgendetwas über die Verhandlungsposition der isländischen Fischereiwirtschaft in Brüssel, irgendwas über die EU und unseren Fisch. Ich verwendete Powerpoint und Säulendiagramme. Ich weiß, ich wäre auch eingeschlafen.

Sie war dort. Sie kam etwas zu spät, und ich sah sofort, dass sie … dass sie ganz einfach hinreißend war. Hinreißend von dem Augenblick an, wo sie den bereits verdunkelten Saal betrat. Von der Deckenbeleuchtung im Gang angestrahlt, glich ihr Auftritt dem einer Filmdiva. Sie scheute sich nicht, ihre Weiblichkeit hervorzukehren, im Gegensatz zu anderen Frauen; im Auditorium war beispielsweise eine Frau in einem gewöhnlichen Anorak, die ihre Beine über die Sitzlehne vor sich gelegt hatte. Die Frau am Eingang trug ein eng anliegendes Kleid mit schmalen Trägern, dichtes, dunkles Haar fiel auf ihre zierlichen Schultern, und in den tief liegenden braunen Augen funkelte ein winziger weißer Reflex. Und als sie lächelte …

Diese Feinheiten nahm ich erst wahr, als sie direkt nach meinem Vortrag zu mir auf das Podium kam. Ich versuchte, desinteressiert zu wirken, oder besser ausgedrückt, ich vermied es, so gut es ging, sie anzustarren. Sie hatte kleine Brüste, die sich deutlich unter dem Kleid abzeichneten. Sie war schlank, hatte rundliche Waden und zarte, beinahe zerbrechliche Knöchel. Zerbrechlich wie Champagnergläser. Um den einen Knöchel trug sie ein winziges Goldkettchen. Meine Mutter hätte ein Wort für ihre Art zu gehen gehabt. Hoheitsvoll, hätte sie gesagt.

Ich stellte mich vor, und wir gaben einander die Hand.

»Ja, der Name ist mir bekannt«, sagte sie. »Ich heiße Bettý«, fügte sie hinzu. »Ich habe so viel Gutes über dich gehört.«

Ich schloss meine Aktentasche und schaute sie an. Wieso hatte sie von mir gehört? Ich war erst vor einem Jahr aus dem Ausland zurückgekehrt und hatte eine eigene Rechtsanwaltskanzlei aufgemacht. Nur wenige von meinen Kunden, ich glaube zwei, standen in Verbindung mit meinem Interessengebiet, Fischerei. Alles andere war völlig uninteressant; Streitigkeiten in Mehrfamilienhäusern, Versicherungsquerelen nach Zusammenstößen, Erbstreitigkeiten. Besonders erfolgreich war ich nicht. Bis ich ihr begegnete. Sie behauptete, nur Gutes über mich gehört zu haben. Vielleicht log sie. Sie war exzellent vorbereitet, als sie wie eine Diva den Vortragssaal betrat. Der Ausschnitt des Kleides gab den Blick auf den kleinen Busen frei. Gold um den Champagnerknöchel. Vielleicht war das alles für mich inszeniert worden. Privatvorstellung.

Bettýs ganz privater Tanz.

Er kam später.

»… Gutes über mich gehört?«, wiederholte ich. »Ich kann mir nicht vorstellen …«

»Vor allem wegen deines Spezialgebiets«, unterbrach sie mich.

»Wieso weißt du über meine Ausbildung Bescheid?«, fragte ich. Ich versuchte, so zu lächeln, als fände ich das alles nur komisch und nicht etwa unnatürlich oder seltsam.

»Mein Mann ist auf der Suche nach einem Rechtsberater«, sagte sie. »Wir suchen nach …«, sie zögerte, bevor sie den Satz zu Ende führte, »… dem richtigen Geschäftspartner.«

Sie hatte also einen Mann. Ich erinnerte mich plötzlich, die beiden zusammen auf der Titelseite eines Klatschblattes gesehen zu haben. Ein bekannter Großreeder in Nordisland.

»Wie fandest du es, in den USA zu studieren?«, fragte sie.

Die wenigen, die zu meinem Vortrag gekommen waren, verließen den Saal, während wir miteinander redeten. Nur ein Mann stand noch vor dem Podium, starrte zu uns herauf und schien darauf zu warten, dass Bettý zu einem Ende käme, aber als sich das Gespräch in die Länge zog, gab er es auf.

»Woher hast du all diese Informationen?«, fragte ich und lächelte nicht mehr.

»Ich habe deine Examensarbeit gelesen und fand sie hochinteressant. Und dann kam auch irgendetwas darüber in den Nachrichten, wenn ich mich richtig erinnere.«

Sie erinnerte sich richtig. Alles, was sie tat, war richtig. Ich ging davon aus, dass sie mich wahrscheinlich seit der Zeit kannte, als meine Examensarbeit im Gespräch war. Sie erregte einiges Aufsehen, weil ich mich mit dem Einfluss des Quotensystems auf die regionale Entwicklung beschäftigt und begründet hatte, weswegen Reedereien besonders besteuert werden müssten. Ich hatte vergessen, wie klein Island ist. Eine Zeit lang berichteten die Medien tagtäglich über meine Forschungsergebnisse, und wegen der Interessenkonflikte innerhalb der Fischereiwirtschaft kam es zu Kontroversen und Beschimpfungen. Dieses Thema erhitzte die Gemüter dann genau so lange, bis jemandem einfiel, den Preis für Salatgurken zu erhöhen.

»Hast du sie wirklich gelesen?«, fragte ich.

»Ja«, sagte Bettý.

»Nicht gerade eine unterhaltsame Lektüre.«

»Wer liest schon so was?«

Wir lachten. Ich schielte aus den Augenwinkeln nach ihren Brustwarzen, was ihr keineswegs entging.

2

Am schlimmsten ist die Stille.

Einsamkeit und Stille und diese ganze endlose Zeit, in der nichts passiert. Ich habe keine Ahnung, wie lange die Untersuchungshaft jetzt schon dauert. Ich fragte meinen Rechtsanwalt, der vor zwei Tagen hierher kam, oder zumindest glaube ich, dass es vor zwei Tagen war, und er erklärte mir, wir seien in der zweiten Woche. Als säßen wir zusammen in Untersuchungshaft. Ich hätte am liebsten selbst meine Verteidigung übernommen, aber mit Verbrechen kenne ich mich nicht aus.

Nur mit diesem einen.

Die Zeit in dieser tiefen Stille verbringe ich damit, auf Geräusche zu achten. Zu horchen, ob jemand den Gang entlangkommt. Auf die Schritte der Gefängnisaufseher zu lauschen, die sehr unterschiedlich sind. Der Dicke tritt schwerer auf als die anderen, und manchmal hört man ihn schnaufen, wenn er an der Tür vorbeikommt. Er sagt nie einen Ton. Er macht die Tür auf, reicht mir das Essenstablett herein und schließt die Tür wieder. Ich weiß nicht einmal, wie er heißt.

Ich weiß, dass einer von ihnen Finnur heißt. Er ist beinahe gesprächig, wenn er mich zum Verhör bringt. Dann ist da noch Guðlaug. Ich hatte nie darüber nachgedacht, dass es auch weibliche Gefängniswärter gibt. Wer denkt schon über Gefängnisaufseher nach? Sie erzählte mir von ihren beiden Kindern. Sie sagte mir auch, dass es den Aufsehern untersagt sei, sich mit mir oder den anderen Untersuchungshäftlingen zu unterhalten. Guðlaug hielt sich nicht daran. Wenn sie an der Tür vorbeigeht, klacken ihre Clogs, klick-klack, klick-klack. Ich zähle die Klick-klacks. Es sind achtundsechzig Schritte vom ersten Klick bis zum letzten Klack.

Guðlaug erzählte mir von einem Mann, der in Untersuchungshaft gewesen war, ohne dass er sich irgendetwas hatte zuschulden kommen lassen. Sie hielten ihn sieben Wochen lang fest. Als er herauskam, war er imstande, seine Arme exakt so weit auszustrecken, dass er von Hand zu Hand genau einen Meter umspannte, keinen Millimeter mehr oder weniger. Er war auch imstande, präzise sechzig Sekunden lang den Mund zu halten, auf die Zehntelsekunde genau.

Ich hatte immer in dem Glauben gelebt, das Untersuchungsgefängnis sei in Reykjavík, aber es befindet sich de facto in Litla-Hraun. Ich bin in Litla-Hraun. Was für ein grauenvoller Gedanke.

Ich denke an meine Familie. Was meine Mutter wohl über mich denkt. All die Sorgen, die ich ihr bereitet habe. Nicht nur wegen dieser Sache, sondern überhaupt. Und die Reaktion meines Bruders. Wir haben kein gutes Verhältnis zueinander. Ob er wohl aus England eingeflogen ist? Mein Rechtsanwalt behauptet, er hätte vor zu kommen, aber wenn das stimmt, wäre er doch bereits da. Was hätte mein Vater gesagt? Ich überlege auch, was in den Medien berichtet wird, obwohl es eigentlich nicht wichtig ist. Es ist lange her, dass ihnen ein solch fetter Brocken vorgesetzt wurde. Dieser Fall ist angeblich einmalig. Eine derart vorsätzliche Planung hatte es hierzulande fast noch nie gegeben.

Ich weiß es nicht. Wie gesagt, mit Verbrechen kenne ich mich nicht aus.

Ich verbringe die Zeit damit, zurückzudenken.

An Bettý zu denken.

*

Mein Vortrag war der letzte an jenem Tag, und sie lud mich zu einer Tasse Kaffee ein. Ich schaute auf die Uhr, um es so aussehen zu lassen, als hätte ich anderes und Wichtigeres zu tun, aber sie schien irgendwie zu spüren, dass im Büro gar nichts auf mich wartete. Ich suchte nach einer Ausrede, aber auf die Schnelle fiel mir nichts ein, deswegen nickte ich zustimmend. Bestimmt hatte sie mein Zögern bemerkt, anders konnte man ihr Lächeln nicht interpretieren. Sie gab nicht auf. Sie drängte sich auf, ohne unhöflich zu sein. Stand vor mir, lächelte und wartete darauf, dass ich sagte: In Ordnung.

»In Ordnung«, sagte ich. »Vielleicht eine halbe Tasse.«

Sie war es gewohnt, dass die Leute »in Ordnung« zu ihr sagten.

Wir gingen zum Hotel Saga hinüber. Man kannte sie dort. Sie erklärte mir, dass Reeder aus den anderen Landesteilen, die etwas auf sich hielten, im Hotel Saga übernachteten. Der Service dort sei am besten. Das war auch nicht übertrieben. Die Kellner scharwenzelten um uns herum. Es ging auf den Abend zu, sie bestellte Kaffee, dazu einen guten Likör und ein kleines Stück Schokoladentorte. Sie brachten die Sachen und stellten sie vor uns auf den Tisch, ohne dass man überhaupt merkte, dass serviert wurde.

»Soll ich es auf die Zimmernummer setzen?«, fragte der Oberkellner. Er rieb sich die Hände, und ich sah, dass es eine völlig unbewusste Bewegung war.

»Ja, vielen Dank«, erwiderte sie.

»Wir besitzen auch ein Haus in Reykjavík«, sagte sie zu mir, »es wird gerade renoviert. Im Þingholt-Viertel. Mein Mann hat es vor zwei Jahren gekauft, aber wir sind noch nicht eingezogen. Er hat mit dem Gedanken gespielt, ob er es abreißen und ein neues auf das Grundstück setzen lassen soll, aber dann hat er sich die Ideen des Innenarchitekten angeschaut und …«

Ihr Achselzucken gab zu verstehen, dass es keine Rolle für sie spielte, ob das Haus stünde oder fiele.

»Mmmh …«, murmelte ich mit der köstlichen Schokoladentorte im Mund.

Ich dachte an meine kleine Wohnung. Meine Kommilitonen hatten nach dem Jurastudium sofort ein eigenes Haus bezogen. Sie besaßen große, teure Autos, fuhren zum Skiurlaub nach Österreich, zum Badeurlaub nach Italien und zum Shopping nach London. Vielleicht sehnte ich mich auch nach einer solchen Karriere, nach Besitztümern und Geld. Vielleicht bin ich deswegen hier. Ich habe nie mit Geld umgehen können. Die Studiendarlehen, die ich zurückzuzahlen hatte, waren gigantisch. Meine kleine Wohnung gehörte nicht mir, sondern den Kreditinstituten. Mein Auto sprang nicht immer an, wann ich wollte.

Das sollte sich alles ändern.

»Wir sind nicht viel in Reykjavík«, sagte Bettý. Sie öffnete ein flaches Etui und zog eine Zigarette ohne Filter heraus. Später erfuhr ich, dass es griechische Zigaretten waren, die speziell für sie importiert wurden. Die griechischen Hersteller weigerten sich, die Warnungen aufdrucken zu lassen, obwohl die Schadstoffmenge bestimmt die amerikanischen Sorten um ein Vielfaches übertraf. Sie zündete sie mit einem goldenen Feuerzeug an. Sie nahm sie zwischen die Lippen, und ihr roter Lippenstift zeichnete sich auf dem weißen Zigarettenpapier ab.

»Und wo wohnt ihr sonst?«, fragte ich.

»In Akureyri. Mein Mann besitzt eine Reederei. Er stammt aus Ostisland, ich bin aus Reykjavík. Wir leben seit sieben Jahren zusammen.«

»Und er braucht also Rechtsbeistand?«

»Ja. Er ist im Augenblick auf einer Sitzung beim Reederverband, aber ich erwarte ihn bald zurück.«

»Und währenddessen nimmst du an einer Konferenz über Fischfangmanagement und die EU teil.«

Sie lachte.

»Er wusste, dass du auf dieser Konferenz sein würdest, und hat mich gebeten, mit dir zu sprechen. Manchmal kann ich mich für das Unternehmen nützlich machen. Vor allem, wenn es darum geht, andere Reeder und die Aktionäre von all diesen kleinen Aktiengesellschaften zu unterhalten, oder Ausländer, zu denen er geschäftliche Verbindungen hat. Meistens Deutsche.«

»Und er hat dich darum gebeten, Verbindung mit mir aufzunehmen?«

»Könntest du dich heute noch mit ihm treffen? Morgen fliegen wir wieder nach Akureyri, aber heute Abend ist eine große Gala beim Reederverband. Hier im Hotel. Falls du Interesse hast, könnte ich … Aber womöglich hast du keine Zeit. Oder du möchtest vielleicht gar nicht?«

»Wozu braucht er juristischen Beistand?«

»Wegen der Ausländer. Er muss wissen, wo er steht, wegen der Europäischen Union. Du weißt doch alles über dieses bürokratische Ungetüm. Und dann versteht er die Verträge nicht. Die sind in dieser Juristensprache, die außer Eingeweihten niemand kapiert. Du weißt, wie so etwas läuft. Er versteht nämlich kaum Englisch.«

Sie drückte die Zigarette aus.

»Er bezahlt gut«, sagte sie. Die Zigarette musste wirklich stark sein, denn ihre Stimme, die an und für sich schon heiser, tief und sexy war, hörte sich noch rauer an. »Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, fuhr sie fort. »Entschuldigung«, sagte sie dann, »du rauchst vielleicht auch? Ich hätte dir eine anbieten sollen.«

»Nein, danke, ich rauche nicht.«

»Noch etwas Kaffee?«

»Nein danke, unmöglich«, sagte ich. »Ich muss weiter.«

»Seh ich dich dann heute Abend?«

Wieder dieses höfliche Drängeln. Am liebsten hätte ich ihr geraten, sich das Ganze aus dem Kopf zu schlagen, um dann aufzustehen und zu gehen, denn da war etwas an ihr, was mich störte. Es war, als passte ich nicht zu ihr. Genauso wenig passte ich zu ihrem Mann und seinem riesigen Fischereiunternehmen im Norden und ihrem Reichtum und dem Haus im Þingholt-Viertel, das sie ganz nach Belieben dem Erdboden gleichmachen konnten oder nicht. Als passte ich nicht in diese Welt, wo Kellner mit kleinen Kuchentellern vor einem katzbuckelten.

»Ich weiß, dass mein Mann großes Interesse daran hat, dich zu treffen«, sagte sie.

Erneutes Drängeln.

»Also …«, stammelte ich, nach den richtigen Worten suchend. »Es hört sich zwar alles ganz verlockend an, aber ich weiß nicht, was da wirklich dahinter steckt. Ich habe keine Ahnung, wer du bist, ich treffe dich heute zum ersten Mal. Ich weiß, wer dein Mann ist, und kenne auch sein Unternehmen ein wenig, genau wie wahrscheinlich alle anderen Isländer. Falls er Interesse daran hat, mich zu beschäftigen oder mir einen Auftrag zu geben, kann er sich im Büro mit mir in Verbindung setzen, genau wie alle anderen. Vielen Dank für den Kaffee.«

Ich stand auf, und sie erhob sich ebenfalls, indem sie mir die Hand reichte.

»Willst du wirklich heute Abend nicht zur Gala kommen?«, fragte sie. Sie blickte mich mit diesen braunen Augen an, als hätte sie meinen Versuch, ihr zu zeigen, dass ich absolut nicht auf die beiden und ihr Geld angewiesen war, überhaupt nicht wahrgenommen.

»Ich kenne da doch niemanden.«

»Du kennst mich«, sagte sie mit lächelnden Augen, so als gäbe es ein kleines Privatgeheimnis zwischen uns.

*

Bei den Verhören habe ich wieder und wieder erklärt, dass ich unschuldig bin. Mein Rechtsanwalt hatte mir von Anfang an dazu geraten.

Ich weiß nicht, wie er die Sache angehen will. Ich habe mein Leben und meine Ehre in seine Hände gelegt, und ich muss Vertrauen in ihn haben. Ich weiß, dass er an einigen wirklich großen Prozessen beteiligt war. Während meines Jurastudiums hielt er einmal einen Gastvortrag in einem Seminar über Strafrecht und ging auf einige seiner Fälle ein. Er hat Drogenschmuggler, Einbrecher, Gewalttäter und Mörder verteidigt. Die Polizei weiß ganz genau, wo sie ihn hat. Für die Gefängnisaufseher ist er wie ein guter Bekannter. Er ist um die sechzig, schlank und hat eine Glatze. Sein Schnauzbart verleiht ihm ein unnötig deprimiertes Aussehen.

»Was sagen die Leute?«, fragte ich ihn eines Tages. »Was glauben sie?«

»Mach dir darüber keine Gedanken«, erwiderte er, während er seine große Aktentasche öffnete.

»Was ist mit dem Einspruch?«

»Das Oberste Gericht hat abgelehnt. Du musst hier so lange bleiben, wie es der Polizei beliebt.«

»Wahrscheinlich bin ich nicht kooperativ genug«, sagte ich.

»Du willst ja noch nicht einmal mit mir reden«, sagte er und strich sich über den Schnauzbart.

Das stimmte. Es fiel mir schwer, über das zu sprechen, was vorgefallen war. Es fiel mir schwer, es einzugestehen. Er hielt dagegen, dass er ein geduldiger Mensch sei. Und es sei ja mein Leben. Aber er gab mir auch zu verstehen, dass sich meine Situation dadurch nicht verbessern würde. Ich müsste sowohl ihm als auch der Polizei gegenüber mehr Kooperationsbereitschaft zeigen. Ich weiß genau, was er meint. Die Untersuchungshaft bringt einen dazu, nachzudenken und Zusammenhänge zu erkennen.

»Wie dem auch sei«, sagte er, »hier habe ich dir ein paar Bücher mitgebracht, damit du etwas zu lesen hast.«

Er reichte mir einen Roman, die Autobiografie eines Politikers und den Erfahrungsbericht eines Mannes, der unschuldig wochen- und monatelang in Untersuchungshaft saß.

»Ich dachte, das hier könnte dir vielleicht etwas helfen«, erklärte er.

»Ich werde also noch lange hier bleiben müssen, nicht wahr?«, sagte ich.

Er zuckte die Achseln.

»Es sieht nicht gut aus«, sagte er. »Wenn du bloß ganz genau sagen würdest, was passiert ist.«

»Was reden die Leute?«, fragte ich noch einmal.

»Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte er. »Ich habe andere Sorgen, als darüber zu spekulieren, worüber man sich in der Stadt die Mäuler zerreißt.«

Mindestens vier Kriminalbeamte sind mit der Ermittlung befasst. Außerdem gehe ich davon aus, dass ihnen ein ganzes Bataillon von Mitarbeitern zur Verfügung steht. Diese vier verhören mich abwechselnd und kommen jeweils zu zweit. Eigentlich ist es genau wie in Filmen. Man denkt immer, dass es im Leben nicht so zugeht wie im Kino, aber es ist tatsächlich so. Im Verhörzimmer befindet sich an der einen Wand ein Riesenspiegel, und ich weiß, dass manchmal auf der anderen Seite Leute sind, obwohl ich sie nicht sehen kann. Bestimmt irgendwelche hohen Tiere. Aber sie sind nicht immer im Nebenzimmer. Ich sehe es den Kriminalbeamten an, wenn diese unsichtbaren Gestalten anwesend sind. Dann wirken sie nämlich nervöser, sie sind viel mehr auf der Hut und drücken sich gewählter aus. Darauf scheint es anzukommen. Sie sind auch viel besorgter als ich. Wenn niemand von den Bossen im Nebenzimmer ist, geben sie sich viel gelassener. Alle, die mich verhören, haben irgendeine gehobene Position bei der Kriminalpolizei, und sie sind immer zu zweit. Sie wechseln sich allem Anschein nach schichtweise ab.

Zu der Gruppe gehört auch eine Frau. Ich weiß nicht so recht, wie ich sie einordnen soll. Sie hält eine gewisse Distanz. Die anderen erlauben sich durchaus auch einmal einen Scherz, auch wenn die Sache ernst ist. Sie lächelt aber nie. Vielleicht ist sie einfach so. Vielleicht hat sie Angst vor mir. Sie schaut mich streng an und liest ihre Fragen vom Blatt ab. Alles wirkt irgendwie inszeniert. Ein Verhör ist letzten Endes auch wie ein Theaterstück. Die Bühne ist begrenzt, es gibt nur wenige Mitwirkende, der Plot ist dramatisch, und der schlechteste Schauspieler bekommt wie immer den schwarzen Peter zugeschoben.

Als ich wegen des Spiegels fragte, erklärten sie, er sei ziemlich neu, genau wie das Aufnahmegerät. Wegen eines Gerichtsurteils zu Ungunsten der Polizei. Seitdem würden sämtliche Verhöre auf Band aufgezeichnet.

»Wer befindet sich da hinter dem Spiegel?«, fragte ich.

»Niemand«, war die Antwort.

»Wozu ist dann dieser Riesenspiegel da?«

»Wir stellen hier die Fragen.«

»Aber findet ihr das nicht komisch? So ein Riesenspiegel hier in diesem kleinen Zimmer?«

»Das geht uns nichts an.«

Einmal versuchten sie den Trick, der in allen Krimis vorkommt. Sie steckten fest bei ihren Ermittlungen, und als ich wieder einmal zum Verhör geführt wurde, befand sich offenbar niemand hinter dem Spiegel, denn sie gaben sich locker und redeten ganz normal. Dann fing der eine auf einmal an, sich aufzuregen und mich zu provozieren, während der andere so tat, als versuche er, ihn zu beruhigen.

Als sie sahen, dass ich nur müde lächelte, war ihnen sämtlicher Wind aus den Segeln genommen, und sie brachen das Verhör ab.

Es war das einzige Mal, dass ich da drinnen gelacht habe.

3

Abends rief mich Bettý an.

Ich war gerade nach Hause gekommen, nachdem ich im Büro über Besitzübertragungsvereinbarungen für ein Hochhaus in Breiðholt gebrütet hatte. Ein Kommilitone von der Universität, der Vorsitzender des Eigentümervereins war, ließ mir manchmal solche Aufträge zukommen, weil er wusste, dass ich nicht sonderlich viel zu tun hatte. Ich habe oft in Erwägung gezogen, mich auf eine anständige Stelle zu bewerben, beispielsweise um einen Sachverständigenposten beim Außenministerium. Oder um eine Stelle bei einer größeren Kanzlei, wo man mit anderen zusammenarbeitete. Mir fehlte bloß die Kraft, das in die Wege zu leiten, und im Grunde genommen genieße ich es auch, mein eigener Herr zu sein. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, in der Nähe von anderen oder zusammen mit anderen zu arbeiten. So war ich schon immer.

Seltsamerweise war Bettý mir nicht aus dem Sinn gegangen, seitdem wir uns ein paar Stunden zuvor im Hotel Saga verabschiedet hatten. Sie hatte irgendetwas, doch damals war mir noch nicht so richtig klar, was es war. Inzwischen glaube ich es aber zu wissen. Sie wirkte so sicher und so gewandt im Auftreten, doch das begriff ich damals nicht. Für sie war es ein Spiel, das sie nicht zum ersten Mal spielte. Sie war sich ihrer Schönheit bewusst und hatte sie wahrscheinlich schon immer ausgespielt, um zu bekommen, was sie wollte. Von den Frauen, die ich kenne, sind sich nur wenige in diesem Maße bewusst, welche Macht ihnen Schönheit und Attraktivität verleihen. Bettý hatte ihr ganzes Leben lang andere Menschen um den Finger gewickelt und beherrschte diese Kunst in so vollendeter Form, dass man gar nicht merkte, wie sie es bewerkstelligte, sondern unversehens in den Netzen landete, die sie ausgelegt hatte.

»Er hat mit mir geschimpft«, sagte sie am Telefon, und die Stimme klang heiser, als habe sie eine griechische Zigarette geraucht.

»Wer? Dein Mann?«

»Weil ich dein Gehalt nicht erwähnt habe«, sagte sie. »Wir haben gar nicht darüber gesprochen, was für eine Bezahlung du bekommen würdest.«

»Wir haben aber auch gar nicht darüber gesprochen, ob ich überhaupt für euch arbeiten möchte.«

»Er wollte, dass ich dir sage, wie viel du bekommst. Kannst du heute Abend kommen? Er möchte dich sehr gerne treffen, um dich für die Firma zu gewinnen.«

Wenn ich daran zurückdenke, war dies vielleicht genau jener Zeitpunkt. Eine Weigerung meinerseits hätte vielleicht zur Folge gehabt, dass sie mich in Ruhe gelassen und sich ein anderes Opfer gesucht hätte. Vielleicht hätte sie am nächsten Tag noch einen weiteren Versuch gemacht. Vielleicht aber auch nicht. In diesem Augenblick beging ich den ersten Fehler.

Wahrscheinlich langweilte ich mich. In meinem Leben passierte nichts Spannendes, und selbst wenn ich mich nicht direkt nach Aufregung sehnte, ein wenig Abwechslung schien willkommen. Vielleicht könnte dieser Job ein Sprungbrett für mich sein. Andere Reedereien würden sich um meine Mitarbeit bemühen, und ich könnte mich damit befassen, worauf ich mich am besten verstand, weil es mein Spezialgebiet war. Keine weiteren Vertragsentwürfe für Wohnblocks in Breiðholt.

Und dann das Geld. Vielleicht trieb mich die Neugierde. Vielleicht wollte ich einfach gern herausbekommen, wie viel Geld einem solche Leute bieten würden. Wo in dieser Milliardenwelt die Grenzen waren. Geld fehlte mir in der Tat, und zwar ziemlich viel. Ich nagte zwar nicht am Hungertuch, aber ich war immer knapp bei Kasse.

»Wie läuft das ab, muss ich Eintritt bezahlen, oder …?«

»Wir haben die größte Suite«, sagte sie, und ich sah ihr Lächeln vor mir. »Komm zu uns hoch.«

Ich besaß noch das schicke Outfit, das ich mir zur feierlichen Entlassung an der Uni zugelegt hatte. Es hing seit drei Jahren im Schrank. Sonst besaß ich nichts, was ich hätte anziehen können. Als ich mich im Spiegel betrachtete, fand ich, dass ich ganz passabel darin aussah. In diesen drei Jahren hatte ich kein Gramm zugenommen,

eher das Gegenteil. Wie gesagt, ich lebte so ziemlich von der Hand in den Mund.

Ich hatte keine Ahnung, dass es im Hotel Saga eine besondere Luxus-Suite gab, aber sie existierte tatsächlich in all ihrer Pracht. Bettý erklärte mir, sie sei erst kürzlich von Grund auf renoviert worden, wahrscheinlich weil ich dastand und wie ein Kind mit offenem Mund staunte. Die Dame an der Rezeption lächelte ein süffisantes Lächeln, als ich erklärte, zur Suite von Bettý zu wollen. Sie war nicht älter als dreißig, blond und etwas drall. Sie hatte einen stattlichen Busen und attraktive Hüften. Sie verwies mich an den Lift und wünschte mir viel Vergnügen.

Viel Vergnügen.

Ich ging damals davon aus, dass sie die Gala meinte. Jetzt weiß ich natürlich, was sie meinte. So hat sie nämlich gelächelt. Als ob sie irgendwann einmal selber oben in der Suite gewesen wäre.

Bettý nahm mich an der Tür in Empfang. Die Suite bestand aus drei Räumen. Das Wohnzimmer war riesig, und überall lag dicker, weißer Teppichboden, sogar in den beiden Badezimmern. Bilder von zeitgenössischen isländischen Malern hingen an den Wänden. Nackte Kinder mit Engelsflügeln und seltsam erwachsenen Gesichtern. Der Esszimmertisch war aus argentinischer Eiche, zumindest meine ich, Bettý hätte das erwähnt. Es machte ihr Spaß, über solche Dinge zu reden. Sie reichte mir ein Glas Champagner auf einem silbernen Tablett. In der Suite war es dämmrig, die Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen, und das Licht war gedämpft. Sie hatte versucht, dem Hotelappartement eine etwas gemütlichere Note zu geben. Ich trank einen Schluck Champagner, und mir kam es so vor, als klingelte das Goldkettchen um ihren Knöchel.

»Er ist noch auf einer Besprechung«, sagte sie, »aber er wird gleich da sein. Ich bin so froh, dass du kommen konntest.«

Sie lächelte und ihr Lächeln … Mir wurde klar, weshalb ich gekommen war. Der einzige Grund war sie. Bettý. Im tiefsten Inneren hatte ich mich danach gesehnt, sie wieder zu treffen. Sie wieder lächeln zu sehen. Mein Gott, wie schön sie war.

Mein Gott, wie ich sie begehrte.

»Ich hatte bloß nichts Anständiges zum Anziehen«, sagte ich und betrachtete ihr Kleid aus unendlich zarter und dünner Seide, das die perfekt gerundeten Linien ihres Körpers umschmeichelte. Genau wie bei unserer Begegnung zuvor trug sie keinen Büstenhalter.

Ich nippte am Champagner und versuchte, meine Augen auf etwas anderes zu richten. Auf die Gemälde.

»Mach dir deswegen keine Sorgen«, erklärte sie. »Diese Reeder vom Land latschen doch sowieso meist in Strickwesten und Gummistiefeln herum, und außerdem sind die da unten wahrscheinlich auch schon sturzbesoffen.«

»Diese Suite ist wirklich enorm«, sagte ich. »Dafür gehen wohl die Gewinne aus den Fischereiquoten drauf?«

Eigentlich wollte ich nicht so spitz klingen, aber auf der anderen Seite hatte ich ja nichts zu verlieren. Vielleicht sprach auch ganz einfach der Neid aus mir. Ich weiß es nicht. Dieser Reichtum erschreckte mich. Für einen kurzen Trip nach Reykjavík, für ein Wochenendvergnügen gaben sie mehr Geld aus, als ein normaler Arbeiter in einem halben Jahr verdient.