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Der Schauplatz: Venedig im Jahre 1963. Gedeon Sckell, Maler und Hobby-Detektiv aus München, erhält den Auftrag, ein Porträt der betagten Signora Angelina Mancini-Silvestro, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der venezianischen Gesellschaft, anzufertigen. Kaum in Venedig angekommen, geschehen zwei Dinge: Er begegnet der jungen Amerikanerin Constance Drysdale, die ihn um Hilfe in einer höchst merkwürdigen Angelegenheit bittet, und es geschieht ein furchtbarer Mord. So hat Gedeon Sckell kaum die Möglichkeit, sich an den Sehenswürdigkeiten Venedigs zu erfreuen, denn ein tödliches Netz aus Mord, Intrigen und dem illegalen Handel mit Kunstwerken zieht sich immer enger um ihn zusammen... TÖDLICHES VENEDIG von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien JACK KANDLBINDER ERMITTELT, EIN FALL FÜR REMIGIUS JUNGBLUT, DIE UNHEIMLICHEN FÄLLE DES EDGAR WALLACE und FRIESLAND, ist der dritte Band der Roman-Serie DETEKTIVE WIDER WILLEN und ein ebenso spannender wie kunstsinniger Krimi aus der italienischen Lagunenstadt.
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CHRISTIAN DÖRGE
TÖDLICHES VENEDIG
DETEKTIVE WIDER WILLEN
Roman
Signum-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Der Autor
TÖDLICHES VENEDIG
Die Hauptpersonen dieses Romans
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Copyright © 2023 by Christian Dörge/Signum-Verlag.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg
Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.
Verlag:
Signum-Verlag
Winthirstraße 11
80639 München
www.signum-literatur.com
Der Schauplatz: Venedig im Jahre 1963.
Gedeon Sckell, Maler und Hobby-Detektiv aus München, erhält den Auftrag, ein Porträt der betagten Signora Angelina Mancini-Silvestro, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der venezianischen Gesellschaft, anzufertigen. Kaum in Venedig angekommen, geschehen zwei Dinge: Er begegnet der jungen Amerikanerin Constance Drysdale, die ihn um Hilfe in einer höchst merkwürdigen Angelegenheit bittet, und es geschieht ein furchtbarer Mord.
So hat Gedeon Sckell kaum die Möglichkeit, sich an den Sehenswürdigkeiten Venedigs zu erfreuen, denn ein tödliches Netz aus Mord, Intrigen und dem illegalen Handel mit Kunstwerken zieht sich immer enger um ihn zusammen...
Tödliches Venedig von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien Jack Kandlbinder ermittelt, Ein Fall für Remigius Jungblut, Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace und Friesland, ist der dritte Band der Roman-Serie Detektive wider Willen und ein ebenso spannender wie kunstsinniger Krimi aus der italienischen Lagunenstadt.
Christian Dörge, Jahrgang 1969.
Schriftsteller, Dramatiker, Musiker, Theater-Schauspieler und -Regisseur.
Erste Veröffentlichungen 1988 und 1989: Phenomena (Roman), Opera (Texte).
Von 1989 bis 1993 Leiter der Theatergruppe Orphée-Dramatiques und Inszenierung
eigener Werke, u.a. Eine Selbstspiegelung des Poeten (1990), Das Testament des Orpheus (1990), Das Gefängnis (1992) und Hamlet-Monologe (2014).
1988 bis 2018: Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literatur-Periodika.
Veröffentlichung der Textsammlungen Automatik (1991) sowie Gift und Lichter von Paris (beide 1993).
Seit 1992 erfolgreich als Komponist und Sänger seiner Projekte Syria und Borgia Disco sowie als Spoken Words-Artist im Rahmen zahlreicher Literatur-Vertonungen; Veröffentlichung von über 60 Alben, u.a. Ozymandias Of Egypt (1994), Marrakesh Night Market (1995), Antiphon (1996), A Gift From Culture (1996), Metroland (1999), Slow Night (2003), Sixties Alien Love Story (2010), American Gothic (2011), Flower Mercy Needle Chain (2011), Analog (2010), Apotheosis (2011), Tristana 9212 (2012), On Glass (2014), The Sound Of Snow (2015), American Life (2015), Cyberpunk (2016), Ghost Of A Bad Idea – The Very Best Of Christian Dörge (2017).
Rückkehr zur Literatur im Jahr 2013: Veröffentlichung der Theaterstücke Hamlet-Monologe und Macbeth-Monologe (beide 2015) und von Kopernikus 8818 – Eine Werkausgabe (2019), einer ersten umfangreichen Werkschau seiner experimentelleren Arbeiten.
2021 veröffentlicht Christian Dörge mehrere Kriminal-Romane und beginnt drei Roman-Serien: Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Ein Fall für Remigius Jungblut und Friesland.
2023 erscheinen seine neuen Alben Kafkaland und Lycia, sich entfernen.
Künstler-Homepage: www.christiandoerge.de
Gedeon Sckell: Maler und Hobby-Detektiv aus München.
Constance Drysdale: eine attraktive junge Amerikanerin.
Angelina Mancini-Silvestro: eine Dame aus den besten Kreisen Venedigs.
Celia van Druyten: Sekretärin und Gesellschaftsdame.
George de Goincy: Kunstexperte.
Dr. Hubert Scherzinger: Kunstexperte aus München.
Emilia Pentecost: Malerin.
Raffaela Caterina: eine geheimnisvolle und außergewöhnlich schöne Frau.
Leutnant Luigi Esposito: Leutnant bei der Polizei von Venedig.
Riccardo Lombardi: Polizeichef von Venedig.
Max Raneburger: Gedeon Sckells Agent.
Dieser Roman spielt im Jahr 1963 in Venedig.
Alles nahm seinen Anfang vor dem Hotel Spirito Di Fontana in der Lungomare Marconi, einer breiten, geraden Straße, deren eine Seite vom Meer und dem Badestrand des Lido begrenzt wurde, den Reihen von Umkleidekabinen und Sträucher umsäumten. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich Gärten und Hotels. Das Spirito Di Fontana war im Gegensatz zu den meisten anderen Strandhotels nicht mit aufdringlichem Zierrat überladen. Vor dem Haus standen Bäume und vier hübsche Markisen mit Tischen darunter. Es war Mittagszeit. Die Gäste saßen im Schatten und erfrischten sich bei einem Drink. Ich war schon seit zwei Tagen in Venedig, früher, als man mich erwartete, denn ich wollte die Stadt zuerst genießen, ein wenig durch die Straßen bummeln und mich umsehen, was es Interessantes gab, bevor es an die Arbeit ging. Ich überlegte gerade, ob ich mir auch etwas zu trinken bestellen sollte, als unerwartet eine junge Frau auf dem Fußweg zwischen den Blumenbeeten auf mich zueilte, geradewegs in meine Arme.
»Entschuldigen Sie«, sagte die Frau. Ich stellte sie wieder auf die Füße und schaute sie mir genauer an. Vermutlich war sie Amerikanerin, aber von der ruhigen Sorte. Sie war klein, brünett, die Haare hatten einen rötlichen Schimmer, dazu graugrüne Augen und Sommersprossen auf der Nase. Sie erinnerte mich an eine Birmakatze, obwohl ich bis dahin noch keiner Katze mit Sommersprossen und einer überdimensionalen Hornbrille begegnet war. Ich mag Frauen, die etwas Katzenhaftes an sich haben. Aber auf Brillenträgerinnen fliegen die Männer im Allgemeinen nicht. Doch bevor ich Zeit hatte, diese Ansicht zu überprüfen, verblüffte mich die Frau mit einer Frage und sah mich dabei so verführerisch an, dass es mir den Atem verschlug. »Haben Sie den Ballonverkäufer gesehen?«
Sie unterstrich ihre Worte mit einer ungeduldigen kleinen Geste, die außerordentlich anmutig wirkte, wobei ihr Gesicht einen schwer zu deutenden Ausdruck annahm, den ich erst später als einen ihrer Tricks erkannte. Jedenfalls vermittelte sie mir eine ungewöhnlich lebhafte Vorstellung dessen, was augenblicklich in ihrem Kopf vorging. Unwillkürlich sah ich einen alten Mann im langen, schmutzigen Kittel und zerbeulten Hut vor mir, über dessen Kopf ein Strauß aus lauter bunten Luftballons schwebte, an meinem geistigen Auge vorüberziehen. Meine neue Bekannte warf mir einen strengen Blick zu, als schien sie zu glauben, ich hätte ihren Ballonverkäufer verschwinden lassen. »Vor einer Minute war er noch hier.«
Ich blickte die Straße hinauf und hinunter. Ich sah alles Mögliche, nur keine Luftballons. Da waren luxuriöse Autos, kleine Strandwagen, die von den Nobelhotels für ihre Gäste bereitgestellt wurden, wenn diesen der Spaziergang zu viel wurde, ein Auto mit einem Kamerateam und Menschen der verschiedensten Hautfarben und Rassen, die ein farbenprächtiges Bild boten. Vom Eingang des Hotels Excelsior lächelten Starlets ihr blendendes Zahnpastalächeln. Eine Kutsche älterer Bauart zuckelte auf uns zu. Ich schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat er sich aus dem Staub gemacht. Ich meine, es ist ziemlich heiß heute. Er war doch bestimmt sehr klein, nicht wahr? Wollten Sie einen Ballon kaufen?«
Sie richtete den Blick in einer Weise zum Himmel, dass ich zu glauben begann, etwas sehr Einfältiges gesagt zu haben. »Ich wollte nichts kaufen, sondern mit dem Mann sprechen.«
»Ach so, das ist natürlich etwas anderes. Ich fange an zu begreifen«, erwiderte ich. Seltsam, dachte ich. Vielleicht sollte man der Sache nachgehen. Sich über einen entschwundenen Ballonverkäufer zu ärgern erschien mir amüsant. Es gab Enttäuschungen im Leben, die wesentlich schwerer wogen. Wenn sie weiter keine Probleme hatte... Und hier am Lido feierte Harlekin seine größten Triumphe. »Am ehesten dürfte der Gesuchte in der Viale Elizabetta zu finden sein«, nahm ich den Gesprächsfaden wieder auf. »Das ist ein beliebter Treffpunkt. Ich schlage Ihnen vor, wir mieten zusammen eine Kutsche, von wo aus Sie die Menge leichter überblicken und die Ballons eher erkennen können.«
Sie antwortete mir mit einem ihrer katzenhaften Blicke. Aber ich schien sie nicht beleidigt zu haben. Mit gefühlvoller Stimme sagte sie: »Entschuldigen Sie, dass ich Sie mit dieser Kleinigkeit behelligt habe. Vergessen Sie es bitte!«
»Das hätten Sie sich früher überlegen sollen«, entgegnete ich und stoppte eine vorbeifahrende Kutsche. »Ich sehe schon voraus, dass mich unsere Begegnung noch Stunden, wenn nicht gar Tage beschäftigen wird. Der Ballonverkäufer wird mich heimsuchen.«
Ihre Augen sprühten Funken. »Nicht Sie, sondern mich.«
Ein unangenehmer Gedanke. Anscheinend ging ihr diese Angelegenheit ziemlich nahe. Die Kutsche hielt unterdessen quietschend an. Das Pferd trug einen Strohhut mit blauen Bändern auf dem Kopf. Entzückend. Ein Hauch von Nostalgie. Wenn ich zurückdenke, überrascht es mich, wie ahnungslos ich damals war. Nicht im Traum wäre mir der Gedanke gekommen, dass solche, für den Publikumsgeschmack bestimmten, heiteren, leicht kitschigen Nebensächlichkeiten der Beginn eines durchaus unheimlichen Erlebnisses sein könnten. »Steigen Sie ein! Sie haben nicht gelebt, wenn Sie nicht wenigstens einmal in Ihrem Leben die Gran Viale Santa Maria Elizabetta in einer Kutsche entlanggefahren sind. Das ist die einfachste Art, sich den oberen Zehntausend zugehörig zu fühlen. Wir werden Ihren Ballonverkäufer jetzt gemeinsam jagen. Wenn er noch vor einer Minute hier gewesen ist, kann er nicht weit gekommen sein. Vielleicht hat er sich in einem der Gärten versteckt. Möglicherweise ist er gerade damit beschäftigt, alle seine Luftballons zu zerstechen, damit Sie ihn nicht finden können.«
»Ich würde Sie für unhöflich halten, wenn wir uns nicht schon ein paar Minuten kennen würden«, erwiderte sie. »Aber bei nächster Gelegenheit werde ich mich revanchieren.«
Während dieses Wortgeplänkels kletterten wir in die Kutsche, und unsere Fahrt begann. Das Pferd war am Einschlafen. Ich sagte dem Kutscher, er solle uns zur Bar Marco bringen. Er nickte so verschlafen wie sein Pferd. Ich wandte mich nun meiner Begleiterin zu: »Wir unterhalten uns schon eine Weile, haben uns aber noch nicht einander vorgestellt. Ich heiße Gedeon Sckell und komme aus München.«
»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Ihre Stimme klang weniger entgegenkommend als ihre Worte. Nach kurzem Zögern sagte sie: »Constance Eden Drysdale aus Boston. Es ist ein sehr alter Name. Mein Urgroßvater stammt aus Hampshire.«
Unser Gespräch geriet ins Stocken. Meine Nachbarin blickte auf die Gärten der linken Straßenseite, an denen wir langsam vorüberfuhren. Sie wirkte äußerst nervös. Das war nicht weiter verwunderlich. Auch ich wäre beunruhigt gewesen, wenn ich Probleme mit Luftballonverkäufern gehabt hätte. Als Berufsklasse wirkten sie auf mich allerdings ziemlich harmlos. Es wäre übertrieben gewesen, von einer schicksalhaften Fügung zu sprechen. Wie öfter bei solchen Anlässen fielen mir zu diesem Thema letzte Worte berühmter Persönlichkeiten ein. Da mir das Schweigen allmählich auf die Nerven ging, murmelte ich: »Wir sprachen gerade von Ballonverkäufern«, und deutete mit dem Kopf in die Richtung der Badekabinen am Strand. »Dort ist einer.«
Sie drehte sich mit der Geschwindigkeit einer aufgescheuchten Katze zur Seite, warf dann aber nur einen kurzen Blick auf diesen Mann. Ich vermochte nicht zu erkennen, ob sie enttäuscht oder erleichtert war. »Das falsche Gesicht«, meinte sie. »Außerdem verkaufte der andere runde Ballons und dieser hier wurstförmige.«
Inzwischen waren wir in die Viale eingebogen. Die Fahrt hatte den Kutscher vollends eingeschläfert. Dem Auge des Betrachters bot sich ein bezauberndes Kaleidoskop aus Bäumen, Blumenschalen, Cannas, Geranien, Markisen, Sonnenschirmen und den sich langsam um die Tische ordnenden Menschen. Das schien auch sie für kurze Zeit von ihren Ballons abzulenken. »Das ist sehr, sehr hübsch. Ob wir den Kutscher wecken sollten?«
»Das ist nicht notwendig, solange das Pferd halbwegs wach bleibt. Er kennt das alles schon.«
Sie dachte über meine Bemerkung sorgfältiger nach, als diese es verdiente, und wechselte dann das Thema. »Ich möchte nicht, dass Sie glauben, ich machte es mir zur Gewohnheit, mit Unbekannten durch die Stadt zu fahren.«
»Natürlich nicht«, beruhigte ich sie. »Aber die gemeinsame Jagd auf Männer mit Luftballons beflügelt zweifellos freundschaftliche Beziehungen.«
In ihren Augen glomm ein Funke auf, der mich an eine Katze denken ließ, die ihre Krallen zeigt. Unser Schweigen nutzte ich, um mir meine Nachbarin genauer anzusehen. Sie hatte eine tadellose Figur, mit wohlgeformten Kurven an den richtigen Stellen, gut proportioniert, nicht zu ausladend. Sie trug ein hellgrünes, ärmelloses Leinenkleid aus gutem, nicht zu teurem Stoff. Unter dem Auge auf der rechten Wange befand sich ein winziges Muttermal. Eine elegante Frau, sehr beherrscht. Ihre Aufmerksamkeit wurde offenbar durch irgendetwas augenblicklich sehr stark in Anspruch genommen. Plötzlich drehte sie sich um. Ich fühlte mich ertappt. Sie errötete unter meinem Blick, den ich nicht schnell genug abwenden konnte.
»Und was führt Sie nach Venedig, Mr. Sckell? Der Urlaub?«
»Nicht wirklich«, sagte ich, den Kamerawagen beobachtend, der langsam neben uns herfuhr. Ein Landrover mit einem Spezialdach für Filmaufnahmen. Die Kamera schwenkte nach links und rechts über die Menge. »Ich bin hier, um ein Porträt zu malen.«
Sie zeigte ein gewisses Interesse. »Sind Sie Künstler, ein Maler?«
»Ich jedenfalls halte mich für einen solchen. Einige teilen diese Ansicht, andere wiederum nicht.«
Wenige Minuten zuvor hatte der Kamerawagen vor dem Hotel Excelsior mit seinen Filmschönheiten gehalten. Aber es gab gerade keine Gelegenheit, ein paar interessante Schnappschüsse zu machen. Jeder, der einen Film über Venedig dreht, muss ein paar Aufnahmen von der Viale Elizabetta und der dort auf und ab wogenden Menschenmenge zeigen. Das ist sozusagen obligatorisch. Die Kamera war gerade auf ein hübsches, schlankes Mädchen gerichtet, das eine Strandpuppe in den Armen hielt, die so groß war wie es selbst. Das Mädchen schien sich nicht schlüssig zu sein, wo es sich hinwenden sollte, und drehte sich bald in die eine, bald in die andere Richtung. Dann eilte es auf eine Kutsche zu.
Der Kameramann hatte langes Haar, trug einen Bart, Lederjacke und Jeans. Seine Kleidung wirkte leicht zerknittert. Eine Szene, wie man sie täglich in Venedig sah. Dazu gehörte auch ein hübsches Mädchen in einer Pferdedroschke, deren Gaul und Kutscher dem Einschlafen nahe sind. Der Kameramann hielt allerdings die Linse ungewöhnlich lange auf uns gerichtet. Er hatte bestimmt schon einige Meter Film verbraucht.
Und dann trat Fräulein Drysdale in Aktion. Sie sagte: »Weiter!« und beugte sich vor, um unseren Fahrer in die Rippen zu stoßen. Ich musste an eine Lady aus der Viktorianischen Zeit denken, die ihren Kutscher mit der Spitze des Sonnenschirms antreibt. Er erwachte und stieß einen Schwall Flüche aus, die in mir die Hoffnung weckten, Fräulein Drysdale verstünde kein Wort Italienisch. Das Pferd wäre vor Überraschung beinahe gestürzt. Danach wandte es den Kopf, um einen vorwurfsvollen Blick unter seinem Strohhut hervorzuwerfen. Schließlich nahm es seine gemächliche Gangart wieder auf. Ich protestierte. »So etwas sollten Sie nicht tun. Es verstört das Pferd. Für ein Wettrennen ist es nicht geschaffen.«
Fräulein Drysdale rief: »Presto! Presto!« und fügte triumphierend hinzu: »Dort!«
Den Kamerawagen hatte ich jetzt aus den Augen verloren. Aber dafür sah ich die Ballons sofort; so rund, wie man sie sich nur wünschen konnte. Sie flatterten über den Köpfen der Menge. Fräulein Drysdale sagte: »Stopp! Arreste! Halt!« und zeigte hinüber auf den Fußweg. »Hallo! Sie da!«
Für eine so kleine Person hatte sie eine überraschend volltönende Stimme. Offenbar hatte sie jetzt den richtigen Luftballonverkäufer entdeckt. Er trug einen verstaubten braunen Mantel, der aussah, als habe ihn ein Monteur getragen. Auf seinem Kopf saß ein zerbeulter Hut. Und sein Gesicht zierte ein herabhängender Schnurrbart. Er erinnerte mich an einen enttäuschten Affen. Er schien verwirrt. Ich dachte schon, er wolle sich uns entziehen. Aber er wurde von der dichten Menschenmenge daran gehindert, seine Fluchtpläne zu verwirklichen. Außerdem interessierten sich plötzlich eine Anzahl kleinerer Hunde für ihn und schnüffelten an seinen Beinen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich in ein Gespräch mit uns einzulassen. »Wollen Sie einen Ballon kaufen?«, fragte er.
Man hörte ihm an, dass er selbst nicht recht an seine Worte glaubte. Fräulein Drysdale rief ihm zu: »Ich möchte keinen Ballon kaufen, sondern mit Ihnen reden. Ich will wissen, warum Sie mich seit zwei Tagen verfolgen.«
Er schüttelte erstaunt den Kopf und sagte mit starkem amerikanischem Akzent: »Signora, ich habe Sie noch nie in meinem Leben gesehen.«
»Sie lügen«, verkündete sie, als proklamiere sie die Unabhängigkeitserklärung. Dann zählte sie an den Fingern auf: »Vorgestern 16.20 Uhr am Hauptbahnhof. In ihrer Gesellschaft befand sich ein Mann, der hässliche kleine Hunde verkaufte, die abscheulich quiekten und in einen Wassereimer eingepfercht waren. Bei Ihnen war außerdem ein Verkäufer für Eiscreme. Einer verkaufte Zeitungen, ein anderer bot Seide an...«
»Nicht so«, schaltete ich mich ein. »Sie können nicht alle Leute, die sich vor dem Hauptbahnhof aufhielten, verantwortlich machen. Das geht zu weit. Begnügen wir uns mit den Ballonverkäufern, Constance.«
»Miss Drysdale, wenn ich bitten darf!« Dann zählte sie weiter auf. »Vorgestern 17.10 Uhr am Bahnhof San Marco. Am selben Abend 20.00 Uhr hier vor dem Grand Hotel. Heute Morgen um zehn vor der Accademia Bell Arti.
Zwölf Uhr mittags in der Bibliotheca Querini. Gestern Abend um acht wieder im Grand Hotel. Heute Morgen 11.45 Uhr im Spirito Di Fontana.« Sie machte eine Pause, um Luft zu holen. Jemand äußerte sich zustimmend. »Und ich glaube zu wissen, warum«, schloss sie.
»Mama mia«, begann der Ballonverkäufer. Aber die Menschenmenge hatte sich noch verdichtet, und er war sich nicht ganz sicher, auf welcher Seite die Sympathie lag. »Wenn Sie keinen Luftballon kaufen wollen, warum regen Sie sich dann so über mich auf?«, schrie er. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich Sie noch nie gesehen habe. Sagen Sie«, wandte er sich hilfesuchend an mich: »Ist sie verrückt?«
»Vielleicht hat sie einen leichten Sonnenstich«, murmelte eine Frau. »So etwas passiert im Handumdrehen.«
»Das ist wahr«, stimmte unser Fahrer zu und nickte gewichtig. »Sie trägt keinen Hut«, fügte er hinzu und warf einen zufriedenen Blick auf sein Pferd. »Sie sollten ihr einen Hut kaufen«, empfahl er mir mit strenger Miene. »Ich habe einen Freund, der sehr hübsche Hüte anzubieten hat.«
Die Situation wurde allmählich kritisch. Fräulein Drysdale schien sich auf einen neuen Angriff vorzubereiten. Jeden Moment konnte sich die Volksmenge einmischen und Partei ergreifen. Und auf der anderen Straßenseite standen zwei Carabinieri, die uns interessiert beobachteten. Ich drückte dem Ballonverkäufer einen Tausend-Lire-Schein in die Hand. Das ist zwar feige, aber besser, als sich auf ein Handgemenge einzulassen. Dieser Geste fügte ich hinzu: »Hau ab!« Zu meiner Begleiterin äußerte ich: »Es wird höchste Zeit, dass wir hier wegkommen.« Die Umstehenden beruhigte ich mit den Worten: »Das Ganze war ein Missverständnis.«
Das Pferd nahm einen doppelten Anlauf, bevor sich das Gefährt schwerfällig weiterbewegte. Der Hut mit dem blauen Band saß noch schiefer als vorher. Das eine Auge des Pferdes war kaum mehr zu sehen. Der Kutscher sprach immer noch über Hüte. Fräulein Drysdale und ich schwiegen. Ihre schöne braune Haut hatte sich leicht gerötet. Constances grüne Augen funkelten immer noch zornig. Dabei hatte sie eine triumphierende Miene aufgesetzt. Erst einige Zeit später fiel mir auf, dass sie nur mit Mühe ein Lachen unterdrückte. Das begriff ich nun wirklich nicht. Diese Frau verstand es, einen neugierig zu machen.
Bis zur Bar fiel kein Wort mehr. Wir stiegen aus und blickten Pferd und Kutsche nach, die in ihr altes Tempo zurückfielen. Marco fand einen freien Tisch für uns auf dem Trottoir, von wo ich beide Seiten der Straße gut überblicken konnte.
Fräulein Drysdale ließ sich erst jetzt herab zu sagen: »Sie müssen wissen, ich trinke nicht.« Der Ehrlichkeit halber fügte sie hinzu: »Zumindest nicht zu dieser Tageszeit.«
»Hin und wieder vielleicht doch«, widersprach ich gereizt. »Ich trinke jedenfalls regelmäßig. Nun zu diesem Ballonmann...«
»Hoffentlich sind Sie nicht süchtig. Bei Malern muss man mit allem rechnen.«
»Ich befinde mich im Endstadium. Die endgültige Auflösung steht unmittelbar bevor. Also, zu diesem Ballonverkäufer...«
»Ich glaube, das hat sich erledigt.« Sie lächelte Marco an und bestellte: »Aranciata, bitte mit Eis.« Zu mir sagte sie: »Zunächst war ich schockiert, aber jetzt sehe ich klarer. Glauben Sie wirklich, dass ich mich für Luftballons interessiere?«
»Ein Löwenbräu«, sagte ich zu Marco und wandte mich dann Constance zu: »Nein, das glaube ich nicht. Aber ich mache mir Sorgen um Sie.«
»Dieser Mann wird mir bestimmt nicht mehr folgen.« Aber vielleicht ein anderer, dachte ich. Dann kam ihr Orangensaft. Über den Rand ihrer Brille hinweg warf sie mir einen interessierten Blick zu. »Reden wir von etwas anderem. Erzählen Sie mir doch mehr von dem Porträt, das Sie malen werden.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Mein Modell ist eine ältere Dame. Sie soll ziemlich ängstlich sein. Sie gehört zur guten Gesellschaft von Venedig. Mehr weiß ich nicht. Heute Nachmittag werde ich die Ca’ Silvestro anrufen und sagen: »Bitte, da bin ich.«
Lebhaft fragte sie: »Sagten Sie Ca’ Silvestro? Wie merkwürdig. Das ist wirklich sonderbar.«
»Inwiefern?«
Statt einer Antwort widmete sie sich ihrem Glas und ließ die Eiswürfel gegeneinander klingen. Schließlich meinte sie: »Es ist merkwürdig, dass gerade wir uns begegnet sind, Mr. Sckell. Könnten Sie mir vielleicht erzählen, wie Sie zu Ihrem Auftrag gekommen sind? Hoffentlich finden Sie diese Frage nicht zu aufdringlich.«
»Über meinen Agenten.«
Sie schien etwas Bestimmtes sagen zu wollen, öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder und murmelte nach einiger Zeit: »Wer... Werden solche Aufträge immer über Agenten vergeben?«
»Das ist verschieden.«
Sie nickte. »Entschuldigen Sie meine Neugierde. Es interessiert mich eben. Meine Familie macht mir deswegen ständig Vorwürfe: Constance, du kümmerst dich um Dinge, die dich nichts angehen.«
»Ich teile die Ansicht Ihrer Familie. Sie ziehen damit die Aufmerksamkeit solcher Ballonverkäufer auf sich, wie wir einem vorhin begegnet sind. Weshalb sind Sie hier? Um Urlaub zu machen?«
»Hm...« Sie überlegte. »Ich verbinde meine Arbeit gern mit einem Ferienaufenthalt. Ich studiere Geschichte. Diesmal ist es Königin Christine, die mich hergeführt hat.«
Ihre Erklärung überzeugte mich nicht, ohne dass ich hätte sagen können, warum. »Das klingt in der Tat harmlos«, erwiderte ich. »Aber wäre es dann nicht vorteilhafter für Sie, nach Rom zu gehen?«
»Vielleicht.« Sie wartete offenbar auf eine Antwort. Als diese ausblieb, warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Damit war unser Rendezvous zu Ende.
»Mein Gott, so spät. Ich muss mich beeilen.«
Ich sagte: »Warten Sie noch einen Augenblick! Sollten Sie dem Mann mit den Luftballons oder sonstigen Verfolgern begegnen, ich wohne in der Pension Martinelli, Via Lepanto.«
Das war ein faires Angebot – und noch ein wenig mehr, denn ihr hübsches braunes Katzengesicht hatte es mir angetan. Leider blieb sie völlig ungerührt. Ich versuchte es mit einem anderen Mittel, dem harmlosesten der Welt: »Könnten wir vielleicht zusammen essen gehen?«
»Nein, das geht leider nicht.« Sie erhob sich. Bedauernd fügte sie hinzu: »Ich habe eine Verabredung und muss mich beeilen.«
Ob sie ins Grand Hotel ging?, überlegte ich, während ich ihr nachblickte, wie sie durch die Menge schlüpfte. Schon gestern und vorgestern war sie dort. Übrigens war jetzt die richtige Tageszeit für ein Dinner. Auch für mich.
Als Marco kam, um die leeren Gläser abzuräumen, hatte mich die Malfreude übermannt. Ich benutzte eine seiner Speisekarten, um mit weichem Bleistift eine Skizze zu entwerfen. Der Ballonverkäufer mit seinem herabhängenden Schnurrbart, dem unglücklichen Affengesicht und seinen Luftballons eignete sich gut als Modell. Marcos Blick sagte: »Kein Glück heute?« Doch ich kam ihm zuvor: »Kennen Sie diesen Mann?«
»Diesen smarten Typ?«, fragte er zurück. »Aber ja. Das ist Luigi Antonello. Eine Art Landstreicher. Die meiste Zeit hält er sich in der Gegend der Rialtobrücke auf. Ab und zu kommt er zum Lido herüber.«
»Könnten Sie ihm ausrichten, dass ich gern mit ihm sprechen würde, wenn er das nächste Mal kommt?« Ich rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander, um auszudrücken, dass Marco dafür ein Trinkgeld erhalten sollte. »Sagen Sie ihm bitte, ich sei um diese Zeit und dann wieder abends vor dem Dinner hier anzutreffen. Kennen Sie übrigens jemand vom Personal im Grand Hotel?« Marco machte die für ihn in solchen Fällen charakteristische Handbewegung, die besagte – möglicherweise ja, möglicherweise nein. Ich nickte. »Zu denselben Bedingungen. Am besten wäre ein Speisekellner oder ein Hoteldiener geeignet.«
Anerkennend betrachtete er meine Skizze und sagte: »Sie besitzen wirklich Talent, mit wenigen Strichen das Bild einer Person wiederzugeben.«
Ich war stets der Ansicht, dass Barkeeper zu den nützlichsten Wesen der zivilisierten Welt gehören.
Ich muss kurz zurückblenden. Vor ungefähr drei Wochen besuchte ich meinen Agenten Max Raneburger in München. Max ist ein sehr guter Agent und ein noch besserer Freund. Ich würde alles tun, was in meiner Macht steht, um ihm einen Wunsch zu erfüllen, sofern er nichts Unbilliges von mir verlangte. Max versteht es, sich den Umständen anzupassen. Wenn er gerade dabei ist, einen möglichen Käufer zu umgarnen, gleicht er einem Weltmann, wie man ihn gelegentlich in der Bond Street, der Fifth Avenue oder den Champs Elysees antrifft. Spricht Max dagegen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, hört man, dass er aus Niederbayern stammt. Und das ist vor allem der Fall, wenn er gereizt ist. An diesem Morgen befand sich Max in höchster Erregung. Ich merkte sofort, dass da etwas nicht stimmte. Nachdem wir uns begrüßt hatten, fragte er mich: »Sag, Gedeon, hast du schon die Nachrichten gehört? Und wie steht’s mit dem Wetter? Was würdest du zu einem Trip nach Venedig sagen? Es würde etwa einen Monat dauern.«
»Mein Tagesplan ist heute durcheinander geraten, deshalb habe ich die Nachrichten noch nicht gehört. Das Wetter ist mir gleichgültig. Deshalb lautet die Antwort auf Frage eins nein und auf Frage zwei ja. Aber worum geht es eigentlich?«
»Um einen Auftrag für dich. Ein Porträt. Es würde sich lohnen. Die Bezahlung ist fürstlich.« Nach diesen allgemeinen Worten ging er ins Detail und redete mir mit einschmeichelnder Stimme zu, als fürchte er, ich könne es mir anders überlegen. »Unsere Auftraggeberin ist eine gewisse Frau Angelina Mancini-Silvestro, eine Dame aus den ersten Kreisen. Unterbrich mich nicht, Gedeon! Lass mich erst berichten! Es ist nicht, was du denkst. Sie ist schon Mitte Sechzig. Ich habe Erkundigungen über diese Dame eingezogen. Ohne Zweifel gibt sie in Venedig den Ton an. Eine Salonlöwin. Komitees, Wohltätigkeitsbälle und dergleichen gehen hauptsächlich auf ihre Anregungen zurück. Frau Mancini-Silvestro ist Witwe. Man sollte die letzten Worte ihres verstorbenen Gatten kennen. Er sagte: Großer Gott, du hast deinen Diener in Frieden ziehen lassen. Es würde mich interessieren, was er damit meinte.«
»Ich kann es mir denken. Aber warum möchte sie gerade von mir gemalt werden?«
»Weil du Talent hast, Junge. Aber habe ich dir nicht schon oft genug gesagt, dass das nicht ausreicht, Gedeon? Du brauchst außerdem jemanden, der für dich an der richtigen Stelle Reklame macht. Und das ist unser Job.«
»Unser Job?