TÖDLICHER SCHNEE - DETEKTIVE WIDER WILLEN - Christian Dörge - E-Book

TÖDLICHER SCHNEE - DETEKTIVE WIDER WILLEN E-Book

Christian Dörge

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Beschreibung

Der Schauplatz: 1963 in Mittenwald und in Garmisch-Partenkirchen. Dank der Wohltätigkeit des beliebten und menschenfreundlichen Dr. Murnberger können bedürftige Kinder aus ganz Europa kostenlose Ski-Ferien in der Villa Rausch'n in Mittenwald verbringen. Doch niemand scheint Genaueres über diesen Dr. Murnberger zu wissen. Wer ist er – und sind seine Wohltaten tatsächlich selbstloser Natur? Eine junge Frau, die sch zu sehr mit Dr. Murnberger beschäftigt, verschwindet spurlos; ebenso ein Pfarrer, dem sie sich anvertraut hat. Im Auftrag der Münchner Kriminalpolizei reist der Kunstmaler Gedeon Sckell nach Mittenwald, um der Sache auf den Grund zu gehen... TÖDLICHER SCHNEE von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien JACK KANDLBINDER ERMITTELT, EIN FALL FÜR REMIGIUS JUNGBLUT, DIE UNHEIMLICHEN FÄLLE DES EDGAR WALLACE und FRIESLAND, ist der erste Band der Roman-Serie DETEKTIVE WIDER WILLEN und ein ebenso spannender wie nostalgischer Spionage-Krimi aus Oberbayern.

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CHRISTIAN DÖRGE

 

 

TÖDLICHER SCHNEE

DETEKTIVE WIDER WILLEN

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Der Autor 

TÖDLICHER SCHNEE 

Die Hauptpersonen dieses Romans 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © 2023 by Christian Dörge/Signum-Verlag.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

 

Das Buch

 

 

Der Schauplatz: 1963 in Mittenwald und in Garmisch-Partenkirchen.

Dank der Wohltätigkeit des beliebten und menschenfreundlichen Dr. Murnberger können bedürftige Kinder aus ganz Europa kostenlose Ski-Ferien in der Villa Rausch'n in Mittenwald verbringen. Doch niemand scheint Genaueres über diesen Dr. Murnberger zu wissen. Wer ist er – und sind seine Wohltaten tatsächlich selbstloser Natur?

Eine junge Frau, die sch zu sehr mit Dr. Murnberger beschäftigt, verschwindet spurlos; ebenso ein Pfarrer, dem sie sich anvertraut hat. Im Auftrag der Münchner Kriminalpolizei reist der Kunstmaler Gedeon Sckell nach Mittenwald, um der Sache auf den Grund zu gehen...

 

Tödlicher Schnee von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien Jack Kandlbinder ermittelt, Ein Fall für Remigius Jungblut, Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace und Friesland, ist der erste Band der Roman-Serie Detektive wider Willen und ein ebenso spannender wie nostalgischer Spionage-Krimi aus Oberbayern. 

Der Autor

 

Christian Dörge, Jahrgang 1969.

Schriftsteller, Dramatiker, Musiker, Theater-Schauspieler und -Regisseur.

Erste Veröffentlichungen 1988 und 1989:  Phenomena (Roman), Opera (Texte).  

Von 1989 bis 1993 Leiter der Theatergruppe Orphée-Dramatiques und Inszenierung  

eigener Werke,  u.a. Eine Selbstspiegelung des Poeten (1990), Das Testament des Orpheus (1990), Das Gefängnis (1992) und Hamlet-Monologe (2014). 

1988 bis 2018: Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literatur-Periodika.

Veröffentlichung der Textsammlungen Automatik (1991) sowie Gift und Lichter von Paris (beide 1993). 

Seit 1992 erfolgreich als Komponist und Sänger seiner Projekte Syria und Borgia Disco sowie als Spoken Words-Artist im Rahmen zahlreicher Literatur-Vertonungen; Veröffentlichung von über 60 Alben, u.a. Ozymandias Of Egypt (1994), Marrakesh Night Market (1995), Antiphon (1996), A Gift From Culture (1996), Metroland (1999), Slow Night (2003), Sixties Alien Love Story (2010), American Gothic (2011), Flower Mercy Needle Chain (2011), Analog (2010), Apotheosis (2011), Tristana 9212 (2012), On Glass (2014), The Sound Of Snow (2015), American Life (2015), Cyberpunk (2016). 

Rückkehr zur Literatur im Jahr 2013: Veröffentlichung der Theaterstücke Hamlet-Monologe und Macbeth-Monologe (beide 2015) und von Kopernikus 8818 – Eine Werkausgabe (2019), einer ersten umfangreichen Werkschau seiner experimentelleren Arbeiten.  

2021 veröffentlicht Christian Dörge mehrere Kriminal-Romane und beginnt drei Roman-Serien: Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Ein Fall für Remigius Jungblut und Friesland. 

2022 folgen zwei weitere Krimi-Serien: Noir-Krimis um den Frankenberger Privatdetektiv Lafayette Bismarck und München-Krimis mit Jack Kandlbinder, der in der bayrischen Landeshauptstadt die merkwürdigsten Verbrechen aufzuklären hat.

2023 erscheinen Dörges neuen Alben Kafkaland und Lycia, sich entfernen. 

TÖDLICHER SCHNEE

 

  Die Hauptpersonen dieses Romans

 

 

Gedeon Sckell: Maler und Hobby-Detektiv. 

Elisabeth Kleeberger: eine vermeintliche Reisebegleiterin. 

Anton Ofczarek: ein undurchsichtiger Kriminalbeamter aus München.

Andreas Krassnitzer: ein Kriminalbeamter aus Österreich.

Anni Kariolou: Bar-Sängerin. 

Honor Fisher: eine geheimnisvolle englische Lady. 

Klaus Flößer: Sekretär von Dr. Murnberger. 

Maria Stöckl: Krankenschwester. 

Albert Tröxler: Ferienkind. 

Largo Mariani: Offizier bei den Gebirgsjägern. 

 

 

Dieser Roman spielt im Jahr 1963 in Mittenwald und in Garmisch-Partenkirchen.

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Links war eine durchgehende weiße Mauer und auf der anderen Seite nichts als leerer Raum und wirbelnde Schneeflocken. Tief unten konnte man ab und zu ein paar Baumwipfel sehen – ungemütlich tief unten.

Es wurde schon dunkel, und wir kletterten immer noch weiter. Eine halb begrabene rot-gelb gestreifte Schneestange glitt vorüber. Krachend wurde der erste Gang eingelegt, dann quälten wir uns langsam um eine weitere Haarnadelkurve, drehten uns fast auf der Stelle und fuhren dann weiter bergauf. Hier sah man nicht einmal mehr Baumwipfel.

Ich wandte mich rasch vom Fenster ab und versuchte, mich tiefer in meinen Mantel zu verkriechen. Dabei verfluchte ich den Busfahrer mit jeglichem Vorsatz und aller Verbitterung, die ich aufbrachte. Dieser Fahrer warf einen Blick über die Schulter und grinste fröhlich.

»Nicht ganz ungefährlich, wie?«, sagte er.

Ich pflichtete ihm höflich bei, dass mir die Fahrt in der Tat sehr gefährlich vorkäme. Er erzählte mir vergnügt, dass er diese Strecke dreimal am Tag fahre, jeweils hin und zurück, und dass er dabei noch nie abgestürzt sei. Das war zwar beruhigend, aber irgendwann konnte es schließlich zum ersten Mal passieren, und dann wollte ich lieber nicht mit in dem Autobus sitzen. Diese Fahrer der Garmischer Ortsbuslinie mussten durchweg Spitzenkönner sein, für die eine Rallye Monte Carlo nichts weiter als eine hübsche kleine Spazierfahrt war. Ich jedenfalls war eher ein Freund schlichterer und geruhsamerer Vergnügungen.

Ich warf dem anderen Passagier im Bus einen Blick zu. Es war – dem Akzent nach zu urteilen – ein meist stiller Österreicher, der auf der anderen Seite drei Reihen hinter mir saß. Er hatte sich die Pelzmütze über die Ohren gezogen und den Mantelkragen hochgestellt und schien friedlich zu schlafen.

Eigentlich war er ein recht angenehmer Mensch, aber ich fragte mich allmählich, warum er sich so sehr für mich interessierte. Das war zwar recht nett von ihm, aber doch seltsam. Am Münchner Hauptbahnhof war er dicht hinter mir eingestiegen. Nach der Ankunft in Garmisch-Partenkirchen war er mit einem Koffer und einem Paar Ski hinter mir durch den Schnee zur Autobushaltestelle gestapft. Er hatte höflich grüßend genickt und mich zuerst einsteigen lassen. Er war überhaupt außerordentlich höflich, ohne sich jedoch namentlich vorzustellen. Als der Fahrer dann kassierte und ich als Bestimmungsort Mittenwald nannte, hatte er ebenfalls Mittenwald gemurmelt.

Aber ich sah wohl allmählich Gespenster. Er konnte unmöglich wissen, weshalb ich nach Mittenwald fuhr, und es gab wirklich keinen Grund, weshalb er nicht am selben Tag und auf demselben Weg wie ich ebenfalls dorthin fahren sollte. Mittenwald war schließlich einer der hübschesten Wintersportorte in Oberbayern, und Hunderte von Menschen würden sich auf diesem oder jenem Wege dorthin begeben.

Wahrscheinlich zerrte dieser Herr Ofczarek einfach nur an meinen Nerven. Wenn man sich gehenließ, konnten Ofczarek und seine Neugier hinsichtlich des geheimnisvollen Dr. Murnberger sowie dessen menschenfreundlicher Werke der eigenen Phantasie leicht einen Streich spielen.

Wir krochen um die nächste Kurve, die nicht mehr ganz so schlimm war wie die letzten fünf. Dann schaltete der Fahrer in den zweiten Gang, und es ging ein bisschen schneller voran.

Es schneite zwar immer noch, aber man konnte jetzt zumindest sehen, dass wir zwischen halbwegs ebenen Almen dahinrollten, und rechts erkannte ich gerade noch die dunklen Umrisse eines Bauernhofs, der sich in eine Mulde in der Landschaft schmiegte.

Der Fahrer grinste mich wieder an. »Jetzt wird's ein bisschen angenehmer«, sagte er mit einer weit ausholenden Handbewegung und schob sich die Mütze aus der Stirn.

Er hatte einen goldigen Humor. Ich setzte mich bequemer hin und schloss die Augen.

Mein österreichischer Mitpassagier schnarchte gemütlich vor sich hin, und auch ich döste ein wenig ein. Ich machte mir flüchtig ein paar Gedanken darüber, wie Elisabeth auf dieser Fahrt wohl mit den Kindern zurechtgekommen war, und es überraschte mich ein wenig, dass ihr die ersten zwei Wochen hier tatsächlich Spaß gemacht hatten. Dann kam mir wieder der Gedanke, warum uns Ofczarek wohl in die Sache hineingezogen hatte. Wenn er wirklich etwas über Dr. Murnbergers Schrullen herausbekommen wollte, dann standen ihm doch sicherlich geschicktere Leute als Elisabeth und ich zur Verfügung. Wir waren nur zwei Amateure. Aber zweifellos hatte Herr Ofczarek dafür seine Gründe. Sein kalter Münchner Beamten-Verstand tat nichts ohne triftigen Grund.

Dann kam der Bus plötzlich schlitternd zum Stehen. Ich wurde unsanft gegen den Vordersitz geworfen. Noch halb verschlafen hörte ich das wütende Signal der Dreiklanghupe und das laute Fluchen des Fahrers.

Ich setzte mich wieder gerade und blinzelte durch den Halbkreis, den die Scheibenwischer freihielten. Dicht vor uns, im Schnee kaum zu sehen, stand ein großer Wagen mit Skiern auf dem Dach quer über die Fahrbahn.

»Was nun?«, fragte ich.

Der Fahrer gab mir keine Antwort, sondern stand auf und stieg verärgert aus. Er schlug die Tür hinter sich krachend zu, und Sekunden später war draußen eine sehr erregte oberbayerische Unterhaltung im Gang.

Die Sache machte mir Spaß. Der Dialekt war lebendig und poetisch, wenn auch nicht gerade für eine Sentenzen-Sammlung geeignet.

»Er hat ziemlich plötzlich gebremst«, bemerkte der österreichische Herr freundlich. Er machte ein missbilligendes Geräusch mit der Zunge. »Was für eine Sprache!« Vorsichtig balancierte er den Mittelgang entlang und beugte sich vor, um besser hinaussehen zu können. Dann sagte er: »Ach, jetzt sehe ich auch, was passiert ist.« Er kam wieder zurück und setzte sich auf den Platz neben mir, jenseits des Ganges. Anscheinend wollte er den unerwarteten Aufenthalt und die Stille im Autobus ausnutzen. »Sie fahren zum Wintersport nach Mittenwald?«, fragte er.

»Was denn sonst?«

»Fahren Sie gern Ski?«

»Es ist eine hübsche Abwechslung.«

»Das ist doch sicherlich eine typisch deutsche Untertreibung, wie?«

Ich stimmte ihm höflich zu. »Durchaus möglich.«

»Aber Sie nehmen keine eigenen Ski mit?«

»Sie sind so unhandlich und so lang. Man kann sie leicht jemandem über den Schädel hauen.«

»So, so«, murmelte er und nickte. »Ja, das ist natürlich schon schwierig.«

Mir wurde allmählich klar, dass dieser so nette Herr eine gar nicht nette Art hatte, einen zu beobachten. Und ziemlich scharfsinnig schien er auch zu sein.

Der Wagen draußen kroch nun langsam im Rückwärtsgang an uns vorbei. Unser Fahrer stieg wieder ein, brüllte zum Abschied noch eine boshafte Bemerkung über die Schulter und ließ den Motor wieder an.

Der Österreicher fragte: »Wie lange dauert die Fahrt noch?«

Der Fahrer sah ihn über die Schulter an und fauchte: »Bei diesem Mistwetter... das weiß der Himmel.«

»Das ist unhöflich und außerdem nicht korrekt«, sagte der Österreicher. Dann fragte er mich plötzlich: »In welchem Hotel wohnen Sie?«

Ich zögerte, weil ich mir nicht darüber im Klaren war, ob das ein Verhör oder lediglich freundliches Interesse sein sollte. Aber selbst wenn ich es ihm nicht sagte, konnte er es zweifellos leicht herausfinden. Deshalb antwortete ich: »Im Alpenhof.«

»Das ist aber ein angenehmer Zufall.« Er strahlte mich an. »Ich wohne auch dort. Darf ich mich vorstellen?« Irgendwie brachte er eine Verbeugung zustande. Dazu gehört in einem bayerischen Postbus schon eine gewisse sportliche Veranlagung. »Krassnitzer«, sagte er. »Andreas Krassnitzer.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Krassnitzer. Gedeon Sckell.«

Diese Unterhaltung schien kein Ende zu nehmen. Und sie konnte mir außerdem leicht entgleiten. Es wurde also Zeit, wieder einzuschlafen. Ich zog meinen Kragen bis über die Ohren hoch und lehnte mich bedeutungsvoll zurück. Darauf musste Herr Krassnitzer schließlich Rücksicht nehmen. Und Ofczarek sollte auch davon erfahren. Falls es mir wirklich gelang, mich heute Abend mit Herrn Ofczarek zu treffen, würde er mir sicherlich darin recht geben, dass dieser charmante Herr tatsächlich ausgesprochen interessant war.

Wir kamen jetzt gut voran. Die Schneestöcke rauschten nun in rascher Folge an uns vorbei, der Straßenrand war eine einzige, verschwimmende weiße Wand, und gelegentlich kamen wir an ein paar dunklen Häusern mit erleuchteten Fenstern vorüber. Es schneite immer noch, aber nicht mehr ganz so stark. Von dem Schneetreiben schien sogar ein blasses Leuchten auszugehen. Vielleicht schien weiter oben der Mond.

Dann kamen wir in die engen Straßen eines kleinen Orts, zwängten uns um scharfe Kurven, und in kurzen Abständen erklang das Signalhorn. Schaufenster und gemalte Schilder, ein vereister Brunnen, ein heller Laden mit einer dampfenden Espressomaschine glitten vorüber.

»Jetzt dauert's nicht mehr lang«, sagte Krassnitzer.

Ich schnarchte leise, um ihm zu zeigen, dass ich schlief. Es war eine Schande, dass Dr. Murnberger seine seltsame Menschenfreundlichkeit nicht in einem etwas leichter zugänglichen Ort ausübte, und ich fragte mich, ob Elisabeth diese Fahrt mit sechs Kindern wohl Spaß gemacht hatte. Ofczarek hatte mir gesagt, dass sie in Garmisch immer von einem großen Lieferwagen abgeholt würden. Was dieser Dr. Murnberger auch treiben mochte, er schien jedenfalls eine Menge Geld dafür auszugeben. Dadurch wurde die Sache nur noch interessanter.

Flüchtig kam mir der Gedanke, wie Herr Ofczarek selbst wohl nach Mittenwald reisen würde, und ich spielte sogar mit der Idee, dass sich unter seinem großartig geschnittenen Anzug irgendwo ein paar Fledermausflügel versteckten, wie man sie manchmal auf mittelalterlichen Darstellungen des Teufels sieht. Mit dieser hübschen Vorstellung schlief ich zufrieden ein.

 

Herr Krassnitzer weckte mich. Er klopfte mir aufs Knie und sagte: »Das müssen Sie sehen. Es ist so großartig. Außerdem sind wir fast da.«

Es ging jetzt wieder steil nach oben, und der Mond strahlte vom Himmel. Tief unter uns ballten sich noch ein paar Wolken, aber wir krochen in nachtklarer Luft um eine Bergflanke herum. Der Schnee glitzerte in strahlendem Weiß, dazwischen lagen tiefdunkle Schatten, an dem blauschwarzen Himmel strahlten ein paar unglaublich große Sterne, und auf der anderen Seite des Tals erhoben  sich drei gewaltige Gipfel wie grünlich schimmernde Eisberge über uns.

»Herrlich«, stieß Krassnitzer hervor.

Mir selbst kam das Panorama ein wenig beängstigend vor. Ich bin eben ein schlichtes Gemüt und halte mich lieber unter einfachen Menschen auf. Erst als wir die letzte schwindelerregende Kurve hinter uns hatten und auf einen Haufen freundlicher Lichter am oberen Ende des Tals zu krochen, fühlte ich mich wieder etwas wohler.

Dann kamen helle Lampen, ein großer Hof, breite Glastüren und eine erleuchtete Empfangshalle – ein höflicher junger Mann, der mich gewachste Treppen hinauf führte, ein langer, holzgetäfelter Korridor, und danach mein kunstvoll schlicht eingerichtetes Zimmer. Die Wände waren cremefarben, Boden und Decke sowie die Möbel bestanden aus Fichtenholz, und große Fenstertüren führten auf den Balkon hinaus. Genauso hatte ich es mir vorgestellt: rustikale Eleganz und dezenter Luxus, ein Hotel wie aus dem Bilderbuch.

Ich fühlte mich sehr behaglich. Wenn die Bar und die Küche den allgemeinen Eindruck rechtfertigten, konnte es hier recht hübsch werden.

In aller Ruhe packte ich aus und zog mich um. Dabei musste ich an Herrn Ofczarek denken. Ich griff zum Telefon und fragte das Fräulein in der Vermittlung: »Kennen Sie den Gasthof Waldesruh?«

Mit kühler, sachlicher Stimme erklärte sie mir, wo er lag. Sie erkundigte sich, ob ich mit einem Auto hinfahren wollte, und sagte dann: »Man kann auch über einen Bergpfad zu Fuß hingelangen, aber nachts ist das nicht einfach. Zuerst geht man am Hotel Alpenquelle vorbei, dann quer über die Skipisten. Danach führt ein schmaler Weg durch den Wald.«

»Klingt ja aufregend«, sagte ich.

»Es ist vielleicht sogar ein bisschen gefährlich.«

»Aber warum denn? Pfefferkuchenhäuser mit Hexen drin?«

»Die Häuser gibt es vielleicht noch.« Ihre schöne Stimme klang vollkommen ernst. »Aber unsere Hexen sind schon vor einigen Jahren ausgewandert.«

»Aber doch sicher nicht alle«, sagte ich. »Sind Sie denn keine?«

»Ich fürchte nein, mein Herr. Es tut mir leid, aber wir haben ja noch Fräulein Kariolou hier.«

»Fräulein Kariolou?«, fragte ich.

»Ja, Fräulein Anni Kariolou. Manchmal singt sie bei uns in der Après-Ski-Unterhaltung.«

»Das klingt ja faszinierend. Sagen Sie – singen Sie auch?«

»Tut mir leid, mein Herr, ich glaube nicht.«

»Schade«, sagte ich. »Sie sollten’s tun.«

»Wirklich sehr freundlich von Ihnen.«

»Warten Sie nur, bis ich richtig loslege.«

»Das muss recht eindrucksvoll sein. Gute Nacht, mein Herr.« Ihre Stimme klang jetzt ein wenig belustigt. »Stets zu Ihren Diensten.«

Das war eine ausgesprochen charmante junge Frau, und auch das Hotel machte einen sehr charmanten Eindruck. Ich ging mit dem Gefühl nach unten, dass wir es hier sicher alle miteinander sehr hübsch haben würden.

Besonders ich. Wahrscheinlich entpuppte sich Dr. Murnberger als außerordentlich liebenswerter Mann, wenn man ihn erst einmal richtig kennenlernte.

Ich fragte mich zur Bar durch, erklomm einen Hocker und bestellte mir einen Negroni. Der Barmixer sah mich angenehm berührt und ziemlich interessiert an. Ich hatte den Eindruck, dass er in mir einen recht verlässlichen Dauerkunden witterte. Damit mochte er durchaus recht haben. Die Bar war sehr hübsch, und ich nahm mir vor, einige Zeit hier zu verbringen und in aller Ruhe über Dr. Murnberger nachzudenken.

An einem Tisch saß eine Gruppe Teenager. An einem anderen ein sehr seriös wirkendes deutsches Ehepaar, er bei einem Glas Bier, sie bei einem gewaltigen Stück Cremetorte. Dann zwei hübsche, noch recht eckige kleine Mädchen in bereits gehobener Stimmung bei einer Karaffe Wein. Schließlich eine Gruppe Skilehrer. Gleich hinter mir sah ich ein exquisites, aber schmollendes Geschöpf – die langen Beine in wunderbaren Skihosen. Dann ein massiger junger Mann mit kurzgeschnittenem, blondem Haar. Eine elegante Italienerin mit zu kurzem Kleid und dafür zu viel Schmuck. Ein paar Briten, die sich verbittert über ihre Regierung ausließen. Schließlich eine Dame, die sich schon dem Mittelalter näherte, aber immer noch schlank und sportlich wirkte, mit einem unordentlichen Haarschopf und einem Gesicht, das ein bisschen an ein Rennpferd erinnerte. Ich musste sie schon irgendwo auf einem Foto gesehen haben, aber mir fiel nicht mehr ein, wo. Sie starrte mich an, doch als ich ihren Blick erwiderte, sah sie rasch weg.

Eine schrille, kindliche Stimme sagte vorwurfsvoll: »Aber Vater, der Kranzberg-Hang ist doch jetzt das reine Kinderspiel.«

Am anderen Ende der Bar war eine faszinierende junge Dame völlig von Männern umgeben. Sie hielt regelrecht Hof – eine Versammlung der teuren, hübschen, sportlichen Gesellschaft.

Der Barmixer schob mir meinen Drink zu und beobachtete mich, während ich ihn probierte. Als ich zustimmend nickte, murmelte er: »Vielen Dank, mein Herr. Für mich ist das einer der besten Cocktails auf der Welt.«

»Dieser hier ist es bestimmt«, sagte ich.

Es kann nie schaden, wenn man für einen netten Kerl ein paar freundliche Worte übrig hat. Er bedankte sich artig für das Kompliment, dann warf ich einen Blick hinüber zu der exklusiven Gesellschaft und fragte leise: »Fräulein Kariolou?«

»Ja, Fräulein Kariolou.« Das klang nicht sehr begeistert, und mir fiel dabei wieder ein, dass auch das nette Mädchen am Telefon den Namen Kariolou leicht abfällig genannt hatte. Beim Personal schien sie also nicht sehr beliebt zu sein, und ich fragte mich, woran das wohl liegen mochte.

Auf mich machte sie von vornherein einen hinreißenden Eindruck. Sie trug einen schwarz-goldenen Après-Ski-Anzug, der nur wenig der Phantasie überließ. Bei einer solchen Figur konnte man ihr das kaum übelnehmen. Da war es beinahe schlichte Menschenpflicht, sie zu zeigen. Sie hatte ein ovales Gesicht mit vollen Lippen, leicht schrägstehende, grünliche Augen und schimmerndes, rot-goldenes Haar. Und auch wenn sie ihren aufmerksamen Freunden gegenüber die süße Unschuld vom Lande spielte, war sie ganz bestimmt nicht so süß und schon gar nicht unschuldig. Ich fragte mich unwillkürlich, ob sie tatsächlich Sängerin war, oder nur ganz einfach ein Publikum brauchte. Es konnte interessant sein, das herauszufinden.

Ob mir dabei wohl noch viel Zeit für Dr. Murnberger übrigblieb?

Dann sah ich Herrn Krassnitzer hereinkommen. Ich beobachtete ihn verstohlen eine Weile. Er kam mir jünger und härter vor als im Bus. Er hatte zwar ein rundes und recht kindliches Gesicht, aber auch ein Paar ungewöhnlich kalter, scharfer blauer Augen. Schlagartig war mir klar, dass dieser freundliche Herr sicherlich ein harter Bursche war, den man nicht unterschätzen durfte.

Es wurde Zeit, dass ich zum Essen in den Speisesaal ging. Ich trank aus und stand auf. Als ich an ihm vorüberkam, fragte er: »Sie wollen früh essen? Guten Appetit.«

Nach dem Essen ging ich gleich in mein Zimmer hinauf und zog mir Skihosen, schwere Stiefel und einen Anorak an. Es war wieder typisch für Ofczarek, dass er sich mit mir um diese nächtliche Stunde und noch dazu an irgendeinem gottverlassenen Ort halb im Gebirge treffen wollte. Ich war beinahe versucht, die ganze Sache bis zum Morgen aufzuschieben.

Aber ich wollte erfahren, was mit Elisabeth war. Diese Kindertransporte, die sie alle vierzehn Tage herbrachte und wieder nach München zurückbrachte, mochten zwar einfach und harmlos wirken, aber wenn sich Herr Ofczarek dafür interessierte, steckte sicherlich etwas Ernsteres dahinter. Mit einfachen Dingen gab Ofczarek sich nämlich nie ab, und ich wurde das hässliche Gefühl nicht los, dass eine eingehendere Beschäftigung mit Dr. Murnbergers kleinem Spleen am Ende vielleicht doch recht gefährlich werden konnte.

Niemand schien sich für mich zu interessieren, als ich das Hotel verließ. Neben der Karwendel-Spitze trieben ein paar Wolkenfetzen, aber hier unten breitete sich strahlender Mondschein aus. Die Nacht war glitzernd, still und kalt.

Als ich die Lichter und Geräusche des Hotels hinter mir gelassen hatte, war die Gegend wie ausgestorben. Auf den Wegen war der Schnee schön festgetreten, auch wenn er sich zu beiden Seiten emportürmte, und ich kam rasch voran. Nach einer einsamen Strecke mit hohen, dunklen Bäumen hörte ich vom Alpenquelle Tanzmusik und Stimmen, dann folgten wieder Bäume, und aus der Straße wurde ein schmaler Pfad. Schließlich hatte ich vor mir nichts weiter als freie, offene Hänge, und tief unter mir glitzerten die Lichter der Stadt.

Die Skipisten waren vereist und glatt. Einmal glitt ich seitwärts ab und steckte bis an die Hüften im weichen Schnee. Aber ich brauchte nicht lange, bis ich die Föhren oberhalb der Stadtgrenze erreicht hatte.

Der Pfad schlängelte sich beinahe eben um eine Bergflanke herum, aber das Tal unter mir senkte sich immer tiefer hinab. Ich stand jetzt schon hoch über der St.-Peter-und-Paul-Kirche und hatte den Eindruck, dass Straße und Bach sehr steil talwärts führten. Gut zwanzig Meter unter mir sah ich einen Schornstein und die halb im Schnee begrabenen Dächer eines Bauernhofs, der sich an den Hügel schmiegte. Es roch nach Holz und Vieh, alles in allem eine friedliche Idylle.

Erst im Wald merkte ich, dass mir jemand folgte. Es war eine Szene wie aus einem dramatischen Theaterstück: Harte Gegensätze von weiß und schwarz, Streifen von grünem Mondlicht, Bäume, die sich wie Säulen in den Himmel erhoben und ab und zu eine Wolke Schnee von ihren Zweigen schüttelten, der dann wie Diamantstaub in der regungslosen Nachtluft glitzerte. Ich war stehengeblieben, um durch eine lange Schneise zu den Scheinwerfern eines herankommenden Wagens unten auf der Straße gut zweihundert Meter unter mir hinunterzusehen, da hörte ich hinter mir ganz deutlich das Knirschen von Schritten auf dem gefrorenen Schnee.

Ich drehte mich rasch um, konnte aber im Schatten nichts erkennen. Es war kein anderes Geräusch zu hören. Nach einer Weile ging ich wieder weiter und sagte mir, dass es durchaus auch noch andere Menschen geben konnte, die meine ausgefallene Vorliebe für Mondscheinspaziergänge im Gebirge teilten.

Aber dann blieb ich unvermittelt hinter einem großen Felsbrocken stehen. Ich sah etwas Dunkles von einem Schatten zum nächsten huschen. Danach war wieder alles still und regungslos. Es war geradezu makaber. Ein Versteckspiel in einem nächtlichen Märchenwald.

Ich ging wieder weiter. Aber etwas war mir klar: Ofczarek würde es sicher nicht recht sein, wenn es sich herumsprach, dass er sich hier oben versteckte. Mich selbst störte die Sache auch. Ich war es bald leid, verfolgt zu werden. Wenn mir also dieser Herr oder dieser Schatten oder was es auch war wirklich nachstieg, dann musste ich ihn abschütteln. Ich wollte ihm noch eine Chance geben, herauszukommen und sich ganz ehrlich zu zeigen. Danach würde es dann lustiger werden.

Vor mir lag wieder ein offenes Schneefeld, hell vom Mond beschienen, und der Pfad führte geradewegs über einen um sechzig Grad geneigten Hang. Weiter unten standen Büsche und Bäume.

Ich überquerte den Hang vorsichtig und ohne besondere Eile. Auf der anderen Seite glitt ich wieder in den Schatten und wartete. Ich musste lange warten. Ich glaubte schon allmählich, dass ich mir alles nur eingebildet hatte, und wollte gerade weitergehen, da tauchte er endlich auf. Er kam fast im Laufschritt über die freie Strecke herüber, und ich weiß noch, wie ich flüchtig dachte: So möchte ich nicht über diesen Hang rennen. Geduckt, als scheute er das Licht, kam er näher. Ich ließ ihn schön herankommen, dann trat ich aus der Deckung.

Bei meinem Anblick blieb er so plötzlich stehen, dass er fast das Gleichgewicht verlor. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich schon, er würde hinuntersegeln, ohne dass ich nachzuhelfen brauchte.

Ich ging langsam auf ihn zu. »Was wollen Sie von mir?«, fragte ich.

Es war nicht Herr Krassnitzer. Der Mann war jünger und sah aus, als ob er von hier stammte. Er wirkte hart und drahtig, und was ich tat, war eigentlich Irrsinn. Wenn ich nicht ungewöhnliches Glück hatte oder sehr raffiniert vorging, dann war ich für diesen Burschen, der sich hier bestens auskannte, kein gleichwertiger Gegner.

Eine Sekunde lang starrten wir einander an. Dann murmelte er etwas, das ich aber nicht verstehen konnte, trat zurück, weg von der gefährlichen Kante, in den tieferen Schnee.

»Was zum Teufel wollen Sie?«, fragte ich noch einmal. Wieder standen wir da, und keiner von uns wusste so recht, was er machen sollte. Wenn er ganz offen an mir vorübergegangen oder kehrtgemacht hätte, so hätte ich es gut sein lassen. Aber ich rutschte aus. Bei der plötzlichen Bewegung, die ich machte, um das Gleichgewicht wiederzubekommen, schlug er halb instinktiv auf mich los. Ich duckte mich und ließ mich auf ein Knie fallen. Für einen Augenblick verlor er die Balance und beugte sich schwankend über mich. Ich griff nach einem seiner Beine und zog daran. Unter meinen Händen spürte ich rauen, derben Wollstoff. Ein kräftiger Ruck, und er kippte zurück und verschwand.

Im Nu war alles vorbei. Ich lag halb, die Arme und Schultern im Schnee, und sah ihn jetzt ganz klar hinunterrutschen und rollen, bis es immer schneller und schneller ging und er eine breite, deutliche Spur in den Schnee grub. Erschrocken überlegte ich, ob ich ihn wohl getötet hatte. Ich lag da und sah ihm nach und überlegte dabei, was ich jetzt machen sollte.

Dann hörte ich ein Knacken, als er unten den Streifen Gebüsch erreichte. Ich schob mich langsam auf den Knien hoch. Es dauerte endlos lange, bevor er sich bewegte. Aber schließlich stand er mühsam auf, bis an die Hüfte im Schnee, und schüttelte den Schädel wie ein Hund. Nach einer Weile begann er zu mir heraufzuklettern. Dabei musste er unter dem weichen Schnee nach Halt suchen.

Selbst bei dieser Beleuchtung sah ich kalte, nackte Mordlust in seinem Gesicht.

Rasch raffte ich mich wieder auf. Es würde wohl einige Zeit dauern, bis er hier oben war, und es war sinnlos, auf ihn zu warten.

Danach gab es keine Schwierigkeiten mehr – kein Geräusch, keine Bewegung, nur die Schneekristalle, die glitzernd von den Bäumen fielen. Ich blieb ein paarmal stehen und sah mich um, aber hinter mir war niemand. Dann leuchteten vor mir Lichter durch die Bäume, und ich erreichte den Gasthof, der auf eine Felsterrasse gebaut war.

Ich richtete mich nach Ofczareks Anweisungen, erreichte einen Weg, der in rechtem Winkel bergab führte und entdeckte bald das kleine, aus Holzbalken errichtete Berghaus, das sich unter dunklen Tannen halb versteckte. Ich überquerte die Veranda und zog an dem schmiedeeisernen Glockengriff.

Ein paar Sekunden später lächelte mich ein hübsches, kleines, flachshaariges Mädchen an. Es machte einen Knicks und fragte: »Bitte?«

Ich sagte ihr, dass ein Freund von mir hier wohne. Es roch nach brennendem Holz und Bohnerwachs.

»Bitte, kommen Sie mit«, sagte sie und führte mich durch einen holzgetäfelten Flur. Dann öffnete sie eine Tür, die in ein kleines, ebenfalls getäfeltes Zimmer mit einem fröhlich knisternden, offenen Kaminfeuer führte.

Hier erwartete mich Herr Ofczarek. Er hockte da wie der alte Zauberer in der Blockhütte und las die Süddeutsche Zeitung.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

»Ich habe Sie früher erwartet«, sagte er.

Das war ja eine hübsche Begrüßung. Ich antwortete: »Es wird Sie vielleicht schockieren, aber ich habe zunächst eine Mahlzeit zu mir genommen. Außerdem gab es eine kleine Verzögerung: Ich bin auf dem Weg hierher verfolgt worden.«

Er sah mich ausdruckslos an, faltete dann die SZ zusammen und legte sie auf den Tisch. »Sie wurden verfolgt? Von wem?«

»Ich glaube, es muss jemand aus dem Ort gewesen sein.«

»Aha. Die ganze Strecke?«

»Nicht ganz. Ich hielt es für besser, etwas dagegen zu unternehmen. Ungefähr zwei Kilometer von hier gibt es eine unangenehme Stelle, einen schmalen Pfad und ziemlich steil. Dort... habe ich ihn über die Kante gestoßen.«

Er sah mich eine ganze Weile an, dann sagte er sehr leise: »Wir haben jetzt minus fünfundzwanzig Grad. Ist Ihnen klar, dass jemand, der auch nur leicht verletzt ist, innerhalb weniger Stunden tot ist? Mir wäre es lieber, Sie würden Komplikationen vermeiden, Herr Sckell.«

Ofczarek reizte mich auch sonst schon, aber diesmal machte er mich richtig wütend. Ich sagte: »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Sollte in ein paar Stunden jemand tot sein, dann werde ich es sein. Als ich den Kerl zuletzt sah, war er ausgesprochen lebendig und ziemlich schlecht gelaunt. Ich habe den Eindruck, dass er bei unserer nächsten Begegnung eine Axt unter seinem Anorak tragen wird.«

Er setzte sein kühles Lächeln auf. »Ich muss zugeben, dass ich das gern höre.«

»Nett von Ihnen, wirklich freundlich.«

»Mir ist es lieber, dass der Kerl nicht verletzt wurde.« Er seufzte. »Die Sache ist wirklich ärgerlich. Ich hatte gehofft, dass Sie so unauffällig wie möglich hierher kommen würden.«

»Da muss ich Sie wieder enttäuschen«, sagte ich. »Von München aus hat mich ein außerordentlich charmanter Herr begleitet.« Ich erzählte ihm alles über Herrn Krassnitzer. Er hörte mir gelassen zu, als ich betonte: »Eines steht fest: Er ist kein Wintersportler. Dafür zeigt er sich viel zu interessiert. Er verfolgt einen bestimmten Zweck, und...« Ich hielt eine Sekunde inne, um meinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »...er könnte mir sehr wohl diesen Schatten auf die Fersen gesetzt haben. Sie wissen genau, was das bedeutet.«

»Ausgeschlossen«, sagte er. »Dafür hat er keine Veranlassung. Darüber muss ich wirklich einmal nachdenken.« Er trommelte mit den Fingern auf seine Sessellehne und starrte ins Feuer. Nach einer Weile sagte er: »Inzwischen könnten Sie mir einmal zeigen, wie der Mann aussieht.« Er bückte sich und holte aus seiner unvermeidlichen Aktenmappe einen leeren Zeichenblock. »Genügt Ihnen das Licht hier?«, fragte er entgegenkommend.

---ENDE DER LESEPROBE---