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In einer kalten Februar-Nacht im London des Jahres 1966: In der Nähe eines U-Bahnhofs wird die halbnackte Leiche der Tänzerin und Filmschauspielerin Maria Sabrehm gefunden - augenscheinlich wurde die junge Frau, bekleidet nur mit einem Salome-Kostüm, erwürgt. Die Leiche trägt einen wertvollen Platinring, zwei Diamantringe und überaus kostbare Perlen - somit ist ein Raubmord mehr als unwahrscheinlich. Handelt es sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft? Chefinspektor Dick Alford von Scotland Yard nimmt die Ermittlungen auf... Der Roman DIE PERLEN DES TODES von Christian Dörge, Autor u. a. der München-Krimis um die Privatdetektive Jack Kandlbinder und Remigius Jungblut, ist der achte Band einer Reihe, die sich als Hommage an die Kriminal-Romane von Edgar Wallace (* 1. April 1875; † 10. Februar 1932), des Meisters der Hochspannung, sowie an die legendären Rialto-Filme der 1960er Jahre versteht.
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CHRISTIAN DÖRGE
DIE UNHEIMLICHEN FÄLLE
DES EDGAR WALLACE:
DIE PERLEN DES TODES
Roman
Signum-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Der Autor
DIE PERLEN DES TODES
Die Hauptpersonen dieses Romans
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel
Zweiunddreißigstes Kapitel
Dreiunddreißigstes Kapitel
Vierunddreißigstes Kapitel
Fünfunddreißigstes Kapitel
Sechsunddreißigstes Kapitel
Siebenunddreißigstes Kapitel
Copyright © 2023 by Christian Dörge/Signum-Verlag.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg
Cover: Copyright © by Christian Dörge.
Verlag:
Signum-Verlag
Winthirstraße 11
80639 München
www.signum-literatur.com
In einer kalten Februar-Nacht im London des Jahres 1966:
In der Nähe eines U-Bahnhofs wird die halbnackte Leiche der Tänzerin und Filmschauspielerin Maria Sabrehm gefunden - augenscheinlich wurde die junge Frau, bekleidet nur mit einem Salome-Kostüm, erwürgt. Die Leiche trägt einen wertvollen Platinring, zwei Diamantringe und überaus kostbare Perlen - somit ist ein Raubmord mehr als unwahrscheinlich. Handelt es sich um ein Verbrechen aus Leidenschaft?
Chefinspektor Dick Alford von Scotland Yard nimmt die Ermittlungen auf...
Der Roman Die Perlen des Todes von Christian Dörge, Autor u. a. der München-Krimis um die Privatdetektive Jack Kandlbinder und Remigius Jungblut, ist der achte Band einer Reihe, die sich als Hommage an die Kriminal-Romane von Edgar Wallace (* 1. April 1875; † 10. Februar 1932), des Meisters der Hochspannung, sowie an die legendären Rialto-Filme der 1960er Jahre versteht.
Christian Dörge, Jahrgang 1969.
Schriftsteller, Dramatiker, Musiker, Theater-Schauspieler und -Regisseur.
Erste Veröffentlichungen 1988 und 1989: Phenomena (Roman), Opera (Texte).
Von 1989 bis 1993 Leiter der Theatergruppe Orphée-Dramatiques und Inszenierung
eigener Werke, u.a. Eine Selbstspiegelung des Poeten (1990), Das Testament des Orpheus (1990), Das Gefängnis (1992) und Hamlet-Monologe (2014).
1988 bis 2018: Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literatur-Periodika.
Veröffentlichung der Textsammlungen Automatik (1991) sowie Gift und Lichter von Paris (beide 1993).
Seit 1992 erfolgreich als Komponist und Sänger seiner Projekte Syria und Borgia Disco sowie als Spoken Words-Artist im Rahmen zahlreicher Literatur-Vertonungen; Veröffentlichung von über 60 Alben, u.a. Ozymandias Of Egypt (1994), Marrakesh Night Market (1995), Antiphon (1996), A Gift From Culture (1996), Metroland (1999), Slow Night (2003), Sixties Alien Love Story (2010), American Gothic (2011), Flower Mercy Needle Chain (2011), Analog (2010), Apotheosis (2011), Tristana 9212 (2012), On Glass (2014), The Sound Of Snow (2015), American Life (2015), Cyberpunk (2016), Ghost Of A Bad Idea – The Very Best Of Christian Dörge (2017).
Rückkehr zur Literatur im Jahr 2013: Veröffentlichung der Theaterstücke Hamlet-Monologe und Macbeth-Monologe (beide 2015) und von Kopernikus 8818 – Eine Werkausgabe (2019), einer ersten umfangreichen Werkschau seiner experimentelleren Arbeiten.
2021 veröffentlicht Christian Dörge mehrere Kriminal-Romane und beginnt drei Roman-Serien: Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Ein Fall für Remigius Jungblut und Friesland.
2023 erscheinen seine neuen Alben Kafkaland und Lycia, sich entfernen.
Künstler-Homepage: www.christiandoerge.de
Richard – genannt Dick – Alford: Chefinspektor bei Scotland Yard, der bekannteste Ermittler seiner Zeit. Wohlbeleibt, den Genüssen des Lebens zugeneigt (und mit einer tiefen Abneigung gegen das Treppensteigen gesegnet), ein kultivierter Mann in den 50ern von freundlichem Wesen und scharfem Verstand (und mit einem beachtlichen Schnurrbart).
John Higgins: Sergeant bei Scotland Yard und Assistent von Dick Alford. 35 Jahre alt, passionierter Pfeifen-Raucher, ehrgeizig und mitunter impulsiv, aktiver Boxer und höchst kompetenter Kriminalist.
Bryan Wesby: Sergeant bei Scotland Yard, zweiter Assistent von Dick Alford. 40 Jahre alt, hochgewachsen und hager. Ein pedantischer und ausgesprochen effektiver Ermittler, verschlossen und nicht eben gesellig (was auch an seiner Vorliebe für Zigarren liegen mag).
Mark Bannister: Constable bei Scotland Yard, Spezialist für Tatort-Ermittlungen und Spurensicherung.
Sir Archibald Morton: Chef von Scotland Yard und Vorgesetzter von Dick Alford. Durchaus kein hervorragender Kriminalist, pflegt er Kontakte in allerhöchste gesellschaftliche Kreise und hält große Stücke auf den Chefinspektor und dessen Fähigkeiten. Liebhaber der schönen Künste.
Paul Sabrehm: ein wohlhabender Rennstallbesitzer.
Maria Sabrehm: Tänzerin und Filmschauspielerin, Paul Sabrehms Ehefrau.
Jane Clifton: Hausmädchen.
Clotilde Mornay: Kunstmalerin.
Victor Redfern: Regisseur und Filmproduzent.
Bernice Ventura: Schauspielerin.
Jefferson Gilyard: Künstler.
Simon Darkwood: Privatdetektiv.
Dieser Roman spielt im London des Jahres 1966.
Durch rötlich-braune Wolken warf eine matte Wintersonne ihre ersten fahlen Strahlen auf das öde Baugelände. Der etwa fünfzig Quadratmeter große Platz war mit Unkraut bewachsen und voller Schutt, der seit langem nicht mehr weggeräumt worden war. Es war unangenehm kalt.
In einer baufälligen Hütte ohne Tür beugte sich Chefinspektor Dick Alford über die Leiche der Frau. Die Frau lag auf Brust und Bauch, doch ihr bläuliches Gesicht war zum Teil sichtbar. Ihr blonder Kopf war halb zur Seite gewandt; ihre Hände waren offen, die Finger nicht verkrampft; sie erinnerte in ihrer Lage an eine Puppe, die ein unartiges Kind zu Boden geworfen hat. Unter dem dunklen Nerzmantel war die zierliche, kleine Frau fast nackt. Von der Taille ab ein unechter, orientalischer Rock, Teil eines Maskenkostüms aus dünner Gaze, mit falschen Perlen und Pailletten besetzt. Er ließ die Beine in den seidenen Strümpfen frei. An den Füßen wildlederne Schuhe mit hohem Keilabsatz.
Dick Alford kniete neben der Leiche. Sorgfältig untersuchte er die Schuhsohlen. Er untersuchte den zarten Hals, nahm ein paar Nesselblätter von dem dünnen, schwarzen Rock, fand Lehmspuren und ein kleines Loch im Rock oberhalb der Knie. Er hob die kleinen Hände hoch, eine nach der anderen: ein Ehering aus Platin und zwei augenscheinlich sehr wertvolle Diamantringe. Unter den spitzen rotgefärbten Nägeln stellte er Wollfäden fest, die er durch eine Lupe genauer betrachtete, dann in einem Umschlag verwahrte, den er in seine Tasche steckte. Immer noch kniend, beugte er sich tiefer über das Gesicht der Toten. Akoholgeruch und der Duft kostbaren Parfüms strömten ihm entgegen. Er untersuchte Lippen und Zähne. Dann hob er vorsichtig die Leiche auf die Seite und untersuchte den Boden. Schließlich stand er auf, seufzte, blickte um sich und summte vor sich hin.
Etwa vierzig Meter entfernt gingen auf der Straße, die zur U-Bahn-Station Belsize Park führte, zwei Polizisten in Uniform auf und ab, obwohl zu dieser frühen Morgenstunde mit Neugierigen nicht zu rechnen war.
Ein großer, hagerer Mann mit mephistophelischem Gesicht, mit einem schwarzen Regenmantel bekleidet, kam durch das harte Gras.
»Morgen, Chef«, sagte Bryan Wesby. »Haben nicht lange auf sich warten lassen... Die Frau wurde erstickt, wahrscheinlich erwürgt. Salammbo oder Salome? Mord aus Eifersucht. Meinen Sie nicht auch?«
Der Chefinspektor wandte sich um. »Vermutlich, Bryan. Sie wurde in der Hütte erstickt. Aber wie kam sie in die Hütte? Gegangen ist sie nicht. Und bevor sie in die Hütte getragen wurde, hat sie irgendwo gelegen. Vielleicht nur kurze Zeit. Irgendwo im hohen Unkraut.«
»Ganz richtig, Chef. Sie lag drüben, in der Nähe des Tümpels, wo John Higgins gerade steht. Dort wurden Autospuren festgestellt. Michelin-Reifen an den Hinterrädern. Radabstand 1,42 Meter.«
»Ein italienischer Fiat? Wollen uns das mal ansehen, Bryan.«
Die zwei Männer hatten unterdessen die Hütte verlassen und gingen durch das buschige Gras zu dem Tümpel, wo ein athletisch aussehender junger Mann in englischem Tweedanzug mit Bleistift und Zeichenpapier arbeitete.
Sergeant John Higgins begrüßte seinen Vorgesetzten. »Guten Morgen, Chef. Herrlicher Morgen. Wurde wahrscheinlich hier aus dem Auto geworfen. Ihre Handtasche liegt in den Nesseln. Dann erholte sie sich so weit, dass sie sich auf die Knie erheben konnte. Der Lehmboden ist etwas feucht. Aber in dem Gras habe ich vergeblich nach Fußspuren gesucht...«
»Was, zum Teufel, ist geschehen?«, fragte Wesby. »Wurde sie im Auto halb erstickt, dann hinausgeworfen und erledigt, als sie noch Lebenszeichen gab? Das wäre... allerhand!«
»Vermutlich lag sie eine Zeitlang drüben im Unkraut«, erwiderte John. »Vielleicht bekam der Kerl Gewissensbisse – zumindest anfänglich. Sie kam zu sich – vielleicht sogar mit seiner Hilfe. Dann gab’s wieder Krach – Eifersucht –, und darauf erledigte er sie. Was sagen Sie dazu, Chef?«
Dick Alford hörte sich wortlos seine beiden Theoretiker an. Dann hob er die kostbare Ledertasche der Frau auf. Er untersuchte sie, roch an ihr und legte sie wieder exakt dorthin, wo sie gelegen hatte. Er kniete nieder und kroch durch das Gras wie ein Terrier auf Rattenjagd. Dann und wann knipste er seine Taschenlampe an. Von der Stelle, wo im Unkraut die Autospuren zu sehen waren, bewegte er sich in immer weiteren Kreisen.
Seine zwei Untergebenen kamen näher und sahen ihm zu.
John Higgins hatte sein Zeichnen unterbrochen. »Vor allem ist festzustellen«, meinte er, »ob die Frau erst im Auto erstickt wurde. Ist das der Fall, dann hat sie die Fahrt fast nackt, nur im Pelz, angetreten. Was führte die Frau im Schilde – jetzt, im Februar?«
»Ihr Geliebter wird sie wohl gewärmt haben«, entgegnete Wesby. »Sie haben zum Abendessen fine champagne getrunken. Ein ganz hervorragender Cognac. Dann haben sie eine Fahrt zum Hyde Park unternommen, obwohl sie unter dem Pelz nichts als ein paar Perlen trug. Tolle Idee. Aber bei derartigen Festivitäten nicht weiter auffallend. Enden oft so. Dann Krach. Ein jähzorniger Liebhaber. Das Resultat haben wir jetzt vor uns.«
Bryan Wesbys Stimme klang böse. Mit dem langen Zeigefinger kratzte er sich das unrasierte Kinn und sah seinen Vorgesetzten fragend an.
Dick Alford erhob sich und säuberte sorgfältig Hose und Mantel. Dann streckte er seine gebräunte unbehandschuhte Hand aus, in der zwei perlmuttfarbene Dinge lagen.
»Perlen – du lieber Gott«, sagte John Higgins verlegen. »Verflucht. Und dabei habe ich hier alles genau abgesucht.«
»Am Hals der Frau sind Kratzspuren«, bemerkte Bryan Wesby.
Der Chefinspektor nickte, während er auf die Perlen biss. »Ganz richtig, Bryan. Die Perlenkette wurde ihr vom Hals gerissen. Die Perlen sind echt. Haben Sie Geld in der Handtasche gefunden?«
»Raub kommt als Motiv nicht in Frage«, mischte sich John ein. »Sie trägt zwei kostbare Ringe an den Händen... vom Nerzmantel ganz zu schweigen.«
»Vielleicht«, mutmaßte Wesby, »war der Kerl ein Gigolo, der Geld brauchte. Er konnte ihr die Ringe nicht von den Fingern ziehen, weil er es zu eilig hatte. Vielleicht wurde er auch gestört. Der Nerzmantel... das war zu gefährlich. Er könnte ihn nur schwerlich zu Geld machen.«
»Natürlich war sie mit einem Geliebten zusammen«, erwiderte John. »Im Auto hat sie sich den Flitterkram bestimmt nicht angezogen. Vielleicht kommen zwei Täter in Frage: Der Geliebte bringt sie um, und irgendein Strolch findet die Leiche und raubt sie aus. Was sagen Sie dazu, Chef?«
»Möglicherweise ist Raub nur vorgetäuscht«, entgegnete Wesby, »um das Verbrechen aus Leidenschaft zu tarnen. Auf der Straße haben wir noch die Reifenspuren eines zweiten Wagens gefunden. Ein schwedischer Volvo. Vielleicht machen wir auch davon Abdrücke, obgleich ich kaum glaube, dass in diesem Fall zwei Wagen eine Rolle spielen...«
Dick knurrte. Er strich sich mit dem Daumen über den Schnurrbart, erst nach rechts, dann nach links, summte und starrte nachdenklich vor sich hin.
»Tatsachen«, betonte er. »Wir brauchen Tatsachen. Beenden Sie Ihre Skizze, John. Vor allem genaue Entfernungen: vom Tümpel bis zu den Nesseln und von beiden bis zu der Hütte. Weiter nichts. Alles andere besorgen Bannister und seine Leute. Und dann muss der Tümpel ausgepumpt werden.« Er nahm eine kleine Schachtel aus der Manteltasche und legte die zwei Perlen hinein.
Von Wesby begleitet, ging der Chefinspektor zu der Hütte zurück.
»Vor allem müssen wir den Fiat finden«, sagte Wesby, »und die Identität der Frau möglichst schnell feststellen. Vielleicht Schauspielerin oder Tänzerin. Ziemlich hübsch. Gute Figur... Muss viel Geld verdient oder es sich auf andere Weise verschafft haben.«
Der Chefinspektor nickte geistesabwesend. Die Sonne stand jetzt höher und warf zitronengelbe Strahlen, die aber kaum wärmten. Irgendwo am Himmel dröhnte ein Flugzeug, der Motor spuckte, dröhnte dann wieder. Auf der Belsize Avenue raste ein großes schwarzes Auto auf sie zu.
»Die Technische Abteilung, Bryan«, murmelte Alford. »Wahrscheinlich ist auch der Arzt dabei...« Er betrat die Hütte und kniete neben der Leiche nieder.
Bryan Wesby folgte ihm. »Seltsam«, meinte Wesby. »Wie wichtig ein Mensch werden kann, wenn er tot ist.«
Sir Archibald Morton, der Chef von Scotland Yard, blickte auf, als Dick Alford sein Büro betrat, das eher einem Wohnzimmer glich.
»Guten Morgen, Chefinspektor. Eine üble Geschichte. – Rauchen Sie? – Ist die Ermordete bereits identifiziert?« Er öffnete die zweite Schublade auf der linken Seite seines Schreibtisches und nahm eine Zigarrenkiste heraus. Dick bediente sich.
»Maria Sabrehm, geborene Lansdown«, erwiderte er. »Wir bewegen uns sozusagen in allerfeinster Gesellschaft.« Seine starken braunen Finger drückten an der Zigarre, bis das Deckblatt platzte.
»Du lieber Gott, Maria Sabrehm!« Die dünnen Brauen des Polizeichefs zuckten in die Höhe. »Die Frau von Paul Sabrehm, dem Rennstallbesitzer?«
Dick nickte. »Leben seit einem Jahr getrennt.« Er zündete die Zigarre an.
Der Polizeichef, der bereits rauchte – eine andere Sorte – machte ein bekümmertes Gesicht.
»Die Dame«, fuhr Dick fort, »wurde heute Morgen vor Tagesanbruch auf einem Baugelände unweit der U-Bahn-Station Belsize Park von einer Mrs. Blanchet, gut beleumundet und in dem Viertel sehr bekannt, tot aufgefunden. Die Blanchet ist in Ordnung, arm, aber ehrlich. Maria Sabrehm starb gegen zwei Uhr morgens, vielleicht etwas früher. Sie wurde erstickt. Mit einem Mantel aus lederfarbener Wolle feinster Qualität. Ich fand Wollspuren unter den Fingernägeln und in den Zähnen. Sie hat sich also gewehrt. Man brachte sie in einem italienischen Fiat zu dem Baugelände. Spuren des Wagens wurden auf der Einfahrt zum Grundstück gefunden. Das sind die bisherigen Ergebnisse. Auch wenn sich später herausstellen sollte, dass bei diesem Mord zwei Täter in Frage kommen, von denen der eine mit dem Wagen nichts zu tun hat.«
»Zwei Täter?«
»Sie lag zuerst kurze Zeit in dem Unkraut. Wahrscheinlich bewusstlos. Aber nicht tot. Dann erhob sie sich auf die Knie. Erst später wurde sie erstickt, in einer Hütte, die achtzehn Meter von der ersten Stelle entfernt ist. Wo der Fiat hielt, lag ihre Handtasche, ohne Geld. Ich fand zwei Perlen – echte Perlen – und dazu Anzeichen, die darauf hindeuten, dass ihr eine Kette vom Hals gerissen wurde.«
»Also Raubüberfall.« Sir Archibald atmete erleichtert auf. »Also Raubmord. Vielleicht ist Ihre Mrs. Blanchet doch nicht so ehrlich. Ihre Armut indes... bestreite ich nicht.«
Dick schüttelte den Kopf. »Wir kennen Mrs. Blanchet genau. Ihre Angaben wurden überprüft. Sie hat ihre Entdeckung sofort gemeldet, zuerst dem Besitzer des Cafés in der Nähe, der umgehend die Zentrale anrief. Fünf Minuten später wusste ich in Stratford Bescheid. Eine halbe Stunde später war ich an Ort und Stelle. Higgins und Wesby waren bereits dort. Wesby vernahm Mrs. Blanchet und ist mit ihrer Aussage zufrieden. Ich ebenso. Obwohl Diebstahl durchaus möglich wäre.«
»Wenn Sie zufrieden sind, Chefinspektor...«
»Natürlich dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass Diebstahl durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Ich habe festgestellt, dass Maria Sabrehm gestern zwanzigtausend Pfund von ihrem Konto abhob. Das Geld wurde bisher nicht gefunden. Ihre Handtasche enthielt kein Geld. Außerdem scheinen echte Perlen verschwunden zu sein. Aber trotzdem halte ich es für einen Mord im Affekt, bei dem dann später etwas gar zu flüchtig Raub vorgetäuscht wurde. Vergessen Sie nicht, dass die Dame halbnackt war, als sie getötet wurde. Und was die sexuelle Seite des Falles angeht, hat unser medizinischer Sachverständiger festgestellt, dass Maria durchaus einverstanden war. Sie hat sich nur gegen den Tod durch Ersticken gewehrt.«
»Wirklich? Mir kommt das Ganze recht unwahrscheinlich vor. Ich bin Mrs. Sabrehm öfter in Gesellschaft begegnet...«
Dick nickte verständnisvoll. »Scheußlich«, stimmte er zu. »Wenn man das Opfer eines Mordes persönlich kennt, packt einen das ganz besonders. Ist Ihnen auch Paul Sabrehm bekannt?«
Die Augen der beiden Männer begegneten sich. Nervös ergriff der Polizeichef ein geschnitztes hölzernes Papiermesser und drückte dessen Spitze gegen seinen Daumen.
»Selbstverständlich kenne ich ihn. Wir sind beide Mitglieder des PaddockClubs. Wir kennen uns, aber befreundet... sind wir nicht. Sabrehm hat übrigens, soviel ich weiß, kaum Freunde.«
Dick nickte und strich sich mit dem Daumen über den Schnurrbart. »Duelliert sich gern, soviel ich gehört habe. Soll einen seiner Gegner getötet haben.«
Wieder sahen sich die beiden Männer an. Dann blickte Sir Archibald zur Seite und zuckte mit den Schultern. »Sabrehm ist Sportsmann und ein ausgezeichneter Fechter.«
»Und ein Mann, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Vor ein paar Jahren erschoss er doch den Redakteur der Justitia. Man behauptet, Sabrehm hätte ihn nicht zu treffen brauchen. Aber er wollte den Mann treffen, das hat er selbst vorher geäußert. Wenn auch in geregeltem Zweikampf.«
»Ganz recht, Chefinspektor. Ich kenne zufällig die Einzelheiten – oder wenigstens zum größten Teil. Ja, Sabrehm hat Bertram Ward erschossen, der selbst mit Pistole und Degen ausgezeichnet umgehen konnte. Aber seine Feder war noch gefährlicher als sein Degen, denn er benutzte sie zu Erpressungen.«
»Das wusste ich nicht.«
»Aber es entspricht den Tatsachen. Die meisten von uns halten Sabrehm für einen Ehrenmann, der damals lediglich mehr Glück hatte. Der Earl of Brixan war Sabrehms Sekundant, Jackson der von Ward... Wer sonst noch dabei war, habe ich vergessen, jedenfalls verlief alles genau nach Vorschrift.«
»Paul Sabrehm hat also getötet, allerdings auf dem Felde der Ehre. Reizend! Eine Frau kann man nicht fordern; weder auf Pistolen und Säbel, noch mit Boxhandschuhen. Nicht einmal seine eigene Frau. Ganz einerlei, was sie tut. Auch nicht, wenn sie verrückt wird, halbnackt auf der Bühne tanzt oder sich, nur mit ein bisschen Flitterkram bekleidet, mit einem Liebhaber herumtreibt. Daraus ergibt sich von selbst die Frage: Wie verhält sich in diesem Fall der duellfreudige Ehemann?«
Sir Archibald betrachtete das Papiermesser auf dem Tisch. »Ich habe nie etwas Nachteiliges über Paul Sabrehm gehört. Der Vorstand des Paddock-Clubs ist in dieser Hinsicht sehr empfindlich. Ich persönlich halte Sabrehm für einen ausgezeichneten Sportsmann, der sich körperlich und seelisch in der Gewalt hat... Sie sprachen eben von Perlen und zwanzigtausend Pfund, die fehlen – das deutet doch zweifellos auf Raub als Motiv.«
Dick Alford lächelte. »Vorläufig glaube ich noch, dass die verschwundenen Perlen und das fehlende Geld die Polizei irreführen sollen. Zwei wertvolle Ringe blieben an der Hand der Toten, von dem kostbaren Pelzmantel ganz zu schweigen.«
»Gleichwohl...«
»...müssen wir sachlich rekonstruieren: Die Dame wird, wahrscheinlich bewusstlos, aus dem Auto geschafft, kommt zu sich und erhebt sich auf die Knie. Dann wird sie in die achtzehn Meter entfernte alte Hütte gebracht. Dort wird sie erstickt. Mit einem Mantel. Höchstwahrscheinlich mit einem Herrenmantel. Das alles lässt einen Täter vermuten, der erst in fortgesetzter Tathandlung sein Ziel erreichte.«
»Also ein Rohling, ein Wüstling?«
»Die Dame hatte ein paar Stunden mit ihrem Liebhaber verbracht. Ihr Haar war frisch frisiert. Wahrscheinlich war sie vorher noch in einem Schönheitssalon: Gesichtsmassage, heiße Kompressen, Lehm- und Eispackungen und dergleichen, was man diesen Damen alles anhängt. Dann hat sie Kaviar und Pastete gegessen, Champagner und Likör getrunken. Und dann wurde sie in ihrer spärlichen Bekleidung in den Wagen gebracht...«
»Den italienischen Fiat?«
»Ja. Der Wagen gehört ihr. Das heißt, sie hatte sich den Wagen in ihrer Garage geliehen, da ihr eigener überholt wurde. Das haben wir bereits herausgefunden. Nach vielen Telefongesprächen stellten wir dies und noch ein paar andere Kleinigkeiten fest.«
»Großartig, Chefinspektor. In der kurzen Zeit haben Sie Hervorragendes geleistet!«
Dick knurrte. »Meine Hypothese sieht so aus: Der unbekannte Täter fuhr die Dame in ihrem Fiat zu dem Gelände in der Nähe der U-Bahn-Station, wo er sie aus dem Auto hob. Wahrscheinlich hielt er sie für tot. Als er dann erkannte, dass sie noch lebte, hat er vielleicht die Tat bedauert. Er hat die Frau dann in die Hütte getragen, wo es zu einer zweiten, diesmal verhängnisvolleren Szene kam, in deren Verlauf er sie mit seinem Mantel erstickte. In diesem Sinne gedenke ich weiterzuarbeiten. Ich bin natürlich durchaus bereit, mich durch handfeste Beweise belehren zu lassen.«
»Ja...«, erwiderte Sir Archibald nachdenklich. »Ich bin natürlich auch der Meinung, dass niemand eine Frau über das Grundstück trägt, um sie zu berauben oder zu ermorden. Es scheint sich also um zwei Phasen eines Verbrechens aus Leidenschaft zu handeln. Gutes und reichliches Essen und Trinken haben zweifellos eine Rolle dabei gespielt. In seiner Eifersucht verlor der Liebhaber wahrscheinlich jegliche Selbstbeherrschung. Es kommt zu einem Streit, der verhängnisvoll endet. – Oder vielleicht wurde sie poch später beraubt und ermordet.«
Dick knurrte. »Sie meinen, irgendein Strolch habe sie, als sie aus der Ohnmacht erwachte, auf dem Grundstück gefunden? Er trägt sie in die Hütte, um ungesehen zu bleiben. Und als sie sich wehrt, erstickt er sie mit seinem Mantel – aus feinster, lederfarbener Wolle. Er hat ihr Geld geraubt, lässt die Handtasche aber dort liegen, wo er die Dame gefunden hat. Er nimmt auch die Perlenkette, lässt zwei Perlen in das Unkraut fallen und kümmert sich weder um die zwei kostbaren Ringe noch den Pelzmantel.«
»Vielleicht, Chefinspektor.«
»Vielleicht. Aber doch äußerst unwahrscheinlich? Wir haben noch ein paar Kleinigkeiten festgestellt. Zum Beispiel: dass Mrs. Sabrehm allein mit einem Dienstmädchen in der Crawford Avenue in Wembley wohnte. Gestern Morgen erhielt das Mädchen Urlaub, um ihre kranke Mutter zu besuchen. Deshalb konnten wir sie bisher nicht vernehmen. Mrs. Sabrehm ist also allein. Sie holt den Fiat aus der Garage und verlässt gegen Mittag das Haus. Gegen zwei Uhr morgens wird sie ermordet. Von ihrem Straßenkleid haben wir ebenso wenig eine Spur gefunden wie von dem Fiat. Wir müssen also vor allem in Erfahrung bringen, wohin sie sich begab. Die Leute in der Garage wissen nichts. Wir müssen auch herausfinden, wo sie den Champagner, den Kaviar und so weiter verzehrte. Wo sie sich als Salome verkleidete. Vielleicht in der Wohnung ihres Geliebten.«
»Ja, das sollte man annehmen, Chefinspektor.«
»Und weil die Sohlen ihrer Schuhe völlig frei von Erdteilchen sind, müssen wir annehmen, dass sie dorthin gefahren wurde. Im Auto. Bewusstlos. Bewusstlos wurde sie in das Unkraut gelegt, in die Nähe des Tümpels, der für das Vorhaben des Täters zu seicht war... Vielleicht aber war er derart betrunken oder so entsetzt, dass er gar nicht wusste, was er tat. Jedenfalls wissen wir, dass er sie nicht in den Tümpel warf.«
»Richtig. So formt sich langsam das Bild. Die Dame macht sich auf den Weg, um mit ihrem Liebhaber ein paar Stunden zu verbringen. Vorher besucht sie einen Schönheitssalon. Sie kauft allerlei Delikatessen ein oder hat dies bereits getan, oder der unbekannte Liebhaber hat sie besorgt... Dann fährt sie in dem Fiat zum Rendezvous. Nachdem sich die Liebenden dann bis zwei Uhr morgens die Zeit vertrieben haben und sie das orientalische Kostüm angezogen hat, kommt es zu einem Streit. Einem heftigen Streit. Der Liebhaber fällt über die Geliebte her. Sie verliert das Bewusstsein, wahrscheinlich weil er ihr den Mantel über den Kopf geworfen hat. Er glaubt, sie ist tot. Es ist sehr spät. Er blickt auf die leere, stille Straße und sieht ihren Wagen. Er trägt die Leblose in den Wagen und fährt zu dem Grundstück in der Nähe des U-Bahnhofs. Er schafft sie aus dem Wagen... Und dann? Bleibt er im Auto sitzen? Überlegt er, wie er sich retten kann? Sehr wahrscheinlich. Er war betrunken. Nun ist er aber wieder einigermaßen nüchtern. Vielleicht empfindet er Reue und bedauert seine Gewalttat. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als dass sie wohlauf wäre... Und da kommt die Frau zu sich, murmelt ein paar Worte. Sie lebt! Der Liebhaber ist einen Augenblick lang voller Freude, ein Stein fällt ihm vom Herzen. Er verlässt den Wagen, geht durch das lange, harte Gras – in dem leider keine Fußspuren haftenbleiben – und beugt sich über sie. Mit seiner Hilfe kommt die Frau zu sich. Sie erhebt sich auf die Knie. Er trägt sie in die Hütte... Und dann? Dann macht sie wahrscheinlich eine unvorsichtige Bemerkung. Vielleicht die spöttische Bemerkung einer verzogenen Frau, die den Mund nicht halten kann, und wenn es sie das Leben kostet. Und es kostet sie das Leben. Ihr Hohn bringt den Geliebten außer sich. Wieder packt ihn die Wut – und er vollendet, was er begann.«
Der Polizeichef nahm die Zigarre zwischen die Zähne, lehnte sich in seinen Sessel zurück und betrachtete lächelnd seine Fingernägel. »So ungefähr wird’s gewesen sein. Chefinspektor?«
Dick knurrte. Nachdenklich strich er sich mit dem Daumen über den Schnurrbart, nach rechts und links.
»Ja, so ungefähr«, stimmte er zu. »Ihr zarter Körper wies vor und nach dem Tode nur geringe Spuren von Gewaltanwendung auf. Unser medizinischer Sachverständiger lehnt die Theorie von einem möglichen Vergewaltiger ab. Mir kommt die ganze Geschichte irgendwie seltsam und heikel vor...«
»Heikel? Ich verstehe Sie nicht ganz...«
»Genaueres kann ich nicht sagen«, gab Dick zu. »Aber irgendetwas stimmt hier nicht... Das fühle ich deutlich. Wo wurde die Frau ermordet? Sie wurde nicht erwürgt. Weshalb wurde sie erstickt? Eine seltsame Form eines Mordes im Affekt. Und wenn den Täter die Angst packte, weshalb blieb er dann noch mehrere Minuten auf dem Grundstück? Antwort: Weil er sah, dass die Frau wieder zu sich kam. Aber wird dadurch sein Verhalten plausibler? Der Betrunkene mordet. Und was tut der Nüchterne? Anscheinend mordet auch er. Trotz seiner Erleichterung und trotz aller guten Absichten, als er die Dame in die Hütte trägt. Seltsames Verhalten. Und manches lässt sich nur schwer erklären. Spuren eines zweiten Autos, das vierzig Meter weiter an der Straße hielt. Ein schwedischer Volvo, der dort kurze Zeit hielt. Vielleicht hat der Wagen mit allem nichts zu tun, aber ich mag derartige Zufälle nicht. Außerdem habe ich, genau wie unser medizinischer Sachverständiger, Lehmspuren in den Nasenlöchern der Toten festgestellt.«
»Aber, mein lieber Chefinspektor, sie wurde doch mit dem Gesicht auf dem Lehmboden der Hütte gefunden!«
»Gewiss... Vielleicht daher der Lehm... oder er stammt von der Behandlung im Schönheitssalon. Wir stehen noch am Anfang unserer Untersuchungen. Vielleicht finden wir doch noch Fußspuren auf dem Grundstück. Vielleicht enthält der Tümpel etwas Interessantes. Mrs. Sabrehms Hausmädchen werde ich bald vernehmen. Vielleicht ergibt sich dabei etwas Brauchbares. Und der italienische Fiat. Da er in der Garage nicht abgeliefert wurde, dürfte der Täter mit ihm auf und davon sein. Über das Kennzeichen und das Aussehen des Wagens wurden wir von den Leuten in der Garage informiert.«
»Ja... immerhin wertvolles Material in kurzer Zeit, Chefinspektor.« Nachdenklich zerdrückte Sir Archibald den Stummel seiner Zigarre in dem Aschenbecher aus unechtem Nierenstein. »Ich glaube immer noch, dass auch ein Mörder aus Leidenschaft einen Raubüberfall vorzutäuschen vermag. Selbst wenn der Mord im Affekt geschah, kann Raub auf ihn folgen und für den Mörder allerlei bedeuten. Wir wissen doch, wie es in der Welt zugeht: Ein solches Miss, selbst wenn es aus guter Familie stammt, benimmt sich oft sehr merkwürdig. Vor allem, wenn sie von ihrem Gatten getrennt lebt und über die Stränge schlägt. Treibt sich zum Beispiel mit einem Gigolo herum... Und diese Herren Eintänzer sind nicht gerade so harmlos und zahm wie Hauskatzen. Sie können sich sehr schnell als wilder Tiger entpuppen.«
Dick knurrte. »Ganz meine Meinung. Dafür haben wir mehr als ein Beispiel. Aber was hilft uns das in vorliegendem Fall? Nehmen wir also an: Ein Gigolo begeht den Mord, bereut seine Tat, nachdem er sein bewusstloses Opfer aus dem Wagen geschleppt hat, tötet es, als er ein paar Minuten später feststellt, dass es noch lebt, und stiehlt dann Perlen, Geld und den Wagen.«
»Dass er den Wagen stahl, Chefinspektor, war das Beste, was er tun konnte. Selbsterhaltungstrieb. In dem Wagen verlässt er den Schauplatz seines Verbrechens. Wer weiß, welche Spuren der Wagen enthält? Die Fingerabdrücke des Gigolos, die Kleider der Dame oder sonstiges, das uns über die gestrigen Ereignisse Aufschluss gibt. Vielleicht steht unser Gigolo mit einer Verbrecherbande in Verbindung. In diesem Fall bedeutet der Wagen für ihn keine Gefahr. Vielleicht wurde das Fahrzeug bereits so verändert, dass selbst der Garagenbesitzer ihn nicht wiedererkennt.«
Dick nickte langsam. »Vielleicht... Dann wäre der Täter eine Mischung aus harter Zähigkeit und weichen Gefühlen.«
»Sehr richtig. So stelle ich ihn mir vor, Chefinspektor: ein Neurotiker. Eventuell Morphinist oder Kokain-Süchtiger. In einem Moment wilder Sadist, im nächsten weich wie Butter. Unberechenbar. Stiehlt Geld und Perlen und lässt kostbare Ringe und einen Pelzmantel liegen. Nicht nur unausgeglichen, sondern auch pervers... Geld und Luxus, gutes Essen und Trinken. Und dazu ein bisschen Kokain und Marihuana. Wenn auch Maria Sabrehm nicht süchtig war, so kann ihr Gigolo es durchaus gewesen sein.«
Dick schüttelte unbefriedigt den Kopf. Er stand auf, ging an eines der Fenster und blickte hinaus. Wenn er das, was er sah, auch schon tausend Mal gesehen hatte, so bedeutete es ihm doch immer wieder Freude und seltsamen Trost inmitten aller Scheußlichkeiten seines Berufs. Das Wasser der Themse war wirbelndes Graugrün, und die Möwen ließen sich vom Wind treiben oder schlugen mit den Flügeln, bevor sie auf ihre Beute herabschossen, Der Wind kämpfte an gegen drohenden Regen. Mit geneigten Köpfen und hochgezogenen Schultern eilten die Fußgänger über das Pflaster.
»Natürlich«, sagte der Chefinspektor schließlich, »war Maria Sabrehm kein junges Mädchen mehr. Aber sie war auch keine Frau von der Art, die sich so oft an eine Pseudo-Romantik klammert, die ihr als die letzte welke Frucht scheint, welche ihr der Liebesmarkt noch zu bieten vermag. Maria war gerade einmal dreißig Jahre alt! Gut erzogen und aus allerbestem Hause – so dass der gestrenge Paul Sabrehm keine Bedenken hatte, sie zu heiraten. Vor allem aber war sie ausgesprochen reizvoll. Und sie war sich dessen bewusst. Weshalb sollte sich eine so junge, verführerische, auf der Bühne und im Film bekannte Frau derart erniedrigen? Wählt sie sich als Geliebten einen solchen Gassentyp wie diesen Gigolo, einen Dieb, Mörder und Mitglied einer Verbrecherbande, wie Sie andeuten? Ein Gigolo, der seinen niedersten Instinkten nachgibt. Besitzt er Marias Zuneigung, dann holt er doch zweifellos mehr für sich heraus, wenn sie weiterhin übers Erdenrund wandelt.«
Die dünnen Brauen des Polizeichefs zuckten spöttisch in die Höhe. »Natürlich ist das gegen alle Vernunft, mein lieber Chefinspektor. Aber nach allem, was Sie in so schweren Jahren bei Scotland Yard erlebt haben, dürften Sie kaum erwarten, dass sich die Bestie Mensch vernünftig verhält. Mord ist stets mit Dummheit gleichzusetzen: Immer wieder passiert ein Denkfehler, der für den Mörder schlimmste Folgen hat. Möglicherweise ist es sogar noch unvernünftiger, sich so zu gebärden, dass man ermordet wird. Aber was wollen Sie? Die junge Dame ist das Geschwätz in den Salons und in Ascot leid. Es verlangt ihr nach etwas anderem, etwas Neuem, Aufregendem, selbst wenn sie dabei in die Hände eines Gauners gerät, der die Klauen nach ihrer Perlenkette ausstreckt. Der Dame hing jegliche Etikette, auf die ihr vornehmer, aber langweiliger Mann so großen Wert legt, zum Halse heraus. Sie braucht Veränderung. Vielleicht einen Barkeeper oder Boxer, einen Lastträger oder Rennfahrer, kurzum: mal etwas ganz anderes. Und das... ja, das hat sie gefunden.«
»Vielleicht war es so. Masochismus und so weiter.« Dick runzelte nachdenklich die Brauen, als er sich vom Fenster abwendete. Er summte seine Melodie.
»Gegebenenfalls auch zu viel Alkohol«, fuhr Sir Archibald fort. »Spielt auch eine große Rolle. Das allein genügt. Ob sie das Rauschgift besorgte? Ein weniger wohlhabender Liebhaber kann sich das nicht leisten.«
»Gewiss. Wir brauchen mehr Tatsachen«, erklärte Dick. »Viel mehr Tatsachen. Mit bloßen Theorien kommen wir nicht weiter.« Er legte die Zigarre behutsam in den Aschenbecher und reckte sich. »Ich habe durchaus das Gefühl, dieser Fall ist viel komplizierter, als wir momentan glauben... Ungewöhnlich und außerhalb der Routine... Doch scheint die Vermutung, Salome wäre in der vergangenen Nacht in Begleitung eines jähzornigen Geliebten gewesen, einigermaßen naheliegend. Wir müssen diesen Geliebten finden. Selbst wenn er sich als reicher Ehemann und Mitglied eines höchst exklusiven Clubs herausstellen sollte.«
Das Haus in der Akenside Road schimmerte weiß durch die hohen Buchen, und die Auffahrt erinnerte eher an die eines Land- als eines Stadthauses. Auf dem gepflegten Rasen gurgelten bleierne Delphine mit klarem Wasser über einem schneeweißen Marmorbecken. Die Würde, die von allem ausging, äußerte sich auch in der Haltung des Butlers, der auf Dicks Klingeln die Haustür öffnete.
»Mr. Paul Sabrehm?«
»Sind Sie angemeldet?« Kalte Fischaugen äußerten Zweifel, während sie über Dicks Hut, seinen dicken schwarzen Spazierstock und die derben Schuhe glitten.
»Es handelt sich um eine dringende Angelegenheit«, antwortete der Chefinspektor. Er steckte seinen Dienstausweis in einen Umschlag, verschloss diesen und reichte ihn dem Butler.
Der Mann zuckte kaum merkbar mit den Schultern. Während Dick die Halle betrat, machte der Butler einen Schritt zur Seite und öffnete dann die Tür des Empfangszimmers. Er sagte, Mr. Sabrehm sei augenblicklich in der Turnhalle, wo er mit dem Fechtlehrer wie jeden Morgen übe. Er werde die Karte abgeben, aber ob Mr. Sabrehm so früh und noch vor dem Mittagessen jemanden empfange, könne er nicht sagen. Ein zweites, halb gleichgültiges, halb fatalistisches Schulterzucken beendete seinen Vortrag.
Dick Alford setzte sich in einen Brokatsessel mit hoher Lehne. Der Raum war von kalter Eleganz, mit viel Marmor und Gold. Auf dem Marmorkamin standen ein Leuchter und die Büste eines Sabrehm aus dem 18. Jahrhundert. Im Kamin brannte ein Feuer aus Zedernholzscheiten, ein paar französische Stiche gaben den Wänden etwas Abwechslung.
Geduldig wartete Dick eine halbe Stunde. Dann erschien der Butler und geleitete ihn durch einen Korridor über eine, niedrige Treppe in einen Salon im ersten Stock.
Als Dick das Zimmer betrat, erhob sich Paul Sabrehm und trat vor den Kamin, der mit dem in dem Raum unten Ähnlichkeit hatte. Er verbeugte sich steif, bat Dick, Platz zu nehmen, und entließ den Butler.
»Sie wollen mich sprechen, Mr. Alford. In einer dringenden Angelegenheit?«
Der Chefinspektor nickte, setzte sich und betrachtete den andern.
Paul Sabrehm mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Sein hageres Gesicht verriet nichts von gewöhnlichen menschlichen Schwächen. Es blieb immer unbewegt, als wäre es eine durch jahrelanges Training erreichte Maske. Diese ausdruckslose Starre wurde durch ein Monokel ohne Fassung, das er vor dem einen seiner blauen Augen trug, noch unterstrichen. Er von stattlicher Größe. Seine Hände waren schmal, der Kopf länglich. Der Abstand zwischen dem oberen Rand der Ohren und dem kurzgeschorenen Haar war auffallend breit. Körperlich schien er in bester Verfassung zu sein. Trotz betonter Arroganz, die anscheinend sein ganzes Wesen beherrschte, machte er einen wohlwollenden Eindruck. Das Militärische in seiner Haltung wurde durch eine auffallende Narbe am rechten Mundwinkel unterstrichen. Er trug einen weißen Pullover unter der Tweedjacke und Schuhe mit Gummisohlen.
»Sie sind von Scotland Yard, Mr. Alford?«
Dick antwortete, er sei Chefinspektor. »Ich möchte mit Ihnen ein paar Worte über Mrs. Sabrehms Tod wechseln.«
Eine von Paul Sabrehms langen Händen, die gerade über das leicht angegraute Haar strich, erstarrte in ihrer Bewegung.