STACHELDRAHT - Christian Dörge - E-Book

STACHELDRAHT E-Book

Christian Dörge

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Beschreibung

Im beschaulichen Starnberg wird eine Bank überfallen; der Plan scheint perfekt und wohldurchdacht. Doch dann stellt sich Maria Moretti den Bankräubern in den Weg - und wird rücksichtslos niedergeschossen. Eine zweite Kugel trifft ihre erst fünfjährige Tochter Katrin. Mutter und Tochter sterben noch am Tatort. Als Kommissar Benedikt von der Münchner Kriminalpolizei die Ermittlungen auf Druck seines Vorgesetzten nach nur wenigen Wochen ergebnislos einstellen muss, nimmt ein Mann, der für die Bankräuber noch weit gefährlicher ist als die Polizei, das Gesetz in die eigenen Hände: Götz Moretti, Marias Ehemann und der Vater der kleinen Katrin... STACHELDRAHT ist ein München-Krimi aus der Feder von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien EIN FALL FÜR REMIGIUS JUNGBLUT, DIE UNHEIMLICHEN FÄLLE DES EDGAR WALLACE, FRIESLAND und der Frankenberg-Krimis um den Privatdetektiv Lafayette Bismarck.

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CHRISTIAN DÖRGE

 

 

Stacheldraht

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Der Autor 

STACHELDRAHT 

Die Hauptpersonen dieses Romans 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © 2023 by Christian Dörge/Signum-Verlag.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

Das Buch

 

 

Im beschaulichen Starnberg wird eine  Bank überfallen; der Plan scheint perfekt und wohldurchdacht. Doch dann stellt sich Maria Moretti den Bankräubern in den Weg - und wird rücksichtslos niedergeschossen. Eine zweite Kugel trifft ihre erst fünfjährige Tochter Katrin. Mutter und Tochter sterben noch am Tatort.

Als Kommissar Benedikt von der Münchner Kriminalpolizei die Ermittlungen auf Druck seines Vorgesetzten nach nur wenigen Wochen ergebnislos einstellen muss, nimmt ein Mann, der für die Bankräuber noch weit gefährlicher ist als die Polizei,  das Gesetz in die eigenen Hände: Götz Moretti, Marias Ehemann und der Vater der kleinen Katrin...

 

Stacheldraht ist ein München-Krimi aus der FedervonChristian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien Ein Fall für Remigius Jungblut, Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Friesland und der Frankenberg-Krimis um den Privatdetektiv Lafayette Bismarck. 

Der Autor

 

Christian Dörge, Jahrgang 1969.

Schriftsteller, Dramatiker, Musiker, Theater-Schauspieler und -Regisseur.

Erste Veröffentlichungen 1988 und 1989:  Phenomena (Roman), Opera (Texte).  

Von 1989 bis 1993 Leiter der Theatergruppe Orphée-Dramatiques und Inszenierung  

eigener Werke,  u.a. Eine Selbstspiegelung des Poeten (1990), Das Testament des Orpheus (1990), Das Gefängnis (1992) und Hamlet-Monologe (2014). 

1988 bis 2018: Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literatur-Periodika.

Veröffentlichung der Textsammlungen Automatik (1991) sowie Gift und Lichter von Paris (beide 1993). 

Seit 1992 erfolgreich als Komponist und Sänger seiner Projekte Syria und Borgia Disco sowie als Spoken Words-Artist im Rahmen zahlreicher Literatur-Vertonungen; Veröffentlichung von über 60 Alben, u.a. Ozymandias Of Egypt (1994), Marrakesh Night Market (1995), Antiphon (1996), A Gift From Culture (1996), Metroland (1999), Slow Night (2003), Sixties Alien Love Story (2010), American Gothic (2011), Flower Mercy Needle Chain (2011), Analog (2010), Apotheosis (2011), Tristana 9212 (2012), On Glass (2014), The Sound Of Snow (2015), American Life (2015), Cyberpunk (2016), Ghost Of A Bad Idea – The Very Best Of Christian Dörge (2017). 

Rückkehr zur Literatur im Jahr 2013: Veröffentlichung der Theaterstücke Hamlet-Monologe und Macbeth-Monologe (beide 2015) und von Kopernikus 8818 – Eine Werkausgabe (2019), einer ersten umfangreichen Werkschau seiner experimentelleren Arbeiten.  

2021 veröffentlicht Christian Dörge mehrere Kriminal-Romane und beginnt drei Roman-Serien: Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Ein Fall für Remigius Jungblut und Friesland. 

2023 erscheinen seine neue Alben Kafkaland und Lycia, sich entfernen. 

 

Künstler-Homepage: www.christiandoerge.de

  STACHELDRAHT

 

 

 

 

 

 

  Die Hauptpersonen dieses Romans

 

 

Götz Moretti: Ehemann und Vater aus Starnberg.

Maria Moretti: seine Frau.

Franz Zimmerschmied: Verkaufsleiter in einer Druckerei. 

Phil Hartlaub: Geschäftsführer eines kleinen Ladens für eher schlüpfrige Literatur.

Max Brückner: Fernfahrer.

Gustav Koffler: Inspektor bei der Starnberger Polizei.

Julius Benedikt: Kommissar bei der Münchner Kriminalpolizei.

Fritz Lehmann: Obermeister bei der Münchner Kriminalpolizei.

Anne Turek: Morettis Sekretärin.

Hanno Engl: Reporter bei der Münchner tz.

Jakob Kohlhofer: Verleger und Inhaber einer Druckerei.

Sugar-Chris: ein Polizeibeamter aus München. 

Natasha: Fotomodell.

Heinrich Stötzner: Bankangestellter.

 

 

Dieser Roman spielt im Jahr 1965 in München und Starnberg.

  Erstes Kapitel

 

 

14.15 Uhr

 

Der rote VW rollte geräuschlos am Randstein aus und hielt vor einem eleganten Mercedes mit der Zulassungsnummer M-KS-765, der dort parkte.

Der Mann in dem Mercedes beobachtete die Ankunft des kleinen Wagens, warf einen Blick auf seine Armbanduhr und sah kurz zu der schemenhaften Gestalt in der Telefonzelle auf der anderen Straßenseite hinüber. Dann las er seine Zeitung weiter.

Aber die Worte vor seinen Augen blieben ihm unverständlich; sie setzten sich aus alphabetischen Mosaiksteinen zusammen und gingen ineinander auf. Seine Augen lasen Zeile für Zeile und gaben die Informationen weiter, aber sein Gehirn weigerte sich, das Gelesene aufzunehmen – denn er dachte an etwas, das sich in genau viereinhalb Minuten ereignen sollte.

Eine schlanke dunkelhaarige Frau Anfang Zwanzig öffnete die Beifahrertür des VW und stieg mit geübtem Schwung aus. Dabei kamen ihre hübschen Beine zum Vorschein. Ihr Fahrer, ein stämmiger Mann mit rotem Gesicht, der einen zerknitterten schwarzen Anzug trug, blieb noch etwas sitzen, als wolle er diesen Anblick genießen. Dann stieg er ebenfalls aus und folgte ihr in drei Schritten Abstand über den Gehsteig. Er trug in jeder Hand eine Ledertasche.

Der Rock der jungen Frau schwang im Takt zum Klappern ihrer Absätze, als sie auf das metallbeschlagene Eichentor des grauen Gebäudes zuging, das von den anderen Häusern und Geschäften isoliert etwas weiter von der Straße entfernt war.

Der stämmige Mann sah sich gelassen um, während er der jungen Frau folgte. Sein prüfender Blick traf auch den grauen Mercedes und glitt über den Chauffeur mit seiner Schirmmütze hinweg.

Stötzner hatte nichts Verdächtiges bemerkt. Warum auch? Was sollte in diesem verschlafenen Nest schon passieren? Schließlich waren sie hier in Starnberg, dem Juwel von Oberbayern, und eben nicht in der Maximilianstraße in München. Welcher Gangster würde raus aufs Land fahren, so lange es in München deutlich mehr zu holen gab? Dort wären die Erfolgsaussichten ohnehin besser...

Stötzner selbst hatte die Firma davon überzeugt, dass es besser war, die Geldtransporte nicht von einem darauf spezialisierten Unternehmen bewachen zu lassen. Das erschiene auffälliger, als wenn das Geld nur von zwei gewöhnlichen Personen abgeholt wurde. Außerdem gab es genügend Gangster, die bewachte Transporte als eine Art Herausforderung betrachteten.

Diesmal würde er über 40.000 Mark in den beiden Tragtaschen haben. Aber was machte das schon? Wenn irgendein Bankräuber auftauchte und das Geld verlangte, konnte er es gern haben. Stötzner würde es ihm bereitwilligst überlassen!

Er beobachtete wieder die junge Frau und stellte sich vor, wie es sein musste, mit ihr ins Bett zu gehen. Er ahnte nicht, dass er nur noch vier Minuten und achtundvierzig Sekunden zu leben hatte.

 

Ein Kunde verließ den Schalter, und die vier Wartenden konnten zwei Schritte vortreten. Die Dame an der Kasse ließ sich Zeit; sie arbeitete schon lange genug hier, um sich nicht durch ungeduldige Mienen und demonstratives Füßescharren aus der Ruhe bringen zu lassen. Der Teufel sollte die Leute holen, die nicht warten konnten, bis sie an der Reihe waren!

Bevor Moretti den Schalter erreichte, riss er ein bereits ausgefülltes Blatt aus seinem Scheckheft. Die alte Frau vor ihm holte aus ihrer Handtasche Münzen und einige Geldscheine, die sie auf ihr Sparbuch einzahlen wollte. Dabei redete sie unablässig. auf die Kassiererin ein, die gelangweilt zuhörte.

Moretti drehte sich um, sah über die hinter ihm Wartenden hinweg und suchte nach seiner Frau, die er an einem der Schreibpulte zurückgelassen hatte. Warum war sie nicht mehr dort? Immer war sie in der Nähe, wenn er eine Minute seine Ruhe haben wollte, aber...

Er beruhigte sich sofort wieder und lächelte sogar, als er Maria an ihren Platz zurückkehren sah. Sie hielt ein rothaariges kleines Mädchen an der Hand, hob mahnend den Zeigefinger und bewegte dabei scheinbar lautlos die Lippen. Katrin, ihre kleine Tochter, war erst vor kurzem fünf geworden. Sie war der Liebling ihres Vaters, der in ihr das Ebenbild seiner Frau erkannte, obwohl die Kleine nicht blond, sondern rothaarig war.

Maria war eine wunderbare Ehefrau. Moretti hatte es hauptsächlich ihr zu verdanken, dass er in den letzten sieben Jahren die Energie aufgebracht hatte, sich beruflich weiterzubilden. Und dadurch war er in seiner Firma vorangekommen, anstatt ein kleiner Angestellter zu bleiben.

Seine Frau kam heran, als er ihr lächelnd zunickte. Sie erwiderte sein Lächeln, und die kleine Katrin, die das unausgesprochene Einverständnis ihres Vaters spürte, griff nach seiner Hand. Moretti streichelte ihre roten Haare, auf die er so stolz war.

»Na, freust du dich schon auf unseren Urlaub, Spatz?«, fragte er Katrin. »Pass auf, wir sorgen dafür, dass du Spaß hast!«

Sie hatten an alles gedacht. Ihr Ford war abgeschmiert und betankt worden. Das Gepäck war im Kofferraum verstaut, Maria hatte Semmeln und Kaffee in einer Thermosflasche mitgenommen, im Handschuhfach lag eine Falk-Straßenkarte bereit.

Obwohl Moretti es nie zugegeben hätte, fühlte er sich in diesem Augenblick aufgeregter, zufriedener und sogar erfolgreicher als je zuvor. Er konnte nicht wissen, wie kurzlebig diese Zufriedenheit sein würde, denn schon jetzt verschworen sich die Schicksalsmächte gegen ihn, um ihn von seinem selbstgefertigten Podest zu stürzen...

 

 

14.17 Uhr

 

Auf der Straße waren nur wenige Leute zu sehen: eine Mutter mit einem Kinderwagen, zwei Jungen auf Fahrrädern und ein älterer Mann, der auf der niedrigen Mauer vor dem Bankgebäude in der Sonne saß. Das war Phil Hartlaub nur recht.

Auf der anderen Straßenseite standen zwei Autos vor dem Bankeingang – der nächste Wagen parkte etwa zwanzig Meter weiter weg und auch das entsprach dem Plan. Die fünf Geschäfte an der kurzen Hauptstraße waren geschlossen: die Apotheke, das Textilgeschäft, der Frisiersalon, der Fleischer und der Lebensmittelladen mit angeschlossener Poststelle hatten an diesem Nachmittag wie üblich zu. Diese Tatsache war im Plan ebenfalls berücksichtigt.

Phil Hartlaub, ein dunkelhäutiger Dreißiger, der seinen besten grauen Anzug trug, weil er dem Anlass entsprechend gekleidet sein wollte, nahm in der Telefonzelle den Hörer ab und warf mehrere Geldstücke in den Einwurfschlitz. Er wählte jedoch nicht, sondern beobachtete weiter die Straße.

Drei Minuten zuvor war ein grauer Mercedes gekommen und hatte vor der Bank gehalten. Sein einziger Insasse, der Chauffeur, hatte kurz zu Hartlaub herübergesehen und sich dann in eine Zeitung vertieft. Eine Minute danach, Punkt 14.15 Uhr, hatte ein roter VW vor dem Mercedes eingeparkt.

Jetzt sah Hartlaub, dass der Sekundenzeiger seiner Uhr sich der Ziffer 6 näherte. Hartlaub begann eine siebenstellige Zahl zu wählen, riss dann die spiralförmig dehnbare Schnur aus dem Apparat und steckte den Hörer unter die beiden Telefonbücher auf der Ablage. Damit hatte er die kleine Stadt von jeglicher Telefonverbindung mit der Außenwelt abgeschnitten. Er hatte die Ortskennzahl von Augsburg gewählt, wodurch die einzige Fernleitung blockiert war. In Starnberg konnten nun nur noch Ortsgespräche geführt werden.

Trotzdem blieben zwei Schwierigkeiten: die Alarmanlage der Bank, die direkt mit dem hiesigen Polizeirevier verbunden war, und die Polizei selbst. Aber auch dadurch lassen wir uns nicht aufhalten, überlegte Hartlaub sich, als er die Telefonzelle verließ und die Tür mit dem Schild Außer Betrieb versah, das von einer anderen Zelle stammte.

Obwohl Starnberg noch nichts davon ahnte, war es jetzt völlig auf sich allein gestellt.

 

In seinem roten Klinkerhaus am Stadtrand von Starnberg hatte Inspektor Goldbaum das Mittagessen beendet und knöpfte sich die Uniformjacke zu, bevor er wieder zu seinem Dienst aufbrach. Heute ging er allein auf Streife, weil er dem Jungen freigegeben hatte, damit dieser mit seinem Mädchen nach Murnau fahren könne. Goldbaum griff nach seiner Mütze, stapfte in die Diele hinaus und wollte eben seiner Frau, die in der Küche war, etwas zurufen, als das Telefon klingelte.

Er hob ab. »Polizeirevier Starnberg, Inspektor Goldbaum«, meldete er sich automatisch. »Was kann ich für...«

»Im Weißbierhäusle ist etwas passiert!«, unterbrach ihn eine aufgeregte Männerstimme mit Münchner Akzent. »Um Himmels willen, kommen Sie sofort!«

»Augenblick«, antwortete Goldbaum, »zuerst muss ich Ihren Namen und die...«

»Das dauert zu lange! Kommen Sie schnellstens ins Weißbierhäusle, sonst passiert dort ein Mord!«

»Ein Mord?«, wiederholte der Inspektor ungläubig.

»Ja! Kommen Sie endlich! In der Gautinger Straße – aber das wissen Sie ja selbst.« Der Anrufer hängte ein.

Inspektor Goldbaum legte auf und starrte den Hörer zweifelnd an. Irgendetwas stimmte wohl nicht ganz – aber er kam nicht darauf. Während er draußen sein Rad aus dem Schuppen holte, murmelte er etwas Unfreundliches über Leute, die sich am Telefon nicht klar ausdrücken konnten.

 

Der schlanke Mann mit dem Münchner Akzent trat aus der zweiten Telefonzelle des Städtchens – die einzige, die jetzt noch funktionierte – und zog den Hut tiefer in die Stirn, als der ältliche Polizeibeamte an ihm vorbeifuhr. Der Mann war sich im Klaren darüber, dass sich Inspektor Goldbaum unter Umständen Gedanken darüber machte, dass der Notruf aus dieser Telefonzelle zu ihm gelangt war.

Inspektor Goldbaum war indessen für einen Polizeibeamten ungewöhnlich vertrauensselig und radelte deshalb in gleichmäßigem Tempo von dem Ort weg, an dem sich das Verbrechen des Jahres ereignen sollte. Der schlanke Mann, der ihn angerufen hatte, ging nun rasch in Richtung Bank. Als er noch zwanzig Meter weit hatte, kam Phil Hartlaub in seinem grauen Anzug aus der anderen Telefonzelle, überquerte die Straße und schloss sich ihm an.

»Alles in Ordnung?«, fragte Hartlaub besorgt.

»Klar... Der ist beschäftigt!«

Die beiden Männer gingen auf den Bankeingang zu und wechselten noch einen kurzen Blick mit dem Mercedesfahrer, der jetzt den Motor anließ. Als sie die Tür erreichten, zogen sie sich gleichzeitig abschreckend hässliche Gummimasken über das Gesicht und fassten nach ihren Waffen, die vorläufig noch unter den Jacken blieben. Erst im Schalterraum sollten sie den Revolver Kaliber 38 und die tschechische 8-mm-Pistole ziehen.

Es war 14.19 Uhr.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

»Mein Gott! Allmächtiger Gott, was haben wir bloß getan!«, flüsterte Phil Hartlaub mit zitternden Lippen vor sich hin, als könnte er dadurch Vergebung für das entsetzliche Schauspiel erlangen, das er miterlebt hatte. Er kämpfte mit einem ständigen Brechreiz und hatte seinen Begleiter schon mehrmals angeschrien, wenn die Erinnerung an die schreckliche Szene übermächtig geworden war. Er hatte den Mann, der geschossen hatte, beschimpft, verflucht und bedroht, aber der schlanke Mann auf dem Rücksitz des Mercedes hatte nur abgewinkt.

»Schweinehund! Zimmerschmied, du bist ein verdammter Schweinehund! Dafür gehörst du lebenslang ins Gefängnis...«

»Dann sitzt du aber in der Zelle nebenan, alter Junge!«, stellte Zimmerschmied gelassen fest.

Hartlaub drehte sich nach ihm um und verlor fast den Halt, als der Wagen eine scharfe Kurve durchfuhr. »Das war ein grässliches Stück Arbeit! Mein Gott, hoffentlich bist du jetzt stolz auf dich!«

»Immer mit der Ruhe, Phil. Diese dumme Gans hat es nicht anders verdient. Sie hat sich in Dinge eingemischt, die sie nichts angingen – und dafür hat sie die Quittung bekommen, verstanden?« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Ich war bewaffnet, und du warst bewaffnet. Wir haben die Schießeisen doch nicht nur zur Dekoration mitgeschleppt? Es gibt nur einen Grund, eine Waffe mitzunehmen, Phil...« Er ließ den Rest ungesagt.

Hartlaub wandte sich resigniert ab. »Okay, lassen wir’s dabei«, meinte er.

Zimmerschmied lehnte sich in die Polster zurück. Er war etwas älter als die beiden anderen – er war 39 –, und diese Tatsache verschaffte ihm einen gewissen psychologischen Vorteil. Er war ihr natürlicher Führer, obwohl Hartlaub das nie zugegeben hätte, und seine Nerven waren besser als die der anderen. Schließlich war er nicht umsonst fünfzehn Jahre lang Soldat gewesen. In dieser Zeit hatte er genug erlebt, um zu der Ansicht zu kommen, dass ein paar Tote mehr keine Rolle spielten, da in jeder Minute ohnehin hunderttausend Menschen sterben. Eines Tages würde es auch ihn erwischen – aber warum sollte er sich darüber jetzt schon Sorgen machen?

»Was du tun sollst?«, wiederholte Zimmerschmied, der nicht gleich auf Hartlaubs Frage geachtet hatte. »Du tust genau das, was wir vereinbart haben. Nicht mehr und nicht weniger. Das gilt für euch beide! Arbeitet wie bisher, seid gewissenhaft, benehmt euch ganz normal und lasst euch nicht anmerken, dass ihr eigentlich genug Geld habt, um eure Stellung aufzugeben... Okay, Brückner?«

Max Brückner sah einen Augenblick in den Rückspiegel und nickte grinsend. »Um mich brauchst du keine Angst zu haben, Zimbo«, meinte er betont locker. »Bei mir ändert sich nichts. Darauf kannst du dich verlassen.«

Brückner, der jüngste der drei Männer, stammte aus dem Münchner Osten – aus Berg am Laim, um es genau zu sagen. Er hatte beschlossen, sich genau an Zimmerschmieds Anweisungen zu halten. Schließlich war Zimmerschmied ein alter Hase und wusste genau, was er tat, oder nicht?

Die Chauffeursmütze saß noch immer so verwegen schräg auf seinem Kopf, wie er sie sich zu Beginn des Unternehmens vor dem Spiegel aufgesetzt hatte. Brückner genoss es, diese Mütze zu tragen oder den großen Colt Magnum in der Hand zu halten, der jetzt in dem Ablagefach zwischen den Sitzen lag. Aber noch erregender war es, diesen Mercedes auf schmalen, heckengesäumten Straßen bis zur Grenze des Möglichen auszufahren.

Bis vor einem Vierteljahr, als er Hartlaub kennengelernt hatte, war Brückner darauf angewiesen gewesen, sich mühsam seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er hatte gelegentlich kleine Diebstähle begangen, war in der Schellingstraße Gehilfe eines Auktionators gewesen, hatte Kleintransporter und Lastzüge gefahren und war jetzt wieder Fernfahrer. Diesen Job hatte er angenommen, weil Hartlaub ihm erklärt hatte, dadurch könnte er sich ein unwiderlegbares Alibi beschaffen.

Jetzt kam es ihm darauf an, in möglichst kurzer Zeit eine möglichst weite Strecke zurückzulegen. Er kannte die Straßen gut, weil er sie schon viermal in einem anderen Wagen abgefahren war. Den Mercedes hatte er erst an diesem Morgen auf einem Parkplatz in Percha gestohlen.

Sie hatten kaum noch einen Kilometer bis zu der Stelle, an der sie in andere Autos umsteigen sollten, und die Planung dieses Manövers bestätigte Brückners Überzeugung, dass Zimmerschmied sein finsteres Handwerk wirklich ganz ausgezeichnet verstand.

Brückner sah zu Hartlaub hinüber, der sich erholt zu haben schien. »Na, geht’s wieder?«

»Alles wieder in Ordnung«, versicherte Hartlaub ihm. Er versuchte zu grinsen. »Ich war nur ein bisschen durcheinander.« Er drehte sich nach Zimmerschmied um, wollte ihn ansprechen, schwieg aber, als er sah, dass der andere mit geschlossenen Augen in den Polstern lehnte. Wie konnte dieser Mann nur derart leidenschaftslos und kaltblütig sein? Wie konnte er einfach vergessen, was passiert war? Aber vielleicht vergaß er das nicht, sondern addierte es jetzt zu allem anderen...

Der Ford war etwa eine einen Kilometer hinter ihnen. Hartlaub sah ihn von Zeit zu Zeit zwischen den Hecken auftauchen. »Wir werden verfolgt!«

Brückner sah in den Rückspiegel. »Von einem blau-weißen Ford«, fügte er hinzu.

Hartlaub rüttelte Zimmerschmied an der Schulter. »He, wir werden verfolgt!«

Zimmerschmied öffnete nicht einmal die Augen. »Du brauchst nicht so zu schreien«, antwortete er. »Ich höre ganz gut.«

 

Moretti war ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen, als die beiden Männer in den Schalterraum traten. Er legte Maria schützend einen Arm um die Schultern, griff instinktiv nach Katrins Hand und zog die Kleine näher zu sich heran. Er war vor Angst wie gelähmt, denn sein Instinkt befahl ihm: Stehenbleiben! Keine Bewegung mehr! Bloß nicht auffallen! 

»Wir wollen niemand was antun.

---ENDE DER LESEPROBE---