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Die definitive Ausgabe von TOO LATE – WENN NEIN SAGEN ZUR TÖDLICHEN GEFAHR WIRD - Die Lieblingstextversion der Autorin – komplett überarbeitet und neu übersetzt Asa: Drogendealer, Betrüger, notorischer Frauenheld. Er hat nur eine Schwachstelle: Sloan, seine große Liebe, von der er besessen ist. Carter: Undercover-Cop. Sein Auftrag: Asa zu überführen. Sein Unglück: dass ausgerechnet Sloan die erste Frau ist, in die er sich verliebt. Sloan würde für die, die sie liebt, durch die Hölle und zurück gehen. Und das tut sie, jeden einzelnen Tag. Sich mit dem verführerischen Asa Jackson einzulassen, bedeutet für sie die dringend benötigte finanzielle Sicherheit, auch wenn sie dafür ihre Moral aufgeben muss. Denn ohne Asa kann sie die Pflege ihres Bruders nicht bezahlen. Doch Asas Liebe zu ihr ist von einer abgründigen Obsession – und diese wird von Tag zu Tag gefährlicher. Als Carter in Asas Geschäfte eingeschleust wird, fühlt Sloan sich sofort zu ihm hingezogen, obwohl sie weiß, dass Asa ihn umbringen würde, wenn er es herausfindet. Und Asa war schon immer allen in seinem Leben einen Schritt voraus, auch Sloan. Niemand hat sich ihm jemals in den Weg gestellt. Niemand außer Carter. Gemeinsam müssen Sloan und Carter einen Ausweg finden, bevor es zu spät ist. Colleen Hoovers unbekannte andere Seite – ein dramatischer Spannungsroman über eine gefährliche Liebe
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Seitenzahl: 549
»ICH WÜNSCHE MIR SO SEHR, DU KÖNNTEST MICH RETTEN. ABER DAS KANNST DU NICHT.«
Die Hölle – nichts anderes ist die Beziehung von Sloan zu Drogenboss Asa. Gäbe es nicht ihren kranken Bruder, wäre sie von heute auf morgen auf und davon. Für Asa hingegen ist Sloan das Beste, was ihm jemals passiert ist, seine einzige Liebe, eine wahre Obsession, und er ist davon überzeugt, dass es sich umgekehrt genauso verhält. Als der Undercover-Cop Carter in Asas Geschäfte eingeschleust wird, fühlt Sloan sich sofort zu ihm hingezogen, obwohl sie weiß, dass Asa ihn umbringen würde, wenn er es herausfindet. Und Asa war schon immer allen in seinem Leben einen Schritt voraus, auch Sloan. Niemand hat sich ihm jemals in den Weg gestellt. Niemand außer Carter.
Colleen Hoovers unbekannte andere Seite – ein dramatischer Spannungsroman über eine gefährliche Liebe.
Von Colleen Hoover ist bei dtv außerdem lieferbar:
All das Ungesagte zwischen uns
Die tausend Teile meines Herzens
Finding Perfect
Für immer ein Teil von dir
Hope Forever | Looking for Hope | Finding Cinderella
Layla
Love and Confess
Maybe Someday | Maybe Not | Maybe Now
Nächstes Jahr am selben Tag – November 9
Never Never (zusammen mit Tarryn Fisher)
Nur noch ein einziges Mal – It ends with us
Nur noch einmal und für immer – It starts with us
Summer of Hearts and Souls
Verity
Was perfekt war
Weil ich Layken liebe | Weil ich Will liebe | Weil wir uns lieben
Zurück ins Leben geliebt – Ugly Love
Colleen Hoover
Wenn Nein sagen zur tödlichen Gefahr wird
Roman
Dieses Buch ist allen Mitgliedern der Too-Late-Facebook-Gruppe gewidmet.
Vielen Dank, dass ihr es zu einer meiner liebsten Schreiberfahrungen gemacht habt.
Besonders du, Ella Brusa.
als ich 2012 zu schreiben begann, was später Too Late werden sollte, war es nur als Privatvergnügen gedacht, das nie das Licht der Öffentlichkeit sehen sollte. Vielmehr war es mein Spaßprojekt, mit dem ich mich von meinen anderen Geschichten ablenken konnte, wenn ich mich festgeschrieben hatte. Too Late ist anders als meine anderen Romane – düsterer und krasser. Weil ich nie vorhatte, dieses Projekt zu veröffentlichen, schrieb ich einfach drauflos und konnte mir Themen vornehmen, an denen ich mich noch nie versucht hatte. Vielleicht liegt mir dieses Projekt gerade deshalb so am Herzen.
Erst als ich irgendwann davon erzählte und gefragt wurde, ob man den Text irgendwo lesen könne, habe ich die ersten Kapitel im Internet hochgeladen und dann nach und nach auch Fortsetzungen gepostet. Was als persönliche Schreibübung begann, entwickelte sich zu einer Geschichte, an der ich bald fast täglich weiterarbeitete. Wie im Rausch stellte ich immer neue Abschnitte ins Netz, wodurch Too Late im Gegensatz zu meinen anderen Romanen beinahe in Echtzeit gelesen werden konnte. Mir gab es einen Kick, jedes Mal so schnell Feedback zu bekommen, und die Fans der Geschichte freuten sich über den steten Nachschub.
Selbst nachdem ich irgendwann »ENDE« unter das – wie ich damals glaubte – letzte Kapitel getippt hatte, sprudelten die Ideen weiter. Also habe ich gleich mehrere Epiloge angehängt und zuletzt sogar gegen alle Regeln des Romanaufbaus verstoßen, indem ich auch noch einen Prolog verfasst und an den Schluss gesetzt habe.
Nachdem der Text einige Zeit im Netz stand, erreichten mich immer mehr Nachrichten mit dem Wunsch, Too Late auch als reguläres Buch lesen zu können, weshalb ich mich dazu entschloss, den Roman in der ursprünglichen Form zu veröffentlichen. Aufgrund seiner Entstehungsgeschichte gab es aber Dinge, die ich im Nachhinein gerne geändert hätte. Und weil dieses so besondere Projekt mich über die Jahre nicht losgelassen hat, habe ich mich nun entschieden, diese Änderungen in Angriff zu nehmen. Ich habe mich bemüht, die ursprünglichen Charaktere und die Geschichte zu erhalten, aber ich habe auch einige Szenen angepasst, andere gestrichen und sogar ein paar neue hinzugefügt, sodass die euch nun vorliegende Fassung zu meiner Lieblingsversion des Textes geworden ist – und hoffentlich auch zu eurer wird, falls ihr Too Late in der ursprünglichen Fassung gelesen habt.
Wenn ihr dieses Buch zum ersten Mal lest, hoffe ich, dass es euch gefällt, obwohl es so anders ist als alles, was ihr sonst von mir kennt. Für einige von euch wird es einfach eine unterhaltsame Lektüre sein, für andere ist der Inhalt vielleicht schwer zu verdauen. Dieses Buch beinhaltet derbe Sprache, grafische Sexszenen, Mord, sexuelle/sexualisierte Gewalt und Drogenkonsum. Leserinnen und Leser, die auf solche Themen sensibel reagieren, mögen dies bitte zur Kenntnis nehmen.
Danke, dass ihr ein Teil von jedem meiner Bücher seid! Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen.
EureColleen Hoover
Seine warmen Finger gleiten zwischen meine, drücken meine Hände tiefer in die Matratze. Der Schlafmangel dieser Woche macht meine Lider so schwer, dass ich sie nicht aufbekomme. Der Schlafmangel des ganzen Monats, um genau zu sein.
Ach was, des ganzen verdammten Jahres.
Ich versuche stöhnend die Beine zusammenzupressen, schaffe es aber nicht. Sein Gewicht spüre ich überall auf meinem Körper, auf meiner Brust, an meiner Wange, zwischen meinen Beinen. Es wird noch ein paar Sekunden dauern, bis sich mein Kopf aus dem Nebel des Schlafs befreit hat, doch ich bin wach genug, um zu begreifen, was er da tut.
»Asa«, murmle ich genervt. »Lass das.«
Er drängt sich immer wieder gegen mich, stöhnt in mein Ohr, seine Bartstoppeln kratzen über meine Wange. »Bin gleich fertig, Babe«, keucht er an meinem Nacken.
Als ich versuche, meine Hände zu befreien, verstärkt er seinen Griff, erinnert mich daran, dass ich nur eine Gefangene in meinem eigenen Bett bin und er mein Wärter ist. Asa ist schon immer mit der größten Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, dass mein Körper ihm zur freien Verfügung steht. Dabei ist er nie gemein oder grob, er hat einfach nur ständig Lust auf Sex – was ich oft extrem lästig finde.
Wie zum Beispiel jetzt.
Um sechs Uhr morgens, verdammt.
Ich kann die Uhrzeit anhand des Sonnenlichts abschätzen, das durch den Schlitz unter der Tür dringt, und an der Tatsache, dass Asa nach der Party gestern erst jetzt ins Bett kommt. Ich hingegen muss in weniger als zwei Stunden am College sein. Und das hier ist definitiv nicht die angenehmste Art, nach nur drei Stunden aus dem Schlaf gerissen zu werden.
Ich schlinge die Beine um seine Taille und hoffe, ihm damit vorzugaukeln, voll bei der Sache zu sein. Wenn ich auch nur halbherziges Interesse vortäusche, ist er meistens schneller fertig.
Er knetet meine rechte Brust, und ich stoße das erwartete Stöhnen aus, als ein Beben durch seinen Körper läuft. »Fuck«, ächzt er und vergräbt das Gesicht in meinem Haar, während er noch ein paarmal langsam vorstößt. Nach wenigen Sekunden bricht er auf mir zusammen und seufzt tief, bevor er mir einen Kuss auf die Wange drückt und sich auf seine Seite des Betts rollt. Er steht auf, zieht das Kondom ab und wirft es in den Mülleimer, dann greift er nach der Wasserflasche auf dem Nachttisch. Während er die Flasche an die Lippen setzt, wandert sein Blick über meinen entblößten Körper. Ein langsames Grinsen zieht über sein Gesicht. Selbstbewusst und nackt steht er neben dem Bett, trinkt den letzten Rest des Wassers.
Er ist attraktiv, keine Frage, aber er hat seine Fehler. Genau genommen ist sein Aussehen vermutlich das Einzige, an dem ich nichts auszusetzen habe. Er ist großspurig, aufbrausend, manchmal unausstehlich. Aber er liebt mich. Er liebt mich extrem. Und ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass ich ihn nicht auch liebe. Wenn ich könnte, würde ich so einiges an ihm ändern, aber im Moment ist er alles, was ich habe, also akzeptiere ich ihn eben. Er hat mich aufgenommen, als ich sonst nirgendwo hinkonnte. Niemand anderen hatte, an den ich mich wenden konnte. Allein aus diesem Grund ertrage ich ihn.
Ich habe keine andere Wahl.
Er hebt die Hand, wischt sich über den Mund und wirft die leere Flasche dann in den Mülleimer. Mit einer Hand fährt er sich durch das dichte braune Haar und zwinkert mir zu, bevor er sich aufs Bett fallen lässt und sich vorbeugt, um mir einen sanften Kuss auf die Lippen zu drücken. »Gute Nacht, Babe«, sagt er und rollt sich auf den Rücken.
»Du meinst wohl Guten Morgen«, erwidere ich, während ich mich mühsam aus dem Bett quäle. Ich ziehe mein T-Shirt runter, das bis zur Taille hochgerutscht ist, und suche mir eine Hose und ein frisches Oberteil. Dann gehe ich rüber ins Bad auf der anderen Seite des Flurs, erleichtert, dass es nicht von einem unserer zahlreichen Mitbewohner blockiert wird.
Als ich einen Blick auf die Uhr meines Handys werfe, verziehe ich das Gesicht. Mir bleibt nicht mal mehr genug Zeit, um mir unterwegs einen Kaffee zu besorgen. Der erste Kurs des Semesters, und ich plane jetzt schon, ihn zu nutzen, um etwas Schlaf aufzuholen. Kein guter Start.
So kann es nicht weitergehen. Asa geht so gut wie nie in seine Vorlesungen, besteht aber trotzdem immer mit nahezu perfekten Noten. Ich hingegen habe Mühe, den Kopf über Wasser zu halten, und das, obwohl ich letztes Semester keinen einzigen Tag verpasst habe. Na ja, zumindest nicht körperlich. Leider wohnen wir mit so vielen anderen zusammen, dass es hier im Hause nie einen ruhigen Moment gibt. Deswegen dämmere ich viel zu oft während meiner Collegekurse weg, denn das ist einfach die einzige Gelegenheit, mal etwas Ruhe und Frieden zu genießen. Die Partys scheinen kein Ende zu nehmen, zu jeder Tages- und Nachtzeit wird gefeiert, vollkommen egal, ob jemand am nächsten Tag früh rausmuss. In diesem Haus gibt es keinen Unterschied zwischen Wochentagen und Wochenenden, und die Bewohner wechseln ständig, Miete ist kein Thema.
Meistens weiß ich nicht mal, wer hier gerade alles lebt. Das Haus gehört Asa, aber er umgibt sich gern mit Menschen und liebt seine Drehtür-Philosophie – hier kann jeder kommen und gehen, wie er will. Hätte ich das nötige Kleingeld, würde ich mir sofort eine eigene Wohnung besorgen. Aber das habe ich nicht. Was bedeutet, dass ich noch ein höllisches Jahr durchstehen muss, bevor ich endlich meinen Abschluss habe.
Noch ein Jahr, bis ich endlich frei bin.
Ich ziehe mir das Shirt über den Kopf, lasse es zu Boden fallen und öffne den Duschvorhang. Als ich gerade nach der Brause greifen will, entfährt mir ein gellender Schrei. In der Wanne liegt unser neuester Vollzeitmitbewohner Dalton, komplett bekleidet und bewusstlos.
Er schreckt auf und kracht mit der Stirn gegen den Wasserhahn über seinem Kopf, was ihn ebenfalls aufschreien lässt. Ich greife gerade nach meinen Shirt, als die Tür auffliegt und Asa hereinstürmt.
»Sloan, ist alles okay?«, fragt er panisch, dreht mich zu sich, um mich nach Verletzungen abzusuchen. Ich nicke benommen und deute auf Dalton, der immer noch in der Wanne hockt.
Dalton stöhnt. »Bei mir ist nicht alles okay.« Mit einer Hand an der frisch verwundeten Stirn versucht er, aus der Wanne zu klettern.
Asa sieht erst mich an, dann das Shirt, das ich mir vor den nackten Körper halte, und schließlich wieder Dalton. Ich fürchte schon, dass er ein falsches Bild bekommt, und will zu einer Erklärung ansetzen, da unterbricht er mich mit einem lauten, absolut unerwarteten Lachen.
»Hast du ihm die Beule verpasst?« Er deutet auf Daltons Stirn.
Ich schüttle den Kopf. »Er hat sich den Kopf gestoßen, als ich geschrien habe.«
Asa lacht noch lauter, streckt Dalton eine Hand entgegen und zieht ihn aus der Wanne. »Komm mit, Alter, du brauchst ein Bier. Das beste Mittel gegen Kater.« Er schiebt Dalton aus dem Bad und schließt die Tür hinter sich.
Ich stehe da wie versteinert, das Shirt noch immer an meine Brust gedrückt. Das Traurige ist, dass das schon der dritte Vorfall dieser Art war. Jedes Mal ein anderer Idiot, der zugedröhnt in unserer Wanne schläft. In Gedanken mache ich mir eine Notiz, in Zukunft erst die Wanne zu checken, bevor ich mich ausziehe.
Ich fische den Stundenplan aus der Tasche und entfalte ihn, um nach der Raumnummer zu suchen. »Das ist so ein Schwachsinn«, sage ich ins Handy. »Mein Collegeabschluss ist drei Jahre her. Ich hab mich für diesen Scheiß doch nicht beworben, um jetzt wieder Hausaufgaben zu machen.«
Ryan lacht so laut, dass ich das Handy ein paar Zentimeter vom Ohr weghalten muss. »Oje, du Armer!«, höre ich ihn sagen. »Ich musste letzte Nacht in einer verdammten Badewanne schlafen. Find dich damit ab, Mann. Die Tarnung gehört zu deinem Job.«
»Du hast leicht reden. Du hast ja auch nur einen Kurs pro Woche. Mir hat Young gleich drei aufgenötigt. Warum hat er dich eigentlich so locker davonkommen lassen?«
»Vielleicht bin ich besser darin, ihm einen zu blasen«, erwidert Ryan.
Ich gleiche den Stundenplan mit der Raumnummer an der Tür ab. Bingo. »Ich muss auflegen. La clase de español.«
»Moment noch, Carter«, sagt Ryan plötzlich ernst. Er räuspert sich und setzt zweifellos zu seiner Motivationsansprache an, die ich mir fast täglich anhören muss, seit wir Partner sind.
Er muss mir meinen Job nicht erklären. Mir ist klar, dass ich die Aufgabe habe, den größten College-Drogenring aller Zeiten auszuheben. Der Rauschgiftkonsum am hiesigen College hat sich allein in den letzten drei Jahren verzehnfacht. Den Gerüchten zufolge ist ein Typ namens Asa dafür verantwortlich. Ryan und ich sind hier, um ihn und seine Komplizen zu überführen. Natürlich nicht im Alleingang. Wir sind Teil eines größeren Teams, in dem jeder eine wichtige Rolle spielt. Meine besteht darin, mich als Student auszugeben. Wieder einmal. Immerhin hat das Department es noch geschafft, mich pünktlich zum Semesterbeginn in das System einzuschleusen.
»Geh’s locker an, Mann. Wir brauchen nicht mehr lange … Du wirst höchstens noch zwei Monate hier sein. Setz dich neben einen heißen Arsch. Dann vergeht die Zeit wie im Flug.«
Ich schaue durch das Fenster in der Tür. Der Kurs ist gut besucht. Es sind nur noch drei Plätze frei. Mein Blick fällt auf ein Mädchen ganz hinten im Raum, das neben einem der unbesetzten Stühle sitzt. Ihre dunklen Haare fallen ihr vors Gesicht, ihr Kopf liegt auf den Armen. Sie schläft. Mit Schlafmützen komme ich klar. Es sind die Labertaschen, die ich nicht packe. »Sieh an. Und schon habe ich einen heißen Arsch gefunden, neben den ich mich setzen kann. Ich melde mich nach dem Mittagessen wieder bei dir.« Ich beende das Telefonat, stoße die Tür auf und erklimme die Stufen zum hinteren Teil des Raums. Oben angekommen, quetsche ich mich an dem Mädchen vorbei zu dem leeren Stuhl, lasse den Rucksack auf den Boden fallen und werfe das Handy auf den Tisch. Sie schreckt hoch, schaut sich hektisch im Raum um und dann auf das Notizbuch, das vor ihr liegt. Derweil ziehe ich den Stuhl unter dem Tisch hervor und setze mich neben sie. Ihr Blick zuckt zu meinem Handy und gleich darauf zu mir. Ihre Haare sind zerzaust, aus einem ihrer Mundwinkel rinnt ein glänzender Speichelfaden. Sie funkelt mich böse an, wahrscheinlich, weil ich sie aus dem Schlaf gerissen habe.
»War wohl eine lange Nacht«, sage ich und ziehe mein Spanischbuch aus dem Rucksack, dessen Inhalt ich mittlerweile vermutlich auswendig aufsagen könnte.
»Ist der Kurs vorbei?«, fragt sie und betrachtet mit zusammengekniffenen Augen das Buch, das ich vor mich auf den Tisch lege.
»Hängt davon ab.«
»Wovon?«
»Wie lange du bewusstlos warst«, erwidere ich. »Ich weiß nicht, für welchen Kurs du hier bist, aber gleich ist es zehn und der Spanischunterricht beginnt.«
Sie stützt die Ellbogen auf den Tisch und fährt sich stöhnend mit beiden Händen übers Gesicht. »Habe ich wirklich nur fünf Minuten geschlafen? Mehr nicht?« Sie lässt sich zurücksinken und legt den Kopf auf die Stuhllehne. »Weck mich, wenn’s vorbei ist, okay?«
Anstelle einer Antwort tippe ich mir mit dem Finger aufs Kinn. »Du hast da was.«
Sie reibt sich über den Mund und inspiziert ihren Handrücken. Ich rechne damit, dass ihr der Spuckefaden peinlich ist, aber sie verdreht nur die Augen, hakt den Daumen unter den Ärmel ihres Shirts und wischt damit die kleine Pfütze auf dem Tisch weg. Anschließend lässt sie sich wieder zurücksinken und schließt die Augen.
Da ich schon mal auf dem College war, weiß ich, wie anstrengend es ist, nächtelang zu feiern, ohne sein Studium schleifen zu lassen. Doch dieses Mädchen wirkt extrem gestresst. Ich frage mich, ob sie neben dem Studium arbeiten muss oder einfach zu viel Party macht.
Ich greife in meinen Rucksack und hole den Energydrink heraus, den ich heute Morgen auf dem Herweg gekauft habe. Sie braucht ihn offenbar dringender als ich. »Da.« Ich stelle die Flasche vor ihr auf den Tisch. »Trink das.«
Sie hebt die Augenlider, ganz langsam, als würden sie jeweils eine halbe Tonne wiegen. Als sie die Flasche bemerkt, stürzt sie sich darauf, öffnet sie und schüttet den Inhalt gierig in sich hinein. Man könnte fast glauben, sie hätte seit Tagen nichts mehr getrunken.
Ich lache. »Gern geschehen.«
Sie leert die Flasche, stellt sie auf den Tisch zurück und reibt sich den Mund mit dem Ärmel trocken, mit dem sie gerade die Spucke weggewischt hat. Ich merke, dass mich ihr unordentliches Äußeres und ihre schlampige Art auf seltsame Weise antörnen.
»Danke«, sagt sie, streicht sich mit einer Mischung aus Gähnen und Lächeln die Haare aus den Augen und reckt die Arme nach hinten. Die Tür geht auf, und alle sehen zur Seite. Schätzungsweise hat gerade der Dozent den Raum betreten, aber ich kann den Blick nicht lange genug von ihr losreißen, um meine Vermutung zu bestätigen.
Sie kämmt sich mit den Fingern durch die dunklen, ein wenig feuchten Haare. Sie sind lang und dicht, wie ihre Wimpern, und verströmen einen blumigen Shampooduft, als sie sie über die Schultern wirft. Dann sieht sie nach vorne und schlägt ihr Notizbuch auf. Ich mache es ihr nach.
Der Dozent begrüßt uns auf Spanisch, was wir radebrechend erwidern. Während er uns erklärt, wie die Stunde ablaufen wird, leuchtet zwischen uns das Display meines Handys auf. Es ist eine Nachricht von Ryan.
Hat der heiße Arsch, neben dem du sitzt, auch einen Namen?
Ich drehe das Handy sofort um und hoffe, dass sie den Text nicht gelesen hat. Sie hält sich eine Hand vor den Mund, um ihr Grinsen zu verbergen.
Verdammt. Sie hat ihn gelesen.
»Von welchem heißen Arsch ist da die Rede?«, fragt sie.
»Es tut mir leid. Mein Kumpel … Er hält sich für witzig. Außerdem macht es ihm Spaß, mich in blöde Situationen zu bringen.«
Sie sieht mich mit erhobenen Augenbrauen von der Seite an. »Dann findest du also nicht, dass ich einen heißen Arsch habe?«
Zum ersten Mal habe ich Gelegenheit, sie eingehend zu betrachten. Okay, jetzt ist es offiziell: Das hier ist mein absoluter Lieblingskurs. Ich zucke mit den Schultern. »Bei allem nötigen Respekt, bislang kenne ich dich nur sitzend – deinen Arsch habe ich noch gar nicht gesehen.«
Sie lacht und reicht mir die Hand. »Sloan.«
Ich ergreife sie. Auf ihrem Daumen befindet sich eine kleine halbmondförmige Narbe. Ich fahre mit meinem Daumen darüber und drehe ihre Hand hin und her, um sie von allen Seiten zu betrachten. »Sloan«, wiederhole ich langsam, lasse mir den Namen auf der Zunge zergehen.
»Das ist normalerweise der Moment, in dem man mit seinem eigenen Namen antwortet«, sagt sie.
Ich hebe den Blick. Sie zieht die Hand zurück und sieht mich forschend an.
»Carter«, erwidere ich. Das ist mein Deckname. Es ist mir nicht leichtgefallen, Ryan während der letzten sechs Wochen als Dalton anzusprechen, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Mich selbst Carter zu nennen, fällt mir wesentlich schwerer. Ein paarmal habe ich mich schon verhaspelt und hätte fast meinen echten Namen ausgeplaudert.
»Mucho gusto«, erwidert sie mit nahezu perfektem Akzent und sieht wieder nach vorn.
Die Freude ist ganz meinerseits. Absolut.
Der Dozent trägt uns auf, die Person neben uns zu betrachten und auf Spanisch drei Fakten über sie zu formulieren. Da dies bereits mein vierter Spanischkurs ist, beschließe ich, Sloan den Vortritt zu lassen, um sie nicht einzuschüchtern. Wir nehmen uns gegenseitig in den Blick und ich nicke ihr zu. »Las damas primero«, sage ich.
»Nein«, erwidert sie. »Wir wechseln uns ab. Du fängst an. Na los, sag mir was über mich.«
»Okay«, antworte ich und lache darüber, wie sie gerade die Kontrolle an sich gerissen hat. »Eres mandona.«
»Das ist kein Fakt, sondern Ansichtssache«, stellt sie fest. »Aber ich will mal nicht so sein.«
Ich sehe sie fragend an. »Hast du überhaupt verstanden, was ich gesagt habe?«
Sie nickt. »Wenn du mich als bossy bezeichnen wolltest, dann ja.« Sie kneift die Augen zusammen, kann aber ein Lächeln nicht verbergen. »Ich bin dran«, sagt sie. »Tu compañera de clase es bella.«
Ich lache. Hat sie sich gerade wirklich selbst ein Kompliment gemacht und erklärt, meine Sitznachbarin sei schön? Ich nicke nachdrücklich. »Mi compañera de clase tiene razón.«
Trotz ihres dunklen Teints kann ich sehen, dass sie errötet. »Wie alt bist du?«, will sie wissen.
»Das ist eine Frage, keine Tatsachenbeschreibung. Noch dazu in der falschen Sprache.«
»Ich muss dir erst diese Frage stellen, bevor ich zu den Fakten zurückkehre. Du siehst ein bisschen älter aus als die meisten Studenten im zweiten Jahr.«
»Für wie alt hältst du mich denn?«
»Dreiundzwanzig oder vierundzwanzig vielleicht?«, schätzt sie.
Sie liegt nicht weit daneben. Ich bin fünfundzwanzig, aber das werde ich ihr nicht sagen. »Zweiundzwanzig«, erwidere ich stattdessen.
»Tienes veintidos años«, verkündet sie.
»Du mogelst.«
»Wenn das eine Feststellung über mich sein soll, musst du es auf Spanisch sagen.«
»Me estás engañando.«
Ihren hochgezogenen Augenbrauen nach zu urteilen, hat sie nicht damit gerechnet, dass ich dazu in der Lage bin.
»Damit hast du drei«, erklärt sie.
»Dir fehlt noch eine.«
»Eres un perro.«
»Du hast mich gerade aus Versehen als Hund bezeichnet«, erwidere ich lachend.
Sie schüttelt den Kopf. »Das war kein Versehen.«
Ihr Handy vibriert. Sie zieht es aus der Tasche und liest die Nachricht. Da noch nicht alle Studenten mit ihrer Aufgabe fertig sind, lehne ich mich zurück und tue so, als würde auch ich mich mit meinem Handy beschäftigen. In Wahrheit beobachte ich jedoch aus dem Augenwinkel, wie sie eine Antwort tippt. Ihre Daumen fliegen über das Display. Sie ist süß. Wie schön, dass ich jetzt einen Grund habe, mich auf diesen Kurs zu freuen. Plötzlich finde ich es schade, dass er nur dreimal pro Woche stattfindet.
Bis zum Ende der Stunde sind es noch rund fünfzehn Minuten. Ich bemühe mich, sie nicht anzustarren. Seit sie mich als Hund bezeichnet hat, schweigt sie. Inzwischen kritzelt sie, ohne auf den Dozenten zu achten, etwas in ihr Notizbuch. Sie ist entweder extrem gelangweilt oder mit den Gedanken ganz woanders. Ich beuge mich vor und versuche zu sehen, was sie da schreibt. Ziemlich neugierig von mir, ich weiß, aber nachdem sie vorhin Ryans Nachricht gelesen hat, erscheint mir das nur fair.
Ihr Stift bewegt sich rasend schnell über die Seite, was an dem Energydrink liegen könnte, den sie vorhin auf ex getrunken hat. Ich lese mehrfach, was sie bislang zu Papier gebracht hat, kann den Sätzen aber beim besten Willen keinen Sinn abringen.
Züge und Busse haben meine Schuhe gemopst, und jetzt muss ich rohen Tintenfisch essen.
Ich lache über ihr skurriles Kauderwelsch.
Sie sieht mit einem verschmitzten Grinsen auf und klopft mit dem Stift auf ihr Notizbuch. »Mir wird schnell langweilig«, sagt sie. »Ich kann mich nicht gut konzentrieren.«
Ich dagegen kann mich normalerweise hervorragend konzentrieren, nur anscheinend nicht, wenn ich neben ihr sitze. »Manchmal gelingt mir das auch nicht so gut«, sage ich und deute auf ihr Notizbuch. »Was ist das? Eine Art Geheimcode?«
Sie legt mit einem Schulterzucken den Stift weg und schiebt mir das Buch zu. »Das ist nur ein Nonsens-Spiel, mit dem ich mir gelegentlich die Zeit vertreibe. Es geht darum, sich, ohne nachzudenken, so viel wirres Zeug wie möglich einfallen zu lassen. Derjenige, dessen Sätze am wenigsten Sinn ergeben, hat gewonnen.«
»Was meinst du mit derjenige hat gewonnen?«, frage ich verblüfft. »Du spielst doch allein.«
Ihr Lächeln verblasst. Sie sieht auf das Notizbuch hinunter und fährt sanft mit dem Finger über die Buchstaben. Während ich mich noch frage, ob ich was Falsches gesagt habe, hält sie mir bereits den Stift hin. Ihre düstere Stimmung scheint schon wieder verflogen zu sein.
»Probier’s aus«, sagt sie. »Man kann echt süchtig danach werden.«
Ich nehme den Stift und lasse ihn über einer unbeschriebenen Stelle auf der Seite schweben. »Ich schreibe also einfach irgendwas, oder? Was immer ich gerade denke?«
»Nein«, erwidert sie. »Ganz im Gegenteil. Der Witz ist, dass du an gar nichts denkst und einfach drauflosschreibst.«
Ich drücke die Spitze des Stifts auf das Papier und tue genau das, was sie gesagt hat:
Ich habe eine Dose Mais in den Wäschekorb fallen lassen, jetzt weint meine Mutter Regenbogen.
Ich komme mir ein bisschen blöd vor, als ich den Stift wieder weglege.
Sie liest, was ich fabriziert habe, und verkneift sich ein Lachen. Dann schlägt sie die nächste Seite auf und schreibt:
Du bist ein Naturtalent.
Ich greife wieder nach dem Stift.
Vielen Dank. Einhornsaft hilft mir beim Atmen, wenn ich Discomusik höre.
Diesmal lacht sie laut auf und nimmt mir just in dem Augenblick den Stift aus der Hand, als der Dozent den Kurs beendet. Alle packen rasch ihre Bücher ein und eilen zur Tür.
Alle bis auf uns. Wir blicken beide lächelnd auf unser Geschreibsel und rühren uns nicht vom Fleck.
Schließlich klappt sie ihr Notizbuch zu, schiebt es langsam in ihren Rucksack und sieht mich an. »Bleib noch einen Moment sitzen«, sagt sie, während sie selbst aufsteht.
»Wieso?«
»Damit du mir hinterherschauen und beurteilen kannst, ob ich einen tollen Arsch habe oder nicht.« Sie zwinkert mir zu und dreht sich um.
Oh Mann. Ich tue genau das, was sie von mir verlangt hat, und glotze ihr auf den Arsch. Und was soll ich sagen: Er ist perfekt. Wie auch der ganze Rest von ihr. Reglos sehe ich zu, wie sie die Stufen hinuntersteigt.
Wo zum Teufel ist bloß dieses Mädchen hergekommen? Und wo hat sie mein ganzes bisheriges Leben lang gesteckt? Fluchend mache ich mir klar, dass nicht mehr aus uns beiden werden kann. Lügen bilden kein gutes Fundament für Beziehungen. Schon gar nicht Lügen wie meine.
Kurz vor der Tür blickt sie zu mir zurück. Als ich ihr in die Augen sehe und den Daumen in die Höhe recke, tritt sie lachend in den Korridor hinaus.
Ich packe zusammen und versuche, sie mir sofort wieder aus dem Kopf zu schlagen. Heute Abend muss ich voll bei der Sache sein. Von meinem Einsatz hängt zu viel ab, als dass ich mich von einem schönen Hintern ablenken lassen darf – egal, wie perfekt er ist.
Ich erledige meine Hausaufgaben in der Bibliothek, da ich weiß, dass ich mich nicht mehr konzentrieren kann, sobald ich einen Fuß in das Haus setze. Als ich damals bei Asa eingezogen bin, blieb mir nur noch eine Nacht, bevor ich von der Couch geflogen wäre, auf der ich zu der Zeit geschlafen habe … ganz zu schweigen von all den anderen finanziellen Schwierigkeiten, mit denen ich mich rumschlagen musste. Damals waren wir erst seit zwei Monaten zusammen, aber ich konnte nirgendwo anders hin.
Das ist jetzt gute zwei Jahre her.
Aufgrund seiner Autos und der Größe seines Hauses war mir natürlich klar, dass er Geld hat. Allerdings wusste ich nicht, ob er einfach nur aus einer reichen Familie stammt oder in etwas involviert ist, in das er nicht involviert sein sollte. Natürlich habe ich auf Ersteres gehofft, aber das mit der Hoffnung hat bei mir noch nie sonderlich gut funktioniert. In den ersten Monaten hat er die Tatsache, dass er Drogen verkauft, noch ziemlich gut vor mir verborgen und hat seinen teuren Lebensstil damit erklärt, dass er groß geerbt habe. Eine Zeit lang habe ich ihm geglaubt. Ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu glauben.
Doch als immer mehr fremde Leute spätabends und nachts bei uns aufgetaucht sind, mit denen Asa nur hinter verschlossenen Türen geredet hat, ist die Wahrheit immer offensichtlicher geworden. Er hat versucht, sich zu rechtfertigen, hat geschworen, dass er nur »harmlose« Drogen verkauft, an Leute, die sie sowieso irgendwo bekommen würden. Aber ich wollte nichts damit zu tun haben, und als er sich geweigert hat, mit dem Dealen aufzuhören, bin ich gegangen.
Das Problem war nur, dass ich nirgendwo hinkonnte. Ich bin bei verschiedenen Freunden auf dem Sofa untergekommen, aber keiner von ihnen hatte genug Platz oder Geld, um mich langfristig zu unterstützen. Ich wäre lieber in ein Obdachlosenheim als zurück zu Asa gegangen, aber es war nicht mein Leben, um das ich mir Sorgen gemacht habe; es war das Leben meines kleinen Bruders.
Stephen hatte es nie leicht. Er ist mit jeder Menge Probleme auf die Welt gekommen, sowohl psychisch als auch körperlich. Der Staat hat die Kosten für seine Pflege übernommen, und er war endlich in einem guten Heim untergebracht, dem ich voll und ganz vertrauen konnte. Doch als diese staatliche Unterstützung eingestellt wurde, konnte ich das Risiko nicht eingehen, dass er zurück zu meiner Mutter geschickt wird. Ich musste alles tun, um sicherzustellen, dass ihm das erspart bleibt.
Meine Trennung von Asa war gerade mal zwei Wochen her, als die Finanzierung für Stephens Pflegeheim gestrichen wurde. Ich hatte keine Möglichkeit, Stephen bei mir aufzunehmen, und ohne den Platz im Heim, auf den wir so lange gewartet hatten, hätte er jeden Zugang zu der Pflege verloren, die er so dringend braucht. Asa war der Einzige, an den ich mich wenden konnte, weil er als Einziger bereit war, uns zu helfen. Wieder an seine Tür zu klopfen und ihn um Hilfe zu bitten war das Schwerste, was ich jemals tun musste. Mich erneut in seine Arme zu stürzen kam einer Aufgabe meiner Selbstachtung gleich. Er hat mich wieder bei sich einziehen lassen, allerdings nicht ohne Konsequenzen. Nachdem er nun wusste, wie sehr ich darauf angewiesen war, dass er die Gebühr für Stephens Pflege übernimmt, hat er aufgehört, seinen Lebensstil vor mir zu verbergen. Immer mehr Leute sind bei uns aufgetaucht, und die Geschäfte wurden offen geführt, nicht mehr hinter verschlossenen Türen.
Inzwischen herrscht hier ein so stetes Kommen und Gehen, dass es schwer ist, zu unterscheiden, wer hier tatsächlich wohnt, wer hier ab und zu schläft und wer ein vollkommen Fremder ist. Jede Nacht ist Party, und jede Party ist für mich ein Albtraum.
Mit jeder Woche, die vergeht, wird die Atmosphäre gefährlicher, und ich wünsche mir mehr denn je einen Ausweg. Letztes Jahr habe ich in Teilzeit in der Collegebibliothek gearbeitet, aber dieses Semester haben sie leider keine Stelle für mich. Ich stehe auf der Warteliste und habe mich auch auf andere Jobs beworben, versuche verzweifelt, mein Fluchtgeld aufzustocken. Müsste ich nur mich selbst versorgen, wäre das gar nicht so schwer, aber für Stephens Heimplatz brauche ich Geld, das ich nicht habe. Geld, das ich noch eine ganze Weile nicht haben werde.
In der Zwischenzeit muss ich wohl oder übel den Schein wahren und weiterhin so tun, als hätte ich Asa mein Leben zu verdanken, obwohl er derjenige ist, der es ruiniert. Was allerdings nicht heißen soll, dass ich ihn nicht liebe.
Ich liebe die Person, die er sein könnte, irgendwann, aber ich bin auch nicht naiv. Er hat mir schon oft versprochen, sein Geschäft zurückzufahren, um mit der Zeit ganz auszusteigen, aber mir ist klar, dass er das nicht tun wird. Ich habe versucht, ihn zur Vernunft zu bringen, aber wenn man so viel Macht besitzt und so viel Geld in der Tasche hat wie er, ist es schwer, das einfach aufzugeben. Er wird nie aufhören zu dealen. Er wird weitermachen, bis er im Gefängnis landet … oder tot ist. Und ich will keins von beidem miterleben.
Inzwischen versuche ich nicht einmal mehr, die Autos in der Einfahrt zu identifizieren. Jeden Tag ist ein neues dabei. Ich parke Asas Wagen und schnappe mir meine Sachen, bevor ich ins Haus gehe, wo mich eine weitere höllische Nacht erwartet.
Als ich eintrete, ist es merkwürdig still im Haus. Ich schließe die Tür hinter mir, froh, dass alle draußen am Pool zu sein scheinen. Ich habe so gut wie nie Gelegenheit, allein zu sein, also nutze ich diese Chance sofort, setze meine Kopfhörer auf und fange an zu putzen. Ich weiß, das klingt nicht gerade nach Spaß, aber für mich ist es der einzige Weg, für kurze Zeit alldem hier zu entkommen.
Ganz abgesehen davon, ist das Haus wie immer ein absoluter Saustall.
Ich beginne im Wohnzimmer und sammle genug Bierflaschen ein, um einen Hundert-Liter-Müllsack zu füllen. Als ich schließlich die Küche erreiche und die Berge schmutzigen Geschirrs sehe, lächle ich sogar. Damit sollte ich mindestens eine Stunde rumbringen können. Ich staple die schmutzigen Teller links neben dem Spülbecken und lasse Wasser einlaufen, wiege mich dabei leicht zur Melodie, die aus meinen Kopfhörern dringt. Eine solche innere Ruhe habe ich seit den ersten zwei Monaten in diesem Haus nicht mehr empfunden. Damals, als es den guten Asa noch gab. Den Asa, der süße Dinge zu mir gesagt hat, mit mir ausgegangen ist und mich über alle und alles andere gestellt hat.
Ich erinnere mich an eine Zeit, in der wir ab und zu allein im Haus waren. In der er Essen bestellt hat und wir uns für einen Filmabend zusammen aufs Sofa gekuschelt haben.
Kaum fluten die Erinnerungen an den Asa, in den ich mich verliebt habe, meinen Kopf, spüre ich, wie er von hinten die Arme um mich schlingt. Im ersten Moment erschrecke ich. Doch dann rieche ich sein Rasierwasser, denselben Duft von Dior, den er auch bei unserem ersten Date getragen hat. Er beginnt, sich mit mir zur Musik zu bewegen, hält mich sanft in seinen Armen. Ich lächle und lasse die Augen geschlossen, schmiege meine Hände in seine und lehne mich an seine Brust.
Er küsst mein Ohr, verflicht seine Finger mit meinen und dreht mich dann um, sodass ich ihm zugewandt bin. Als ich die Augen öffne, lächelt er mit einem wahrhaftig süßen Ausdruck auf mich herab. Diesen Blick habe ich so lange nicht mehr gesehen, dass sich mein Herz schmerzhaft zusammenzieht, mir bewusst macht, wie sehr ich ihn vermisst habe.
Vielleicht gibt er sich ja wirklich Mühe. Vielleicht ist auch er dieses Leben leid.
Er nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und küsst mich – ein langer, leidenschaftlicher Kuss. Ich hatte vergessen, dass er zu so etwas überhaupt in der Lage ist. In letzter Zeit küsst er mich nur noch, wenn er in unserem Bett auf mir liegt. Ich schlinge die Arme um seinen Hals und erwidere den Kuss. Ich küsse ihn verzweifelt. Ich küsse den alten Asa, und ich weiß nicht, wie viel Zeit mir mit ihm bleibt.
Er löst sich von mir und zieht mir die Kopfhörer von den Ohren.
»Da will wohl jemand da weitermachen, wo wir heute Morgen aufgehört haben, was?«
Ich küsse ihn wieder und nicke lächelnd. Das will ich. Wenn ich diesen Asa in meinem Bett habe, will ich das tatsächlich.
Er legt mir die Hände auf die Schultern und lacht. »Aber doch nicht vor unserem Gast, Sloan.«
Gast?
Ich schließe die Augen, habe Angst, mich umzudrehen, da mir nicht bewusst war, dass wir beobachtet werden.
»Hier ist jemand, den ich dir vorstellen will«, sagt er. Er dreht mich um, und ich öffne ein Auge, dann das andere, hoffe inständig, dass der Schock, der mich durchfährt, mir nicht ins Gesicht geschrieben steht. Die Arme vor der Brust verschränkt und mit einem harten Ausdruck in den Augen lehnt Carter am Türrahmen.
Der Typ, mit dem ich noch vor ein paar Stunden im Spanischkurs geflirtet habe.
Ich schnappe nach Luft, weil er wirklich der letzte Mensch ist, den ich hier erwartet hätte. Jetzt vor ihm zu stehen, ist plötzlich viel einschüchternder, als heute Morgen neben ihm zu sitzen. Er ist viel größer, als ich dachte, sogar größer als Asa – nur nicht so muskulös. Aber Asa geht ja auch jeden Tag ins Fitnessstudio, und der Größe seines Bizeps nach zu urteilen, experimentiert er wohl auch mit Steroiden. Carters Statur ist natürlicher, er hat dunklere Haut und dunkleres Haar – und in diesem Moment sehr dunkle, wütende Augen.
»Hey«, sagt Carter und lockert seine harte Miene mit einem Lächeln etwas auf, als er mir die Hand entgegenstreckt. Er lässt sich nicht anmerken, dass wir uns bereits kennen. Mir ist klar, dass er das tut, um mich zu schützen – oder vielleicht auch, um sich selbst zu schützen –, also schüttle ich seine Hand und stelle mich ihm zum zweiten Mal an diesem Tag vor.
»Ich bin Sloan«, sage ich mit bebender Stimme und hoffe, dass er meinen rasenden Puls nicht spüren kann. Ich befreie meine Hand schnell wieder aus seiner und weiche einen Schritt zurück. »Woher kennt ihr beide euch?« Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich hören will, aber die Frage sprudelt trotzdem aus mir hervor.
Asa legt einen Arm um meine Taille und dreht mich in die andere Richtung, weg von Carter. »Er ist mein neuer Geschäftspartner, und jetzt haben wir wichtige Dinge zu besprechen. Geh woanders putzen.« Er tätschelt mir den Po, will mich wegscheuchen wie einen Hund. Ich wirble herum und funkle ihn böse an, doch mein Blick ist nichts im Vergleich zu dem Hass, der in Carters Augen lodert, während er Asa beobachtet.
Normalerweise lege ich mich nicht mit Asa an, vor allem nicht vor anderen, aber in diesem Augenblick kann ich mich einfach nicht bremsen. Es macht mich so wütend, wie beiläufig er mir einen neuen Geschäftspartner vorstellt, obwohl er mir versprochen hat, mit dem Dealen aufzuhören. Ganz davon abgesehen kann ich auch nicht leugnen, wie es mich ankotzt, dass es ausgerechnet Carter ist. Ich bin wütend auf mich selbst, weil ich mit dem Bild, das ich mir heute Morgen von ihm gemacht habe, so völlig falschlag. Ich dachte, ich wäre besser darin, Menschen einzuschätzen, aber die Tatsache, dass er mit Asa zusammenarbeitet, zeigt mir, dass ich offensichtlich keine Ahnung habe. Er ist genau wie all die anderen, und eigentlich sollte ich inzwischen damit rechnen. Sosehr ich mich auch bemühe, diesem Sumpf zu entfliehen, den ich schon aus meinem Elternhaus kenne, ich lande einfach immer wieder darin, und ich komme mir so dumm vor. Meine Eltern waren drogenabhängig, und ich habe mir geschworen, diesen gefährlichen Lebensstil hinter mir zu lassen, sobald ich kann, ohne jemals zurückzusehen. Und doch bin ich jetzt hier, zwanzig Jahre alt, und führe ein Leben, das keinen Deut besser ist als das, in dem ich aufgewachsen bin. Wie ist es möglich, dass ich mich so sehr nach einem normalen Leben sehne, so hart dafür arbeite, und doch immer wieder mitten in dieser Scheiße lande? Es ist ein verdammter Fluch.
»Asa, du hast es mir versprochen.« Mit einer schwungvollen Geste deute ich in Carters Richtung. »Wenn du wirklich aufhören wolltest, würdest du keine neuen Leute anheuern … im Gegenteil.«
Es fühlt sich heuchlerisch an, ihn zu bitten, mit dem aufzuhören, was er tut. Denn auch wenn ich wünschte, er würde keine Drogen mehr verkaufen, lasse ich ihn jeden Monat mit ebendiesem schmutzigen Geld für Stephens Pflegeheim zahlen. Aber die Tatsache, dass das Geld nicht für mich ist, macht es leichter, das zu akzeptieren. Ich würde das schmutzigste Geld der Welt annehmen, wenn ich damit sicherstellen könnte, dass mein kleiner Bruder gut versorgt ist.
Asas Augen verdüstern sich und er macht einen Schritt auf mich zu. Sanft legt er die Hände an meine Arme und reibt daran hoch und runter. Doch als er sich vorbeugt, bis sein Mund direkt neben meinem Ohr ist, drückt er mit aller Kraft zu, sodass ich schmerzhaft das Gesicht verziehe.
»Blamier mich nicht«, flüstert er so leise, dass nur ich ihn hören kann. Er lockert seinen Griff und lässt die Hände runter zu meinen Ellbogen gleiten, bevor er mich gespielt liebevoll auf die Wange küsst. »Zieh dir dieses sexy rote Kleid an. Heute Abend wird gefeiert.«
Er tritt zurück und lässt mich los. Ich werfe einen Blick zu Carter hinüber, der immer noch in der Tür steht und Asa anstarrt, als wollte er ihm jeden Moment den Kopf abreißen. Plötzlich zuckt sein Blick zu mir, und eine Sekunde lang sieht es so aus, als würde seine Miene weicher, doch ich bleibe nicht lange genug, um sicher sein zu können. Ich drehe mich um und renne die Stufen zu unserem Schlafzimmer hinauf, knalle die Tür hinter mir zu und lasse mich aufs Bett fallen. Die Muskeln in meinem Arm pochen schmerzhaft, und ich versuche, das Gefühl wegzureiben. Das war das erste Mal, dass er mir wehgetan hat, während jemand dabei war, doch mein verletzter Stolz ist noch viel schmerzhafter. Ich hätte ihn niemals vor jemand anderem so infrage stellen sollen. Ich hätte es besser wissen müssen.
Morgen werde ich vermutlich blaue Flecken an den Armen haben, aber im Gegensatz zu den Narben, die meine Eltern auf meiner Haut hinterlassen haben, bleiben die Flecken wenigstens nicht für immer. Ich starre die sichelförmige Narbe an meinem Daumen an, erinnere mich daran, wie meine Mutter versucht hat, mich mit dem Zigarettenanzünder in ihrem Wagen zu verbrennen, als ich zwölf war. Ich habe keine Ahnung, wieso sie wütend auf mich war, und ich habe meine Hand weggezogen, als mir klar geworden ist, was sie vorhat, aber ich war nicht schnell genug. Jedes Mal, wenn ich diese Narbe sehe, erinnert sie mich an das Leben mit meiner Mutter.
Die blauen Flecken werden verblassen, aber wie lange dauert es noch, bis auch Asa permanentere Narben auf mir hinterlässt? Ich weiß, dass ich nicht verdient habe, was er mir gerade angetan hat. Niemand verdient so etwas. Und wenn ich nicht bald hier rauskomme, wird es immer schlimmer werden. Situationen wie diese wenden sich so gut wie nie zum Besseren. Am liebsten würde ich sofort alles, was ich besitze, in eine Tasche stopfen. Am liebsten würde ich verschwinden und niemals zurückkommen. Ich will weg. Ich will weg, ich will weg, ich will weg.
Aber ich kann noch nicht gehen. Denn die Folgen würden nicht nur mich treffen.
»Sorry, Kumpel«, sagt Asa und dreht sich wieder zu mir um. »Normalerweise zickt sie nicht so rum.«
Ich öffne die Hände, die ich zwischenzeitlich zu Fäusten geballt hatte, und versuche, mir meinen Ekel nicht anmerken zu lassen. Ich kenne diesen Typen erst seit drei Stunden und habe noch nie jemanden so sehr verabscheut wie ihn. »Kein Problem«, erwidere ich, während ich mich lässig an die Küchentheke setze, obwohl ich viel lieber nach oben rennen und nachsehen würde, ob es Sloan gut geht. Ryan hat mir nicht viel von Asas Freundin erzählt, sondern nur erwähnt, dass er eine hat. Er hätte mich zumindest vorwarnen können, dass wir den gleichen Kurs besuchen werden.
Sloan hätte ich als Letzte hier erwartet. Seit ich gesehen habe, wie Asa sie küsst und wie sie darauf reagiert, bereue ich es, diesen Auftrag angenommen zu haben. Dadurch ist diese Sache schlagartig deutlich komplizierter geworden.
»Wohnt sie bei dir?«, frage ich.
»Ja.« Asa reicht mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Ich öffne die Flasche und trinke einen Schluck. »Und wenn du sie auch nur schief anschaust, schneide ich dir den Schwanz ab.«
Ich beäuge ihn, doch er tut, als wäre nichts gewesen. Asa schließt die Kühlschranktür und schlendert zum Hocker auf der anderen Seite der Theke. Dass er ihr dermaßen wehtut, wie gerade eben, und dann so tut, als läge ihm irgendetwas an ihr, verschlägt mir die Sprache. Es kostet mich große Mühe, ihm nicht die Bierflasche an den Schädel zu knallen.
Er öffnet seine Flasche und erhebt sie. »Auf gute Zusammenarbeit«, sagt er und stößt mit mir an.
»Auf gute Zusammenarbeit.« Und darauf, dass Arschlöcher wie du bekommen, was sie verdienen.
Genau zum richtigen Zeitpunkt tritt Ryan ein. Er nickt mir zu und sieht Asa an. »Hey, Mann. Jon will wissen, wie wir es mit dem Alkohol halten wollen. Ist geplant, dass jeder sein Zeug selbst mitbringt, oder wolltest du, dass wir für die Getränke sorgen? Wir haben nämlich rein gar nichts mehr.«
Asa knallt das Bier auf die Theke, schiebt den Hocker zurück und steht auf. »Ich habe dem Arsch gestern gesagt, dass er was einkaufen soll.«
Nachdem er aus dem Raum gestürmt ist, nickt Ryan zur Vordertür. Ich stehe auf und folge ihm nach draußen.
Im Vorgarten dreht er sich zu mir um und trinkt einen Schluck von seinem Bier. Wahrscheinlich tut er nur so. Ryan hasst Bier. »Wie ist es gelaufen? Glaubst du, dass du dabei bist?«
Ich zucke mit den Schultern. »Glaub schon. Er braucht unbedingt jemanden, der Spanisch versteht. Ich habe ihm gesagt, dass ich es gut, aber nicht fließend spreche.«
Ryan sieht mich mit offenem Mund an. »Einfach so? Mehr wollte er nicht wissen?« Er schüttelt ungläubig den Kopf. »Wahnsinn, was für eine Dumpfbacke. Die Neuen glauben immer, sie wären unverwundbar. So ein beschissener Großkotz.«
»Ja«, stimme ich ihm aus tiefstem Herzen zu.
»Ich habe dich vor diesem Job gewarnt, Luke. So leben zu müssen, geht einem an die Nieren. Bist du sicher, dass du bei diesem Einsatz dabei sein willst?«
Da ich weiß, wie nahe Ryan und die anderen dran sind, Asa festzunageln, kann ich jetzt auf keinen Fall einen Rückzieher machen. »Du hast mich gerade Luke genannt.«
»Scheiße.« Ryan kickt mit der Schuhspitze ins Gras. »Tut mir leid, Mann. Treffen wir uns trotzdem morgen? Nachdem du jetzt auch an Bord bist, will Young einen kompletten Bericht.«
»Dummerweise habe ich morgen einen Kurs am College«, erwidere ich, um ihm noch mal unter die Nase zu reiben, dass ich bei unserem Auftrag die Arschkarte gezogen habe. »Mittags habe ich aber frei.«
Ryan nickt und geht zum Haus zurück. »Hast du den heißen Arsch aus deinem Spanischkurs zur Party eingeladen?«
»Nein. Das hier ist nicht ihr Stil.« Ganz zu schweigen davon, dass sie keine Einladung braucht, weil sie bis zum Hals in dieser Sache drinsteckt.
Ryan nickt. Er weiß, dass ich nie irgendwen in dieses Leben hineinziehen würde. Er selbst hat damit kein Problem. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so sehr in seiner Tarnidentität aufgeht wie er. Ryan hat undercover schon echte Langzeitbeziehungen geführt und sich einmal sogar zum Schein verlobt. Und wenn der Job vorbei ist, macht er sich ratzfatz aus dem Staub. Ich dagegen kann nicht ausblenden, dass alle, die ich als Carter kennenlerne, echte Menschen sind. Es widerstrebt mir, andere unnötig in die Irre zu führen. Daher achte ich sorgfältig darauf, niemanden zu nahe an mich heranzulassen.
Ryan macht die Tür hinter sich zu und lässt mich allein im Garten zurück. Ich betrachte das Haus, in dem ich ab jetzt zwei Monate lang Dienst tun werde. Eigentlich bin ich nicht zur Polizei gegangen, um als verdeckter Ermittler zu arbeiten, aber offenbar habe ich ein Talent dafür. Bei diesem Einsatz jedoch habe ich ein echt mieses Gefühl … auch wenn ich erst seit ein paar Stunden mit von der Partie bin.
Während der nächsten Stunden führt Asa mich von einem Zimmer zum nächsten. Irgendwann verliere ich den Überblick, wie vielen Leuten ich bereits die Hand geschüttelt habe. Anfangs bemühe ich mich noch, mir jedes Gesicht zu merken und in welchem Verhältnis die jeweilige Person zu Asa steht. Als mir jemand mein viertes Bier in die Hand drückt, gebe ich den Versuch jedoch auf. Mir bleibt noch genug Zeit, um alle kennenzulernen. Da ich neu bin, muss ich im Moment vor allem darauf achten, mich nicht verdächtig zu machen.
Irgendwann mache ich mich kurz aus dem Staub, um nach einer Toilette zu suchen. Doch als ich eine entdecke, ist sie von dem Kerl, der mir als Jon vorgestellt wurde, und zwei blutjung aussehenden Mädchen besetzt. Ich mache die Tür schneller zu, als ich sie geöffnet habe, und gehe nach oben, wo ich schließlich ein Badezimmer finde, das nicht als Separee zweckentfremdet wird.
Ich bleibe mindestens zehn Minuten länger darin als nötig. Da ich schon mehr getrunken habe, als gut für mich ist, kippe ich mein Bier ins Waschbecken und fülle die Flasche mit Wasser auf. Während der nächsten Wochen muss ich komplett nüchtern bleiben.
Ich starre mich im Spiegel an und hoffe, dass ich diese Sache durchziehen kann. Da ich nicht aus der Gegend stamme, habe ich keine Angst, dass irgendwer mich erkennen könnte. Viel mehr Sorgen bereitet mir, dass ich nicht wie Ryan bin. Im Gegensatz zu ihm kann ich meine Tarnidentität nicht einfach an- und abschalten. Was ich hier erlebe, ist das, was ich vor mir sehen werde, wenn ich nachts die Augen schließe. Und was sich vorhin zwischen Sloan und Asa abgespielt hat, wird mir sicher den Schlaf rauben.
Ich weiche unter dem Wasserhahn einen Waschlappen ein und drücke ihn mir ins Gesicht, um nüchtern zu werden, bevor ich das Bad verlasse. Als ich ihn in den vollen Wäschekorb werfe, frage ich mich, ob Sloan das einzige Mädchen ist, das hier wohnt. Wahrscheinlich bleibt die Schmutzwäsche an ihr hängen. Und auch alle anderen Hausarbeiten.
Als Asa und ich heute Nachmittag in die Küche kamen, ist er kurz in der Tür stehen geblieben, um ihr beim Abspülen zuzusehen. Ich habe ihm über die Schulter geschaut und konnte es nicht fassen, das Mädchen aus dem Spanischkurs vor mir zu sehen … Noch mehr schockierte mich allerdings, wie schön sie aussah, als sie zu der Musik aus ihren Kopfhörern die Hüften wiegte. Während ich Asa dabei zusah, wie er sie beobachtete, ging mir der Song Jessie’s Girl von Rick Springfield durch den Kopf. Ich wollte derjenige sein, der sie so betrachtet.
Als würde sie zu mir gehören.
Ich atme tief durch und öffne die Badezimmertür. Mein Blick wird sofort von der Gestalt angezogen, die mit dem Rücken zu mir auf der anderen Seite des Flurs steht. Offenbar hat sie die Tür gehört, denn sie wirbelt herum. Sie steht mir direkt gegenüber, und ich ertappe mich dabei, wie ich ihr rotes, hinreißend eng anliegendes Kleid anstarre. Das Oberteil, ein Hauch von Nichts mit dünnen Trägern, unter das kein BH passt, bringt ihre Brüste perfekt zur Geltung. Zu meinem Ärger bin ich Asa insgeheim dafür dankbar, dass er ihr gesagt hat, sie solle dieses Kleid anziehen.
Atmen nicht vergessen, Luke. Immer schön Luft holen.
Als ich es endlich schaffe, den Blick zu ihrem Gesicht zu heben, sehe ich, dass der Ausdruck darin nicht zu ihrem aufreizenden und selbstbewusst wirkenden Outfit passt. Anscheinend hat sie geweint.
»Ist alles okay?«, frage ich und gehe einen Schritt auf sie zu. Sie wirft einen ängstlichen Blick zur Treppe, nickt knapp und will sich auf den Weg nach unten machen. Ich ergreife ihre Hand und halte sie fest. »Warte, Sloan.«
Sie sieht mich an. Das Mädchen, das vor mir steht, ist nicht dasselbe, das ich am Vormittag im Spanischkurs kennengelernt habe. Sie wirkt verletzlich. Ängstlich. Gebrochen. Ich lasse ihre Hand los.
Sie macht ebenfalls einen Schritt auf mich zu, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht zu Boden. »Weshalb bist du hier, Carter?«
Ich weiß nicht, was ich ihr darauf antworten soll. Ich will sie nicht anlügen, kann ihr aber auch nicht die Wahrheit sagen. Young wäre sicher nicht begeistert, wenn ich die Freundin des Typen, den ich aus dem Verkehr ziehen soll, in meine Pläne einweihen würde. »Weil ich eingeladen wurde«, erwidere ich schließlich.
Sie hebt den Blick. »Du weißt genau, was ich meine. Was hast du mit alldem hier zu tun?«
»Du bist mit dem Grund, warum ich hier bin, zusammen«, sage ich. »Es ist nur ein Job.«
Sie verdreht die Augen, als hätte sie diesen Spruch schon öfter gehört. Vermutlich von Asa. Nur dass es in meinem Fall tatsächlich stimmt. Was genau ich damit meine, kann sie natürlich nicht wissen.
Ich seufze und zucke mit den Schultern. »Man kann auf jeden Fall festhalten, dass wir beide vorhin im Spanischkurs ein paar Fakten unter den Teppich gekehrt haben.«
Sie lacht gequält. »Ja, drei waren nicht genug. Wahrscheinlich hätten es eher fünf sein müssen.«
»Stimmt«, sage ich. »In einer der fünf Tatsachen wäre wahrscheinlich ein Hinweis auf deinen Freund enthalten gewesen.«
Sie sieht mich verlegen an. »Es tut mir leid.«
»Was meinst du?«
»Wie ich mich heute im Kurs verhalten habe«, murmelt sie. »Dass ich mit dir geflirtet habe. Ein paar Dinge hätte ich besser nicht gesagt. Ich schwöre, dass ich nicht so bin. Ich hätte nie …«
»Sloan«, unterbreche ich sie und hebe mit dem Zeigefinger ihr Kinn an, obwohl ich ganz genau weiß, dass ich sie nicht berühren, sondern mich von ihr fernhalten sollte. »Mach dir darüber keine Gedanken. Das war doch alles ganz harmlos.«
Das Wort harmlos hängt wie eine Gewitterwolke über uns. Wir wissen beide, dass Asa alles andere als harmlos ist. Dass ich mit ihr im Kurs gesprochen habe und wir jetzt hier im Flur stehen … Das sind genau die harmlosen Momente, aus denen mit der Zeit etwas Brandgefährliches entstehen kann. Asas Drohung von vorhin klingt mir noch immer deutlich in den Ohren. Dieses Mädchen ist für mich tabu. Daran hat er nicht den geringsten Zweifel gelassen. Und als Polizist sollte ich es ohnehin besser wissen. Was mache ich bloß hier?, denke ich und lasse die Hand sinken.
»Du verpasst die Party, Mann«, sagt jemand hinter mir. Sloan und ich zucken zusammen.
Ich fahre herum und sehe Ryan auf dem oberen Treppenabsatz stehen. Er sieht mich an, als würde er mich am liebsten verprügeln. Bei dem Mist, den ich fast gebaut hätte, wäre es ihm auch nicht zu verdenken.
»Ja.« Ich atme tief durch und drehe mich wieder zu Sloan um. »Wir unterhalten uns im Kurs weiter«, flüstere ich.
Sie nickt, offensichtlich erleichtert, dass nicht Asa, sondern Ryan uns hier oben erwischt hat. Da ist sie nicht die Einzige.
Anstatt nach unten zu gehen, kehrt sie in ihr Zimmer zurück. Wenn hier immer so ein Trubel ist, verstehe ich jetzt auch, warum sie heute Vormittag so müde war.
Sobald die Tür hinter ihr geschlossen ist, drehe ich mich zu Ryan um.
Er steht mit geblähten Nasenflügeln dicht vor mir. Jetzt habe ich keinen Zweifel mehr, dass er mich schlagen will. Er stößt mich gegen die Wand und drückt mir mit dem Unterarm die Luft ab. »Bau keinen Scheiß«, zischt er unmittelbar neben meinem Ohr. »Reiß dich zusammen.«
Ich warte, bis Jess sich die Nase abgewischt hat, dann beuge ich mich vor, halte mir ein Nasenloch zu und ziehe die zweite Line. Sobald ich das Brennen spüre, lehne ich mich gegen das Kopfende des Betts und genieße den Moment. »Du hast recht«, sage ich zu Jon, der in der Tür steht. »Das Zeug ist gut.«
Jess legt sich auf den Rücken und glotzt an die Decke. Sie ist Jons aktuelle Freundin, aber ich habe sie mir noch nie genauer angesehen. Sie ist süß. Nicht in Sloans Liga, aber süß genug, dass meine Jeans im Schritt spannt.
Ich gebe Jon ein Zeichen, das Tablett zu holen. Er kommt zum Bett und schnappt es sich. »Soll ich den Deal klarmachen?«, fragt er.
Während ich weiter seine Freundin anstarre, sage ich: »Ja. Mach das.« Jon greift nach Jess’ Hand, aber ich stoppe ihn. »Geh allein. Ich leiste Jess so lange Gesellschaft.«
Jon sieht mich an, als sei er schwer von Begriff. Jess schaut zwischen uns hin und her.
»Geh und schließ den Deal ab«, wiederhole ich. »Sie wird schon noch hier sein, wenn du zurückkommst.«
Er schwirrt ab, knallt aber im Gehen die Tür zu. Ich springe aus dem Bett und schließe ab, während Jess auf der Matratze nach oben rutscht und mir einen besorgten Blick zuwirft. Vielleicht ist es auch nur die Vorfreude. Jedenfalls lächle ich sie nett an, denn sie soll ganz unbefangen sein. Ich setze mich wieder zu ihr, lehne mich zurück und lasse sie auf mich wirken.
»Zieh dein Kleid aus.«
Jess fixiert mich einen Moment, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie weglaufen oder sich auf mich setzen soll. Aber offenbar tut das Koks jetzt seine Wirkung, denn ihre Augen werden glasig und dunkel. Ich greife nach ihrer Hand und ziehe sie näher zu mir, bis sie schließlich über mich steigt und sich auf mich setzt.
Ich lasse eine Hand ihren Oberschenkel hinaufgleiten und unter ihrem Kleid verschwinden.
Dreißig Sekunden später liegt das Kleid neben meinem Hemd auf dem Boden. Sie sitzt rittlings auf mir, schiebt mir ihre Zunge fast in den Hals.
Die Kleine weiß, was sie tut. Das kann gut oder schlecht sein. Ich mag Mädchen, die ficken können, aber ich frage mich auch, wie viele Typen sie ficken mussten, um so gut zu werden. Ohne Eile nehme ich ein Kondom vom Nachttisch und reiche es ihr.
»Zieh’s mir über«, befehle ich. Sie schaut mir in die Augen, während sie es aufreißt, dann führt sie ihre Hände zum obersten Knopf meiner Jeans. Ich packe ihre Handgelenke und schüttle den Kopf. »Mach’s mit dem Mund.«
Sie grinst und senkt den Kopf, als ich Schritte höre.
Dann dreht sich der Knauf der Zimmertür erfolglos.
Fuck.
»Asa, mach die Tür auf!«, ruft Sloan von draußen.
»Scheiße!« Ich stoße Jess von mir runter, angle nach meiner Hose und schlüpfe hinein, während Jess zwischen der Tür und mir hin- und herschaut. Ich werfe ihr Kleid in Richtung Schrank und mache ihr ein Zeichen, sich zu verstecken.
Sie steht auf, schaut mich beleidigt an und schüttelt den Kopf.
Wenn sie glaubt, dass sie dieses Zimmer verlassen kann, solange Sloan auf der anderen Seite der Tür steht, irrt sie sich gewaltig. Entschlossen schiebe ich sie zum Schrank.
»Nur für ein paar Minuten«, flüstere ich. Ich versuche, nett zu klingen, aber es ist nichts Nettes an dieser Situation. Sie weiß das und zischt ärgerlich meinen Namen.
Wenn diese Schlampe hier einen Aufstand macht und Sloan etwas von ihrer Anwesenheit mitkriegt, wird sie mir alles verderben. Wut steigt in mir hoch. Ich lasse das nette Getue sein, beuge mich zu ihr runter und lege meine Hand um ihren Kiefer. »Wenn du noch einen Mucks machst, wirst du es bereuen, Süße.« Dann drücke ich ihren Kiefer zusammen, bis sich ihre Augen weiten und sie schließlich nickt, gerade als Sloan ein zweites Mal an die Tür klopft.
Als ich mir sicher bin, dass sie kapiert hat, setze ich ein falsches Lächeln auf. »Zwei Minuten, Jess«, flüstere ich, »und ich bin sie los.« Ich schließe die Schranktür hinter ihr, schnappe mir ein T-Shirt vom Boden und wische mir Jess’ Geruch von Händen und Mund. Dann schlendere ich zur Schlafzimmertür und schließe auf.
»Es ist vier Uhr nachmittags, warum schläfst du noch?« Sloan schiebt sich an mir vorbei. Sie geht auf den Schrank zu, also packe ich sie an der Taille und ziehe sie aufs Bett. Sie seufzt widerwillig, als ich von oben auf sie herablächle und wortlos um Verzeihung bitte.
»Es tut mir leid«, sage ich. »Ich war den ganzen Tag am College. Ich bin müde.« Ehrlich gesagt kann ich mich nicht einmal daran erinnern, wann ich das letzte Mal in einem Kurs war, aber ich hoffe, dass diese Lüge sie nachgiebiger stimmt.
Es funktioniert.
Sie entspannt sich und schmiegt sich an meine Brust. »Du warst heute wirklich dort?« Ich nicke, streiche ihr eine Haarsträhne aus den Augen und schiebe sie ihr hinters Ohr. Dann drehe ich sie auf den Rücken und beuge mich über sie. Dabei springen mir die blauen Flecken an ihren Armen ins Auge und erinnern mich daran, dass ich mich nie für den Vorfall in der Küche entschuldigt habe. »Ja, ich war in ein paar Kursen«, lüge ich und fahre mit den Fingern über die Abdrücke, die ich auf ihrem Arm hinterlassen habe. »Ich meine es ernst, Sloan. Alles, was ich dir versprochen habe. Ich will mich bessern.« Vorsichtig küsse ich die Blutergüsse, jeden einzelnen. »Manchmal vergesse ich, wie zart deine Haut ist.«
Sie presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und schluckt. Ich sehe, dass sie versucht, nicht zu weinen. Das wird ein bisschen mehr Arbeit, als ich dachte. Sie ist immer noch sauer auf mich.
»Ich schwöre, ich werde mich bessern. Für uns beide, okay?« Ich lege meine Hände auf ihre Wangen und küsse sie ausgiebig. Mädchen mögen es, wenn ein Mann ihr Gesicht beim Küssen hält, als wäre das Küssen seine wahre Absicht.
Das ist Schwachsinn. Wenn es nach den Männern ginge, würden sich ihre Hände nie oberhalb der Brüste tummeln.
»Ich liebe dich«, wiederhole ich und lasse meine Hand zu ihrer Taille gleiten. Mein Schwanz schwillt in der Hose und wird viel härter, als Jons Hure im Schrank es je geschafft hat.