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HOLST DU MIR DIE STERNE VOM HIMMEL? Heiraten? Nichts für Cassie! Sie hat sich ganz ihrer Karriere als Astronomin verschrieben und ist für keinerlei romantische Träumereien zu haben. Doch dann wird sie auf einer Party von Samuel Tucker zum Tanz aufgefordert - und ihr Leben steht Kopf! Eigentlich ist ein sexy Footballer wie er ja gar nicht ihr Typ! Aber als sie eng an seinen muskulösen Körper geschmiegt übers Parkett gleitet, den Kopf an seine breite Schulter gelehnt, fühlt sie sich plötzlich wie berauscht. Und zum allerersten Mal im Leben verzehrt sie sich danach, dass ein Mann ihr die Sterne vom Himmel holt. WO MEIN HERZ ZU HAUSE IST Ihre Augen sind immer noch so blau wie der Sommerhimmel, denkt Skip, als er nach dreizehn Jahren seine große Liebe Adelina wiedersieht. Doch wird sie ihm glauben, dass er sie nie vergessen konnte, obwohl er sie so tief verletzte? Denn inzwischen bereut er es, ein arroganter Schönling gewesen zu sein, der es genoss, die Mädchen zu wechseln wie andere ihr Hemd. Ungeschehen machen kann er zwar nichts, aber vielleicht bekommt er ja noch eine Chance. Er muss Adelina einfach zurückerobern, denn er weiß, nur bei ihr findet sein ruheloses Herz sein Zuhause ... EIN KUSS - UND SCHLUSS? Alles an Grant Farley geht Jasmine unter die Haut, von dem selbstsicheren Grinsen bis zum herausfordernden Funkeln seiner eisblauen Augen. Doch auf keinen Fall wird sie sich in den berühmten Footballer verlieben - eingebildete Kerle wie er gehören der Vergangenheit an! Trotzdem wird die erotische Spannung zwischen ihnen immer größer, als die Profitänzerin ihn nach einer Verletzung zum Training an die Ballettstange zwingt. Aber kaum überrascht Grant sie mit einem heißen Kuss, geht er gleich wieder auf Distanz. Ein Zeichen mehr, dass sie und er einfach nicht zueinander passen … oder?
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Seitenzahl: 607
Amy Andrews, Mary J. Forbes, Stefanie London
Touchdown der Gefühle - verliebt in einen Footballer
Amy Andrews
Holst du mir die Sterne vom Himmel?
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
© 2013 by Amy Andrews Originaltitel: „Girl Least Likely to Marry“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: RIVA Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 062014 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: SAS
Abbildungen: ImagesBazaar / Getty Images, Julynx / Shutterstock, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733700447
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Zehn Jahre zuvor, Campus der Hillbrook Universität,
Upstate New York …
Cassiopeia Barclay hob ihr Glas und prostete den anderen zu. „Natürlich ist das nicht das Ende.“ Sie sah ihre drei Mitbewohnerinnen an. „Sondern erst der Anfang. Heute mag ja unser letzter gemeinsamer Abend sein, aber bestimmt nicht für lange. Wir machen doch bald den Ausflug, richtig?“
Alle drei Frauen nickten zustimmend, auch wenn Trustfund-Prinzessin Reese das Gesicht abwandte und einen großen Schluck Champagner nahm. Gina, die Engländerin, tat es ihr gleich und stürzte gekonnt den Rest ihres Glases Champagner hinunter. Südstaatenschönheit Marnie nippte elegante kleine Schlückchen, ihre Manieren wie immer perfekt.
Entgegen des weit verbreiteten Klischees über Australier nahm Cassie ebenfalls nur einen kleinen Schluck. Nicht, weil sie großen Wert auf gute Manieren legte oder Champagner zu schätzen wusste – ihr war gleich, ob sie Dom Pérignon, den Reeses monatlicher Scheck aus der Park Avenue ihnen ermöglichte, oder Malzbier trank, aber alles, was sie tat, tat sie eben auf ruhige, gelassene und logische Art.
Warum Champagner, ob nun teueren oder billigen, hinunterstürzen, wenn man sich dadurch unweigerlich Kopfschmerzen zuzog?
Den ersten Kater ihres Lebens hatte Cassie hier in diesem Haus gehabt, zusammen mit diesen drei Frauen, und sie hatte keineswegs vor, die Erfahrung zu wiederholen. Das wäre die ultimative Definition von Dummheit.
Und Cassiopeia Barclay war alles andere als dumm. Um genau zu sein, galt sie mit einem IQ von 163 offiziell als Genie.
Die Aufmerksamkeit der Frauen kehrte wieder zum Sportplatz zurück, der direkt vor ihrer Veranda lag. Die Sonne ging langsam unter, doch das Hillbrook Leichtathletikteam war noch immer gut beim abendlichen Training auszumachen. Es war zum Ritual der „Fantastischen Vier“, wie die Frauen überall hießen, geworden, den Jungs beim Training zuzusehen – auch wenn Cassie nur mitmachte, weil die drei anderen so etwas wie ihre Familie waren. Sie akzeptierten ihren mangelnden gesellschaftlichen Schliff ohne jedes Wort der Kritik.
Cassie begriff diese Faszination nämlich nicht, weder für Sport im Allgemeinen noch für das männliche Geschlecht, das ihn trieb. Die meisten waren wohl nur an der Uni, weil sie ein Sportstipendium bekommen hatten. Cassie fand das eigentlich unmöglich. Bei der Forschung wurde ständig gekürzt, aber für den Sport war immer genug Geld da.
Gina seufzte herzhaft, als einer der Jungs ihnen, ohne es zu wissen, seine muskulöse Kehrseite präsentierte. „Na, das nenne ich doch mal ein wirklich knackiges Gerät“, murmelte sie, und ihr britischer Akzent trat überdeutlich hervor.
Marnie verdrehte die Augen. Die Blondine aus dem tiefsten Süden war das genaue Gegenteil der Engländerin. Schlank und zierlich, war ihre Aura von Unschuld der absolute Kontrast zu Ginas offenkundiger Sinnlichkeit. Doch in dem letzten Jahr hatte Cassie oft genug miterlebt, dass Marnie aus ihrem Schneckenhaus herausgekommen war, genau wie sie selbst, wohl dank Ginas und Reeses – wenn auch sehr unterschiedlichem – Einfluss.
Reese lächelte Gina milde an. Überhaupt tat sie das in der letzten Woche oft – lächeln. Ginas Vermutung, dass das etwas mit einem gewissen Marine-Soldaten zu tun haben könnte, hatte sich durch Reeses verblüffende Zusicherung bestätigt, dass besagter Marine „der Eine“ war.
Man stelle sich vor, nach nur einer Woche!
Manchmal kam Cassie sich wie von einem anderen Stern vor. Im Gegensatz zu ihr schienen die anderen selbst mit neunzehn wie erfahrene Frauen aus einem Paralleluniversum, einschließlich Marnie.
Reese hatte die Bombe platzen lassen, dass sie sich auf den ersten Blick verliebt hatte. Gina arbeitete sich langsam, aber beharrlich durch die gesamte begehrenswerte – und weniger begehrenswerte – Junggesellenschaft, und Marnie seufzte jedes Mal verträumt lächelnd, wenn sie sich die große Hochzeit ihrer Freundin ausmalte.
Wirklich seltsam, aber für einen Verhaltensforscher sicher interessant. Wie weit könnten ihre Freundinnen es bringen, wenn sie die Hormone ignorierten und ihre Energie stattdessen auf die Zukunft richten würden, so wie Cassie es tat? Dennoch … die drei hatten ihr eine ganz neue Welt erschlossen, der sie sich vorher nie wirklich gewusst gewesen war. Man lernte eben nie aus!
Zu Hause in Australien hatte Cassie ein ziemlich einsames Leben geführt. Entweder hatte sie sich im elterlichen Haus in ihrem Zimmer eingeschlossen und gelernt, oder sie war an der Uni gewesen und hatte dort dasselbe getan. Es hatte weder Freundinnen noch Freunde gegeben, keine Partys und auch keine Gratisshows eines Leichtathletikteams.
Doch hier in Hillbrook ließen die Freundinnen weder ihre linkische Art noch ihren nicht vorhandenen Sinn für Mode und erst recht nicht ihre Unfähigkeit beim Tanzen als Entschuldigung gelten. Sie zerrten sie mit auf Partys, in Nachtclubs und Bars, wo sie Cocktails tranken und Karaoke sangen. Sie liehen ihr Schuhe und Kleider, staffierten sie aus, frisierten und schminkten sie, und vor allem akzeptierten sie kein Nein.
Sie verdankte den dreien viel. Das Jahr hier in Amerika würde sie immer als Selbstexperiment ansehen, bei dem sie enorm nützliche Daten gesammelt hatte.
„Eines Tages“, Reeses Stimme drang in Cassies Gedanken, „wirst du dich Knall auf Fall verlieben, und ich hoffe, dass ich das miterlebe, damit ich dann endlich sagen kann: ‚Ich habe es ja schon immer gesagt!‘“
Marnie hob ihr Glas. „Darauf trinke ich.“
Schnaubend schüttelte Gina das Haar zurück. „Von wegen.“
Die anderen lachten und widmeten sich wieder der Mannschaft. Cassie schloss sich an. Sie war zutiefst dankbar, dass sie nichts für Sportkanonen übrig hatte und viel zu vernünftig war, um sich von ihren Hormonen ablenken zu lassen.
Als Wissenschaftlerin verstand sie natürlich, dass der Mensch darauf ausgerichtet war, für den Fortbestand seiner Art zu sorgen, aber bei ihr herrschte der Kopf über die Gefühle. Gina, zum Beispiel, würde jetzt nicht in einer solchen Bredouille stecken, hätte sie auf ihr Hirn und nicht auf ihre unteren Körperregionen gehört.
Mit Marnies Bruder Carter zu schlafen, hatte Gina wirklich aus der Bahn geworden. Nuancen entgingen Cassie meist, aber sie hätte schon blind sein müssen, um nicht zu sehen, wie rastlos und nervös Gina seitdem war. Wozu das jetzt noch gut sein sollte, war ihr allerdings unklar. Es war geschehen und ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Und schließlich war es ja nicht Gina, die verlobt war und demnächst heiraten wollte, oder?
Das hatte sie Gina auch gesagt, als diese sie letzte Woche eingeweiht und totale Verschwiegenheit von ihr verlangt hatte. Wenn so etwas vorkam, war Cassie immer heilfroh, dass sie nie Opfer der Liebe werden würde. Wie auch, wenn sie nicht daran glaubte? Selbst wenn … für ein solch unlogisches Minenfeld hatte sie einfach keine Zeit, nicht, wenn es da draußen ein riesiges Universum zu erforschen gab, das wesentlich interessanter war, als ein Mann es je sein könnte. Und eines stand sowieso fest: Selbst wenn ihr IQ um hundert Punkte fallen und sie sich je mit irgendeinem Mann einlassen sollte … dann würde es bestimmt keine von diesen Sportskanonen sein, für die Gina so schwärmte.
„Erzähl uns was über die Sterne, Cassie.“
Sie sah zu Marnie, die den Kopf in den Nacken gelegt hatte und zum Himmel aufsah.
„Das da ist die Venus, nicht wahr?“
Cassie lächelte. Marnie liebte es, in die Sterne zu gucken, und genoss es, ihren eigenen Astronom gleich neben sich sitzen zu haben und jederzeit fragen zu können.
„Können wir heute die Cassiopeia sehen?“
Cassie schüttelte den Kopf. „Hier ist es zu hell. Aber wenn wir bei unserem Ausflug am Barringer Krater in Arizona übernachten, zeige ich sie dir.“ Das war auch der wichtigste Grund, weshalb Cassie den Ausflug mitmachen wollte. Sicher, die Zeit mit den Freundinnen würde bestimmt Spaß machen, aber vor allem wollte sie den Krater sehen, den ein Meteorit vor über fünfzigtausend Jahren in die Erde geschlagen hatte.
„Carter hat unter den Sternen im Grand Canyon um Missys Hand angehalten. Ist das nicht romantisch?“, meinte Marnie verträumt. „Darum will Missy ja auch einen künstlichen Sternenhimmel für den Empfang haben. Sie gibt ein Vermögen für die nachtblauen Stoffbahnen aus, in denen kleine Lichtchen blinken.“
Weshalb man ein Vermögen für einen Kunsthimmel ausgeben sollte, wenn es den echten gratis gab, verstand Cassie beim besten Willen nicht. Das schien ihr Geldverschwendung zu sein. Aber Hochzeiten waren ihr ein ebensolches Rätsel wie die Liebe, darum versuchte sie auch erst gar nicht, es zu lösen.
Sie würde einfach hier mit ihren Freundinnen zusammensitzen und zusehen, wie die Sterne aufgingen.
Ein letztes Mal.
Eine Dekade später …
Cassiopeia beobachtete Tuck … wie auch immer er mit Nachnamen hieß, wie er mit der Lässigkeit eines vom Erfolg verwöhnten Quarterbacks auf ihren Tisch zuschlenderte. Irgendwie schien der blonde Hüne mit seiner Präsenz das ganze Festzelt zu beherrschen, von dessen Decke zahllose Volants in einem wunderschönen Blau hingen. Allerdings würde er vermutlich jeden Raum mit seiner Präsenz füllen.
Er kam nur langsam voran. Männer hielten ihn an, um ihm die Hand zu schütteln und auf die Schulter zu klopfen, Frauen stellten sich in seinen Weg, um ihm die Hand auf die Brust zu legen und mit den Wimpern zu klimpern. Er ließ die allgemeine Bewunderung mit einem „Hey, ich bin nichts Besonderes“-Grinsen freundlich über sich ergehen. Der Mann war so locker, dass Cassie sich wunderte, warum er überhaupt noch gerade stehen konnte.
So ganz anders als der Mann, den sie gestern mit Reeses Exmann Mason eine sehr aggressive und überaus körperbetonte Runde Basketball hatte spielen sehen.
Reese hatte die Party, die ursprünglich als Hochzeitsempfang für ihre Trauung mit Dylan geplant gewesen war, verlassen und war Mason nachgefahren. Ihre Anweisung an den Rest des Kleeblatts war eindeutig gewesen: Kümmert euch darum, dass es zu keiner Schlägerei kommt.
Darum hatte sie Cassie auch als Tischpartnerin neben Tuck, den besten Freund des desertierten Bräutigams, gesetzt – weit weg von Gina. Das sollte die Gefahr eines Streits von vornherein eindämmen.
Mit Tuck als treuem Anhänger des Teams Dylan und Gina, die es liebte zu provozieren und natürlich zum Team Reese gehörte, ahnte Cassie schon jetzt, dass ihr ein langer Abend bevorstand.
„Der Junge sieht aber auch wirklich gut aus“, murmelte Gina vor sich hin.
Ein sehr langer Abend.
Cassie verstand die Faszination an der ganzen Sache einfach nicht. Sie war noch nie so programmiert gewesen. Sicher, Tuck Wie-auch-immer konnte all die Faktoren vorweisen, auf die die weibliche Spezies beim anderen Geschlecht achtete – groß, breite Schultern, schmale Hüften. Die ausgebildeten Muskeln waren heute Abend nicht zu sehen, auch wenn sie wusste, dass sie unter dem anthrazitfarbenen Anzug lagen. Davon hatte sie sich gestern überzeugen können, als er mit nacktem Oberkörper Basketball gespielt hatte.
In der Tierwelt bedeuteten ausgebildete Muskeln Stärke, und sicher waren sie auch in der Menschenwelt von Vorteil.
Mit der Symmetrie seines Gesichts konnte er ebenfalls punkten. Markante Züge, betonte Wangenknochen, Kinn und Stirn proportional, Lippen und Nase passend zum Gesamteindruck. Ein symmetrisches Gesicht war einer der Hauptmarker für körperliche Anziehungskraft, und davon hatte Tuck eindeutig genug.
Trotzdem verstand Cassie es nicht.
„Ich muss einmal kurz verschwinden.“ Sie drehte sich zu Gina. „Leg dich nicht mit ihm an, solange ich weg bin. Denk daran, Reese zählt auf uns.“
„Ich werde mein bestes Benehmen an den Tag legen“, versicherte Gina.
Hätte Cassie ein besseres Gespür für Nuancen gehabt, wäre sie ganz bestimmt nicht so beruhigt aufgestanden.
„Hier, zieh nach.“ Gina kramte den Lippenstift aus ihrer Handtasche und hielt ihn Cassie hin.
„Warum?“
„Darum.“ Seufzend wedelte Gina mit dem Lippenstift vor Cassies Gesicht, die das kleine Teil anstarrte, als wäre es ihr unheimlich. „Du weißt doch … wer schön sein will, muss leiden.“
Cassie lächelte. Wie gut sie sich an den alten Spruch erinnerte. Unter Ginas Ägide hatte sie viel über Frauen gelernt, auch wenn ihr in der letzten Dekade sicherlich einiges wieder entfallen war. Aber sie würde nie vergessen, dass Gina die ganze Nacht in Stilettos durchtanzen konnte, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, und sie würde auch nie vergessen, wie Gina sie unter ihre Fittiche genommen hatte – als wäre sie eine Art Eliza Doolittle.
Auch wenn Cassie im Grundkurs „Weiblichkeit“ mit Pauken und Trompeten durchgerasselt war … Gina war immer geduldig und nett geblieben. Etwas an ihrem spritzigen Wesen zog die Leute in den Bann. Cassie und Gina hatten Kontakt gehalten, trotz der Kluft, die sich zwischen den Fantastischen Vier aufgetan hatte, als Gina an jenem fatalen letzten Abend vor zehn Jahren Marnie ihren One-Night-Stand mit Carter gestanden hatte.
Und jetzt, zehn Jahre später, sorgte Gina im Modedepartment noch immer für Cassie. Ein Blick auf Cassies formloses Maxikleid, und Gina hatte es sofort als „unnatürliche Katastrophe“ bezeichnet. Bevor Cassie noch irgendetwas hatte sagen können, war sie bereits in ein ärmelloses Kleid mit weitem runden Kragen aus fließendem Stoff gehüllt gewesen, dessen Saum sich auf Kniehöhe um die Beine schmiegte. Passende hohe Riemchensandaletten waren wie von Zauberhand erschienen, das glatte braune Haar leicht aufgedreht und Lidschatten, Mascara und Lippenstift aufgetragen worden.
„Zieh einfach nach“, wiederholte Gina ihre Anordnung.
Und Cassie beugte sich der Expertenmeinung, nahm den Lippenstift und ging zum Waschraum.
Eine Minute später setzte Tuck sich an den Tisch, der ihm zugewiesen worden war. Sein Knie schmerzte höllisch, aber er ignorierte es und richtete seine Aufmerksamkeit allein auf die laszive Sexgöttin mit dem rabenschwarzen Haar. Sie trug etwas blutrotes, eng Anliegendes und lächelte ihn mit vollen Lippen an. Schon immer ein Freund der Frauen, gefiel ihm, was er sah.
Er lächelte sein Killerlächeln zurück. Er wusste, dass es ein Killerlächeln war, weil die Zeitungen noch immer darüber berichteten. „Na, das ist wohl meine Glücksnacht.“ Beim Reden zog er die Vokale absichtlich in die Länge und schoss eine volle Breitseite Südstaatencharme ab. Dabei hatte sein Akzent sich längst verwässert, er war viel gereist und lebte schon lange weit von seinen texanischen Wurzeln entfernt. Aber wenn es nötig war, konnte er noch immer mühelos darauf zurückgreifen.
Laut Zeitung konnten Frauen dem Charme von Südstaatenmännern nicht widerstehen.
Gina hob eine elegant gezupfte Augenbraue. „So, wirklich? Erklären Sie mir das.“
„Ah, Sie sind die Engländerin.“ Er grinste. „Gina, richtig?“
Sie nickte. „Und Sie müssen der Quarterback sein.“
Tuck besah sich die handgeschriebenen Platzkärtchen und stellte enttäuscht fest, dass er der sexy Engländerin gegenüber saß. Er hielt die Karte hoch. „Was meinen Sie? Sollen wir die nicht einfach gegen den Platz direkt neben Ihnen austauschen?“
„Hmm …“ Gina stützte das Kinn in die Hand. „Ich glaube, Reese wollte Sie und mich absichtlich getrennt halten.“
Er wirkte regelrecht geknickt. „Warum sollte sie so etwas tun?“
„Weil sie wohl befürchtet, dass wir uns in die Haare kriegen.“
Jetzt gab er sich gespielt entsetzt. „Weswegen denn?“
„Wegen der … nennen wir es Trennung aus Mangel an einem anderen Wort … von ihrem Bräutigam, der zufälligerweise Ihr bester Freund ist.“
„Ah. Wissen Sie, wenn Dylan es nicht so tragisch nimmt, dann hat es doch wenig Sinn für mich, Groll deshalb zu hegen, oder? Außerdem …“, Tuck setzte sich auf seinen Platz, sein Knie meldete sich protestierend, „… ich kann von dieser Seite genauso gut flirten.“
Gina lachte. Der blonde Hüne hatte ein Ego so groß wie ganz Nordamerika. „So gut sind Sie also?“
„Darlin’, ich bin der Beste.“
Gina sah Cassie zum Tisch zurückkommen und warf Tuck einen kurzen Blick zu. Es wäre bestimmt lustig, ihn von seinem hohen Ross herunterzuholen. „Gegen Ihren Charme ist also keine Frau immun?“
Er schüttelte den Kopf. „Die Frauen lieben mich.“ Er zuckte mit den Schultern und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Was soll ich sagen? Es ist eben eine Gabe.“
Ja, der Mann sah wirklich extrem gut aus, und sein Selbstbewusstsein verstärkte seine Ausstrahlung nur noch. Zu schade, dass sie momentan nicht in Stimmung war, um sich auf einen lockeren Flirt einzulassen. Denn eine Nacht mit Tuck wäre sicher ein wirksames Mittel, um zu vergessen, dass sie es vor Jahren so schlimm verbockt hatte.
In diesem Augenblick legte der DJ die erste Platte auf, und Tuck nutzte den Vorteil. „Sie spielen unser Lied“, behauptete er keck. „Kommen Sie, tanzen Sie mit mir, Gina.“
Sie musterte ihn. „Nein, mit mir zu tanzen, wäre viel zu leicht. Schließen wir eine kleine Wette ab?“
Tuck lächelte. Eine Frau, die wettete … Das wurde ja immer besser. „Ich bin ganz Ohr.“
„Ich wette, es gelingt Ihnen nicht, diese Frau dort …“, Gina nickte zu Cassie, „… zum Tanzen zu bekommen.“
Um zu sehen, wen Gina für ihn im Sinn hatte, drehte Tuck sich in seinem Stuhl um. Eine Frau im gleichen Alter wie Gina kam auf den Tisch zu. Langes dunkles Haar fiel ihr in weichen Wellen über bloße Schultern. Sie hatte eine süße Nase, hübsche Augen und einen interessanten Mund. Eine kleine Falte auf der Stirn verriet, dass sie ihre Umgebung gar nicht wahrzunehmen schien, sie wirkte, als wäre sie mit ihren Gedanken ganz woanders.
Auf jeden Fall war sie kein englisches Sexkätzchen. Wie ein Football-Groupie wirkte sie auch nicht, aber sie war eine Frau, und für eine Herausforderung war Tuck immer zu haben. „Kinderspiel.“
Gina lachte. „Oh, das wird herrlich!“
Tuck hob eine Augenbraue. „Und was bekomme ich, wenn ich die Wette gewinne?“
Sie lächelte. „Natürlich das Vergnügen von Cassies Gesellschaft.“
Er neigte leicht den Kopf. „Natürlich.“
Auch wenn sie anfangs Bedenken gehabt hatte, Gina und Tuck allein zu lassen, hatte Cassie in der Viertelstunde, in der sie weg gewesen war, überhaupt nicht mehr daran gedacht. Vielmehr hatte sie sich mit einem Problem aus einem Astronomieartikel beschäftigt, den sie gestern Abend gelesen hatte. Den Lippenstift hatte sie wie befohlen nachgezogen, während sich ihre Gedanken noch einmal um die faszinierenden neuen Daten drehten.
Für einen Moment stutzte sie, als sie Gina und Tuck Wie-auch-immer zusammen am Tisch sitzen sah. Die beiden schienen bestens miteinander zurechtzukommen.
Sie speicherte den Artikel in ihrem Kopf ab und trat an den Tisch. „Alles in Ordnung hier?“
Tuck erhob sich, setzte sein bestes „Hi, Baby“-Lächeln auf und streckte die Hand aus. „Hallo, ich bin Tuck, Reeses Cousin. Ich freue mich wirklich außerordentlich, Sie kennenzulernen, Ma’am.“
Cassie sah blinzelnd in sein Gesicht. Zwei Dinge fielen ihr auf. Der Mann roch unglaublich gut, sein Duft stieg ihr sofort in die Nase. Und sie war sicher, dass es nicht sein Aftershave war, überhaupt nichts Künstliches, höchstens vielleicht Seife und dezentes Deo.
Nein, das hier war wesentlich ursprünglicher. Und mächtiger. Geradezu überwältigend. Am liebsten hätte sie ihre Nase an sein Hemd gehalten und seinen Duft tief eingeatmet.
So, das waren also Pheromone. Wissenschaftler kannten sie natürlich schon lange. Kosmetik- und Parfümfirmen überall auf der Welt versuchten, ihr Geheimnis zu ergründen. Und von diesem Mann strömten sie in großen Wellen aus.
Das Zweite waren seine Augen. Sie hatten ein wirklich ganz erstaunliches Blau. Das gleiche Blau, das sie bei einem explodierenden Stern gesehen hatte, den sie durch ein Weltraumteleskop beobachtet hatte. Seine Augen waren kosmisch.
Tuck sah in Cassies Gesicht. Mit geöffneten Lippen starrte sie ihn an. Er warf einen vielsagenden Blick zu Gina. Kinderspiel.
„Ma’am?“
Cassie kehrte aus dem Universum in seinen Augen wieder zurück in die Wirklichkeit. Sein Duft lag ihr noch immer in der Nase. „Oh ja, natürlich … Entschuldigung.“ Sie schüttelte sich leicht. Was hatte er gesagt? Richtig, er hatte sich vorgestellt. „Ich heiße Cassie. Cassiopeia.“
Und dann beging sie den Fehler und ergriff seine Hand.
„Sie sind also das Superhirn.“ Er lächelte sie an.
Für einen Moment war Cassie wie benebelt. Aber ja, ich bin das Superhirn und er der Muskelprotz. Sie übertraf ihn um mindestens sechzig IQ-Punkte, wenn nicht mehr. Und sie wurde nicht blöd, nur weil sie sich in der Gegenwart eines Mannes aufhielt.
Dann benimm dich auch gefälligst nicht so!
Hastig zog sie ihre Hand zurück. „Und Sie sind der Muskelprotz.“ Der Satz half, sich daran zu erinnern.
Gespielt beleidigt sah Tuck zu Gina. „Warum habe ich den Eindruck, dass Cassie nicht viel von Muskelprotzen hält?“
Gina zuckte mit einer Schulter. „Nehmen Sie es nicht persönlich. Cassie hält generell nicht viel von Männern. Und von Frauen auch nicht“, fügte sie an, bevor Missverständnisse aufkamen.
Grinsend richtete Tuck seine Aufmerksamkeit wieder auf Cassie. So, da hatte er also eine echte Aufgabe vor sich. Nun, seine Momma meinte sowieso immer, dass ihm alles viel zu leicht zufliege. Aus der Nähe waren Cassies Augen sogar noch hübscher – graublau, wie ein nebelverhangener See. Er nickte zu den Platzkarten. „Sieht aus, als bliebe mir der ganze Abend, um Ihre Meinung zu ändern.“ Er hielt ihr lächelnd den Stuhl.
Einen Moment lang konnte Cassie sich nicht rühren. Seine Stimme, sein Lächeln, sein Duft … jede Zelle in ihrem Körper wurde von sexuellem Bewusstsein überschwemmt. Ihre plötzlich harten Brustspitzen, die sich gegen den Stoff ihres Kleids drückten, rissen sie aus ihrer Starre.
„Normalerweise ändere ich meine Meinung nur, wenn es sich aufgrund von mehreren unabhängigen und verlässlichen Quellen als notwendig erweist“, erwiderte sie spitz und setzte sich.
„Registriert.“ Tuck verkniff sich ein Lachen und nahm ebenfalls wieder Platz. „Sie sind nicht von hier, oder?“
„Nein.“ Mehr sagte sie nicht. Nur weil Reese sie nebeneinander gesetzt hatte, musste sie nicht freundlich zu ihm sein.
Gina erbarmte sich. „Cassie ist Australierin.“
„Ah. Aus Sydney? Eine wirklich hübsche kleine Stadt, die ihr da habt.“
„Aus Canberra. Das ist Australiens Hauptstadt, was viele Leute nicht wissen.“
Mit einem flüchtigen, aber vielsagenden Blick auf Gina lehnte er sich zu Cassie herüber. „Wir könnten uns ja mal bei den Vereinen Nationen treffen.“
„Wohl kaum.“ Als Gegenreaktion lehnte Cassie sich so weit wie nur möglich in ihren Stuhl zurück. Sie sollte sich fest vor Augen halten, dass er ein Muskelprotz war – eine Sportskanone. Selbst wenn er so starke Pheromone ausstrahlte, dass sie im Smithsonian Institute untersucht werden sollten. Oder an den höchstbietenden Parfümhersteller verkauft werden. „Die UNO mit Sitz in Genf hat 193 Mitgliederstaaten. Genf liegt übrigens in der Schweiz.“ Muskelprotze hatten normalerweise nicht viel Ahnung von Geografie.
Amüsiert hob Tuck eine Augenbraue. Er war es gewohnt, dass die Leute seine Intelligenz infrage stellten. Oft spielte er ihnen sogar in die Hand, einfach weil es Spaß machte, sich über ihre Borniertheit zu amüsieren. Mit Cassie würde er demnach sehr viel Spaß haben.
„Das liegt doch nördlich von Irland, oder?“
Er sah wieder zu Gina, die ihm grinsend zublinzelte. Sie amüsierte sich offensichtlich ebenfalls. Ihm lag noch eine brillant-idiotische Bemerkung über die Blauhelme auf der Zunge, die er jedoch nicht loswerden konnte, weil seine und Reeses herrische Großtante plötzlich auftauchte.
„Samuel Tucker“, hob sie mit ihrem harschen New Yorker Akzent an, „wie konntest du dich hier unbemerkt hereinschleichen?“
Tuck erhob sich und lächelte die selbst ernannte Matriarchin der Familie an. Waschechter Yankee, der sie war, gab sie gern vor, dass der Südstaatenzweig der Familie nicht existierte, aber Tuck hatte eine Schwäche für die Achtzigjährige mit der scharfen Zunge.
„Tante Ada.“ Er umarmte sie herzhaft. „Hübsch wie eh und je.“
Cassie konnte endlich wieder normal atmen, jetzt, da sie etwas Abstand zu ihm hatte.
„Mir brauchst du keinen Honig um den Bart zu schmieren, junger Mann. Was tust du hier?“
„Ich leiste Reeses Freundinnen Gesellschaft.“
„Reese …“ Tante Ada schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Brennt mit diesem Marine durch. Das Mädchen verleumdet ihre Abstammung. Nur gut, dass sie meine Lieblingsnichte ist.“
„Aber Tante Ada, ich dachte, ich wäre dein Liebling“, schmollte Tuck gekonnt.
Und Ada klopfte ihm liebevoll auf die Schulter und kniff ihm mit knochigen Fingern in die Wange.
Ginas Handy klingelte, aber sie achtete nicht darauf. Sie konnte nicht entscheiden, was faszinierender war – der blonde Quarterback, der Süßholz mit einer alten Dame raspelte, oder Cassies völlig benommene Miene. Irgendwann drehte Tante Ada sich mit strengem Blick zu ihr hin.
„Nun, Mädchen, willst du den Anruf nicht annehmen?“
Gina erkannte Autorität, wenn sie sie vor sich hatte, und klappte ihr Handy auf. Die Nummer erkannte sie sofort. „Es ist Reese.“
Ada schnaubte leise. „Sag ihr, dass sie gefälligst zurückkommen soll. Diese hirnrissige Keine-Hochzeit-Party war schließlich ihre Idee.“ Anschließend wanderte ihr Interesse weiter. Jetzt bekam Cassie den prüfenden Blick ab. „Ist das deine Kleine?“, fragte sie Tuck.
„Auf gar keinen Fall“, meldete Cassie sich entrüstet.
Ada ignorierte den Protest. „Nicht dein üblicher Typ.“
„Ich bin nicht seine Kleine“, wiederholte Cassie, auch wenn sie praktisch jede Zelle in sich seinen Namen rufen hörte. Der Gedanke war ja geradezu lächerlich.
„Ist kein Problem“, versicherte Ada. „Ich mag seinen üblichen Typ nicht. Sie sind alle zu … anspruchsvoll.“
Tuck sah zu Cassie. Bestimmt wäre niemand auf die Idee gekommen, sie als zu anspruchsvoll zu bezeichnen, aber irgendetwas Interessantes war da ganz sicher an ihr.
„Reese sagt, sie und Mason kommen nicht zurück“, verkündete Gina jetzt.
„Nun dann. Sieht aus, als hätten wir eine Show zu organisieren.“ Ada übernahm die Führung. „Samuel, geh und sag diesem schrecklichen DJ, dass er das Dinner ankündigen soll. Ich werde dem Partyservice Bescheid sagen, dass es losgeht.“ Damit schwebte sie davon, von drei Augenpaaren gefolgt.
„Wow“, kam es von Gina. „Sie ist unheimlich.“
Tuck grinste. „Und ob. Entschuldigt mich … Gina, Cassiopeia.“ Er senkte die Stimme um eine volle Oktave und verbeugte sich leicht, wobei er Cassies Blick festhielt. „Halten Sie meinen Sitz frei, Darlin’, ich bin gleich wieder da.“
Mit offenem Mund starrte Cassie in die blauen Augen, und seine Stimme schickte eine Hitzewelle durch sie hindurch.
Ginas Lachen hörte sie gar nicht.
Zwei Stunden später war Cassie so angespannt, dass jede Faser in ihr protestierend aufschrie. Tuck hielt Hof am Tisch und bezauberte jeden mit seinem Charme.
Groß, warm, männlich. Offensichtlich gab es in ihrem Körper Drüsen, die darauf reagierten. Ausgerechnet auf ihn. Einen Muskelprotz. Warum?
Jedes Mal, wenn sich ihre Schultern oder Schenkel zufällig berührten, schoss ihr Puls in die Höhe. Und wenn er den Kopf zurückwarf und lachte, dann bebten ihre Nüstern, weil sein Duft ihr in die Nase stieg, und ihre Hände begannen zu zittern.
Eine kleine Stimme lockte sie ständig. Schnuppre an ihm. Berühre ihn. Schmecke seine Haut. Und die Stimme schien immer lauter zu werden.
Es war Wahnsinn. Verrückt.
So etwas kam bei ihr nicht vor. Nie. Hormone, primitiver Drang … sie stand über körperlichen Bedürfnissen. Ihr Kopf kontrollierte ihren Körper – immer.
Es ergab einfach keinen Sinn.
Der Mann war dumm wie Stroh. Er hielt Pi für eine Vorspeise. Er kannte nicht einmal den Namen des Vizepräsidenten. Er war ein Neandertaler.
Und trotzdem vibrierte jede Zelle in ihr vor Aufregung.
Unauffällig sah sie auf ihre Armbanduhr. Ob sie sich schon absetzen konnte? In ihrem Zimmer würden dieses stete dumpfe Pochen und die lockende Stimme sicher endlich verstummen.
Sie sah zu Gina, die leicht den Kopf schüttelte. „Denk nicht einmal daran“, formte die mit den Lippen.
Mit einem Seufzer ergab Cassie sich ihrem Schicksal.
Sweet Home Alabama begann aus den Lautsprechern zu plärren. Marnie sprang kreischend auf und stürzte mit den anderen vom Tisch zur Tanzfläche. Tuck blinzelte Gina zu und stand auf, sah auf die Frau neben sich herunter und hielt ihr seine Hand hin. Sie starrte entsetzt zu ihm auf, als wäre seine Dummheit ansteckend. Wusste sie denn nicht, dass er Gottes Geschenk an die Frauen war?
„Was meinen Sie, Cassiopeia? Sollen wir ein Tänzchen wagen?“
Cassie sah auf seine Hand. Sie könnte schwören, dass sinnliche Wellen aus seiner Handfläche aufstiegen. „Oh, nein.“ Vehement schüttelte sie den Kopf. „Ich tanze nicht.“
Aber Tuck wäre heute nicht da, wo er war, wenn er bei der ersten Hürde aufgegeben hätte. „Es ist wirklich nicht schwer, Darlin’“, murmelte er. „Halten Sie sich einfach an mir fest und lassen Sie sich von mir führen.“
Sie schluckte. Genau davor hatte sie ja Angst – dass sie dem verführerischen Duft überallhin folgen würde. Dann beging sie den Fehler und sah in seine Augen – und hatte das Gefühl, unaufhaltsam in seinen Orbit gezogen zu werden.
„Ich bin eine fürchterliche Tänzerin, stimmt doch, Gina, oder?“
Gina nickte. Cassie hatte nicht das geringste Rhythmusgefühl. „Stimmt … aber …“ Sie sah zu Tuck, dann zu Cassie. Ihre Freundin vom anderen Ende der Welt wirkte, als würde sie sich lieber vor ein Exekutionskommando stellen, als mit Tuck auf die Tanzfläche zu gehen. Höchst interessant. So verwirrt hatte sie Cassie noch nie gesehen. Wette oder nicht, Gina wollte einfach sehen, wie sich das weiterentwickelte.
„Ich denke, jede Frau sollte einmal in ihrem Leben mit einem Quarterback getanzt haben“, schloss sie.
„Ex“, sagte Cassie prompt. „Er ist ein ehemaliger Quarterback.“
Gina trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „Weißt du, es ist Brauch auf einer Hochzeit, dass die Brautjungfern mit den Trauzeugen tanzen.“
In dem Jahr, in dem sie zusammengewohnt hatten, hatte Cassie viel über gesellschaftliche Bräuche gelernt, die sie aus Lehrbüchern nie erfahren hätte. Aber ihr Selbstschutz funktionierte, und ihr Instinkt sagte ihr, dass es wesentlich klüger wäre, sich von Tuck fernzuhalten.
Und sie war sogar sehr klug.
Auch wenn ihr IQ jedes Mal, wenn sie Tuck ansah, zum Sinkflug ansetzte.
„Das hier ist aber keine Hochzeit“, stellte sie fest. „Wir sind auf einer Party für eine Hochzeit, die nicht stattfindet. Damit ist die Grundlage für einen solchen Brauch wohl aufgehoben.“
Tuck wedelte mahnend mit dem Zeigefinger. „Es ist wichtig, den Schein zu wahren. Die Leute von der Park Avenue legten viel Wert darauf.“
Gina schlug in die gleiche Kerbe. „Er hat recht. Du willst doch Reese nicht blamieren, oder? Außerdem bin ich überzeugt, Tuck weiß genau, was er tut.“
Ohne die Augen von Cassie zu nehmen, grinste Tuck. „Allerdings, Ma’am.“
Nun, vielleicht würde ein Tanz sogar helfen. Wenn sie an ihm schnuppern konnte, würde dieses unnatürliche Bedürfnis, das ihren Kopf ausschaltete, möglicherweise befriedigt werden und aufhören. Das schien logisch.
Also legte sie ihre Hand in seine.
Und all ihre Zellen schwangen sich in schwindelnde Höhen auf.
Bis sie bei der Tanzfläche ankamen, klang Sweet Home Alabama gerade aus, und der DJ legte einen langsamen Song von den Righteous Brothers auf. Paare, die vorhin noch wild herumgehüpft waren, schlangen die Arme umeinander, Singles kehrten an ihre Tische zurück. Cassie drehte sich auch wieder um, doch Tuck hielt sie fest.
„Was haben Sie vor, Darlin’?“
Cassie saß ein Kloß in der Kehle. „Ich … ich kann keinen Walzer tanzen.“ Es fiel ihr immer schwer, den Abstand zwischen sich und den Füßen ihres Tanzpartners abzuschätzen.
Außerdem traute sie sich selbst nicht, wenn sie ihm zu nahe kam.
„Aber natürlich können Sie das, Darlin’.“ Er zog ihre andere Hand an seine Brust. „Halten Sie sich einfach fest und bewegen Sie Ihre Füße nur ein bisschen. Heute Abend kontrolliert die Tanzpolizei nicht.“
Der kleine Scherz mit der Tanzpolizei ging völlig an ihr vorbei. Ihre Handfläche ruhte auf harten Muskeln, sie hatte das Gefühl, dass nicht einmal mehr Stoff dazwischen lag. Auch die Musik und die anderen Leute schienen nicht mehr zu existieren.
Ihr Blick lag wie gebannt auf der Hand an seiner Brust.
Tuck lächelte. „Sehen Sie, es geht doch.“ Er stützte sein Kinn sacht auf ihr Haar und legte die Hände um ihre Taille. „Ich beiße schon nicht.“
Cassie kämpfte gegen den Nebel vor ihren Augen an und sah zu ihm auf. Er war so groß. Und ihr so nah. Er strahlte Wärme und Energie aus, und diese verdammten Pheromone wirbelten alles in ihrem Kopf durcheinander. Sie konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen.
Jetzt lächelte er sie an, und seine Augen schütteten einen Sternenschauer über sie. Sie senkte den Blick, aber das war genauso schlimm, denn nun hatte sie seine Brust direkt vor ihrem Gesicht. Und die ganze Zeit über wisperte ihr diese unmögliche Stimme zu …
Schnuppre ihn, berühre ihn, schmecke ihn.
Energisch riss sie den Blick los, verzweifelt bemüht, den hypnotischen Rhythmus abzuschütteln. Ihr Blick lag auf seiner Halsschlagader, und fasziniert studierte sie die ersten Anzeichen von Bartstoppeln an seinem Hals. Sie fragte sich, wie er dort wohl riechen würde. Wie seine Haut dort schmecken würde.
Ihre Finger krallten sich in seine Brust, und sie musste gegen den Drang ankämpfen, noch näher an ihn heranzutreten.
Großer Gott, ihre Intelligenz stürzte immer rasanter ab.
Schockiert und verwirrt senkte sie den Blick auf den Boden. Hinunter zu dem Loch, von dem sie wünschte, es würde sich auftun und sie verschlingen.
Auch Tuck blickte stirnrunzelnd nach unten. Wie steif sie sich in seinen Armen hielt. Als würde sie jeden Moment zerreißen. Oder wegrennen. Keine Frau hatte seine Gesellschaft je so wenig genossen. Oder war so versessen darauf gewesen, von ihm wegzukommen.
Die Frau konnte einem ja Komplexe bescheren. Eines war auf jeden Fall sicher: Wenn sie sich nicht entspannte, würde sie noch einen Krampfanfall bekommen.
„So … Cassiopeia – den Namen hört man nicht oft. Ist das eine Familientradition?“
Cassie sah auf. Seine Augen funkelten.
„Cassie?“
Sie blinzelte. Was? Oh, ja, reden. Reden war gut. Reden konnte sie. Normalerweise.
„Meine Mum … sie hat mich so genannt. Nach der Konstellation.“ Sie hielt inne. Wusste er, was das Wort bedeutete? „Das ist eine Gruppe von Sternen“, schickte sie also hinterher.
Er lachte in sich hinein. Ja, diese Frau würde ihm tatsächlich noch Komplexe einreden. Wer hätte gedacht, dass er sich für eine kleine Snobistin interessieren könnte? Aber das Charmante an ihr war, dass sie sich dessen überhaupt nicht bewusst war. „Ah, wie bei den Sternzeichen?“ Absichtlich ließ er seinen Akzent breiter werden.
Cassie starrte ihn mit offenem Mund an. Wie konnte sie an dem Hals eines Mannes lecken wollen, dessen Hirn die Größe einer Erbse hatte? Auf Biologie war eben kein Verlass. „Nein, nicht wie bei den Sternzeichen.“
Er täuschte Unverständnis vor. „Beschäftigen Sie sich denn nicht mit Astrologie?“
„Astronomie.“ Sie biss die Zähne zusammen. „As-tro-no-mie“, wiederholte sie betont.
„Also nicht Steinbock und Wassermann und so?“
„Nein“, entgegnete sie spitz. „Astronomie studiert die Himmelkörper. Es ist eine Wissenschaft, kein Voodoo.“
Tuck lachte. Es gefiel ihm, wenn sie sich so glühend aufregte. Dann sprühten Funken aus ihren graublauen Augen. Ob sie wohl auch im Bett so leidenschaftlich war?
Die Melodie klang aus, der nächste Song war wieder schneller. Jemand rempelte Cassie an. Sie stolperte und trat Tuck auf die Zehen. „Oh, Gott, Entschuldigung.“ Ruckartig zuckte sie zurück, als sie an seiner Brust landete.
An seiner breiten, harten Brust.
„Nichts passiert.“ Er hielt sie fest, damit sie sich nicht zurückziehen konnte. Ihre Körper berührten sich fast. „Warum legen Sie nicht den Kopf an meine Schulter und bleiben noch ein bisschen länger?“
Sie sollte ihn zur Hölle schicken. Aber ihre Nasenflügel blähten sich wieder. Und er roch so verdammt gut.
Tu es. Lehn den Kopf an ihn. Schließ die Augen. Press deine Nase an seine Brust.
Cassie kämpfte dagegen an – eine von vornherein verlorene Schlacht. Jedes Wanken zum Takt brachte sie näher an ihn heran, und bevor sie es noch richtig begriff, lag ihre Wange an seiner Brust und ihre Nase drängte sich an sein Revers.
Sie atmete ein. Tief. Lang. Jede Geruchsknospe in ihr blühte auf, jede einzelne Gehirnzelle überschlug sich. Es war so gut, dass sie nie weder ausatmen würde.
Zu lange konnte sie die Luft allerdings nicht anhalten, ihr Körper verlangte sein Recht. Also atmete sie aus und sofort wieder gierig ein. Sie meinte, seinen Duft in ihr Blut dringen zu spüren. Sie war eingehüllt davon, innerlich und äußerlich. Sie schmiegte sich enger an ihn, und seine Wärme umschloss sie.
Es überraschte Tuck, dass sie sich plötzlich so eng an ihn presste, nachdem sie zuerst so steif gewesen war. Aber es gefiel ihm auch, wie ihr Körper genau an seinen passte. Ihr Kopf saß genau unter seinem Kinn, und sie überließ ihm die Führung, was eine erfrischende Abwechslung war. Die meisten Frauen blieben nicht so passiv in seinen Armen.
Sie tanzten lasziv und aufreizend und sexy.
Nicht dass Tuck etwas dagegen hätte, aber oft schien es ihm pures Kalkül. Als meinten die Frauen, sie müssten sich so benehmen, um seine Aufmerksamkeit halten zu können.
Gut, er stand auch nicht unbedingt in dem Ruf, lange Beziehungen zu pflegen. Seine Ehe, die nur zwei Jahre gehalten hatte, unterstrich das noch. Aber im Grunde war er ein ganz normaler Mann. Es reichte völlig aus, eine Frau zu sein, um sein Interesse zu fesseln.
Seit der Scheidung war er wieder zu seinem alten Lebensstil zurückgekehrt – Partys, jeden Abend eine andere, die ultimative Männerfantasie. Er hatte ganz vergessen, wie gut es sich anfühlte, langsam zu tanzen, eine Frau in den Armen zu halten und einfach das Gefühl zu genießen, wie sie sich entspannte und sich an ihn schmiegte.
Selbst wenn sie ihn für dumm wie Stroh hielt.
„Das mit dem Tanzen haben Sie aber schnell begriffen, Darlin’“, murmelte er an ihrem Haar.
Nur leise drang seine Stimme in die Trance, in der Cassie sich befand. Mit jedem Atemzug wurde der Nebel in ihrem Kopf dichter. Inzwischen war er ihr bis ins Mark gekrochen. Sie befürchtete ernsthaft, dass sie auf Tucks Jackett sabberte. Seine Hände fühlten sich so wunderbar groß und … heiß um ihre Taille an. Wirklich heiß. Sie war sich jedes einzelnen Körperteils bewusst. Ihr ganzer Körper war zum Leben erwacht, erfüllt von Tucks Duft.
„Hey, ihr da!“
Dankbar für die Unterbrechung durch Marnie zuckte Cassie zurück und sah zu der Freundin neben sich.
„Wird langsam warm hier, was?“ Marnie winkte noch, bevor sie mit ihrem Partner weitertanzte.
Cassie starrte Marnie nach und blinzelte. Dann sah sie zu Tuck auf, der sie mit seinem extraterrestischen Blick musterte.
Was trieb sie hier eigentlich?
Sie kramte in ihrem Hirn nach einer Antwort. Er roch gut. Sie fragte sich, wie gut er schmecken würde. Und noch mehr: Sie fühlte sich zierlich und weiblich, mit seinem Kinn auf ihrem Haar und seinen Händen um ihre Taille.
So extrem weiblich.
Schockiert blinzelte sie erneut. Warum konnte er keine krumme Nase und kleine Schweinsäuglein haben? Er hatte doch Football gespielt. Wurde denn den Jungs nicht ständig die Nase gebrochen?
Und warum konnte sie solche Gefühle nicht für Len entwickeln, ihren Labor- und sporadischen Bettpartner? Sie hatte nie das Bedürfnis gehabt, an Len zu riechen. Dabei arbeiteten sie jeden Tag zusammen, besuchten zusammen die Universitätsveranstaltungen, und wenn er dann ab und zu unruhig wurde, hatten sie Sex, damit er wieder ausgeglichener war und sich auf das konzentrieren konnte, was zählte: Astronomie.
Mit Len hatte Cassie nie langsam getanzt. Hatte es auch noch nie gewollt.
Bei ihm hatte sie noch nie das Bedürfnis verspürt, in ihn hineinzukriechen.
Ein erschreckender Gedanke.
Sie versuchte, sich zurückzuziehen, als der nächste langsame Song angespielt wurde, doch Tuck ließ es nicht zu, und ihr verräterischer Körper gab auch sofort auf. Hier siegte die Biologie über den Intellekt, und das war einfach inakzeptabel.
Sie musste die Situation entschärfen, musste sich irgendwie Tucks berauschender Macht entziehen. Ein sicheres, harmloses Gesprächsthema war dringend vonnöten.
„Tuck ist nicht Ihr richtiger Name, oder?“
Harmloser ging es wohl nicht. Und er wirkte schließlich wie jemand, der gern über sich selbst sprach.
„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Mit Vornamen heiße ich Samuel. Samuel Tucker. Aber so nennt mich niemand, außer meiner Mutter.“ Sogar seine Ex hatte ihn Tuck genannt.
„Und Tante Ada“, erinnerte sie ihn.
Er lächelte. „Genau, und Tante Ada.“
„Warum nennt man Sie nicht bei Ihrem richtigen Namen?“
Tuck zuckte mit den Schultern. „Es ist ein Spitzname. Gibt es in Australien keine Spitznamen? Sie nennt man doch auch Cassie statt Cassiopeia.“
„Das ist eine Abkürzung und kein Spitzname. In Ihrem Fall würde man Sie Sam nennen.“
Fast erwartete er, dass sie „Abkürzung“ für ihn buchstabierte. Würde sie sich nicht so gut in seinen Armen anfühlen, könnte er langsam richtig sauer werden, dass sie ihm so viel Dummheit unterstellte.
So aber …
„Tuck hört sich cooler an.“
„Cooler? Wer behauptet das?“
Es gefiel ihm, wie sie die Brauen zusammenzog. Dann kamen ihre graublauen Augen noch besser zur Geltung. „Zehntausende von Footballfans überall im ganzen Land.“
Ganz zu schweigen von den weiblichen Fans, die den Namen in diversen Hotelzimmern immer wieder laut herausgeschrien hatten.
„Oh.“ Sie dachte einen Moment lang darüber nach, aber wenn es um Sport ging, hatte sie Heldenverehrung nie verstanden. „Tut mir leid, das war mir nicht klar.“
Er zuckte lässig mit den Schultern. „Das ist eben so eine Sache bei den Jungs.“
Doch Cassie vermutete eher, dass es eine Sache bei den Sportskanonen war. Sie würde Len danach fragen, wenn sie ihn das nächste Mal traf.
Glücklicherweise endete der Song in diesem Moment, und Cassie hatte ihre aufmüpfigen Hormone wieder unter Kontrolle. „Das reicht jetzt.“ Sie war stolz auf sich, wie fest und entschieden ihre Stimme klang, obwohl ihr Körper doch noch immer nichts anderes wollte, als näher an Tuck heranzukommen.
Und Tuck, ganz perfekter Gentleman, verbeugte sich lächelnd und bedeutete ihr voranzugehen.
Ob nun Gentleman oder nicht … das hielt ihn nicht davon ab, auf dem ganzen Weg zurück zum Tisch den Blick fest auf ihr Hinterteil gerichtet zu halten.
Zwei Stunden später waren die Gäste von Marnie, Gina und Cassie unter der Aufsicht von Großtante Ada verabschiedet worden und die Geschenke, auf die laut Reeses Wunsch hätte verzichtet werden sollen, die aber trotzdem jeder mitgebracht hatte, sortiert und verstaut.
Tuck hatte ebenfalls darauf bestanden zu helfen.
Cassie wurde immer nervöser. Sie musste noch die neuesten Daten auswerten und hatte keine Zeit für große blonde Ex-Quarterbacks, die gerade aus dem Schlammloch gekrochen waren.
Ganz gleich, wie gut sie riechen mochten.
Tuck schloss sich ihnen an, als sie in die riesige Bellington-Villa zurückgingen, und auf der breiten Steintreppe hielt er sich an Cassies Seite, wobei sein Arm immer wieder wie zufällig ihren streifte. Als Marnie und Gina oben auf dem Absatz nach links abdrehten, hoffte Cassie, dass Tuck dies ebenfalls tun würde.
Die Hoffnung zerschlug sich.
Mit einem Lächeln drehte er sich nach rechts. „Nach Ihnen.“
Über die Schulter schaute Cassie zu Gina und Marnie zurück, die sie beide seltsam anblickten.
„Gute Nacht, Ladies. Wir sehen uns dann morgen.“ Tuck lächelte den beiden anderen zu, bevor er sich wieder Cassie zuwandte. „Welche Zimmernummer haben Sie? Ich begleite Sie noch bis zur Tür.“
Das Letzte, was Cassie gebrauchen konnte, war Tuck in der Nähe ihres Zimmers. Um genau zu sein, wäre sie umso glücklicher, wenn sie ihn nie wiederzusehen bräuchte. Sie war aufgelöst und verwirrt, ihr Magen ein einziger harter Knoten.
Dabei war sie nie aufgelöst und verwirrt. Nie.
„Vielen Dank, aber Sie müssen mich nicht begleiten.“ Vorsichtig auf Abstand achtend, ging sie an ihm vorbei.
Noch ein genießerischer Blick auf ihren Po, dann rief er ihr nach: „Meine Momma würde mir den Hintern versohlen, wenn ich meine Verabredung nicht anständig nach Hause bringe.“
Cassie schwang herum. „Wir hatten keine Verabredung.“
„Sie haben aber mit mir getanzt, als hätten wir eine gehabt.“
Hitze schoss ihr in die Wangen, wenn sie daran dachte, wie sie sich an ihn geklammert hatte. Entsetzt griff sie sich ans Gesicht. Cassiopeia Barclay errötete nie!
Tuck grinste. „Kommen Sie, Darlin’, bringen wir Sie ins Bett.“
Empört stemmte sie die Hände in die Hüften. „Nennen Sie mich nicht immer Darlin’.“ Sie ahmte seinen schleppenden Akzent perfekt nach. „Und ich finde durchaus allein zu meinem Zimmer. Ich kann nämlich zählen.“
„Na, dann können Sie mir vielleicht helfen, mein Zimmer zu finden?“ Er kratzte sich den Kopf. „Hier gibt es eine Menge Zimmer, und über hundert wird es verwirrend, nicht wahr?“
Cassie verdrehte die Augen. Der Mann war der lebende Beweis, dass die Evolution auch rückwärts laufen konnte. „Wie haben Sie dann die Millionen gezählt, die Sie mit dem Kicken eines Balls verdient haben?“
Er schob die Hände in die Hosentaschen. „Dafür habe ich meine Erbsenzähler.“
Sie fasste es nicht! Er würde in Armut enden wie so viele Sportstars, weil er nicht auf sich selbst aufpassen konnte und zu vertrauensselig war. „Kommen Sie“, sagte sie überheblich und eilte den Gang entlang.
„Ihr Wunsch ist mir Befehl.“
Er ließ sich Zeit, blieb zurück, um den Anblick zu genießen, wie das Kleid um ihre Beine schwang.
Über die Schulter schaute sie ungeduldig zu ihm. „Können Sie sich nicht beeilen?“, fauchte sie. „Ich habe noch zu arbeiten.“
Kopfschüttelnd sah er auf. „Sie haben Arbeit mitgebracht? Immer nur arbeiten … das ist doch langweilig.“
Böse funkelte Cassie ihn an. „Ich erwarte nicht, dass Sie es verstehen, aber an Jupiter-Auroras ist ganz bestimmt nichts Langweiliges.“
„Auroras?“
„Ja, Sie wissen schon … Aurora Borealis?“ Sein leerer Blick verhieß nichts Positives. „Das Nordlicht?“, schickte sie nach.
Tuck hatte die Polarlichter in Skandinavien zweimal miterlebt, aber er wollte Cassie nicht enttäuschen. „Ist das nicht eine Nixe?“
Cassie seufzte. In dem Silo war ja wirklich nicht ein einziges Körnchen. Glücklicherweise waren sie bei ihrem Zimmer angelangt. „Hier, das ist meins.“ Sie klammerte die Finger um den Türknauf. „Und Sie haben Nummer …“
„323.“ Grinsend verfolgte er mit, wie sie begriff: Er schlief direkt gegenüber. „Hallo, Frau Nachbarin.“
„Oh.“ Cassie starrte auf die Tür auf der gegenüberliegenden Gangseite. „Nun denn …“ Mit fahrigen Fingern fischte sie in Ginas glitzernder Abendtasche nach ihrem Zimmerschlüssel.
Adrenalin. Es musste einfach das Adrenalin sein.
„Gute Nacht.“ Die eine Hand am Knauf, zog sie die Schlüsselkarte durch den Schlitz. Nichts passierte. Sie wiederholte den Vorgang, ein frustriertes Knurren stieg aus ihrer Kehle, als das Licht weiterhin rot blinkte. Verdammt, sie musste dringend in das Zimmer. Dort herrschten Logik und Vernunft.
Hier draußen, mit Tuck hinter sich, gab es nur Wahnsinn und Verdammnis.
Also ein dritter Versuch. Und noch immer leuchtete das rote Lämpchen.
„Erlauben Sie …“
Als er seine Hand über ihre legte, erstarrte sie. Er stand jetzt direkt an ihrem Rücken, und sofort hüllte sein Duft sie ein. Sie spürte seinen Atem an ihrem Nacken und schloss die Augen, weil ihre Brustwarzen automatisch reagierten.
Verzweifelt um Beherrschung bemüht, lehnte Cassie die Stirn an die Tür. „Ich durchforste jeden Tag das Universum. Ich bin sicher, ich kann eine dumme Tür öffnen.“
„Schh…“ Tuck nahm ihr die Karte ab. „Manchmal wird eben eine ruhige Hand gebraucht, nur eine ganz leichte Berührung.“ Endlos langsam zog er die Karte durch. Das Lämpchen wechselte zu Grün, er drehte den Knauf und stieß die Tür ein Stückchen auf. „Sehen Sie?“
Fast hätte Cassie aufgestöhnt. Seine träge Stimme hypnotisierte sie. Die Tür war offen. Ein einziger Schritt nach vorn, mehr war nicht nötig. Sie schaffte es nicht.
„Cassie?“
In Tucks Lenden begann es zu ziehen. Das Blut floss ihm schwerer durch die Adern. Er legte eine Hand auf Cassies Schulter. Zu seiner Überraschung drehte sie sich zu ihm um. Nur Zentimeter trennten sie voneinander.
„Hat Ihnen schon jemand gesagt, dass Sie schön sind?“, murmelte er belegt und wickelte sich eine ihrer Haarsträhnen um den Finger.
Nein, das hatte ihr noch niemand gesagt, und bisher war es ihr auch gleichgültig gewesen. „Schön zu sein, war nie ein Ziel von mir.“
„Nun, erreicht haben Sie es trotzdem.“
Er wollte ihr wirklich nur den flüchtigsten aller Küsse geben. Nur ein Geschmack des Mundes, der ihn den ganzen Abend niedergemacht hatte. Nur um ihr zu zeigen, wie clever er in Wirklichkeit war.
Damit sie sich nach mehr sehnte.
Doch in dem Moment, als ihre Lippen sich berührten, da war es aus. Sein ganzer schöner Plan löste sich in Wohlgefallen auf.
Cassie hob sich auf die Zehenspitzen und schlang die Arme um seinen Nacken. Ihre Lippen öffneten sich, ein Maunzen stieg aus ihrer Kehle. Die Finger in sein Revers gekrallt, riss sie Tuck an sich.
Es ergab keinen Sinn.
Noch nie war sie so geküsst worden. Noch nie hatte sie jemanden so geküsst. Ihr Mund brannte. Ihr Magen hatte sich zusammengezogen. Ihr Schoß stand in Flammen.
Tuck schaffte es so gerade, sie festzuhalten, während sie ihn küsste, als wäre sie ein verrückter Wissenschaftler und er ihr neuestes Experiment. Und das Experiment war von Erfolg gekrönt, denn die Lust überwältigte ihn. Mit ihrem Kuss und den kleinen wimmernden Kehllauten drückte sie genau die richtigen Knöpfe bei ihm.
Also drängte er sie gegen die Tür, um den Kuss zu vertiefen. Nur hatte er vergessen, dass die Tür bereits einen Spalt offen stand. Cassie stolperte rückwärts, Tuck fasste nach ihren Ellbogen, hielt sie fest, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, dann ließ er sie los. So standen sie einander gegenüber und starrten sich an, ohne sich zu rühren, unsicher, wie es weitergehen sollte.
Die Erfahrung hatte Tuck gelehrt, den Ausdruck in den Augen einer Frau zu deuten. Er wusste, er könnte sie jetzt zum Bett tragen, und sie würde ihm folgen, wohin immer er sie bringen wollte.
Aber da lag auch noch eine Menge anderer Dinge in ihrem Blick. Das Meiste davon konnte er nicht entziffern, nur eines war überdeutlich: Konfusion. Ganz offensichtlich hatte sie Mühe zu begreifen, was hier vorging.
Und ihm erging es nicht anders.
„Alles in Ordnung?“, fragte er.
Sie nickte automatisch, auch wenn sie bezweifelte, dass sie je wieder in Ordnung sein würde. Was war hier gerade passiert?
„Ich sollte jetzt besser gehen“, murmelte Tuck. Sein Blick lag auf ihrem geschwollenen Mund. „Es sei denn …“
Kopfschüttelnd wich Cassie zurück. Ja, geh. Geh einfach.
Gut zu wissen, dass er doch noch Eindruck auf die kleine Miss Besserwisserin gemacht hatte, selbst wenn er dafür jetzt mit einer Erektion von der Größe Texas’ ins Bett gehen musste.
„Gute Nacht, Cassiopeia.“
Cassie konnte nicht antworten. Stumm sah sie ihm nach, wie er zu seiner Tür ging und die Karte durch den Schlitz zog. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal zu ihr um.
„Ich bin gleich hier drüben. Falls du eine Tasse Zucker brauchen solltest, Frau Nachbarin.“
Ihr fiel keine geistreiche Erwiderung ein, bevor er die Tür leise hinter sich ins Schloss drückte.
Nachdem sie sich die ganze Nacht schlaflos im Bett herumgewälzt hatte, wachte Cassie erst um neun Uhr morgens auf. Ihr erster Gedanke galt Tuck. Mit einem lauten Stöhnen zog sie sich das Kissen über den Kopf.
Normalerweise wachte sie um sechs auf. Und ganz bestimmt dachte sie dann nicht als Erstes an einen Mann. Die ganzen letzten Jahre hatten ihre Gedanken nach einer ruhigen Nacht mit ausreichend Schlaf immer allein ihrer Auroraforschung gegolten.
Heute Morgen jedoch war in ihrem Kopf nur Platz für Tuck und den Kuss …
Ihr Computer, ihre Forschungen, ihr ganzer Lebensinhalt … alles untergegangen in einem Meer von Östrogen!
Cassie atmete tief durch und versuchte, sich die letzten Bilder des Weltalls vor Augen zu rufen, die sie noch gestern gesehen hatte. Umsonst. Noch immer hing sein Duft in ihrer Nase, hatte sie seinen Geschmack auf ihren Lippen.
Das Telefon klingelte. Erleichtert über die Ablenkung, riss sie das Mobilteil aus seiner Station und meldete sich.
„Cassie, lass den Computer Computer sein, und beweg deinen Hintern nach unten“, ordnete Marnie an. „Reese ist hier, wir frühstücken zusammen.“
Der Südstaatenakzent der Freundin erinnerte Cassie sofort wieder an Tuck. Fast hätte sie laut gestöhnt. „Gib mir zehn Minuten.“
Natürlich würde sie zum Frühstück hinuntergehen. Sie würde alles tun, um nur nicht an den aufreibenden Muskelprotz denken zu müssen.
Genau zehn Minuten später betrat Cassie das große Speisezimmer. Die hochgezogenen Augenbrauen, die ihr lässiger Aufzug – Leggings und ein überweites T-Shirt mit dem aufgedruckten Spruch Zu meiner Zeit hatten wir noch neun Planeten – heraufbeschwörten, bemerkte sie nicht einmal. Ihr Haar hatte sie zu einem schlichten Pferdeschwanz zusammengebunden. Schließlich gab es nichts Lästigeres als Haare, die einem ständig ins Gesicht fielen.
Oder doch, es gab etwas. Tuck.
Anders als die anderen Gäste im Saal, alle im properen Countrylook-Aufzug, verzogen ihre Freundinnen keine Miene, als Cassie zum Tisch kam und sich auf einen Stuhl fallen ließ. Die drei wären schockiert gewesen, hätte Cassie anders ausgesehen.
Sie setzte ein Lächeln auf, bevor sie sich an Reese wandte, die vor Glück strahlte, genau wie damals vor zehn Jahren, als sie ihren Marine zum ersten Mal getroffen hatte. „Seit wann bist du wieder hier? Wo ist Mason?“
„Seit einer Stunde“, beantwortete Reese die erste Frage und trank einen Schluck Kaffee. „Und Mason muss sich noch um etwas kümmern.“
Cassie nickte. Ein Kellner brachte Pfannkuchen, doch Cassie bestellte ihr übliches Frühstück – Jogurt, Müsli und zwei Scheiben Toast.
„Alles in Ordnung mit dir?“ Reese runzelte die Stirn. „Du siehst müde aus.“
„Ich habe nicht besonders gut geschlafen.“
Marnie sah zu Gina, die Cassie mit zusammengekniffenen Augen musterte, und fragte: „Seit wann schläft unsere Miss-Acht-Stunden-pro-Nacht nicht gut?“
Darauf sah Cassie stumm in die Runde und zuckte mit den Schultern. Was sollte sie den Freundinnen auch antworten? Sie verstand es ja selbst nicht.
Gina lehnte sich in ihren Stuhl zurück. „Das hat doch hoffentlich nichts mit einem gewissen Ex-Quarterback zu tun, oder?“
Marnie setzte sich vor, ihr blonder Pferdeschwanz saß perfekt, um bei jeder Bewegung mitzuwippen. „Doch, hat es. Richtig?“
Reese blickte fassungslos von einer zur anderen. „Mit Tuck?“
„Tuck und Cassie haben gestern Abend zusammen getanzt“, informierte Gina sie.
„Und zwar sehr eng“, ergänzte Marnie.
Reese blinzelte. „Cassie?“
Auf dem Weg zum Frühstückssaal hatte Cassie sich geschworen, kein Sterbenswörtchen von den seltsamen Reaktionen ihres Körpers zu erwähnen, doch nun, unter den forschenden Blicken der drei Freundinnen, knickte sie ein. Sie war immer der Überzeugung gewesen, dass man Problemlösungen den Experten überließ. Und bei all den Höhen und Tiefen in puncto Beziehungen, die diese drei Frauen erlebt hatten, hatte sie hier definitiv drei Experten vor sich sitzen.
„Ich weiß auch nicht, was los ist“, murmelte sie. „Ich konnte einfach nicht schlafen. Dabei schlafe ich immer. Ich brauche meinen Schlaf. Ich wende Meditationstechniken an, um meinen Kopf zu leeren, damit ich einschlafen kann. Es funktioniert auch immer. Normalerweise.“
„Du warst vermutlich übermüdet“, versuchte Marnie sich an einer Erklärung.
„Und wisst ihr, woran ich als Erstes gedacht habe, als ich heute aufgewacht bin?“
„An etwas Erdnäheres als üblich?“, vermutete Gina.
Cassie schnaubte angewidert. „An ihn. Den Muskelprotz.“ Fragend blickte sie in die Runde. „Ich verstehe nicht, was mit mir los ist.“
Lange sagten die drei nichts, sondern schauten einander nur an, dann begann eine nach der anderen zu grinsen.
„Was?“, wollte Cassie wissen.
Da besaßen sie auch noch die Unverschämtheit und lachten lauthals drauflos.
„Das ist nicht lustig.“
„Nein, natürlich nicht.“ Reese mühte sich um Fassung und versuchte, die Wogen zu glätten. „Es ist nie lustig, wenn man sich verliebt.“
Mit offenem Mund starrte Cassie Reese an. „So ein Unsinn …“, stammelte sie dann.
„Ah, wie schön, unsere Kleine wird endlich erwachsen.“ Marnie lächelte begeistert.
„Und da haben wir doch tatsächlich immer gedacht, dass es dich nie erwischen wird“, sagte Reese neckend.
Mit vor der Brust verschränkten Armen wartete Cassie darauf, dass sie sich wieder beruhigen würden. Sie hatte nicht vor, derartig unwissenschaftlichen Humbug auch noch zu unterstützen. Liebe war pure Fiktion, gesponsert durch Hollywoodfilme und Liebesromane.
„Das hat mit Liebe nichts zu tun“, bemerkte sie frostig, als auch das letzte Lächeln unter ihrem strengen Blick erstorben war. „Nur weil ihr die Welt durch die rosarote Brille seht, heißt das nicht, dass ich alle Vernunft in den Wind schießen lasse. Ihr wisst, dass ich nicht daran glaube. Das sind seine Pheromone. Der Mann riecht einfach unglaublich gut.“ Prompt musste sie die Augen schließen. „Es ist wie ein Rausch, absolut sensationell. Ich könnte ihn die ganze Nacht riechen und riechen und riechen …“ Ihre Lider hoben sich flatternd. Die drei Freundinnen starrten sie verblüfft an. Cassie räusperte sich und richtete sich gerade auf. „Offensichtlich reagiere ich auf seinen Geruch. Biochemie – mehr ist es nicht.“
Für einen Moment blieb es still, da das Frühstück serviert wurde. Nachdem der Kellner sich wieder zurückgezogen hatte, sah Cassie zu Gina. „Es muss doch ein anderes Wort als Liebe dafür geben. Ich meine, wenn der Körper den Verstand ausschaltet …“
„Allerdings.“ Gina nickte. „Lust.“
Energisch schüttelte Cassie den Kopf. „Nein.“ Sie war Wissenschaftlerin, sie weigerte sich, auf Lust reduziert zu werden.
„Libido?“, bot Reese als Alternative an.
Das konnte Cassie akzeptieren. Ein Begriff aus der Wissenschaft, ein ausreichend erforschtes Feld. Im Gehirn gab es einen Bereich, der für die Libido zuständig war. „Na schön, das lässt sich nachvollziehen. Aber meine Libido hat mir bisher noch nie Probleme gemacht. Warum also jetzt?“
„Wie lange ist es her, seit du das letzte Mal Sex gehabt hast?“, fragte Gina.
Cassie rechnete nach. „Sieben Monate.“ Len hatte es sich zum Geburtstag gewünscht.
„In dem Fall ist es definitiv deine Libido“, erklärte Gina im Brustton der Überzeugung.
„Und wer war der Typ?“, wollte Marnie wissen.
„Len, ein Astronom an der Uni, mit dem ich seit fünf Jahren zusammenarbeite. Wir treffen uns regelmäßig.“
„Alle sieben Monate?“, fragte Gina ungläubig.
„Kommt darauf an.“ Cassie bemerkte die allgemeine Fassungslosigkeit in der Runde überhaupt nicht. „Immer dann, wenn er unruhig wird. Ich habe festgestellt, dass Sex seiner Konzentration hilft.“
Gina schüttelte den Kopf. „Und … ist es gut mit ihm?“
Ein Schulterzucken begleitete Cassies Antwort. „Zufriedenstellend.“ Sie persönlich verstand die ganze Aufregung um Sex nicht.
Nach einem bedeutungsvollen Blicktausch übernahm Reese. „Ich glaube, Gina meinte, ob du …“, sie senkte die Stimme, „… ob du zum Höhepunkt mit ihm kommst?“
Das Thema machte Cassie keinesfalls verlegen. Als sie noch zusammengewohnt und studiert hatten, hatte sie vieles gelernt, was sie niemals aus Büchern oder Vorlesungen erfahren hätte. „Nein, ich habe noch nie einen Höhepunkt gehabt.“
Hätte Cassie ein Gespür für bizarre Situationen besessen, würde sie sich jetzt vor Lachen auf dem Boden rollen. Die drei anderen Frauen hatten aufgehört zu essen und starrten sie regungslos an.
„Was denn, noch nie?“ Marnie war die Erste, die die Stimme wiederfand.
„Nein. Manche Menschen brauchen eben keinen Sex. Ich gehöre scheinbar dazu. Außerdem unterdrücken die Schlaftabletten, die ich nehme, vermutlich meine Libido. Das wird zumindest unter den Nebenwirkungen aufgeführt.“
Gina schüttelte sich entsetzt. „Da verzichte ich doch lieber für den Rest meines Lebens auf Schlaf.“ Sie musterte Cassie kritisch. „Brauchst du die Pillen überhaupt?“
Ihre Freundin nickte ernsthaft. „Ohne die Tabletten kommt mein Hirn nicht zur Ruhe, und dann kann ich nicht schlafen. Was wiederum extrem ungesund ist. Ohne ausreichend Schlaf werde ich neurotisch. Der eine Aufenthalt in der Psychiatrie als Teenager hat mir gereicht.“ Sie erinnerte sich noch viel zu gut an das Chaos, das damals in ihrem Hirn geherrscht hatte. „Ich versichere euch, das möchte ich nicht wiederholen.“
Dazu fiel Gina, Reese und Marnie nichts ein. Außerdem mussten sie noch immer verdauen, dass Cassie noch nie einen Höhepunkt erlebt hatte.
„Ich finde, dieser Len sollte sich ein bisschen mehr anstrengen“, brach Marnie schließlich das Schweigen.
„Oh, anfangs hat er es versucht“, erwiderte Cassie. „Aber es hat nichts bewirkt, und ich habe einfach keine Zeit für das ganze Drumherum. Also ziehe ich es vor, wenn er sich beeilt. Dann ist es schneller vorbei.“
Vollkommen fassungslos sah Gina zu Reese. „Was haben wir nur falsch mit ihr gemacht?“
Reese, genauso entsetzt, schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“
„Also gut.“ Gina brauchte dringend einen Schluck Kaffee. „Kümmern wir uns zuerst um das Dringende und hoffen, dass der Rest sich von allein erledigt. Wir haben jetzt das Problem, dass deine Libido plötzlich erwacht ist. Zwei Faktoren kommen hier vermutlich zusammen: der lebenslange Mangel an sexueller Befriedigung, und … du gehst stark auf die Dreißig zu. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Libido bei Frauen um die Dreißig in die Hochphase kommt, korrekt?“
Cassie nickte. „Korrekt.“
„An genau dieser Kreuzung zwischen Frustration und Libido taucht plötzlich Tuck auf und … hat praktisch einen Schalter umgelegt.“
Zwar war Cassie sicher, dass sich das genauer ausdrücken ließ, aber es war logisch. Und Logik faszinierte sie immer wieder. „Durchaus denkbar. Und was mache ich jetzt?“
„Ganz einfach.“ Gina stellte ihre Tasse ab. „Roll dich so lange mit Tuck herum, bis deine Libido zufrieden ist und mit dem Nörgeln aufhört.“