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Bühne Fry für die großartigste Geschichte der Welt!
Es ist die größte Geschichte von Heldentum und Hass, Liebe und Leiden, Rache und Reue, Verlangen und Verzweiflung, die sich die Menschheit je erzählt hat: Der Kampf um das legendäre Troja, das für Götter und Menschen gleichermaßen Segen und Fluch war und zum Schauplatz alter Fehden, sagenhafter Herausforderungen und verwickelter Intrigen wurde. Es sind jene menschlichen Leidenschaften, blutig in den Sand einer fernen Küste geschrieben, die heute noch zu uns sprechen. Der meisterhafte Erzähler Stephen Fry übertrifft sich nach seinen Erfolgen »Mythos« und »Helden« selbst, haucht einmal mehr einem antiken Stoff auf atemberaubend schöne Weise neues Leben ein und holt ihn in unsere Zeit.
»Frys Verständnis von der Welt – antik und modern – platzt aus allen Nähten.« Daily Telegraph
»Eine unnachahmliche Neuerzählung der Belagerung von Troja … Frys Erzählung, geschickt humorvoll und detailreich, haucht diesen antiken Geschichten neues Leben und zeitgenössische Relevanz ein.« Observer
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Seitenzahl: 511
Wer kennt sie nicht, die legendären Geschichten um Paris und die schöne Helena, den unverwundbaren Achilles, dem seine Ferse in der blutigen Schlacht von Troja zum Verhängnis wird oder die unglaubliche List des Odysseus, der aus einem hölzernen Pferd heraus die sagenhafte Stadt schließlich erobert? Doch sind dies nur die bekanntesten Schnipsel dieses monumentalen Stoffes: So viel mehr geschieht im Hintergrund, so viel mehr gibt es zu berichten von den Verwicklungen der antiken Götter und Menschen. Einmal mehr gelingt es Stephen Fry wie keinem anderen, all das grandios zu inszenieren und zum Leben zu erwecken. Er lässt uns mitleiden, mitfiebern, mittrauern mit längst vergangenen Heldinnen und Helden – doch ihre Gefühle und Gedanken sind ebenso zeitlos wie der Witz und Einfallsreichtum Homers, den Stephen Fry so meisterhaft in Szene setzt, dass wir uns ihrem Zauber kaum entziehen können.
Stephen Fry ist Schriftsteller, Schauspieler, Moderator, Kolumnist und Regisseur. Sein exzentrischer Charakter erklärt sich durch seine krumme Nase und den halben Zentimeter, den er kleiner ist als Monty-Python-Legende John Cleese. Bei Aufbau und im Aufbau Taschenbuch sind seine Romane "Geschichte machen", "Der Lügner", "Das Nilpferd" und "Der Sterne Tennisbälle", dazu "Paperweight. Literarische Snacks", „Feigen, die fusseln. Entfessle den Dichter in dir“, die Autobiographie „Ich bin so Fry. Meine goldenen Jahre“, „Mythos. Was uns die Götter heute sagen“ und „Helden. Die klassischen Sagen der Antike neu erzählt“ lieferbar. Sein Buch "Mythos" wurde zum SPIEGEL-Bestseller. "Helden" wurde 2021 von DAMALS. Das Magazin für Geschichte als "Historisches Buch des Jahres" ausgezeichnet.
Matthias Frings, 1953 in Aachen geboren, war Journalist und Fernsehmoderator und lebt als Schriftsteller in Berlin.
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Stephen Fry
Troja
Von Göttern und Menschen, Liebe und Hass
Aus dem Englischen von Matthias Frings
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
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VORWORT
DIE OLYMPIER
VOM HIMMEL GEFALLEN
GRÜNDUNG
FLÜCHE
RETTUNG UND ZERSTÖRUNG
SIEHE, DER HELD, DER EROBERER KOMMT
DIE RÜCKKEHR DES HERAKLES
DIE BRÜDER
TELAMON IM EXIL
PELEUS IM EXIL
EINE HOCHZEIT UND EIN APFEL
DER TRAUM DER KÖNIGIN
Ein Junge überlebt
DER ZWINKERNDE HIRTE
URTEIL
FAMILIENFEHDEN
DIE EIER
DIE LOTTERIE
DER SIEBTE SOHN
DAS BABY IM ARM
DER WURF
PARIS KEHRT HEIM
DIE GÖTTER SCHAUEN HINAB
ANCHISES. EIN ZWISCHENSPIEL
DIE ENTFÜHRUNG
DIE GRIECHEN (ALLE, AUSSER EINEM) HALTEN IHR VERSPRECHEN
SALZ SÄEN
DIE LIEBREIZENDE PYRRHA
IPHIGENIE IN AULIS
DIE ACHAIER
GESTRANDET
ILION
ANKUNFT
OLYMP
DIE TROJANISCHEN STREITKRÄFTE
DIE MISSION
AM LANDEKOPF
DIE FRONTEN VERHÄRTEN SICH
PATT
PALAMEDES
TROILOS UND KRESSIDA
AENEAS, ACHILLES, AJAX, AGAMEMNON – DAS ÜBERFALLKOMMANDO
CHRISEIS UND BRISEIS
AGAMEMNONS TRAUM
MANN GEGEN MANN
DIOMEDES VS. GÖTTER
HEKTOR UND AJAX
DAS BLATT WENDET SICH
MISSION ACHILLES
NACHTWACHE
AGAMEMNON UND HEKTOR, ZÜGELLOS
DER PSEUDO‑ACHILLES
DIE ARISTEIA DES ACHILLES
ACHILLES UND HEKTOR
DIE BESTATTUNGEN VON PATROKLOS UND HEKTOR
AMAZONEN UND ÄTHIOPIER EILEN ZUR HILFE
DIE ACHILLESFERSE
DIE RÜSTUNG DES ACHILLES
PROPHEZEIUNGEN
EIN MERKWÜRDIGER BESUCH
DER GOLDJUNGE
DIE PFEILE DES HERAKLES
TROJAS TALISMAN
HÜTE DICH VOR DEN GRIECHEN …
DÄMMERUNG
DER PLAN …
DAS PFERD
IM BAUCH DER BESTIE
HELENAS STIMMEN
DAS ENDE
ANHANG
MYTHOS UND REALITÄT I
MYTHOS UND REALITÄT II
PERSONENVERZEICHNIS
GÖTTER UND UNGEHEUER
GRIECHEN
TROJANER UND VERBÜNDETE
BILDNACHWEIS
Danksagung
Erläuterungen
Impressum
Wer von diesem Buch begeistert ist, liest auch ...
Geburt und Aufstieg der Götter und Menschen ist das Thema meines Buches Mythos, dessen Nachfolgeband Helden die großen Taten, Fahrten und Abenteuer sterblicher Helden wie Perseus, Herakles, Jason und Theseus erzählt. Sie müssen diese Bücher nicht kennen, um an diesem Buch Freude zu haben. Wo ich es hilfreich fand, habe ich Fußnoten angefügt, die darauf hinweisen, wo in den vorangegangenen zwei Bänden vertiefende Beschreibungen von Ereignissen und Personen zu finden sind. Hin und wieder werde ich Sie daran erinnern, besonders in den ersten Kapiteln dieses Buches, dass Sie nicht eine Sekunde lang versuchen sollten, sich sämtliche Namen, Orte und Verwandtschaftsverhältnisse zu merken. Zur besseren Einordnung beschreibe ich die Gründung vieler verschiedener Dynastien und Königreiche, aber ich versichere Ihnen, dass das heillose Durcheinander der unterschiedlichen Fäden zu einem Bildteppich gewoben wird, sobald die Haupthandlung beginnt. Ein zweiteiliger Anhang am Ende des Buches beschäftigt sich mit der Frage, wie viel des Folgenden geschichtlich belegt ist – und wie viel davon Mythen sind.
Troja. Das prächtigste Königreich der Welt. Das Juwel der Ägäis. Glitzerndes Ilion, die Stadt, die Aufstieg und Fall gleich zweimal erlebte. Torwächter für den Verkehr nach und aus dem barbarischen Osten. Königreich des Goldes und der Pferde. Strenges Kindermädchen für Propheten, Prinzen, Helden, Krieger und Dichter. Unter dem Schutz von ARES, ARTEMIS, APOLLON und APHRODITE war die Stadt jahrelang Inbegriff all dessen, was auf den Feldern von Krieg und Frieden, Handel und Handelsabkommen, Kunst und Liebe, Staatskunst, Religiosität und Bürgerrechten erreicht werden kann. Als sie fiel, öffnete sich eine Leerstelle in der Menschenwelt, die vielleicht nie wieder ausgefüllt werden kann, bewahrt nur in der Erinnerung. Dichter müssen diese Geschichte immer wieder besingen, sie von Generation zu Generation weitertragen, denn wenn wir Troja verlieren, verlieren wir einen Teil von uns.
Um Trojas Ende zu verstehen, müssen wir seine Anfänge verstehen. Der Bezugsrahmen unserer Geschichte enthält viele überraschende Wendungen. Viele Ortsnamen kommen vor, zahlreiche Persönlichkeiten und Familien treten auf und wieder ab. Die Geschichte beginnt, und die wichtigen Namen, ich verspreche es Ihnen, werden haften bleiben.
Alles, Troja eingeschlossen, beginnt und endet mit ZEUS, dem König der Götter, Herrscher des Olymp, Donnergott, Wolkensammler und Sturmbringer.
Vor langer, langer Zeit, beinah noch vor der Morgenröte der Geschichte, verkehrte Zeus mit Elektra, der schönen Tochter des Titanen Atlas, und der Seenymphe Pleione. Elektra gebar Zeus einen Sohn, DARDANOS, der durch Griechenland und über die Inseln der Ägäis reiste, um nach einem Ort zu suchen, wo er seine eigene Dynastie errichten konnte. Schließlich landete er an der Ionischen Küste. Falls Sie noch nie in Ionien waren, sollten Sie wissen, dass dieses Land im Osten der Ägäis, damals Kleinasien genannt, heute unter dem Namen »Türkisches Anatolien« bekannt ist. Die großen Königreiche Phrygien und Lydien befanden sich dort, aber sie waren schon von Herrschern besetzt. Also siedelte Dardanos im Norden und besetzte die Halbinsel, die unterhalb des Hellesponts liegt, der Meeresenge, in die HELLE vom Rücken eines Widders fiel. Jahre später würde JASON auf der Suche nach dem goldenen Vlies ebenjenes Widders durch den Hellespont segeln. Der liebeskranke Leander würde jede Nacht durch den Hellespont schwimmen, um bei seiner Geliebten Hero zu sein.1
Die Stadt, die Dardanos gründete, wurde mit wenig Vorstellungskraft und noch weniger Bescheidenheit Dardanos genannt, während das gesamte Königreich sich den Namen Dardanien gab.2
Nach dem Tod des Gründers herrschte Ilos, der älteste seiner drei Söhne, der jedoch kinderlos starb und den Thron seinem Bruder ERICHTHONIOS hinterließ.3
Die Herrschaft von Erichthonios verlief friedlich und fruchtbringend. Im Windschatten des Berges Ida wurden seine Ländereien von den gutartigen Flussgöttern Simoeis und Skamandros bewässert, die das Land Dardanien mit großer Fruchtbarkeit segneten. Erichthonios wurde zum reichsten Mann der damals bekannten Welt, berühmt für seine dreitausend Stuten und ihre zahllosen Fohlen. Boreas, der Nordwind, nahm die Form eines wilden Hengstes an und zeugte mit den Fohlen von Erichthonios’ Herde eine bemerkenswerte Pferderasse. Diese Hengstfohlen waren so beweglich und leichtfüßig, dass sie durch Kornfelder galoppieren konnten, ohne einen einzigen Halm zu beschädigen. So heißt es.
Pferde und Reichtum: Immer, wenn wir von Troja reden, ist unweigerlich auch von wundersamen Pferden und sagenhaften Reichtümern die Rede.
Nach Erichthonios’ Tod folgte ihm sein Sohn TROS auf den Thron. Tros hatte eine Tochter, Kleopatra, und drei Söhne, Ilos (zu Ehren seines Großonkels so genannt), Assarakos und GANYMED. Die Geschichte von Ganymed ist legendär. Er war so schön, dass Zeus höchstpersönlich von einer überwältigenden Leidenschaft für ihn erfasst wurde. In Gestalt eines Adlers schoss er nach unten und trug den Jungen hoch auf den Olymp, wo er als Zeus’ geliebter Günstling, Gefährte und Mundschenk diente. Um Tros für den Verlust seines Sohnes zu entschädigen, hatte Zeus ihm HERMES gesandt, der als Geschenk zwei göttliche Pferde überbrachte, so flink und leicht, dass sie über Wasser galoppieren konnten. Tros tröstete sich mit diesen magischen Tieren und Hermes’ Versicherung, dass Ganymed jetzt unsterblich wäre und – per definitionem – auch für immer bleiben würde.4
Es war Ganymeds Bruder Prinz Ilos, der die neue Stadt gründete und ihr, Tros zu Ehren, den Namen Troja verlieh. Bei den Phrygischen Spielen gewann Ilos einen Wettbewerb im Ringen, dessen Preis aus fünfzig jungen Männern und Mädchen bestand, und – entschieden wichtiger – einer Kuh. Einer ganz besonderen Kuh, denn ein Orakel forderte Ilos auf, sie zur Gründung einer Stadt einzusetzen.
»Wo immer die Kuh sich niederlässt, sollst du eine Stadt gründen.«
Wenn Ilos die Geschichte von Kadmos gehört hätte – und wer hatte das nicht? –, hätte er gewusst, dass Kadmos und Harmonia den Anordnungen eines Orakels entsprechend einer Kuh gefolgt waren und abwarteten, bis sich das Tier niederlegte. Dort sollten sie beginnen zu bauen, was einst Theben werden würde, der erste der großen griechischen Stadtstaaten. Wir mögen die Praxis, eine Kuh wählen zu lassen, wo eine Stadt erbaut wird, ziemlich willkürlich finden, wenn nicht gar bizarr, aber denken wir noch einmal darüber nach, ist sie vielleicht letztendlich doch gar nicht so abwegig. Wo eine Stadt entstehen soll, muss es reichhaltige Quellen von Fleisch, Milch, Leder und Käse für ihre Stadtbewohner geben, ganz zu schweigen von den starken Zugtieren – den Ochsen, die die Felder pflügen und Wagen ziehen. Wenn eine Kuh von den Vorzügen einer Region so überzeugt ist, dass sie sich niederlässt, sollte man ihr also lieber Aufmerksamkeit schenken. Ilos ließ sich jedenfalls darauf ein und folgte seiner hochgeschätzten Kuh von Phrygien nach Troas5, vorbei an den Hängen des Berges Ida, bis auf die ausgedehnten Felder von Dardanien. Und hier, nicht weit von dem Ort, wo Dardanos, Ilos’ Urgroßvaters erste Stadt, erbaut worden war, ließ die Kuh sich schließlich nieder.
Ilos blickte sich um. Es war ein guter Platz für eine neue Stadt. Im Süden erhob sich das Massiv des Berges Ida, und etwas entfernt im Norden befand sich die Meeresenge des Hellesponts. Richtung Osten konnte man das Blau der Ägäis erkennen, und durch die fruchtbaren grünen Felder schlängelten sich die Flüsse Simoeis und Skamander.
Ilos kniete nieder und bat die Götter um ein Zeichen, dass er nicht im Begriff war, einen Fehler zu machen. Unverzüglich fiel die Antwort in Form einer hölzernen Figur aus dem Himmel und landete in einer großen Staubwolke direkt zu seinen Füßen. Sie hatte ungefähr die Größe eines zehnjährigen Kindes6 und sah, mit dem gezückten Speer in der linken und einem Rocken mitsamt Spindel in der rechten Hand, PALLAS ATHENE ähnlich. Diese Objekte standen für die Künste des Krieges wie des Friedens, über welche die grauäugige Göttin herrschte.
Der Anblick eines so heiligen Gegenstandes ließ Ilos auf der Stelle erblinden. Er war jedoch so klug, angesichts dieser Tat der Olympier nicht in Panik zu verfallen, die Wege der Olympier nicht anzuzweifeln. Stattdessen fiel er auf die Knie und sandte Dankesgebete in den Himmel. Nach einer Woche unerschütterlicher Huldigung wurde er mit der Wiederherstellung seines Augenlichts belohnt. Sprudelnd vor neuerwachtem Eifer und Tatendurst begann er unverzüglich damit, die Fundamente seiner neuen Stadt zu legen. Er plante seine Stadt so, dass die Straßen wie die Speichen eines Rades lagen und von einem zentralen Tempel ausgingen, den er Athene weihte. Im innersten Heiligtum des Tempels platzierte er das Schnitzbild von Pallas Athene, das vom Himmel gefallen war: das Xoanon, Trojas Glücksbringer, Symbol und Versicherung des göttlichen Status’ der Stadt. Solange dieses heilige Totem hier unbehelligt stand, würde Troja blühen und gedeihen. Das jedenfalls glaubte Ilos, und daran glaubten auch die Menschen, die ihm dabei halfen, die neue Stadt zu erbauen und zu bevölkern. Sie nannten die Schnitzarbeit PALLADION und nach Ilos’ Vater Tros die Stadt Troja und sich selbst Trojaner.
Dies also ist der Weg zur Gründung von Dardanos über seine Söhne Ilos den Ersten und Erichthonios, dessen Sohn Tros Ilos den Zweiten zeugt, nach dem Troja auch Ilion oder Ilion genannt wird.7
Es gab noch ein anderes Fürstenhaus in Ionien, das wir uns ansehen sollten und dessen Bedeutung kaum zu unterschätzen ist. Sie kennen vielleicht schon die Geschichte von König TANTALOS, der in Lydien herrschte, einem Königreich südlich von Troja. Tantalos servierte den Göttern seinen Sohn PELOPS als Eintopf.8 Der junge Pelops wurde wieder zusammengefügt und von den Göttern ins Leben zurückgerufen. Aus ihm wurde ein gutaussehender und beliebter Prinz und Liebhaber von POSEIDON, der ihm einen von geflügelten Pferden gezogenen Wagen schenkte. Dieser Wagen zog einen Fluch nach sich, der wiederum etwas nach sich zog … was mehr oder weniger alles andere nach sich zog …
Ilos war, wie alle anderen auch, so empört über Tantalos’ Verwerflichkeit, dass er ihn mit Waffengewalt aus der Region verbannte. Man würde erwarten, dass Pelops keine Einwände gegen die Vertreibung seines Vaters gehabt hätte – immerhin hatte Tantalos ihn abgeschlachtet, seinen eigenen Sohn, ihn zerstückelt und den Olympiern als Frikassee vorgesetzt – doch weit gefehlt. Kaum war Pelops zum Mann gereift, stellte er eine Armee auf und griff Ilos an, war aber im Kampf rasch unterlegen. Pelops verließ daraufhin Ionien und ließ sich weit im Westen auf einer Halbinsel in der Nähe des griechischen Festlandes nieder, die bis zum heutigen Tag nach ihm Peloponnes heißt. Auf diesem bemerkenswerten Stück Land entstanden so legendäre Königreiche und Städte wie Sparta, Mykene, Korinth, Epidauros, Troizen, Argos und Pisa. Bei diesem Pisa handelt es sich natürlich nicht um die italiensche Heimstatt des schiefen Turms, sondern einen griechischen Stadtstaat, der zur Zeit von Pelops’ Ankunft von OINOMAOS beherrscht wurde, einem Sohn des Kriegsgottes Ares.
Oinomaos hatte eine Tochter, HIPPODAMIA, deren Schönheit und Abstammung zahlreiche Freier anzog. Der König lebte in Furcht vor einer Prophezeiung, die ihm den Tod durch die Hand seines Schwiegersohns geweissagt hatte. Es gab zu dieser Zeit keine Nonnenklöster, in die man Töchter hätte abschieben können, also versuchte er mit einem anderen Trick, sie auf ewig zur Junggesellin zu machen und verkündete, dass Hippodamia nur von einem Mann gewonnen werden könne, der ihn im Wagenrennen besiegte. Die Sache hatte aber einen Haken: Die Belohnung für einen Sieg bestand zwar in der Hand Hippodamias, doch der Preis für eine Niederlage beim Rennen war das Leben des Freiers. Oinomaos glaubte, dass es auf der ganzen Welt keinen besseren Wagenlenker als ihn gäbe, ergo war er davon überzeugt, dass seine Tochter nie heiraten und damit unmöglich für den Schwiegersohn sorgen würde, vor dem ihn die Prophezeiung gewarnt hatte. Trotz der drastischen Konsequenzen einer Niederlage beim Rennen und des unvergleichlichen Rufs von Oinomaos als Wagenlenker, stellten sich achtzehn mutige Bewerber der Herausforderung. Hippodamias Schönheit war groß, und die Aussicht, neben ihr auch den reichen Stadtstaat Pisa zu erringen, verlockend. Achtzehn waren gegen Oinomaos angetreten und achtzehn hatten verloren. In unterschiedlichen Stadien der Verwesung krönten ihre Köpfe die Pfähle, die das Hippodrom umstanden.
Als Pelops, aus seinem heimatlichen Königreich Lydien vertrieben, in Pisa eintraf, war er sofort von Hippodamias Schönheit gefangen. Obwohl er an seine Geschicklichkeit als Reiter glaubte, fand er es klug, zuerst seinen ehemaligen Geliebten Poseidon um ein wenig Unterstützung zu bitten. Der Gott des Meeres und der Pferde schickte sehr gerne einen Wagen und zwei geflügelte Stuten von großer Kraft und Schnelligkeit aus den Wellen empor. Um auf Nummer sicher zu gehen, bestach Pelops den Wagenlenker des Oinomaos, MYRTILLOS, einen Sohn von Hermes, ihm zu helfen. Verlockt durch die Aussicht auf die Hälfte von Oinomaos’ Königreich und eine Nacht im Bett mit Hippodamia, in die auch er verliebt war, schlich sich Myrtillos in der Nacht vor dem Rennen in die Ställe und ersetzte die bronzenen Nägel in den Achsen von Oinomaos’ Wagen durch solche aus Bienenwachs.
Am folgenden Tag, als das Rennen begann, setzte sich Pelops zunächst ab, doch so groß war das Können von König Oinomaos, dass er schnell aufholte. Er hatte Pelops fast erreicht und schon den Speer erhoben, um den tödlichen Wurf zu tätigen, als die wächsernen Nägel nachgaben, die Räder vom Wagen sprangen und Oinomaos einen blutigen Tod unter den Hufen seiner eigenen Pferde fand. Myrtillos forderte nun das ein, was er für den ihm zustehenden Verdienst hielt – eine Nacht mit Hippodamia –, aber sie wandte sich klagend an Pelops, der Myrtillos von einer Klippe ins Meer beförderte. Während der ertrinkende Myrtillos im Wasser um sein Leben kämpfte, verfluchte er Pelops und alle seine Nachkommen.
Myrtillos ist nicht gerade der berühmteste griechische Held, und doch ist der Teil der Ägäis, in den er stürzte, als das Myrtoische Meer bekannt. Unzählige Jahre lang brachten die Einheimischen Myrtillos jährlich Opfergaben im Tempel seines Vaters Hermes dar, wo sein Leichnam einbalsamiert lag. Ziemlich viel Verehrung für einen schwachen, lüsternen Mann, der eine Bestechung angenommen und den Tod seines eigenen Königs verursacht hatte.
Aber der Fluch des Pelops – dieser Fluch hat einige Tragweite. Denn Pelops und Hippodamia hatten Kinder. Und diese Kinder hatten Kinder. Und der Fluch des Myrtillos lag auf ihnen allen. Wie wir noch sehen werden.
Wenn diese Geschichte, die Geschichte von Troja, eine Bedeutung oder Moral hat, dann ist es die gute, alte Lektion, dass Handlungen Konsequenzen nach sich ziehen. Was Tantalos tat, verschlimmert durch das, was Pelops tat … die Handlungen dieser beiden waren Grund für das Verhängnis, das über dem wichtigsten Königshaus Griechenlands lag.
In der Zwischenzeit beschwor das königliche Haus von Troja seinen eigenen Fluch herauf …
König Ilos war gestorben, und sein Sohn LAOMEDON war ihm auf den Thron gefolgt. Wo Ilos fromm, fleißig, gewissenhaft, ehrbar und vorausschauend gewesen war, erwies Laomedon sich als gierig, ehrgeizig, untauglich, träge und durchtrieben. Gier und Ehrgeiz stifteten ihn an, die Stadt Troja auszubauen und mächtige Schutzwälle und Befestigungsmauern zu errichten, goldene Türme und Türmchen, eine Ausstattung von solchem Prunk, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Anstatt es persönlich zu planen und durchzuführen, tat er etwas, was uns fremd erscheinen mag, in jenen Tagen jedoch, als Menschen und Götter noch gemeinsam über die Erde wandelten, durchaus möglich war: Er beauftragte zwei olympische Götter, Apollon und Poseidon, mit dieser Aufgabe. Die Unsterblichen hatten nichts gegen ein wenig Leiharbeit einzuwenden und machten sich mit Energie und Können an die Planung, stapelten mächtige Granitbrocken aufeinander und verkleideten sie mit kleineren Steinen zu großartig glänzenden Mauern. In Windeseile war die Arbeit erledigt, und ein frisch befestigtes Troja stand stolz auf der Ebene von Ilion, eine so große und beeindruckende Festung, wie man sie noch nie gesehen hatte. Als aber Apollon und Poseidon erschienen, um ihre Bezahlung einzufordern, tat Laomedon, was unzählige Bauherren seitdem getan haben: Er schürzte die Lippen, zog sie zwischen die Zähne und schüttelte den Kopf.
»Nein, nein, nein«, sagte er. »Die Befestigungswälle sind gewölbt, ich habe um gerade gebeten. Und die Südtore sind überhaupt nicht wie bestellt. Und diese Strebepfeiler! Alles falsch. Meine Güte, nein, einen solchen Pfusch kann ich nun wirklich nicht bezahlen.«
Es heißt, Dummheit und Geld bleiben nicht lange zusammen, aber man sollte auch bedenken, dass diejenigen, die sich weigern, sich jemals von ihrem Geld zu trennen, die Dümmsten von allen sind.
Der Rache der betrogenen Götter folgte auf dem Fuße und war gnadenlos. Apollon schoss Pestpfeile über die Mauern in die Stadtmitte. Innerhalb von Tagen war Troja von Jammern und Wehklagen erfüllt, weil in jeder Familie mindestens ein Mitglied der tödlichen Seuche erlag. Gleichzeitig sandte Poseidon ein riesiges Seeungeheuer zum Hellespont. Die gesamte Schifffahrt nach Osten und Westen wurde durch seine grimmige Anwesenheit lahmgelegt, und ganz Troja litt bald unter dem Wegfall von Handel und Zöllen, auf denen sein Wohlstand beruhte.
Soviel zum Palladium und zum Glücksbringer von Troja.
Die verängstigten Bürger versammelten sich vor Laomedons Palast und verlangten Abhilfe. Der König wandte sich an Priester und Propheten, die allesamt einer Meinung waren.
»Es ist zu spät, die Götter mit dem Gold zu bezahlen, das Ihr ihnen schuldet, Majestät. Es gibt nur einen Weg, sie zu besänftigen. Ihr müsset Eure Tochter HESIONE dem Seeungeheuer opfern.«
Laomedon hatte viele Kinder.9 Obwohl Hesione sein Lieblingskind gewesen sein mag, war ihm sein eigenes Fleisch und Blut wichtiger als sein eigen Fleisch und Blut, gewissermaßen. Denn er wusste, sollte er den Anweisungen der Propheten nicht Folge leisten, würde die angsterfüllte und wütende Bevölkerung Trojas ihn in Stücke reißen und Hesione dennoch opfern.
»So soll es geschehen«, sagte er mit einem tiefen Seufzer und einer nervösen Handbewegung.
Hesione wurde festgesetzt und im Hellespont an einen Felsen gekettet, wo sie ihr Schicksal in Form der Beißwerkzeuge eines Seeungeheuers10 erwartete. Ganz Troja hielt den Atem an.
Genau zu dieser Zeit, in der Sekunde, in der Hesione, geschmiedet an ihren Felsen, Gebete zum Olymp schickte, dass Poseidon die Gabe an den Seedrachen annehmen möge, erreichte Herakles mit seinen Mannen die Tore von Troja. Er war auf dem Rückweg von seiner neunten Aufgabe, der Eroberung des Gürtels der Amazonenkönigin Hippolyte.11
Mit seinen Freunden TELAMON und OIKLES an der Seite wurde Herakles in den Palast geführt. So geehrt der Hof sich durch den Besuch des großen Helden auch fühlte, waren Laomedons Gedanken doch eher bei seinen durch Pest und Belagerung geleerten Vorratskammern als dabei, den perfekten Gastgeber für Herakles und sein Gefolge zu spielen, so berühmt sie auch waren. Der reiste zwar nur mit einer kleinen Armee, aber Laomedon wusste, dass alle erwarteten, verköstigt zu werden. Herakles allein hatte den Appetit von hundert Männern.
»Du bist herzlich willkommen, Herakles. Möchtest du uns mit deiner Anwesenheit lange beehren?«
Herakles schaute sich am bedrückt wirkenden Königshof um und war ein wenig überrascht. »Warum die langen Gesichter? Man hat mir gesagt, dass Troja das reichste und glücklichste Königreich der Welt wäre.«
Laomedon rutschte auf seinem Thron hin und her. »Gerade du weißt, dass wir nur Spielzeuge der Götter sind. Was ist ein Mensch schon mehr als ein hilfloses Opfer ihrer Launen und Eifersucht? Apollon schickt uns eine Seuche und Poseidon ein Ungeheuer, das unseren Meereszugang versperrt.«
Herakles lauschte Laomedons selbstmitleidigen und größtenteils schöngefärbten Beschreibungen der Ereignisse, die zu Hesiones Opferung geführt hatten.
»So ein großes Problem ist das nun auch wieder nicht«, fand er. »Ihr braucht nur jemanden, der den Meereszugang von diesem Drachen befreit und eure Tochter rettet – wie war noch mal ihr Name?«
»Hesione.«
»Ja, die. Die Pest zieht sowieso bald weiter, würde ich sagen. Das tut sie immer …«
Laomedon war nicht recht überzeugt. »Gut und schön, aber was ist mit meiner Tochter?«
Herakles verbeugte sich. »Im Handumdrehen erledigt.«
Wie jeder andere in der griechischen Welt auch, kannte Laomedon die Geschichten über die Taten, die Herakles vollbracht hatte – das Ausmisten der Augiasställe, die Zähmung des Kretischen Stiers, die Gefangennahme des Ebers mit den gigantischen Hauern am Berg Erymanthos, das Erlegen des Nemeischen Löwen und die Auslöschung der Lernäischen Hydra … Wenn dieser schwerfällige Bulle von Mann mit dem Löwenfell als Kleidung und einem Eichenbaum als Keule wahrhaftig solche unglaublichen Kunststücke vollbracht und so schreckliche Kreaturen getötet hatte, dann wäre er vielleicht in der Lage, den Hellespont wieder zu räumen und Hesione zu retten. Aber da war immer noch die Frage der Bezahlung.
»Wir sind kein wohlhabendes Königreich …«, log Laomedon.
»Mach dir darüber keine Gedanken«, meinte Herakles. »Alles, was ich als Gegenleistung verlangen würde, wären deine Pferde.«
»Meine Pferde?«
»Die Pferde, die mein Vater Zeus deinem Großvater Tros geschenkt hat.«
»Ah, diese Pferde.« Laomedon wedelte mit der Hand, als wolle er sagen »Ist das alles?«. »Guter Mann, befreie den Seeweg von diesem Drachen und bring mir meine Tochter zurück, und du wirst die Pferde bekommen, jawohl, und ihr silbernes Zaumzeug dazu.«
Kaum eine Stunde später hatte Herakles, das Schwert zwischen den Zähnen, die Wasser des Hellesponts geteilt und sich Poseidons anbrandenden Fluten entgegengestellt. Hesione, angekettet an ihrem Felsen und knietief im Wasser, sah verblüfft, wie ein riesiger Muskelmann sich wild kraulend direkt auf die engste Stelle des Kanals zubewegte, wo der Drache lauerte.
Laomedon, Telamon und Oikles beobachteten dies zusammen mit dem Rest von Herakles’ treuem Freundeskreis vom Strand aus. Telamon flüsterte Oikles ins Ohr: »Schau sie dir an! Hast du je jemand Schöneren gesehen?«
Obwohl Hesione einen entzückenden Anblick bot, hatte Oikles nur Augen für das Schauspiel, das sein Anführer bot, indem er auf die simple, direkte und rigorose Weise vorging, für die er gefeiert wurde. Herakles bewegte sich geradewegs auf die Kreatur zu, doch weit davon entfernt, Furcht zu zeigen, öffnete der Drache sein Maul und stürzte sich auf Herakles.
Oikles glaubte, seinen Freund und Anführer zu kennen, doch was Herakles nun tat, kam gänzlich unerwartet. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, schwamm er in das aufgerissene Maul des Ungeheuers. Die Anfeuerungsrufe vom Ufer verebbten abrupt zu einem schockierten Schweigen, als Herakles verschwand. Ein mächtiger Schluck, ein Zusammenschlagen der kolossalen Beißwerkzeuge und schon schoss die Kreatur mit Triumphgeheul in die Höhe, bevor sie in den Tiefen verschwand. Hesione war gerettet – für den Moment jedenfalls – aber Herakles … Herakles war verloren. Herakles der größte, stärkste, mutigste und vornehmste aller Helden voll und ganz verschlungen, und das fast kampflos.
Aber natürlich hätten es Oikles und die anderen besser wissen müssen. Im stinkenden Inneren des Tieres begann Herakles sofort sein Schwert zu schwingen. Nach einer gefühlten Ewigkeit stiegen Schuppen und Fleischbrocken an die Wasseroberfläche.12 Telamon sah sie zuerst und deutete mit einem Schrei auf die Stelle, wo das Meer mit Blut und immer mehr abgerissenem Fleisch zu kochen begann. Als Herakles schließlich mit einem heftigen Keuchen auftauchte, stießen die versammelten Griechen und Trojaners laute Hurrarufe aus. Wie hatten sie bloß am größten aller Helden zweifeln können?
Kurz darauf nahm eine zitternde Hesione dankend Telamons Umhang und seinen stützenden Arm entgegen, als sie und die jubelnden Soldaten Herakles zurück zu Laomedon begleiteten.13
Manche Menschen sind von Natur aus unfähig, aus ihren Fehlern zu lernen. Als Herakles die Pferde verlangte, die als Bezahlung ausgemacht waren, sog Laomedon die Luft zwischen seinen Zähnen genauso zischend ein, wie er es bei Apollon und Poseidon getan hatte.
»Oh, nein, nein, nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nein, nein. Die Abmachung lautete, dass du den Seeweg freiräumen solltest, anstatt ihn verstopft mit Tran, Blut und Knochen zurückzulassen. Meine Männer werden Wochen brauchen, bis sie die Sauerei an den Stränden weggeräumt haben. ›Den Hellespont befreien‹, genau das waren deine Worte und die Bedingung. Kannst du das leugnen?« Laomedon zupfte sich am Bart und fixierte nacheinander die versammelten Mitglieder seiner königlichen Wache.
»Genau seine Worte …«
»›Befreien‹, hat er gesagt …«
»Majestät haben wie immer recht …«
»Siehst du. Ich kann dich also wirklich nicht entlohnen. Bin dankbar dafür, Hesione zurückzuhaben, selbstredend, aber ich bin sicher, der Drache hätte ihr nichts getan. Wir hätten sie nach einer gewissen Zeit selbst vom Felsen geholt und bestimmt ohne eine solche Schweinerei.«
Mit einem entrüsteten Aufschrei erhob Herakles seine Keule. Die Soldaten von Laomedons Wache zogen unverzüglich ihre Schwerter und formierten sich zu einem Verteidigungsring um den König.
Telamon flüsterte eindringlich in Herakles’ Ohr: »Lass es, mein Freund. Sie sind in der Mehrzahl, Tausend gegen einen. Davon abgesehen musst du zeitig zurück in Tiryns sein, um dich deiner zehnten und letzten Arbeit zu widmen. Wenn du auch nur einen Tag zu spät kommst, wirst du alles verspielen. Neun Jahre Mühe für nichts. Komm, er ist es nicht wert.«
Herakles ließ die Keule sinken und spuckte in den Halbkreis von Soldaten um sich herum, hinter dem Laomedon kauerte. »Eure Majestät wird noch von mir hören«, grummelte er. Mit einer tiefen Verbeugung verabschiedete er sich.
»Die Verbeugung war nicht ernst gemeint«, erklärte er Telamon und Oikles, als sie sich auf den Weg zum Schiff machten.
»Nicht ernst gemeint?«
»Es war eine sarkastische Verbeugung.«
»Ah«, sagte Telamon. »Ich habe mich schon gewundert.«
»Wahrhaft, wie pöbelhaft diese Griechen sind«, sagte Laomedon, als er von den Zinnen seiner Stadt beobachtete, wie Herakles’ Schiff die Segel hochzog und sich entfernte. »Keine Manieren, kein Stil, keine Umgangsformen …«
Hesione schaute dem Schiff mit etwas Bedauern hinterher. Sie hatte Herakles gemocht und war sich, was ihr Vater auch sagen mochte, recht sicher, dass er in der Tat ihr Leben gerettet hatte. Auch sein Freund Telamon war ausnehmend höflich und charmant. Und hässlich war er auch nicht gerade. Sie senkte den Blick und seufzte.
König Eurystheus von Mykene und König Laomedon von Troja waren aus dem gleichen schäbigen Stoff gewebt. Wie Laomedon sein Wort gebrochen hatte, tat es nun auch Eurystheus. Nach seiner Rückkehr aus Troja machte Herakles sich an seine zehnte (und vermeintlich letzte) Arbeit – den Transport der enormen Rinderherde des Ungeheuers Geryon einmal quer durch die gesamte Mittelmeerwelt – nur um von Eurystheus zu hören, dass zwei von den zuvor erledigten Aufgaben nicht zählten, und dass aus den zehn Aufgaben nun zwölf14 geworden wären. Deswegen vergingen drei volle Jahre, bis Herakles endlich frei war und seine Aufmerksamkeit wieder König Laomedons Betrug zuwenden konnte, einem Groll, der im Lauf der Zeit nur größer geworden war.
Er stellte eine Armee von Freiwilligen zusammen und fuhr mit einer Flotte von achtzehn Pentekontere, Fünfzigruderern, über die Ägäis. Im Hafen von Ilion übergab er Oikles die Befehlsgewalt über die Schiffe und Reservetruppen und machte sich zusammen mit Telamon und dem größeren Teil seiner Armee auf, Laomedon zu stellen. Der verschlagene trojanische König war von seinen Spähern über die Ankunft der Griechen benachrichtigt worden, und es gelang ihm, Herakles auszutricksen. Er verließ die Stadt Troja und schlug einen großen Bogen, um Oikles und die Schiffe von hinten anzugreifen. Bis Herakles herausgefunden hatte, was passiert war, waren Oikles und seine Mannschaft sämtlich getötet worden, und Laomedons Streitkräfte befanden sich wieder sicher hinter den Mauern von Troja, wo sie sich auf eine lange Belagerung einstellten.
Schließlich durchbrach Telamon eines der Stadttore, und die Griechen strömten hinein. Gnadenlos mit den Schwertern um sich schlagend, arbeiteten sie sich zum Palast vor. Herakles, ein wenig in Verzug, kam durch den Durchbruch in der Mauer und hörte, wie seine Männer Telamon hochleben ließen.
»Gewiss ist er der größte Krieger aller Zeiten!«
»Ein Hoch auf Telamon, unseren General!«
Das war mehr, als Herakles ertragen konnte. Einer seiner berüchtigten Tobsuchtsanfälle überkam ihn. Mit wutentbranntem Gebrüll stürmte er nach vorn, um seinen Stellvertreter zu töten. An der Spitze der Truppen war Telamon gerade im Begriff, Laomedons Palast zu betreten, als er den Aufruhr hinter sich vernahm. Er kannte seinen Freund und die schrecklichen Folgen seiner eifersüchtigen Zornausbrüche und begann sofort, Steine zu sammeln. Er war gerade dabei, sie zu stapeln, einer auf den anderen, als Herakles mit erhobener Keule erschien.
»Pssst!«, sagte Telamon. »Jetzt nicht. Ich baue gerade einen Altar.«
»Einen Altar? Für wen?«
»Für wen? Für dich natürlich. Für Herakles. Um der Rettung von Hesione durch dich zu gedenken, deiner erfolgreichen Belagerung von Troja, deiner Meisterschaft im Umgang mit Menschen, Monstern und der Maschinerie des Krieges.«
»Oh.« Herakles ließ seine Keule sinken. »Nun, das ist sehr freundlich von dir. Sehr freundlich. Ich … ja, sehr aufmerksam. Sehr anständig.«
»Das ist doch das Mindeste.«
Arm in Arm stieg das Paar die Stufen zum Palast von Troja hoch.
Das nun folgende Schlachten war grauenvoll. Laomedon, seine Frau und alle seine Söhne wurden getötet – das heißt, alle Söhne außer dem Jüngsten mit Namen PODARKES. Seine Rettung erfolgte auf etwas ungewöhnliche Art.
Herakles, von dessen Keule und Schwert das Blut der halben königlichen Sippe von Troja tropfte, stand plötzlich in Hesiones Schlafgemach. Die Prinzessin kniete auf dem Boden und erklärte sehr gefasst: »Nimm mein Leben, damit ich mit meinem Vater und meinen Brüdern vereint bin.«
Herakles schickte sich schon an, ihrem Wunsch nachzukommen, als Telamon das Zimmer betrat. »Nein! Nicht Hesione!«
Überrascht wandte Herakles sich um. »Warum nicht?«
»Du hast ihr Leben einmal gerettet. Warum es nun nehmen? Davon abgesehen ist sie wunderschön.«
Herakles verstand. »Nimm sie. Sie ist dein und du kannst mit ihr machen, was du willst.«
»Falls sie mich haben will«, sagte Telamon, »werde ich sie als meine Braut mit nach Salamis nehmen.«
»Aber du hast eine Frau«, sagte Herakles.
Just in diesem Moment hörte er etwas unter dem Bett.
»Komm raus, komm raus!«, rief er und fuchtelte mit dem Schwert.
Ein Junge tauchte auf, der über und über mit Staub bedeckt war. Er erhob sich zu so viel würdiger Größe, wie er zustande brachte.
»Wenn ich sterben muss, dann freiwillig und als stolzer Prinz von Troja«, verkündete er und ruinierte diese edle Bereitschaft durch ein lautes Niesen.
»Wie viele Söhne hat dieser Mann denn bitte?«, fragte Herakles und erhob sein Schwert erneut.
Hesione schrie auf und zog an Telamons Arm. »Nicht Podarkes! Er ist so jung. Bitte, verehrter Herakles, ich flehe dich an.«
Herakles ließ sich nicht überreden. »Er mag jung sein, aber er ist der Sohn seines Vaters. Aus einem harmlosen Sohn kann schnell ein mächtiger Gegner werden.«
»Erlaube mir, seine Freiheit zu erkaufen«, drängte Hesione. »Ich besitze einen goldenen Schleier, der einmal das Eigentum der Göttin Aphrodite war. Ich biete ihn dir als Gegenleistung für Leben und Freiheit meines Bruders.«
Herakles blieb unbeeindruckt. »Ich kann ihn mir auch so nehmen. Laut Eroberungsrecht gehört mir ganz Troja.«
»Mit Respekt, Herr, Ihr werdet ihn niemals finden. Er befindet sich in einem Geheimversteck.«
Telamon stupste Herakles an. »Einen Blick drauf werfen schadet nichts, was meinst du?«
Herakles grummelte etwas Zustimmendes, und Hesione begab sich zu einer großen aufwändig geschnitzten Truhe neben ihrem Bett. An ihrer Rückseite betätigte sie einen versteckten Mechanismus, und seitlich sprang eine Schublade auf. Sie zog ein aus Gold gewebtes Tuch hervor und übergab es Herakles.
»Es ist von unschätzbarem Wert.«
Herakles untersuchte den Schleier. Herrlich, wie der Stoff fast wie Wasser zwischen seinen Fingern floss. Er legte eine enorme Hand auf die Schulter des Jungen.
»Nun, junger Podarkes. Du kannst froh sein, dass deine Schwester dich liebt«, sagte er und steckte den Schleier an seinen Gürtel. »Und deine Schwester hat Glück, dass mein Freund Telamon sie zu lieben scheint.«
Herakles und seine Armee ließen Troja in Ruinen zurück. Die Schiffe der trojanischen Flotte wurden abkommandiert und mit allen Schätzen beladen, die die Griechen zusammenraffen konnten. Hesione, die von Telamon an Bord gebracht wurde, blickte zurück auf ihre Geburtsstadt. Überall stieg Rauch auf, und die Stadtmauer war an einem Dutzend Stellen durchbrochen. Troja, einst so stolz und stark, lag in Schutt und Asche.
In der Stadt bahnten sich die Trojaner ihren Weg über Leichen und Trümmer. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Anblick eines Jugendlichen, kaum mehr als ein Junge, der vor dem Tempel des Palladiums stand, der immerhin verschont geblieben war. War das nicht Prinz Podarkes?
»Bürger von Troja«, rief der Junge. »Verzweifelt nicht!«
»Wie kommt es, dass er noch am Leben ist?«
»Ich habe gehört, er hätte sich unter dem Bett seiner Schwester versteckt.«
»Prinzessin Hesione hat seine Freiheit erkauft.«
»Er wurde gekauft?«
»Für den Preis eines goldenen Schleiers.«
»Gekauft?«
»Ja«, schrie Podarkes. »Ich wurde gekauft. Ihr mögt sagen, dass es meine Schwester war, ihr mögt sagen, dass es die Götter waren. Es gibt einen Grund für all dies. Ich, Podarkes, vom Blut des Tros und des Ilos, sage euch dies: Troja wird wiederauferstehen. Wir werden es aufbauen, stolzer, reicher, stärker und größer als je zuvor. Größer als jede andere Stadt der Welt in der Geschichte der Menschheit.«
Trotz seiner Jugend und des Schmutzes und Staubes, die an ihm hafteten, konnten die Trojaner nicht anders, als sich beeindruckt von der Kraft und Überzeugung zu zeigen, die in dieser Stimme leuchtete.
»Ich schäme mich nicht, dass meine Schwester meine Freiheit gekauft hat«, fuhr er fort. »Die Zeit mag zeigen, ob ich diesen Aufwand wert war. Ich prophezeie, dass Hesione mit diesem Akt Troja selbst freigekauft hat. Denn ich bin Troja. So wie ich zum Mann heranwachse, wird Troja zu seiner wahren Größe heranwachsen.«
Beinahe lächerlich, dass jemand so Junges so selbstbewusst sein konnte, und doch konnte niemand bestreiten, dass dieser Kerl Ausstrahlung hatte. Gemeinsam mit Podarkes beugten die Trojaner die Knie und sandten ein Gebet zu den Göttern.
So geschah es, dass von diesem Tag an Podarkes seine Untertanen führte und den Wiederaufbau der zerstörten Stadt leitete. Es machte ihm nichts aus, dass jedermann ihn »derjenige, der gekauft worden ist« nannte, was in der trojanischen Sprache PRIAMOS hieß. Im Lauf der Zeit wurde dies zu seinem Namen. Wir werden den jungen Priamos nun verlassen, wie er zwischen den Trümmern von Troja so stolz dasteht, und übers Meer nach Griechenland reisen. Dort trägt sich einiges zu, was der Betrachtung wert ist.
Wir haben Telamon verlassen, als er mit seiner jungen Braut Hesione nach Salamis segelte. Telamon und seine Familie spielen eine so wichtige Rolle in der Geschichte um Troja, dass ein Blick in die Vorgeschichte hilfreich scheint. Noch einmal bitte ich Sie, sich nicht jedes Detail zu merken. Diese Geschichten jedoch im Auge zu behalten, die Ursprungsgeschichten, wie wir sie nun nennen können, ist lohnenswert, und in Ihrer Erinnerung wird genügend haften bleiben. Davon abgesehen sind es faszinierende Erzählungen.
Telamon und sein Bruder PELEUS wuchsen auf der Insel Ägina auf, einer prosperierenden, wohlhabenden Seemacht im Saronischen Golf, der Bucht zwischen der Argolis im Westen und Attika, Athen und dem griechischen Festland im Osten.15 Ihr Vater Aiakos, der Gründerkönig der Insel, war der Sohn von Zeus und Aigina, einer Wassernymphe, nach der die Insel benannt worden war. Die Jungen wuchsen im Königpalast so fröhlich auf wie zwei sich nahestehende Brüder es nur können und gleichzeitig etwas weniger fröhlich als die statusbewussten Prinzen, die sie als Enkel von Zeus sein mussten. Ihre Mutter ENDEIS, eine Tochter des Kentauren CHEIRON und der Nymphe Chariklo liebte sie abgöttisch, und eine Zukunft in Wohlleben und Machtfülle schien ausgemacht. Wie üblich hatten die Schicksalsgöttinnen andere Pläne.
König Aiakos wandte sich von Endeis ab und vereinigte sich mit der Seenymphe PSAMATHE, die ihm den Sohn Phokos gebar. So, wie es späte Väter tun, verwöhnte König Aiakos sein jüngstes Kind, den »Trost meiner alten Tage«, wie er liebevoll sagte, nach Strich und Faden. Phokos wuchs zu einem beliebten, athletischen Jungen heran, dem Liebling des Palastes. Endeis ertrug die Rolle der verlassenen ersten Ehefrau nicht und wurde vom Hass auf Psamathe und deren Sohn zerfressen, einer Eifersucht, die von den Halbbrüdern des Jungen, Telamon und Peleus, die jetzt in ihren Zwanzigern waren, geteilt wurde.
»Schau ihn dir an, stolziert durch den Palast, als würde er ihm gehören«, zischte Endeis, während sie und ihre Söhne hinter einer Säule versteckt Phokos dabei beobachteten, wie er einen Flur entlanglief und Trompetengeräusche von sich gab.
»Wenn es nach Vater geht, dann wird er ihm gehören«, meinte Telamon.
»Satansbraten«, murmelte Peleus. »Man sollte ihm eine Lektion erteilen.«
»Wir können mehr als das tun«, sagte Endeis. Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern: »Aiakos plant ein Pentathlon zu Ehren von Artemis. Ich glaube, wir könnten den kleinen Phokos dazu überreden, teilzunehmen. Jetzt hört mal zu …«
Phokos war ganz aus dem Häuschen. Ein Pentathlon! Und seine großen Brüder redeten ihm zu, mitzumachen. Er hatte immer gedacht, dass sie ihn nicht sonderlich mochten. Vielleicht lag es daran, dass er zu jung gewesen war, um an ihren Jagdausflügen teilzunehmen. Dies musste ein Zeichen sein, dass sie ihn nun erwachsen genug fanden.
»Du wirst üben müssen«, warnte Peleus.
»O ja«, pflichtete Telamon bei. »Wir wollen nicht, dass du dich vor dem König und dem ganzen Hof blamierst.«
»Ich werde euch nicht enttäuschen«, sagte Phokos ernst. »Ich werde von morgens bis abends trainieren, versprochen.«
Hinter einer Baumgruppe versteckt beobachteten Telamon und Peleus ihren kleinen Bruder, wie er auf einer Wiese vor den Palastmauern den Diskus warf. Er war besorgniserregend gut.
»Wie kann jemand, der so klein ist, so weit werfen?«, fragte Telamon.
Peleus nahm seinen eigenen Diskus hoch und wog ihn in der Hand. »Ich kann weiter werfen«, verkündete er. Er zielte, ging in die Drehbewegung und ließ den Abwurf folgen. Der Diskus flog flach und schnell durch die Luft und traf Phokos am Hinterkopf. Der Junge ging, ohne einen Ton von sich zu geben, zu Boden.
Die Brüder eilten zu ihm. Phokos war ziemlich tot.
»Ein Unfall«, flüsterte Telamon panisch. »Wir haben zusammen geübt und er ist direkt in deine Wurfbahn gelaufen.«
»Ich weiß nicht«, sagte Peleus, der ganz blass war. »Wird man uns das abnehmen? Der ganze Hof weiß, wie wenig wir ihn leiden konnten.«
Sie blickten auf den Körper, wechselten einen Blick, nickten und fassten sich gegenseitig bei den Unterarmen, um einen unausgesprochenen Bund zu besiegeln. Zwanzig Minuten später verteilten sie getrocknete Blätter und Äste über die Erde, in der ihr Halbbruder begraben lag.
Als es sich im Palast herumsprach, dass Prinz Phokos vermisst wurde, war niemand als Endeis und ihre Söhne erpichter darauf, ihn zu finden. Während Endeis die Hand ihrer verhassten Rivalin Psamathe tätschelte und ihr tröstende Worte ins Ohr flüsterte, beteiligten Telamon und Peleus sich lauthals am allgemeinen Zeter und Mordio.
König Aiakos war auf das Palastdach gestiegen, um von diesem erhöhten Punkt aus mit immer verzweifelter klingender Stimme den Namen seines Sohnes über die Felder und in die Wälder zu rufen. Er wurde unterbrochen von einem scheuen Hüsteln. Ein ungepflegter alter Sklave näherte sich ihm.
»Was willst du hier oben?«
Der alte Sklave verbeugte sich tief. »Vergebt mir, mein König, ich weiß, wo der junge Prinz ist.«
»Wo?«
»Ich komme jeden Tag auf dieses Dach, Euer Majestät. Mit Pech und Dachstroh soll ich hier alles wasserdicht halten. Um die Mittagszeit habe ich zufällig nach unten geschaut und es gesehen. Ich habe alles gesehen.«
Der Dachdecker brachte den König zu dem Platz, an dem Phokos beerdigt lag. Peleus und Telamon wurden gerufen, beichteten ihr Verbrechen und wurden aus dem Königreich, in dem sie geboren worden waren, verbannt.
Telamon machte sich zur nahen Insel Salamis auf, wo König Kychreus herrschte, dessen Mutter, die Seenymphe Salamis, der Insel ihren Namen gegeben hatte.16 Kychreus mochte Telamon und bot ihm an – wie nur Könige, Priester und Unsterbliche es vermögen –, ihn von seinem schrecklichen Blutsverbrechen des Brudermordes zu reinigen.17 Danach ernannte er Telamon zu seinem Erben und gab ihm die Hand seiner Tochter Glauke. Nach einiger Zeit gebar sie einen Sohn, dessen Größe, Gewicht und Lebhaftigkeit beträchtlich waren. Sie nannten ihn AJAX, ein Name, den man eines Tages überall auf der Welt kennen würde, meist mit dem Zusatz »der Große«.18
Wir sind bereits Telamons späteren Abenteuern gefolgt und haben gesehen, wie er Herakles half, Rache an Laomedon zu üben. Nach der Eroberung von Troja und der Hinrichtung der gesamten männlichen Nachkommenschaft (außer Priamos) kehrte Telamon zusammen mit seinem Preis, Hesione, nach Salamis zurück. Mit Hesione hatte er noch einen Sohn, TEUKROS, der als größter Bogenschütze der Griechen berühmt werden sollte.19
Mit Telamon sind wir nun mehr oder weniger fertig.
Er war so etwas wie der Leutnant für große Helden wie Jason, Meleagros und Herakles, aber in unserer Geschichte von Troja ist er bedeutend als Vater dieser beiden Söhne, Teukros und Ajax. Dasselbe könnte man von seinem Bruder Peleus sagen. Doch der Sohn von Peleus war so viel wichtiger für unsere Geschichte und die Art seiner Geburt so bemerkenswert, dass auch Peleus selbst mehr Beachtung verdient.
Als die Brüder wegen der Tötung des jungen Phokos aus Aigina verbannt worden waren, zog Peleus weiter fort als Telamon. Er durchquerte das griechische Festland und reiste Richtung Norden zum kleinen Königreich Phthia in Äolien, keine zufällige Wahl: Dies waren die Länder seiner Vorfahren. Wir müssen in der Zeit zurückgehen, um die Verbindung zwischen Aigina im Süden und Phthia im Norden auszumachen.
Sie werden sich erinnern, dass Peleus’ Vater Aiakos ein Sohn von Zeus und der Seenymphe Aigina war. HERA, so wahnsinnig eifersüchtig auf die Affären ihres Mannes wie eh und je, hatte gewartet, bis Aiakos erwachsen war, bevor sie der Insel eine Seuche sandte, die die gesamte Bevölkerung tötete, alle, außer Aiakos.
Einsam und verlassen wanderte Aiakos über seine Insel und rief seinen Vater Zeus um Hilfe an. Unter einem Baum eingeschlafen, wurde er von einer Ameisenkolonne geweckt, die über sein Gesicht zog. Er blickte sich um und entdeckte um sich herum eine ganze Ameisenkolonie.
»Vater Zeus!«, rief er aus, »Schenke mir doch nur die Gesellschaft so vieler Sterblicher auf dieser Insel, wie es Ameisen auf diesem Baum gibt.«
Zeus hatte einen guten Tag. Als Antwort auf das Gebet seines Sohnes verwandelte der König der Götter die Ameisen in Menschen, die von Aiakos nach dem griechischen Wort für Ameise, Myrmex, den Namen Myrmidonen erhielten.20 Im Lauf der Zeit verließen die meisten Myrmidonen Aigina und ließen sich in Phthia nieder. Und deswegen entschied sich Peleus für Phthia als Ort seines Exils: um bei den Myrmidonen zu sein.
EURYTHION, Phthias König, hieß Peleus willkommen, reinigte ihn, wie Kychreus auf Salamis es mit Telamon gehalten hatte, von seinem Verbrechen, setzte ihn als Erben ein und gab ihm seine Tochter zur Frau.
Verheiratet mit der Königstochter ANTIGONE21, die Geburt eines Mädchens, POLYDORA, ein hoher Rang in Phthia als Thronerbe, die Sühne seiner Taten – es sah gut aus für Peleus. Aber er und Telamon waren ebenso energiegeladen wie rastlos und die Behaglichkeit eines Familienlebens bekam ihnen nicht gut. In den darauffolgenden Jahren erlangten sie Ruhm an Bord der Argo auf der Suche nach dem Goldenen Vlies und eilten danach, wie so viele andere Veteranen der Argo auch, nach Kalydon, um an der Jagd auf den monströsen Kalydonischen Eber teilzunehmen, den Artemis geschickt hatte, um dort die Landschaft zu verwüsten.22 In der Hitze dieser legendären Jagd geriet Peleus’ Speer außer Kontrolle und verletzte seinen Schwiegervater Eurytion tödlich. Unfall oder nicht, handelte es sich jedenfalls um noch ein Blutsverbrechen, eine weitere Tötung eines Familienangehörigen, und Peleus war nun erneut auf der Suche nach Vergebung durch einen König.
Der König, der ihm diesmal Absolution anbot, war Akastos, der Sohn von Jasons altem Feind Pelias, so dass sich Peleus also in das äolische Königreich von Iolkos zu Akastos aufmachte. Bitte haben Sie etwas Geduld, liebe Leserinnen und Leser.23
Unterdessen hatte Peleus die unangenehmen Charakterzüge abgelegt, die ihn dazu bewogen hatten, eine so abscheuliche Rolle bei der Tötung seines Halbbruders Phokos zu spielen, und er wurde von jedermann als bescheidener, liebenswerter und charmanter Mann geschätzt. So bescheiden, so liebenswert, so charmant – und auch so gutaussehend –, dass es nicht lange dauerte, bis Akastos’ Ehefrau ASTYDAMEIA von einem Verlangen nach Peleus überwältigt wurde. Eines Nachts betrat sie sein Schlafzimmer und unternahm alles, um ihn zu verführen, allerdings erfolglos. Sein Gefühl für Schicklichkeit als Gast und Freund von Akastos ließ ihn erstarren, als sie sich immer wieder an ihn schmiegte. Gekränkt von der Ablehnung, verwandelte sich Astydameias Liebe in Hass.
Wer von Ihnen die Geschichte von Bellerophon und Stheneboia kennt oder die von THESEUS’ Sohn Hippolytos und Phaedra24 oder auch die von Joseph und Potifars Frau im ersten Buch Mose, wird mit dem Mythologem oder dem wiederkehrenden Bild der »verschmähten Frau« vertraut sein – und damit, was es unausweichlich nach sich zieht.
Bis aufs Blut gekränkt schickte Astydameia eine Nachricht an Peleus’ Frau Antigone in Phthia, die dort ihre gemeinsame Tochter Polydora großzog.
»Antigone, ich möchte dich davon in Kenntnis setzen, dass dein vermeintlich so treuer Mann Peleus sich mit meiner Stieftochter Sterope verlobt hat. Ich kann nachvollziehen, wie schmerzhaft diese Vorstellung für dich sein muss. Peleus hat sich wenig Mühe gegeben, seine Abneigung dir gegenüber zu verbergen. Wie er dem Hof erzählte, wäre deine Figur seit der Geburt so plump und weich wie eine überreife Feige, und er könne deinen Anblick nicht mehr ertragen. Es ist wohl besser, dies von mir zu hören, als von jemandem, der dir übelwill. Deine Freundin Astydameia.«
Nachdem Antigone diese Nachricht gehört hatte, verließ sie das Haus und erhängte sich.
Selbst dieses grauenvolle Ende reichte der rachsüchtigen Astydameia nicht, die sich nun mit gebeugtem Kopf und unterdrücktem Schluchzen zu ihrem Gatten begab.
»Oh, mein Ehemann …«, begann sie.
»Was ist geschehen?«, fragte Akastos.
»Nichts, ich kann nicht darüber sprechen. Nein, ich kann nicht …«
»Ich befehle dir, mir zu erzählen, was dir solchen Kummer bereitet.«
Die schreckliche Geschichte sprudelte nur so aus ihr heraus. Wie der Lüstling Peleus in ihr Schlafgemach eingedrungen war und versucht hatte, sich ihr aufzudrängen. Wie sie die Vergewaltigung abwehren konnte und Antigone geschrieben hatte, um sie über die Untreue ihres Mannes in Kenntnis zu setzen. Wie Antigone sich vor Scham und Schmerz das Leben genommen hatte. Wie Astydameia das alles vor ihm, Akastos, geheim halten wollte, der Peleus doch so sehr schätzte … Aber nun hatte er es ihr abgerungen … O je, hoffentlich war es kein Fehler gewesen, ihm die Sache zu erzählen …?
Schon während Akastos noch dabei war, seine Frau zu beruhigen, hatte er bereits unerbittliche Rache im Sinn. Ihm war jedoch bewusst, dass er dabei umsichtig vorgehen musste. Es wäre eine Verletzung der heiligen Gesetze der Gastfreundschaft, seinen Gast zu töten. Nicht nur das. Peleus war auch ein Enkel von Zeus. Sich mit ihm anzulegen, wäre töricht. Dennoch war Akastos entschlossen, für den Tod des lüsternen und verkommenen Schurken zu sorgen, der es gewagt hatte, sich an seiner Frau zu vergreifen.
Am nächsten Tag lud er seinen Hofstaat und den jungen Gast zu einem Jagdausflug ein. Ermüdet von der Jagd, fand Peleus am Nachmittag eine grasbewachsene Böschung an einem dunklen Waldesrand und fiel in einen tiefen Schlaf. Akastos gab seinen Männern ein Zeichen, still zu sein, schlich sich heran und stahl sein Schwert, eine mächtige Waffe, die HEPHAISTOS geschmiedet und die Zeus persönlich Peleus’ Vater überreicht hatte. Akastos versteckte es in einem nahegelegenen Misthaufen und schlich sich breit grinsend mit seinen Männern auf Zehenspitzen davon, während Peleus weiter tief schlief. Akastos wusste, dass die Gegend in der Nacht wegen marodierender Kentauren, halb Pferd, halb Mensch, lebensgefährlich war und sie Peleus sicher finden und töten würden.
Und tatsächlich steckte kaum zwei Stunden später eine Herde wilder Kentauren schnüffelnd die Nase in die Luft, weil sie einen Menschen gerochen hatten.
Nun ist es so: Jeder hat zwei Großväter.25 Auf väterlicher Seite hatte Peleus Zeus und auf der mütterlichen den weisen, gelehrten und noblen Cheiron, den unsterblichen Kentauren, den Lehrer von ASKLEPIOS und Jason.26 Zufälligerweise war Cheiron an diesem Abend unter den Kentauren, die aus dem Wald kamen und sich im leichten Galopp dem schlafenden Peleus näherten. Cheiron überholte die anderen, weckte Peleus und barg sein Schwert. Nachdem sie sich von den anderen Kentauren verabschiedet hatten, umarmten sie sich. Peleus war ganz offensichtlich der Lieblingsenkel von Cheiron.
»Ich habe auf dich aufgepasst«, sagte der Kentaur. »Du warst das Opfer eines großen Unrechts.«
Peleus erfuhr von Cheiron, was Astydameia getan hatte und weinte vor Kummer über den Tod von Antigone und aus Zorn wegen der Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren war. Er reiste nach Phthia, errichtete eine Grabstätte für seine tote Frau und kehrte mit einem Aufgebot seiner besten phthiotischen Soldaten nach Iolkos zurück – das Eliteheer der Myrmidonen. Akastos wurde getötet, die böse Astydameia in Stücke geschnitten und Thessalos, der Sohn von Peleus’ altem Freund Jason, auf den Thron gesetzt. Von diesem Zeitpunkt an wurde Äolien als Thessalien bekannt und ist es bis zum heutigen Tag.
Lieber als nach Phthia zurückzukehren und das Leben eines Kronprinzen zu führen, nahm Peleus das Angebot von Cheiron an, einige Zeit mit ihm in seiner Berghöhle zu verbringen, um bei diesem berühmten Kentauren in die Lehre zu gehen. Cheiron hatte ein großes Maß an Weisheit und Wissen weiterzugeben, und das Leben auf dem Berg Pelion verlief etwa ein Jahr lang in ruhigen Bahnen. Doch irgendwann fiel Cheiron bei Peleus eine gewisse Rastlosigkeit auf, die sich zu so etwas wie Kummer steigerte.
»Etwas beunruhigt dich«, sagte er eines Abends. »Sag mir, was es ist. Du nimmst an unseren Studien nicht mit so viel Freude und Eifer teil wie früher. Du blickst hinab auf die See, und da ist ein verlorener Ausdruck in deinen Augen. Trauerst du noch immer um Antigone?«
Peleus drehte sich um und sah ihm in die Augen. »Ich muss gestehen, dass das nicht der Fall ist«, sagte er. »Es ist eine neue Liebe.«
»Aber du hast ein Jahr lang kaum jemanden gesehen.«
»Ich habe sie vor langer Zeit getroffen, als ich mit Jason segelte. Aber ich habe sie nie vergessen.«
»Erzähle es mir.«
»Oh, es ist so albern. Ich lehnte eines Abends am Heck der Argo. Hast du je erlebt, wie manchmal ein grünes Licht auf dem Meer aufscheint?«
»Ich bin kein erfahrener Seemann«, sagte Cheiron.
»Nein, natürlich nicht.« Peleus lächelte bei dem Gedanken, wie Cheirons Hufe über das glatte Deck klapperten und rutschten. »Nun, du kannst mir glauben, manchmal sieht man nachts ein verzaubertes Licht im Wasser glühen.«
»Meeresnymphen, zweifellos.«
»Zweifellos. Mag sein, dass wir an diesem bestimmten Abend über Poseidons Meerespalast gefahren sind. Die Lichter waren besonders hell. Ich habe mich vorgelehnt, und eine Gestalt stieg aus dem Wasser auf. Ich hatte noch nie zuvor etwas oder jemand so Schönes gesehen.«
»Ah.«
»Sie starrte mich an, und ich starrte zurück. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Und dann durchbrach ein Delphin die Oberfläche. Der Zauber war gebrochen, und sie versank wieder in der Tiefe. Ich war in einem Traum …« Peleus hielt inne und durchlebte den Moment noch einmal.
Cheiron wartete. Er war sicher, da käme noch mehr.
»Du weißt vielleicht«, fuhr Peleus fort, »dass die Galionsfigur am Bug der Argo aus Eichenholz geschnitzt war, das aus dem heiligen Eichenhain in Dodona stammte und die Fähigkeit zur Weissagung besaß?«
Cheiron beugte den Kopf, um zu signalisieren, dass er damit vertraut war.
»Ich habe sie befragt. ›Wer war das Geschöpf?‹, wollte ich wissen. Die Galionsfigur antwortete: ›Wer sonst als THETIS, deine zukünftige Braut?‹ Mehr konnte ich nicht herausbekommen. Thetis. Ich habe mich umgehört. Priester und weise Männer stimmen überein, dass es eine Meeresnymphe dieses Namens gibt. Aber wer ist sie, Cheiron? Jede Nacht steigt ihr Bild im Schlaf vor mir auf, so, wie sie aus den Wellen stieg.«
»Thetis hast du gesagt?«
»Ja. Hast du von ihr gehört?«
»Von ihr gehört? Sie gehört zur Familie. Wir sind Cousin und Cousine, so würdest du das wahrscheinlich nennen. TETHYS ist unsere gemeinsame Großmutter.«27
»Ist sie …?«
»Thetis ist so schön und begehrenswert, wie du sie in Erinnerung hast. Alle Götter sind irgendwann einmal ihrem unvergleichlichen Reiz erlegen …«
»Ich wusste es«, stöhnte Peleus.
»Lass mich ausreden«, sagte Cheiron. »Alle Götter sind irgendwann in den Bann ihrer Schönheit geraten, ganz besonders Zeus. Doch vor vielen Jahren hat der Schöpfer der Menschheit, der Titan PROMETHEUS, eine Prophezeiung über Thetis getätigt, die von da an sämtliche Götter und Halbgötter davon abgehalten hat, sich ihr zu nähern.«
»Es gibt einen Fluch?«
»Für einen Gott wäre es in der Tat ein schrecklicher Fluch, aber vielleicht nicht für dich, einen Sterblichen. Prometheus hat vorhergesagt, dass jeder Sohn, der von Thetis geboren wird, größer sein wird als sein Vater. Du kannst dir sicher vorstellen, dass keiner der Olympier Vater eines Sohnes werden möchte, der ihn übertrifft oder vielleicht sogar absetzt. Uranos, der erste Herrscher des Himmels, wurde von seinem Sohn Kronos gestürzt, und der wiederum von seinem Sohn Zeus,28 der seinerseits kaum den Wunsch verspürt, da kannst du sicher sein, dass dieser Kreislauf fortgesetzt wird. Trotz Thetis’ Schönheit und seiner lüsternen Veranlagung hat der König des Himmels sie all die Jahre in Ruhe gelassen. Auch kein anderer Olympier hat sich mit ihr vereint.«
Peleus klatschte begeistert in die Hände. »Das ist alles? Die Angst, dass ein Sohn größer sein könnte als man selbst? Warum sollte mir das Sorgen bereiten? Ich wäre stolz, Vater eines Sohnes zu sein, der mich an Ruhm und Ehre überflügelt, warum auch nicht?«
Cheiron lächelte. »Nicht alle Götter, und sicherlich auch nicht alle Menschen, sind wie du, Peleus.«
Peleus wischte das Kompliment, falls es ein Kompliment gewesen war, beiseite. »Das ist alles schön und gut«, fügte er mit schon etwas gemischteren Gefühlen hinzu, als die harsche Realität ihm dämmerte, »aber die Meere sind groß und weit. Wie kann ich sie jemals finden?«
»Oh, was das anbetrifft … Hat dein Freund Herakles dir nie die Geschichte vom Treffen mit ihrem Vater erzählt?
»Okeanos?«
»Nein, Thetis ist eine Nereide.29 Es geschah alles, als Herakles gesandt wurde, um die Goldenen Äpfel der Hesperiden zu holen, die elfte seiner Arbeiten. Er hatte keine Ahnung, wo er nach ihnen suchen sollte. Die Nymphen im Fluss Eridanos erzählten ihm, dass er Nereus aufsuchen sollte, den Sohn von Pontos und Gaia. Aber wie Proteus – eigentlich wie die meisten Gottheiten – kann Nereus seine Form beliebig verändern. Herakles musste den alten Meeresgott fest an sich pressen, weil der sich in alle möglichen Geschöpfe verwandelte. Bis Nereus schließlich keine Kraft mehr hatte. Er ergab sich und erzählte Herakles alles, was er wissen wollte. Für Nereus’ Tochter Thetis gilt dasselbe. Sie wird sich nur jemandem hingeben, der sie festhält, ganz gleich, wie viele Veränderungen ihre Gestalt durchmacht.«
»Ich habe nicht die Kraft von Herakles«, sagte Peleus.
»Aber du besitzt Leidenschaft und Durchsetzungsvermögen!«, sagte Cheiron und stampfte ungeduldig mit einem Huf auf. »Was du gespürt hast, als du Thetis bei deiner Wache auf der Argo gesehen hast – ist dieses Gefühl stark genug, sie zu halten?«
»Stark genug?«, fragte Peleus, und dann mit demonstrativer Bestimmtheit: »Ganz gewiss ist es stark genug!«
»Dann gehe hinunter ans Meer und rufe sie.«
Peleus stand am Ufer der Ägäis und rief nach Thetis, bis er heiser war. Von den Bergen und Klippen ergossen sich die Schatten langsam wie eine dunkle Flut auf den Strand, während HELIOS mit seinem Sonnenwagen im Westen hinter ihm abtauchte. Bald ritt SELENE über den Himmel und warf silberblaues Licht aus ihrem Mondwagen auf den nassen Sand zu Peleus’ Füßen. Immer noch starrte er in die schwarzen Fluten und rief krächzend Thetis’ Namen. Schließlich …
Träumte er, oder war das eine blasse, weiße Gestalt, die weit draußen den Wellen entstieg? Sie schien größer zu werden.
»Thetis?«
Sie war jetzt nah genug am Land, um stehen zu können. Lediglich Bänder aus Seegras bedeckten ihre geschmeidige Blöße, als sie sich ihm auf dem Sand näherte.
»Welcher Sterbliche wagt es, mich zu rufen? Oh!« Sie kam so schnell auf ihn zu, dass er angstvoll zurückschreckte. »Ich kenne dieses Gesicht. Du hast dich eines Nachts erdreistet, mich anzustarren. Was lag in diesem Blick? Es hat mich beunruhigt.«
»Es war … Liebe.«
»Oh. Liebe. Das ist alles? Ich dachte, ich sehe noch etwas anderes, etwas, das ich nicht benennen kann. Ich sehe es immer noch.«
»Vorsehung?«
Thetis legte den Kopf in den Nacken und lachte. Ihre nasse Kehle, die von einem dünnen Band aus Seegras geschmückt wurde, war schöner als alles, was Peleus je auf der Welt gesehen hatte. Das war seine Chance. Er sprang nach vorn und packte sie um die Hüften. Sofort spürte er, wie seine Arme auseinandergedrückt wurden und seine Hände abrutschten. Thetis war verschwunden, und er hielt einen sich windenden Delphin im Arm. Er drückte ihn so fest, bis das Blut in seinen Ohren sang und ging fast zu Boden, als aus dem Delphin unvermittelt ein Oktopus wurde. Dann war es ein Aal, ein Seeadler, eine Qualle, eine Robbe … unzählige andere Formen. Um sich nicht durch die erschreckende Absonderlichkeit dessen, was er tat und sah, abschrecken zu lassen, schloss Peleus die Augen, verstärkte seinen Griff und hielt sie einfach fest, all diese unterschiedlichen Strukturen, das Spitze, Schlüpfrige, Seidige und das Weiche, bis er einen Seufzer und einen Schrei hörte. Ausgelaugt von der Anstrengung, so viele Gestalten in so kurzer Zeit anzunehmen, hatte Thetis nachgegeben. Als Peleus die Augen öffnete, lag sie erhitzt und erledigt in seinen Armen.