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Der Weg, der das Ziel ist, entsteht erst beim Gehen - und das tut der Promeneur in diesen Kurzgeschichten mit kapriziöser Gemächlichkeit. Illustre szenische Intermezzi mit süperb zirkulären Dialogen umspülen hörbar die Figuren. Denn mit der einfachen Sprache des Autors, voller subtiler Metaphern fürs Sonderbare, Traumartige und Possierliche bekommt das Surreale der Erzählung seinen eigenen Klangraum. Unterwegs in einer imaginären Wirklichkeit voller Angebote, Hilfsbereitschaft, Geschenke, Freundschaft und Teambemühungen, flaniert Golo der Spaziergänger besinnlich und kreiert beständig achtsame Verständigung mit allen Lebewesen, die ihm begegnen. Für ihn steht nicht ein eigentümliches Ansinnen im Zentrum, sondern die gelassen akribische Suche nach dem im jeweiligen Kontext gefühlt nächsten Schritt. Das Besondere dabei ist die filigrane Balance, die gleich einem Tanz von hör- und sichtbar werdenden narrativen Bewegungen, Nähe und Weite, Gegenwärtigkeit und Sehnsucht, Resonanz und Atmosphärisches trennt - und verbindet.
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Seitenzahl: 202
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Zuletzt erschienen:
Mit den Händen ein Herz. short stories. ISBN: 978-3-73923041-2
Enzianblau
Das goldene Buch
Kalter Tee
Der wunderbare Stift
Die fliegende Gabel
Die staubgraue Spinne
Die Quellen am Seeboden
Der Blauwal schnappt die Tasche
Rehbilder
Der Schachtelhut
Feld 1
Das Rennhaus
Die Tonart der Biene
Tropfenklang aufs Tamburin
Der Klang der Wellen
Das Landsträßchen mit den Tasten
Das Nashorn
Die Malsteine
Der Reiher auf der Grasinsel
Der Rosenpavillon
Das Paradies wächst aus der Wand
Das zweifarbige Einhorn
Der Wolkenstein
Leopard und Kaisermantel
Der Kiosk im Grasland
Bizarre Felsen ragen aus der moosgrünen Hochebene. Golo schaut sich um. Schmetterlinge flattern umher.
Hinter einem Felsen kommt ein Mann hervor. „In 5 Minuten kann ich vor deinen Füßen einen Sandstrand herbeizaubern.“
Golo legt die Hand flach auf den Bauch. „Wie geht das?“
Der Mann rennt hinter den Felsen. „Bei mir lernst du eine Menge.“ Er kehrt mit einer Schubkarre voll Sand zurück. „Das ist der Strand.“ Er rollt eine Folie vor Golos Zehenspitzen aus. „Wir wollen nachhaltig schaffen. Diese Folie ist aus dem nachwachsenden Rohstoff Zuckerrohr.
Sie verhindert, dass der Sand, den ich gleich kippen werde, ins Moos eindringt. Denn nach der Installation muss jedes Sandkorn in die Karre zurück.“
- „Warte“, bittet Golo, „machst du das alles für mich?“
- „Aber sicher“, betont der Mann, „ich möchte, dass du mein Freund wirst. Für meinen Freund tu ich alles.“ Er reicht ihm die Hand. „Übrigens, ich heiße Nick.“ Er leert den Sand auf die Folie. „Auch das ist nachhaltig. Den Sand erhält nachher der Spielplatz im Park.“ Er schafft auf der zweiten Schubkarre einen Zuber voll Wasser herbei. „Hilfst du mir beim Abladen? Ich möchte den Zuber neben den Sand stellen.“
Eine Frau biegt im Eilschritt um den Felsen. „Darf ich Hand anlegen? Mir macht es Spaß, ein Team zu bilden.“ Sie hilft Nick, den Zuber abzuladen. „Ich bin Oksana.“
Er richtet sich auf. „Freut mich. Das ist ein seltener Name.“
- „Ich bin weit und breit die einzige Oksana“, betont sie.
Auf der dritten Karre führt Nick eine Palme in einem Topf und eine Gießkanne. „Wir nehmen das Wasser aus dem See, gießen die Goldfruchtpalme. Sie produziert Sauerstoff und reinigt die Luft.“
Golo ist beeindruckt. „Von dir lerne ich wirklich eine Menge. Allerdings bin ich noch gar nicht dazu gekommen, dir etwas Wichtiges zu sagen: Wenn ich die Gegend anschaue, streife ich umher, verweile nirgends sehr lange.
Und so ist es fast schade, für mich eine Installation zu machen.“
Nick gibt der Palme Wasser. „Wieso denn? Freunde tun etwas füreinander. Aber ich halte dich nicht auf.“
Golo sagt: „Ich könnte dir helfen, die Installation zurückzubauen, bevor ich weitergehe.“
Oksana meint: „Das kannst du ruhig uns überlassen.“
Golo dankt, wendet sich zum Gehen. „Auch, dass du mir die Freundschaft angeboten hast, freut mich sehr.“
Nick fragt: „Wohin gehst du?“
- „Ich erkunde die Hochebene“, antwortet Golo, macht sich auf den Weg.
Nick ruft ihm nach: „Ich bin gleich wieder bei dir.“
Ein Mann kommt dazu. Er trägt eine Schaufel. „Kann ich helfen?“
Nick weist auf den Sand. „Schaufle ihn in die Schubkarre.“
Oksana nimmt Nick die Gießkanne ab. „Von allen Installationen, die ich je gesehen habe, ist deine die nachhaltigste.“
Er bedankt sich für das Kompliment. „Es freut mich, wenn sie gut ankommt.“
Mit lockeren Bewegungen schaufelt der Mann den Sand.
„Schön wäre es, wenn unser Team wachsen würde.“
Eine Frau eilte federnden Schrittes herbei. „Gibt es etwas zu tun?“
Nick lenkt den Blick auf die Schubkarren. „Wir stoßen sie in den Park.“
- „Unser Team ist gewachsen“, stellt Oksana fest, „wir können dich gut freistellen. Dann kannst du deinen neuen Freund einholen.“
Sein Blick schweift zu Golo. „Das Angebot nehme ich gern an.“ Er rennt hinterher und befindet sich wenige Augenblicke später an seiner Seite. „Da bin ich wieder.“
Golo staunt: „Das ging schnell.“
- „Ich hatte Glück“, berichtet Nick, „durfte alles in die Hände eines Teams geben.“
Die Halme bewegen sich im Wind.
„Suchst du Sehenswürdigkeiten?“ erkundigt er sich, nachdem er nur wenige Sekunden still nebenher geschritten ist.
Golo bleibt stehen. „Ich finde alles sehenswert.“
- „Das ist eine interessante Ansicht“, findet Nick, „ich sehe am liebsten etwas Besonderes, das ganz viele Menschen anlockt.“
Ein Mann findet sich ein. „Wenn ich Menschen begegne, gucke ich als erstes das Ohr an.“
Nick greift ans Ohrläppchen. „Hat das einen Grund?“
- „Mich nimmt wunder, ob die Menschen einen Ohrring tragen“, erklärt er. Sein Blick bleibt an Golos Ohr kleben.
„Du trägst keinen.“
- „Weshalb sollte ich?“ fragt er.
„Der Ohrring wirft einen Schatten auf deinen Hals. Das verleiht dir einen kecken Anstrich“, betont der Mann.
„Dann solltest du dir unbedingt ein Ohrloch stechen lassen“, rät Nick.
Golo lässt die Hand sinken. „Hast du ein Loch?“
Nick zieht sich am Ohrläppchen und zeigt es. „Es fehlt nur der Ring.“
Der Mann entfernt den Ring von seinem Ohr. „Nimm doch meinen!“ Am Ring hängt eine kleine, silberne Schlange.
Nick steckt ihn an, zeigt sich Golo von der Seite. „Wie sehe ich aus?“
Er betrachtet ihn aufmerksam. „Du hast recht. Ich kann den Schatten auf dem Hals sehen.“
Der Mann sagt nach einem langen, sehr festen Blick auf Golos Ohr. „Ich steche dir gern ein Loch.“
Golo hebt abwehrend die Hände. „Lieber nicht! Am Ohr bin ich empfindlich.“
Nick bietet an: „Ich könnte dir einen Ohrclip mit Klammer besorgen. Dann brauchst du kein Ohrloch.“
Der Mann deutet mit dem Finger ins Tal. „Da steht mein Haus. Wenn ihr eintretet, werdet ihr verblüfft sein. Tausende Ohrringe hängen an den Wänden, an der Decke.
Die Auswahl ist riesig.“
Nick gibt Golo einen Schubs. „Wir gehen sofort hin. Das musst du sehen.“
Golo weicht zurück. „Ich brauche noch etwas Bedenkzeit.“
„Such dir einen Ring aus und denke später“, empfiehlt der Mann, „du kannst ihn jederzeit wieder abnehmen.“
- „Ich will dich keineswegs bedrängen“, verspricht Nick, „aber wir wissen jetzt genau, wo wir als nächstes hingehen.
Stell dir nur die riesige Auswahl vor!“
Golo kreuzt die Beine. „Ich bin einfach noch nicht bereit.“
Nick wendet sich an den Mann: „Geh schon voraus. Wir kommen bald nach.“
- „Soll ich den Erststecker bereitlegen?“ erkundigt er sich.
Nick schließt die Lider. „Eins nach dem anderen.“
Nachdem der Mann vergnügt zu seinem Haus gelaufen ist, kehrt sich Nick Golo zu. „Hilft es, wenn ich dir beim Stechen die Hand halte?“
- „Ich habe erst einen kleinen Teil der Hochebene gesehen“, gibt Golo zu bedenken, „das geht vor.“
Schnell schwenkt Nick um. „Du hast vollkommen recht.“
Nach einer kurzen Pause beschäftigt ihn die Frage: „Was gibt es da überhaupt zu sehen?“
Unzählige Blüten verwandeln die Wiese in einen zauberhaft duftenden Ort. Golo zeigt Nick eine Schafgarbe, Margerite, Wiesensalbei, Glocken-, Flocken- und Witwenblume.
„Du kennst alle Blumen“, staunt Nick.
Eine Frau kommt ihnen mit tänzelndem Gang entgegen.
„Habt ihr die herzförmige Wolke gesehen?“
Nick und Golo blicken auf. Eine Wolke bildet ein riesiges Herz am Himmel. „So groß ist meine Liebe“, schwärmt Nick.
Die Frau lacht. „Wen liebst du?“
- „Dich“, antwortet er.
Sie schiebt das Becken nach vorne. „Aber du kennst mich doch gar nicht.“
- „Es ist Liebe auf den ersten Blick“, beteuert er.
Sie deutet auf ein Haus, das am Rand der Hochebene steht. „Stehen wir nicht lange herum! Ich lade euch zum Tee ein. Dann möchte ich sehen, wie sich die Liebe zeigt.“
Golo verharrt ruhig. „Ich möchte mir zuerst die Umgebung ansehen.“
- „Ist gut“, sagt die Frau, „dann gehen wir schon mal vor.“
Nick folgt ihr, dreht sich kurz um, ruft Golo zu: „Vergiss vor lauter Blumen die Liebe nicht.“ Der Frau erklärt er: „Jede Blume sieht er einzeln an und kennt sie mit Namen.“
Sie bemerkt neckisch: „Und wie hast du es? Verliebst du dich in jede Frau und weißt nicht einmal ihren Namen?“
Er macht größere Schritte, reckt die Brust vor. „Ich kann sehr treu sein.“
Sie fährt fort, ihn zu necken. „Viele können, aber wenige sind es.“
Nick hebt den Kopf. „Ich zähle zu den wenigen, die wirklich treu sind.“
Fröhlich plaudernd langen sie beim Haus an. Mit einem bedeutsamen Lächeln öffnet sie die Tür. „Treue geht sehr weit.“
Unterdessen sieht sich Golo weiter um. Bei einem Gebüsch winkt ihm eine Frau. „Hier wächst Haselwurz. Kennst du die Pflanze?“
Golo tritt näher. „Ich lerne gern dazu.“ Er beugt sich über die Pflanze mit den herzförmigen Blättern. „Gesehen habe ich sie schon oft. Aber erst jetzt lerne ich sie mit Namen kennen.“
Die Frau erklärt sich dazu bereit, ihn in alle Blumen, Sträucher und Bäume der Hochebene einzuführen. „Sie ist ein Pflanzenparadies.“
Ein Mann gesellt sich dazu. „Pflanzen sind meine Leidenschaft. Am liebsten würde ich mich jeden Tag mit einer neuen Blume vertraut machen.“
Sie verspricht: „Dann bis du bei mir genau richtig. Ich kann dir nicht nur die Namen beibringen, sondern auch die Heilkräfte. Außerdem ranken sich um jede Blume unzählige Geschichten.“
Lehrend und erzählend bewegt sie sich mit dem Mann fort, ohne zu merken, dass sie sich immer weiter von Golo entfernt.
Er bleibt nämlich stehen, sieht einer Ameise zu, die auf einen Grashalm klettert. Der Halm wiegt sich sacht im Wind.
Eine Frau grüßt ihn. Sie schleppt einen Koffer, öffnet ihn. „Möchtest du ein neues T-Shirt?“ Sie breitet die bunte Auswahl auf der Wiese aus. Die Shirts sind samtschwarz, kastanienbraun, mohnrot, feuerlilienorange, sonnenblumengelb, grasgrün, enzianblau, asternviolett, hellblau, wolkenweiß, pink.
Golo sagt: „Im Moment benötige ich gar kein neues T-Shirt.“
Die Frau beginnt, die T-Shirts einzusammeln. „Ja dann, räume ich die Kollektion wieder ein.“
Ein Mann rennt über die Wiese. „Nicht einpacken! Nicht versorgen! Ich brauche dringend ein neues T-Shirt.“
Ihr Gesicht hellt sich auf. „Extra für dich habe ich ein neues Sortiment heraufgeschleppt.“
Der Mann umrundet die Auslage. Sein Blick fällt auf Golo.
„Hast du dich schon entschieden?“
Er dreht den Körper leicht aus der Hüfte heraus.
„Ich komme ohne ein neues aus.“
Der Mann hält das enzianblaue vor Golos Brust. „Das würde dir stehen.“
In der glitzernden Lagune liegt eine kleine Insel. Golo steht am Ufer, blickt hinüber. Eine Frau sitzt in einem saturn gelben Boot, rudert zum Strand. Als der Bug im Sand aufläuft, legt sie die Ruder ein, springt heraus, schiebt das Boot ans Ufer. „Bist du schon einmal auf der Insel gewesen?“
Golo öffnet den Mund. „Ich bin daran, den See zu erkunden, habe eben erst die Lagune entdeckt.“
- „Steig doch in mein Boot“, lädt sie ihn ein, „ich bringe dich gern hin.“
Golo umfasst mit der linken Hand den rechten Oberarm.
„Ich überlege es mir. Eigentlich könnte ich auch schwimmen.“
Nick federt herbei. „Ich habe dich überall gesucht“, sagt er zu Golo, „dann dachte ich bei mir, du könntest zum See hinuntergegangen sein.“
- „Wer bist du?“ fragt die Frau.
Er stellt sich neben Golo. „Der Freund.“ Sein Blick schweift vom Boot zur Frau. „Gehört es dir?“
Sie streicht mit der Hand über den Bug. „Gefällt es dir?“
Er tätschelt eine Planke. „Segelschiffe, Ruderboote, zur Not auch ein Floss, mir gefallen alle Wasserfahrzeuge.
Man könnte sagen, ich bin auf dem Wasser zu Hause.“
- „Dann könntest du uns ja hinüberrudern“, schlägt sie vor.
Er bringt sich in Stellung, um das Boot ins Wasser zu schieben. „Ich freue mich schon darauf.“
Die Frau steigt ein, setzt sich auf die schmale Bank im Heck, winkt Golo. „Setze dich zu mir.“
Nick ermuntert ihn. „Zögere nicht! Du bekommst nicht jeden Tag Gelegenheit, dich neben eine so schöne Frau zu setzen.“
Golo nimmt Platz. „Ich frage mich immer, wie ich auch ohne Hilfe vorankommen könnte.“
Nick stößt das Boot ins Wasser, springt zur Ruderbank.
„Wieso denn? Du hast einen neuen Freund, auf den du dich verlassen kannst.“
Die Frau horcht auf. „Ihr kennt euch noch gar nicht so lange?“ forscht sie.
Golo reckt den Rücken gerade. „Ich traf ihn vor Kurzem.“
Nick beginnt zu rudern. „Für die Freundschaft spielt die Zeit überhaupt keine Rolle. Ich begegne jemanden, stelle fest, dass wir zueinander passen, und merke gleich, es könnte eine Freundschaft fürs Leben werden.“
Sie legt die Hand auf Golos Oberschenkel. „Wie denkst du darüber?“
Er knickt das Knie ein. „Nick hat eine bestechend einfache Idee von der Freundschaft.“
- „Jede Minute kann sie anfangen“, fällt ihm Nick ins Wort, „das ist so im Leben.“ Er beschleunigt den Ruderschlag.
„Du kannst sie nicht planen, nicht vorhersagen.“ Angekommen auf der Insel, springt er aus dem Boot, zieht es in den Sand. „Das wird bestimmt meine Lieblingsinsel.“
Die Frau steigt aus. „Das weißt du schon jetzt, bevor du sie erkundet hast?“
Er läuft am Strand auf und ab. „Ich habe es im Gefühl.“
Die Frau findet: „Es ist an der Zeit für eine kleine Vorstellungsrunde.“
- „Ich heiße Nick“, platzt er heraus, als wäre sein Name nicht bereits genannt worden. Er verbeugt sich mit einer komischen Bewegung. „Wie heißt du?“
- „Ich bin Pina“, stellt sie sich vor. Ihre Augen wandern zu Golo. „Jetzt fehlt nur dein Name.“
Er klettert aus dem Boot. „Ich bin Golo.“
Sie schaut ihm fest in die Augen. „Das ist ein Name, den man nicht alle Tage hört.“
Im feinen Sand laufen die Wellen aus. Golo schaut sich um.
Eine Frau kommt wiegenden Schrittes. Sie bringt einen Kescher. Er sieht aus wie ein großes, um einen Ring gespanntes Schmetterlingsnetz. „Wem darf ich ihn schenken?“
Nick streckt die Hand aus. „Mir! Ich wollte schon immer einen Kescher halten.“
- „Willst du Fische fangen?“ fragt Pina.
Er schwingt den Kescher wie ein Fähnrich die Fahne. „Das würde ihnen nicht guttun, wenn ich sie fange.“
- „Was immer du vorhast“, mahnt die Frau, „sorge dafür, dass du keinem Lebewesen schadest.“ Sie nimmt wieder ihren wiegenden Gang an, geht den Strand entlang.
Nick gibt den Kescher Golo weiter. „Deine Meinung interessiert mich. Wie liegt der Griff in der Hand?“
Golo muss zugeben, dass er den Kescher gut führen kann.
„Aber was soll ich damit anfangen?“
Pina rät: „Du solltest ihn erst aus der Hand geben, wenn du herausgefunden hast, wo und wie du ihn einsetzen kannst.“
- „Eines muss ich sagen“, fügt Nick bei, „mit dem Kescher siehst du wie ein Naturforscher aus.“
Golo schultert ihn. „Ich würde gerne das Innere der Insel erforschen.“
Pina geht voraus. „Stellt euch vor, wir hätten kein Boot und wären ganz allein auf der Insel, auf uns gestellt. Das würde unser Team zusammenschweißen.“
Der Wald nimmt sie auf. Die Sonne durchleuchtet die Blätter. Golo lauscht dem Vogelgezwitscher.
Ein Mann kreuzt den Weg. Er trägt eine Aluminiumleiter.
„Ich besitze sie schon die längste Zeit, würde mich gern entlasten.“
Nick ergreift sie, prüft das Gewicht. „Für ihre Länge ist sie außerordentlich leicht.“
Pina hat eine Idee. „Wenn du sie vorne führst, und ich trage sie hinten, könnten wir Feuerwehr spielen.“ Sie schultern die Leiter.
Die Augen des Mannes glänzen. „Ich würde vorsichtig vorhersagen, dass niemand sie so gut einsetzen wird wie ihr.“
Er lockert die Arme, verschwindet im Gebüsch. Pina, Nick und Golo dringen tiefer in den Wald ein. Der Wind streift durch die Bäume.
Eine Frau läuft barfuß übers Moos. „Ihr kommt wie gerufen.
Ein Waschbär hat sich hoch auf einem Mauervorsprung verstiegen. Ich fürchte, er kann weder vor noch zurück.“
- „Mach dir keine Sorgen“, beruhigt sie Pina, „wir retten ihn.“
Die Frau führt sie vor die Ruine eines Schlosses. Farn und Moos überwuchern die Mauern. Auf dem Vorsprung sitzt der Waschbär.
„Waschbären sind ausgezeichnete Kletterer“, sagt die Frau. Sorgenfalten zeigen sich auf ihrer Stirn. „Daher beunruhigt es mich, dass er sich nicht bewegt.“
Pina und Nick stellen die Leiter an. Sie gibt Golo einen Wink. „Kannst du mit dem Kescher hinaufsteigen?“
Nick empfiehlt: „Du führst das Netz sorgfältig über seinen Körper. Dann achtest du auf seine Füße. Wenn er sie über den Ring bewegt, drehst du den Kescher und bringst ihn im Netz herunter.“
Golo erklimmt die Leiter. Der Waschbär guckt ihn aus dunklen Augen in der schwarzen Gesichtsmaske an. Golo führt den Griff über die oberste Sprosse, um das Gewicht abzufangen. Als er den Kescher zum Vorsprung bewegt, springt der Waschbär ins Netz, als hätte er darauf gewartet.
Achtsam, Sprosse für Sprosse, steigt Golo hinunter. Unten angekommen, stellt er das Netz ab, worauf der Waschbär mit einem Satz heraushuscht und ins Unterholz flieht.
Die Frau dankt Golo. „Du hast ihn gerettet.“
Nick klopft ihm auf die Schulter. „Du bist mein bester Freund.“
Pina schenkt ihm einen Augenaufschlag. „Ein ganz herzliches Dankeschön hast du verdient.“
Die Frau lädt sie zum Tee ein. „Wir müssen die gelungene Rettung feiern.“ Golo lehnt den Kescher gegen die Leiter.
„Bis der Tee gekocht ist, würde ich mir gern die Insel ansehen.“
Er entdeckt einen schmalen Pfad, der um die Mauer des alten Schlosses herum zum See hinunterführt. Golos Blick tanzt über die wechselnden Blautöne.
Am Ufer steht ein Mann auf einem Bein. Neben ihm, auf einem Stein ist eine Ente, die ein Bein eingezogen hält.
„Ich weiß nicht, was mit ihr los ist. Sie steht seit geraumer Zeit auf einem Bein. Ich versuche herauszufinden, wie es einem dabei ergeht. Aber ich fürchte, ich kann es nicht so lange aushalten wie sie.“
Golo hebt eine Braue. „Machst du dir Sorgen um die Ente?“
Der Mann wechselt das Standbein. „So richtig wohl ist mir erst, wenn ich sehe, dass sie schwimmen kann.“
In diesem Augenblick streckt die Ente das zweite Bein aus, watschelt zum See, hüpft mit einem Flügelschlag ins Wasser.
Der Mann atmet auf. „Jetzt bin ich beruhigt.“ Er zieht die Kleider aus. „Schwimmst du eine Runde mit mir?“
- „Ich möchte zuerst die Insel erkunden“, erwidert Golo, geht das Ufer entlang. Er lauscht den Geräuschen von Wind und Wellen.
Eine Frau macht auf sich aufmerksam. Vor ihr, auf einer Felsenplatte liegt ein goldenes Buch aufgeschlagen. „Du darfst dich eintragen.“ Sie reicht ihm einen goldenen Kugelschreiber.
Golo fragt: „Warum?“
- „Es kommen nur wenige Menschen auf die Insel“, erklärt sie, „der Eintrag ist eine persönliche Auszeichnung.“
Er spielt mit dem Kugelschreiber. „Wir sind zu dritt eingetroffen. Müssten sich nicht alle einschreiben?“
- „Wer ist mit dir gekommen?“ erkundigt sie sich.
Golo setzt seine Unterschrift unter das Datum. „Pina und Nick.“
Die Frau bittet ihn: „Füge doch einfach diese Namen hinzu. Dann wird auch ihnen die Ehre zuteil.“
Achtsam malt sie Golo in Großbuchstaben, gibt den Kugelschreiber zurück: „Stimmt der Eintrag für dich?“
Ihre Augen fliegen über die Unterschrift und die Namen.
„Mich dünkt, es fehlt noch etwas.“
- „Was denn?“ erkundigt er sich.
Sie drückt ihm den Kugelschreiber in die Hand. „Ich könnte es dir schon verraten, aber eigentlich müsstest du selber darauf kommen.“
Ein Mann nähert sich in trippelnden Tanzschritten. „Darf ich dir einen Tipp geben?“
Golo wendet den Kopf. „Das könnte helfen.“
Der Mann späht ins Buch. „Male ein Herz hinter die Namen, natürlich auch hinter deine Unterschrift.“
- „Was bedeutet das?“ will Golo wissen.
- „Das heißt, dass ihr die Insel liebt“, erläutert der Mann.
Er kehrt die Hand, streckt sie aus. „Gibst du mir den Kugelschreiber?“
Golo händigt ihn aus. „Möchtest du dich eintragen?“
Die Zunge des Manns wandert zwischen die Zähne. „Es freut mich, wenn ich die Herzen malen darf.“ Schwungvoll fügt er die Herzen bei. „So sind alle herzlich verbunden.“
Die Frau klappt das Buch zu, rennt davon und ruft: „Wer hätte das gedacht? 3 Einträge an einem Tag!“
Der Mann folgt ihr. „Das ist ganz erstaunlich. Und ich durfte die Herzen malen.“
Golo schaut ihnen nach. Kleine, türkis eingefärbte Wellen schickt der See über den Sand.
In einem von hohen Buchen gesäumten Park spaziert Golo. Ein Springbrunnen plätschert leise. Eine Frau schlendert über den Kiesweg. Sie deutet auf eine große Rolle. „Ich könnte den roten Teppich für dich ausziehen.“
- „Mir gefällt der Kiesweg“, sagt Golo, „aber wenn du willst, schauen wir uns die Rolle an.“
Die Frau lacht hell auf. „Er ist zum Begehen, nicht zum Anschauen gemacht. Das Ausrollen ist kinderleicht.“
Sie führt es Golo gleich vor, zieht ihn aus. Er bedeckt den Kiesweg bis zu einem Platz, den eine weitkronige Buche überragt. „Gehe ein paar Schritte darauf“, fordert sie ihn auf, „du wirst sehen, der Applaus bleibt nicht aus.“
- „Möchtest du nicht selber darüber gehen?“ fragt Golo, „ich spende dir gerne Beifall, warum, du hast et was vollbracht, das leicht aussieht, aber doch etwelche Geschicklichkeit braucht. Ich hätte den Teppich niemals so gewandt ausziehen können.“
- „Tu mir den Gefallen“, bittet sie, „und laufe jetzt einfach darüber.“
- „Wenn du meinst“, erwidert Golo, geht ein paar Schritte auf dem roten Teppich.
„Gehe aufrecht“, weist sie ihn an, „straffe den Rücken und halte das Kinn hoch.“
Spielerisch leicht setzt Golo ihre Anweisungen um. „Es ist immer ratsam, auf die Körperhaltung zu achten“, gibt er zu.
Nick schnellt aus dem Schatten ans Licht, klatscht. „Du hast es geschafft! Für dich wurde der rote Teppich aus gerollt.“
Golo verlässt den Teppich. „Ich bitte dich. Jeder kann darauf gehen.“
Die Frau trumpft auf: „Siehst du! Es hat geklappt. Schon hat dir jemand applaudiert. Ich wusste es.“
Er holt tief Atem. „Jetzt vertauschen wir die Rollen. Ihr geht über den Teppich, und ich spende Beifall.“
Die Frau winkt ab. „Ich habe etwas ganz anderes vor, hole eine Kamera. Bleibt, wo ihr seid.“ Sie läuft weg.
Nick richtet den Blick auf Golo. „Du bist einzigartig. Man muss dich nur kurz aus den Augen lassen, und schon schaffst du den großen Durchbruch.“
- „Ich weiß nicht, wovon du redest“, entgegnet Golo, „ich möchte nur den Park erkunden.“
Er betrachtet die Flechten, die eine Sitzbank überwuchern, geht tiefer in den Park hinein. Nick folgt ihm. „Da alle Menschen von Urmenschen abstammen, könnten wir gemeinsame Vorfahren haben.“
Golo bleibt stehen. „Was willst du damit sagen?“
- „Ich möchte ja nur, dass du ein bisschen mehr darauf achtest, was ich dir beibringen möchte. Freunden erscheint doch jedes Wort bedeutsam“, betont Nick.
Unter diesem Gespräch sind sie in ein kleines Wäldchen geraten, wo eine Affenmutter mit ihren Drillingen auf einem Baum sitzt. Stolz berichtet sie: „Meine Kinder sehen sich sehr ähnlich, aber für mich sind sie 3 sehr verschiedene Persönlichkeiten.“
- „Wie kannst du sie unterscheiden?“ will Golo wissen.
Eine Frau zieht einen Leiterwagen unter den Baum. Sie hat eine Gitarre, eine Geige und ein Tamburin geladen.
Sofort klettern die Affenkinder vom Baum. Das erste zupft an den Saiten der Gitarre. Das zweite spielt Geige. Das dritte trommelt mit dem Tamburin.
„Sie sind außerordentlich rasch entschieden“, wundert sich die Frau, „als hätten sie sich vorher abgesprochen.“
Nick ist begeistert, sagt zu Golo: „Du solltest dich mit den Affenkindern fotografieren lassen. Menschen, die sich auf Tiere verstehen, sind sehr beliebt.“
- „So eine Aufnahme könnten wir machen“, räumt Golo ein, „doch zunächst möchte ich den Park erkunden.“
Die Frau setzt sich auf eine Parkbank. „Ich könnte den Affenkindern stundenlang zuhören. Sie sind sehr musikalisch.“
Nick raunt Golo zu: „Vielleicht sollten wir einen kleinen Film drehen, damit die Musik zur Geltung kommt.“
Golo meint dagegen: „Wir könnten uns auch einfach an den Klängen erfreuen. Es muss nicht alles festgehalten sein.“
- „Ich überlege mir eben, wie ich die Werbetrommel für dich rühren könnte“, erklärt Nick, „heutzutage kann jeder berühmt werden. Er muss nur etwas dafür tun.“
Golo schlägt einen Kiesweg ein, den mächtige Bäume säumen. „Mich stört es nicht, wenn du berühmt werden möchtest. Was mich betrifft: Ich sehe mich einfach um, was es im Park alles gibt.“
Über die Steine einer Mauer flitzt eine Eidechse. Der Weg führt durch Bambuswäldchen und lila blühende Büsche.
Ein Mann schreitet forsch vorwärts. Er trägt einen Geigenkoffer, spricht Nick und Golo an. „Wem darf ich Unterricht er teilen? Die Geige ist ein wunderbares Instrument. Bei mir lernt ihr schon während der ersten Übung, eine kleine Melodie zu spielen.“
Nick deutet auf Golo. „Mein Freund ist sehr musikalisch.“
Der Mann legt den Koffer auf eine Parkbank, schickt sich an, ihn zu öffnen. „Das übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Nie hätte ich gedacht, so schnell einen Schüler zu finden.“
Golos Arme hängen locker an der Seite herunter. „Im kleinen Wäldchen spielt ein Affenkind Geige. Sicher freut es sich auf deinen Unterricht.“
Der Mann schließt den Koffer. „Ich lerne gern etwas Neues.“ Er läuft zum Wäldchen. „Einem Affenkind habe ich noch nie Unterricht erteilt.“
Nick wendet sich an Golo: „Warum hast du ihn verwiesen?“
- „Ich sah, dass dem Affenkind das Geigenspielen Spaß macht. Sicher lernt es gern hinzu“, vermutet er.