Udo Jürgens. 100 Seiten - Rainer Moritz - E-Book
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Udo Jürgens. 100 Seiten E-Book

Rainer Moritz

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Beschreibung

»Ein Schlagersänger, ein Chansonnier, ein Menschenflüsterer? Udo Jürgens war all das – und sehr viel mehr …« Merci Chérie war sein Durchbruch. Nach dem Sieg beim Grand Prix Eurovision de la Chanson 1966 war die unvergleichliche Karriere des gebürtigen Kärntners nicht mehr aufzuhalten. Binnen kurzer Zeit avancierte er zum Topstar – und zur Marke. Rainer Moritz zeichnet den Weg des Sängers nach, auch anhand pointierter Interpretationen seiner Songs. Und er zeigt, warum Udo Jürgens nicht nur ein breites Publikum, sondern auch Politiker, Schriftsteller und die nachrückende Musikergeneration inspirierte.

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Rainer Moritz

Udo Jürgens. 100 Seiten

Reclam

Für mehr Informationen zur 100-Seiten-Reihe:

www.reclam.de/100Seiten

 

2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH nach einem Konzept von zero-media.net

Infografiken: annodare GmbH, Agentur für Marketing

Bildnachweis: siehe Anhang

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962131-9

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020671-3

www.reclam.de

Inhalt

Immer wieder geht die Sonne auf – wie es anfing

Chrysanthemen, Gin und Knarren – der holprige Karriereweg

Merci Chérie – der Grand-Prix-Triumph

Das Phänomen Udo Jürgens

Ein ehrenwertes Haus – der Gesellschaftskritiker

Buenos Dias Argentina – aufrecht zwischen den Stühlen

Die kleinen Dinge des Lebens – der Geschichtenerzähler

Was bleibt?

Lektüretipps

Bildnachweis

Zum Autor

Über dieses Buch

Leseprobe aus Schlager. 100 Seiten

Immer wieder geht die Sonne auf – wie es anfing

Pscholka hieß er. Seinen Vornamen habe ich vergessen. Nennen wir ihn Uwe. Er wohnte wie ich in Heilbronn, in der Burenstraße, fünf Fahrradminuten von der elterlichen Wohnung entfernt. Wir waren keine engen Freunde, Schulkameraden, die herausfanden, dass sie ein damals eher abseitiges Interesse teilten: den deutschen Schlager. Ich selbst hatte mich, was offenbar einer fehlgeschlagenen musikalischen Sozialisation geschuldet war, früh dafür begeistert, was Bernd Clüver, Gitte, Michael Holm oder Marianne Rosenberg sangen, und lernte zu verkraften, dass ich mit dieser Neigung auf verlorenem Posten stand und von Mitschülern nur ein spöttisches Lächeln abbekam.

Udo Jürgens bei seinem letzten Konzert in Zürich, zwei Wochen vor seinem Tod

In dieser existenziellen Einsamkeit war ich sehr froh, dass es Uwe Pscholka gab, der mit der angloamerikanischen Rock- und Popmusik jener Jahre offenkundig auch nicht viel anzufangen wusste. So fanden zwei verlorene Seelen zueinander, und wir trafen uns ein paar Mal in der Pscholka’schen Wohnung. Ausgestattet mit selbst aufgenommenen Kassetten der aktuellen deutschen Hits, spielten wir das Prozedere der Radio- und TV-Schlagerparaden nach und bewerteten das Gehörte nach einem ausgeklügelten Punktesystem. Dass wir nur zu zweit waren und nicht wie beim Grand Prix Eurovision de la Chanson mit einem Dutzend weiterer Juroren wetteiferten, senkte zwar den Spannungsbogen unserer Nachmittage, doch einen echten Schlagerfan kann das nicht verdrießen.

Wem damals im Einzelnen unsere Gunst gehörte, weiß ich im Detail nicht mehr. Kein Zweifel allerdings besteht daran, dass Udo Jürgens zu unseren Favoriten zählte, und noch heute höre ich, als sei es vorgestern gewesen, Udo voll Zuversicht sein Immer wieder geht die Sonne auf schmettern.

So also begann alles, mit diesem Song. Für Jürgens’ insgesamt drei Grand-Prix-Auftritte – wir kommen darauf zurück – war ich zu jung, was die Hymne auf die Himmelserscheinung des Sonnenaufgangs zu meinem Udo-Urlied machte. Uwe Pscholka und ich waren uns in dessen Bewertung sehr einig und vergaben die Höchstpunktzahl, wodurch das Ergebnis unserer nachgespielten Hitparade früh feststand.

Was aus Uwe Pscholka geworden und ob er Udo Jürgens treu geblieben ist, weiß ich nicht. Das Internet zeigt sich in dieser Hinsicht zugeknöpft.

Immer wieder geht die Sonne auf (1967)(Musik: Udo Jürgens; Text: Thomas Hörbiger)

Wenn es um beglückende Liebeserfahrungen geht, herrschen meist erfreuliche Wetterverhältnisse. Und wenn Kummer und Leid drohen, fahren Gewitter- und Sturmfronten auf. Solche symbolischen Verbindungen sind in der Literatur gang und gäbe – und im mit Stereotypen arbeitenden Schlager nicht minder. Dessen Texter lassen Liebende bei freundlichen meteorologischen Bedingungen agieren – ganz so, wie es bei Renate Kern heißt: »Lass doch den Sonnenschein / in dein Herz hinein. / Mach dein Fenster auf und deine Tür. / Mit dem Sonnenschein kommt das Glück herein, / und die Liebe findet endlich auch zu dir.« Um unangenehmem Wetter zu trotzen, muss wie in Michael Holms Barfuß im Regen die Liebe extrem groß sein.

Udo Jürgens’ Immer wieder geht die Sonne auf, das es auf Platz 15 der Charts schaffte, arbeitet mit klassischen Hell-Dunkel- bzw. Glücklich-Einsam-Gegensätzen und erzählt, so der erste Eindruck, von einer verlorenen Liebe, die von »Dunkelheit« und »Herbstwind« begleitet ist. Da sich Schlager freilich, um ihr Publikum nicht zu verschrecken, schwertun, konsequent von unerfreulichen (Liebes-)Umständen zu handeln, bahnt sich bald eine Wende an. Die banale Sentenz, dass die Zeit alle Wunden heile, spiegelt sich in der kaum weniger banalen Beobachtung wider, dass die Sonne allmorgendlich wiederkehrt und neues Licht verbreitet. Das ist tröstlich und verschafft Linderung in unterschiedlichsten Lebensphasen – mit dem Ergebnis, dass die Refrainzeile fast sprichwörtlichen Charakter angenommen hat. So wird kolportiert, dass Horst Ehmke auf dem SPD-Parteitag 1970 in Saarbrücken ein »Mit Willy, Willy geht die Sonne auf« angestimmt habe, womit er den amtierenden Bundeskanzler Willy Brandt meinte.

Das Sonnenlicht heilt in Jürgens’ Lied alte Verletzungen und lässt zugleich darauf hoffen, dass sich alsbald eine neue Liebe finde. Nein, es ist keine neue, es ist die verflossene Liebe, die zurückkehrt: »… dann denk daran, / ich glaub an morgen, denn irgendwann / stehst du vor mir«. Das alles wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn das Lied nicht mit melodischen Keckheiten aufwarten würde. Zum einen arbeitet es mit retardierenden Elementen, wenn auf »denn Dunkelheit für immer gibt es nicht« ein zweifaches, immer schleppender werdendes »die gibt es nicht« folgt. Zum anderen steigert sich die Verzögerungstaktik dadurch, dass das »die« zu einem »diiie« in die Länge gezogen wird – ein Verfahren, das der Song ebenso bei »Zeeeiit« und »miiir« anwendet.

Diese Wortdehnungen führen dazu, dass der kraftvoll intonierte Refrain »Denn immer, immer wieder geht die Sonne auf« umso mehr Fahrt aufnimmt und seine befreiende Wirkung entfaltet. Da ist der frühe Udo Jürgens ganz bei sich. Spätere Reprisen des Sonnenmotivs überzeugen weniger. Das Fernsehlotterielied Zeig mir den Platz an der Sonne (1971) und das Urlaubswohlfühllied Die Sonne und du (1983) sind eher schlichterer Natur. Zeilen wie »Die Sonne, die Sonne und du, / uh-uh-uh-uh, / gehör’n dazu« geben wettermäßig wenig her.

Seit den Hitparadensessions mit Uwe Pscholka hat mich Udo Jürgens begleitet; mal stand er direkt neben mir, mal sah ich ihm nur aus der Ferne zu. Doch selbst wenn ich ihn und seine Lieder eine Zeitlang aus den Augen verlor, blieb er mir immer im Sinn. Bis zu jenem 21. Dezember 2014, als er völlig überraschend nach einem Spaziergang im schweizerischen Münsterlingen starb. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Ich hatte am späten Nachmittag mit Freunden ein vorweihnachtliches Theaterstück besucht, und als ich danach im Restaurant mein Handy wieder einschaltete, ploppten mehrere Kurzmitteilungen auf. Zeitungs- und Rundfunkredakteure hatten mich angerufen und um ein Statement zu Udo Jürgens’ Tod gebeten.

Die Nachricht erschütterte nicht nur mich auf merkwürdige Weise. Udo Jürgens tot? Das war unvorstellbar und gab einem das schmerzhafte Gefühl, dass hier nicht irgendeine Größe aus Politik, Sport oder Kultur gestorben war. Sofort dachte ich an ein Ereignis, das über zwanzig Jahre zurücklag, an einen Novembertag des Jahres 1991. Ich arbeitete damals in einem Berliner Wissenschaftsverlag und wurde beim Lektorieren durch laute Schmerzensschreie und Wehklagen aus den unteren Stockwerken aufgeschreckt. »Freddie ist tot! Mein Freddie ist tot«, gellte es durchs Treppenhaus, und binnen kurzer Zeit war klar, was zu diesem Ausbruch einer Kollegin geführt hatte: Freddie Mercury war im Alter von fünfundvierzig Jahren einer Aids-Erkrankung erlegen, und wer sich nur einen Hauch für die Rockmusik der 1970er- und 1980er-Jahre interessierte, wusste, welcher Künstler da abgetreten war. Mit Udo Jürgens verhielt es sich nicht anders.

Obwohl er nicht als mittelalter Mann starb, wirkte er unverwüstlich, stellte sein Tod eine Art Beleidigung dar. Die Falten, die sein Gesicht zu einer markanten Karstlandschaft formten, standen nicht für Gebrechlichkeit. Sie sprachen für die reichhaltige Erfahrung eines intensiv gelebten Lebens und deuteten trotz aller Melancholie, die dieses Gesicht manchmal durchsichtig machte, darauf hin, dass hier bis zuletzt ein nimmermüder, neugieriger Geist regiert hatte.

Zudem zählte Udo Jürgens nicht zu den Künstlern, die sich irgendwann klugerweise aufs Altenteil zurückzogen oder Gefahr liefen, den Ruf ihrer besten Jahre durch bemitleidenswerte Altersauftritte zu beschädigen. Nein, Udo Jürgens nahm lässig alle Jahresschwellen und erschreckte seine Anhänger nie mit der Ankündigung von Abschiedskonzerten. Er sang einfach weiter, und dass die Nachricht von seinem Tod ein Irrtum sein musste, schien dadurch bekräftigt, dass er gerade einmal zwei Wochen zuvor in Zürich ein Konzert gegeben hatte – im Rahmen seiner mit »Mitten im Leben« betitelten Tournee. Es konnte und durfte nicht sein, dass sich dieser, so der Schriftsteller Andreas Maier, »ewig junge Götterliebling« bei einem Spaziergang still und heimlich davonmachte.

Wer sich heute Jürgens’ Zürcher Konzert vom 7. Dezember 2014 ansieht, sucht unwillkürlich nach Spuren des Verfalls und der Erschöpfung, nach Signalen, die auf einen baldigen Tod hindeuten. Finden wird man solche nicht. Da beherrscht ein Künstler seine Bühne, im blauen Anzug mit rotem Einstecktuch, den er – wie es zu seinem Auftrittsritual gehörte – am Ende in einen weißen Bademantel hüllt. Er singt, selbstverständlich, seine Erfolgssongs, nach denen das Publikum dürstet, doch eine nicht minder wichtige Rolle spielen Lieder wie Der gläserne Mensch oder Der gekaufte Drachen, die nicht zurückblicken, sondern einen für Jürgens so typischen kritischen, warnenden Appellton anschlagen.

Natürlich fehlte in diesem Programm nicht das – von Oliver Spiecker getextete – Mein Ziel, das gerade demonstrativ nach vorne schaut. »Es gibt auch kein Leben aus altem Applaus. / Wie willst du dein Gestern verbuchen? / Es zählt nur das Heute und jeden Tag neu, / musst du es wieder versuchen«, heißt es da plakativ, und wenn Udo Jürgens, am Schimmel-Flügel sitzend, von seinem »Ziel« singt, »immer ein Ziel zu haben« und »immer neu zu beginnen«, dann hat das wenig von der trotzigen Uneinsichtigkeit eines alten Mannes, der seine Endlichkeit nicht akzeptieren will.

Umso erschreckender dann sein Tod – oder umso folgerichtiger? Denn so gab es in diesem Leben kein auffälliges Schwinden der Kräfte, kein Dahinsiechen gar, das die ihn ständig begleitende Boulevardpresse voyeuristisch begleiten konnte. Nein, wir dürfen davon ausgehen, dass er auf seinem letzten Spaziergang neue Pläne schmiedete. Zu leben, als gäbe es keinen Tod, mag oft ein Zeichen von Verdrängung und Verblendung sein. Udo Jürgens wirkte frei davon, er brauchte diese Haltung, um weiterleben zu können. Sein Nachruhm zehrt nicht zuletzt davon. Was immer in den Jahren nach seinem Tod an (Erb-)Streitigkeiten, an Zwisten zwischen seinen Kindern und seinem Manager Freddy Burger an die Öffentlichkeit drang, ist belanglos. Udo Jürgens’ Nimbus tangierte und tangiert das nicht.

Begraben ist er – seinem Wunsch gemäß – auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 33 G, Nr. 46). Ein sechs Tonnen schwerer Flügel aus Laaser Marmor, auf einem Rasenstück platziert, bildet das Grabmal. In seiner Oberseite ist die Urne des Künstlers (mit Diebstahlsicherung!) eingelassen, da er es strikt ablehnte, unter die Erde zu kommen. Ein weißes Tuch aus Stein hüllt den Flügel ein, und darauf prangt die Signatur des Toten. Dieses Ehrengrab wurde, wie nicht anders zu erwarten, umgehend zu einer touristischen Attraktion. Der Entwurf dazu stammt von Jürgens’ Bruder Manfred Bockelmann; ausgeführt hat ihn der Bildhauer Hans Muhr.

Jürgens’ Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof

Schönreden lässt sich diese pompöse Monstrosität nicht. Mit dem Auftreten des Sängers zu Lebzeiten hat es wenig gemein; unpassendere Prominentengräber als diesen Kitschflügel gibt es wenige. Allenfalls die letzte Ruhestätte seiner französischen Kollegin Dalida, die als lebensgroße Goldliesel auf dem Pariser Montmartre-Friedhof steht, kann sich damit messen. Um das Elend zu verschlimmern: Die Grabtafel zitieren Verse aus dem Lied Ich lass’ euch alles da (1999); trotz zweimaliger Korrektur ist die Gravur fehlerhaft geblieben. Richtig hieße sie: »Ihr seid das Notenblatt, / das alles für mich war. / Ich lass’ euch alles – / ich lass’ euch alles da.«

Dass sich ausgerechnet Manfred Bockelmann, der Maler, diese Protzgedenkstätte ausgedacht hat, ist bitter. Verzeihen kann man ihm das lediglich, wenn man sich eines der schönsten Lieder seines Bruders anhört:

Mein Bruder ist ein Maler (1977)(Musik: Udo Jürgens; Text: Wolfgang Hofer)

Warum nicht Gotthold Ephraim Lessing bemühen? Warum nicht auf seine Schrift Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie aus dem Jahre 1766 zurückkommen? Ob sie als Inspirationsquelle für Udo Jürgens’ Bruder-Lied diente, wollen wir offenlassen. Immerhin handeln beide Texte von einem ästhetischen Schlüsselthema, von der Vergleichbarkeit der Künste und ihren unterschiedlichen Wirkungen. Während Lessing, um zu untermauern, dass bildende Kunst und Literatur nicht unmittelbar vergleichbar seien, auf ein Kunstwerk der Antike, die Laokoon-Gruppe in den Vatikanischen Museen, zurückgreift, bedient sich Udo Jürgens in der eigenen Familie.

Sein neun Jahre jüngerer Bruder Manfred Bockelmann brachte es als Fotograf und Maler zwar nicht zu vergleichbarem Ruhm, doch laden seine Arbeiten zu einer Art Familienkonkurrenzkampf ein. Wer erzielt mit seiner Kunst den größeren Effekt, wer schafft es besser, sich dauerhaft in die Herzen der Menschen einzugraben – der Sänger oder der Maler? Am Anfang scheint die Sache entschieden: »Denn mein Bruder ist ein Maler / und ein Bild von seiner Hand / kann mehr sagen als tausend Melodien. / Ja, mein Bruder ist ein Maler, / ich bin nur ein Musikant, / und in manchen Träumen, da beneid’ ich ihn.« Während ein Lied seine Zuhörer kurz »in den Arm« nehme und »selten lang bestehen« bleibe, kenne ein Bild »keine Zeit«.

Allzu sehr freilich will Udo Jürgens seine Bescheidenheit nicht kultivieren, und so schlägt das Lied in der letzten Strophe eine schöne Volte und lässt den brüderlichen Wettstreit eine neue Richtung nehmen. Die Frau des Malers weiß zu berichten, dass auch dieser manchmal von Zweifeln, von leisem Neid angefressen sei und ins Sinnieren komme: »Ja, mein Bruder ist ein Sänger, / und ein Lied aus seinem Mund, / das sagt mehr, als manches Bild je sagen kann. / Ja, mein Bruder ist ein Sänger, / und sein Leben ist so bunt. / Manchmal fing’ auch ich so gern zu singen an.« Die Schlusszeile »Ja, manchmal fing’ auch ich so gern zu malen an« besiegelt das brüderliche Unentschieden. Das hätte vielleicht sogar Lessing imponiert.

Mein Bruder ist ein Maler gehört zu jenen melodiös unaufgeregten Liedern Udo Jürgens’, die auf den CDs Lieder, die im Schatten stehen neu aufgelegt wurden. Sie wurden alle keine großen Hits, haben sich aber umso stärker im akustischen Langzeitgedächtnis festgesetzt, dank ihrer nachdenklichen Reflektiertheit. Was wohl an ihrem ›wahren‹ autobiografischen Kern liegt.

Dezenter als das Wiener Grab ist die Gedenktafel ausgefallen, die 2015 in der Stadthausanlage am Zürcher Bürkliplatz in den Boden eingelassen wurde – einundzwanzig Jahre zuvor hatte die Stadt Zürich Udo Jürgens dort sechs Götterbäume vermacht. »ZU EHREN VON UDO JÜRGENS (1934–2014) GEPFLANZT. EIN GROSSER KÜNSTLER UND FREUND UNSERER STADT«, ist auf der Tafel zu lesen. Unter einem der Bäume war 1995 eine Schatulle mit einundzwanzig Udo-Jürgens-CDs vergraben worden. Wie diese wohl den Zeitenlauf überstanden haben?

Jürgen Udo Bockelmann alias Udo Jürgens: Steckbrief

Größe: 1,87 m

Augenfarbe: braun

geboren am 30. September 1934 in Klagenfurt, Österreich

Mutter: Käthe Arp (1908–1988)

Vater: Rudolf Bockelmann (1904–1984)