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Unterwelt E-Book

Don DeLillo

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Beschreibung

Ein faszinierendes Panorama der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, meisterhaft erzählt von Don DeLillo. Nick Shay, Manager einer Müllentsorgungsfirma, trägt eine Schuld aus seiner Jugend mit sich. In Arizona lebt er mit seiner Familie, während die Konzeptkünstlerin Klara Sax in der Wüste ausrangierte B-52-Bomber bemalt und so ein gigantisches Kunstobjekt erschafft. Einst hatten Nick und Klara in der Bronx eine kurze, leidenschaftliche Affäre. Ihre Lebensläufe und Erinnerungen verweben sich mit einer Vielzahl unvergesslicher Figuren, realen und fiktiven Ereignissen aus Politik, Sport und Kunst sowie einem Baseball, der 1951 bei einem berühmten Spiel geschlagen wurde, als zeitgleich die Sowjetunion ihre erste Atombombe zündete. In einer lebendigen, originellen Sprache zeichnet »Unterwelt« ein facettenreiches Bild Amerikas und des Zeitgeschehens zum Ende des 20. Jahrhunderts. Ein unvergleichlicher Roman über Gesellschaft, Werbung und den Kalten Krieg.

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Seitenzahl: 1383

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Inhalt

CoverTitelWidmungPrologTeil 1Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Manx Martin 1Teil 2Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Teil 3Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Manx Martin 2Teil 4Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Teil 5Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Manx Martin 3Teil 6Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8EpilogBuchAutorImpressum

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Widmung

Zur Erinnerung an meine Mutter und meinen Vater

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Prolog

Er spricht wie du, mit amerikanischer Stimme, und in seinen Augen liegt ein halbwegs hoffnungsfroher Schimmer.

Heute ist Schule, klar, aber er ist meilenweit vom Klassenzimmer entfernt. Er ist lieber hier, wer wollte es ihm verdenken, im Schatten dieses alten Rostkolosses – eine Metropolis aus Stahl und Beton und abblätternder Farbe und kurzgeschnittenem Gras und, schräg über den Anzeigetafeln, riesigen Chesterfield-Packungen mit zwei, drei vorstehenden Zigaretten.

Sehnsucht im großen Maßstab, so wird Geschichte geschrieben. Dieser Junge hier hat überschaubare Wunsche, aber er gehört zu der sich sammelnden Menge, den anonymen Tausendschaften in Bussen und Zügen, Menschen in dichtgedrängten Schlangen, die auf der Drehbrücke den Fluß überqueren, und auch wenn dies keine Völkerwanderung oder Revolution ist, keine tiefe Erschütterung der Seele, sie bringen die Körperhitze einer großen Stadt mit, ihre kleinen Träumereien und Enttäuschungen, das unsichtbare Etwas, das den Alltag heimsucht – Männer in Filzhüten und Matrosen auf Landgang, das streunende Durcheinander ihrer Gedanken, alle auf dem Weg zu einem Spiel.

Der Himmel ist tief und grau, vom trüben Grau anrollender Brandung.

Er steht bei den anderen am Bordstein. Mit vierzehn ist er der jüngste, und an dem gereizten, schiefen Aussehen, das er sich übergestreift hat, kannst du erkennen, daß er total abgebrannt ist. Für ihn ist es das erste Mal, und er kennt keinen der anderen, nur zwei oder drei scheinen sich untereinander zu kennen, aber allein oder paarweise können sie diese Sache nicht schaffen, also haben sie sich durch verstohlene Blicke gefunden, die den Draufgängerkollegen enttarnen, und da stehen sie nun, schwarze Jungs und weiße Jungs, aus den Unterführungen aufgetaucht oder von den nahegelegenen Straßen Harlems, schlanke Schatten, Gangster, fünfzehn insgesamt, und die Stadionlegende besagt, wenn einer erwischt wird, kommen wahrscheinlich vier durch.

Nervös warten sie darauf, daß die Besitzer von Eintrittskarten die Drehkreuze freimachen, das letzte lockere Fangrüppchen, die Bummler und Herumlungerer. Sie beobachten die späten Taxis aus der Innenstadt und die pomadisierten Männer, die flink an die Schalter treten, Wettbankiers und Dinnerclubgecken und aufgetakelte Broadwaygrößen, die sich die Schuppen von den Mohairärmeln pflücken. Die Jungs stehen am Bordstein und schauen, ohne zu starren, mit der säuerlichen Miene von Straßenschluris zu. Das ganze Tohuwabohu hat sich gelegt, das Vorspielgebabbel und – gewirbel, Verkäufer, die die proppenvollen Bürgersteige abkämmen, Spielprotokolle und Fähnchen schwingen und in den althergebrachten Singsang verfallen, abgerissene Männer, die Anstecker und Mützen aufdrängen, sie alle haben sich inzwischen zerstreut, zurück auf ihre Zimmerchen in den abgetretenen Straßen.

Sie stehen am Bordstein und warten. Ihre Augen werden grimmig, strahlen weniger hell. Einer nimmt die Hände aus den Hosentaschen. Sie warten, und dann preschen sie los, einer von ihnen, ein Ire, prescht los, er ruft Geronimo.

Vier Drehkreuze stehen gleich hinter den beiden Kassen. Der jüngste der Jungen ist auch der magerste, Cotter Martin heißt er, ein Schlaks in Polohemd und Latzhose, und er versucht, sich nicht als Pechvogel zu fühlen – er gehört zur Nachhut des Ansturms und läuft und schreit mit den anderen. Man schreit, weil es kühn macht, oder weil man seine Unerschrockenheit kundtun will. Sie haben ihre Gesichter zu Schreimasken verzogen, mit zusammengekniffenen Augen und dehnbaren Mündern, und sie laufen schnell, versuchen sich durch die Gassen zwischen den Schaltern zu drängen, sie rempeln mit Hüften und Ellbogen und schreien immer weiter. Die Gesichter der Kartenverkäufer hängen hinter den Schaltern wie Zwiebeln an der Schnur.

Cotter sieht die ersten Springer über die Stangen gehen. Zwei von ihnen prallen in der Luft zusammen und landen verrenkt, der Länge nach, am Boden. Ein Kartenabreißer nimmt den einen in den Schwitzkasten, und seine Mütze kommt ins Rutschen, gleitet ihm am Rücken herab, und er greift mit blindem Schwung danach, zur gleichen Zeit – alles passiert zur gleichen Zeit – schaut er nach den anderen Hürdenspringern, um nicht getreten zu werden. Sie rennen und überspringen die Hürden. Eine hirnlose Form des Fliegens, und die Körper, dicht an dicht, schaffen den buchstäblichen Durchbruch. Sie springen zu früh oder zu spät und krachen in die Pfeiler und die Drehstangen, klettern einander auf den Rücken wie Comicfiguren, und was für Trottel müssen sie in den Augen der Leute am Hotdog-Stand auf der anderen Seite der Drehkreuze sein, was für schreckliche Versager – von einer Schlange starren sie herüber, überwiegend Männer, ihre Kiefer zermalmen das schwitzende Fleisch, Fettblasen zerlaufen ihnen auf der Zunge, und der gute Mann am äußersten Ende erstarrt, nur seine Hand produziert weiter automatische Bewegungen, verschmiert Senf mit einem Pinsel.

Das Geschrei der Jungs prallt von dem dicken Beton ab.

Cotter meint einen Weg zum rechten Drehkreuz erspäht zu haben. Er wirft alles ab, was er für diesen Sprung nicht braucht. Einige springen gerade, einige wollen es noch, einige müssen zum Friseur, einige haben Freundinnen in flauschigen Pullovern, und die anderen sind im Gedränge gelandet und versuchen, aufzustehen und sich zu verdrücken. Ein paar Stadionpolizisten rumpeln die Rampe herunter. Cotter schüttelt diese Elemente ab, sobald sie auftauchen, schüttelt tausend Informationswellen ab, die auf seine Haut treffen. Sein Blick nimmt allein die Eisenstangen wahr, die von dem Pfeiler abstehen. Er legt an Tempo zu und scheint seine Spillerigkeit zu verlieren, die verstörte Schlappheit aus Hormonen und Nichtdazugehören und all das Verstotterte, das sein Heranwachsen ausmacht. Er ist nichts als ein laufender Junge, eine kaum erkennbare Gestalt von der Straße, aber so wie das Laufen Aufschluß über das Sein gibt, wie ein Läufer sich dem Bewußtsein offenbart, so scheint sich dieser dunkelhäutige Junge der Welt zu öffnen und erlangt durch das Adrenalin von einem Dutzend Laufschritten Redegewandtheit.

Dann springt er ab und ist in der Luft, er fühlt sich geschmeidig und unzerknittert und irgendwie geschäftsmäßig, als landete er gerade aus Kansas City mit einer Aktentasche voller Bankauszüge. Er hat den Kopf eingezogen, sein linkes Bein überwindet die Stangen. Und einen ausgedehnten und hellwachen und sprunghaften Augenblick lang sieht er haargenau, wo er landen, wohin er wegrennen wird, und obwohl er weiß, daß sie hinter ihm her sein werden, sobald sein Fuß den Boden berührt, obwohl er in den nächsten Stunden in Gefahr schweben wird – stets wachsam nach rechts und links spähend –, erfüllt ihn jetzt weniger Angst.

Er kommt schwerelos auf und geht leichtfüßig an dem Kartenabreißer vorbei, der noch nach seiner heruntergefallenen Mütze tastet, und er weiß mit absoluter Sicherheit – weiß es endgültig, so tief man etwas nur wissen kann, er spürt, wie das Wissen in seinem Läuferherzen hämmert –, daß er uneinholbar ist.

Da kommt ein Klotz von der Stadtpolizei mit Knarre, Handschellen, Taschenlampe und Schlagstock, alles baumelt an seinem Gürtel, in der Tasche steckt ein fest zusammengerollter Strafzettelblock. Cotter täuscht an, daß der andere fast in die Knie geht, und die Hotdogfresser beugen sich vor, um den Jungen zu sehen, der sanft beschleunigend davonzischt und dem Polizisten mit wedelndem Finger einen kleinen Abschiedsgruß schickt.

Mit so etwas überrascht er sich selber immer wieder, etwas Angeberischem, beflügelt von einer unerwarteten Laune.

Er rennt eine überdachte Rampe hoch und in ein Gefüge aus Trägern und Pfeilern und flutendem Licht hinein. Er hört die lauter werdenden letzten Akkorde der Nationalhymne und sieht das große offene Hufeisen der Haupttribüne und das Gras, ein Anblick, der ihm jedesmal mitzuteilen scheint, daß er aus seinem Leben hinausgetreten ist – der glatte Schimmer, der sich in Schwüngen und Kurven von der geharkten Erde des Innenfeldes nach außen zu der hohen grünen Umzäunung zieht. Erregend, wenn etwas so offen daliegt. Er läuft nun sehr viel langsamer und reckt den Hals, um die Sitzreihen zu mustern, sucht nach einer unauffälligen Lücke hinter einem Pfeiler. Er biegt in einen Gang von Block 35 ab, taucht ein in Hitze und Geruch der gedrängten Fans, in den Rauch, der unter der zweiten Tribüne hängt, er hört das Reden, dringt ein in das tiefe Summen, er hört die Aufwärmwürfe in den Fängerhandschuh knallen, eine Serie von Knallern, der ein Kometenschweif von Nebengeräuschen folgt.

Dann verlierst du ihn in der Menge.

In der Radiokabine ist von der Menge die Rede. Sieht nach fünfunddreißigtausend aus, und wie willst du das feststellen. Man denke nur an die bewegte Geschichte jeder Mannschaft und den Glauben und die Leidenschaft der Fans und wie diese Kräfte überall in der Stadt ineinander verflochten sind, man denke nur an das Spiel selbst, auf Leben und Tod, das dritte von drei Play-off-Spielen, man braucht nur die Namen Giants und Dodgers zu sagen, um sich klarzumachen, wie unverhohlen die Spieler einander hassen, man erinnere sich daran, was für ein Jahr das letzten Endes geworden ist, mit dem Endspurt um die Meisterschaft, der die Stadt im Würgegriff der Verzückung hält, jenem Erschaudern, einer Mischung aus Genuß und Angst und Spannung, und dann denke man an die Blutstreue, so reden sie in der Kabine – die Liebe zur Mannschaft, die sich quer durch die Stadtbezirke zieht, durch die schmucken Vorstädte und nach draußen über die endlosen Apfelfelder bis in den rauhen Norden, wie soll man da zwanzigtausend leere Plätze erklären?

Der Tontechniker sagt: »Den ganzen Tag sieht es nach Regen aus. Das schlägt auf die Stimmung. Die Leute sagen, scheiß drauf.«

Der Sendeleiter hängt eine Decke in die Kabine, um seine Crew von den Burschen zu trennen, die gerade von KMOX aus Saint Louis gekommen sind. Müssen sie eben zusammenrücken, kein Platz, sie woanders unterzubringen.

Er sagt zu dem Techniker: »Vergiß nicht, es hat keinen Vorverkauf gegeben.«

Und der Techniker sagt: »Außerdem haben die Giants gestern haushoch verloren, das ist ein echtes Problem, denn jede schlimme Niederlage stürzt die Fans in tiefe Depressionen. Glaub mir, ich kenne das von da, wo ich wohne. Es ist niederschmetternd für die Leute. Als würden sie zu Zehntausenden sterben.«

Russ Hodges, der Kommentator der Spiele für WMCA, ist die Stimme der Giants – Russ hat einen überanstrengten Kehlkopf und eine fette Erkältung in den Knochen, und er sollte sich eigentlich keine Zigarette anstecken, aber er tut es trotzdem: »Das ist ja alles gut und schön, aber ich glaube nicht, daß es eine logische Erklärung gibt. Wenn du es mit der Masse zu tun hast, ist nichts vorhersehbar.«

Russ reckt jetzt energisch das Kinn, aber er hat auch etwas von einem unkomplizierten Jungen an sich, mit seinen Augen, dem Lächeln und dem Pottschnitt und seinem formlosen Anzug, der fast jedem gehören könnte. Geht das, Spiele zu kommentieren, eins nach dem anderen, praktisch jeden Tag, einen ganzen Sommer lang, und nicht in irgendeiner Version der Vergangenheit hängenzubleiben?

Er schaut hinaus aufs Spielfeld mit den spitzen Ecken und der mehr als ausgleichenden Weiträumigkeit des Außenfeldes. Die große viereckige Longines-Uhr, die aus dem Clubhaus emporragt. Farbtupfer überall, freskohaft die Hüte und Gesichter und die grüne Haupttribüne und die braungelben Wege zwischen den Bases. Russ schätzt sich glücklich, hier zu sein. Tag der Tage, und er, Russ Hodges, bringt das Spiel, und es läuft in den Polo Grounds – diesen Namen liebt er, ein kostbares Echo von Dingen und Zeiten, bevor das Jahrhundert in den Krieg zog. Er findet, jeder, der hier ist, sollte sich glücklich schätzen, denn etwas Großes steht bevor, heute steigt was. Na gut, vielleicht nur seine Temperatur. Aber er denkt daran, wie sein Vater ihn mal nach Toledo mitnahm, zum Kampf Dempsey gegen Willard, und war das eine große Sache, so viel Ehrfurchtgebietendes, der vierte Juli und dreiundvierzig Grad und eine Menge hemdsärmeliger Männer mit Strohhüten, viele von ihnen hatten unter den Hüten und bis auf die Schultern herab ausgebreitete Taschentücher, als hätten sie sich als Araber verkleidet, und was für eine Tracht Prügel holte sich der dicke Jess in dem weißglühenden Ring ab, wie spritzten ihm Schweiß und Blut vom Gesicht, immer wenn Dempsey zuschlug.

Wenn du so etwas siehst, ein Ereignis, das zu einer Nachrichtenmeldung wird, dann fühlst du dich als Vehikel eines feierlichen Stückchens Geschichte.

Im zweiten Inning schlägt Thomson einen Slider in gerader Linie über die Third Base hinweg.

Lockman schwenkt auf einen Bogen ein, als er zur Second Base rennt, den Blick zum linken Außenfeld gerichtet.

Pafko nähert sich der Wand, um einen Abpraller anzunehmen.

Auf beiden linken Tribünen stehen Leute, beugen sich aus den Vorderreihen vor, und einige von ihnen werfen Papier über die Brüstung, zerrissene Spielprotokolle und Fetzen von Streichholzbriefchen, zerknüllte Papierbecher, kleine Servietten aus Wachspapier, die sie zu ihren Hot Dogs bekommen haben, bazillenwimmelnde Kleenextücher, die seit vielen Tagen verfilzt am Grund tiefer Hosentaschen gesteckt haben, und das alles geht auf Pafko nieder.

Thomson trottet in anständigem Tempo um die First Base, beim Laufen leicht vorgebeugt. Pafko wirft geschickt zu Cox.

Thomson steuert mit gesenktem Kopf die Second Base an, erreicht sie mühelos und erblickt Lockman, der auf der Base steht und ihn wie verzaubert anstarrt, als läge ihm eine Frage auf der Zunge.

Seit Tagen bleierner Himmel und die ganze Sendezeit der letzten Woche, die Halsschmerzen und der Husten, Russ ist fiebrig und verschwitzt – Zugfahrten und Nerven und kein bißchen Schlaf, und er beschreibt das Spiel in seiner vertrauten, gemütlichen Weitschweifigkeit, der Kartoffeln-mit-Soße-Stimme, die heute ein bißchen kratzig ist.

Cox lugt unter seiner Mütze hervor und wirft den Ball aus der Hüfte zu Robinson.

Sieh mal, Mays – schlendert zur Home Plate und läßt seinen Schläger am Boden schleifen.

Robinson nimmt den Wurf an und wirbelt zu Thomson herum, der schüchtern etwa anderthalb Meter von der Second Base entfernt steht.

Das mögen die Leute, wie Pafko das Papier vor die Füße fällt oder über seine Schulter segelt, an seiner Mütze hängenbleibt. Die Wand ist fast fünf Meter hoch, also ist er gut außer Reichweite der am weitesten vorgestreckten Hand, sie müssen sich damit zufriedengeben, ihn in ihrem Papier zu baden.

Und da, Durocher auf der Spielerbank, der Cheftrainer der Giants, der knallharte Leo aus Saint Louis, ein Gesicht direkt aus den Gallischen Kriegen, und er faucht in seine Faust: »Kreuzverdammte Oberscheiße.«

Nicht weit von der Spielerbank der Giants sitzen vier Männer in Leos höchsteigener Prominentenloge und schauen zu, als Robinson Thomson durch Berührung mit dem Ball »Aus« macht. Zu drei Vierteln sind sie aus dem Showgeschäft, Frank Sinatra, Jackie Gleason und Toots Shor, Trinkkumpane seit Adam und Eva, und sie haben einen gutgekleideten Mann mit einer Bulldoggenfresse dabei, einen gewissen J. Edgar Hoover. Was hat der oberste Sicherheitspolizist der Nation mit diesen Rüpeln am Hut? Tja, Edgar hat einen Gangplatz, und es scheint ihm bestens zu gehen, er grinst über das derbe Geplänkel, das pausenlos zwischen Schmalzdackel, Scherzbold und Spelunkenwirt hin und her geht. Auf dem Rennplatz wäre er lieber, aber in dieser Gesellschaft hat er schon gute Laune, egal an welchem Ort. Er hat gerne Kinostars und berühmte Sportler um sich oder Klatschpäpste wie Walter Winchell, der sich heute auch das Spiel anschaut, er sitzt bei den hohen Tieren der Dodgers. Ruhm und Heimlichkeit sind die entgegengesetzten Enden derselben Faszination, das statische Rauschen des Libidinösen in der Welt, und Edgar reagiert auf Leute, die diese Energie anzapfen können. Er möchte gern ihr treuergebener Freund sein, Hauptsache, ihr verborgenes Leben steht in seinen Geheimakten, gesammelte Gerüchte samt Register, in Wirklichkeit verwandelte Schattenfakten.

Gleason sagt: »Was hab ich euch gesagt, Kumpels, heute ist Dodgerstag, das spür ich in meinen Brooklynknochen.«

»Was für Knochen?« sagt Frank. »Alles vom Suff verrottet.«

Thomsons ganzer Körper sackt zusammen, verliert Kraft und Festigkeit, und Robinson ruft »Time!« und trägt den Ball zum Werferhügel, in seinem typischen Gang übern großen Onkel, als könnte er nicht geradeaus laufen.

»Die Giants müssen sich diesen Zwerg kaufen, wenn sie gewinnen wollen, wie heißt er gleich, jetzt kann sie nur noch irgendein Freak retten«, sagt Gleason. »Ein Erdbeben oder ein Zwerg. Und da wir hier nicht in Kalifornien sind, beten wir lieber gleich um einen Kobold in Hosen.«

Frank sagt: »Sehr wixig.«

Bei dem Thema wird Edgar nervös. Er ist empfindlich, wenn's um seine Größe geht, obwohl er zum sicheren Mittelfeld gehört. In den letzten Jahren hat er an Gewicht zugelegt, und wenn er sich beim Anziehen im Spiegel sieht, dickleibig und buddhaköpfig, dann erwidert ein kleiner runder Mann seinen Blick. Daß das stimmt, haben die Schreihälse von der Presse berichtet, als könnte einer seine Phantomqualen allein durch die Kraft des Wünschens veröffentlichen lassen. Und es ist eine Tatsache, daß Agenten, die größer als der Durchschnitt sind, heutzutage kaum Chancen auf einen Posten im Hauptquartier haben. Außerdem ist es eine Tatsache, daß der Zwerg, von dem sein Kumpel Gleason redet, der Einmeterzehn-Sportsmann, der vor sechs Wochen mit einer Bravourleistung, übrigens nach Edgars Ansicht auch ein Akt politischer Subversion, einmal für die Saint Louis Browns zum Schlag gekommen ist – daß dieser Knabe Eddie Gaedel heißt, und wenn sich Gleason an den Namen erinnert, wird er blitzschnell Eddie mit Edgar verknüpfen, und dann wird es Witze über kleine Männer setzen, daß es nur so qualmt, schlimmer als die sprichwörtlich dampfende Kacke. Gleason hat mit Beschimpfungssketchen sein Debüt gemacht und nie mehr damit aufgehört – er macht's umsonst und aus Spaß, und zerstörte Existenzen pflastern seinen Weg.

Toots Shor sagt: »Du willst wohl dein Leben lang ein Dämel bleiben, Gleason. Es steht doch erst eins-null. Die Giants haben in dieser Saison nicht dreizehneinhalb Punkte Rückstand aufgeholt, um am letzten Tag alles zu vergeigen. Das ist das Jahr der Wunder. Keiner hat Worte dafür, was dieses Jahr passiert ist.«

Schwartenfratze, Schlachterpranken. Ein Blick auf Toots, und man sieht den Veteranen aus Prohibitionszeiten, massiger Körper, zurückgestriegeltes Haar und Schlitzaugen, die ruckzuck ein Warnsignal aussenden können. Ein ehemaliger Rausschmeißer, der harmlose Leute aus seinem Club wirft, wenn er einen gehoben hat.

Er sagt: »Mays ist der Mann.«

Und Frank sagt: »Heute ist Willies Tag. Überfällig, daß der heute loslegt. Hat mir Leo am Telefon gesagt.«

Gleason mimt recht passabel einen zugeknöpften Tommie: »Du willst mir doch nicht im Ernst nahebringen, daß dieser Knabe, der sich gerade ans Wicket begibt, irgend etwas Bemerkenswertes zustande bringen wird.«

Edgar, der die Engländer haßt, wirft sich lachend vornüber, selbst als Jackie atemlos von seinem Hot Dog abbeißt und zu husten und zu würgen beginnt, Fitzelchen von Fleisch und Brot in die Landschaft prustet, Klümpchen und Krümelchen, lauter winzige Spitballs.

Dabei sind es die unsichtbaren Formen des Lebens, an denen Edgar am meisten verzweifelt, und er wendet sich von Gleason ab und hält die Luft an. Er möchte am liebsten in die nächste Toilette rennen, einen zinkverkleideten Raum mit einem ovalen Stück unberührter Seife, einer Kaskade heißen Wassers und einem flauschigen Handtuch, das kein Mensch vor ihm je benutzt hat. Natürlich gibt es so etwas nicht in der Nähe. Bloß noch mehr Bazillen, ein alles durchdringendes Umfeld von pathogenen Keimen, Mikroben, schwebenden Kolonien von Spirochäten, die miteinander verschmelzen und sich wieder trennen und sich ausdehnen und umschlängeln und verschlingen, ganze Zugladungen voll Masse, die von den Leuten herausgerotzt wird, tödlicher Urschleim.

Die Menge, der stetige Lärm, das Atmen und Brausen, ab und zu ein Baßgebrumm, das Gefühl, zum selben Geschlecht zu gehören, während sie gemeinsam das Spiel erleben, wenn ein Mann sich am Handgelenk kratzt oder eine Reihe von Schimpfwörtern absondert. Und der plätschernde Applaus, der schnell erstirbt und nie genug ist. Sie warten darauf, vom Klang der Schlachtengesänge und des rhythmischen Klatschens davongetragen zu werden, von den vorgegebenen Formen und Wiederholungen. Das ist ihre Macht, und sie heben sie sich für den richtigen Augenblick auf. So kommt nämlich etwas in Gang, das Spiel gestaltet sich anders und läßt sie mit einem Satz aufspringen, auffliegen in einem befreienden Donnerhall, der den ganzen Laden zum Wahnsinn treibt.

Und Sinatra: »Jack, ich hatte dir doch gesagt, du sollst im Wagen bleiben, bis du aufgegessen hast.«

Mays holt mit mäßigem Schwung aus, trifft den Ball aber von unten und schickt nur einen routinemäßigen Flugball in den tiefhängenden Oktobertag. Der Laut, als der Eschenholzschläger auf den Ball trifft, erreicht Cotter Martin auf der linken Außenfeldtribüne, wo er sich hingesetzt hat, die knochigen Schultern gekrümmt. Er beobachtet Willie, nicht den Ball, und sieht, wie er quasi achselzuckend um die First Base läuft, dann seinen Handschuh vom Rasen aufhebt und wieder zu seiner Position trabt.

Die Bogenlampen werden eingeschaltet, was Cotter überrascht, plötzlich fühlt er sich anders, empfindet seinen Streich noch lebhafter, die aufblitzende Frische, es zu tun und nicht erwischt zu werden. Der Tag ist jetzt anders, ernsthaft und bedroht, regengehetzt, und er betrachtet Mays auf der zentralen Außenfeldposition, ein Bantamgewicht in all dem weiten Raum, eindeutig Kindergröße, und er fragt sich, wie der Kerl seine Würfe hinkriegt, mit solcher Kraft wirbelt und schleudert. Er schaut sich das Spielfeld gern im Scheinwerferlicht an, auch wenn er Regen befürchten muß, auch wenn es erst Nachmittag ist und der Gesamteffekt nicht derselbe wie bei einem Nachtspiel, wenn das Feld und die Spieler von der Nacht, die sie umgibt, vollkommen getrennt zu sein scheinen. Er ist einmal in seinem Leben bei einem Nachtspiel gewesen, mit seinem ältesten Bruder kam er vom Hügel zum Stadion herunter und trat in eine Schüssel aus gemaltem Licht. Er glaubte, aus den Lichttürmen flackerte eine unbekannte Energie herab, ein heftigeres Wirken der Erde, das die Spieler und das Gras und die Kreidelinien von allem anderen isolierte, das er je gesehen oder sich vorgestellt hatte. Alles verströmte den Schimmer des Neuen.

Wie der Läufer eine Schlitterbremsung macht, als er bei der First Base in die Kurve geht.

Die leeren Sitze waren die erste Überraschung für Cotter, lange vor dem Licht. Auf seiner Pirsch durch die Tribünen sah er die ganze Zeit leere Sitze, zu viele, um einfach anzunehmen, daß die Leute gerade ein Bier holten oder eins wegbrachten, und er fand eine Lücke zwischen ein paar Typen im Anzug, und nun kann er nur sein Glück hinnehmen, die Bequemlichkeit eines richtigen Sitzes, ohne sich Gedanken darüber zu machen, warum es so viele davon gibt.

Der Mann links von ihm sagt: »Wie wär's mit ein paar Erdnüssen, hm?«

Der Erdnußverkäufer kommt gerade wieder durch, ein münzenauffangender Gaukler, etwa achtzehn, schwarz und geschmeidig. Die Leute kennen ihn von früheren Spielen und vergangenen Innings und werden wach und wühlen nach Kleingeld. Sie wollen Erdnüsse, hey, hier, eine Tüte, und werfen Münzen mit Daumenschnippen und Diskusbögen, und die Hände des Verkäufers scheinen das fliegende Metall einzuatmen. Er hat Magnethaut, fängt die Zehnermünzen akrobatisch im Fluge und läßt den Leuten die Erdnußtüten vor die Brust segeln. Es ist eine effekthascherische Show, aber Cotter wittert eine versteckte Gefahr. Der Kerl macht ihn sichtbar, stellt ihn bloß in seinem Räubernest. Ist es nicht seltsam, wie die gemeinsame Hautfarbe den Raum zwischen ihnen überspringt? Keiner hat Cotter bemerkt, bevor der Verkäufer auftauchte, dem schwarze Strahlen aus den Händen strömen. Der eine populärer Neger, Publikumsliebling. Der andere ein wendiger Junge, der versucht, nicht aufzufallen.

Der Mann meint: »Na, was sagst du?«

Cotter hebt ablehnend die Hand.

»Magst du eine Tüte? Na los.«

Cotter beugt sich weg, eine Hand geht zur Körpermitte, um anzudeuten, daß er schon gegessen hat oder daß er von Erdnüssen Krämpfe kriegt oder daß seine Mutter ihm eingeschärft hat, sich nicht mit irgendwelchem Fraß vollzustopfen, verdirb dir nicht den Appetit aufs Abendessen.

Der Mann fragt: »Und welche ist deine Mannschaft?«

»Giants.«

»Was fürn Jahr, wie?«

»Dieses Wetter, weiß nicht, schlecht, wenn man im Rückstand ist.«

Der Mann schaut zum Himmel. Er ist etwa vierzig, glattrasiert und brillantinefrisiert, aber auf eine lässige Weise, in einer lockerleichten Art, die Cotter mit Kleinstadtleben im Kino verbindet.

»Ach, ist doch erst ein Punkt Rückstand. Die kommen schon wieder. Nach so einer Saison lassen die sich nicht von einem bißchen Wetter aufhalten. Und was zu trinken?«

Männer an den Toiletten, gehen rein und raus, ziehen auf dem Rückweg von der Rinne ihren Reißverschluß hoch, und andere Männer nähern sich der langen Rinne, denken darüber nach, wo sie stehen wollen, neben wem und neben wem nicht, Gestank und Schimmel des alten Baseballstadions haben sich hier verewigt, seit Generationen Fluten von Bier und Scheiße und Zigaretten und Erdnußschalen und Desinfektionsmitteln und Pisse, das geht weit in die Millionen, und sie denken nach, auf die ganz gewöhnliche Art, die dem Menschen hilft, durchs Leben zu rutschen, denken Gedanken, die mit den Ereignissen nicht in Verbindung stehen, das staubige Brummen dessen, was man ist, Männer, die sich durch den Betrieb auf dem Männerklo drängen, während das Spiel weitergeht, das Kommen und Gehen, das Rausholen der Schwänze und das nachdenkliche Pinkeln.

Der Mann links rutscht auf seinem Platz herum und spricht über die Schulter zu Cotter herunter, flüstert listig: »Und die Schule? Machst wohl Privatferien?« Und ein Grinsen gleitet über sein Gesicht.

Cotter sagt: »Genau wie Sie«, und erntet wie aus der Pistole geschossen ein Lachen.

»Ich wäre aus dem Gefängnis ausgebrochen, um dieses Spiel zu sehen. Wird übrigens sogar in die Gefängnisse übertragen. Sie stellen in den Stadtgefängnissen Radios in die Zellenblocks.«

»Ich war schon früh da«, sagt Cotter. »Ich hätte morgens zur Schule gehen und dann abhauen können. Aber ich wollte alles sehen.«

»Ein echter Fan. Musik in meinen Ohren.«

»Sehen, wie die Leute hier einlaufen. Wie die Spieler beim Spielereingang reingehen.«

»Ich heiße übrigens Bill Waterson. Und ich hätte mich mit Freuden unerlaubt von der Truppe entfernt, mußte ich aber gar nicht. Hab nämlich meine eigene kleine Firma. Baugeschäft.«

Cotter überlegt, was er als nächstes sagen soll.

»Wir bauen den Leuten das Haus, in dem sie gerne leben.«

Der Erdnußverkäufer, den Gang hoch zum nächsten Block unterwegs, erspäht Cotter und lächelt kurz und wissend. Der Junge denkt, gleich gibt's Arger. Dieses Quakmaul wird ihn gleich eklig bloßstellen. Ihre Blicke treffen sich ganz kurz, als der Verkäufer die Treppen hochgeht. In vollem Tempo zupft er superschnell eine Tüte hervor und fluppt sie lässig zu Cotter hinüber, der sie mit einer Hand schnappt, in einer ebenso hingewischten Bewegung wie der Wurf. Der Augenblick ist einfach zum Küssen, auf Cotters Gesicht bricht das Lächeln der Woche aus, und eine Woge guter Laune strömt durch die Luft.

»Hast ja doch noch eine abgekriegt«, sagt Bill Waterson.

Cotter rollt den Faltverschluß der braunen Tüte auf und hält sie Bill hin. Sie sitzen da, pellen die Erdnüsse und reiben die stoffartige braune Haut mit einer rollenden Bewegung von Daumen und Zeigefinger ab, essen den öligen, salzigen Kern und werfen die Schalen zu Boden, ohne die Augen vom Spiel zu lassen.

Bill sagt: »Wenn du mal wieder einen sagen hörst, er wäre im siebten Himmel, denk an das hier.«

»Jetzt fehlen uns nur noch ein paar Runs.«

Er schiebt Bill noch einmal die Tüte zu.

»Die punkten schon noch, das kommt. Nur keine Angst. Du wirst dich freuen, daß du die Schule geschwänzt hast.«

Da steht Robinson am Rand des Außenfeldrasens, schaut sich an, wie der Schlagmann ankommt, und denkt träge, Wieder eins von Leos teutonischen Landeiern.

»Es gibt ein Gesetz unter Männern«, erklärt Bill, »und es besagt, weil du deine Erdnüsse mit mir teilst, bin ich dazu verpflichtet, uns beiden eine Limonade zu kaufen.«

»Das klingt einleuchtend.«

»Gut. Also abgemacht.« Dreht sich auf seinem Platz und reißt einen Arm hoch. »Ein paar Sportsfreunde machen es sich gemütlich.«

Stanky der Boxer hockt auf der Spielerbank.

Mays versucht, einen Ohrwurm aus dem Kopf zu kriegen, sein schwermütiges Gesicht ist leicht aufgedunsen, irgendein Werbegedudel, das er neulich im Radio gehört hat.

Der Balljunge kommt etwas verträumt die Treppe herunter und läßt Darks schwarzen Schläger ins Gestell gleiten.

In den mittleren Innings kehrt sich das Spiel wie nach innen. Alle bekommen etwas Abwartendes, eine formlose Unruhe, die die Schultermuskeln verkrampft und die Spieler zum Wasserspender treibt, trinken und ausspucken.

Am anderen Ende des Spielfelds ist Branca oben auf dem Aufwärmplatz der Dodgers zu sehen, ein breiter Mann mit spitzen Zwergenöhrchen und angespannten Armen, der mühelos wirft und gerade Lockerungsübungen macht.

Mays denkt hilflos, Klick-Klick, Drücken-Ziehen, schon ist die neue Klinge drin.

Auf den Tribünen geht Special Agent Rafferty die Treppe zu den Logen hinter der Spielerbank der Heimmannschaft hinunter. Er ist ein untersetzter Mann mit einem üppigen Schopf rötlicher Haare, und er bewegt sich mit der Geradeausmiene von einem, der sich durch nichts ablenken lassen will. Er bewegt sich energisch, aber nicht panisch, auf die Loge des Direktors zu.

Gleason hat zwei sudelige Becher vor seinen Füßen aufgepflanzt, und an beiden Enden seiner geballten Faust schaut ein Hot Dog hervor, den er ganz vergessen hat. Er redet mit sechs Leuten auf einmal, und sie lachen und stellen Fragen, Logenbesitzer mit Dauerkarten, altgediente Fans mit spindeldürren Gattinnen. Sie merken, daß er schon halb bedallert ist, und bewundern seine Scharfsinnigkeit, die feinen Spitzen von Beleidigung und Spott. Sie wollen beschimpft werden, und Jackie tut es gerne, überspielt seinen beschwipsten Zustand mit der detaillierten Karikatur eines Betrunkenen. Er legt sich schwere Lider und einen knurrigen Ton zu, macht sich lustig über das Wischmoptoupet eines Mannes und veralbert einen zweiten wegen der Ellbogenflicken auf seinem Tweedjackett. Die Frauen genießen das sehr und wollen immer mehr. Sie beobachten Gleason, sie schauen auf Sinatra, wie er wohl reagiert, sie beobachten das Spiel, sie hören Jackie zu, der Dauerpointen aus seiner Fernsehshow bringt, sie beobachten, wie der Senf an seinem Daumen herunterläuft, und trauen sich nicht, es ihm zu sagen.

Als Rafferty Mr Hoovers Gangplatz erreicht hat, stellt er sich nicht über den Direktor, beugt sich nicht nach unten, um ihn anzusprechen. Er achtet darauf, im Gang in die Hocke zu gehen. Seine Hand hält er ganz beiläufig an den Mund, so daß niemand sonst mitbekommen kann, was er sagt. Hoover hört eine Zeitlang zu. Er sagt etwas zu seinen Begleitern. Dann gehen er und Rafferty die Treppen hinauf und suchen sich eine abgelegene Stelle auf halber Höhe einer langgezogenen Rampe, wo der Special Agent die Einzelheiten seiner Botschaft vorträgt.

Wie es scheint, hat die Sowjetunion an irgendeinem geheimen Ort innerhalb ihrer eigenen Grenzen einen Atomtest durchgeführt. In ungeschminkten, einfachen Worten: Sie haben eine Bombe gezündet. Unsere Aufklärungsinstrumente sagen das ganz unmißverständlich – es ist eine Bombe, eine Waffe, ein Kriegsgerät, es erzeugt Hitze und Druck und Erschütterung. Das ist keine friedliche Nutzung von Atomenergie, um Wohnungen zu beheizen. Es ist eine rote Bombe, die eine große weiße Wolke ausspuckt wie irgendein Donnergott des alten Eurasiens.

Edgar hält das heutige Datum im Geiste fest. Der 3. Oktober 1951. Er registriert das Datum. Er prägt sich das Datum ein.

Er weiß, daß dies nicht völlig unerwartet kommt. Es ist ihr zweiter Atomtest. Aber die Nachricht ist schlimm, das setzt ihm zu, er muß an die Spione denken, die die Geheimnisse verraten haben, die Aussicht, daß Atomsprengköpfe an die kommunistischen Streitkräfte in Nordkorea geschickt werden. Er spürt, wie sie immer näher kommen, aufholen, überholen. Das setzt ihm zu, verändert ihn äußerlich, während er dasteht, zieht die Haut straffer über sein Gesicht, versiegelt seinen Blick.

Rafferty steht auf dem Teil der Rampe, der unterhalb von Mr Hoover liegt.

Ja, Edgar hält das Datum fest. Er denkt an Pearl Harbor, mal gerade zehn Jahre her, er war an jenem Tag auch in New York, und die Nachricht schien in der Luft zu flimmern, alles im Blitzlichtgewitter, jeder Alltagsgegenstand heiß und aufgeladen.

Der Lärm der Menge bricht sich über ihnen, ein vielstimmiges Dröhnen, das durch die Hohlräume im Bauch des Stadions hallt.

Jetzt das, denkt er. Die eigene Hitze der Sonne, die ganze Städte verschlingt.

Gleason dürfte eigentlich gar nicht hier sein. Genau in diesem Moment findet in einem Studio in Midtown eine Probe statt, und da sollte er sein, bei der Vorbereitung der Sketchserie »The Honeymooners«, die zum ersten Mal in exakt zwei Tagen gesendet wird. Ein Stoff so recht nach Jackies Geschmack, es geht um einen Busfahrer namens Ralph Kramden, der mit seiner Frau Alice in einer armseligen Wohnung in Brooklyn lebt. Gleason findet nichts dabei, eine Probe zu versäumen, um ein paar Fans auf der Tribüne zu unterhalten. Aber Sinatra fühlt sich unbehaglich, all diese Leute, die ihnen die Rückenlehnen abschlabbern. Er ist rituelle Distanz gewohnt. Er will den Menschen nur unter zuvor abgesprochenen Umständen begegnen. Heute hat Frank seinen Italo-Geheimdienst nicht dabei. Und selbst mit Jackie an einer Flanke und Toots an der anderen – ein paar Schweinepriester, die als natürliche Schranke dienen – drängen sich die Leute unablässig heran, demonstrieren ihr Mitteilungsbedürfnis. Er sieht, wie einer nach dem anderen beschließt, daß er unbedingt mit ihm reden muß. Steife Grinsefratzen eiern auf ihn zu. Und wie sie ihn als Bezugspunkt für alles nehmen, was passiert. Einer da unten macht einen schönen Spielzug, sie starren Frank an, wie er wohl reagiert. Der Bierverkäufer stolpert auf einer Stufe, sie starren Frank an, ob er es wohl bemerkt hat.

Er beugt sich hinüber und sagt: »Jack, es ist wirklich großartig, hier zu sein, aber könntest du dir vielleicht mal ein Handtuch übers Gesicht hängen, damit diese Leute sich wieder auf das Spiel konzentrieren können?«

Die Leute wollen, daß Gleason was aus seiner Show bringt. Sie rufen ihm die Sätze zu, die er bringen soll.

Dann sagt Frank: »Wo zum Teufel steckt eigentlich Hoover? Wir brauchen ihn, damit er diese Frauen von unseren Luxuskörpern fernhält.«

Der Fänger ackert sich aus der Hocke hoch, die Falten seines geröteten Nackens sind staubverkrustet. Er hebt seine Maske an, damit er ausspucken kann. Er ist gepolstert und hat überall Stoßstangen, die Lippen rauh und schrundig und sonnenschuppig. Das ist das Äußerste, was er sich erlaubt, in der Öffentlichkeit auszuspucken. Seine Spucke schwappt und wabbelt, als sie den Staub trifft, wird sandbraun.

Russ Hodges ist für die mittleren Innings auf die Fernsehseite rübergegangen, er redet weniger, orientiert sich an den Geschehnissen auf dem Monitor. Zwischen den Innings bietet ihm der Statistiker von seinem Hühnchensandwich an, das er als Lunchpaket mitgebracht hat.

Er sagt zu Russ: »Woher der Wehmutsblick heute?«

»Wußte gar nicht, daß ich einen Blick habe. Überhaupt einen. Ich fühle mich gar nicht dazu in der Lage. Hohläugig vielleicht.«

»Nachdenklich«, sagt der Erbsenzähler.

Das stimmt, und er weiß es auch, Russ ist wehmütig und schweift ab, und das ist so verdammt komisch, seine Stimmung den ganzen Tag schon, so ein Zurücklehnen, ein altes knarziges Zurücksinken, wie ein grauhaariger Mann in einem Schaukelstuhl.

»Hühnchen mit was?«

»Mayonnaise, würd ich sagen.«

»Komisch, wissen Sie«, sagt Russ, »aber ich glaube, es liegt an Charlotte, daß ich heute so aus der Wäsche gucke.«

»Der Dame oder der Stadt?«

»An der Stadt natürlich. Ich habe in einem Studio Jahre damit zugebracht, wichtige Oberliga-Spiele nachzuerfinden. Im Hintergrund klackerte der Telegraphenlocher, und das ganze Drumherum saugte sich Schwadroneur Hodges zu neunundneunzig Prozent aus den Fingern. Ich will Ihnen mal was sagen, Pfadfinderehrenwort. Ich weiß, es klingt an den Haaren herbeigezogen, aber ich hab da immer gesessen und davon geträumt, aus einer Kabine der Polo Grounds in New York über echten Baseball zu berichten.«

»Echten Baseball.«

»Das, was bei Tageslicht passiert.«

Einer gibt dir ein Stück Papier voller Buchstaben und Zahlen, und du mußt ein Baseballspiel daraus machen. Du bestimmst das Wetter, erfüllst die Spieler mit Leben, läßt sie schwitzen und motzen und sich die Hosen hochziehen, und es ist bemerkenswert, denkt Russ, wieviel irdische Erregung, wieviel Sommer und Staub man schon aus einem einzigen, flachen lateinischen Buchstaben heraufbeschwören kann.

»Was Maglie da wirft, ist aber alles andere als eine Stümperkurve«, sagt er ins Mikro.

Als er noch Geisterspiele kommentierte, verlegte er die Handlung auch gern auf die Tribünen, erfand etwa einen Jungen, der hinter einem Foul Ball herrennt, einen karottenschöpfigen Knirps mit hochstehender Tolle (ich bin schamlos, wie), der sich den Ball schnappt und ihn hochhält, diese Hundertdreißig-Gramm-Kugel aus Kork, Gummi, Zwirn, Roßhaar und Spiralnähten, einen Souvenir-Baseball, eigentlich ein unbezahlbares Objekt, das die gesamte Geschichte des Spiels jedesmal zu rekapitulieren scheint, wenn man es wirft oder schlägt oder berührt.

Er steckt sich den letzten Bissen Sandwich in den Mund und leckt den Daumen ab und erinnert sich wieder daran, wo er ist, weit weg von dem fensterlosen Raum mit dem Telegraphisten und den Morsebotschaften.

Drüben auf der Radioseite sagt der Sendeleiter: »Hast du letzte Woche in der Zeitung die Sache mit Einstein gelesen?« Der Techniker: »Welcher Einstein?«

»Albert, der mit dem Haar. Irgendein Reporter hat gesagt, er soll doch mal die Wahrscheinlichkeitsrechnung für die heiße Phase der Meisterschaft aufstellen, weißt du, die eine Mannschaft gewinnt soundso viele der verbleibenden Spiele, die anderen Mannschaften gewinnen soundso oft oder soundso oft. Wie viele Milliarden Möglichkeiten gibt es? Wer ist im Vorteil?«

»Was weiß der denn schon davon?«

»Anscheinend nicht viel. Letzten Freitag hat er sich für die Dodgers entschieden, daß die die Giants rausschmeißen.«

Der Techniker redet durch die Decke mit seinem Kollegen von KMOX. Die Neuheit dieser Decke bringt die Leute dazu, sich im Knastjargon zu unterhalten. Wenn sie auf schwarzen Dialekt umschalten, bringt der Sendeleiter sie zum Schweigen, aber kurz darauf sind sie wieder dabei und mimen ein paar zugekiffte Neger im rauchigen Murmeln irgendeines Kellers. Natürlich nicht laut genug, um vom Mikro erfaßt zu werden. Ein Atmogeräusch, wie zufälliges Stimmengewirr auf den Mannschaftssitzen – ein Knistern, eine Struktur, eine Verästelung des Spiels.

Unten in den Logen wollen sie, daß Gleason sagt: »Ihr seid ein Spi-pi-pi-pitzenpublikum.«

Russ geht wieder zur Radioseite zurück, nachdem die Giants in ihrer Hälfte des sechsten Innings versagt haben, immer noch ein Punkt Rückstand. Er ist froh, daß er kein Thermometer dabeihat, er könnte in Versuchung geraten, es zu gebrauchen, und das wäre demoralisierend. Es ist ein milder Tag, ein Glück, und der Regen bleibt aus.

Der Sendeleiter: »Bleibt spannend bis zum Schluß, Russ.«

»Hoffentlich mach ich nicht dicht. Mein Kehlkopf fühlt sich an wie im Schraubstock.«

»Wir sind hier beim Funk, Kumpel. Kannste nicht dicht machen. Denk dran, was da draußen los ist. Die knutschen ihre kleinen Kofferradios.«

»Davon geht's mir auch nicht besser, vielen Dank.«

»Die kleben an ihren Empfängern, gottverdammich. Du bist Al Murrow aus London, und du mußt über den Blitz berichten.«

»Dank dir, Al.«

»Schone deine Stimme.«

»Tu was ich kann.«

»Dieses Spiel ist überall. Jeder Dow-Jones-Ticker schnattert den Stand mit den Börsennotizen raus. Jede Bar in der Stadt, garantiert. Die schmuggeln Radios in die Konferenzräume. Bei Schrafft's unterbrechen sie angeblich die Musikberieselung, um den Spielstand durchzugeben.«

»All die netten Damen mit ihren abgestimmten Twinsets und vornehmen Schnittchen.«

»Schone deine Stimme«, sagt Al.

»Haben die Tee mit Honig auf der Speisekarte?«

»Die essen und trinken Baseball. Der Kommentator bei den Pferderennen in Belmont informiert zwischendurch über den neuesten Stand. Und den hörst du auch in Taxis und beim Friseur und beim Arzt.«

Alle warten auf den Werfer, sein Gesicht ist eine einzige Vorahnung, der Oberkörper vorgestreckt, die Handschuhhand baumelt auf Kniehöhe. Er liest das Zeichen wieder und wieder. Er liest das Zeichen. Der Schlagmann zappelt auf seiner Position herum. Dieser Teufelskerl hat einen Wahnsinnswurf drauf.

Der Shortstop tritt von einem Fuß auf den anderen, um die Trance des Wartens zu durchbrechen.

Das ist das Gesetz der Konfrontation, getreulich befolgt und jedem trantütigen Werfer ins Gesicht geschrieben, seit es Mannschaften gibt, die Superbas und die Bridegrooms heißen. Der Unterschied kommt, wenn der Ball geschlagen wird. Dann ist nichts mehr wie zuvor. Die Männer geraten in Bewegung, springen aus der Hocke auf, und alles gehorcht dem Kieselhüpfen des Balls, den Drehungen und Backspins und Luftströmungen. Es gibt Koeffizienten des Luftwiderstandes. Es gibt Rücktriftwirbel. Es gibt lauter Dinge, die unwiederholbar Anwendung finden, die Erinnerung der Muskeln, das Pumpen des Blutes, Staubpartikelchen, die Erzählung, die in den Zwischenräumen der offiziellen Spielberichterstattung gedeiht.

Und auch die Menge befindet sich in diesem verlorenen Raum, die Menge, die sich in jener Tausendstelsekunde wandelt, wenn der Schläger und der Baseball aufeinandertreffen. Ein Rascheln aus Murmeln und Flüchen, Leute, die leise stöhnend keuchen, deren Gesichter sich verändern, während sich auf dem Rasen das Spiel entfaltet, ihr ganzes Blickfeld einnimmt. John Edgar Hoover steht mitten unter ihnen. Er schaut von dem breiten Gang oben an der Rampe zu. Er hat Rafferty gesagt, daß er bleibt. Bringt doch nichts, wenn er weggeht. Das Weiße Haus wird es in weniger als einer Stunde verkünden. Edgar haßt Harry Truman, er würde gern miterleben, wie der sich, gefällt von Brustschmerzen, auf dem Parkett windet, aber das Timing des Präsidenten kann er kaum kritisieren. Wenn wir es zuerst bekanntgeben, hindern wir die Sowjets daran, dem Ereignis ihre eigene hübsche Wendung zu geben. Und wir besänftigen die öffentliche Besorgnis zu einem gewissen Maß. Die Leute werden begreifen, daß wir die Nachricht unter Kontrolle haben, wenn schon nicht die Bombe. Das ist durchaus ein Grund zur Sorge. Edgar betrachtet die Gesichter um ihn her, sie sind offen und hoffnungsfroh. Er möchte die Nähe eines Mitbürgers spüren, die Übereinstimmung. Nichts hat all diese Menschen, geprägt durch Sprache und Klima und Lieder und Frühstücksgewohnheiten und die Witze, die sie erzählen, und die Autos, die sie fahren, je so miteinander verbunden wie dies: in der Spalte der Zerstörung zu sitzen. Er versucht, ein Zugehörigkeitsgefühl zu empfinden, den zugedrehten Hahn seiner alten Seele zu öffnen. Aber da ist ein Zustand der Verbitterung, den er nie zu benennen wußte, und sobald er durch den moralischen Niedergang, der sich überall abspielt, eine Bedrohung von außen erfährt, entdeckt er darin etwas Stabilisierendes für seinen Zustand, eine aufbauende Kraft. Natürlich protestiert sein Magengeschwür. Aber er hat diese Seite, diese Eigenschaft, die von der Stärke des Feindes abhängig ist.

Da ist der Mann auf den billigen Plätzen, der den Gang auf und ab tigert, einer der Irren des Viertels, er wedelt mit den Armen und murmelt, klein, vierschrötig, mit buschigen Haaren – könnte einer der Ritz Brothers sein oder ein vergessenes Mitglied der Three Stooges, der Vierte Stooge namens Flippo oder Dummy oder Shaky oder Jakey, und er lenkt die Leute in seiner Nähe ab, sie schreien ihn an, hinsetzen, haudochab, biswohlmeschugge, und er tigert auf und ab und sorgt sich, er schüttelt den Kopf und stöhnt, als wüßte er, daß etwas kommt oder gekommen ist oder schon wieder weg ist – er ist empfänglich für Dinge, die selbst dem scharfsinnigsten Fan entgehen.

Zur Baseballhymne zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des siebten Innings kehrt ein Direktor mit steinerner Miene auf seinen Platz zurück. Er sagt natürlich nichts. Gleason brüllt einen Verkäufer an, versucht, Bier zu bestellen. Leute sind aufgesprungen, versuchen die Spannung und den Ärger abzuschütteln. Ein Mann putzt sich langsam die Brille. Ein Mann starrt. Ein Mann reckt sich die Steifheit aus den Gliedern.

»Für mich einen Brandy mit Soda«, sagt Toots.

Jackie rät ihm: »Sei nicht dein ganzes Leben eine Matschbirne.«

»Behandle den Mann anständig«, sagt Frank. »Für einen Juden, der trinkt, hat er es weit gebracht. Er ist dick befreundet mit Welt großen, von denen du nicht mal gehört hast. Früher oder später laufen sie alle bei ihm in der Kneipe ein und kippen mit Toots einen Brandy. Außer vielleicht Mahatma Gandhi. Und den haben sie erschossen.«

Gleason sträubt die Brauen und macht Glubschaugen und wirft ruckartig die Arme hoch, wie der Schwachkopf, der's geschnallt hat.

»Das war der Name, der mir nicht eingefallen ist. Der Zwerg, der nur im Notfall den Schlagmann macht.«

Die Leute in ihrer Umgebung hören das zum Teil, reagieren vor allem auf Tonfall und Gestik – sie haben gesehen, wie Jackie die Bemerkung körperlich aufgebaut hat, und biegen sich schon vor Lachen, bevor die Pointe ganz draußen ist.

Edgar lacht auch, trotz der Neuauflage des Zwergenmotivs. Er bewundert die grobe Selbstsicherheit dieser Männer. Sie scheint ihnen aus den Poren zu quellen. Sie haben ein Format an sich, eine natürliche Kraft, die seine eigene Sonntagsschulindoktrination verhöhnt, ihn zugleich aber zu dem ganzen Getöse hinzieht. Er ist ein selbstperfektionierter Amerikaner und hat die Saga des Rumtreibers zu respektieren, der aus einer Mietskasernenkultur aufgestiegen ist, von der schiefen Bahn gefährlicher Seitenstraßen. Das sorgt für ein ungestümes Ego, für Appetit. Die Muschigauner Jackie und Frank legen bei Frauen eine angeberische Ungezwungenheit an den Tag. Und es stimmt ja, daß Toots jeden kennt, den zu kennen sich lohnt, und selbst Gleason unter den Tisch trinken kann. Und wenn er dir seine joviale Tatze auf die Schulter haut, hast du das Gefühl, er ist eine Kraft der Vorsehung, gekommen, um dich aus deiner alten Verzagtheit zu erlösen.

Frank sagt: »Dieses Inning gehört uns.«

Und Toots: »Wehe wenn nicht. Diese Stinkstiefel von Dodgers machen mich nervös.«

Jackie gibt Biere durch die Reihe weiter.

Frank sagt: »Sieht so aus, als hätten wir mittlerweile alle kundgetan, für wen wir wirklich sind. Als hätten wir unsere Herzenswünsche verraten. Wir haben hier ein paar Uraltfans der Giants. Und dieses Walroß mit seiner Brooklynfrisur. Aber was ist mit unserem Freund, dem G-Mann? Steht das G für Giants? Spuck's aus, Jedgar. Welche Mannschaft ist deine?«

J. Edgar. Manchmal nennt Frank ihn Jedgar, und dem Direktor gefällt der Name, obwohl er es sich nie anmerken läßt – der Name klingt mittelalterlich und prinzlich und listig-finster.

Ein schwaches Lächeln kriecht über Hoovers Gesicht.

»Ich bin kein Fan. Wer gewinnt«, sagt er leise, »ist meine Mannschaft.«

Er denkt an etwas ganz anderes. Wie unsere Alliierten einer nach dem anderen die Nachricht von der sowjetischen Bombe erhalten. Der Gedanke hat etwas grimmig Erheiterndes. Über die Jahre haben sich Joint Ventures mit den Geheimdienstchefs einer ganzen Reihe von Ländern als notwendig erwiesen, und er wünscht ihnen allen ein bißchen den Tod an den Hals.

Man muß sich diese Vier mal anschauen. Jeder hat ein Tüchlein ordentlich in der Brusttasche stecken. Jeder hält sein Bier vom Körper weg, beugt sich vor, um den hohen Schaum vom Rand des Bechers zu lupfen. Gleason mit einer Blume am Revers, einer feuchten Aster, die er aus einer Vase bei Toots stibitzt hat. Die Leute bedrängen ihn immer noch, daß er Gags aus seiner Show bringt.

Sie wollen, daß er »Harty har-har« sagt.

Der Hauptschiedsrichter an der Home Plate steht mit der Maske in der Hand da, sieht in seinem Aufzug fast wie die Karikatur eines Engländers aus. Er führt Buch, zählt die Aufwärmwürfe des Werfers. Er ist das kleine verbissene Gewissen des Spiels. Selbst im Ruhezustand sieht man ihm seine Geschichte voller Verstrickungen an, voller staubstampfender Männer im Sonnenlicht, die ihm auf der Nase herumtanzen. Man kann es an seinem Gesicht erkennen, vorgerecktes Kinn, angestrengter, finsterer Blick unter der Stirn. Wenn die Zahl acht erreicht ist, schickt er einen Strahl durch die Zähne und macht sich daran, mit seinem Handfeger die Gummiplatte der Home Plate zu säubern.

Auf der Tribüne zieht Bill Waterson seine Jacke aus und läßt sie am Finger baumeln. Sie ist zerknittert und übel zugerichtet und kommt ihm wie ein lebendiger Körper vor, dem er vielleicht gern die Leviten lesen würde. Nach einer Pause legt er sie doppelt zusammen und läßt sie auf seinen Platz fallen. Cotter hat sich wieder hingesetzt, überwiegend umgeben von Leuten in der Senkrechten. Bill ragt über ihm auf, ein ansehnlicher Kerl, dem Aussehen nach ein ehemaliger Sportler, der in der Mitte dick wird, sein Hemd ist unter den Armen feucht. Glück im siebten. Cotter braucht nur einen lumpigen Run, um nicht zu verzweifeln – den billigsten, herausgeschundensten, unverdientesten Run, der je herausgeholt wurde. Andernfalls gibt er gleich auf. Das kennt man doch, wie es läuft, wenn man vor dem Ende aufgibt, und dann kommt die Mannschaft noch mal ganz groß raus, und man empfindet unbehagliche Scham, die einen beschleicht wie Teichschlick.

Bill sagt zu ihm hinunter: »Ich nehme das ernst, wenn im siebten Inning alle aufstehen und singen. Da heißt es nicht bloß durchstehen. Da muß man aufstehen und sich strecken, jawohl.«

»Ist mir schon aufgefallen«, sagt Cotter.

»Das ist nämlich eine Gewohnheit, die weitergegeben wird. Sie gehört dazu. Unsere eigene kleine Tradition. Stehen, Strecken – das ist gewissermaßen ein Privileg.«

Bill amüsiert sich damit, verschiedene stilisierte Streckübungen vorzufuhren, den Bodybuilder, die Hauskatze, und er versucht, Cotter dazu zu bewegen, einen Faulpelz im Klassenzimmer nachzumachen.

»Hast du mir eigentlich gesagt, wie du heißt?«

»Cotter.«

»Darum geht's nämlich beim Baseball, Cotter. Du machst dasselbe, was alle vor dir auch gemacht haben. Das ist die Verbindung. Es gibt eine richtig lange Linie. Ein Mann nimmt seinen Sohn mit zu einem Spiel, und dreißigjahre später, wenn der arme alte Trottel im Krankenhaus dahinsiecht, wird genau davon geredet.«

Bill schnappt seine Jacke vom Sitz und legt sie sich auf den Schoß, als er sich hinsetzt. Sekunden später steht er wieder, er und Cotter schauen zu Pafko, der den Ball so schnell wie möglich abgibt, damit die Giants keinen Triple schaffen. Ein leises Raunen erhebt sich, buschig und dicht, und die Fans lassen noch mehr Papier zum Fuß der Wand herabsegeln. Alte Einkaufslisten und Abschnitte von Eintrittskarten und zusammengeknüllte Zeitungsbällchen rieseln im fahlen Nachmittagslicht auf Pafko nieder. Weiter draußen auf dem linken Außenfeld bewerfen sie den Aufwärmplatz der Dodgers mit Papier, bewerfen die Gestalt des trainierenden Labine und des trainierenden Branca und ihre beiden Fänger, und auch die Männer unter dem abgeschrägten Dach, das aus der Wand vorspringt, die kaugummikauenden Männer, die nichts zu sagen haben.

Branca trägt die Nummer Dreizehn auf dem Rücken.

»Hab's dir ja gesagt«, sagt Bill. »Was hab ich dir gesagt? Ich hab's dir gesagt. Wir sind wieder im Kommen.«

»Wir müssen den Punkt erst noch machen«, sagt Cotter.

Sie setzen sich wieder hin und beobachten, wie der Schlagmann mit einem Blick direkt an der Linie entlang Durocher anpeilt, der in Zeichensprache aus der Trainerzone bei der Third Base nacheinander die Anweisungen durchgibt. Dann ist Bill wieder auf den Beinen, krempelt die Ärmel hoch und feuert die Spieler an, einfache Worte der herzhaften Ermutigung.

Cotter gefällt, wie deutlich die Absichten dieses Mannes sind, wie er auf Vertrauen und Zuversicht beharrt. Es gibt kein anderes Mittel gegen die Macht des Zweifels. Er glaubt, er ist dabei, Freundschaft zu schließen. Dieses Gefühl kommt von Bills gemütlicher Stimme und seiner umgänglichen, verschwitzten Turnhallenmassigkeit, davon, wie er Cotter zuhört und ihn glauben macht, sie verbände eine lange, enge Kameradschaft – fröhliche Kumpanei nennt man das wohl. Er fühlt sich etwas seltsam dabei, es ist ihm unvertraut, mit Bill zu reden, aber er spürt auch etwas Beschützendes, Geborgenes, das ihm helfen wird, die Niederlage zu überstehen, falls es dazu kommt.

Lockman pflanzt sich auf, um den Ball abtropfen zu lassen.

Auf der oberen Tribüne sitzt ein Mann, der die aktuelle Ausgabe von Life durchblättert. Auf der zwölften Straße in Brooklyn sitzt ein Mann, der einen Kassettenrekorder an sein Radio angeschlossen hat, um die Stimme von Russ Hodges aufzunehmen, der das Spiel kommentiert. Der Mann weiß nicht, warum er das tut. Eine spontane Regung, eine Flause, so als würde er das Spiel zweimal hören, so als wäre man jung und alt zugleich, und später wird sich heraus stellen, daß dies die einzige bekannte Aufnahme von Russ' berühmter Beschreibung der letzten Spielminuten ist. Das Spiel und seine Verästelungen. Die Frau, die Kohl kocht. Der Mann, der wünscht, er käme vom Suff los. Sie sind die entlegenere Seele des Spiels. Verknüpft durch die pulsierende Stimme im Radio, verbunden mit der Mund-zu-Mund-Propaganda, die den Spielstand bis auf die Straße trägt und zu den Fans, die die Sondernummer anrufen, und mit der Menge im Stadion, aus der das Fernsehbild wird, Menschen winzig wie Reiskörner, und mit dem Spiel als Gerücht und Mutmaßung und innerer Geschichte. In der Bronx sitzt ein Sechzehnjähriger, der sein Radio mit aufs Dach des Hauses genommen hat, damit er alleine zuhören kann, ein im Dämmerlicht kauernder Dodgers-Fan, und er hört, wie der fehlgegangene Bunt beschrieben wird und der Flugball, der den Gleichstand erzielt, und er schaut über die Dächer, Teerstrände mit ihren Wäscheleinen und Taubenschlägen und ausgelaufenen Kondomen, und er kriegt das kalte Schaudern. Das Spiel ändert nichts daran, wie du schläfst, dir das Gesicht wäschst oder dein Essen kaust. Es ändert nichts, nur dein Leben.

Der Sendeleiter sagt: »Endlich, ein Run immerhin.«

Russ ist fix und fertig, Mannomann, ist der wund und zerknittert und ungekämmt. Als die Mannschaften mit dem achten Inning beginnen, berichtet er, daß sie einhundertvierundfünfzig normale Saisonspiele bestritten haben und zwei Play-off-Spiele und sieben ganze Innings des dritten Play-off-Spiels, und jetzt hängen sie fest, sie sitzen gnadenlos in der Klemme, auf dem toten Punkt, Leute, also macht euch eine Chesterfield an und bleibt dran.

Das nächste halbe Inning scheint mindestens eine Woche zu dauern. Cotter sieht, wie die Dodgers Läufer an die First und Third Base schicken. Er beobachtet, wie Maglie einen Kurvenball in den Staub setzt. Er sieht Cox, der einen Schuß an der Third Base vorbeidonnert. Ein dumpfer Lärm erhebt sich allmählich aus der Menge, Männer rufen aus den tiefsten Tiefen, eine animalische Furcht und Verzweiflung.

In der Kabine sieht Russ, wie die Menge langsam den Zusammenhalt verliert, die Leute sitzen verstreut auf den harten Stufen, ein Priester geht mit einem Schwung Knaben im Gänsemarsch den Gang hinauf, Papier entrollt sich flatternd im Wind. Er hört den Ansager aus St. Louis auf der anderen Seite der Decke, es ist Harry Caray, er klingt so munter wie immer, bei seinem Namen fällt Russ der japanische Ausdruck für das rituelle Bauchaufschlitzen ein, und er überlegt, daß der Name mittlerweile besser zu ihm paßt als zu Harry.

Helligkeit strömt vom Himmel herab, die Dodgers machen Punkte, ein Mann tanzt den Gang entlang, ein spitzbärtiger Schwarzer in einem Bing-Crosby-Hemd. Alles verändert seine Gestalt, wird zu etwas anderem.

Cotter kriegt die Worte kaum heraus.

»Was bringt es eigentlich, den Punktestand auszugleichen, wenn du dann eine Kehrtwendung machst und dich von den anderen plattwalzen läßt?«

Bill sagt: »Die gehen jetzt auf die Spielerbank, und ich garantiere dir, die lassen nicht locker. Bei dieser Mannschaft gibt's kein Aufgeben. Mach kein langes Gesicht, Cotter. Wir Kumpel in schlechten Zeiten, wir müssen zusammenhalten.«

Cotter merkt, wie ihn Trübsal beschleicht, ein verworrenes Selbstmitleid, die Kraft verläßt seine Arme, in seinem Kopf ertönt eine Stimme und wirft ihm vor, es mache ihm was aus. Und das Schlimme ist, daß er sich darin suhlt. Er ist ein Verlierer und weiß, wie bei der Sache mit dem Verlieren der verdrehte Lohn zu finden ist – alles wird aufgeplustert, ausgebreitet, versüßt bis zum Ekel, denn man wird sorgfältig für diese Rolle ausgesucht.

Es steht vier zu eins.

Im dritten oder vierten Inning hätte es regnen sollen. Heftig niederprasselnder Regen. Es hätte donnern und blitzen sollen.

Bill sagt: »Ich glaube immer noch dran. Und du?«

Der Werfer nimmt seine Mütze ab und reibt sich mit dem Unterarm über den Haaransatz. Big Newk. Dann pustet er in die Mütze. Dann schüttelt er sie und setzt sie wieder auf.

Shor wirft Gleason einen Blick zu.

»Immer noch mit dem Mundwerk dabei. Laß die Leute doch in Ruhe. Die sind hier, weil sie ein Spiel sehen wollen.«

»Welches Spiel? Dresche beziehen die. Komm, gehen wir nach Hause.«

»Wir gehen nicht nach Hause«, sagt Toots.

Jackie sagt: »Wir können die Menge schlagen, du Matschbirne.«

Und Frank: »Los, wir stimmen ab.«

Toots sagt: »Du siehst ja aus wie ausgespuckt. Setz dich lieber hin und guck zu. Hier geht nämlich keiner, bevor ich gehe, und ich gehe nicht.«

Jackie winkt einen Verkäufer herbei und bestellt eine Runde Bier. In der zweiten Hälfte des achten Innings passiert gar nichts. Zuschauer bewegen sich auf die Ausgangsrampen zu. Erskine und Branca werfen sich jetzt ein, und die komischen Papierschnipsel segeln von der oberen Etage herunter. Der Anfang des neunten Innings läuft schlecht für die Dodgers, und in diesem Moment spürt man ein hilfloses Zerbröckeln, man kann es in der Luft schmecken, in dem einsamen Wolfsheulen hoch oben von der Tribüne hören. Alles, was du hier eingebracht hast, ist unwiederbringlich, und du weißt nicht, ob du sofort gehen willst oder für immer bleiben, unter einer Decke im Wind leben.

Der Techniker: »Nette Saison Jungs. Sollten wir irgendwann mal wieder machen.«

Die Enge in der Kabine und die geballte Männlichkeit stimmen Russ etwas gereizt. Er steckt sich noch eine Zigarette an, und zum ersten Mal an diesem Tag macht er sich deshalb keine Vorwürfe. Er hört das einsame Geheul, hört seinen Statistiker Zahlen in Pseudo-Französisch aufsagen. Das alles gehört zu ein und derselben Sache, der Empfindung von etwas Zusammenklappbarem, das gefaltet irgendwo verstaut ist, und dem Schultrübsinn, der Jahrzehnte zurückliegt – dem letzten, bedrückenden Tag der Sommerferien, wenn der Spielraum zu einer Schraubendrehung zusammenschrumpft. Diesen Tag hat er nie abschütteln können, den letzten Sonntag vor dem ersten Schulmontag. Der zog einen merkwürdigen, tiefen Schatten bis an den westlichen Rand des Nachmittags.

Er möchte nach Hause und seiner Tochter zuschauen, wie sie mit dem Fahrrad durch das Laub auf der Straße fährt.

Dark reckt sich nach einem Wurf und schlägt einen Bouncer, der wie ein Blindenhund zum Firstbaseman schleicht und vom äußersten Ende seines Handschuhs abprallt.

Ein Kopf lugt über die Decke, der Tontechniker von KMOX,und er erzählt einen Witz über den schnellsten Liebhaber von Mexiko – voon Mähicko. Ein unglaublicher Bursche namens Speedy Gonzalez.

Russ denkt die ganze Zeit, Hit, wirft aber einen Routineblick auf die Clubhaus-Anzeige direkt in der Mitte, ob das erste E von CHESTERFIELD aufleuchtet und einen Fehler anzeigt, E wie Error.

Robinson nimmt den Ball auf den ersten Metern des rechten Außenfeldes auf.

»Also, da macht einer Flitterwochen in Acapulco, und er hat tausend Geschichten über die wahnsinnige Geschicklichkeit von Speedy Gonzalez gehört, tja, und ehrlich gesagt macht er sich Sorgen, er ist vollkommen überdreht, und in der ersten Nacht, der Nacht der Nächte, liegt er mit seiner Frau im Bett und hat die ganze Zeit seinen Mittelfinger in ihre Muschi gestöpselt, damit Speedy Gonzalez sich auch ja nicht dazwischendrängelt, wenn er gerade mal nicht hinguckt.«

Mueller geht auf Position und läßt den ersten Wurf durch, zu tief.

Auf der Spielerbank der Dodgers greift ein Trainer zum Telefon und ruft zum achtzehnten Mal den Aufwärmplatz an, um zu erfahren, wer gut wirft und wer nicht.

Mueller sieht einen Fastball auf Hüfthöhe und schafft einen Single nach rechts.

»Dann muß er aber ums Verrecken eine rauchen und lehnt sich ganz kurz rüber, um sich Zigaretten und Streichhölzer zu nehmen.«

Russ beschreibt Dark, der aufrecht die Third Base erreicht. Und Thomson steht mit erhobenen Armen in der Spielerbank, seine Finger umkrallen die Dachkante hinter ihm. Russ beschreibt Zuschauer, die in den Gängen stehen, und andere, die sich nach unten zum Spielfeld bewegen.

Irvin streift das Trainingsgewicht von seinem Schläger.

»Er steckt sich also schnell eine an und rollt sich schleunigst mit ausgestrecktem Mittelfinger zurück ins Bett.«

Maglie sitzt schon in Unterhosen im Clubhaus, im typischen Nachspiel-Zustand aus Auflösung und Achselgestank – Abbild des Mannesinnersten in Trümmern, könnte man sagen –, und schluckt Bier aus der Flasche.

Irvin geht auf Position.

Russ beschreibt Newcombe, tiefes Luftholen, Strecken der Arme überm Kopf. Er beschreibt Newcombe, der nach dem Zeichen Ausschau hält.

»Da sagt Speedy Gonzalez, Sen-jo-oor, Sie ha'm Ihren Finger in meinem A-arsch stecken.«

Russ hört das meiste davon und hätte lieber drauf verzichtet. Reißt selber einen kleinen Witz, wobei er halb aufsteht und seine Anzugjacke übers Mikro zieht, damit nicht die kleinste Silbe Schweinkram an die Ohren seiner Zuhörer dringt. Anständige Leute da draußen.

Fastball, zu hoch und zu weit außen.

Die Menge hört sich unsicher an. Die Leute wissen nicht, ob sich die Truppen noch sammeln oder ob es mal wieder ein zäher Rattenschwanz von Endphase wird, was die Qual nur verlängert. Ein hoher, aufgeregter Lärm, der Russ an ungeduldiges Warten auf einem Bahnhof denken läßt.

Irvin versucht übereifrig, einen Donnerschlag zu landen, aber Russ hört, wie die Menge aus tiefster Seele den kläglichen Bogen des Baseballs nachvollzieht, ein gestöhnter Vokal, der weich zu Boden sinkt. Der Firstbaseman hebt ihn auf und berührt die Base.

Anständige Leute da draußen. Russ möchte gern glauben, daß sie sich immer noch irgendwie erkennbar versammeln, eine große Familie vorm Radio, alte Linien und Bande und Verwandtschaften.

Lockman geht auf Position, der blonde Struwwel aus Carolina.

So wie man sich bei ihm zu Hause immer vorm Grammophon versammelte, um der großen Oper zu lauschen, den gerollten R's aus dem alten Europa. Diese Gedanken verblassen, kehren zurück. Lenken ihn nicht ab. Er sieht hellwach jede Bewegung auf dem Feld.