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Geld allein macht nicht glücklich! Das stellen auch Peter und der Prof fest, als sie Pia kennenlernen. Pias Familie ist steinreich, aber total zerstritten. Und wenn’s um Kohle und Konsorten geht, ist das Verbrechen meist nicht fern. »Erzähl«, sagte der Prof. »Was läuft hier ab?« »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Deshalb habe ich doch solche Angst. Irgendwas passiert, bei dem ich keinen Durchblick habe.« »Wie lange hast du schon den Verdacht, dass etwas nicht stimmt?«, fragte ich. »Wie hat das alles angefangen?« Seine Familie kann man sich nicht aussuchen, seine Freunde schon! Und mit Peter und dem Prof hat Pia keine schlechte Wahl getroffen. Immerhin stehen ihr die beiden mit ihrem vielfach erprobten Spürsinn zur Seite, als es darum geht, ein paar Fragen zu beantworten: Warum wird Pias Vater von fiesen Schlägertypen heimgesucht? Von wem stammen die mysteriösen Anrufe mitten in der Nacht? Und was hat Pias knasterprobte Mutter mit all dem zu tun? Die Freunde wollen das komplette Umfeld der Familie unter die Lupe nehmen, wie praktisch also, dass eine opulente Party ins Haus steht – die nebenbei auch noch Spaß verspricht. Doch der hat endgültig ein Ende, als ein Anschlag verübt wird, und die beiden Hobbyermittler stellen wieder einmal fest: Den Ausgang eines Falles kann man sich nicht aussuchen, den Weg dorthin schon. »Verrat auf See« ist der zehnte Band der Jugendkrimi-Reihe Peter und der Prof – Geld stinkt! Aus dem Norwegischen übersetzt von Gabriele Haefs
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Seitenzahl: 179
Aus dem Norwegischen
Copyright © 1995, Ingvar Ambjørnsen
Übersetzt von Gabriele Haefs
Copyright der überarbeiteten eBook-Ausgabe © 2014 bei Hey Publishing GmbH, München
Die Norwegische Originalausgabe erschien 1995 unter dem Titel »Mordet på Aker Brygge« im J.W. Cappelens Forlag, Oslo
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Covergestaltung: Sarah Borchart, ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: FinePic®, München
Autorenfoto: © Christine Poppe
ISBN: 978-3-942822-87-9
Verrat auf See ist der zehnte Band der Jugendkrimi-Reihe Peter und der Prof. Eine Auflistung weiterer Titel finden Sie am Ende des Buches (bitte hier klicken).
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Geld allein macht nicht glücklich! Das stellen auch Peter und der Prof fest, als sie Pia kennenlernen. Pias Familie ist steinreich, aber total zerstritten. Und wenn’s um Kohle und Konsorten geht, ist das Verbrechen meist nicht fern.
»Erzähl«, sagte der Prof. »Was läuft hier ab?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Deshalb habe ich doch solche Angst. Irgendwas passiert, bei dem ich keinen Durchblick habe.«
»Wie lange hast du schon den Verdacht, dass etwas nicht stimmt?«, fragte ich. »Wie hat das alles angefangen?«
Seine Familie kann man sich nicht aussuchen, seine Freunde schon! Und mit Peter und dem Prof hat Pia keine schlechte Wahl getroffen. Immerhin stehen ihr die beiden mit ihrem vielfach erprobten Spürsinn zur Seite, als es darum geht, ein paar Fragen zu beantworten: Warum wird Pias Vater von fiesen Schlägertypen heimgesucht? Von wem stammen die mysteriösen Anrufe mitten in der Nacht? Und was hat Pias knasterprobte Mutter mit all dem zu tun? Die Freunde wollen das komplette Umfeld der Familie unter die Lupe nehmen, wie praktisch also, dass eine opulente Party ins Haus steht – die nebenbei auch noch Spaß verspricht. Doch der hat endgültig ein Ende, als ein Anschlag verübt wird, und die beiden Hobbyermittler stellen wieder einmal fest: Den Ausgang eines Falles kann man sich nicht aussuchen, den Weg dorthin schon.
»Verrat auf See« ist der zehnte Band der Jugendkrimi-Reihe Peter und der Prof – Geld stinkt!
Es war so heiß, wir hätten auf der Fensterbank Spiegeleier braten können. Meine Mutter hatte alle Fenster in der Wohnung sperrangelweit aufgerissen, aber das änderte rein gar nichts. Die Hitze erhob sich draußen wie eine Mauer und wir hatten Windstärke minus eins. Mein Alter lungerte in der Unterhose herum, grummelte etwas über die Klimakatastrophe und hatte alle Arbeit an den Nagel gehängt. Er war sauer und schweigsam und ging bei jeder Kleinigkeit an die Decke. Meine Mutter und Klein-My kamen besser zurecht. Sie ließen sich fast nur noch zum Essen und Schlafen zu Hause sehen. Ansonsten waren sie am FKK-Strand in Huk oder draußen auf den Inseln. Der Anblick ihrer braunen Gestalten und der Geruch von Salzwasser und Sonnenöl trieben mich zum Wahnsinn. Denn ich selber musste auf der Bude hocken und für die Prüfungen büffeln. In Mathe und Englisch war ich eine absolute Null.
Das Telefon in der Diele klingelte. Ich hörte, wie mein Alter sich aus dem Sessel hochquälte. Gleich darauf stand er in meiner Zimmertür.
»Für dich.«
»Wer denn?«, fragte ich.
Er schlurfte zu seinem schweißnassen Sessel zurück. »Keine Ahnung. Irgendein Frauenzimmer.«
Ich ging zum Telefon. »Ja, hier Peter.«
»Peter Pettersen?« Ihre Stimme klang weich und dunkel, eine Stimme, wie sie bei einem armen Würstchen wie mir die wildesten Phantasien auslösen konnte.
»Höchstpersönlich.«
»Ich bin Pia Winger«, sagte sie. »Ich … du kennst mich nicht, aber ich weiß sehr gut, wer du bist. Ich dachte, vielleicht könnte ich mal eine Runde mit dir und deinem Kumpel reden?«
»Mit dem Prof?«
»Ja, es ist wichtig.«
Ich fragte: »Worum geht's denn?«, aber damit wollte sie am Telefon nicht rausrücken. Mir kam das alles ziemlich verkrampft vor, deshalb zögerte ich zunächst einmal. Meine Nase war ein paar Mal in den Zeitungen zu sehen gewesen und es kam schon vor, dass mich ziemlich durchgeknallte Figuren anriefen. Andererseits hätte ich gern den Mund gesehen, in dem diese Stimme hauste. Ich hätte übrigens so ungefähr alles lieber gemacht als Mathe zu büffeln, deshalb sagte ich Ja.
»Um acht«, sagte sie. »Geht das?«
»Alles klar«, sagte ich.
Sie gab mir ihre Adresse. Sie wohnte unten auf Aker Brygge.
Ich ging einen Stock tiefer zum Prof. Er war allein zu Hause und bastelte an einer Eismaschine herum, die er in einem Trödelladen gefunden hatte. Er hatte das ganze Gerät auseinander geschraubt und der Küchentisch war bedeckt mit Schrauben und Leitungen.
»Weg mit dem Roboter da«, sagte ich. »Wir haben ein Rendezvous mit Pia Winger.« Ich erklärte ihm, dass ich viel mehr als das wirklich nicht wüsste.
»Pia Winger?« Er befreite mit den Vorderzähnen ein Stück Kupferdraht von seiner Isolierung. Spuckte Plastik aus. »Da klingelt's bei mir irgendwo, Pettersen.«
»Kennst du sie?«
»Nix.« Er tippte sich an die Schläfe. »Aber der Name liegt hier irgendwo auf meiner Festplatte.«
Ich schaute auf die Uhr. Es war fast sieben. »Na gut. Was passiert also? Ich hätte auch nichts dagegen mich allein mit ihr zu treffen.«
»Natürlich komm ich mit«, sagte der Prof mit unverschämtem Grinsen. »Ich hab ja schließlich keine Probleme mit Mathe und Englisch.«
Unten auf Aker Brygge herrschte das pure Chaos aus halb nackten Körpern und schwappenden Bierkrügen. Draußen auf der Pontonbrücke und vor den Straßencafés an der Promenade kochte die Luft nur so vor Lachen und Lärm. Überall segelten tolle Frauen mit wildem Hüftschwung und bebendem Busen durch die Gegend. Der Fjord war spiegelglatt, es roch nach Krabben und Salzwasser. Ich fragte mich, welcher Sadist wohl die Prüfungen in diese Jahreszeit gelegt hatte.
Die rote Zunge des Prof kratzte an einem riesigen Softeis. »Jetzt werden wir einen Blick in eine andere Welt werfen, Peter, das ist dir doch klar?«
Ich starrte an den Fassaden aus Glas und Mauerwerk hoch. Ganz oben, über Restaurants und sauteuren Geschäften, liegen so ungefähr die phantastischsten Wohnungen von ganz Oslo.
»Ja«, sagte ich. »Pia Winger will bestimmt keinen Hunderter von uns schnorren.«
Wir fanden die richtige Adresse. Die Glastür war natürlich abgeschlossen, damit Leute wie wir nicht auf die Idee kommen konnten, in die Marmorecken zu pissen. An den Wänden war ein mittelgroßer Urwald aufgebaut, mitten im Raum plapperte ein kleiner Springbrunnen mit sich selber. Ich presste den Zeigefinger auf den Knopf mit dem Namenszug Winger und bald darauf hörte ich wieder ihre dunkle Stimme. Wir mussten nach ganz oben. So nah zum Himmel, wie es in diesem Teil der Stadt überhaupt möglich ist. Der Fahrstuhl summte und der Prof und ich stolperten in die Herrlichkeit hinein: ein High-Speed-Lift.
Pia Winger war wirklich eine Schönheit. So ungefähr das Schönste, was ich je gesehen hatte. Sie war in unserem Alter, hatte halblange dunkle Haare und fast schwarze Augen. Sie trug schwarze Leggings und ein gelbes T-Shirt, das Klein-My sicher gepasst hätte. Für Pia Winger war es streng genommen ein bisschen zu klein, aber das machte nichts, denn auf diese Weise konnte ihr kupferbrauner Nabel uns anlächeln.
»Kommt rein«, sagte sie. »Schön, dass ihr kommen konntet.« Ich will nicht übertreiben. Es war nicht die größte Butze, die ich je gesehen hatte. Aber die Wohnung war durchaus geräumig, um das mal so zu sagen. Im Wohnzimmer hätte man zum Beispiel problemlos Basketball spielen können. Hohe Glasfenster schauten auf eine große Terrasse und auf eine Aussicht, die mir fast den Atem nahm. Der Oslofjord in goldener Abendsonne. Weiße Segel und grüne Inseln.
Pia führte uns auf die Terrasse. »Möchtet ihr was trinken?«
»Ja, bitte«, sagte der Prof. »Für mich ein Gin Tonic, für meinen Kumpel ein Glas Wasser. Der muss heute nämlich fahren.«
Sie musterte uns unsicher.
»Zwei Cola«, sagte ich. »Falls vorhanden.«
Sie verschwand und wir glotzten.
»I don't believe it«, sagte der Prof leise. Dann grinste er mich an: »Soll ich das übersetzen?«
Ich ignorierte diese Frechheit.
»Hier riecht's nach Steuerhinterziehung, dass mir schon die Nasenlöcher brennen«, sagte er dann. »Ehrliche Menschen haben keine solche Aussicht.«
»Kannst du deine Vorurteile nicht für eine halbe Stunde an den Nagel hängen?«, fragte ich. »Oder zumindest, bis wir wissen, was sie von uns will?«
Der Prof hob beide Handflächen.
Hinter uns klirrten Eis und Gläser. Pia stellte die Getränke auf einen niedrigen Tisch. »Kommt, setzt euch.«
Das taten wir. Wir tranken einander zu und der Prof sagte Nettigkeiten über die Aussicht.
Pia nippte zweimal nervös an ihrem Glas O-Saft. »Ich habe Angst, irgendwer versucht meinen Vater fertig zu machen«, sagte sie. »Deshalb wollte ich mit euch sprechen.«
Oh Himmel, dachte ich. Noch eine, die an den Weihnachtsmann glaubt. Der Prof bedachte mich mit einem säuerlichen Grinsen. Na gut. Schließlich hatte ich uns diese Suppe eingebrockt.
Ich sagte: »Pia … wenn du aus irgendeinem Grund Angst um deinen Vater hast, dann musst du dich an die Bullerei wenden. Klar, der Prof und ich sind über den einen oder anderen Fall gestolpert und haben ihn auch auf irgendeine Weise aufklären können. Aber das hier ist kein Fernsehkrimi.« Ich zeigte mit dem rechten Zeigefinger auf mich selber. »Ich bin ein ganz normaler Typ von sechzehn Jahren, der sich auf ziemlich miese Prüfungsergebnisse vorbereitet. Verstehst du? Der Prof und ich sind keine Privatdetektive. Auch wenn die Boulevardpresse uns so darstellt.«
»Das weiß ich doch«, sagte sie leise. »Ich dachte nur …«
Der Prof erhob sich und ging pfeifend über die Terrasse.
»Kümmer dich nicht weiter um ihn«, sagte ich. »Der spielt manchmal gern den Mistkerl. Was macht dein Vater denn eigentlich? Seefahrtsbranche?«
»Nein, Gastronomie. Ich glaube, er wird auf irgendeine Weise unter Druck gesetzt.«
»Warum glaubst du das?«
»Weil er sich in letzter Zeit total verändert hat.«
»Das hat mein Vater auch«, sagte ich. »Das liegt an der Hitze.«
Ihre Augen sprühten Funken. »Okay, Peter Pettersen! Wenn du mir nicht helfen willst, dann gut. Aber versuch ja nicht mich hier anzuscheißen. Das lass ich mir nämlich nicht gefallen.«
»'tschuldigung«, sagte ich. »Aber das mit der Bullerei habe ich wirklich so gemeint. An die musst du dich wenden.«
»Das ist einfach unmöglich. Mein Vater würde im Achteck springen.«
»Na gut. Aber du musst doch noch mehr erzählen können, als dass er sich in letzter Zeit verändert hat? Er hat doch sicher auch seine Launen, wie alle anderen. Hat er vielleicht Ärger im Job?«
Sie bedachte mich mit einem Blick, den ich bis in die Eier spürte. »Ich kapier das nicht«, sagte sie. »Hörst du mir jetzt zu oder hörst du mir jetzt nicht zu?«
»Natürlich hör ich dir zu«, sagte ich. »Aber …«
»Peter! Pia!«
Das war der Prof. Er stand in der Terrassenecke und beugte sich über ein riesiges Teleskop, das am Geländer festgeschraubt war.
Wir sprangen auf und stürzten zu ihm hinüber. Unten im Hafen strömten die Leute bei einem Cabincruiser der Megaklasse zusammen. Jemand schrie.
Der Prof drehte am Teleskop herum. »Da unten liegt eine Leiche im Wasser«, sagte er.
Die ganze Kiste war ja total unwirklich. Der Anblick von Aker Brygge selber, mit den sonnenbraunen Leuten und dem frohen Lachen, hatte null und nichts mit dem Tod zu tun.
»Mach keinen Scheiß«, sagte ich. »Du musst dich irren.«
»Sieh doch selber, Mann!« Der Prof überließ mir seinen Platz. Hinter mir hörte ich eilige Schritte und gleich darauf fiel eine Tür ins Schloss. Falls ihre Vorfahren nicht in einem Hinterzimmer schliefen, hatte Pia uns die Bude überlassen.
Ich drehte das Teleskop schärfer. Es war einfach unglaublich leistungsfähig. Fast hätte ich die Mitesser im Nacken eines fetten Sacks zählen können, der da unten mit den Armen fuchtelte. Ich wanderte zum Hafenbecken weiter, in dem der Cabincruiser lag, und sah die erste Leiche meines Lebens. Es konnte leider keinen Zweifel geben. Lebendige Menschen trieben nicht ganz still mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Angezogen war der Tote auch. Helle Hose und rotes Hawaiihemd. Ich hatte ein verdammt mieses Gefühl. Nicht nur weil ich eine Leiche anglotzte, sondern auch weil Pia es plötzlich so eilig gehabt hatte. Vor nur wenigen Minuten hatte sie erzählt, dass sie Angst hatte, jemand setze ihren Vater unter Druck. Der Prof hatte offenbar so ungefähr dasselbe gedacht, denn jetzt sagte er: »Wenn der Typ da unten …«
»Wenn der Typ da unten Pias Vater ist, dann wirst du garantiert bereuen, dass du so verdammt unhöflich warst«, sagte ich. Ich ließ das Teleskop los und stützte mich schwer auf das Geländer. Oben beim Rathaus leuchteten zwei Blaulichter auf. Ein Streifenwagen und ein Krankenwagen bahnten sich den Weg durch den Verkehr.
»Das kann nicht möglich sein«, sagte der Prof. »Das ist ein mieser Film.«
»Warte hier«, sagte ich. »Ich halte Ausschau nach Pia.«
»Ich komme mit«, sagte er.
»Irrtum«, sagte ich. »Du bleibst hier. Bei dem Tempo, das sie vorgelegt hat, kann sie sehr gut ihre Schlüssel vergessen haben. Schau dich lieber ein bisschen hier oben um. Ich habe ganz stark das Gefühl, dass sich hier irgendwas zusammenbraut, und wir wissen doch nicht, ob wir noch häufiger hier oben das Parkett platt treten werden.«
»Na gut«, sagte der Prof. »Wonach soll ich mich umsehen?«
»Nach Leuten. Du musst ganz sicher sein, dass du hier oben allein bist, bevor du Schubladen und Schränke durchwühlst. Wenn ich Pia finde, klingele ich unten einmal, ehe wir hochkommen. Dann packst du deinen Hintern ein und bringst ihn zurück auf die Terrasse.«
Ich ging.
Manche sterben ruhig in einem Krankenhausbett oder vielleicht zu Hause auf dem Sofa. Sie werden diskret davongetragen und in einen Sarg gelegt und nur ihre nächsten Angehörigen erfahren davon. Bei dem Mann, der an diesem Juniabend im Osloer Hafenbecken lag, sah das anders aus. Er hatte ein Publikum von mehreren hundert Menschen. Als ich unten ankam, stieß ich gegen eine Wand aus sonnenbraunem Fleisch, es war fast kein Durchkommen. Die beiden Blaulichter hatten dasselbe Problem. Der Wachdienst von Aker Brygge musste in einigen Fällen ziemlich energisch zulangen, um dem Wagen einen Weg freizuräumen. Ich sah, dass der eine ein Feuerwehrauto war, kein Krankenwagen, wie ich gedacht hatte. Die Feuerwehr war für solche Fälle zuständig. Vermutlich hatten sie rund um die Uhr Taucher in Bereitschaft.
Ich ging in die Hocke und quetschte mich durch die Beine der Schaulustigen hindurch. Als ich endlich das Hafenbecken erreichte, waren schon zwei Taucher ins Wasser gestiegen. Sie hatten es nicht sehr eilig, der Mann war ja einwandfrei tot. Ich fürchtete einen Moment, er könne schon sehr lange tot gewesen sein, ich hatte keine Lust, für den Rest meines Lebens eine Horrorerinnerung mit mir herumzuschleppen. Aber als die Taucher die Leiche dann zum Beckenrand gebracht hatten und die Polizisten sie nach oben zogen, sah ich zu meiner Erleichterung, dass der Mann Gesicht und Haare hatte. Er schien zu schlafen. In diesem Moment entdeckte ich Pia. Sie war zwischen zwei Fleischbergen in Bermuda-Shorts eingeklemmt.
Und sie weinte und nagte an ihrem kleinen Finger. Verdammt, dachte ich. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich hatte noch nie Leute trösten müssen, die ihren Vater verloren hatten. Ich hielt das auch für ziemlich unmöglich, aber einen Versuch musste ich immerhin machen.
»Lasst mich durch, zum Teufel«, fauchte ich. Das half.
Pia zuckte zusammen, als sie mich sah. Ich zog sie zwischen Muskeln und Bermudas hervor und hielt sie plötzlich in den Armen. Ihre Haare dufteten nach Sonne und sie zitterte heftig.
»Das ist wirklich schrecklich«, sagte ich und streichelte vorsichtig ihren Rücken. »Das ist einfach schrecklich.«
»Reg dich ab«, schniefte sie. »Er ist nicht mein Vater.«
Ich hatte das Gefühl, nach einem Tagesmarsch einen bleischweren Rucksack ablegen zu dürfen. Oder vom Boden abzuheben. Ich hätte gern laut gelacht, aber das tat ich natürlich nicht.
»Na los«, sagte ich. »Weg hier.«
Ich zog sie durch die Menschenmenge und unter die Markise eines Straßencafés, das jetzt so gut wie leer war. Sie wischte sich mit einem T-Shirt-Zipfel die Augen trocken und riss sich gewaltig zusammen.
»Schieß los«, sagte ich. »Behaupte nicht, dass du ihn nicht kennst.«
Sie schüttelte den Kopf. »Hast du eine Zigarette?«
Ich gab keine Antwort. Ich lief ins Restaurant und kaufte für mein letztes Geld eine Schachtel Prince und Streichhölzer. Gab ihr eine Kippe und danach Feuer. Sie machte einen Lungenzug und stieß den Rauch dann durch die Nase wieder aus. »Das war Onkel Magne«, sagte sie.
»Dein Onkel?«
»Nein, das nicht … er ist kein echter Onkel. Wir nennen ihn nur so. Ich kenne ihn mein Leben lang. Mein Vater und er waren schon vor meiner Geburt Geschäftspartner.«
»Pia!«, sagte ich. »Das musst du denen dahinten erzählen!« Ich nickte zu den uniformierten Jungs und Mädels am Beckenrand hinüber. Sie hatten die Leiche jetzt auf eine Bahre gelegt und schoben sie in den Feuerwehrwagen.
»Nein«, sagte Pia. »Jetzt nicht.« Sie ging vor mir her zum Eingang des Palasts, in dem sie wohnte, und ich sah ein, dass es blödsinnig von mir gewesen wäre, sie jetzt zu etwas überreden zu wollen.
Sie hatte ihren Schlüssel nicht vergessen. Ich weiß wirklich nicht, wo sie ihn aufbewahrt hatte, denn das Einzige, was sich unter ihrer hautengen Kleidung ausgebeult hatte, war weich und rund gewesen.
Ich machte einen kurzen Besuch beim Klingelknopf, dann folgte ich ihr ins Haus.
Der Prof war genau da, wo er hingehörte. Auf der Terrasse. Aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er garantiert eine Runde durch die Wohnung gedreht hatte. Pia und ich waren zwar nur eine knappe halbe Stunde weg gewesen, aber auch in dieser Zeit hatte er allerlei in Erfahrung bringen können.
Er sah aufrichtig mitfühlend aus. Und ich wusste, dass er nicht nur so aussah. Er konnte zwar manchmal wie der pure Graf Rotz auftreten, aber seine Seele war weich wie Pudding.
Ich sagte ihm, was Pia mir eben erzählt hatte. Falscher Alarm, was ihren Vater betraf, aber immerhin hatte sie einen geliebten Menschen verloren.
Wir setzten uns wieder an den Tisch. Pia senkte den Kopf und starrte ihre leeren Hände an.
»Erzähl«, sagte der Prof. »Was läuft hier ab?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Deshalb habe ich doch solche Angst. Irgendwas passiert, bei dem ich keinen Durchblick habe.«
»Wie lange hast du schon den Verdacht, dass etwas nicht stimmt?«, fragte ich. »Wie hat das alles angefangen?«
»Moment«, sagte der Prof. »Dein Vater ist Karl Winger, ja?«
Sie nickte. »Ja, das stimmt.«
»Gut. Dann finde ich es ein bisschen untertrieben, wenn du sagst, er sei in der Gastronomie tätig.«
»Ich bin eben nicht zum Protzen erzogen«, sagte sie.
Der Prof sah mich an. »Karl Winger ist einer von den ganz großen Jungs in den Hotels und Restaurants dieser Stadt. Oder eigentlich in ganz Norwegen.«
Ich war nicht besonders überrascht. Ich hatte nicht erwartet, dass der Besitzer dieser Wohnung eine Würstchenbude in der Oststadt betrieb.
»Ich wollte nur diese Karte sofort auf dem Tisch haben«, sagte der Prof. »Wenn er in irgendeiner Klemme steckt, dann fürchte ich, die Kiste ist eine Nummer zu groß für zwei Typen wie uns, aber darüber reden wir später. Du erzählst uns, was du weißt, und dann sehen wir weiter.«
»Anfangs hatte ich eben nur so ein Gefühl«, sagte Pia. »Wir wohnen hier allein und bestimmt bin ich diejenige in der Familie, die ihn am besten kennt.«
»Sind deine Eltern geschieden?«, fragte ich.
Der Prof starrte mich gereizt an.
»Ja«, sagte Pia. »Zum Glück. Ich habe auch eine Schwester, aber die hat eine eigene Wohnung in Majorstua. Wie gesagt, anfangs war das ein ganz vages Gefühl. Mein Vater kam mir so geistesabwesend vor, wenn er abends nach Hause kam. Und wenn ich ihn was gefragt habe, dann gab er die wildesten Antworten.«
Himmel, dachte ich. Redet sie hier von meinem Vater?
»Aber vor ein paar Wochen kamen dann ziemlich seltsame Mitteilungen auf seinen Anrufbeantworter«, erzählte Pia. »Er hat hier ein Arbeitszimmer mit einem eigenen Anschluss. Ich höre den Anrufbeantworter ab und zu ab, manchmal verwechseln Bekannte von mir nämlich unsere Nummern.«
»Drohungen?«, fragte der Prof.
»Das nicht gerade. Da ist nur eine ziemlich ekelhafte Stimme. So ein Typ, der sich nach der Gesundheit meines Vaters erkundigt und so. Einmal hat er gesagt, dass es mir hoffentlich gut geht. Ich kann das nicht richtig erklären, aber es macht mir Angst, wie er redet.«
»Das kann ich gut verstehen«, sagte ich. »Aber keine Namen?«
»Nein. Keine Namen.«
»Hast du mit deinem Alten darüber geredet?«, fragte der Prof.
Sie lächelte.
»Schon gut«, sagte der Prof. »Blöd von mir. Karl Winger findet das sicher nicht toll, wenn andere an seinem Anrufbeantworter rumspielen.«
»Nein«, sagte sie. »Genau.«
»Wo ist er jetzt?«, fragte ich.
»Bei irgendeiner Besprechung. Wird erst nach Mitternacht wieder zu Hause sein.«
»Dann los«, sagte der Prof. »Kann doch sein, dass unser kleiner Kotzbrocken sich mal wieder gemeldet hat.«
Pia führte uns in ein Arbeitszimmer mit Bücherregalen und Kunst an den Wänden. Auch dieses Zimmer schaute auf den Fjord und vor dem Fenster stand ein riesiger Schreibtisch aus dunklem Holz. Pia ließ den Anrufbeantworter ablaufen, aber der konnte nur höfliche Knaben mit Namen und Kontonummern liefern.
»Na ja«, sagte ich. »Den Versuch war's wert. Aber du musst uns mehr über diesen Schwipponkel erzählen, Magne oder wie der hieß.«
Pia verzog ganz kurz das Gesicht. »Magne Vendel.« Ihre Augen flössen über und der Prof und ich warteten höflich, bis sie sich wieder gefasst hatte. »Was soll ich sagen? Ich habe ihn immer schon gekannt. Er und Tante Lene sind in den Ferien immer mit uns verreist … ach, Himmel! Ich muss Lene anrufen.«
»Nein«, sagte der Prof. »Das musst du nicht. Das überlässt du der Polizei, Schluss, aus.«