Verschenkter Rat - Ilse Aichinger - E-Book

Verschenkter Rat E-Book

Ilse Aichinger

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Beschreibung

»Hör gut hin, Kleiner, / es gibt Weißblech, sagen sie, / es gibt die Welt, / prüfe, ob sie nicht lügen.« Ilse Aichingers Gedichtsammlung ›Verschenkter Rat‹ gilt seit ihrem Erscheinen als ein Höhepunkt deutschsprachiger Nachkriegslyrik. Die Aufforderung zur Unabhängigkeit, zum Nichteinverstandensein mit staatlichen, gesellschaftlichen und religiösen Erwartungen wird in schlichten, in ihrer Schlichtheit aber umso subversiveren Versen proklamiert. Von Verlust, von Trauer und von Hingabe sprechen diese Gedichte, von den verlorenen Orten der Kindheit, von Gewalt und errungener Gewaltlosigkeit, vom Glück gesteigerter Wahrnehmung und vom Widerstand, den die scheinbar einfache Betrachtung lehrt.

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Seitenzahl: 44

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Ilse Aichinger

Verschenkter Rat

Gedichte

FISCHER E-Books

Inhalt

GebirgsrandWinterantwortSonntagvormittagMarianneAußer LandesWidmungMägdemangelDie trüben Stunden nutzendDorfwegBriefwechselRauchenbergSpätMein VaterEnde des UngeschriebenenBei LinzTeil der FrageWinterfrühJüngste NachtVersuchBaumzeichnenSpaziergangSt. GilgenHeuKartenspielBobingers KlageAtterseeBreitbrunnWinteranfangSelbstgebautAnweisungAuf SichtMirZwei Orte, zusammengelegtWinterrichtungWinter, gemaltLeichte WahlUnsere FrauOrtsanfangOrtsendeFlorestanKönigsreimLesenFalternameHochzeitszugDreizehn JahreGonzagagasseOhne JahreBefehl des Baumeisters beim Bau der Prinz-Eugen-StraßeTriestWunschMeiner GroßmutterMittlerer WahrspruchDurch und durchZeitrechnenAbgezähltNachrufZuspruch an einen Mann, der dreiundzwanzig Jahre im Bett blieb und dann aufstandSeitlicher DurchblickVerlorenes ManöverDas GeburtshausSommerfestMärzMärzwunsch an den GartenDanachChinesischer AbschiedAlter BlickRestlosAusgedachtDem Ende zugedachtSchneeleuteIn welchen NamenFahndungsbildKleine SummeOhne BündelNeuer BundEinunddreißigIn und GrimmÜbermorgenTagsüberZeitlicher RatMöglichkeitenFindelkindZugehörigVerfrühtKurzes SchlafliedBitteAn einen 4. MärzLose SprossenErwiderungAn einen jungen GerberVerschenkter RatIn einemAnhangEditorische NachbemerkungBibliographische Hinweise

Gebirgsrand

Denn was täte ich,

wenn die Jäger nicht wären, meine Träume,

die am Morgen

auf der Rückseite der Gebirge

niedersteigen, im Schatten.

Winterantwort

Die Welt ist aus dem Stoff,

der Betrachtung verlangt:

keine Augen mehr,

um die weißen Wiesen zu sehen,

keine Ohren, um im Geäst

das Schwirren der Vögel zu hören.

Großmutter, wo sind deine Lippen hin,

um die Gräser zu schmecken,

und wer riecht uns den Himmel zu Ende,

wessen Wangen reiben sich heute

noch wund an den Mauern im Dorf?

Ist es nicht ein finsterer Wald,

in den wir gerieten?

Nein, Großmutter, er ist nicht finster,

ich weiß es, ich wohnte lang

bei den Kindern am Rande,

und es ist auch kein Wald.

Sonntagvormittag

Gott zu lieben,

ihn anzubeten

und ihm allein zu dienen.

Rastend

auf dem Weg zu den Höfen

zur bestimmten Stunde

aus der Ferne gesehen

über dem Schnee.

Marianne

Es tröstet mich,

daß in den goldenen Nächten

ein Kind schläft.

Daß sein Atem neben der Schmiede geht

und seine Sonne

schon früh

mit Hahn und Hennen

über das nasse Gras steigt.

Außer Landes

Bücher aus fremden Büchereien,

die erstarkten Tauben.

Käme es auf die Orte an,

die wir zu verlassen

im Stand sind,

mit ihrem Himbeergesträuch,

den Tüchern,

die sich schon im Winde falten,

sie wechseln still hinter uns,

während wir bleiben,

auf den warmen Rücken

der Gärten, steinern

oder aus Sand.

Widmung

Ich schreibe euch keine Briefe,

aber es wäre mir leicht, mit euch zu sterben.

Wir ließen uns sacht die Monde hinunter

und läge die erste Rast noch bei den wollenen Herzen,

die zweite fände uns schon mit Wölfen und Himbeergrün

und dem nichts lindernden Feuer, die dritte, da wär ich

durch das fallende dünne Gewölk mit seinen spärlichen Moosen

und das arme Gewimmel der Sterne, das wir so leicht überschritten,

in eurem Himmel bei euch.

Mägdemangel

Wer bleibt den Felsen auf der Spur,

wer säumt die Gräser,

wer riegelt uns die Plätze

jenseits der Straßen ab?

Die mit den Löffeln aßen,

haben in den Schuhen

die Steine mitgenommen

und sind lange fort.

Wer hilft uns noch,

wer läßt der Sonne jetzt

ihr leichtes Spiel?

Sind wir von Baum zu Baum

allein geblieben

oder bewegen sich die Schatten,

diese Tröster, aus ihren Netzen

bald herab zu uns?

Die trüben Stunden nutzend

Laß das Gelichter

auf den Feldern rasten,

im Dunst, der aufsteigt,

denn nichts leuchtet dir.

Die Grottenbahnen auf den Hügeln

sind jetzt geschlossen,

die Rüben lange aus der Erde,

die Kinder fort.

Die Blumenflechter sind die letzten,

die noch blieben,

sie brennen Öl,

mit ihnen läßt sich reden.

Dorfweg

Die Stare lästern im Herbst

und manchmal höre ich die Türen zweimal schlagen,

einmal davon im Traum.

Wer gab uns die Bilder,

die roten Äpfel

im Garten des Kohlenbrenners,

ungereimt, aber gesonnen zu unterliegen mit uns.

Briefwechsel

Wenn die Post nachts käme

und der Mond

schöbe die Kränkungen

unter die Tür:

Sie erschienen wie Engel

in ihren weißen Gewändern

und stünden still im Flur.

Rauchenberg

Das Zaumzeug,

Kränze an der Mauer,

die erneuerte Spur der Schatten

reicht mir den Weg.

Wo der Wagen rostet

bei den eingesunkenen Hölzern,

neigen sich meine Lieben

leichter über das Dach.

Spät

Holzfarben

und die Kerze

rostrot im Schatten entzündet,

weht der Wind

durch die Schneise,

lockt sich die Sonne hinweg.

Wenn erst

Backhaus und Scheune

sich nach dem Niedergang strecken,

fängt der Himmel

die Stämme,

rostet der Schnee vor dem Jahr.

Mein Vater

Er saß auf der Bank,

als ich kam.

Der Schnee stieg vom Weg auf.

Er fragte mich nach Laudons Grab,

aber ich wußte es nicht.

Ende des Ungeschriebenen

So wird niemand wissen