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Manchmal hält das Leben ganz überraschend eine zweite Chance für uns bereit. Camp Kioga - der Name weckt in Olivia Erinnerungen an die unbeschwerten Sommer ihrer Kindheit, den Duft von Pinien und das klare Wasser des Willow Lake. Doch der einstige Sommersitz der reichen New Yorker ist inzwischen völlig verwildert und zugewachsen. Um ihn für die große Familienfeier der Bellamys im Sommer wieder herzurichten, engagiert Olivia den örtlichen Bauunternehmer. Und kann es nicht glauben, wer da mit einem Mal vor ihr steht: Connor Davis, ihre Jugendliebe. Ihre Gefühle für einander sind nie wirklich erloschen, auch wenn sie sich damals gegenseitig sehr verletzt haben. Gemeinsam schaffen sie es, dem Camp neues Leben einzuhauchen - und geben sich dabei ein Versprechen, das weit über das Ende des Sommers hinaus halten wird.
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Seitenzahl: 606
Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.
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der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Susan Wiggs
Versprechen eines Sommers
Roman
Aus dem Amerikanischen von
Ivonne Senn
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2011 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Summer at Willow Lake
Copyright © 2006 by Susan Wiggs
erschienen bei: MIRA Books, Toronto
Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Stefanie Kruschandl
Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München
Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz /
Crystal Photography
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-111-9 ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-110-2
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
Für das echte goldene Hochzeitspaar,
Nick und Lou Klist.
DANKSAGUNG
Meine tiefste Verehrung für Elsa Watson,
Suzanne Selfors, Sheila Rabe und Anjali Banerjee;
außerdem einen großen Dank an Kysteen Seelen,
Susan Plunkett, Rose Marie Harris, Lois Faye Dyer
und Kate Breslin
für ihr enormes Durchhaltevermögen und ihre Geduld
beim Lesen der frühen Manuskriptauszüge.
Dank an Dale Berg und Mike Sack dafür,
dass sie ihre Erinnerungen an die Campingausflüge
in die Catskills mit mir geteilt haben.
Ein besonderer Dank geht an
Meg Ruley und Annelise Robey
von der Jane Rotrosen Agency
und an meine fabelhafte Lektorin
Margaret O’Neill Marbury.
Willkommen im Camp Kioga
Franklin Delano Roosevelt sagte einmal: „Amerikas größter Beitrag in der Welt sind die Sommercamps.“ Jeder, der Camp Kioga besucht, kann sich persönlich davon überzeugen. Camp Kioga ist ein Ort, wo Träume lebendig sind und atmen, wo man in das kristallklare Wasser eines Sees eintauchen, auf einen Berg klettern und den Blick gen Himmel erheben, nachts verträumt in die glühende Asche eines Lagerfeuers schauen und sich der Vorstellung hingeben kann, was das Leben noch für einen bereithält.
Regeln im Camp Kioga
O livia Bellamy konnte sich nicht entscheiden, was schlimmer war. Auf der Spitze des Fahnenmastes gefangen zu sein, ohne Hilfe in Sicht, oder mit Hilfe in Form eines Hells Angels im Anmarsch.
Ihr Plan, das erste Mal seit zehn Jahren die Flaggen über Camp Kioga zu hissen, war ihr so einfach vorgekommen. Dann war das Seil von der Rolle gerutscht, aber Olivia hatte sich davon nicht aufhalten lassen. Sie hatte die Aluminiumleiter gegen den Mast gelehnt und war bis ganz nach oben geklettert, nur um dort festzustellen, dass sie den Haken nicht erreichen konnte. Das kleine Stück den Mast hinaufzuklettern konnte ja nicht so schwer sein, hatte sie sich gesagt – bis sie dann aus Versehen mit einem Fuß die Leiter umgestoßen hatte.
Dumme Kuh, schimpfte sie sich und klammerte sich mit aller Kraft an den Fahnenmast. Der Weg nach unten war weit, und das hier war nicht gerade die Rutschstange einer Feuerwache. Der galvanisierte Stahl war alt und rostig, und wenn sie daran herunterrutschte, würde sie sich die Haut an Oberschenkeln und Händen aufreißen.
Sie hatte gerade angefangen, sich ganz langsam in Richtung Boden vorzutasten, als von der Straße her das tiefe Dröhnen eines ungedämpften Auspuffs herüberschallte. Sie war so überrascht, dass sie beinahe ihren Griff gelockert hätte. Instinktiv klammerte sie sich fester an den Fahnenmast und schloss die Augen. Geh weg, dachte sie. Wer auch immer du bist, ich kann mich gerade nicht mit dir beschäftigen.
Das Motorengeräusch wurde lauter, und sie öffnete ihre Augen. Der Eindringling entpuppte sich als Motorradfahrer in schwarzer Lederkluft. Sein Gesicht wurde von einem bedrohlich aussehenden Helm und einer Sonnenbrille verdeckt. Hinter dem in schwarzem Lack und Chrom gehaltenen Motorrad erhob sich eine Staubwolke in die Luft.
Was hab ich nur wieder für ein Glück, dachte Olivia. Hier stecke ich mitten im Niemandsland, und der Easy Rider eilt zu meiner Rettung.
Ihre Arme und Schultern fingen unter der ungewohnten Anstrengung an, zu zittern. So viel zu den vielen Stunden Krafttraining im Fitnesscenter.
Der Motorradfahrer hielt am Fuß des Fahnenmastes an, stieg ab und stellte sein Motorrad auf den Ständer. Dann lehnte er sich zurück, um zu ihr hochzuschauen.
Trotz der widrigen Umstände machte sich Olivia Gedanken, wie ihr Po wohl von da unten aussah. So wie sie aufgewachsen war – als Kind, das sich mit Essen tröstete und sich dadurch in der Schule eine ganze Reihe von wenig schmeichelhaften Spottnamen verdient hatte –, war sie nie ganz darüber hinweggekommen, sich Gedanken über ihre Figur zu machen.
Bleib ganz cool, sprach sie sich Mut zu. Laut sagte sie: „Hey.“
„Hey. Wie steht’s?“ Auch wenn sie sein Gesicht nicht sehen konnte, vermeinte Olivia ein Grinsen in seiner Stimme zu hören. Sicher war sie sich, als er hinzufügte: „Okay, tut mir leid. Das konnte ich mir nicht verkneifen.“
Großartig. Ein Klugscheißer.
Sie musste ihm zugutehalten, dass er sie nicht lange leiden ließ. Er nahm die Leiter und lehnte sie gegen den Fahnenmast. „Machen Sie langsam“, sagte er. „Ich halte hier unten fest.“
Inzwischen schwitzte Olivia schon. Sie hatte das Ende ihrer Ausdauer erreicht. Langsam ließ sie sich Zentimeter für Zentimeter herunter, während ihre Shorts Zentimeter für Zentimeter hochkrabbelten. Sie hoffte, dass er es nicht bemerkte.
„Sie haben es gleich geschafft“, rief der Fremde. „Nur noch ein kleines bisschen.“
Je weiter sie nach unten kam, desto weniger klang er wie ein Fremder. Als sie endlich mit einem Fuß die oberste Sprosse der Leiter erreichte, hatte sie eine ganz fürchterliche Ahnung, um wen es sich bei dem Typen handelte. Sie war seit Jahren nicht mal mehr in der Nähe dieses Ortes gewesen, in diesem Camp, wo sie sowohl ihre wildesten Träume als auch ihre schlimmsten Albträume gefunden hatte. Heutzutage kannte sie doch niemanden mehr hier in der einsamen Wildnis nahe den Bergen … oder doch?
Mit beinahe an Hysterie grenzender Neurotik konnte sie nicht aufhören, daran zu denken, dass sie heute Morgen nichts mit ihren Haaren gemacht hatte. Außerdem trug sie nicht ein Fitzelchen Make-up. Sie konnte sich noch nicht einmal daran erinnern, ob sie sich die Zähne geputzt hatte. Und die abgeschnittenen Jeans, die sie trug, waren definitiv zu kurz. Ganz zu schweigen von dem viel zu engen Tanktop.
Mit jedem Schritt, den sie die Leiter herunterkletterte, wurde die Gewissheit stärker, dass am Ende eine große Demütigung auf sie wartete. Um wieder sicheren Boden zu erreichen, musste sie direkt in seine wartenden Arme hinabsteigen, die die Leiter auf beiden Seiten festhielten. Er roch nach Leder und noch etwas anderem. Dem Wind vielleicht.
Ihre Muskeln, die noch vor wenigen Augenblicken protestierend aufgeschrien hatten, drohten nun vor Erschöpfung nachzugeben. Sie hatte ihre letzte Kraft darauf verwendet, seine Arme wegzuschieben, damit sie nicht zwischen ihnen gefangen wurde. Er ließ die Leiter los und streckte seine Hand mit der Handfläche nach oben aus, als wolle er zeigen, dass er in Frieden gekommen war. Seine Hände in den schwarzen Lederhandschuhen wirkten riesig. Darth-Vader-Hände. Terminator-Hände.
„Okay, jetzt sind Sie in Sicherheit“, sagte er.
Sie lehnte sich rückwärts gegen die Leiter. Als sie zu ihm aufschaute, fühlte sich der Boden unter ihr nicht mehr allzu sicher an. Nichts fühlte sich sicher an.
Er war groß. Das Leder betonte seine breiten Schultern. Dann sah sie die Chaps. Ein Motorradfahrer mit Chaps über einer ausgeblichenen Levi’s, das Leder an den richtigen Stellen durchs Tragen ganz weich geworden. Durch die halb geöffnete Jacke erspähte sie ein geripptes T-Shirt. Seine abgetragenen Stiefel sahen aus wie von einem Mann, der in ihnen seiner täglichen Arbeit nachgeht. Abgesehen von den Ketten. Sie konnte sich keinen irdischen Grund für diesen Schmuck vorstellen, außer dass sie sexy waren. Und wie!
„Danke“, sagte sie und trat schnell einen Schritt zur Seite, um nicht länger zwischen Leiter und dem Mann gefangen zu sein. „Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn Sie nicht vorbeigekommen wären.“ In den verspiegelten Gläsern seiner Sonnenbrille konnte sie sich selber sehen – gerötete Wangen, windzerzaustes Haar. Sie wischte sich die Hände an ihren Shorts ab. „Was, ähm …“ Sie zögerte. Vielleicht war er es gar nicht. Vielleicht hatten die frische Luft und der Sonnenschein ihr Gehirn aufgeweicht. Sie bemühte sich um einen neutralen Tonfall und entschied sich, die Sache cool anzugehen. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
„Ich denke, anders herum wird ein Schuh draus. Sie haben eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen. Irgendetwas wegen eines Bauprojekts?“ Mit diesen Worten nahm er die Sonnenbrille ab, löste dann den Helm und nahm auch ihn herunter.
Oh Gott, dachte Olivia. Es sollte jeder sein, nur nicht du.
Langsam zog er die Handschuhe aus, wobei er sie nicht aus den Augen ließ. Er blinzelte. „Müsste ich … kennen wir uns irgendwoher?“
Macht er Witze? fragte sich Olivia. Weiß er es wirklich nicht?
Als sie nicht reagierte, drehte er sich um und hisste gekonnt die Fahne. Sofort flatterte sie wie ein Segel im Wind.
Olivia vergaß, sich zu bewegen, während sie ihn beobachtete. Zu atmen. Zu denken. Ein einziger Blick in diese Augen eines Herzensbrechers, und sie wurde in der Zeit zurückgeschleudert. Die Jahre fielen von ihr ab wie die Blätter eines Kalenders. Sie sah nicht Easy Rider. Sie schaute in das Gesicht eines Mannes, aber in diesen eisblauen Augen konnte sie den Jungen erkennen, der er vor so langer Zeit einmal gewesen war.
Und nicht nur irgendein Junge. Der Junge. Der eine, dem alle ersten Male gehörten, alle wichtigen Meilensteine ihrer aufgewühlten und schmerzhaften Jugend. Der erste Junge, den sie je geliebt hatte. Der erste, den sie geküsst hatte. Der erste, der … Der erste, der ihr das Herz gebrochen hatte.
Eine brennende Hitze ließ sie am ganzen Körper erröten. Vielleicht kam daher der Begriff „alte Flamme“. Irgendjemand wurde von ihr immer verbrannt.
„Connor Davis.“ Das erste Mal seit neun Jahren sprach sie den Namen wieder laut aus. „Interessant, dich hier wiederzutreffen.“ Innerlich will ich sterben, dachte sie. Lieber Gott, lass mich gleich hier auf der Stelle sterben, und ich werde dich nie wieder um etwas bitten, solange ich lebe.
„Ja, das bin ich“, erwiderte er unnötigerweise.
Als wenn sie ihn hätte vergessen können. Das Versprechen des Jungen von damals war in dem vor ihr stehenden Mann erfüllt worden. Er müsste jetzt achtundzwanzig sein, ein Jahr älter als sie. Die etwas schlaksige Größe war mit entsprechender Breite ausgefüllt worden. Sein kokettes Grinsen und die funkelnden Augen waren immer noch gleich, auch wenn die harte Linie seines Kiefers von einem Eintagesbart gemildert wurde. Und er trug – Olivia blinzelte, um sicherzugehen, dass sie es sich nicht nur einbildete –, ja, er trug immer noch den kleinen silbernen Ring im Ohr. Sie selbst hatte das Loch gestochen, das musste dreizehn Jahre her sein.
„Also sind Sie …“ Er studierte eindringlich den Rücken seiner linken Hand, auf den er, wie es aussah, etwas mit rotem Stift notiert hatte. „Sie sind also Olive Bellamy?“
„Olivia.“ Sie betete, dass er sie erkennen würde, so wie sie ihn erkannt hatte, als jemanden aus der Vergangenheit, jemand wichtigen, jemanden, der großen Einfluss auf sein zukünftiges Leben gehabt hatte. Gott, jemand der riskiert hatte, aus dem Camp nach Hause geschickt zu werden, nur um ihm ein Ohrloch zu stechen.
„Ja, tut mir leid. Olivia.“ Er betrachtete sie mit unverhohlenem männlichen Interesse. Ihren entsetzten Gesichtsausdruck hatte er offensichtlich missverstanden. „Ich hatte kein Papier zur Hand, als ich meine Nachrichten abgehört habe“, erklärte er, wobei er auf die rote Schrift auf seinem Handrücken zeigte. Dann runzelte er die Stirn. „Sind wir uns schon mal begegnet?“
Sie gab ein ersticktes Lachen von sich. „Du machst Witze, oder? Das muss ein Scherz sein.“ Hatte sie sich wirklich so sehr verändert? Nun ja, ehrlich gesagt, ja. Es waren beinahe zehn Jahre vergangen. Sie hatte Tonnen an Gewicht verloren. Ihre Haare von Nussbraun zu Honigblond gefärbt. Ihre Brille gegen Kontaktlinsen eingetauscht. Aber trotzdem …
Er starrte sie einfach nur an. Völlig ahnungslos. „Sollte ich Sie kennen?“
Sie verschränkte die Arme, schaute ihm in die Augen und rief sich einen Satz in Erinnerung, an den er sich vielleicht erinnerte, denn er war eine der ersten Lügen, die sie einander erzählt hatten. „Ich bin deine neue beste Freundin“, sagte sie und sah zu, wie alle Farbe aus seinem sonnengebräunten Gesicht wich.
Seine göttlichen blauen Augen verengten sich zu Schlitzen und weiteten sich dann in langsamem Erkennen. Sein Adamsapfel hüpfte, als er schluckte. Dann räusperte er sich.
„Heilige Scheiße“, murmelte er. Seine Hand fuhr in einer unwillkürlichen Geste hoch und berührte den silbernen Ohrring. „Lolly?“
Camp Kioga – Verhaltensregeln
Es wird erwartet, dass jeder an allen Aktivitäten, die auf dem Plan des Camps aufgeführt sind, teilnimmt. Dabei ist auf angemessene Kleidung zu achten. Die Betreuer sind dafür verantwortlich, dass die Camper an allen geplanten Aktivitäten teilnehmen, außer sie können eine Entschuldigung der Camp-Krankenschwester oder des Direktors vorweisen.
Sommer 1991
Lolly.“ Der große, schlaksige Junge, der hinter ihr den schmalen Weg am Berg hinaufkletterte, sprach zum ersten Mal, seitdem sie das Camp verlassen hatten. „Was zum Teufel soll das für ein Name sein? Lolly.“
„Die Art Name, die hinten auf mein Shirt gestickt ist“, antwortete sie und schnippte ihren braunen Zopf über die Schulter. Zu ihrer Bestürzung spürte sie, wie sie errötete. Verdammt, er war nur irgendein Junge, der nicht mehr getan hatte, als ihr eine harmlose Frage zu stellen.
Falsch, dachte sie und hörte förmlich das passende Geräusch eines Gameshow-Buzzers in ihrem Kopf. Er war der vermutlich süßeste Junge von Eagle Lodge, der Gruppe für die Zwölf- bis Vierzehnjährigen. Und es war auch keine Frage, sondern mehr eine Bemerkungen gewesen, die zum Ziel hatte, sie zu verunsichern. Außerdem hatte er „zum Teufel“ gesagt. Lolly würde es niemals zugeben, aber sie mochte es nicht, wenn jemand fluchte. Immer wenn sie selber es versuchte, fing sie an zu stottern und wurde rot, sodass gleich jeder sehen konnte, wie uncool sie war.
„Schon kapiert“, murmelte der Junge. Sobald der Weg nach einer Kurve etwas breiter wurde, drängte er sich mit einem unverständlichen Gemurmel an ihr vorbei, das vermutlich „Entschuldige bitte“ hatte heißen sollen. Er trottete davon, wobei er ein altes Lied von den Talking Heads vor sich hin pfiff.
Sie waren auf der Paar-Wanderung, der ersten Aktivität des Sommers. Sie war dazu gedacht, sich mit der Anlage des Camps und den anderen Mitcampern vertraut zu machen. Gleich nach dem Aussteigen aus dem Bus waren sie zu Paaren zusammengestellt worden, während ihre Seesäcke und anderen Habseligkeiten schon in die zugeteilten Hütten gebracht wurden. Sie war an diesen Jungen geraten, weil sie als Letzte ausgestiegen war. Sie hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt und abschätzig gesagt: „Ich bin deine neue beste Freundin.“
Er hatte einen Blick auf sie geworfen, die Schultern gezuckt und in Imitation der englischen Upperclass erwidert: „Barkis steht zu Ihren Diensten.“
Der Angeber. Lolly hatte so getan, als wäre sie nicht davon beeindruckt, dass er aus David Copperfield zitiert hatte. Außerdem hatte sie vorgegeben, nicht zu bemerken, wie die anderen Jungs ihn piesackten und mit den Ellbogen anstießen, weil er ein Team mit Lolly Bellamy bilden musste.
Er war nicht der typische Kioga-Camper – sie musste es wissen, schließlich kam sie seit ihrem achten Lebensjahr hierher. Diesem Jungen – der zum ersten Mal dabei war – fehlte noch der letzte Schliff. Seine Haare waren ein wenig zu lang, die Cargo-Shorts saßen ein wenig zu tief auf seinen Hüften. Vielleicht sah er sogar ein wenig gefährlich aus, mit diesen blassblauen Augen und den dunklen Haaren; eine Kombination, die zugleich anziehend und beunruhigend war.
Durch die Bäume hindurch sah sie Gruppen von zwei oder vier Leuten laufen, die miteinander quatschten und lachten. Es war erst der erste Tag vom Sommercamp, aber die Kinder fingen schon an, auszutarieren, mit wem sie sich dieses Jahr anfreunden würden. Lolly wusste, dass man sie bereits ausgemustert hatte. Natürlich, das taten sie immer. Wenn sie nicht ihre Cousinen hätte, würde sie ganz schön in der Patsche sitzen, so viel stand mal fest.
Sie schob ihre Brille auf der Nase hoch und spürte einen dumpfen Schlag der Eifersucht in ihrem Magen, als sie die anderen Camper betrachtete, die sich miteinander schon total wohlzufühlen schienen. Sogar die Neuen, wie der schlaksige Junge, gehörten bereits dazu. Gerade mal aus dem Bus ausgestiegen, gingen sie schon nebeneinander her, quasselten in einer Tour und brachten sich gegenseitig zum Lachen. Einige der Mädchen trugen ihre Camp-Hoodies nonchalant um die Schultern geschlungen und schafften es so, selbst der Einheitskleidung des Camps einen modischen Stempel aufzudrücken. Die meisten Jungs hatten sich die Kioga-Bandanas im Rambo-Stil um den Kopf gebunden. Alle stolzierten umher, als gehöre der Ort ihnen.
Was irgendwie lustig war. Denn keinem der Kinder gehörte Kioga. Außer Lolly.
Zumindest auf gewisse Art. Das Sommercamp gehörte ihren Großeltern, Nana und Granddad. Als sie noch bei den Fledglings war, den Acht- bis Elfjährigen, hatte sie vor den anderen Kindern damit angegeben, aber das hatte auch nie richtig funktioniert. Den meisten Kindern war das völlig egal.
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