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"I'll be home for Christmas" denkt sich Quinn Bradley, die als erfolgreiche Kontakterin einer großen New Yorker Werbeagentur kurz vor Weihnachten in ihrer Heimatstadt Haven Hill ein Geschäft abschließen soll. Dumm nur, dass Quinn seinerzeit ihre große Liebe Chris für ihren Job verlassen, und seither keinen Fuß mehr in die Kleinstadt gesetzt hat. In Haven Hill angekommen, holt Quinn die Vergangenheit ein und als sie auch noch Chris über den Weg läuft, fliegen nicht nur die Fetzen, sondern auch Quinn - direkt vor ein Auto. Als sie schließlich im Krankenhaus aufwacht, findet sie sich in einer eigenartigen Welt wieder. Sie ist niemals aus Haven Hill weggegangen und sogar mit Chris verheiratet. Für kurze Zeit bekommt sie Einblick in das Leben, das sie hätte führen können und schnell stellt sie fest, dass sie möglicherweise die falsche Entscheidung getroffen hat. Doch jetzt ist es zu spät. Chris kann sie nicht mehr leiden, er ist verlobt und getroffene Entscheidungen kann man ohnehin nicht rückgängig machen. Noch nicht einmal, wenn der Weihnachtsmann höchstpersönlich nachhilft, oder?
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DANIELA FELBERMAYR
Copyright © 2016 Daniela Felbermayr
ISBN:
ISBN-13: 978-
Text & Titel: Daniela Felbermayr
Cover: www.rausch-gold.com, Catrin Sommer
Korrektorat: S.W. Korrekturen e.U.
All rights reserved.
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Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlungen aus diesem Roman sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit oder Bezüge zu real existieren Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch vorkommen, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Besitzer.
prolog
Es war ein Tag in der Vorweihnachtszeit, wie er perfekter nicht hätte sein können. Manhattan war mit pudrigem Schnee bedeckt, an jeder Straßenecke stand ein fröhlicher Weihnachtsmann und aus den Lautsprechern in den Einkaufszentren hörte man Weihnachtslieder. Geschäftig eilten Menschen durch die Straßen, die ihre Weihnachtseinkäufe erledigten und alle gemeinsam auf das Fest der Feste warteten.
Quinn und Christopher hatten den Tag ebenfalls damit verbracht, unzählige Geschenke für Familie und Freunde auszusuchen und durch die verschneiten Straßen Manhattans zu flanieren. Sie hatten sich eine Tasse Kakao mit Marshmallows in Trudys Café gegönnt und Deko für die Tanne gekauft, die sie am Tag zuvor in Dereks Winterwonderland besorgt hatten und die jetzt zu Hause darauf wartete, aufgeputzt zu werden. Dicke Schneeflocken rieselten sanft vom Himmel, während die Fifth Avenue von überallher mit Weihnachtssongs beschallt wurde.
Der Trip nach Manhattan wenige Tage vor Heiligabend hatte bei Quinn und Chris schon Tradition. Bereits im ersten Jahr, als sie sich kennengelernt hatten – fünf Jahre war das nun her –, hatten sie ein Wochenende in der Stadt verbracht, um die letzten Vorbereitungen für den schönsten Tag im Jahr zu treffen. Sie beide liebten die Weihnachtsfeiertage und genossen diese letzten paar ruhigen gemeinsamen Stunden, bevor der Weihnachtstrubel so richtig losging.
Dieses Jahr hatte Quinn eine besondere Überraschung für Chris. Seit sie beide vor drei Jahren von der Columbia abgegangen waren – er hatte Architektur studiert, sie Betriebswirtschaft –, hatten sie beide für kleine Firmen in Haven Hill, einer Kleinstadt unweit von Hartford, Connecticut, gearbeitet. Quinn hatte einen Job als Marketingassistentin bei der einzigen Werbeagentur Haven Hills ergattert, die von zwei alten Ladys geleitet wurde und die erst seit Quinns Eintritt über einen Computer verfügte. Chris hatte einen Job bei Luke Brower, dem hiesigen Bauunternehmer, angenommen und setzte das Wissen, das er sich an der Uni angeeignet hatte, nun dafür ein, um Zimmer über Garagen auszubauen, ein Vordach zu gestalten oder – wenn es sich um einen gigantischen Auftrag handelte – ein kleines Einfamilienhaus aufzustellen.
Ohne dass sie Chris etwas davon gesagt hatte, hatte Quinn sich vor zwei Monaten bei Cooper, Henlyn & Walters beworben, einem Big Player in der Werbung, in dessen Headquarter in der Madison Avenue eine Junior-Kontakterin gesucht wurde. Quinn hatte zu dem Zeitpunkt, als sie ihren Lebenslauf und ihre Zeugnisse absandte, noch nicht einmal damit gerechnet, überhaupt wahrgenommen zu werden. Ihr war bewusst, welche Kaliber auf eine Stelle bei einer der größten Agenturen New Yorks scharf waren, und ihr war klar, dass sie vermutlich als Landei in irgendeinem virtuellen Mülleimer landen würde, ohne dass irgendjemand von ihr Notiz nahm. Außerdem hatte sie kaum Erfahrung als Kontakterin. Okay, sie sprach ab und zu Neukunden an und telefonierte mit Unternehmen, die eine Schaltung in der Ausschreibungsdatenbank von Haven Hill genutzt hatten, um einen Werbebanner oder einen Radiospot gestalten zu lassen, doch ihr war bewusst, dass ein richtiger Kontakter eigentlich ganz andere Aufgaben zu erledigen hatte. Und trotzdem zog die Stellenanzeige sie fast magisch an. Sie war nicht mehr davon losgekommen, als sie sie durch Zufall in der New York Times gelesen hatte, als sie – wie jeden Morgen – einige Zeitungen nach neuen Werbeschaltungen der Konkurrenz durchblätterte. Die Anzeige hatte sie den ganzen Tag über verfolgt und war ihr auch die ganze nächste Woche nicht aus dem Kopf gegangen. Schließlich hatte sie ein Anschreiben formuliert, ihre Zeugnisse und ein Foto angehängt und die Bewerbung abgesendet. Unmittelbar danach war ihr klar geworden, dass sie bei CHW vermutlich zur Lachnummer werden würde, wenn man ihre Bewerbung neben die ihrer Konkurrenten legen würde. Als ihr einen Monat, nachdem sie ihre Unterlagen eingereicht hatte, schließlich eine ziemlich überspitzt klingende Assistentin mitteilte, dass man sie gerne kennenlernen würde und ob sie es wohl einrichten könnte, in den nächsten Tagen nach Manhattan zu kommen, staunte sie nicht schlecht. Als man ihr die Stelle tatsächlich anbot – mit dem dreifachen Jahresgehalt ihres Jobs in Haven Hill, einem Appartement in der City, verschiedenen Boni und einem eigenen Spesenkonto –, zögerte sie keine Sekunde, ehe sie den Arbeitsvertrag unterzeichnete. Es war nicht nur für Quinn alleine eine großartige Chance, sondern auch für Chris. Er hatte sein Studium damals summa cum laude abgeschlossen, war der Jahrgangsbeste gewesen und viele große Architekten hatten ihn damals haben wollen. Quinn wusste, dass er ihretwegen in Haven Hill geblieben war. Sie hatte sich damals in den Job bei den Lieberman-Schwestern in Haven Hill verliebt und konnte sich nichts Besseres vorstellen, als für die kleine Agentur zu arbeiten. Außerdem konnten sie das Haus renovieren, das Chris von seinen Großeltern geerbt hatte, und Quinns Eltern wohnten nur einen Steinwurf entfernt. Damals schien Haven Hill der perfekte Ort zu sein, um ins Berufsleben zu starten. Drei Jahre später sah die Sache anders aus. Quinn wollte Karriere machen und in die weite Welt hinaus – mit dem Job bei CHW würde auch für Chris die Möglichkeit bestehen, sein Wissen endlich so einzusetzen, wie es gedacht war, und damit aufzuhören, Vordächer und Garagenanbauten zu planen. Er könnte mit ihr nach New York gehen und sich genau den Job suchen, den er sich gewünscht hatte, als er sein Studium so erstklassig abschloss. Ihr neues Gehalt reichte locker erst mal für sie beide und das Appartement stellte CHW ihr kostenlos zur Verfügung. Es würde einfach perfekt werden.
„Was ist los mit dir?“
Chris sah Quinn liebevoll an, als sie wenige Stunden später im „Westend“, ihrem Lieblingsrestaurant, saßen und die Abendkarte studierten. Ebenso wie ihr alljährlicher Weihnachtstrip nach New York gehörte der Besuch des Westend – trotz der stolzen Preise – fest zur Vorweihnachtszeit dazu.
Quinn legte ihre Speisekarte vor sich auf den Tisch.
„Ich muss dir etwas sagen.“Chris’ Augen begannen zu leuchten. Sie liebte diesen Mann. Seit sie ihn damals aus der Uni-Cafeteria kommen sah, an ihrem ersten Tag an der Columbia, hatte sie nur noch Augen für ihn gehabt. Einen Mann wie Chris würde sie nie wieder finden. Er sah mit seinem sportlichen Körper, den blauen Augen und den dunkelbraunen Haaren, den feinen Gesichtszügen und der kleinen Bartumrandung, die seinen Mund zierte, nicht nur sensationell gut aus, er war auch ihr Seelenverwandter. Noch nie zuvor hatte Quinn einen besseren, ehrlicheren, liebevolleren und aufrichtigeren Menschen kennengelernt als Chris Porter. Umso mehr freute sie sich, ihm nun endlich die Nachricht mit dem Job überbringen zu können.
„So? Ich muss dir nämlich auch was sagen.“Er blitzte sie aus diesen Augen, die sie vom ersten Moment an geliebt hatte, an.
„Tatsächlich?“
Ein Kribbeln breitete sich in ihrer Magengegend aus.
„Ja. Aber … Ladys first. Mir ist heute schon den ganzen Tag über aufgefallen, dass du ziemlich hibbelig bist.“
Er nahm ihre Hände in die seinen und sie grinsten um die Wette. Sie mussten für einen Außenstehenden wie zwei vollkommene Idioten ausgesehen haben. Doch die Verbindung zwischen ihnen, diese Liebe, die nach fünf Jahren so unbändig und stark war, löste in den beiden ein Gefühl aus, das unbeschreiblich war. Quinn überlegte, wie sie von ihrem neuen Job erzählen sollte. Sollte sie erst weit ausholen, vom Bewerbungsvorgang und dem Vorstellungsgespräch erzählen, von ihrem heimlichen Trip nach Manhattan vor zwei Wochen und davon, wie schwer es ihr gefallen war, ihm nur ja nicht zu früh etwas zu verraten, oder sollte sie die Bombe direkt platzen lassen? Über das Rundherum konnten sie schließlich später – im Bett – auch noch reden.
Sie wartete einige Sekunden, wie um die Spannung etwas zu erhöhen, und platzte dann heraus:„Wir gehen nach New York. Ich habe einen Job als Kontakterin bei einem Big Player in der Madison Avenue angenommen. Die zahlen mir dreimal so viel wie die Lieberman-Schwestern und wir bekommen ein Appartement hier in der City. Was sagst du? Wir werden ein richtiges Manhattan-Pärchen, mit Coffee to go, U-Bahn-Monatskarten und einem Ausblick auf den Central Park.“
Chris’ Miene erstarrte. Der liebevolle Ausdruck in seinen Augen wich Verwirrtheit.
„Bitte was?“
Er sah sie an.
„Wir gehen nach New York. Ich habe einen Job hier angenommen. Und du kommst mit. Ich verdiene genug für uns beide, du kannst dir also in aller Ruhe genau die Stelle suchen, die perfekt zu dir passt.“„Aber … Quinn … ich … wie … warum … wie kommst du darauf, dass ich nach New York gehen will?“Chris sah sie unverständlich, fast fassungslos an.
„Das ist doch keine Frage des Wollens, oder? Ich meine, das ist eine unglaubliche Gelegenheit für uns beide. Cooper, Henlyn und Walters bieten mir eine Stelle als Kontakterin an. Das ist eine Gelegenheit, die man beim Schopf packen muss. Für uns beide. Du willst doch nicht ewig Vordächer und Garagenanbauten planen, oder?“
Jetzt verwandelte sich Chris’ Blick. Von fassungslos zu verärgert.
„Wer sagt dir das? Bist du etwa in Haven Hill unglücklich? Reicht es dir nicht, was wir uns dort aufgebaut haben?“
„Was wir uns aufgebaut haben?“
Quinn konnte gar nicht glauben, dass sie diese Diskussion hier tatsächlich führte. Sie hatte angenommen, dass Chris sich genauso wie sie selbst über den Umzug nach Manhattan freuen würde.
„Wir leben im Haus deiner verstorbenen Großmutter und arbeiten für Minifirmen. Weder du noch ich haben irgendwelche Entfaltungsmöglichkeiten in Haven Hill. Wenn wir jetzt nicht nach New York gehen, werden wir für immer in einer Kleinstadt festsitzen. Wir haben beide summa cum laude abgeschlossen und vergeuden unser Talent in einem Kaff ohne Perspektive. Versteh mich nicht falsch, ich liebe Haven Hill. Ich bin dort aufgewachsen und meine Familie lebt dort, aber ich denke, es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu wagen.“„Ja. Den nächsten Schritt wagen. Das wollte ich auch.“Jetzt war Quinn es, die Chris fragend ansah.„Was?“
Ihr dämmerte, was jetzt kam.
„Ich wollte dich heute Abend bitten, mich zu heiraten, Quinn.“Er zog zerknirscht und ziemlich unromantisch eine kleine Schachtel aus seinem Jackett und öffnete sie. Ein funkelnder, filigraner Brillantring glitzerte ihr entgegen und entlockte ihr ein Lächeln. Sie wusste, dass er sie bitten würde, seine Frau zu werden. Die letzten Tage über war er ziemlich hibbelig und zerstreut gewesen, hatte heimliche Gespräche am Telefon geführt, und seine Mutter hatte beim letzten Familienessen mehrfach wissen wollen, „ob er denn schon gefragt habe.“
Am liebsten hätte sie den Ring eigenhändig aus seinem samtenen Bett geholt und ihn sich an den Finger gesteckt. Aber das war Sache des Bräutigams.
„Fragst du mich wirklich, ob ich deine Frau werden will?“Quinn schaffte es nicht, ihr Grinsen zu unterdrücken. Chris würde sie zur glücklichsten Frau der Welt machen.
„Ja, natürlich. Mir war von der ersten Sekunde an, als ich dich sah, klar, dass du die Richtige für mich bist. Ich will mein Leben mit dir verbringen, Quinn. Ich will mit dir alt werden und immer an deiner Seite sein. Aber … wir können nicht nach Manhattan. Wir gehören nach Haven Hill.“
Quinns Lächeln erstarb. Dieser Heiratsantrag hörte sich verdammt nach einem Ultimatum an. Wenn sie nach Manhattan ging und den Job bei CHW annahm, würde Chris sie nicht heiraten. Und wenn sie und Chris heirateten, würde sie nicht nach Manhattan gehen und ihren Traum von einer richtigen Karriere in der Werbung verwirklichen können. Sie liebte Chris. Mehr als ihr eigenes Leben. Und sie wollte diesen Job. Wollte sich beweisen, dass sie aus dem richtigen Holz geschnitzt war, um eine solche Herausforderung annehmen zu können. Doch so wie es aussah, konnte sie beides nicht haben. Sie atmete einmal tief durch und sah Chris an. Die Liebe ihres Lebens. Den Mann, von dem sie wusste, dass sie mit ihm alt werden wollte. Sie sah in seine Augen und fällte ihre Entscheidung.
1
„Sie müssen sich jetzt anschnallen, Miss Bradley, wir landen gleich.“
Die Stewardess, die den Privatflug von Santa Monica nach New York begleitete, sah Quinn freundlich lächelnd an.
„Oh, verzeihen Sie, ich war in Gedanken.“
Sie schloss den Sicherheitsgurt um ihre Taille und lächelte die Stewardess ebenso höflich an. Es war ein merkwürdiges Gefühl, von fast dreißig Grad Außentemperatur in ein Winterwunderland zu kommen, in dem es laut ihrer Wetter-App drei Grad unter null hatte und stark schneite.
„Sie sollten nicht so viel arbeiten, Miss Bradley, die Feiertage stehen vor der Tür.“„Ich werds mir merken.“Quinn sah zum Fenster hinaus, wo die ersten Ausläufer New Yorks bereits am Horizont zu erkennen waren. Diesmal war ausnahmsweise einmal nicht ihr Job schuld daran gewesen, dass sie in Gedanken war. Dieses Mal war es ihre Rückkehr nach Haven Hill, ihrer einstigen Heimat, und der Auftrag, den sie dort abzuwickeln hatte.
Es war jetzt genau fünf Jahre her, dass sie und Chris Schluss gemacht hatten. Dass sie ihre Brücken in der Kleinstadt abgebrochen und sich nach Manhattan aufgemacht hatte, wo sie sich mittlerweile zur Seniorkontakterin hochgearbeitet hatte. Sie betreute nur noch die großen Fische im Teich. Coca Cola, Apple, Louis Vuitton. An Thanksgiving hatte Walt Cooper, der Eigentümer der Agentur, anklingen lassen, dass er sich demnächst zur Ruhe setzte und auf der Suche nach einem Nachfolger war und dass sie, Quinn, in der engeren Auswahl für den Job stand. Eine Woche später bat man sie, eine kleine Werbeagentur in Connecticut aufzukaufen. Die Eigentümer standen kurz vor der Pensionierung, hatten zwar versucht, die Agentur weiterleben zu lassen, doch es hatte sich niemand gefunden, der sie übernahm. Obwohl diese Agentur keine hundert Klienten verzeichnete, so war es gerade diese feine Auswahl an kleinen, alteingesessenen Unternehmen, die CHW an Land ziehen wollte, um einen weiteren Bereich potenzieller Kunden abzudecken. Jene, die niemals von selbst auf die Idee gekommen wären, einen Branchenriesen anzuheuern. Jene, die den persönlichen Kontakt schätzten, wussten, wann ihr Geschäftspartner Geburtstag hatte, und mit denen man sich nicht nur in den Geschäftsräumen, sondern an den Wochenenden zufällig beim Einkaufen traf. CHW war zwar die Nummer eins in allen Großstädten quer durch die Staaten, doch mittlerweile hatte man erkannt, dass auch Kleinvieh Mist machte und gerade kleine Agenturen auf dem Land oft großes Potenzial besaßen. Potenzial, das laut einer internen Studie im Jahr mehrere Millionen Dollar in die Kassen von CHW spülen könnte. So saß Quinn Bradley nun im Privatjet der Firma und war von einem Meeting mit Apple abkommandiert, um in der Kleinstadt Haven Hill die Agentur der Lieberman-Schwestern zu übernehmen.
Eine gute Stunde später saß sie am Steuer eines Audi A4 und fuhr die verschneite Interstate 91 Richtung Connecticut entlang.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, nach so langer Zeit in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Um Chris nicht über den Weg zu laufen, hatte Quinn es bislang vermieden, nach Haven Hill zu kommen. Ihre Eltern hatten sie des Öfteren in Manhattan besucht und Familienfeste wie Weihnachten und Thanksgiving wurden bei Tanten oder Onkeln gefeiert. Unter anderen Umständen hätte sie versucht, sich bei diesem Auftrag aus der Affäre zu ziehen, aber nachdem Walt Cooper ihr seine Nachfolge schmackhaft gemacht hatte, wäre es eine denkbar unkluge Entscheidung gewesen, abzusagen – noch dazu aus privaten Kinkerlitzchen-Gründen. Sie hatte also die Zähne zusammengebissen und ihre Mutter gefragt, ob sie für ein paar Tage wieder in ihr altes Kinderzimmer ziehen könnte. Sie war nicht scharf darauf, lange in Haven Hill zu bleiben, doch sie hatte ihrer Mutter versprochen, zumindest das Wochenende über bei ihren Eltern zu verbringen. Kate würde Quinns Lieblingsessen und ihren Lieblingskuchen backen, und die Bradleys hatten endlich etwas Gelegenheit, ihre Tochter um sich zu haben. Quinn beschloss, das Haus so gut wie nicht zu verlassen. Ein paar freie Tage konnte sie ebenfalls gut gebrauchen, und wo ließ es sich besser abschalten als in ihrem Elternhaus, wo sie ausschlafen und im Pyjama herumlaufen konnte, bis es Mittag war. Montagfrüh würde sie noch vor Tagesanbruch wieder zurück auf dem Weg nach Manhattan sein. Es musste schon ein großer Zufall sein, wenn sie in der kurzen Zeit, in der sie sich in Haven Hill aufhielt, auch noch Chris über den Weg lief.
Als sie die Stadtgrenze der Kleinstadt passierte, breitete sich ein warmes Gefühl in ihr aus. Es war nicht so, dass sie Haven Hill nicht mochte. Sie hatte eine wunderschöne Kindheit und Jugend hier verbracht und einige ihrer liebsten Erinnerungen hatten hier stattgefunden. Sie hatte lange Zeit geglaubt, hier alt zu werden, und trotzdem war ihr schon als junge Frau bewusst gewesen, dass sie in Haven Hill keine Chance auf die Karriere hatte, die sie sich wünschte.
Wie immer um diese Jahreszeit hatte man Haven Hill in ein Weihnachtswunderland verwandelt. Die Weihnachtszeit in Haven Hill hatte sie am allermeisten geliebt. Die Einwohner waren allesamt Weihnachtsnarren, es gab Weihnachtsparaden, Weihnachtsmärkte, Weihnachtsbasare und Weihnachtskuchenverkäufe. Pünktlich am Tag nach Thanksgiving wurde im Stadtzentrum ein riesiger Weihnachtsbaum aufgestellt und überall wurde Beleuchtung und Dekoration angebracht. Die Vorgärten der Häuser waren festlich geschmückt, Lichter brannten überall und selbst an den Briefkästen vor so manchen Häusern waren Zuckerstangen und kleine Weihnachtsmänner drapiert worden. Der Tante-Emma-Laden an der Pinestreet bot selbst gemachte Weihnachtskekse an, und an den Litfaßsäulen der Stadt wurde für den großen Weihnachtsmarkt geworben, der in Kürze stattfinden sollte. Quinn war früher immer mit ihren Eltern und später mit Chris hierhergekommen. Sie erinnerte sich an die verschneiten Straßen, die vielen Stände, die ihr Kunsthandwerk oder ihre Backwaren feilboten, und an das Gefühl der absoluten Glückseligkeit, das Quinn hier verspürt hatte. Der Weihnachtsmarkt war das Highlight in der Vorweihnachtszeit in Haven Hill, und sie bereute es fast ein bisschen, dass sie auch in diesem Jahr keine Gelegenheit hatte, ihn zu besuchen.
Sie sagte sich selbst, nur nicht zu wehmütig zu werden. Natürlich war Haven Hill eine süße kleine Stadt, in der es sich nett leben ließ. Das war vermutlich jede adrette Kleinstadt in den USA, in der es kaum Kriminalität, dafür aber einen Siedlerverein und ein Hausfrauenkränzchen gab. Aber es war auch die Stadt, die sie von ihrer Karriere abgehalten hätte. Die Stadt, in der sie bis zu ihrer Rente in einer kleinen, nichtssagenden Werbeagentur vergammelt wäre, die jetzt von CHW übernommen wurde. Hätte sie den Job in Manhattan damals nicht angenommen, würde sie darum bangen müssen, ob sie ihren Assistentinnenposten auch nach der Übernahme noch ausüben konnte oder ob sie versuchen musste, eine Teilzeitstelle bei Walmart oder in der Drogerie zu ergattern.
Sie fuhr langsam durch die Straßen der Stadt und sah sich an, was alles noch genauso war wie vor fünf Jahren. Was sich verändert hatte und welche Menschen sie auf den Straßen erkannte. Dann stand sie vor dem Gebäude, in dem die Lieberman-Schwestern ihre Werbeagentur „Two Ways“ eingemietet hatten. Ein ziemlich seltsamer Name für eine Werbeagentur, aber Polly Lieberman hatte ihr einmal erklärt, der Name kam daher, weil sie und ihre Schwester immer jeweils eine einzelne Kampagne für jeden Kunden vorbereiteten. Beide Kampagnen wurden dem Kunden dann präsentiert und für eine davon entschied man sich immer.
Quinn blieb einige Augenblicke vor dem großen, weißen Stadthaus, in dessen vierter Etage die Agentur residierte, stehen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, wieder hier zu sein. Direkt gegenüber befand sich der Firmensitz der Brower Company. Sie ertappte sich dabei, wie sie zu den Fenstern hochsah, hinter denen Chris zweifellos sitzen würde, wenn er noch für das Unternehmen arbeitete. Dann holte sie ihre Birkin Bag vom Rücksitz und marschierte auf ihren hohen Louboutin-Hacken zum Eingang der Agentur.
„Quinn, richtig?“Sie blieb stehen und drehte sich um. Ein Weihnachtsmann stand vor ihr und lächelte sie freundlich an.
„Ja?“, fragte sie zaghaft. War es möglich, dass dieser Weihnachtsmann sie erkannt hatte? Dass es jemand war, mit dem sie früher zu tun hatte? Oder hatte ihre Mutter die halbe Stadt informiert, dass die verlorene Tochter wieder zurückkam, die im Chanel-Outfit und mit Louboutins auffiel wie ein bunter Hund.„Das ist ja schön, dass du wieder einmal hier bist“, sagte der Weihnachtsmann. Quinn war es bislang nicht gelungen, ihn irgendwie einzuordnen. Was auch nicht gerade einfach war, immerhin stand er in voller Montur hier vor ihr. Neben sich hatte der Weihnachtsmann einen Spendentopf, in dem er Geld für das Haven Hill Memorial sammelte. Quinn holte ihr Portemonnaie heraus und warf zehn Dollar hinein.
„Ja, es ist sehr nett. Wie eine kleine Reise in die Vergangenheit.“„Hast du dich schon einmal gefragt, was passiert wäre, wenn du damals nicht weggegangen wärst?“Quinn kniff die Augen zusammen und sah den Weihnachtsmann an. Es musste also tatsächlich jemand sein, der sie kannte.
„Ich hatte bislang leider nicht die Zeit dazu, mir solche Fragen zu stellen“, sagte sie lächelnd und log. Sie hatte oft genug darüber nachgedacht, was wohl aus ihr geworden wäre, hätte sie CHW damals abgesagt und Chris’ Heiratsantrag angenommen. Meist kamen ihr diese Gedanken, wenn sie in rührseligen Momenten in ihrem Appartement saß und sich allein fühlte.
„Weißt du, manchmal, gerade zur Weihnachtszeit, kann es vorkommen, dass besondere Menschen die Chance bekommen, Fehler wiedergutzumachen, die sie einmal begangen haben.“„Okay“, sagte Quinn und fühlte sich etwas unbehaglich. War dieser Weihnachtsmann vielleicht jemand, der Chris nahestand? Warum sonst bezeichnete er ihren Weggang indirekt als Fehler?
„Manchmal brauchen wir einige Zeit, um zu erkennen, was für uns der richtige Weg ist, weißt du?“, sagte er. „Aber in wenigen Fällen bekommen wir die Chance, solche Fehler rückgängig zu machen.“„Das ist toll“, sagte Quinn. „Ich muss dann leider los, ich hab da drin einen Termin.“Der Weihnachtsmann nickte wissend, und Quinn fragte sich, ob er aus einem Irrenhaus entlaufen war. Was für ein schräger Kerl.
„Mach’s gut, Quinn. Und denk dran, manchmal bekommen wir eine zweite Chance. Nutzen musst du sie selber.“
Er zwinkerte ihr zu und Quinn betrat das Bürogebäude.
Die Werbeagentur sah noch genauso aus wie an dem Tag, an dem Quinn sie verlassen hatte. Sie erinnerte sich daran, wie untröstlich Gene und Polly damals gewesen waren, doch sie hatten verstanden, dass es Quinn in die Welt hinauszog. Über die Jahre hatte sie mit den alten Ladys hin und wieder Kontakt gehabt, sie hatte ihnen zu Weihnachten und zu ihren Geburtstagen geschrieben und hin und wieder mit ihnen telefoniert, wenn sie einen fachmännischen, aber liebevollen Rat gebraucht hatte. Nun stand sie wieder hier im Vorzimmer von „Two Ways“. Mit dem Unterschied, dass jetzt ein Kalender von 2016 über dem Empfangspult hing und nicht mehr einer von 2011. Eine dunkelblonde Frau mit Pferdeschwanz, einer Nerdbrille und einem nicht gerade freundlichen Blick sah zu ihr auf, als sie eintrat.
„Hallo, mein Name ist …“, begann sie, doch die Empfangsdame fiel ihr ins Wort.
„Ich weiß schon, wer Sie sind. Die Ladys erwarten Sie bereits. Sie Jobzerstörerin.“Die Frau stand auf und eilte an Quinn vorbei in das Büro der Lieberman-Schwestern, das immer noch im letzten Zimmer am Ende des Ganges war. Quinn sah die Empfangsdame argwöhnisch an und folgte ihr. Sie hatte diese Frau noch nie zuvor gesehen. Sie kam ihr kein bisschen bekannt vor, nicht von der Schule oder einem Sportklub. Bestimmt musste es sich um jemanden handeln, der erst seit Kurzem hier lebte. Die Empfangsdame – Quinn hatte beim Hereinkommen das Namensschild gelesen, das auf dem Pult stand –, ihr Name war Sally Brady, riss die Tür auf und drehte sich, ohne ein Wort zu sagen, um. Quinn trat in das Büro, und die Schwestern, Polly und Gene, erhoben sich.
„Quinn, meine Güte, sieh dich doch nur an“, rief Polly voller Freude. „Du siehst wunderschön aus. Als wärst du ein Fotomodell.“„Ich denke, Sie brauchen eine Brille, Polly.“ Quinn lachte. Sie mochte die beiden alten Damen.
„Sie hat recht“, sagte Gene. „Du siehst aus wie Brigitte Bardot zu ihren besten Zeiten.“„Ich glaube, das stimmt nicht“, sagte Quinn lächelnd und schloss die Tür hinter sich. Ein warmes Gefühl hatte sich in ihr ausgebreitet. Sie hatte die beiden Schwestern immer gern gemocht und für sie zu arbeiten war immer nett gewesen. Es war nie ein Problem, mal einen Tag freizubekommen oder früher nach Hause zu gehen. Als Quinn noch für die Liebermans gearbeitet hatte, war sie tatsächlich jeden Tag um fünf zu Hause gewesen. Ein Umstand, der jetzt kaum möglich war. Fünf Uhr schaffte sie höchstens an Freitagen, wenn gerade nicht viel los war oder wenn sie krank war und sich halb tot ins Büro schleppte, um die eine oder andere wichtige Sache noch zu erledigen.
Die Vertragsunterzeichnung lief gut. Quinn hatte bereits im Vorfeld alles abgeklärt und dafür gesorgt, dass die Liebermans gutes Geld für die Agentur bekamen. Sie hatte den Vertrag für die beiden selbst aufgesetzt und war ihn mit der Rechtsabteilung von CHW noch einmal durchgegangen, damit die beiden wirklich kein Nachsehen im Verkauf hatten. Sie hatte es sogar geschafft, eine kleine Provisionsvereinbarung mit im Vertrag aufzunehmen. Von jedem Abschluss, der über die Lieberman-Kunden bei CHW hereinkam, erhielten die Schwestern zwei Prozent.
„Sally, Kindchen, bist du so lieb und bringst uns etwas Wasser?“, fragte Polly Lieberman durch ihren vorsintflutlichen Sprechapparat, der aussah, als wäre er eine Requisite aus „Mad Men“ gewesen. „Unsere arme Quinn hat schon einen ganz trockenen Hals vom vielen Reden.“„Das trifft sich gut“, sagte Quinn. „Ich habe mit meinen Vorgesetzten gesprochen, wir möchten Ihrer Sekretärin gerne ein Angebot machen – wir könnten uns vorstellen, hier eine kleine Außenstelle zu halten. Ihre Sekretärin könnte möglicherweise von zu Hause aus arbeiten, Mails weiterleiten, die Bestandskunden betreuen und all so was.“„Oh, das klingt großartig. Sally hat sich schon Sorgen darum gemacht, bald keinen Job mehr zu haben“, sagte Gene. „Sie will bald heiraten, da kannst du dir vorstellen, wie ungelegen es kommt, wenn man auch noch seine Arbeitsstelle verliert.“
Polly stieß ihre Schwester fast unsanft in die Seite, rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf. Verwirrt sah Quinn sie an, widmete sich dann aber wieder dem Papierkram.
Die Tür öffnete sich und Sally kam herein. Dass die Liebermans eine solche unhöfliche Person eingestellt hatten, passte gar nicht zu ihnen. Sally hatte ein Tablett auf dem Arm, auf dem eine Flasche Wasser und drei Gläser standen, von denen aber nur eines gefüllt war. Sie stellte das Tablett ab und sah Quinn für einige Augenblicke an.
„Sie sollten den Vertrag nicht unterschreiben“, sagte sie schließlich.
Polly und Gene sahen sie an.
„Aber Kindchen, darüber haben wir doch schon gesprochen. Wir haben ein großartiges Angebot von Quinns Agentur erhalten. Wir würden es zutiefst bereuen, würden wir es jetzt ausschlagen. Und Quinn hat sich sehr für uns eingesetzt. Sehen Sie, wir bekommen pro abgeschlossenem Auftrag sogar noch Provision.“
Polly zeigte mit ihrem Finger auf die entsprechende Stelle im Vertrag.„Aber … sehen Sie denn nicht, dass diese Person Ihnen alles nehmen will, was Sie sich geschaffen haben? Tun Sie’s nicht. Sie können es noch rückgängig machen.“Quinn seufzte.
„Miss, ich kann ja verstehen, dass Sie Angst haben, Ihren Job zu verlieren. Aber ich kann Ihnen versichern, dass auch für Sie gesorgt ist. Ich habe mit meinem Vorstand gesprochen, und es gibt die Möglichkeit, Sie weiterhin hier zu beschäftigen. Es wird sich nicht viel ändern. Und für Polly und Gene habe ich wirklich einen großartigen Deal ausgehandelt, wie er in unserer Agentur einzigartig ist.