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Prada oder Birkenstock, Adria oder Baggersee, Pizza oder Bratwurst – wenn es um »la dolce vita« geht, ist Italien einfach unschlagbar. Nicht umsonst ist es unser liebstes Reiseziel: In Scharen strömen wir jeden Sommer über den Brenner, um das italienische Flair zu genießen. Andrea Micus zeigt auf unterhaltsame und amüsante Weise, warum Italien so einmalig ist. Die perfekte Reisebegleitung für den Sommerurlaub! Vino, Verdi, dolce vita von Andrea Micus: als eBook erhältlich!
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Seitenzahl: 158
Andrea Micus
Vino, Verdi, dolce vita
Knaur e-books
Für meine Cousine Loretta aus Vicenza
Römer und Germanen
Erinnern Sie sich? »Als die Römer frech geworden, sim, serim, sim, sim, zogen sie nach Deutschlands Norden, sim, serim, sim, sim. Vorne mit Trompetenschall, tätärä tätä …« Es gibt wohl kein Kind in Deutschland, das nicht in der Schule dieses Liedchen geträllert hat.
Es verballhornt die legendäre Varusschlacht, jenes antike Gemetzel, das sich vor 2000 Jahren nach Ansicht einiger Experten irgendwo im Teutoburger Wald abgespielt haben soll. Der Cherusker Arminius hat damals den Römern unter ihrem Feldherrn Varus eine empfindliche Niederlage zugefügt.
Heute sieht alles so friedlich aus. Vom knapp 54 Meter hohen Hermannsdenkmal hat man eine phantastische Aussicht auf dieses waldreiche Mittelgebirge. Das gewaltige Monument, 1875 zu Ehren Arminius’ eingeweiht, liegt im Dreieck zwischen Hannover, Dortmund und Kassel auf einer Höhe des Teutoburger Waldes und ist weltberühmt.
Jahr für Jahr stehen viele tausend Besucher zu Füßen des grün schillernden Muskelprotzes und bestaunen das sieben Meter lange Eisenschwert, das der 2000 Jahre alte Held kraftvoll in die Höhe reckt.
Auf der Aussichtsplattform ist es immer proppevoll, so auch heute. Japaner mit vor dem Bauch baumelnden Kameras drängeln sich vor den Fernrohren. Eine Schulklasse kündigt per Wettrennen über die 69 Stufen seine Ankunft an. Zwei Amerikanerinnen können sich an dem grünen Meer aus Baumwipfeln zu meinen Füßen nicht sattsehen und rufen ihr entzücktes: »Isn’t it nice?«
Is it really? Irgendwo da unten soll sich die berühmte Varusschlacht abgespielt haben. Über deren genaue Hintergründe ist sich die Wissenschaft bis heute nicht einig. Die Wahrheit hat die Dunkelheit der Zeit wohl für immer verschluckt. Was bleibt, sind Ausgrabungen, ein paar römische Niederschriften mit reißerischen antiken Nachrichten und viel Spekulation. Es geht um Verrat und Hinterlist, um Tapferkeit und Mut, Hoffnung und Versagen und ganz, ganz viel Blut.
Es soll fürchterlich geregnet haben in jenen Septembertagen 9 nach Christus. Doch vielleicht ist das auch nur eine Ausrede, um das Ansehen der sonst so siegreichen römischen Legionäre in der Öffentlichkeit nicht vollends abschmieren zu lassen.
Aber nun mal von vorn: Seit den letzten beiden Jahrzehnten vor Christi Geburt waren die Römer Stück für Stück vom linksrheinischen Gebiet aus nach Osten vorgedrungen. Viele einheimische Stämme mochten die schwerbewaffneten, großmogeligen Lateiner nicht und haben sich gewehrt. Es gab immer wieder Aufstände. Tiberius, dem Oberbefehlshaber am Rhein, gelang es nur mit gewaltigen Feldzügen, die Stämme zwischen Rhein, Ems und Lippe zu unterwerfen.
Im Jahre 6 nach Christus schien Rom endlich die ersehnte Ruhe zu haben. Die germanischen Stämme gaben weitgehend klein bei. Viele schlossen mit den Römern Friedensverträge und genossen, anstatt sie zu bekämpfen, lieber die Errungenschaften der römischen Kultur. Es gab Wein und Oliven, warme Häuser und einen kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung. Denn die Römer hatten Geld und konnten kaufen, was die Germanen hatten: Fleisch, Gemüse, Wolle. Der Handel florierte. Man erkannte, dass man sich nicht mögen muss, aber einander ganz gut gebrauchen kann.
Tiberius konnte sich trotzdem nicht entspannt zurückziehen. Er musste schon wieder los, denn diesmal machten die Pannonier auf dem Balkan Ärger, und Tiberius sollte den Brand umgehend löschen.
Kaiser Augustus brauchte jetzt in Germanien einen Nachfolger für seinen Stiefsohn und besann sich auf Publius Quinctilius Varus. Der römische Geschichtenschreiber Velleius Paterculus beschreibt ihn als »Mann von sanftem und ruhigem Charakter, geistig und körperlich etwas schwerfällig und mehr an das ruhige Lagerleben als an den Kriegsdienst gewöhnt«. Historiker zweifeln allerdings daran, dass Augustus in das für das Imperium so wichtige Gebiet Germanien eine altersschwache Lachnummer geschickt haben soll. Nun denn, Varus war mit 55 Jahren ein erfahrener Veteran. Er hatte große Erfolge in Syrien vorzuweisen. Dass er beim Aufräumen in dem reichen Land wohl kräftig in die eigenen Taschen gescheffelt hat, wollte Augustus nicht hören. Irgendetwas muss ihn an dem Mann fasziniert haben.
Aber egal, jedenfalls sollte Varus Ordnung in die unruhige Provinz bringen und die »Barbaren« romanisieren. Das Wort »Barbar« kommt übrigens aus dem Griechischen. Für die Griechen klangen fremde Sprachen eigenartig, so dass sie alle »Fremdsprachlinge« mit dem Begriff »barbari« versahen, das heißt die »Stotternden«.
Dank römischer Propaganda wurde der Barbar dann der Begriff für primitive, rohe Volksstämme, nicht vergleichbar mit der Kultur des Imperiums, was bei den so Titulierten auch nicht immer gut ankam.
Aber es kam noch mehr nicht gut an. Als Erstes führte Varus nämlich die lückenlose römische Rechtsprechung ein. Vorbei mit ständigem Nachbarschaftsklüngel und Stammes-Tamtam. Varus griff in die Konflikte höchstpersönlich ein. Er reiste über Land und hielt regelmäßig Gerichtstage ab. Doch offenbar fehlte es ihm dabei an diplomatischem Geschick. Er muss sich aufgeführt haben wie der berühmte Elefant im Porzellanladen. Die Bräuche der Stämme ignorierte er und stülpte allem und jedem den römischen Gesetzesapparat über. Umgekehrt waren den meisten Germanen die Prinzipien des römischen Rechts nicht einsichtig. Kein Wunder, sie hatten ja eigene. Das Klima verschlechterte sich zusehends.
Noch viel unbeliebter war allerdings das Thema Steuern. Wie alle anderen Provinzen auch sollten jetzt auch die Germanen Tribute zahlen. Daran hatten sie aber überhaupt keine Freude. Sie müssen sich gefühlt haben wie die heutigen Opfer von Schutzgelderpressern. Ausgeliefert, nachgiebig, aber mit geballter Faust in der Hosentasche.
Die Germanen fanden einfach mit Varus keine gemeinsamen Vorstellungen, wie eine ordentliche römische Provinz auszusehen habe. Sie waren stur. Kaum drehte Varus den Stammesoberen den Rücken, rumorte es gewaltig.
Doch davon bekam Varus nicht viel mit. War er schon zu alt, zu satt, zu gelangweilt und selbstherrlich? Jedenfalls beschloss er für sich, mit dem Ergebnis seiner Bemühungen zufrieden zu sein. Nach einer weitgehend unspektakulären Saison mit wenig Krawall und nur dem bisschen Gemurre der Einheimischen machte sich Varus mit seinen Untergebenen auf den Rückweg an den Rhein ins Winterlager. Nun träumte er vermutlich von dem entspannenden Besuch einer wohltuenden Therme.
Der Weg nach Hause war bekannt. Wenn auch absolut nicht dafür gemacht, um darauf mit Tausenden von Legionären zügig von einem Ort zum anderen zu marschieren. Man brauchte Zeit und nahm sie sich.
Es gab keine besonderen Vorkommnisse, bis bei Varus eines Abends ein angesehener und bei den Römern sehr beliebter Cherusker namens Segestes hereinschneite. Dieser tat ziemlich geheimnisvoll, flüsterte von Verrat und einem bevorstehenden Attentat. Er habe da so seine Informanten …
Als Varus aber hörte, vor wem er gewarnt werden sollte, schüttelte er den Kopf und winkte ab: Arminius und sein Vater Segimer, beide vornehme Cherusker und in Besitz des römischen Bürgerrechts, kannte er schon lange. Man pflegte gelegentlich zusammen zu speisen. Und eigentlich waren sie auch ganz nett.
Über die Arbeit des Arminius als Offizier im römischen Heer waren ihm noch nie Klagen zu Ohren gekommen. Arminius? Der war über alle Zweifel erhaben. Ein toller Bursche, in Rom aufgewachsen und ausgebildet. Er sprach perfekt Lateinisch und war als Offizier so erfolgreich, dass man ihn in den Ritterstand erhoben hatte. Warum sollte ihm ausgerechnet von einem solchen Mann, der mit römischen Werten und Kultur groß geworden war, Gefahr drohen? Das musste ein Missverständnis, wenn nicht sogar wieder eine dieser lästigen Intrigen der renitenten Germanen sein. Sie schicken einen Wichtigtuer, der Unfrieden säen und Varus aufs Glatteis führen soll. Mussten ihm die Germanen denn jetzt noch die Abreise versauen? Varus fiel nicht darauf rein. Nein, nein, nicht mit ihm. Der Weg gen Süden, der konnte getrost fortgesetzt werden.
Diese Geschichte kann man glauben, muss man aber nicht. Dass es sich so abgespielt habe, wissen die römischen Geschichtsschreiber nämlich nur von Segestes selbst. Und der rückte mit diesem wichtigen Detail erst Jahre nach der Schlacht heraus, als alle anderen Zeugen längst tot waren und er sich mit dieser »Warnung« als getreuer Vasall bei den Römern einschmeicheln konnte. Ein feiger Strippenzieher, der auch einmal wichtig sein wollte? Niemand weiß mehr.
Jedenfalls bekam Varus am nächsten Tag eine Nachricht, in der ihn Germanen um Hilfe baten, die, nicht weit vom Reiseweg entfernt, in Bedrängnis geraten waren. Wir wissen nicht, was die Germanen Varus damals für eine Geschichte auftischten. Eine Version besagt, dass Arminius selbst Varus auf angebliche Aufstände im Inneren des Landes aufmerksam machte. Varus, der ja große Stücke auf den eingerömerten Cherusker hielt, bat ihn um einen Rat, wie er dagegen vorgehen sollte. Er war der Meinung, es würde ausreichen, eine Legion zu schicken. Doch Arminius empfahl, die Aufstände im Keim zu ersticken, ein Exempel zu statuieren und mit allen Legionen loszuziehen. Varus wurde nicht misstrauisch. Segestes war längst abgehakt. Er vertraute seinem guten Bauchgefühl, und eine kleine gewonnene Schlacht zum Abschied kam in Rom auch immer gut an.
Sicher ist, dass der Statthalter daraufhin von seiner ursprünglichen Route abwich, womit ein wichtiger Punkt des germanischen Plans bereits aufging.
Denn den Aufstand gab es nicht – die Römer sollten lediglich in einen Hinterhalt gelockt werden. Arminius hatte längst die Anführer verschiedener germanischer Stämme versammelt und sie zu diesem hinterlistigen Angriff aufgewiegelt. Der Rest ist bekannt. Innerhalb von drei Tagen wurden drei Legionen samt Begleittross, knapp 20000 Menschen, niedergemetzelt.
Varus stürzte sich angesichts der verheerenden Lage noch auf dem Kampffeld in sein Schwert.
Als Kaiser Augustus von der Niederlage hörte, soll er den berühmten Ausspruch »Vare, redde legionem meam« gerufen haben – »Varus, gib mir meine Legionen wieder!«. Das freilich war ein schwieriges Unterfangen. Denn von Varus kam nur der Kopf in Rom an, und von den Legionen existierte nichts mehr.
Rom hatte die Schlacht verloren. Augustus schickte erneut den erfahrenen Tiberius als schnelle Eingreiftruppe an den Rhein, der ebenso wie einige Zeit später sein Nachfolger Germanicus massive Feldzüge gegen die Germanen führte, die aber immer auch mit massiven Verlusten auf Seiten der Römer endeten. Im Jahre 16 nach Christus gab Tiberius, inzwischen Nachfolger von Kaiser Augustus, entnervt die römische Germanenpolitik auf und konzentrierte sich wieder auf das eigentliche Motiv der römischen Germanienpolitik, die Sicherung des Rheins zum Schutz Galliens. Das widerspenstige Germanien blieb danach außerhalb des römischen Herrschaftsgebietes. Die zähen Jungs fasste Rom nicht mal mehr mit der Kneifzange an.
Aber auch Arminius biss sich an den verschiedenen germanischen Stämmen die Zähne aus. Er starb um 20 nach Christus bei stammesinternen Streitigkeiten. Er wurde von Verwandten ermordet.
Rom hatte verständlicherweise wenig Interesse daran, der Varusschlacht einen besonderen Rang im Gedächtnis des Imperiums einzuräumen. Auf germanischer Seite fehlte es an einer Schriftkultur. Die Erinnerung an das Ereignis ging verloren. Erst 1500 Jahre später wurden die Annalen von Tacitus entdeckt und damit der Mythos des heldenhaften Arminius geboren, der einst das Römische Reich in der Blüte seiner Macht besiegt habe. »Unstreitig war er der Befreier Germaniens«, behauptet Tacitus.
Es war der Auftakt einer Erfolgsgeschichte. Als Befreier Germaniens erschien Arminius als nationale Lichtgestalt, als Idol der Germanen-Idee. Martin Luther hatte den Cherusker »von hertzen lieb«. Die Germanenbegeisterung im 18. Jahrhundert brachte den nationalen Helden als Shooting-Star auch auf die Bühne. Zwischen 1750 und 1850 entstanden mehr als 200 Schauspiele und Opern.
Bei der grassierenden Lust an nationalen Denkmälern war es nur eine Frage der Zeit, wann dem »Befreier« ein eigenes Monument gesetzt wurde. Es entstand auf den Höhen des Teutoburger Waldes, ist über 50 Meter groß und wurde 1875 eingeweiht.
Als nationaler Streiter hat Arminius sich bis in die Gegenwart gerettet, allerdings längst nicht mehr unumstritten. »Der Held, der so vielen Herren diente, hat keine saubere Weste«, schrieb der Historiker Tillmann Bendikowski in seinem Buch »Der Tag, an dem Deutschland entstand«. Verdrängt hat seine Bedeutung für die Weltgeschichte längst die Frage nach dem Schauplatz der Schlacht. Im Moment hat der Ort Kalkriese im Osnabrücker Land den Teutoburger Wald überholt und die Nase vorn. Dabei geht es im Kampf um den wahren Ort des Geschehens um den blanken Euro. Viele Millionen ist es wert, die Schlacht vor der Haustür zu haben, denn es gibt jede Menge Fördergelder und einen sprudelnden Tourismus.
Ich sehe nach oben in den tiefblauen Himmel. Arminius steht muskelbepackt auf dem Podest, sein Schwert weist siegessicher in die Höhe.
Wer war dieser Arminius, der Varus so brutal austrickste? »Er war persönlich tapfer und besaß eine rasche Auffassungsgabe und größere geistige Gewandtheit als andere Barbaren … und seines Geistes Feuer leuchtete ihm aus den Augen …«, beschreibt Velleius Paterculus voller Bewunderung den Gegner. Er überragte die Römer um Haupteslänge, hatte einen durchtrainierten Körper und sonnenblonde Haare. Er war mutig, aber auch eigensinnig. Was früher wie heute nicht überall gut ankam. Doch Arminius lebte in zwei Welten. Er hatte Auslandserfahrung und im intrigenreichen Rom jede Menge Tricks und Taktiken gelernt, die man in seiner cheruskischen Heimat noch nicht kannte. Ein Mann, der endlich frischen Wind in die Wälder brachte.
»Traditore! Sieh mal, das ist der Verräter«, höre ich eine dunkle italienische Männerstimme sagen. Ich sehe mich um. Hinter mir steht ein Vater mit seinen zwei Bambini. Die Kinder blicken neugierig den Eisenkoloss an. Der Vater schüttelt mit einem verächtlichen Blick den Kopf. »Er hat bei uns alles bekommen, eine gute Ausbildung, Anerkennung, Geld, und dann hat er uns heimlich hintergangen und seine treuesten Gefährten eiskalt abschlachten lassen. Widerlich!«
Ich denke an den Geschichtsunterricht meiner Jugend, an die Erzählungen von Heldentum und Stammeseinigung. Arminius hat die Germanen geeint, die Besatzer vernichtet. Ein Siegertyp!
Ja, was denn nun? Charismatischer Held oder skrupelloser Verräter?
Meine Gedanken wandern zurück. Genau 2000 Jahre. Wer Arminius war, weiß niemand genau. Was wir über ihn wissen, verdanken wir mal wieder nur den Geschichtsschreibern der Römer. Nur wenige Fakten sind bekannt, der Rest ist Phantasie.
Arminius wurde vermutlich circa 17 vor Christus geboren. Über seinen wirklichen Namen weiß man nichts. »Hermann« gilt als falsch. Arminius’ Vater Segimer war ein Fürst. Als Anführer der Cherusker hat er lange gegen die Römer gekämpft, schließlich aber klein beigegeben und mit ihnen föderiert. Man vermutet, dass zwischen 8 und 4 vor Christus seine Söhne nach Rom kamen, ob als Geisel oder freiwillig, ist strittig. Dort wurden sie in Arminius und Flavius umbenannt, bekamen die bestmögliche Erziehung und Bildung, lernten Latein und den Umgang mit der Waffe. Um 4 nach Christus erwarb Arminius das römische Bürgerrecht und wurde aufgrund seiner kriegerischen Fähigkeiten in den Stand eines römischen Ritters erhoben.
Arminius’ Heimat war für die Römer ein furchtbares Land. Es gab – anders als auf der italischen Halbinsel – keine urbane Lebensweise, keine Schriftkultur, keine Landwirtschaft, die so wunderbare Dinge wie Wein und Oliven hervorbringen konnte. Es gab nur kleine Dörfer mit mehreren Gehöften, verbunden durch meist unbefestigte schmale Wege. Die Familien lebten in der Regel zusammen in einem Raum, der vermutlich fensterlos war. Zumindest im Winter kam auch das Vieh dazu. Bei Tacitus liest man, es sei in den Wohnungen »zugig und verraucht« gewesen, und Germanien habe »mit seinen Wäldern einen schaurigen, mit seinen Sümpfen einen widerwärtigen Eindruck« gemacht.
Arminius’ Leben in Rom war gänzlich anders. Blühende Olivenhaine statt düsterer Wälder. Farbenprächtige Blüten statt wabernder Nebelschwaden. Man konnte das tiefblaue Mittelmeer sehen, wohlige Wärme und laue Winde genießen. Dazu Sonne satt.
Wie muss sich Arminius gefühlt haben? Vermutlich ein bisschen wie die ersten Italientouristen, die 1956 im VW Käfer und Opel Kapitän in Livorno Sandalen und Socken in den Sand warfen und mit den Füßen in den Wellen planschten. Die prächtigen Farben, das gewaltige Meer, die beeindruckende Kultur. Auch heute noch ist man davon überwältigt und fühlt sich vom Italienfieber gerüttelt. Warum sollte es Arminius also anders gegangen sein?
In Rom erlebte er einen bis dahin nicht gekannten Luxus. Breite Straßen, gesäumt von vier- bis fünfstöckigen Mietshäusern. In den großzügigen Wohnhäusern gab es Fußboden- und Wandheizung. Allerdings nur selten Küchen. Denn schon damals gingen die einfacheren Stände gern in die zahllosen Garküchen auf den Straßen zum Essen. Es gab alles, was den Gaumen erfreuen kann: Fisch, Käse, duftendes Brot, viel Gemüse, Nüsse, Mandeln, Kastanien, Honig, Datteln, Feigen und jede Menge Wein. Eine lebhafte bunte Welt, voller Spannung und ständig neuer Eindrücke.
Arminius konnte bummeln, die Auslagen der kleinen Händler bewundern, ab und zu einen wohlschmeckenden Snack nehmen. Und zur Entspannung in eines der vielen Badehäuser gehen.
12 vor Christus gab es in Rom bereits 170 öffentliche Thermen, meist mit vergoldeten Wasserhähnen, mit Becken und Fußböden aus rosafarbenem Marmor. Anschließend konnte er sich nackt auf die Dachterrasse zum Sonnen setzen, sich mit Öl salben lassen und einfach nur das Flair des Südens genießen. Danach ein Spaziergang über Terrassen, gesäumt mit duftenden Blumenbeeten oder durch eine vor der Sonne schützende Galerie, bevor er dann zu einem der fröhlichen Gelage ging, wo es Wein bis zum Abwinken gab. Auf dem nächtlichen Heimweg herrschte städtischer Trubel.
Rom war damals eine Stadt mit circa einer Million Einwohnern. Die einfachen Leute mussten hart arbeiten. Die Oberschicht, zu der zweifellos Arminius gehörte, ließ es sich gut gehen. Griechische Sklaven gaben Unterricht. Es wurde lange und exzessiv gefeiert. Die Frauen trugen schöne Gewänder und ließen sich die Körperbehaarung entfernen. Sie schminkten sich die Lippen und Wangen mit Farben aus Ocker, die Augen mit Ruß. Die Haare wurden mit Henna in Rot, blau und blond gefärbt, mit heizbaren Lockenstäben in Form gebracht. Spiegel hatten sie ebenfalls, diese waren aus Metall und auf Hochglanz poliert.
Während ich so meinen Gedanken nachhänge, fällt mir plötzlich auf, dass Rom schon damals all das hatte, was es heute immer noch bietet: »la dolce vita« für die Besucher aus dem Norden, die schon am Tag zwei nach ihrer Ankunft davon träumen, sich ein Häuschen in der Toskana zu kaufen, um überhaupt nie mehr auf diese Leichtigkeit verzichten zu müssen, um immer den tollen Chianti und die phantastische Pasta genießen zu können. Heimat ade. Wir werden in den Sommermonaten alle Italiener.
Arminius blieb vermutlich 10 Jahre. Er lernte perfekt Latein und wurde römischer Staatsbürger. Doch da er zur Armee gehörte, konnte das süße Leben nicht von Dauer sein. Als Chef einer römischen Auxiliareinheit, so nannte man die Truppen, die aus Einwohnern der Provinzen bestanden, bekam er eine Aufgabe. Vermutlich musste er erst mit Tiberius nach Pannonien und dann – o Schreck – zurück in die Heimat.
Wenn er ausgerechnet im November zu Hause angekommen ist, waren Depressionen vorprogrammiert. Nieselregen, zugige Hütten, dicke Lederbecher statt eleganter Weinamphoren und statt zart gebräunter Frauenschultern konnte er nur noch schneeweiße Gesichter, eingehüllt in dicke Pelzumhänge, erspähen.
Welch ein Unterschied! Arminius muss sich gefühlt haben wie ein heutiger Italienreisender, der nach drei Wochen Toskana morgens um 6.30 Uhr wieder die Butterbrotdose bestückt, eine Thermoskanne mit Kaffee füllt und sich in den Bus Richtung Büro setzt. Im Kopf die Bilder von Sonne, Sand und Palmen. Vor Augen ein Großraumbüro mit Sachbearbeitertisch und Resopaltrennwand, im Herzen die düstere Perspektive, dass sich bis zum nächsten Sommerurlaub erst einmal nichts tut in Sachen Vergnügen.