Schnell heraus aus der Mobbingfalle - Andrea Micus - E-Book

Schnell heraus aus der Mobbingfalle E-Book

Andrea Micus

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Beschreibung

Mobbing bei Ihrem Kind frühzeitig erkennen und bekämpfen Ihr Kind zieht sich zurück, die Noten fallen ab und sein Lächeln ist wie verschwunden? Alarmstufe Rot: Mobbing könnte die Ursache sein. In einer Zeit, in der etwa 10% der Schüler in Deutschland systematisch schikaniert, beleidigt und ausgegrenzt werden, kann keine Elternschaft es sich leisten, das Thema zu ignorieren. Der Teufelskreis aus Angst und Hilflosigkeit endet hier und jetzt! Dieser Ratgeber ist die Rettungsleine, die Sie brauchen, um Ihr Kind vor den Abgründen des Mobbings zu schützen. Entdecken Sie zehn wirkungsvolle Strategien, um das Selbstbewusstsein Ihres Kindes wiederherzustellen. Lernen Sie, wie man effektiv mit Schulen und anderen Eltern kommuniziert, um eine sichere Umgebung zu schaffen. Durchleben Sie emotionale Fallbeispiele und lernen Sie daraus. Packen Sie das Übel an der Wurzel und wandeln Sie Ihre Sorgen in wirksame Maßnahmen um. Es ist Zeit für Veränderung. Zeit für ein glückliches, selbstbestimmtes Kind. Zeit, dass Sie Ihr Kind wieder lachen hören.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 169

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Jeder dritte Schüler wurde bereits gemobbt, jeder zweite hat Erfahrung mit Cybermobbing. Corona hat das Problem massiv verschärft – Tendenz steigend.

Zu 80 Prozent findet Mobbing in der Schule statt, begleitet von dramatisch zunehmenden Cyberaktivitäten. Für einen Teil der Mobbing-Opfer sind die Belastungen so groß, dass sie schon früh ernste psychische Störungen entwickeln. Es gilt als gesichert, dass Mobbing-Opfer auch noch als Erwachsene unter den Folgen leiden.

Mobbing ist schon seit vielen Jahren allgegenwärtig. Seit den Corona-Restriktionen sind die Zahlen noch einmal massiv angestiegen. Auch wer persönlich keine Erfahrung mit dieser perfiden Gewaltform machen musste, kennt jemanden, der betroffen war oder ist. Mobbing gibt es in allen Altersgruppen, also überall dort, wo Menschen zusammenkommen und sich nicht einfach umdrehen und weggehen können, in Organisationen, „Zwangsgemeinschaften“ wie Unternehmen, Behörden, Vereinen, Hausgemeinschaften und eben Schulen, sogar in Kindergärten.

Auch Erwachsene leiden, aber Kinder trifft es ungleich härter. Sie sind komplett hilflos der Grausamkeit ausgeliefert.

Angststörungen, sozialer Rückzug, Depressionen und Schulversagen sind die katastrophalen Folgen, aber auch eine wiederum erhöhte Gewaltbereitschaft und eine Tendenz zur Selbstverletzung.

Eines dieser Kinder ist Leonie, die Tochter einer guten Freundin, die seit einem Jahr nicht mehr bei ihrer geliebten Familie leben kann, sondern in einer therapeutischen Einrichtung untergebracht ist. Sie braucht diese professionelle Hilfe, weil monatelang ein unbarmherziges Mobbing-Feuer auf sie einprasselte und sie schließlich nur noch ein zitterndes Häufchen Elend war.

Leonies Schicksal vor Augen wollte ich dieses Buch schreiben. Ich habe dafür in den vergangenen Monaten mit zahllosen betroffenen Kindern und Jugendliche gesprochen und noch nie so viele flackernde Augenlider, zuckende Mundwinkel und nervös zitternde Finger gesehen. Mobbing trifft Seelen und verändert sie. Ich habe auch Eltern kennengelernt, die verzweifelt weinten, weil sie ratlos dem Phänomen ausgesetzt waren und hilflos mitansehen mussten, wie aus ihren einst fröhlichen Kindern apathische Wesen wurden. Ich habe mit Lehrern und ihren Vorgesetzten gesprochen, die alle entschlossen waren, sich dem Mobbing tatkräftig entgegenzustellen, sich aber immer wieder ihre eigene Hilflosigkeit eingestehen mussten, weil sie das, was passierte, nicht in den Griff bekamen. Und ich habe mich mit jungen Männern und Frauen unterhalten, die vor einigen Jahren in der Mobbing-Falle steckten und bis heute daran zu knabbern haben. Ich weiß jetzt: Mobbing vergisst man nicht.

Mit diesem Buch möchte ich zum einen für Mobbing sensibilisieren und Wege aufzeigen, mit denen man seine Kinder am besten davor bewahren kann, ein „Opfer“ zu werden, mit denen man sie aber auch im Ernstfall aus der Mobbing-Falle befreien kann.

Wenn Sie Eltern, Großeltern oder sonst wie verantwortlich für ein gemobbtes Kind sind, legen Sie das Buch jetzt nicht aus der Hand, sondern lesen Sie weiter. Denn eines ist wichtig: Handeln Sie schnell. Mobbing duldet keinen Aufschub.

Ihre Andrea Micus

1.Das große Leid unserer Kinder

Leonie ist die elfjährige Tochter meiner Freundin und war ein ungewöhnlich offenes, lebensfrohes Mädchen, das mir mehrmals im Monat begegnete. Sie lachte viel, war angenehm, ungestüm und eigentlich nie zu bremsen. Ein Kind mit Temperament und Esprit, hilfsbereit, beliebt, neugierig. Ich mag Kinder wie Leonie. Sie versprechen Zukunft.

Vor einem Jahr treffe ich Leonie völlig überraschend zu einer ungewöhnlichen Zeit im Stadtpark ihres Heimatstädtchens. Es ist halb neun und der Unterricht in der nahegelegenen Schule hat längst begonnen. Leonie steht neben einem Baum und sieht erst unsicher meinen Hund Henry und dann mich an. Ich sehe deutlich, dass sie damit kämpft, Henry zu streicheln. Soll sie oder soll sie nicht? Ihre Augen leuchten einen Moment lang, als sie die Hand ausstreckt und Henry sie schwanzwedelnd begrüßt. Aber dann legt sich ein Schatten auf ihr Gesicht und sie sieht teilnahmslos zu Boden. Als ich sie anspreche, antwortet sie mir zaghaft und ihr bis dahin immer so unbefangenes Lächeln wirkt zwanghaft und regelrecht verkümmert. Ihre Schule liegt in Sichtweite. Die Uhrzeit, die verlegene Art. Etwas stimmt nicht und ich frage Leonie jetzt direkt, ob sie nicht zur Schule müsse. Sie sieht mich nach wie vor nicht an, schluckt aber sichtbar. Und dann beginnt sie, sich zu öffnen, stockend, unsicher. Sie stammelt mehr, als sie spricht, aber ich verstehe, dass es um ein paar Mädchen aus ihrer Klasse geht, die sie „auf dem Kieker“ haben.

„Triezen, auf dem Kieker haben, hetzen“ – Begriffe, die jeder aus der Schulzeit kennt, der eigenen und der der Kinder. Doch was Leonie mir an dem frühen Vormittag auf einer Holzbank im Schatten einer Buche erzählt, hat eine andere Dimension. Es geht darum, dass hier eine Gruppe von gleichaltrigen Mädchen ein Kind zerstört. Man zerreißt ihre Bücher, versteckt die Schularbeiten, beleidigt sie offen, allerdings nur dann, wenn es sonst niemand hören kann. Auf dem Schulhof wird sie heimlich gezwickt und so geschubst, dass sie schon mal der Länge nach auf das Pflaster knallt und sich schmerzhaft Knie und Ellbogen aufschlägt, man verschüttet ihren Saft, beschmiert ihr Brot, auch schon mal mit Fäkalien.

Ich halte die ganze Zeit über Leonies Hand und bemerke, dass sie unkontrolliert zittert. Es ist ganz klar, hier sitzt ein kleines Mädchen, dessen Seele gefährlich unter Strom steht.

„Es gibt einen Psychologen in der Schule, dem kann man alles sagen, er behält jedes Geheimnis für sich“, vertraut sie mir weiter an, und auch, dass sie fast jeden Tag bei ihm ist.

Als ich Leonie später nach Hause bringe, fühle ich mich schlecht und ratlos zugleich. Ein kleines Mädchen wird gewissermaßen vor meinen Augen regelmäßig misshandelt Ich spreche am Nachmittag telefonisch mit Leonies Mutter, die weinend berichtet, wie sehr sie sich um ihr Kind sorgt. Leonie habe jede Nacht Albträume, esse nicht und verstecke sich immer wieder auf dem Schulweg. Die Eltern wissen zu der Zeit schon lange, was ihr passiert, und sie stehen mit der Schule in regem Kontakt. Aber es hilft nichts. Ein Schulwechsel ist nicht möglich. Es gibt nur eine Schule.

Leonie ist diesem Tag nicht mehr in den Unterricht gegangen. Der Hausarzt hat ihr ein Attest geschrieben und zugleich für Leonie und ihre Mutter eine Mutter-Kind-Kur beantragt. Als ich mich verabschiede, bin ich schockiert und Leonies zitternde Hände lassen mich im Geist nicht mehr los.

Am kommenden Tag rufe ich Ben an. Er ist 23 Jahre alt, und wie ich anhand der LinkedIn-Daten herausfinde, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Physikalischen Institut einer bekannten Universitätsstadt. Das letzte Mal, dass ich Ben gesehen habe, war vor sechs Jahren auf der Abiturfeier meines Sohnes. Ben ist mit meinem Sohn zur Schule gegangen und war mein erster aufwühlender Mobbingfall. Ich war damals im Elternvorstand des Gymnasiums und erinnere mich an mehrere Treffen mit Ben’ Vater, die ich im Rahmen der Elternarbeit mit ihm hatte. Er war ein kluger, gebildeter, bemühter Mann, der bei allen unseren Treffen um Fassung rang und mit den Tränen kämpfte. Er bat alle Anwesenden, uns Eltern, die Lehrer, die Vertreter der Schüler, offen um Hilfe. Sein Sohn würde gemobbt, so subtil und gemein, dass er zeitweise nicht mehr zur Schule gehen mochte. Und das passierte nicht nur in der Schule, nein, auch im Netz. Über Ben wurde in den sozialen Medien diskutiert und gern geschrieben, wie „blöd“ er sich gerade mal wieder angestellt hatte.

Warum? Der Vater wusste keine Antwort, ebenso wenig wie ich. Ich kannte Ben, er war ein kluger Junge, der bei vielen landesweiten Schulwettbewerben mitmachte. Sein Spezialgebiet war Physik. Er war gern im Labor, experimentierte auch in seiner Freizeit. Ich hatte ihn als höflich, freundlich und offen wahrgenommen.

Aber ich wollte wissen, was man gegen Ben hatte, habe seine Mitschüler, die bei mir ein und aus gingen, offen danach gefragt. Die Antworten waren verhalten, von „Das stimmt nicht“ über „Wir sind das nicht“ bis „Er ist auch ein selten doofer Streber“. Reicht es, ein Opfer zu werden, wenn man besser ist als die anderen? Das überzeugte mich nicht.

Ich hatte mit den Jungs gesprochen und niemandem zugetraut, Ben zu mobben. Aber ich bemerkte auch, dass sie sich alle heraushielten, um nicht ebenfalls Opfer zu werden. Ben hatte das ausgehalten, mehr oder weniger. Die Rettung kam offenbar durch zwei weitere Jungs, die ebenfalls nicht sehr beliebt waren. Sie schlossen sich zu einem verschwiegenen Trio zusammen und hielten sich weitestgehend aus dem Klassenverband heraus. Als ich ihn auf der Abiturfeier sah, stand er auch nur mit seinem beiden Freunden zusammen, etwas abseits, aber doch zufrieden.

Jetzt, als ich Ben nach sechs Jahren anrufe, ist er irritiert. Ich bitte ihn um ein Gespräch zum Thema Mobbing und er möchte zuerst ablehnen. Erst als ich ihn frage, ob er noch daran denke, verstummt er. Einen Moment lange fühle ich mich, als ob ich seinen Vater in der Leitung hätte, so wie damals, als er mich an einem Abend sehr spät anrief und um Hilfe bat. Die gleiche vibrierende Stimme, die gleiche Atemlosigkeit.

Aber Ben lässt mich nur kurz abblitzen. Am Abend ruft er zurück und erzählt mir, zum einen, was damals alles passiert ist, und zum anderen, wie sein Leben nach dem Abitur weitergegangen ist.

Ben, der an der Schule zu einem stillen Menschen geworden ist, hat bis heute seine Stimme nicht wiedergefunden. Er führt ein zurückhaltendes Leben. Keine lauten Partys, keine großen Gruppen, mit denen er abends um die Häuser zieht, keine Reisen, keine Treffen. Er meidet Gesellschaft, ist in keinem Verein, keiner Partei, keiner Verbindung. Er und sein Leben sind still geblieben.

Leonie und Ben haben mich aufgewühlt und darüber nachdenken lassen, was man tun kann, um das Mobbing-Problem aufzugreifen. Ich bin Journalistin und möchte über die vielen „Opfer“ berichten, die Tag für Tag in den Schulen, den Vereinen, auf der Straße, in Parks, an all den Treffpunkten leiden, sich albernen Mutproben unterziehen, um irgendwie doch noch dazuzugehören, und die Millionen Erwachsenen, auf deren Seelen das Leid der Jugend brennt und die vielleicht sogar als Erwachsene am Arbeitsplatz eine Fortsetzung der Qualen erleben. All denen, die von einer Minderheit schikaniert und ihres Lebenswillens beraubt werden, will ich helfen. Ich habe mir für dieses Projekt Unterstützung von Fachleuten gesucht und ich hoffe, dass ich mit diesem Buch, das mir aus dem Herzen kommt, ein bisschen Leid lindern kann.

„Wenn ich die Schule nur betrete, spüre ich schon pure Angst.“

Sie erhalten einen Überblick über das erschreckende Phänomen unserer Zeit und detaillierte Tipps, wie Sie Ihre Kinder präventiv mobbingfest machen, aber auch im Ernstfall schützen und aus der bedrohlichen Falle erfolgreich befreien können. Ich wünsche Ihnen alles Glück der Welt dafür!

„Jeder Blick ins Handy ist für mich wie ein Stich ins Herz“

2.Mobbing – Was ist das eigentlich genau?

Schikanieren, terrorisieren, anpöbeln, schubsen, kneifen, schlagen, provozieren, aufstacheln, verspotten … alles ist denkbar, um die Loser, Spackos oder Vollpfosten „einzuwrapen“ und ihnen zu zeigen, dass sie nichts wert sind und man Macht über sie hat. In den vergangenen Jahrzehnten hat dieses Verhalten solch ein Ausmaß angenommen, dass sich in der Verhaltensforschung ein eigener Fachbegriff herausgebildet hat: Mobbing! Seit den 80er-Jahren ist das auch der gängige Begriff in der Schulpsychologie.

Mobbing kommt vom englischen „mob“, das man mit „Meute“ oder „randalierender Haufen“ übersetzen kann, „to mob“ ist das entsprechende Verb.

Doch was bedeutet Mobbing konkret? Es ist eine Art Psychoterror mit System, das heißt, es ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein Prozess. Eine zielstrebige Erniedrigung oder Ausgrenzung eines anderen Menschen, eine Aktion, die von einer oder mehreren Personen fortwährend betrieben wird. Zur Einordnung haben sich Experten auf mindestens einmal in der Woche über einen Zeitraum von mindestens mehrere Wochen lang geeinigt.

Der Zeitfaktor spielt eine Rolle, weil man nur von Mobbing spricht, wenn Mobbing-Handlungen systematisch, häufig und wiederholt auftreten und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Einmalige Vorfälle sind also kein Mobbing!

Man spricht auch nur von Mobbing, wenn zwei ungleich starke Parteien in einen Konflikt geraten. Der Chef mit dem Mitarbeiter, die Gruppe mit dem Einzelnen, der Starke mit dem Schwachen. Ein Streit auf Augenhöhe ist deshalb kein Mobbing.

Wenn ich hier von Mobbing spreche, beziehe ich mich auf Schulen. Natürlich werden Kinder auch in Vereinen, Einrichtungen und auf der Straße gemobbt. Aber am weitaus häufigsten, zu mehr als 80 Prozent, findet Mobbing eben in Schulen statt. Das ist auch nicht verwunderlich, denn dort halten sie sich die meiste Zeit auf.

In den 1970er-Jahren hat sich der Dan Olweus, ein schwedischer Professor für Persönlichkeitspsychologie, mit der Thematik Gewalt an Schulen auseinandergesetzt und folgende Definition festgelegt (1986): definiert:

„Ein Schüler ist Gewalt ausgesetzt bzw. wird gemobbt, wenn er wiederholt und über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler ausgesetzt ist.“

Dan Olweus gilt als Gründervater der Erforschung von Gewalt an Schulen. Sie werden später im Buch noch einmal von ihm hören.

Seit einiger Zeit hat sich auch der Begriff „Bullying“ als Synonym für Mobbing durchgesetzt. Bestimmt haben Sie schon davon gehört.

Der Ausdruck kommt vom englischen „bully“, was übersetzt „brutaler Mensch“ oder „Tyrann“ bedeutet.

Mobbing oder Bullying, ich bleibe zur Vereinfachung in diesem Buch beim in Deutschland gängigeren Begriff Mobbing.

2.1.Ist Mobbing in der Altersgruppe denn wirklich so häufig?

Oh ja, Mobbing ist die am häufigsten praktizierte Gewalt an Schulen und gehört zum alltäglichen Schulleben dazu.

Fachleute schätzen, dass einer von zehn Schülern ernsthaft von Mobbing betroffen ist, einer von zehn zum Täter wird. Man geht davon aus, dass durchschnittlich ein bis drei Schüler in einer Klasse gemobbt werden.

Mädchen und Jungen sind gleich häufig betroffen, wobei Jungen häufiger Opfer und überwiegend Täter bei Gewalttätigkeiten sind. Die Aggressivität der Mädchen ist subtiler und schwer zu durchschauen. Sie schikanieren mit Intrigen und streuen Gerüchte.

Körperliche Gewalt geht häufiger von älteren Mädchen und Jungen aus, die jüngere damit gefügig machen.

Die Folgen sind dramatisch, denn das Leben der Betroffenen ist massiv beeinträchtigt. Mittlerweile gilt als gesichert, dass Kinder und Jugendliche, die in der Schule gemobbt werden, auch als Erwachsene noch darunter leiden. Laut amerikanischer und europäischer Studien wechseln Betroffene häufiger den Arbeitsplatz und haben mehr Schwierigkeiten, Freunde zu finden und eine dauerhafte Partnerschaft zu leben. Zudem sind sie anfälliger für Infektionen, chronische Krankheiten wie Diabetes und Depressionen.

Mobbing kann jeden treffen. Aber die Gefahr, davon betroffen zu sein, ist größer, wenn bestimmte Merkmale dazukommen: Behinderung, Hautfarbe, schulische Leistung, Auffälligkeiten.

Seit einigen Jahren werden Lehrkräfte deshalb bereits in ihrer Ausbildung verstärkt für das Thema Mobbing sensibilisiert, denn sie spielen eine wichtige Rolle in der Früherkennung. Wenn nämlich Mobbing im Beisein einer Lehrkraft stattfinden kann, weil die nicht realisiert, was passiert, erhält das Mobbing eine Legitimierung. In der Folge wird es noch schlimmer.

Mobbing ist Dauerstress und belastet die Gesundheit jedes Menschen.

2.2.Mobbing hat ganz unterschiedliche Gesichter

„Du fette Kuh“ oder „Du bist hässlich“ sind Sätze, die Mobbingopfer vor allen Mitschülern zu hören bekommen. Wenn sie in den Klassenraum kommen oder in der Cafeteria anstehen, verdrehen die anderen die Augen und wenden sich ab, und wenn sie jemanden ansprechen, antwortet derjenige nicht. Man behandelt sie wie Luft und sie sollen sich fühlen, als gäbe es sie nicht.

Es gibt auch materielle Angriffe. Der Kugelschreiber ist auf einmal zerbrochen, das Schulheft verschmutzt, aber gesehen hat natürlich niemand etwas.

Es existieren Gerüchte, das Opfer sei drogenkrank, hätte eine Affäre mit dem Lehrer, prostituiere sich nach der Schule mit älteren Männern oder Frauen. Auch die Eltern und Geschwister werden gleich mit verleumdet. Der Vater ist angeblich im Gefängnis statt im Ausland, die Mutter hat laut der üblen Nachrede Affären und die Geschwister sind in der Psychiatrie. Alles ist möglich und es wird vor nichts haltgemacht. Das Opfer kann sich nicht wehren, weil es gar nicht weiß, wogegen. Es weiß häufig nicht einmal, welches Gerücht genau im Umlauf ist. Es merkt nur, dass es ausgegrenzt wird und niemand etwas mit ihm zu tun haben will. Warum? Keine Ahnung!

Wenn es Nerven zeigt und weint, beginnt der Spaß erst richtig. Dann wird es noch verstärkt lächerlich gemacht, verhöhnt und verspottet. Auf zahlreichen Kanälen poppt dann ein Video auf, auf dem das „Opfer“ leise schluchzt, versehen mit veralbernden Emojis. Wer es aufgenommen hat? Achselzucken.

Sie sehen also, es gibt nicht DAS Mobbing. Mobbing hat viele Gesichter und äußert sich ganz unterschiedlich.

Um hier etwas Klarheit zu schaffen, wird zwischen zwei Formen von Mobbing unterschieden:

a) Direktes oder sichtbares Mobbing

Unter direktem Mobbing versteht man jede Form von Mobbing, die im „echten“ Leben vorkommt. Die Täter und das Opfer kennen sich, sie sind zum Beispiel in derselben Klasse oder Gruppe.

Die Opfer sind dauerhaft schlimmen Beleidigungen ausgesetzt, oft für alle hörbar. „Da kommt die fette Brillenschlange!“, oder „Augen zu, die Nutte ist im Raum!“ HHäufig ist das auch subtiler, indem man an ihnen vorbeigeht und im Vorübergehen „du bist ekelhaft“ zischt. Aber sie werden auch vor der ganzen Klasse vorgeführt und ausgelacht, wenn sie sich im Unterricht zu Wort melden oder nur durch die Klassenzimmertür kommen. „Es stinkt“ ist dann ein beliebter Kommentar und alle halten sich die Nase zu.

Laurenz, ein stiller, kluger Junge, hat genau das auf der Grundschule erlebt. „Meine Eltern haben einen Bauernhof und ich bin in unserer Kreisstadt zur Schule gegangen, gerade mal drei Kilometer entfernt. Doch für meine Mitschüler hatte ich eine ‚Kuhfresse‘ und habe nach Mist gestunken. Deshalb konnte sich mir niemand nähern, ohne lautstark zu würgen. ‚Ich kotze gleich‘ war der Satz, den ich in meiner Schulzeit wohl am meisten gehört habe.“

Laurenz hat es einfach ausgehalten, sich aus der Gemeinschaft zurückgezogen und sich auf das Nachhausekommen und den geliebten Bauernhof gefreut. Als er später auf das Gymnasium wechselte, war der Terror vorbei. „Mittlerweile studiere ich Medizin, aber wenn ich jemanden höre, der würgt oder sich übergeben muss, sind alle Bilder wieder lebendig. Ich bin sicher, dass sich die Erlebnisse festgebrannt haben und ich sie nicht mehr vergessen werde.“

Mobbing-Opfer werden teilweise aber auch körperlich brutal angegriffen. Es geht um Ohrfeigen, Boxen, Schubsen, Beinstellen bis zum Schwitzkasten und dem Eindrücken des Kopfes in ein Klobecken. Opfer werden auch bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt oder zusammengeschlagen. Der 16-jährige Linus, ein etwas korpulenter Junge, erzählt, dass er in der ersten Klasse der Gesamtschule nahezu auf jedem Schulweg von einer Gruppe Mitschüler „getickt“ wurde, wie sie die Gewalttaten spielerisch nannten. „Sie haben sich an mir abreagiert, mich geschubst, geschlagen, eben das gemacht, wonach ihnen gerade war. Warum? Ich wusste es nie. Ich kannte sie ja nur vom Sehen, aber meine Angst und Verzweiflung zu beobachten sehen, hat ihnen ganz offensichtlich Freude bereitet und sie animiert, immer weiterzumachen.“

Linus hat natürlich versucht, ihnen zu entkommen, sich im Gebüsch versteckt, einen anderen Weg genommen. Gelegentlich hat es geklappt, aber häufig auch nicht. „Ich bin oft blutend in die Schule gekommen, habe aber die nachfragenden Lehrer immer angelogen, wenn sie eine Wunde entdeckt haben. Angeblich war ich gestürzt. Niemand hat dann weiter nachgefragt.“

Irgendwann war den Tätern das Opfer zu schwach, es machte keinen Spaß mehr, seinen Willen zu brechen, weil er schon gebrochen war.

Sie suchten sich ein anderes Opfer und schlugen dann dieses. Linus sah das auch, aber er schaute ebenso weg, wie alle anderen zuvor bei ihm. „Ich habe mich geschämt, genauso passiv zu sein wie alle anderen, die mir auch nie geholfen haben. Aber die Angst, wieder auf der Liste der Truppe zu stehen, war stärker als mein Mut.“

Linus, der heute in die neunte Klasse der Gesamtschule geht, erzählt auch, dass er seinen Eltern schon früh von den Brutalitäten erzählt hatte und sie auch deshalb mit der Schule gesprochen hatten. Aber geholfen hatte das nicht. Im Gegenteil. Es war alles noch schlimmer geworden. Deshalb schwieg er schließlich und verbarg seine Verletzungen auch vor ihnen. „Ich wusste damals nicht, wie sie mir noch helfen sollten und habe nichts mehr gesagt und die Angst und die Schmerzen ausgehalten. Heute bringt es auch nichts mehr, davon zu erzählen. Ich rede nur darüber, um anderen Kindern Mut zu machen. Ich möchte ihnen sagen: Es geht vorbei, gebt nicht auf, haltet durch.“