Violas Traum - Christa Kanitz - E-Book
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Violas Traum E-Book

Christa Kanitz

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Beschreibung

Sind die Schatten der Vergangenheit stärker als das Licht der Hoffnung? Der Familienroman »Violas Traum« von Christa Kanitz als eBook bei dotbooks. Das glanzvolle Baden-Baden im Jahre 1870: Die leidenschaftliche Friederike von Botin ist nicht bereit, sich der strengen Moral ihrer Zeit zu unterwerfen – sie will ihre Freiheit genießen, sie will leben, sie will lieben! Doch das bleibt nicht ohne Folgen … Um den drohenden Skandal zu vermeiden, muss Friederike ihre Tochter heimlich zur Welt bringen und einer Adoptivfamilie anvertrauen. Aber ist dieses Kapitel damit wirklich abgeschlossen? Als Friederike viele Jahre später von der jungen, ungestümen Viola hört, die davon träumt, als Reiterin ein wichtiges Turnier zu gewinnen, muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen – und zieht Viola so unabsichtlich mitten hinein in ein kaltes Spiel um Macht und Ehre … Jetzt als eBook kaufen und genießen: der bewegende Frauenschicksalsroman »Violas Traum« von Bestsellerautorin Christa Kanitz, auch bekannt unter dem Namen Christa Canetta. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 498

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Über dieses Buch:

Das glanzvolle Baden-Baden im Jahre 1870: Die leidenschaftliche Friederike von Botin ist nicht bereit, sich der strengen Moral ihrer Zeit zu unterwerfen – sie will ihre Freiheit genießen, sie will leben, sie will lieben! Doch das bleibt nicht ohne Folgen … Um den drohenden Skandal zu vermeiden, muss Friederike ihre Tochter heimlich zur Welt bringen und einer Adoptivfamilie anvertrauen. Aber ist dieses Kapitel damit wirklich abgeschlossen? Als Friederike viele Jahre später von der jungen, ungestümen Viola hört, die davon träumt, als Reiterin ein wichtiges Turnier zu gewinnen, muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen – und zieht Viola so unabsichtlich mitten hinein in ein kaltes Spiel um Macht und Ehre …

Über die Autorin:

Christa Kanitz (1928–2015) studierte Psychologie und lebte in der Schweiz und Italien, bis sie sich in Hamburg niederließ. Sie arbeitete als Journalistin für den Südwestfunk und bei den Lübecker Nachrichten; 2001 begann sie in einem Alter, in dem die meisten Menschen über den Ruhestand nachdenken, mit großem Erfolg, Liebesromane und historische Romane zu schreiben, die sie sowohl unter ihrem richtigen Namen als auch unter dem Pseudonym Christa Canetta veröffentlichte.

Christa Kanitz veröffentlichte bei dotbooks den Roman »Die Liebe der Kaffeehändlerin« und die Trilogie »Die Venezianerin«, »Die Tochter der Venezianerin« und »Das Vermächtnis der Venezianerin«.

Unter ihrem Pseudonym Christa Canetta veröffentlichte sie bei dotbooks die Romane »Eine Liebe in Frankreich«, »Das Leuchten der schottischen Wälder«, »Schottische Engel«, »Schottische Disteln«, »Die Heideärztin« und »Die Heideärztin unter dem Kreuz des Südens« (die letztgenannten Romane sind auch als Sammelband unter dem Titel »Eine Landärztin zum Verlieben« erhältlich).

Ebenfalls bei dotbooks erschienen die Romane »Jenseits der Grillenbäume«, »Im Land der roten Erde« und »Sommerwind über der Heide« aus dem Nachlass von Christa Kanitz: Drei unvollendete Romane, denen ihre Töchter – darunter die erfolgreiche Autorin Brigitte D’Orazio – gemeinsam den letzten Schliff verliehen und die nun unter dem Namen von Christa Kanitz’ Enkeltochter Virginia veröffentlicht wurden.

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eBook-Neuausgabe November 2021

Copyright © der Originalausgabe 2009 bei LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München. Alle Rechte vorbehalten

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Dramas, Ironika, Margarita Borodina, Fexel, cowardlion, Daniel Doorakkers

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-922-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Christa Kanitz

Violas Traum

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Das Unwetter kam von Gernsbach heraufgezogen. Friederike und Johannes bemerkten es erst, als die schwarzblaue Wolkenwand den Hummelsberg einhüllte und die Blitze bis nach Oberbeuern zuckten. Die beiden Reiter waren in der Nähe der Bußackerhütte unterwegs und Johannes erklärte: »Wir müssen das Unwetter in der Hütte abwarten. Es ist zu gefährlich, im Galopp zurück nach Baden-Baden zu reiten. Das schaffen wir nicht.«

Aber Friederike winkte ab. »Ich muss um sechs zu Hause sein. Los, komm.« Dann gab sie ihrer Stute einen kleinen Hieb mit der Gerte und preschte davon. Johannes blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Der Baron hatte ihn beauftragt, seine Tochter bei ihren Ausritten zu begleiten und dafür Sorge zu tragen, dass die Baroness wohlbehalten zurückkam. Das war nicht einfach für ihn, denn die junge Dame hatte einen sehr eigenen Willen und dachte nicht daran, seine Anweisungen zu befolgen. Und da ihn und die Baroness eine schwärmerische Liebelei verband, konnte sie ihn immer wieder davon überzeugen, das zu tun, was sie wollte.

Der Himmel wurde dunkler, die Sicht schlechter, die Blitze zuckten grell und drohend aus den Wolken und der Donner dröhnte über Anhöhen und durch die Täler. Johannes hatte Mühe, dem Pferd der Baroness zu folgen. Der großrahmigen Stute mit der langen Galoppade zu folgen, war beinahe unmöglich. Verflixt, dachte er, wenn ich einen der Hengste reiten dürfte, wäre das kein Problem, aber als Stallmeister muss ich mich mit dem schwerfälligen Wallach begnügen, der weiß Gott nicht der Schnellste ist. Und verärgert ließ er sein Pferd die Sporen spüren.

Friederike von Botin, eine schlanke, gutaussehende und furchtlose Reiterin, war das einzige Kind des Barons Bernhard von Botin und seiner russischen Frau Tamara, die gegen den Willen ihrer fürstlichen Familie den Baden-Badener Adligen geheiratet hatte. Die einzige Tochter, gerade siebzehn Jahre alt geworden, war ein wildes Kind und selbst jetzt noch, in diesem heiratsfähigen Alter, galt sie nicht gerade als wohlerzogen. Sie liebte zwar ihre Eltern und versuchte auch, sich deren Wünschen entsprechend zu benehmen, aber meistens misslang ihr das. Sie wusste, dass sie eines Tages den Grafen Michael von Sterndorff heiraten würde, weil das gesellschaftliche Reglement diese Bindung erforderte. Warum wusste sie allerdings nicht, aber bis dahin wollte sie ihre Jugend, ihre Freiheit und ihr Leben genießen.

Viel Zeit dafür hatte sie sowieso nicht. Ihr Tagesablauf wurde von Gouvernanten, Lehrerinnen und einem streng geregelten Tagesplan bestimmt. Und die Abende gehörten meist den Eltern, die sie in die Gesellschaft einführten. Als sie zu ihrem vierzehnten Geburtstag von ihrem Vater das Stutfohlen Carina geschenkt bekam, lehnte sie zum Erstaunen der Eltern das Geschenk ab. »Ich habe keine Zeit, um dieses Pferd zu pflegen, zu trainieren und zu reiten. Es war immer mein Traum, so eine wunderschöne Stute zu besitzen, aber ich kann die Verantwortung nicht übernehmen.«

»Aber Friederike, zum Pflegen und für die Verantwortung haben wir einen Stallmeister und die Pferdeknechte«, betonte der Vater irritiert.

»Und was habe ich dann davon?«

»Du kannst Carina reiten.«

»Und wann? Weißt du nicht, wie mein Tagesablauf aussieht? Morgens, noch vor dem Frühstück, muss ich Gymnastik betreiben. Dem Frühstück folgt der Unterricht. Dann das gemeinsame Mittagessen. Danach dieser langweilige Handarbeitsunterricht. Wer will denn heute noch handgestickte Petit-Point-Taschen tragen? Dann beginnt der Musikunterricht und anschließend muss ich die gehobenen Ansprüche der Konversation erlernen. Nein, Vater, für ein Pferd ist da kein Platz mehr.«

»Dann müssen wir etwas ändern«, erklärte der Vater und sah seine Frau erwartungsvoll an.

»Das geht nicht«, versicherte die Mutter. »Was Friederike jetzt nicht lernt, erlernt sie nie mehr.«

»Aber etwas Sport ist auch wichtig und Reiten ist ein gesunder Sport. Friederike kommt an die frische Luft, sie lernt das Umland und die Menschen kennen.«

»Unmöglich«, versicherte die Baronin. Reiten auf dem Platz hinter dem Stall mag ja noch angehen, aber eine Baroness, die Ausritte in die Umgebung macht, ist ausgeschlossen.

Friederike verfolgte amüsiert die Diskussion. Sie wusste, letzten Endes würde sie ihren Willen durchsetzen, denn ein Geschenk des Vaters abzulehnen, kam einer Aberkennung seiner Macht gleich und die würde er nicht dulden. So wartete sie den Wortwechsel geduldig ab und als die Eltern spürbar müde wurden, erklärte sie: »Ich mache euch einen Vorschlag. Ich bekomme einen freien Tag in der Woche, an dem ich mich um mein Pferd und um meinen Reitsport kümmern kann. Alle anderen Tage gehören euch und meinem Stundenplan.«

Die Eltern, genervt von dem nutzlosen Hin und Her, nickten schließlich. »Aber unter einer Bedingung«, erklärte der Vater, »du darfst unser Grundstück nie allein verlassen. Der Stallmeister wird dich begleiten und du gehorchst seinen Anweisungen.«

»Selbstverständlich, Vater.« Friederike umarmte die Eltern. Hurra, sie hatte wieder einmal ihren Kopf durchgesetzt. Die Mutter bestimmte, dass der günstigste Tag der Mittwoch sei und dass die Tochter immer pünktlich um achtzehn Uhr zu Haus sein müsse.

Friederike war überglücklich, verbrachte jeden Mittwoch im Stall und auf dem Rücken ihrer wunderschönen braunen Stute mit dem kleinen weißen Stern auf der Stirn. Manchmal traf sie im Pferdestall Agnes, das Serviermädchen ihrer Eltern mit einem außerordentlichen Gespür für Pferde, die schnell ihre Freundin wurde. Und sie verliebte sich in den Stallmeister. Auch bei ihm setzte sie schnell ihren Willen durch. Friederike schenkte dem charmanten Stallmeister ein Lächeln und der tat in kürzester Zeit, was sie wollte.

***

So war es auch heute wieder. Es war schwül, das Unwetter lag in der Luft, trotzdem beharrte Friederike darauf, einen Tagesritt bis in den Holdergrund zu unternehmen. »Ich habe so selten Zeit für einen weiten Ausflug, ich möchte raus aus dem schwülen Tal, ich möchte in die Nähe der Berge und mir dort eine frische Brise um den Kopf wehen lassen. Komm, Johannes, diesen Wunsch kannst du mir nicht abschlagen.«

»Aber die Pferde schwitzen, wir müssen durch Waldgebiete reiten und dort sind die Bremsen unerträglich, Baroness.«

»Ach was, wir nehmen Blätterzweige und wedeln die lästigen Fliegen fort. Auch die Pferde werden sich über die kühlere Luft in der Nähe der Berge freuen.«

Und so waren sie ganz früh am Morgen losgeritten, etwas Proviant in den Satteltaschen und Friederike im Herrensattel, was für eine junge Frau sehr unziemlich war und die Eltern nicht geduldet hätten. Aber da hatte die Baroness so ihre Tricks. Sie trug einen weiten, knöchellangen Rock, dessen Nähte sie vorn und hinten aufgetrennt hatte, sodass niemand im Hause erkennen konnte, dass sie vorhatte, im Herrensitz zu reiten. Selbstverständlich trug sie ihr Plastron am Hals, darüber das eng taillierte Reitjackett und auf dem Kopf den Damenzylinder mit dem weißen Seidenband. Ihr wäre die englische Schiebermütze, wie Johannes sie trug, viel lieber gewesen, aber sie wollte nicht riskieren, dass die Mutter ihr die Reiterei wegen unkorrekter Kleidung verbot.

Der Ausflug war ganz nach Friederikes Geschmack. Sie ritten Seite an Seite, so eng, dass die Steigbügel sich klirrend berührten und nicht nur die Steigbügel, sondern auch die Beine der Reiter.

Gegen Mittag machten sie eine kleine Rast am oberen Übelsbach, bei der Johannes der Baroness die langschäftigen Stiefel auszog und die Füße im kühlen Wasser wusch ‒ wobei er nicht vergaß, die Beine zu streicheln, was der Baroness sehr gefiel. Dann störte ein erstes, fernes Donnergrollen die romantische Atmosphäre und bevor die Zärtlichkeiten in Umarmungen endeten, drängte Johannes zum Aufbruch.

Das Unwetter erreichte sie kurz hinter der Bußackerhütte. Stürmische Böen zerrten an den Bäumen, das gleißende Licht der Blitze zerriss die dunklen Wolken und krachend folgte der Donner. Das Land verschwand hinter einer grauen Regenwand, die schnell näher rückte. Und als sie Lichtenthal erreichten, überfiel sie die sintflutartige Wasserfront.

»Baroness, wir reiten ins Kloster«, rief Johannes ihr zu, aber Friederike winkte ab und galoppierte weiter. Jetzt war es nicht mehr weit, jetzt würde sie noch pünktlich zu Hause sein. Aber sie hatte nicht mit dem Sturm gerechnet. Zahlreiche Äste der langen Eichenallee, die Lichtenthal mit Baden-Baden verband, bedeckten den Boden und nur den schnellen Reaktionen und dem Springvermögen der Stute war es zu verdanken, dass Friederike den im Weg querliegenden Ästen ohne Sturz entkam. Durchnässt bis auf die Haut erreichte sie das väterliche Anwesen und den Stall. Wenig später traf auch Johannes ein, zerkratzt im Gesicht, ohne Mütze und mit einem zerrissenen Ärmel.

In der Stalltür stand Agnes und erwartete die Reiter. Sie bedauerte nicht die Menschen, die durch das Unwetter gejagt waren, sondern die Pferde. Sie wusste, dass die Tiere Unwetter erahnten und fürchteten. Mit einem strafenden Blick auf Friederike nahm sie ihr die Stute ab und führte sie in den Stall. Das Pferd zitterte am ganzen Körper und war nass vom Regen und weißem Schweiß. Die Nüstern weit aufgebläht, versuchte es zu atmen und zuckte bei jedem Donnerschlag zusammen. Agnes führte Carina in die Box und begann, sie mit Stroh abzureiben. Dabei sprach sie beruhigend auf die Stute ein. Friederike folgte ihr atemlos.

»Ich muss um sechs im Haus sein«, erklärte sie der Freundin, »kümmerst du dich um Carina?«

»Ja, natürlich, aber was du gemacht hast, war nicht gut. Carina wird das nicht vergessen. Du wirst in Zukunft Probleme beim Gewitter mit ihr haben.«

»Ja, mag sein, aber ich muss pünktlich sein. Wir haben heute Abend Gäste, Mutter würde mir nie verzeihen, wenn ich nicht rechtzeitig da wäre.«

»Ja, ich weiß, lauf hinauf ins Haus und mach dich fein, ich bleibe hier, bis Carina sich beruhigt hat.«

»Achte auf die Zeit, Mutter wird ungeduldig, wenn du nicht rechtzeitig zum Servieren erscheinst.«

»Ich weiß, ich werde pünktlich sein.« Und während Friederike mit einer Hand ihren Rock raffte und mit der anderen den Hut festhielt, rannte sie quer über das große Rasenrondell hinauf zum Palais.

Sie benutzte den Dienstboteneingang, um der Mutter ihren Anblick zu ersparen. Tamara von Botin, geborene Prinzessin Pecoranoff, Fürstentochter aus Sankt Petersburg, legte größten Wert auf ein tadelloses Benehmen selbst im engsten Familienkreis. Der Anblick ihrer Tochter hätte ihr die Laune für den Rest des Tages verdorben und das konnte Friederike nicht riskieren, denn immerhin erwarteten die Eltern Gäste, unter Ihnen Graf von Sterndorff, ihren zukünftigen Verlobten.

Sie schlich den Dienstbotenaufgang hinauf in die zweite Etage, wo zu ihrer Suite ein Badezimmer gehörte. Helma, eine kluge, kleine Dienstmagd, die genau wusste, was auf sie zukam, wenn die Baroness bei diesem Wetter ausgeritten war, hatte ein Bad mit heißem Wasser eingelassen, köstliches, nach Rosen duftendes Badeöl hinzugegeben und half der Baroness beim Auskleiden. Und während Friederike sich in das Wasser gleiten ließ, sammelte Helma die nasse, am Boden liegende Kleidung zusammen und brachte sie in die Waschküche.

Die Baroness hat so ihre Eigentümlichkeiten, dachte sie und lächelte vor sich hin. Die Dienstboten wussten alle, dass sie ein Faible für den Stallmeister hatte, aber niemand würde sie verraten. Die Baroness war eine liebenswerte junge Frau, die sie alle mochten. Als Dame der allerfeinsten Gesellschaft von Baden-Baden hatte sie wahrscheinlich kein leichtes Leben. Alle waren bemüht, dass sie eine standesgemäße Erziehung bekam: die Gouvernante, die Privatlehrerin, die Klavierlehrerin. Wenig Zeit blieb für sie selbst übrig. Zudem musste Friederike fast täglich mit der Mutter Konzerte, Museen, Dichterlesungen oder Soireen besuchen. Warum sollte sie sich nicht bei alldem wenigstens in den Stallmeister verlieben?

***

Agnes schaute der Freundin einen Augenblick nach und schüttelte den Kopf. Friederike ist wirklich ein lieber, toleranter Mensch ohne Standesdünkel und Eitelkeiten, wenn sie nur nicht so leichtsinnig wäre, dachte sie. Ihre Reiterei bei jedem Wetter, ihre Schwärmerei für den charmanten Johannes ‒ wenn das die Eltern erfahren, wird die Reiterei ein Ende haben, das steht fest und das weiß sie auch. Trotzdem ist sie nicht vorsichtig.

Auch Agnes schwärmte für den Stallmeister, aber heimlich und aussichtslos. Sie wusste, dass er, müsste er sich je entscheiden, die reiche Erbin wählen würde. Aber zum Glück wird das nie passieren, dachte Agnes. Ein Stallbursche und eine Baroness? Niemals!

Sie streichelte Carina und sprach leise mit ihr und langsam beruhigte sich das Pferd. Dann legte sie ihr eine Decke auf den Rücken und gab etwas Hafer in die Krippe. Sobald die Stute fraß, wusste Agnes, dass sie das Pferd allein lassen konnte.

Problemloser war es mit dem Wallach von Johannes. Den gleichmütigen Sicco konnte so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Auch er war verschwitzt und schnaubte, aber sobald er den Stall roch, waren für ihn nur noch Heu und Hafer wichtig. Der Stallmeister hatte ihn einem der Knechte übergeben und zog sich selbst in der Sattelkammer um. Dabei fluchte er laut vor sich hin und Agnes amüsierte sich und während sie ihren Schirm aufspannte und durch den Regen hinauf zur Villa lief, dachte sie an seinen männlichen Körper, den sie im Sommer oft heimlich beobachtet hatte, wenn er sich hinter dem Stall im Freien wusch. Dann bekam sie einen trockenen Mund, weiche Knie und ein wohliges Gefühl in ihrem ganzen Körper. Er war der erste und einzige Mann, den sie jemals nackt gesehen hatte und das Bild ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Nimm dich zusammen, ermahnte sie sich und lief zum Dienstboteneingang. In der Kammer neben der Küche konnte sie sich umziehen und streifte schnell das lange schwarze Kleid und die rüschenbesetzte, weiße Servierschürze über. Dann band sie die langen braunen Haare zu einem Knoten zusammen und steckte die weiße Spitzenhaube darüber fest.

In der Küche wartete Minna auf sie. »Hier, für eine Tasse Tee reicht die Zeit noch, dann geh hinauf und melde dich bei Anna, die ist, wie immer, wenn Gäste erwartet werden, schon sehr nervös.« Agnes nickte nur und trank den heißen, süßen Tee. Sie wohnte nicht hier im Dienstbotentrakt, sie arbeitete beim Baron nur als Serviermädchen, wenn Gäste erwartet wurden, denn sie musste den Eltern helfen, die Familie zu unterhalten, weil der Vater als Hausknecht in den Caracalla-Thermen nicht genug verdiente, um ihre drei jüngeren Geschwister und ihre kränkelnde Mutter zu ernähren.

Ihre Liebe zu Pferden hatte sie früher in jeder freien Minute in die Lichtenthaler-Allee getrieben, wo ständig Reiter unterwegs waren. Und eines Tages stand sie vor dem schmiedeeisernen Tor der Botin’schen Villa und beobachtete, wie zwei Knechte vergeblich versuchten, ein Pferd vor einer Kutsche anzuschirren, während die ganze Familie hilflos daneben stand und zuschaute. Da ging Agnes einfach durch das Tor, sagte zu den Knechten: »Lasst mich das mal machen« und strich dem nervösen Tier so lange über den Rücken, die Flanken, den Hals, bis es sich beruhigt hatte, dann legte sie ihm das Geschirr um, reichte den Knechten den Zügel und erklärte: »Man muss es ein bisschen liebhaben, dann tut es alles, was man will.«

Verblüfft kam der Baron persönlich auf sie zu und fragte: »Machen Sie so etwas öfter? So zahm habe ich den Hengst noch nie erlebt.«

Agnes schüttelte den Kopf und erklärte: »Dazu habe ich keine Zeit. Ich muss meinen Eltern helfen.«

»Aber Sie haben eine gute Art, mit Pferden umzugehen.«

Sie lachte. »Es war das erste Mal, dass ich ein Pferd berührt habe.«

Der Baron nickte. »So eine gute Hand könnte ich öfter hier gebrauchen. Wie wäre es, wenn Sie nicht den Eltern, sondern mir helfen würden? Für ein Salär natürlich.«

Aber Agnes schüttelte den Kopf. »Mein Vater würde das nicht erlauben. Er fände es unziemlich für ein Mädchen, in einem Stall zu arbeiten.«

Jetzt mischte sich die Baronin ein. »Ich könnte ein Serviermädchen gebrauchen, wenn Gäste erwartet werden. Sie könnten im Haus arbeiten und ab und zu im Stall helfen, wenn die Pferde eine ruhige Hand brauchen.«

»Aber ich weiß doch gar nicht, ob ich mit Pferden umgehen kann? Heute, das war sicher nur ein Zufall.«

»Dann sollten Sie das ausprobieren«, mischte sich nun die Baroness ein, der das junge Mädchen gut gefiel. Friederike hatte schnell erkannt, dass diese Fremde sympathisch und etwa in ihrem Alter war. Eine Freundin in der Nähe hätte sie gut gebrauchen können, denn die jungen Damen der Gesellschaft, die sie ab und zu bei offiziellen Anlässen traf, waren arrogant, zänkisch, unehrlich und neidisch, weil sie so viele Freiheiten genoss.

Und sie wurden Freundinnen, die beiden jungen Mädchen.

Freundinnen, die einander vertrauten, die sich verstanden, die sich gegenseitig halfen, die füreinander da waren. Damals waren sie gerade vierzehn Jahre alt.

Inzwischen hielt die Freundschaft schon seit drei Jahren und aus den Mädchen waren junge Frauen geworden, die einander ihre Wünsche, ihre Hoffnungen, ihre Ängste und ihre Freuden anvertrauten.

Agnes wusste von Anfang an von der Liebelei zwischen dem Stallmeister und der Baroness und schützte die Freundin vor der Neugier der Hausangestellten und dem Getuschel der Stallknechte. Sie wusste, dass Friederike eines Tages den Grafen von Sterndorff heiraten würde, dem Drängen ihrer Eltern aber nur nachgab, weil der Graf über ein Gestüt, ein großes Ansehen und einen beachtlichen Reichtum verfügte. Von allem das Wichtigste aber waren für die Freundin die Pferde auf dem Sterndorffschen Gut bei Winden. Die Frage nach Gefühlen ignorierte die Baroness mit einem Augenzwinkern. Aber die gemeinsame Liebe zu Pferden vertiefte die Freundschaft, denn Agnes besaß tatsächlich ein ganz besonderes Gespür für die Tiere.

Friederike wiederum wusste um die Not von Agnes, die den ärmlichen Haushalt der Eltern führen musste und einen Vater hatte, der, war er alkoholisiert, was fast immer der Fall war, die Familie tyrannisierte und sich mit Schlägen Respekt verschaffte. Sie wusste aber auch von dem Stolz der Freundin, die außer dieser Freundschaft niemals Geschenke oder Bevorzugungen von ihr annehmen würde. Das Einzige, was sie ab und zu akzeptierte, waren abgelegte Kleider für ihre jüngeren Schwestern.

So kam zu dem gegenseitigen Vertrauen der Respekt vor der Würde der Freundin und dieser Respekt wurde zur Basis einer langen Freundschaft zwischen der Baroness und dem Serviermädchen.

Kapitel 2

Der Sommer ging in den Herbst über. Die langen Tagesritte für Friederike und den Stallmeister waren vorbei. Überall im Land wurde das Wild gejagt und es war zu gefährlich, durch die Wälder zu reiten. Bei gutem Wetter trainierte Friederike unter der Aufsicht des Stallmeisters auf der Wiese im eigenen Park und bei schlechtem Wetter zogen sich die beiden in die Wohnung von Johannes, die über dem Stall lag, zurück. Sehr diskret, wie sie meinten, denn zuerst verschwand Johannes und Friederike kümmerte sich um ihr Pferd und dann folgte sie ihm heimlich die knarrende Stiege hinauf.

Agnes verfolgte die amourösen Zusammenkünfte mit Sorge und eines Tages, als Friederike wieder einmal mit glänzenden Augen, geröteten Wangen und leicht atemlos die Stiege herunterkam, sprach sie die Freundin an. »Du weißt, was du da tust?«, fragte sie ganz direkt und sehr besorgt.

Friederike zuckte nur mit den Schultern. »Ja, freilich, aber Mittwoch ist mein freier Tag und da kann ich machen, was ich will.«

»Wenn es herauskommt, dass du den Nachmittag in der Kammer vom Stallmeister verbringst, verliert er seine Arbeit und du verlierst deinen freien Tag.«

»Niemand wird es erfahren, wir sind vorsichtig und wir gehen immer erst hinauf, wenn die Knechte fort sind.«

Aber Agnes schüttelte den Kopf. »Schau einmal in den Spiegel, meilenweit sieht man dir an, dass du ein Rendezvous mit einem Mann hattest.«

Erschrocken griff sich Friederike an die Wangen. »Meinst du? Dann werde ich etwas warten, bis ich hinauf ins Haus gehe.«

»Und was ist mit deiner Wäsche. Der Geruch eines Mannes haftet lange in der Wäsche, wenn es zu Intimitäten kommt.«

»Dazu kommt es nicht. Ich weiß, wie weit ich gehen kann und wo meine Grenzen sind.«

»Und Johannes? Weiß der es auch?«

Lachend entgegnete die Freundin: »Er respektiert meine Wünsche.«

»Trotzdem, sei vorsichtig, Friederike.« Damit war das Gespräch beendet und Agnes hoffte, dass Friederike ihre Warnung ernst genommen hatte.

***

Für die Baroness begann in diesem Herbst die erste Ballsaison.

Tamara von Botin engagierte eine Hausschneiderin mit zwei Gehilfinnen, die vierzehn Tage lang im Schneiderzimmer des Palais die schönsten Roben für Friederike schneiderten. Die Baronin hatte einen ausgeprägten Sinn für feine, exquisite Stoffe und einen guten Geschmack. Sie wollte die Schönheit der Tochter unterstreichen und die Tugendhaftigkeit der Siebzehnjährigen hervorheben. Ihr oberstes Gebot hieß: unauffällige Eleganz, bescheidene Zurückhaltung, aber erlesene Qualität.

Friederike war der Aufwand ziemlich egal. Sie hatte noch nie viel Getue um ihre Kleidung gemacht, aber sie wollte die Mutter nicht enttäuschen und erduldete die langen Anproben und Änderungen.

»Weißt du«, erklärte sie eines Tages der Freundin, »mir ist das ganze Gehabe ziemlich egal. Ich muss nicht auf den Bällen glänzen, um einen ansehnlichen Ehemann zu finden, ich habe den Michael von Sterndorff und das ist eine beschlossene Sache.«

»Aber es muss doch Spaß machen, die anderen Mädchen auszustechen, die eigene Schönheit in den Mittelpunkt zu stellen«, sagte Agnes erstaunt.

»Findest du denn, dass ich schön bin?«

»Aber ja und außerdem bist du eine Persönlichkeit und dadurch bist du einzigartig.«

»Hm, wenn du meinst? Aber ehrlich und unter uns, ich könnte auf diesen ganzen Zirkus verzichten, ich tue es nur meinen Eltern zuliebe.«

»In deinen Kreisen ist es nun einmal Pflicht, sich in den richtigen Familien zu bewegen.«

»Ja, ja, ich weiß. Hoffentlich hört das auf, wenn ich eine Gräfin von Sterndorff bin. Hoffentlich kann ich dann tun und lassen, was ich will.«

»Und was würdest du wollen?«

Friederike zögerte einen Augenblick, dann erklärte sie: »Wir werden viel auf Reisen sein, fremde Länder kennenzulernen. Das würde mir gefallen, aber am liebsten möchte ich meine Tage auf dem Gutshof verbringen und mich um das Gestüt kümmern. Da müsste sich einiges ändern.«

Verwundert sah Agnes die Freundin an. »Was meinst du damit?«

»Herr Graf von Sterndorff hat keinen Erfolg mit seinen Pferden. Sie gewinnen nie in Iffezheim und dort zu gewinnen ist doch der Traum jedes Rennstallbesitzers.«

»Und wie willst du das ändern?«

»Mal sehen. Ich habe da so ein paar Pläne, aber die sind noch unausgegoren. Und vor allem muss ich erst einmal den Grafen heiraten.«

Agnes zuckte mit den Schultern und flüsterte: »Dann halte dich beim Stallmeister aber zurück. Es gibt bestimmt ein paar junge Damen hier in der Stadt, die dich beneiden und nur nach einem Grund suchen, dich zu verleumden.«

»Ich weiß, ich weiß. Keine Sorge, wir passen auf.«

Und dann passierte es doch. Die Ballsaison ging langsam in den Fasching über, da bat Friederike die Freundin um einen Spaziergang und ein Gespräch unter vier Augen. »Agnes, ich fürchte, ich habe ein großes Problem.«

»Was ist los? Geht es dir nicht gut? Du siehst oft so blass aus und seit zwei Wochen bist du nicht mehr geritten.«

Weinend entgegnete Friederike: »Ich fürchte, ich habe eine riesengroße Dummheit gemacht.«

Erschrocken nahm Agnes den Arm der Freundin. »Nun sag schon, was passiert ist.«

»Ich habe nicht auf deine Warnung gehört«, schluchzte sie. »Ich bin immer wieder zu Johannes gegangen. Es war so schön, er war so charmant und so zärtlich und so einfühlsam und was am schlimmsten ist, er musste mich nicht einmal überreden.«

»Wozu überreden?«

»Na ja, mich ihm hinzugeben.«

»Oh Gott und du hast es gemacht. Und nun?«

»Nun habe ich schon zum zweiten Mal meine Tage nicht gehabt.«

»Du glaubst, du bekommst ein Kind? Um Gottes Willen!« Agnes war entsetzt.

»Hätte ich doch bloß auf dich gehört.«

»Warst du schon beim Arzt?«

»Nein, dann wüsste es doch gleich die ganze Stadt.«

»Und was willst du nun machen?«

»Ich weiß es nicht. Ich kenne auch niemanden, der mir helfen würde.«

»Du meinst eine Abtreibung? Willst du denn das Kind nicht?«

»Mein Leben wäre ruiniert. Mein Vater würde mich rausschmeißen, meine Mutter würde mich nach Sankt Petersburg schicken oder in die Walachei und Michael von Sterndorff würde sich eine andere, attraktive, unbescholtene Braut suchen.«

»Aber Friederike, an eine Abtreibung darfst du überhaupt nicht denken. So ein kleines Kind ist ein Wunder Gottes, davon trennt man sich doch nicht.«

»Dann sag du mir, was ich tun soll.«

»Du meine Güte, so schnell fällt mir auch nichts ein. Wenn du dich untersuchen lassen willst, um Sicherheit zu haben, da wüsste ich einen Arzt und ich würde dich als meine Freundin anmelden, ohne deinen Namen zu nennen.«

»Ach, Agnes, hier geht es doch nicht um eine Untersuchung, mir geht es um das Grundsätzliche.«

»Und was ist das Grundsätzliche für dich?«

»Die Frage: Will ich das Kind oder will ich es nicht. Will ich auf ein Leben in Glanz und Reichtum verzichten oder lieber auf das Kind von einem Stallburschen?«

»Friederike, so ein ungeborenes Kind darf man doch nicht einfach als Sache betrachten und sich davon befreien. Es wird dein Leben bereichern, es wird dir Glück schenken, vielleicht musst du in einfachen, bescheidenen Verhältnissen leben, aber du wirst einen Reichtum besitzen, der nicht mit Geld aufzuwiegen ist.«

»Du hast leicht reden, Agnes. Was würde dein Vater sagen, wenn du ihm mitteilst, dass du schwanger bist?«

»Er würde mich davonjagen, aber das würde mich nicht stören. Ich würde mein Kindchen nehmen und mir irgendwo eine neue Bleibe suchen. Ich kann arbeiten und es würde immer für uns zwei reichen.«

»Wie einfach du das siehst.«

»Ich sehe das ganz nüchtern. Das Leben ist so schön und die Welt ist so groß, irgendwo würde ich einen Platz finden und ein Nest für mein Kind und mich bauen. Das schwöre ich dir.«

»Ja, natürlich, nur, dass du nicht in meiner Lage bist. Mit Worten kann man viel tun und schwören kann man auch.«

»Aber für dich träfe das doch auch zu. Du musst nur den Mut haben. Und, Friederike, für einen Feigling habe ich dich noch nie gehalten.«

***

Die beiden jungen Frauen hatten die Tennisplätze am Oosbach erreicht und kehrten im Clubhaus ein, um einen heißen Kakao zu trinken. Die Plätze waren geschlossen und eine leichte Schneedecke hatte sich über den roten Sand gelegt. Aber das Clubhaus war geöffnet und im Kamin brannte ein wärmendes Feuer. Vor dem Eingang waren ein paar Pferde angebunden und die Reiter hatten es sich drinnen gemütlich gemacht.

Traurig blickte Friederike auf die fröhliche Runde. »Ich hatte noch so viele Pläne mit der Reiterei und mit Michaels Rennstall.«

»Die musst du doch nicht aufgeben. Wenn dein Michael dich liebt, akzeptiert er vielleicht sogar dein Kind.«

»Ach, Agnes, bei uns war noch nie von Liebe die Rede. Er mag mich und ich finde ihn sympathisch. Für Gefühle hatten wir bisher weder Zeit noch Gelegenheit. Das kommt dann später, hat mir meine Mutter erklärt.«

»Aber du kannst doch keinen Mann heiraten, für den du nichts empfindest.« Agnes war schockiert.

»Ach was, ich finde ihn nett, er sieht gut aus, er ist gesund, er kann mir ein wunderbares, sorgenfreies Leben bieten, alle jungen Frauen der Stadt beneiden mich und ich steige im Rang der Gesellschaft eine Stufe höher.«

»Und das genügt dir?« Fassungslos schüttelte Agnes den Kopf. So zynisch hatte sie die Freundin noch nie erlebt.

»Was erwartest du denn von einem Mann?«

Es dauerte einen Augenblick, bis die Freundin antwortete. »Ich begreife einfach nicht, warum du so oberflächliche Wünsche hast. In der Ehe kommt es doch auf Liebe, auf Vertrauen, auf Zärtlichkeiten und Verständnis an.«

»Dafür kann man sich nichts kaufen, liebe Agnes. Meiner Meinung nach kommt es auf Rang und Namen an, auf Anerkennung und Ehrenhaftigkeit, auf Zukunftspläne und auf den Ehrgeiz, sie zu verwirklichen. Und all das besitzt Michael von Sterndorff.«

»Na schön«, versicherte Agnes enttäuscht, »wenn du es so siehst, wirst du vielleicht Recht haben. Mir würde das nicht genügen.«

»Na ja, du hast auch nicht die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die ich habe.«

»Nein, die habe ich nicht und die will ich auch nicht haben.«

Der Kakao war kalt geworden, das Feuer im Kamin heruntergebrannt und die Reiter waren auch aufgebrochen. Draußen wurde es dunkel und ein leichter Schneefall hatte eingesetzt. Friederike stand auf. »Wir müssen zurückgehen. Und einen Rat hast du mir immer noch nicht gegeben.«

»Du hast mich ziemlich überrumpelt. Gib mir etwas Zeit.«

»Wirst du mir helfen oder habe ich dich zu sehr enttäuscht?«

»Natürlich helfe ich dir, ich weiß nur noch nicht wie.«

***

Im Palais angekommen, ging Agnes in die Dienstbotenräume, um sich umzuziehen, denn am Abend wurden Gäste erwartet. Friederike zog sich in die Suite zurück, um sich für die Gesellschaft anzukleiden. Bedrückt betrachtete sie sich im Spiegel und schickte Helma fort, die ihr behilflich sein wollte. Die Dienstmagd wird als erste merken, wenn ich fülliger werde und wenn sie mein Korselett nicht mehr so eng schnüren kann, wie sie es gewohnt ist.

Friederike strich sich ängstlich über den Bauch. Was mache ich nur, wenn mir all die neuen Kleider nicht mehr passen? Die Ballsaison ist noch lange nicht zu Ende und beim Tanzen werden es die Partner, wenn sie mich im Arm halten, auch spüren.

Friederike warf sich auf das Bett und schluchzte in das Kopfkissen: »Und an allem ist dieser Johannes schuld. Er und seine Zärtlichkeiten, seine Überredungskünste, sein Charme, verdammt noch mal.« Dann besann sie sich. Unsinn, dachte sie ernüchtert, ich habe es genossen. Es war so atemberaubend, seine Hände auf meinem Körper zu fühlen. Er hat mich glücklich gemacht. Ich hatte Gefühle, die ich nie für möglich gehalten habe. Es war schön, es war bis zur Besinnungslosigkeit schön und ich habe ihn ermutigt. Ich konnte nicht genug bekommen von diesen Gefühlen, ich habe sogar darum gebettelt, mich auf diesen Wolken schweben zu lassen.

Sie stand wieder auf und trat vor den Spiegel. Noch ist nichts zu sehen, aber bald wird mich mein Körper verraten, bis dahin muss ich eine Lösung gefunden haben. Sie rief die Dienstmagd zurück und ließ sich beim Ankleiden helfen. Nicht einmal das Korselett kann ich allein anziehen, wer schnürt es mir zu, wer hilft mir bei den Tornüren?

Sie dachte an Agnes, ihre einzige Vertraute. Ich müsste sie fragen, ob sie mir in Zukunft beim Ankleiden behilflich sein könnte. Das bedeutet, ich muss die Mutter überreden, mir eine Zofe zu erlauben. Mutter wird mir zustimmen, schließlich steht mir als angehender Gräfin eine Zofe zu. Aber wird Agnes das wollen? Sie ist daheim so eingespannt, sie hat kaum noch Zeit für die Pferde und so ein Spaziergang wie heute, wird ihr den Zorn des Vaters einbringen. Trotzdem, ich werde sie fragen und danach mit der Mutter sprechen. Agnes wird einen Lohn bekommen und den zu Hause abliefern, dann erlaubt der Vater vielleicht die Arbeit bei uns. Schließlich hat sie doch gesagt, ich müsse das Baby bekommen, so ein Kind sei ein Gottesgeschenk.

***

Beim nächsten Treffen im Stall fragte Friederike die Freundin. »Könntest du dir vorstellen, tagsüber bei uns als meine Zofe zu arbeiten? Ich werde mich bald nicht mehr allein ankleiden können, ich brauche Hilfe beim Schnüren des Korseletts und der Kleider, die hinten geknöpft werden müssen. Wenn ich eine Dienstmagd bitte, weiß sehr schnell das gesamte Personal, dass ich in anderen Umständen bin.«

»Ich weiß nicht, ob mein Vater das erlaubt. Meine Mutter kränkelt und ich muss daheim den Haushalt machen.«

»Aber du bekämst einen guten Lohn, der würde deinen Vater vielleicht umstimmen.«

»Nein, das will ich nicht«, protestierte Agnes. »Wir sind Freundinnen und eine Freundin bezahlt man nicht.«

»Ach, Agnes, du bist dumm. Ich bezahle nicht dich, ich gebe dir das Geld nur in die Hand, damit du deinen Vater zufrieden stimmst. Ich weiß doch sonst nicht, wie ich in den nächsten Monaten zurechtkommen soll. Du hast gesagt, ich soll das Kind bekommen, nun musst du mir auch helfen.«

Agnes nickte. Ja, das kleine, hilflose Wesen, das da heranreifte, war wichtiger als die Laune des Vaters und ihr eigener Stolz, der ihr verbot, Geld von der Freundin anzunehmen. »Ich habe versprochen, dir zu helfen und mein Versprechen halte ich. Wann soll ich anfangen?«

»Vielleicht in einer Woche? Ich muss meine Mutter fragen, aber sie wird nichts dagegen haben und dann muss auch eine Kammer für dich bereitgestellt werden, in der du wohnen kannst, denn auf dich als Serviermädchen wird meine Mutter nicht verzichten.«

Aber Agnes schüttelte den Kopf. »Mein Vater wird nicht erlauben, dass ich die Nächte nicht zu Hause verbringe. Er wird verlangen, dass ich nachts die Hausarbeit mache, die am Tage versäumt wurde.«

»Aber du kannst doch nicht Tag und Nacht arbeiten.«

»Dir beim Ankleiden zu helfen ist nicht schwer. Ich bin jung und gesund und das bisschen Haushalt daheim schaffe ich leicht. Mach dir also keine Sorge deswegen.«

Und so geschah es. Agnes wurde die Zofe ihrer Freundin, servierte abends im Palais die Getränke für die Gäste und ersetzte nachts die kränkelnde Mutter. Aber der Dienst als Serviermädchen wurde seltener, weil der Baron von Botin als Diplomat sehr oft auf Reisen war und die Baronin allein keine Gesellschaften ausrichten konnte.

Es hätte sich nicht geschickt, als Frau Freunde einzuladen.

Kapitel 3

Die Wochen vergingen. Weihnachten wurde in großer Gesellschaft gefeiert, am Silvesterabend gab Baron von Botin das größte Fest des Jahres und Agnes hatte alle Hände voll zu tun. Oft kam sie erst weit nach Mitternacht nach Hause und begann dort mit der Arbeit. Der Vater, alkoholisiert wie beinahe an jedem Abend, verschlief zum Glück für Agnes die späte Rückkehr der Tochter und die Mutter versuchte, sie nach Kräften zu unterstützen.

Friederike wurde langsam fülliger und die Angst, ihren Zustand nicht mehr verbergen zu können, wuchs mit jedem Tag. Sie gab die Reiterei ganz auf, verbrachte aber die freien Stunden weiterhin im Pferdestall, damit es nicht auffiel.

Johannes, der Stallmeister, ahnte nichts vom Zustand der Baroness, aber er spürte die Distanz, die sie plötzlich zu ihm aufbaute und hielt sich zurück. Wenn die Damen ihre Launen haben, soll man sie nicht stören, dachte er und trainierte die Pferde des Barons draußen im Freien, wenn Agnes und Friederike in den Stall kamen.

Eines Tages, Mitte Februar, Johannes war mit zwei Pferden auf der Rennbahn in der Lichtenthaler-Allee unterwegs, um sie an den Pferdeschlitten zu gewöhnen, saßen Friederike und Agnes sehr deprimiert in der Sattelkammer. Ein Hengstfohlen hatte sich an der Stallwand verletzt und Agnes hatte einen der Knechte zum Tierarzt geschickt, weil das Pferd eine offene Wunde hatte, die desinfiziert und genäht werden musste. Während sie warteten, schluchzte Friederike: »Agnes, ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Die Kleider werden zu eng, beim Tanzen habe ich Angst, dass man es bemerkt und meine Beine werden so schwer. Zum Glück hat das Unwohlsein am Morgen aufgehört, aber ich spüre das Gewicht und langsam lässt sich mein Zustand nicht mehr verbergen. Wenn meine Mutter mit ihren Besorgungen in der Stadt nicht so sehr in Anspruch genommen wäre, hätte sie sich längst schon gewundert.«

»Deine Kleider kann ich ändern«, tröstete Agnes sie, »und mit dem Essen musst du dich einschränken, damit du nicht unnötig zunimmst. Aber was ist mit der Geburt, wie sollen wir die verheimlichen?«

Hinter ihnen räusperte sich ein Mann. Verlegen klopfte er an die Tür der Sattelkammer und blickte auf die beiden Frauen. »Sie haben mich gerufen?«

»Ja«, erschrocken sprangen die beiden auf. »Das Hengstfohlen hat sich verletzt«, erklärte Agnes dem Mann, den die beiden jungen Frauen seit einiger Zeit kannten, denn er war der beste und zuverlässigste Tiermediziner der Stadt. Thomas Prange schüttelte den Kopf und sah Friederike mitleidig an. »Ich glaube, hier geht es um schwerwiegendere Probleme als um ein Fohlen.«

»Sie haben uns belauscht?«, fragte Friederike entsetzt.

»Sie waren nicht gerade leise und ich hatte nicht vor, als ungebetener Mithörer vor Ihnen zu stehen. Aber nun denke ich, Sie könnten Hilfe gebrauchen. Trotzdem, zuerst muss das Fohlen versorgt werden.«

Die beiden Frauen führten ihn zu der Box, in der das junge Pferd mit hängendem Kopf und sichtbaren Schmerzen stand. Agnes ging mit dem Arzt hinein, denn das Fohlen kannte sie und ließ sich von ihr anfassen. Als sie es gestreichelt und beruhigt hatte, legte sie ihm ein Halfter um und hielt es fest. Doktor Prange träufelte ein Desinfektionsmittel auf ein Mulltuch und betupfte damit die Wunde am vorderen Oberschenkel. Dann nähte er den Riss, legte einen Verband an und streichelte das Tier, während Friederike etwas Hafer in die Krippe schüttete.

»So«, erklärte der Mann, »und nun zu Ihnen, meine Damen.«

Agnes sah die Freundin an und als Friederike nickte, erklärte sie: »Wir sind in einer sehr heiklen Situation.«

»Ja, das habe ich bereits gehört. Sie wollen eine Schwangerschaft und eine Geburt verheimlichen.«

»Ja«, schluchzte Friederike, »ich bin in einer sehr misslichen Lage. Als ich spürte, dass in mir ein Kind heranwächst, wusste ich nicht, ob ich es abtreiben lassen sollte. Ich kenne doch niemanden in der Stadt, der so etwas macht. Und dann hat Agnes gesagt, ich solle das Ungeborene behalten, es sei ein Wunder Gottes und sie würde mir helfen. Und nun wissen wir nicht, wie es weitergehen soll.«

»Dass Sie Ihr Kind austragen, ist sehr richtig. Ein Kind ist immer ein Geschenk Gottes.«

»Aber was wird dann?«, fragte Friederike verzweifelt.

»Dann braucht das Kind eine Mutter, das ist der natürliche Weg.«

»Aber ich bin so gut wie verlobt. Mein Bräutigam, die ganze Familie, die ganze Stadt würde mich verachten. Sie wissen doch, was die Leute von einer Frau denken, die ein Kind und keinen Ehemann dafür hat.«

»Ihre Familie weiß nichts von Ihrer Situation?«

»Nein, natürlich nicht. Sie sind der Einzige, der nun etwas davon weiß.«

»Ja, aber Sie können mir vertrauen, ich weiß Geheimnisse zu hüten. Es ist keine angenehme Situation, in der Sie sich befinden und in Ihren feinen Kreisen ganz unmöglich, das sehe ich ein.« Er schaute Agnes an. »Haben Sie eine Lösung, Fräulein Agnes? Sie sind jung, Sie sind gesund, Sie wären eine prächtige Mutter für so ein Baby.«

Sprachlos sah Agnes den Mann an, den sie kaum kannte. Dann musste sie trotz der ganzen Unannehmlichkeit lachen. »Und wie stellen Sie sich das vor?«

Aber der Mann sah sie ganz ernsthaft an. »Sie beide reisen fort und wenn das Baby geboren ist, werden die Mütter getauscht.«

»Du lieber Himmel«, Friederike war fassungslos. »Wie stellen Sie sich das vor. Niemals lassen mich meine Eltern irgendwohin reisen.«

»Sie kränkeln, Sie brauchen Erholung, eine längere Kur vielleicht und Fräulein Agnes fährt als Ihre Betreuerin mit.«

Friederike war nachdenklich geworden. Wäre das die Lösung? Und Agnes, wie würde sie mit dieser Situation zurechtkommen? Ich könnte natürlich für sie und das Kind sorgen, sie unterstützen, sie kann bei uns wohnen, das würde ich schon durchsetzen. Es passiert schließlich öfter, dass ein junges Mädchen verführt wird, oft genug sogar von ihrem Dienstherrn. Daran nimmt dann kein Mensch Anstoß. Sie sah Agnes an, was sagte sie dazu?

Auch Agnes war nachdenklich geworden. Sie würde gern so ein Baby haben, sie würde es lieben und pflegen und ihm eine gute Mutter sein. Doch ihre Lebensplanung wäre dann zu Ende. Der Vater würde sie aus der Wohnung werfen und verachten und andere Leute würden schlecht über sie reden. Nur, wen interessierte das schon? Aber und das war problematischer, einen Mann würde sie auch nicht bekommen. Wer nimmt schon eine Dienstmagd mit Kind? Und wovon sollte sie leben? Wenn Friederike in die Grafenfamilie einheiratete, konnte sie bestimmt nicht eine Zofe mit Kind mitbringen. Unschlüssig sah sie den Tierarzt und die Freundin an. »Ich würde es tun, aber ich habe Angst um meine Zukunft. Ein Kind großzuziehen kostet nicht nur Liebe, sondern auch Geld. Wer aber würde mich beschäftigen, mit einem Baby in der Wiege.«

»Ich natürlich«, rief Friederike spontan. »Ich würde immer für dich da sein.«

»Aber du heiratest in die feinsten Kreise, du wirst bald vielleicht keinen Kontakt mehr zu mir haben können.«

»Ich werde alles tun, um dir zu helfen, das schwöre ich.«

»Du weißt nicht, was auf dich zukommt. Aber ‒ egal ‒ ich werde es machen.« Und plötzlich strahlte sie über das ganze Gesicht.

»Es wird mir eine große Freude sein.«

Mit einem Seufzer der Befreiung nahm Friederike ihre Freundin in den Arm. »Mein Gott, ich danke dir, dass ich so eine wunderbare Freundin haben darf«, flüsterte sie, den Tränen nahe. Und auch der Tierarzt umarmte Agnes und sagte dankbar: »Sie sind ein feiner Mensch, ich wusste das schon immer.«

Na ja, dachte Agnes, immer ist wohl etwas übertrieben, eigentlich kennt er mich ja kaum. Aber es ist nett, dass er mir vertraut.

»Und wie wird es nun weitergehen?«, fragte Friederike, schon wieder ängstlich geworden.

»Auf jeden Fall müssen Sie verreisen. Ich werde mir etwas überlegen und dann sehen wir weiter. Und jetzt will ich noch einmal nach dem verletzten Fohlen sehen, morgen komme ich wieder.«

***

Tamara von Botin saß an ihrem Biedermeiersekretär und starrte auf das Billett in ihrer Hand. Ein Bote hatte es abgegeben und es war genau die Einladung, auf die sie seit Wochen gewartet hatte. Prinz Max von Baden lud zu einem Empfang zu Ehren von Großherzogin Luise, der Tochter des Preußenkönigs Wilhelm I., ein. Die energische Landesfürstin hatte ein Heim für benachteiligte Frauen eingeweiht und würde nach einem großen Empfang im Markgräflichen Schloss nach Genf weiterreisen.

Seit Wochen war dieser Besuch das Gesprächsthema in den adligen Kreisen von Baden-Baden und nun lag die Einladung für ›Baron Bernhard von Botin und seine Gemahlin‹ vor, aber Tamara konnte nicht an dem Empfang teilnehmen. Ihr Mann war auf Reisen und ohne seine Begleitung konnte sie die Einladung in das Neue Schloss nicht annehmen.

Tamara war den Tränen nahe. Alle würden da sein, die ganze aristokratische Gesellschaft der Stadt würde sich dort treffen. Man würde mit der Großherzogin plaudern, heimlich die Roben der anderen Gäste betrachten, die eigene Würde zur Schau stellen und Kontakte knüpfen oder festigen. Noch nach Monaten würde der Empfang das Stadtgespräch sein. Alle Leute lasen in der Zeitung, wer an dem noblen Empfang teilgenommen hatte ‒ nur ihr Name würde fehlen.

Langsam verwandelte sich die Enttäuschung in Zorn. Warum musste Bernhard ausgerechnet jetzt nach Paris reisen und überhaupt, warum ist er in letzter Zeit so oft allein unterwegs?, sinnierte sie. Früher haben wir diese Reisen gemeinsam unternommen, aber jetzt reist er immer öfter ohne mich und seine Erklärung: »Diese Gespräche unter Diplomaten sind so langweilig, so einseitig, so uninteressant, sie würden dich nur langweilen«, hörte sie nun ständig, wenn er den Butler beauftragte, seine Koffer zu packen und die ihren nicht. Hat er eine Mätresse in Paris oder in Wien oder in London? Oder gar eine Affäre in Baden-Baden? Entsetzt starrte sie auf die Einladung in ihren Händen. Das kann doch nicht sein. Das kann er mir doch nicht antun? Er weiß doch, wie schnell sich Gerüchte hier verbreiten. Oder gibt es die bereits? Wird etwa schon hinter meinem Rücken getuschelt?

Tamara tupfte die Tränen von den Wangen. Nein, dachte sie, so weit ist es noch nicht, ich hätte es gespürt, wenn über mich geredet würde. Unsere Gäste sind auch noch immer unseren Einladungen gefolgt, das wäre nicht der Fall, wenn es Grund zum Gerede gäbe. Andererseits, Bernhard, wenn er hier ist, ist seit einiger Zeit auffallend oft in der Stadt unterwegs. Immer häufiger schickt er den Hausdiener in den Stall, damit dort sein Pferd gesattelt wird. Wohin reitet er dann? Zu einem Rendezvous? Oder wirklich nur zu dienstlichen Besprechungen im Schloss oder zu Herrenabenden im Bad-Hotel Hirsch?

Wenn ich doch nur eine Freundin in der Stadt hätte, dachte sie traurig, eine Vertraute, die mich warnen würde, mit der ich meine Befürchtungen besprechen könnte. Aber so eine Freundschaft müsste gepflegt werden und dazu hatte ich niemals Zeit. Zuerst war ich eine Fremde, die nur zu den Kuren nach Baden-Baden kam, dann lernte ich den gutaussehenden Diplomaten von Botin kennen und dann kämpfte ich um seine Gunst. Erfolgreich ‒ jawohl! Vater in Sankt Petersburg war im höchsten Grade erzürnt, er hatte andere Heiratspläne für mich und einem Fürsten Pecoranoff widerspricht man nicht, auch wenn man seine einzige und recht verwöhnte Tochter ist.

Schnell, still und heimlich haben wir in einer evangelischen Kapelle geheiratet, weil es die russisch-orthodoxe Kirche damals hier noch nicht gab, erinnerte sie sich und dann hat der Vater die Trauung nicht anerkannt und mit Entführung gedroht.

Das ist jetzt neunzehn Jahre her, überlegte Tamara, aber die Angst vor dem Vater und seiner Drohung hat nie aufgehört, zumal ständig russische Diplomaten, Offiziere, Großgrundbesitzer und Großindustrielle nach Baden-Baden kommen, um die Heilkraft der Thermen zu genießen oder um für immer hier zu leben. Irgendwann wird einer dabei sein, der mich zurückholen soll. Nein, dachte sie, sicher bin ich nie und Angst habe ich ständig, aber ich hatte auch immer Bernhard an meiner Seite ‒ und nun?

Doch dann siegte bei Tamara die Vernunft. Wir hatten auch schöne Zeiten, überlegte sie und tupfte die letzten Tränen fort.

Wir haben wundervolle Reisen kreuz und quer durch Europa unternommen, Bernhard hat mich verwöhnt, mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen, mich reich beschenkt und dieses Haus nach meinen Ideen gebaut und eingerichtet. Nur in Erziehungsfragen waren wir oft geteilter Meinung. Ich bin eine Frau und ich weiß, wie ein Mädchen erzogen werden muss. Bernhard dagegen hätte seinen Liebling am liebsten von morgens bis abends verwöhnt. Aber das konnte ich nicht erlauben und so kam es dann manchmal zum Streit, wenn Friederike ihren Willen durchsetzen wollte.

Tamara schaute auf das kleine Portrait der Tochter vor sich auf dem Sekretär. Sie ist viel zu eigenwillig, dachte sie, zu stolz, zu selbstbewusst. Hoffentlich legt sie diese Untugenden ab, bevor sie sich in die Arme des Grafen von Sterndorff begibt. Männer mögen allzu selbstbewusste Damen nicht.

Sie legte das Billett in eine Schublade und seufzte, hoffentlich kommt Bernhard bald zurück. In diesen Winterwochen häufen sich die Einladungen zu Bällen und Soireen und ohne Ehemann können wir Frauen sie nicht besuchen. Aber auf alle könnte ich verzichten, nur nicht auf den Empfang beim Großherzog und der preußischen Luise. Der Verzicht ist schmerzhaft. Bernhard wird das zu spüren bekommen!

Sie stand auf und klingelte, um sich den Mantel bringen zu lassen.

Heute ist Mittwoch, ich werde Friederike bei ihrem Reitunterricht zusehen. Ein wenig frische Luft wird mir guttun. Sophie brachte ihr den Mantel, den Hut, die Handschuhe und einen Wollschal, den sie mehrfach um den Hals schlingen konnte. »Es ist recht kalt draußen, gnädige Frau, möchten Sie auch den Muff mitnehmen?«

»Nein danke, Sophie. Ich gehe nur zum Reitplatz, um meiner Tochter zuzusehen.«

»Aber, gnädige Frau, die Baroness reitet heute nicht, sie hält sich im Stall auf.«

»Sie reitet heute nicht? Seit wann verzichtet sie freiwillig auf dieses Vergnügen«, lächelte Tamara erstaunt.

»Vielleicht ist es ihr zu kalt?«

»Das kann ich mir kaum vorstellen. Dann werde ich sie im Stall besuchen, obwohl ich diesen Pferdegeruch nicht ausstehen kann.«

»Ja, gnädige Frau, ich werde ihren Mantel hinterher gut lüften.«

»Danke.«

Tamara ging die sauber gefegte Auffahrt vorsichtig hinunter. Im Winter muss man immer mit Glätte rechnen, überlegte sie und ein gebrochenes Bein kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Die Stalltür war weit offen. Unter dem Vordach standen ordentlich aufgereiht die Kutschen und ein Pferdeschlitten, sorgsam mit Planen vor dem Wetter geschützt. Drinnen im Stall war es warm und ruhig. Die Pferde schnaubten zufrieden oder stampften mit dem Huf auf den Boden, irgendwo klirrte eine Kette und nur in der Sattelkammer waren Stimmen zu hören. Langsam ging Tamara durch die Stallgasse und streichelte hier und da eine Pferdenase, die sich neugierig durch die Gitter schob. Sie mochte Pferde, sie war mit den Tieren aufgewachsen, nur ihren Geruch mochte sie nicht, weil er sich in der Kleidung einnistete.

Sie ging zur Sattelkammer am Ende des Ganges und hörte die Stimmen von Friederike und von Agnes und eine fremde Männerstimme hörte sie auch. Dann sah sie die drei, die auf Strohballen hockten und eifrig debattierten. Einen Augenblick lauschte sie. Es ging um eine Geburt, um die Arbeit eines Geburtshelfers, um die Pflege des Neugeborenen und um das Stillen. Verwundert schüttelte sie den Kopf und dachte: Das wäre zu meiner Zeit unmöglich gewesen. Wie können sich Frauen mit einem fremden Mann über Geburten und die Pflege eines Babys unterhalten? Das schickt sich auch heute noch nicht. Energisch betrat sie die Sattelkammer.

»Hallo, ist ein Besuch im Stall gestattet?« Wie ertappt sprangen alle drei von ihren Strohballen auf. »Ach, Mutter«, rief Friederike erschrocken, »welch ein unerwarteter Besuch!«

»Ich wollte dir eigentlich beim Reiten zusehen. Willst du mir den Herrn nicht vorstellen?«

»Natürlich, Verzeihung, Mutter«, stotterte die überraschte Tochter. »Das ist Doktor Thomas Prange, unser Tierarzt.«

Distanziert nickte Tamara mit dem Kopf. »Guten Tag.« Dann wandte sie sich wieder an Friederike. »Und mit dem Herrn Tierarzt unterhaltet ihr euch über die Geburt und die Pflege eines Kindes? Ich bin doch sehr verwundert.«

Friederike errötete, Agnes wagte nicht sich einzumischen, nur Doktor Prange hatte sich schnell gefasst. »Frau Baronin, wir haben über die Geburt eines Fohlens gesprochen, nicht über ein Kind.«

Jetzt errötete Tamara. »Ach so, das wusste ich nicht. Es ging dabei um so intime Einzelheiten, dass ich doch sehr erschrocken war.«

»Aber niemals würde ich es wagen, mit jungen Damen über die Einzelheiten einer menschlichen Geburt zu sprechen, gnädige Frau.«

»Und? Erwartet eine der Stuten ein Fohlen?«

»Nein, gnädige Frau, aber die Baroness überlegt, ob die Carina vielleicht im nächsten Jahr ein Fohlen haben könnte und wir diskutierten die Risiken.«

»Ja, Mutter, ich möchte gern ein Fohlen von Carina, sie hat einen vorzüglichen Stammbaum und einen guten Charakter«, half Friederike dem Tierarzt aus der Verlegenheit.

»Dennoch, so ein Gespräch schickt sich nicht für junge Damen. Ich möchte, dass du jetzt mit mir ins Haus kommst, es ist Teezeit und wenn du nicht reitest, könntest du die Stunde mit mir verbringen.«

»Selbstverständlich, Mutter.« Noch immer verlegen verabschiedete sich Friederike von Doktor Prange und begleitete die Baronin in die Villa auf dem Hügel. Agnes und Thomas Prange sahen einander entsetzt an. Wie nahe die Baronin der Wahrheit gekommen war!

»Das hätte eine Katastrophe werden können.« Der Arzt hatte sich wieder auf den Strohballen gesetzt und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn.

»Gott sei Dank waren Sie so einfallsreich, unser Gespräch auf die Pferde zu lenken.«

»Mir fiel im Augenblick keine andere Lösung ein.«

»Sie haben das großartig geregelt.«

»Nun ja, aber gelöst haben wir Ihre Probleme noch nicht.«

»Ich bin so froh, dass Friederike Ihnen vertraut. Wir wussten einfach nicht, an wen wir uns wenden sollten, ohne nicht sofort Verdacht zu erwecken.«

»Sie können mir vertrauen und wenn ich helfen kann, dann will ich es gern tun, auch wenn die Angelegenheit nicht direkt in mein Aufgabengebiet fällt.«

Agnes konnte sich ein leichtes Kichern nicht versagen. »Wir dachten: Arzt ist Arzt. Und irgendwie ist so ein Geburtsvorgang bei allen Lebewesen doch der gleiche.«

»Und wann ist es überhaupt so weit?«

»Im Frühsommer, schätzen wir. Aber ganz genau wissen wir es nicht.«

»Leicht wird es nicht, das kann ich Ihnen heute schon sagen, Agnes.«

»Ich weiß.«

Thomas Prange stand auf. »Ich muss weiter, es gibt noch eine trächtige Kuh in Birkenbuckel und ein Arbeitspferd im Kloster und um fünf ist es dunkel, ich muss mich also beeilen. Auf Wiedersehen, Fräulein Agnes.« Der Tierarzt holte sein Pferd aus der Box, legte ihm den Sattel auf und schnürte seinen Arztkoffer hinter dem Sattel fest. Dann führte er das Pferd aus dem Stall, stieg auf und ritt davon.

Agnes schaute ihm nach. Der Mann gefiel ihr. Er nahm sie ernst, er behandelte sie nicht wie eine Dienstmagd und er war bereit, ihre Hilfe anzunehmen, wenn er es mit einem störrischen Pferd im Stall des Barons zu tun hatte. Er sah nicht gerade gut aus und war weder elegant noch wohlhabend, aber er war geduldig und immer freundlich und das zählte bei Agnes. Sein fülliger Körper und sein schütteres Haar, das schon zum größten Teil ergraut war, störten sie nicht. Seine Toleranz ihr gegenüber, sein Verständnis der Lage, in der sich Friederike befand und seine Hilfsbereitschaft waren wichtiger als stattliches Aussehen und Standesdünkel.

Ja, dachte sie, so ein Mann könnte mir gefallen, schade nur, dass ich niemals die Möglichkeit habe, einen solchen Mann näher kennenzulernen. Ich bin eben nur ein Serviermädchen und jetzt, weil Friederike das durchgesetzt hat, eine Dienstmagd im Hause des Barons.

Sie wandte sich dem Palais zu. Höchste Zeit, dass ich mich wieder an meine Arbeit mache, dachte sie, Friederike braucht mich jetzt und ich muss ihr helfen, dass ihr Zustand nicht auffällt.

Sie ging hinauf in ihre Kammer, zündete die Petroleumlampe an, zog sich den Mantel aus und holte ein Bündel aus ihrem verschlossenen Schrank. Ja, sie mussten vorsichtig sein, Friederike und sie, niemand durfte wissen, dass sie in aller Heimlichkeit die Kleider und Roben der Freundin änderte. Sie setzte sich neben die Lampe und breitete das Bündel vor sich aus. Dann trennte sie vorsichtig die Seitennähte des festlichen Kleides an der Taille auf und nähte sie am äußersten Rand wieder zusammen.

Ein paar Zentimeter müssen reichen, mehr Stoff ist nicht vorhanden, dachte sie und überlegte, wie lange die Freundin ihre wunderschönen, extra für diesen Winter geschneiderten Kleider noch tragen konnte. Vielleicht reichen sie noch während der Ballsaison, überlegte Agnes, aber spätestens zur Fastenzeit braucht sie neue, weite Gewänder, unter denen sie ihren fülligen Körper verbergen kann.

***

Da am Abend keine Gäste erwartet wurden, konnte Agnes zeitig nach Hause gehen. Eigenartig, dachte sie, früher kamen fast an jedem Abend Besucher und es wurde gefeiert, in letzter Zeit ist es richtig still geworden. Der Baron ist sehr oft verreist und seine Frau feiert ohne ihn keine Feste. Früher hat er sie stets auf seinen Reisen mitgenommen, aber jetzt bleibt sie fast immer in BadenbadenBadenbaden und langweilt sich. Dann muss die arme Friederike die Baronin unterhalten. Dabei fürchtet sie jedes Zusammensein mit der Mutter, weil sie Angst hat, sich zu verraten.

Agnes ließ sich Zeit mit dem Heimweg. Sie schlenderte die Werderstraße hinunter und am Conversationshaus vorbei und betrachtete die dunklen Fenster des Spielcasinos, in dem schon seit acht Jahren nicht mehr gespielt werden durfte, weil die Reichsregierung in Berlin alle deutschen Spielbanken geschlossen hatte. Schade, dachte sie, früher sind viele reiche Leute nur wegen des Casinos in die Stadt gekommen, die reisen jetzt alle nach Monte Carlo. Sie lief durch die Kastanienallee mit den kleinen Geschäften auf beiden Seiten, in denen die Händler Antiquitäten, badische Handarbeiten und Luxuswaren aus fremden Ländern anboten. Doch jetzt Ende Februar waren sie fast alle geschlossen, denn die reichen Kunden blieben bei diesem Winterwetter lieber in den warmen Hotelsuiten.

Die kleine Brücke, die über die Oos führte, war mit Glatteis überzogen und Agnes hielt sich am Geländer fest, um nicht auszurutschen. Dann lief sie durch die Louisenstraße und hinauf in die Stiftsgasse, wo die Eltern ihre kleine Wohnung hatten.

Die beiden Stuben waren dunkel, nur in der kleinen Küche brannte eine Petroleumlampe. Elektrischen Strom oder einen Gasanschluss konnten sie sich nicht leisten. Leise legte Agnes den Mantel ab und zog die Winterstiefel aus. Dann schaute sie in die Zimmer. Vorn, im größeren Raum schliefen ihre drei Schwestern in zwei Betten ‒ der eine Platz im zweiten Bett war für sie frei, aber Regina, ihre jüngste Schwester, lag wie immer quer im Bett und beanspruchte den gesamten Platz für sich. Na ja, dachte Agnes, irgendwie werde ich mich schon hineinquetschen.

Dann schlich sie auf Zehenspitzen zum Schlafraum der Eltern. Sie schliefen beide in ihrem gemeinsamen Bett. Alkoholdunst und stickige Luft schlugen ihr entgegen. Die Stube hatte kein Fenster. Vorsichtig schloss Agnes die beiden Türen wieder und ging in die Küche. Sie schürte das restliche Feuer im Herd, legte ein paar Holzscheite darauf und stellte einen großen Topf mit Wasser auf die Eisenringe. Dann packte sie den Beutel aus, den die Köchin aus dem Palais ihr mitgegeben hatte. Minna dachte fast jeden Tag daran, wie ärmlich die Verhältnisse bei Agnes daheim waren und wenn es frische Lebensmittelreste gab, packte sie die für Agnes ein.

Sie nahm die Schinkenschwarten mit den dicken Fetträndern, die diesmal mit im Beutel waren, wusch sie sorgfältig ab und gab sie in den Topf mit dem kochenden Wasser. Dann putzte sie Kartoffeln, Möhren, Sellerie und die Runkelrübe, die die Köchin mit eingepackt hatte, zerschnitt alles in kleine Stücke und gab sie in die Schinkenschwartenbrühe. Ein würziger Duft verbreitete sich in dem kleinen Raum. Das gibt einen wunderbaren Eintopf, dachte Agnes und zog den Topf an die Seite. Er kann jetzt langsam vor sich hinköcheln und wenn das Feuer verlöscht, ist das Essen für morgen fertig. Dann braucht Mutter es nur noch zu wärmen.

Danach machte Agnes den Abwasch, den hätten die Schwestern wirklich selbst machen können, schimpfte sie leise vor sich hin, räumte das Geschirr in das Bord und fegte den Boden auf. Müde wusch sie sich in der Küche, schlüpfte in ihr Nachthemd und benutzte die Toilette im Treppenhaus. Dann schob sie ihre Schwester Regina zur Seite und legte sich zur Ruhe.

Kapitel 4

Als Baron von Botin Mitte März nach längerem Aufenthalt in Budapest zurückkehrte, empfing ihn seine Gattin nicht wie sonst und wie erwartet mit ausgebreiteten Armen in der Halle, sondern zog sich in ihren Salon zurück. So wollte sie ihre Enttäuschung und ihren Zorn zeigen. Außerdem sollte dem Dienstpersonal eine erboste Diskussion erspart bleiben.

Ungeduldig ging sie in ihrem Salon auf und ab.