Voll das Leben - Sandra Gernt - E-Book

Voll das Leben E-Book

Sandra Gernt

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Beschreibung

Nach dem Tod seines Lebensgefährten steht Jan vor den Trümmern seines Lebens. Niemand ist da, der ihm hilft und er hat keine Kraft mehr weiterzumachen. Als er bereit ist aufzugeben, wird er von Nick gerettet. Ausgerechnet Nick, der ihn immer nur gedemütigt hat. Jan flieht und muss sich für ein neues Leben entscheiden ... KEINE expliziten Erotikszenen. Im gewöhnlichen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ca. 82 Seiten.

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Nach dem Tod seines Lebensgefährten steht Jan vor den Trümmern seines Lebens. Niemand ist da, der ihm hilft und er hat keine Kraft mehr, weiterzumachen. Als er bereit ist aufzugeben, wird er von Nick gerettet. Ausgerechnet Nick, der ihn immer nur gedemütigt hat …

 

19515 Wörter

Im gewöhnlichen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ca. 82 Seiten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Voll das Leben

von

Sandra Gernt

 

Kapitel 1

 

 

„So geht es nicht weiter.“

Jan zuckte zusammen. Er hatte nicht bemerkt, dass sein Chef neben ihm stand. Verwirrt blickte er zu Max hoch, der ihn in einer Mischung aus Mitleid und Missbilligung ansah.

„Du bist allein diese Woche zwei Mal um mehr als eine Stunde zu spät gekommen. Du hast seit Monaten kein einziges Projekt mehr durchziehen können. Und wenn du hier bist, starrst du die meiste Zeit nur blind auf den Monitor. Es tut mir leid, aber so geht es einfach nicht weiter.“

Jan nickte ergeben und senkte den Kopf. Damit war zu rechnen gewesen. Ihm war selbst klar, dass er seinen Job als Computerdesigner weder recht noch schlecht erfüllte.

Mitfühlend legte Max ihm eine Hand auf die Schulter.

„Wie sieht es denn aus zuhause?“

„Na, wie schon?“ Jan zuckte mit den Schultern. „Dennis erstickt auf Raten, was sonst?“ Er senkte den Kopf noch tiefer, um die Tränen nicht zu zeigen. Ein Kampf, den er jeden Tag führte und regelmäßig verlor. Er wünschte so sehr, er könnte endlich abstumpfen und gar nichts mehr fühlen.

„Vielleicht zwei Wochen, meint der Arzt. Allerhöchstens drei.“

Dennis war sein Lebensgefährte. Ein Jahr älter als er. Seine große Liebe. Sie hatten eineinhalb unglaublich schöne Jahre miteinander verbringen dürfen, bevor das Schicksal zuschlug. Oder was auch immer dafür verantwortlich war, dass ein Sechsundzwanzigjähriger, der niemals eine Zigarette angerührt hatte, an Lungenkrebs sterben musste. Genetische Veranlagung, war die lapidare Erklärung der Fachleute gewesen.

Vor knapp drei Jahren war es bei einem Routinecheck entdeckt worden. Seit zwei Jahren lag er als Komplettpflegefall im Bett.

Die dritte Chemo hatte Dennis beinahe umgebracht, da seine Nieren zu versagen begannen. Kurze Zeit später stellte man fest, dass er von oben bis unten voller Metastasen war. Die ganze Zeit über hatte Jan für ihn gesorgt, neben der Arbeit. Dass es nun zu Ende ging, war unvorstellbar, obwohl er so viel Zeit gehabt hatte, sich darauf einzustellen.

„Du bist völlig fertig. Geh nach Hause. Versuch zur Ruhe zu kommen, damit du die letzten Tage mit ihm durchstehst. Ich geb’ dir solange bezahlten Urlaub, okay?“

Jan nickte mechanisch, schloss die Programme, fuhr den Computer herunter und stand auf.

„Wenn was ist, ruf mich an. Tag oder Nacht, spielt alles keine Rolle. Du musst das nicht allein machen.“ Max klopfte ihm die Schulter. Jan lächelte automatisch, nickte, murmelte seinen Dank. Er wusste, dass Max dies nur aus Höflichkeit sagte. Oder Anstand. Sein Chef würde ihn zwar nicht wegschicken, sollte Jan nachts auf seiner Türschwelle stehen, begeistert wäre er allerdings auch nicht und seine Frau noch viel weniger. Max war klein, schmal und entsetzlich hyperaktiv. Er wuselte ununterbrochen umher, redete schnell und viel, sprudelte vor Ideen und Plänen. Zum Glück neigte er nicht zu Traumtänzerei, sonst wäre seine Firma längst pleite gegangen. Max schaffte es, selbst Großfirmen als Kunden zu gewinnen, für die sie Werbeaktionen und Internetauftritte planten. Mit seinem extremen Kurzhaarschnitt – er war fast schon kahl – und dem gepflegten Dreitagebart wirkte er älter als siebenundzwanzig, was vor allem in der Anfangszeit wichtig gewesen war. Jan war von Beginn an dabei gewesen, er hatte Max stets zu seinen besten Freunden gezählt … Doch obwohl Dennis ebenfalls für diese Firma gearbeitet hatte, war Max nicht ein einziges Mal vorbeigekommen oder hatte angerufen. Nicht in der Klinik, nicht bei ihnen zuhause.

„Oh shit, warte mal … Shit! Du hattest letzte Woche Geburtstag, kann das sein? Glaub ich ja jetzt nicht, hab ich das vergessen! Mann, es tut mir leid!“ Max stand vor dem Dienstplan, wo er vermutlich Jans Sonderurlaub eintragen wollte.

„Hm.“ Jan zuckte die Schultern, während er sich die Jacke überwarf und seine Arbeitstasche nahm, die er mittlerweile gepackt hatte. „Keinen Grund gehabt zu feiern. Nächstes Jahr vielleicht wieder.“

Max’ Gesichtsausdruck schwankte zwischen schlechtem Gewissen und Sorge. Er hatte noch nie seinen Geburtstag vergessen, schließlich kannten sie sich auch schon lange. Jan ließ ihn allein damit, das war nicht sein Problem. Er fing verstohlene Seitenblicke von Thorsten und Kevin auf, seinen Arbeitskollegen. Sie waren Brüder, was man ihnen nicht ansah – Kevin war blond, braungebrannt und extrem sportlich, Thorsten dunkelhaarig und stämmig. Beide waren allerdings gleichermaßen Genies am Computer. Früher waren sie gute Freunde von Jan und Dennis gewesen, mit denen sie auch in der Freizeit viel miteinander unternommen hatten. Früher, als Dennis noch gesund gewesen war. Mittlerweile sprachen sie bloß mit ihm, wenn es zwingend sein musste, und das ausschließlich über firmeninterne Sachen. Keiner von beiden konnte ihm in die Augen sehen. Es hatte keinen Streit gegeben, die zwei hatten sich einfach zurückgezogen. So wie alle anderen Freunde, die Jan und Dennis gehabt hatten. Zusammen um die Häuser ziehen war toll, jemandem beizustehen, der langsam verreckte, eben nicht.

„Haust du schon wieder ab?“ Nick kam gerade aus dem Nebenraum, als Jan das Büro verlassen wollte.

„Ich hab ihm Urlaub gegeben. Mit Dennis geht es zu Ende“, mischte sich Max hastig ein. Niklas war berüchtigt für seine widerlichen Kommentare über Schwuchteln, die seiner Meinung nach keine Lebensberechtigung haben sollten. Er sah gut aus – mittelgroß, schlank, dunkelblondes, modisch verwüstetes Haar, blaue Augen. Ein Kumpeltyp, der Spaß in jede Runde brachte, das Herz jeder Mama rührte, die Mädels verrückt machte. Dabei war er strikt treu, solange die Beziehung dauerte. Eigentlich ein idealer Familienmensch, den man sich baumhausbauend und ballspielend mit seinen Kindern vorstellen konnte, die er bloß noch nicht hatte. Wie bösartig und verbohrt er war, stand ihm wirklich nicht auf die Stirn geschrieben …

„Es gibt also doch Gerechtigkeit auf der Welt“, murmelte Nick, machte ihm aber bereitwillig Platz. „Vielleicht kann der gnädige Herr tatsächlich wieder arbeiten, sollte er irgendwann zurückkommen. Wir haben die Nase voll davon, deine Schlamperei und ‚mimimi, mein Freund stirbt, habt Mitleid!’ auffangen zu müssen!“

„Ist recht.“ Jan drängte sich durch die Tür und atmete auf, als er durch das Treppenhaus nach unten lief. Das war für Nicks Verhältnisse liebenswürdig und zurückhaltend gewesen … Am Anfang hatten er und Jan sich sogar recht gut verstanden. Eben bis Dennis zum Team dazu kam und sie innerhalb kürzester Zeit ein Paar wurden. Danach hatte er sich quasi täglich selbst übertroffen, um ihnen mit dummen Kommentaren, schriftlichen Gehässigkeiten und Hinweisen auf jede politische Bewegung gegen Homosexualität auf dieser Welt das Leben sauer zu machen. Dennis war äußerst sensibel bei diesem Thema und hatte entsprechend sehr darunter gelitten. Mehr als einmal war es zu heftigen Streitigkeiten zwischen den beiden  gekommen … Nun, Nicks Schwulenhass war sein geringstes Problem.

Jan zögerte seine Ankunft daheim hinaus, solange es ging. Einerseits drängte es ihn zu rennen, so schnell er konnte. Er wusste, Dennis wartete auf ihn und Jan hatte panische Angst, sein Liebster könnte sterben, während er unterwegs war. Andererseits kostete es ihn so viel Kraft, all das Elend zu sehen …

 

~*~

 

 

Dennis schlief, als Jan zu ihm kam. Er lag in einem Krankenpflegebett im Wohnzimmer, treu bewacht von Hanka, der russischen Pflegehelferin. Sie saß seit einem Jahr unter der Woche täglich hier, während Jan arbeiten gehen musste, tat das Notwendige, um Dennis zu versorgen und strickte dabei alles mögliche Zeug für ihre Kinder und Enkel.

„Du heute kommst früh“, sagte sie überrascht.

„Ich hab ab jetzt Urlaub. Bis es … so lange wie es …“

Sie stand auf und nahm ihn in den Arm. Hanka war klein und rund, aber sie hatte Kraft. Körperlich wie geistig. Sie drückte ihn kurz an sich. Hanka brauchte nichts zu sagen, er spürte ihre ehrliche Anteilnahme. Die Trauer, die sie ebenfalls empfand, denn wenn sie auch keine Freunde waren, sie waren einander vertraut.

„Du brauchst Hilfe?“, fragte sie und fuhr direkt fort: „Dennis hat die Flasche und die Spritze.“ Jan mochte ihren Akzent, er brachte ihn innerlich zur Ruhe.

„Lass gut sein.“ Er winkte nachlässig ab. „Ich komme zurecht, geh ruhig nach Hause. Bis heute Abend dann.“

Hanka zögerte, nickte, nahm ihre Tasche, ging zur Tür, kehrte aber noch einmal um.

„Ich hab nicht getraut zu fragen dich“, murmelte sie deutlich verlegen. „Du weißt doch, meine Natalja jetzt bekommt das Baby.“

Jan brummte zustimmend, sie hatte in den letzten Wochen ständig davon geredet. Da er schon damit gerechnet hatte, zog er sofort den Rückschluss, was sie nun wollte – ihre Tochter wohnte über dreihundert Kilometer entfernt. Wäre Dennis nicht, wäre Hanka längst zu ihr gefahren.

„Schon gut“, sagte er und drückte sie nun seinerseits. „Fahr ruhig. Ich bin ja jetzt immer hier und komme zurecht. An den Wochenenden läuft es schließlich auch rund.“

„Du nicht bist böse, dass ich dich im Stich lasse, nein? Ich würde sofort fahren. Wenn Dennis jetzt …“

„Die eigene Familie geht vor. Dank dir für alles, Hanka!“

„Ich komme zurück, sobald wie es geht. Ruf mich an, wenn du brauchst Hilfe. Immer.“

Nickend und lächelnd begleitete Jan sie zur Tür, wobei sie ihm die ganze Zeit versicherte, wie leid es ihr tat und dass er sich sofort melden musste, sollte Dennis sterben. Es würde schwierig werden, Dennis ganz allein zu versorgen, bislang hatte er sich stets darauf verlassen können, dass Hanka zwei Mal täglich da war und alle Fragen und Probleme klärte. Andererseits hatte er mittlerweile genug Routine, dass er quasi selbst als Pflegehelfer arbeiten könnte.

Da Dennis fest schlief, nahm Jan erst einmal eine Dusche. Während er sich anschließend eine Dosensuppe aufwärmte, hörte er ihn allerdings  unruhig murmeln. Trotz des Opiumpflasters, das beständig Wirkstoff abgab, und den zusätzlichen Morphiumspritzen litt Dennis immer wieder an Schmerzattacken.

„Hanka?“

Jan blieb kaum Zeit, die Herdplatte auszuschalten, um schnell genug an das Krankenbett eilen zu können. Dennis rüttelte an dem Bettgitter, das ihn davor bewahrte herauszufallen, und sein Gesicht war eine Maske von Schmerz und Elend. Er war bis auf die Knochen abgemagert, seine Haut grau und faltig. Von den schönen rotbraunen Haaren, durch die Jan früher stundenlang wuscheln konnte, waren bloß vereinzelte Strähnen geblieben. Die braunen Augen wirkten riesig in dem schmalen Gesicht. Sie starrten leer zu ihm hoch, Dennis war durch die Medikamente meist gnädig umnachtet und bekam nur wenig von der Welt mit. Selbst die starken Schmerzen brachten kein Leben in seinen Blick.

„Ich bin hier, alles ist gut!“, sagte Jan beruhigend und griff nach der klammen Hand seines Liebsten. Es war zu früh, er konnte ihm keine Spritze geben. Also musste er ihn so durch die Attacke bringen.

„So spät?“, krächzte Dennis kaum wahrnehmbar.

„Nein, es ist halb zwei. Ich habe ein paar Tage freigenommen.“ Lächelnd wischte er mit einem kühlen Tuch über Dennis’ verschwitztes Gesicht, was schon zu helfen schien, denn er entspannte sich etwas. Jan richtete ihm die Sauerstoffsonde, die seinem Liebsten die Nase wund scheuerte. Ohne würde er nicht lange überleben. Die Sorge, dass er sich irgendwann die Sonde einfach abreißen und freiwillig ersticken würde, konnte auch das extra-dicke Haftpflaster nicht lindern. Dennis hatte eigentlich nicht mehr die Kraft, sich dieses Pflaster abzureißen, wirkliche Sicherheit gab es leider nie. Die Unsicherheit war teuer erkauft, denn das Pflaster hinterließ schmerzhafte, juckende Wunden, wann immer es gewechselt werden musste. Die hautsensitive Sorte bot nicht genügend Schutz.

---ENDE DER LESEPROBE---