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Über gekrönte Häupter berichtet jedes Geschichtsbuch, doch über das breite Volk wissen wir meist wenig. Oft sind dürre Daten in Kirchenbüchern die einzige Quelle, die uns rare Auskunft geben über unsere Vorfahren. Doch wenn man ihre Geschichte eingebettet in die jeweiligen Zeitumstände liest, wird daraus rasch ein spannender Familienroman. Exemplarisch sucht der Verfasser nach den Wurzeln seines äußerst seltenen Familiennamens im niederdeutschen Sprachraum. Er entdeckt dabei Menschen, die sich nach dem 30-jährigen Krieg aus bescheidenen Anfängen am Rande der Gesellschaft aufgemacht haben in die Mitte des Bürgertums. Geleitet von ihrem lutherischen Glauben einerseits, von der aufgeklärten Vernunft anderseits, bringen sie ihre Persönlichkeit auch unter schwedischer Fremdherrschaft voll ein, um aus ihrem Leben auch für andere etwas zu machen. So kann die Forschung nach Vorfahren spannende Vergleiche zutage fördern für die Frage, was uns „Leben“ und persönliches Engagement heute bedeuten.
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Seitenzahl: 157
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„Langsam lesen, ja, das kann man sich vornehmen - aber langsam leben - wie macht man das?
Seit ich überhaupt wieder lebe,
vergeht die Zeit so unaufhaltsam schnell …“
Ina Seidel, Das unverwesliche Erbe, S. 360
Für meine Enkel Jonas, Lily, Paul, Antonia, Emil, Marta und Hedi,
für meine Kinder Christoph, Sigrun, Jan, Lukas und Anne,
und für meine liebe Ehefrau Dorothea
Coverbild Vorderseite:
Johann Peter Hasenclever (1810 - 1853), Das Schulexamen, Lithographie nach einem Gemälde zur 'Jobsiade oder Leben, Meinung und Taten des Hieronymus Jobs' des Mülheimer Arztes Carl Arnold Kortum (1745-1824), das der bayerische König Ludwig I. erwarb.
Schmutztitel:
Greifswald Dom St. Nicolai und Korbmacherhaus,
Aufnahme: Ludwig Tägert 1936
Eine kleine Familienchronik der Täger(t) / Taeger(t)
Teil I (1670-1802):
Lenzen – Tripkau – Greifswald – Kemnitz
Version 12-07-2016
Noch heute erinnere ich mich mit Unbehagen eines Vorfalls aus der fünften Klasse des Gymnasiums, das ich die Ehre hatte, in der Rattenfängerstadt Hameln zu durchlaufen.
Meine Familie war, dem Berufsweg meines Vaters folgend, kurz nach dem letzten Weltkrieg in dieser vom Krieg weitgehend verschonten Hauptstadt des Weserberglandes zugezogen (vergl. dazu auch mein autobiografisches Buch „wild und fromm“ 2012). Dort war ich auch eingeschult worden.
Inzwischen war ich 10 Jahre alt und, zusammen mit 45 weiteren munteren Mitschülern, in der fünften Klasse. Zum Unterrichtsstoff in diesem Jahrgang gehörte die Erforschung des eigenen Familiennamens. Die meisten Mitschüler führ-ten stolz ihre überzeugenden Ergebnisse vor. Dann wurde ich aufgerufen. Doch leider konnte ich nur stotternd ein leeres Blatt präsentieren. Und so stand ich da, mit rotem Kopf, dem durchbohrenden Blick des Lehrers ausgesetzt, der mich wohl für einen Faulpelz hielt.
Auch meinen Mitschülern gegenüber genierte ich mich. Ich hatte es damals nicht geschafft, eine einleuchtende Herleitung des Namens „TÄGERT“ – mit diesem Umlaut „ä“ schrieben wir uns damals noch – anzubieten. Das will ich nun, gut 60 Jahre später, endlich nachholen. Dabei will ich versuchen, das Leben der einstigen Namensträger in ihrer jeweiligen Zeit lebendig werden zu lassen
Heute gibt es weltweit wohl nur 14 Menschen, Kind und Greis eingerechnet, mit weiter abnehmender Tendenz, die den Namen „TAEGERT“ in der Schreibung des Umlautes mit „ae“ urkundlich nachweisen können, wie ich ihn kraft des Eintrages bei meiner Geburt trage. Rechnet man die vier angeheirateten Namensträgerinnen ab, bleiben acht tatsächlich miteinander Verwandte. Darunter sind zwei Männer, die, aus Respekt und Liebe zu ihrer Ehepartnerin, deren Namen mit Bindestrich ihrem eigenen Namen TAEGERT beigefügt haben. Ferner gibt es eine Ehepartnerin, die sich zur vergleichbaren Doppelnamenführung entschieden hat.
Diese hier aufgezählten „TAEGERT“ führen sich, mit vielen anderen „TÄGER“, „TAEGER“ oder „TÄGERT“, auf die gleichen Vorfahren im 17. Jh. zurück, sind also unmittelbar verwandt, wohingegen der Name „TAEGE“ u. ä. nichts mit dieser Familie zu tun hat. Nachzuweisen wäre im Folgenden also, wie die Namensschreibung der Ursprungsfamilie war, was sie bedeutet, wie die Schreibung mit oder ohne „t“ am Ende zustande kommt und wie relevant der Umlaut „ae“ oder „ä“ in diesem Namen ist.
Liest man die Geschichte der Namensträger eingebettet in die jeweiligen Zeitumstände, wie ich sie, einem Impuls meiner Enkel folgend, recherchiert habe, dann entfaltet sich hier ein durchaus spannender authentischer Familienroman. In seiner Dramatik spiegeln sich die wesentlichen Ereignisse der deutschen Geschichte seit dem 30-jährigen Krieg wider – soweit zurück reicht der Erfolg dieser Namensforschung, also über 350 Jahre – bis in die Gegenwart. Diese Familiengeschichte kann sich in ihrer zeitlichen Spannweite zwar nicht mit adligen Stammbäumen messen, die bisweilen doppelt so weit reichen, hat aber für sich, dass sie gut als Vergleich für die Frage heute herhalten kann, was selbstverantwortetes „Leben“ und persönliches Engagement im Bürgertum bedeuten. Denn alle Lebensläufe dieser TÄGER(T) / TAEGERT bringen den Willen der Namensträger zum Ausdruck, unter Dreingabe der vollen Persönlichkeit aus bescheidenen Anfängen etwas aus sich zu machen und dabei auch für andere Menschen Verantwortung zu übernehmen.
Das vorliegende kleine Bändchen „Vom Tropfhäusler zum Köster und Schaulmeister“ ist der Pilotband. Er betrachtet das Leben der ersten drei Generationen dieser Familie seit ihrer ersten urkundlichen Bezeugung nach dem 30-jährigen Krieg bis zum Beginn des 19. Jh., also bis zur Zeit der Aufklärung und der napoleonischen Kriege und beschreibt ihren Aufstieg vom Rand der Gesellschaft ins Bürgertum.
Im zweiten Bändchen „Wenn die Erdachse schwankt“ begleiten wir die nachfolgenden Generationen durch die Geschichte Preußens im Biedermeier bis ins „Zweite Reich“ und werden zu Zeugen von Alltag, Kultur und Wissenschaft im gehobenen Bürgertum, aber auch von tragischen Familienereignissen.
Im Zentrum des dritten Teils dieser Familiensage, im Doppelband „Die Kima und ihr Lutz“, stehen die beiden letzten Generationen bis zum Beginn der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben das „Zweite Reich“ bis zum revolutionären Abbruch der Kaiserzeit miterlebt und sind zu Zeitzeugen des Aufstiegs und Falls des „Dritten Reiches“ geworden. Mit ihren Lebensschicksalen und persönlichen Entscheidungen sind sie auf vielfältige Weise in diese Zeit verflochten und bilden mit ihrem politischen und sozialethischen Verhalten exemplarisch das „normale“ bürgerlichen Lebens in dieser Zeit ab. So geben sie uns auch Antwort auf die immer noch beunruhigende Frage, wieso Deutschland seinerzeit der unheilvollen Hitlerherrschaft anheimfallen konnte und was aus Deutschland damals geworden ist.
Jürgen Joachim Taegert,
Kirchenpingarten, Juli 2016
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Moderne Namensherleitungen sind originell, aber nicht wissenschaftlich
Zwischen Bauernthing und Tagelohn
Quellenerkundung mit Kirchenbüchern, Volkszählungslisten und Ahnentafel
Familienforschung – ausnahmsweise ein brauchbares Erbe der Nazis
Spannende erste Erkenntnisse über die Schreibung des Namens „T
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Ein Name mit landschaftsbezogener Herkunft aus der Gegend der unteren Elbe
Die Wanderungen des Namens „T
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“ zwischen 18. und 19. Jh.
Ein erschütternder Schwund und Konsequenzen für die Namensforschung
Die „Benrather Linie“ hilft uns weiter
Namenssuche mit „Kasper Ohm“ und „Entspekter Bräsig“
Waren die Täger Zehent-Eintreiber?
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Lenzen – frühe und umkämpfte Heimat unserer Väter
Ein zäher und eigenwilliger Volksstamm im Widerstand
Neustart aus dem Elend des 30-jährigen Krieges
Der mühsame Aufstieg vom „Tropfhäusler“
Der Umgang mit Tieren als Namensgeber und Statusanzeiger
Von der Ziege zur „Teege“
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Tropfhäusler dürfen den Kopf nicht hängen lassen
Neue Chancen in Lenzen – und neue Katastrophen
Ein Neuanfang in Tribbekau
Glückliche Heirat mit der Barbierstochter
„Jürgen“, ein neuer Name, der Glück signalisiert
Ein Schankwirt in der „Kate“
Mit der Bäckerswitwe zum besseren Bier
Der „Krôch“ als gemeinsames Familien-Projekt
Aufbruch in die „Aufklärung“
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Greifswald - eine stolze protestantische Stadt des Handels und der Wissenschaft unter schwedischer Herrschaft
Hohe Hürden für den Start in der Fremde
Das Bürgerrecht erfordert die „Echtgeburt“ und ist teuer
Der Einstieg ins „Schauster“-Handwerk ist Sache des „Amtes“
Ordnungen regeln das Leben der Zünfte und den Weg zur Meisterschaft
Aller Anfang ist schwer
Das verbreitete Fressen und Saufen macht den zukünftigen Meister arm
Heirat mit der Tochter des Kleinschmiedemeisters
Englische Namensgebung?
Amtsmeister mit eigenem Status und besonderer Kleidung
Verantwortung für die Streiche der Gesellen und Lehrbuben
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Handwerk in der Krise
Begabung für Pädagogik und Impulse der Aufklärung
Die Belebung der niederliegenden Pädagogik und Bildung in Greifswald durch den Halleschen Pietismus
Überzeugt vom Halleschen Theologen Theophil Piper
Die Greifswalder Bürgerschule wird reformiert
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– neuer Wohn- und Dienstort von J
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AEGER
als „Köster und Schaulmeister“
Ein ehrwürdiger Landort mit wenig Sehenswürdigkeiten
Der Küster hat ein „liturgisches Ansehen“ und ordentliche Einkünfte
Sonntags Kantor, alltags Küster? – in Wahrheit gebildete Idealisten
Die Kirchen übernehmen den Auftrag zur geistlichen und moralischen Bildung des Volkes
Ein christliches Lernziel in sozial verwahrlosten Zeiten: Bildung „nach Gottes Bild“
Luthers Katechismus als elementares Lehrbuch
Als „Köster“ im Dienst von Liturgie und Kirche
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ZUSTÄNDIG FÜR DIE
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RUNDBILDUNG DER
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CHÜLER
Visitationen weisen manche Mängel nach
Ein Beruf zum Auskommen unter kirchlicher Trägerschaft
Missachteter kirchlicher Idealismus
Schwedische Liberalität, lutherischer Protestantismus und deutsche Aufklärung
Karten und Tafeln:
Namensverteilung „T
ÄGERT
“ und „T
AEGERT
“ nach dem Telefonbuch
Deutschlandreise 1936 auf der Suche nach Vorfahren
Namensverteilung „T
ÄGER
“ nach dem Telefonbuch
Niederdeutsche Sprachgrenze „Benrather Linie“
Urstromtal Elbe: Von Lenzen nach Tripkau
Schwedisch-Pommern
Ahnentafel T
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ÄGERT
– T
AEGERT
ab 1670
Namensverteilung nach dem Telefonbuch:
- oben „TÄGERT“
- unten „TAEGERT“
Menschen, die BECKER, FISCHER, MEYER, MÜLLER, SCHMIDT, SCHUSTER, WAGNER oder WEBER heißen, haben’s leicht, wenn sie ihre Familiennamen erklären sollen. Ihre Namen gehören mit zu den zehn bzw. 100 meistverbreiteten Familiennamen in Deutschland. Ihre Inhaber können sich vieles über ihre Namensherkunft aus den Fingern saugen oder direkt bei Wikipedia abschreiben oder auf anderem Wege „ergoogeln“. Dafür gibt’s freilich solche „gewöhnlichen“ Namen auch wie Sand am Meer.
Beim Namen „TAEGERT“ ist die Herausforderung größer. Denn seine Herleitung ist weitaus schwieriger; ja, sie wäre wohl ein Fachartikel wert, den zu erstellen aber noch niemand sich bemüht hat.
Dafür ist dieser Name aber auch etwas ganz Besonderes. Im deutschen Telefonbuch finden sich mit dieser Schreibung mit „ae“-Umlaut derzeit ganze achte Einträge, was nach der üblichen Hochrechnung eine Gesamtzahl von ca. 16 lebenden Personen, Mann und Frau, Kind und Greis, ergäbe, – und das weltweit! Man darf daher den Namensforschern nicht böse sein, wenn sie bislang einer so raren Spezies so wenig Beachtung geschenkt haben. Aber nachdem es sich doch um eine überaus interessante Familie handelt, kann eine nähere Betrachtung spannend und lohnend sein. Fragen wir also zunächst einmal: Was bedeutet dieser Name „TAEGERT“?
Schauen wir als zunächst auf ähnlich klingende Ausdrücke in unserer Zeit. In der internationalen Jugendsprache heute ist ein „Tagger“ (Aussprache: „Tägger“) entweder ein extremst gut gelaunter Mensch oder auch ein Graffitisprayer. Die Bildagentur iStock beschreibt ihn als „bad boy with a can of spray paint and an evil grin”. Der Hauptbestandteil „tag” meint eine Markierung; ein „tagger“ versieht also Dinge mit einer Art Aushängeschildchen.
Sehr hübsch wäre die Herleitung des Namens „Taegert“ von diesem Jugendidiom „tagger“, – vor allem das mit der guten Laune sollte man sich unbedingt merken, weniger dagegen die spontihafte Chaotik! Aber natürlich hält eine solche Deutung wissenschaftlichen Ansprüchen nicht stand und hat mit den Taegerts der Vergangenheit und Gegenwart außer der Gefühlsbeschreibung gar nichts zu tun.
Auch andere Versuche, von gegenwärtigen Begriffen auszugehen, führen ins Leere. So könnte die Wortkonstruktion „teger“ ja ein Gegensatz zu „integer“ sein. Während „integer“ einen aufrichtigen Menschen bezeichnet, der rechtschaffen und unbestechlich seinen Weg geht, wäre „teger“ ein „Möchtegern“, der sich profilieren will, eitel ist, seine Ellenbogen einsetzt oder um jeden Preis etwas Markantes an sich haben will. Doch das würde zu den Taegerts nicht recht passen und hat mit ihrem Namen auch nichts zu tun.
Zu originellen Deutungen führt auch die Gleichsetzung mit dem Wort „Tegger“ in der Kami-Sprache auf der Insel Java; es ist eine Verbform, die man so übersetzen könnte: „Du wirst können“. Mag nicht jeder von uns gern so einen ermutigenden Zuspruch hören? Dieser Eifer, anderen Menschen Mut zu machen, findet sich durchaus bei den Taegerts, doch erklärt das auch ihren Namen?
Noch andere kreative Versuche gibt es, sie führen aber alle nicht ans Ziel, weil sie stets den Fehler machen, mit der Fantasie von heute einen Ausdruck aus einer anderen Zeit zu erklären. So steht man also erst einmal mit leeren Händen da, wie mir das damals als 10-Jähriger in der fünften Klasse widerfuhr, als ich die Hausaufgabe nicht zustande brachte, und ist ein bisschen neidisch auf die Meyers, Müllers und Schulzes, die es bei der Namensdeutung doch deutlich leichter haben.
Später habe ich selbst Ableitungen versucht. So hatte mein Vater von einem „tegger“ erzählt, welcher der Vorsitzende im germanischen Bauernthing gewesen sei. Genau diese Schreibung „Tegger“ findet sich auch in Nebenzweigen unserer Stammtafel im 18. Jh. Einen Nachweis für die Herleitung von einem ominösen Tegger habe ich aber bis heute nicht gefunden. Wortverbindungen mit „teg-“ kommen in deutschen Wörterbüchern nicht vor, sind also nicht typisch für die deutsche Sprache. Allerdings ist der Name Tegger in Südengland, den USA und Kanada ziemlich verbreitet, das wird uns noch beschäftigen.
Ein anderer eigener Versuch der Herleitung, der mir lange Zeit gefallen hat, war „Tager“, worunter ich mir jemanden vorstellte, der so wenig verdient, dass es nur für einen Tag reicht. Heute würde man vielleicht von einem „Aufstocker“ sprechen. Auf jeden Fall ist das, was er z.B. durch sein Handwerk verdient, zu wenig, um die Familie davon angemessen zu ernähren. Er sucht sich also beim Gutsbesitzer einen Zusatzjob, der zwar kein festes und regelmäßiges Gehalt, wohl aber an manchen Tagen, z.B. in der Erntezeit, ein ordentliches Zubrot verspricht. Solche armen Leute gab es ja seinerzeit zuhauf, insbesondere in der Zeit, in der auf unserer Stammtafel die ersten Namen greifbar werden, in der Generation nach dem 30-jährigen Krieg, Menschen, die dieser Krieg um Haus und Hof gebracht hatte. Dem Gebet des Vaterunser in der Bibel verdanken wir zwar den Hinweis, dass die Bitte um das tägliche Brot in der griechischen Sprache genau diese Ration für einen Tag meint, die Gott dem Menschen sicherstellen möge, das „Brot für den heutigen Tag“. Doch gehen unsere Ansprüche zu allen Zeiten natürlich über ein solches Minimum weit hinaus und treiben uns an, möglichst rasch diesem Zustand der Armut zu entrinnen.
Natürlich war mein Herleitungsversuch von „Tager“ ein sprachliches Fantasieprodukt von heute. Die tatsächliche Bezeichnung solcher „Tagelöhner“ in alten Kirchenbüchern ist „Tagner“, wovon sich der Name „Täger“ kaum herleiten lässt. Doch wie exakt dieses Fantasiewort einen alltäglichen Zustand kennzeichnet, der die Familie TÄGER(T), und mit ihr auch viele andere Menschen damals wirklich berührt hat, das hat sich zu meiner Überraschung erst jetzt bei den gründlichen Recherchen zu unserem Familiennamen gezeigt.
So muss man also bei dieser Namensforschung noch gründlicher ansetzen und dabei auch in den Tiefen der Vergangenheit schürfen. Dabei kommt man um eine genauere Kenntnis der Stammtafel dieser Familie nicht herum, denn sie ist fast der einzige Schlüssel, um das Geheimnis dieses Namens und seiner Geschichte zu enträtseln.
Mein Vater LUDWIG, der seinen Nachnamen noch „TÄGERT“ schrieb, hat seinerzeit die Mühen auf sich genommen, die einzigen möglichen Quellen zu erforschen, welche uns hoffen lassen, die Familien- und Namensherkunft nachweisen. Bei besser gestellten Leuten mit großem Namen und ererbten Vermögen sind oft auch die alten Stadtarchive eine Fundgrube, die Wissenswertes über ihre Vorfahren aufbewahren. Doch davon konnte bei den Tägerts erst ab dem Zeitpunkt die Rede sein, als sie einen gewissen gesellschaftlichen Status erworben hatten, und das war erst nach den Jahren ab etwa 1860 der Fall. Für die Suche nach älteren Vorfahren müssen wir uns, wie die meisten anderen „gewöhnlichen“ Namensforscher auch, als Hauptquelle auf die „Kirchenbücher“ stützen.
Dass es sie gibt, ist eigentlich ein historischer Glücksfall der früheren akkuraten Verwaltungspraxis der Kirchen, die über das geistliche Leben ihrer „Schäflein“ im Bilde sein wollten. Alle Pfarrer, sowohl im evangelischen als auch katholischen Bereich, sind seit der Reformationszeit verpflichtet, handschriftlich und sorgfältig in solide gebundenen großen Büchern alle geistlich-pastoralen „Amtshandlungen“ festzuhalten und sie mit seelsorgerlich relevanten Daten zu ergänzen. Als hochbedeutsame Urkunden wurden diese Folianten mit den Einträgen über die Gläubigen noch in meiner Amtszeit von den Amtsinhabern in Stahlschränken aufbewahrt und unter kirchenamtlicher Protokollierung mit Siegel und Unterschrift an die Nachfolger übergeben.
Heute hält auch bei der Buchführung über die Gemeindeglieder die Digitalisierung in den Pfarrämtern Einzug. Doch muss man bei allen Daten, die vor dem Einzug des Computers liegen, immer noch auf die würdevollen, oft in Schweinsleder gebundenen klassischen „Kirchenbücher“ zurückgreifen. In ihnen zu blättern und die alten Schriften und Kommentare zu lesen ist ein Genuss für Historiker. Wegen der unersetzlichen Wertes der Bücher sind viele Pfarrämter aber dazu übergegangen, sie in die landeskirchlichen Archive auszulagern. Sie besitzen dann selbst nur noch Mikrofiches oder nachgeschriebene Auszüge.
So finden sich nicht nur die Namen und Wohnorte von fast allen getauften Christen in Deutschland seit der Reformation oder dem 30-jäh-rigen Krieg in diesen „Matrikeln“, sondern auch die Daten über ihre Taufe, Trauung, Konfirmation bzw. Firmung, Eheschließung und Bestattung. Beigefügt sind in der Regel auch die Namen der Eltern bzw. Ehepartner mitsamt Konfession und Wohnort, die Namen der Paten und oft auch besondere Umstände, wie „unehelich“ oder „totgeboren“.
Bei kirchlichen Bestattungen wurde früher meist auch die Todesursache mit angegeben. Sie kann ein wichtiger Hinweis sein für vererbbare Krankheiten und manchmal schockierende Unfälle oder Ereignisse. Bei den Evangelischen ist es seit der Reformation auch eine unumstößliche Tradition, die Bibeltexte beizufügen, die bei den jeweiligen „Kasualhandlungen“ geistlich betrachtet worden sind.
So stellen die Kirchenbücher bis in die Gegenwart hinein einen Datenschatz und eine wahre Fundgrube zur Erkundung der Familiengeschichte dar. Die Bombenangriffe der Alliierten im letzten Krieg und die Vertreibung aus den Ostgebieten können allerdings dazu geführt haben, dass manche dieser Schätze vernichtet worden sind. Andererseits ist bekannt, dass Nachfolgestaaten wie Polen durchaus sorgsam mit solchen Urkunden umgegangen sind und sie an entsprechenden Orten aufbewahrt haben.
Neben diesen Kirchenbucheinträgen helfen uns auch alte Listen von Volkszählungen weiter, die in Einzelfällen als große Kostbarkeiten auf unsere Zeit gekommen sind, so in unserm Fall insbesondere auch Listen aus Mecklenburg und Lübeck aus dem 19. und 20. Jh.
Ideologische Zwänge waren es, die seit Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933 immer mehr Menschen in Deutschland nötigten, sich mit dem eigenen Stammbaum zu befassen, war doch ADOLF HITLER aufgrund seiner verquasten Rassenlehre darauf aus, jeden jüdischen Einfluss aus dem Leben und der weiteren Entwicklung in Deutschland auszuschalten. Auch wenn an eine Vernichtung dieses Volkes der Juden zu dieser Zeit noch nicht gedacht war, so sollten doch Gesetze verhindern, dass Juden in Deutschland etwa als Beamte oder Angestellte im öffentlichen Dienst beschäftigt oder als Ärzte, Juristen oder Wissenschaftler tätig wurden oder sich mit „rassereinen“ Deutschen verheirateten.