Das Geseeser Büchlein des Pfarrers J. G. Ad. Hübsch - Jürgen Joachim Taegert - E-Book

Das Geseeser Büchlein des Pfarrers J. G. Ad. Hübsch E-Book

Jürgen Joachim Taegert

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Beschreibung

Das 1842 erstmals erschienene GESEESER BÜCHLEIN des Pfarrers JOH. GG. ADAM HÜBSCH ist als Heimatbuch und historische Quelle für die Region des Hummelgaues um das oberfränkische Gesees bis heute unersetzlich. Der unterhaltsame feuilletonartige Schreibstil bereitet auch dem Nichtfachmann Genuss. Man spürt: Der einstige Verfasser ist in diese Landschaft und ihre Menschen verliebt und begegnet ihnen mit Achtung. Der Großdruck führt zu guter Lesbarkeit. Einen historischen Versuch - so nannte der damalige Geseeser Geistliche bescheiden sein im Selbstverlag erschienenes Taschenbüchlein. Es blieb bis heute das einzige geschlossene Werk zur Orts- und Kirchengeschichte der Region um GESEES und wird von Kennern immer noch gern als kompetente Quelle zitiert. Schon dieses Alleinstellungsmerkmal wäre ein Grund zur Neuausgabe, die hier zusammen mit der Gemeinde GESEES gewagt wird. Das Büchlein erscheint nun anlässlich der 700-Jahr-Feier der ersten urkundlichen Erwähnung von Ort und Kirche. HÜBSCH lädt den Leser ein, den Blick auf die menschenfreundliche Ausstrahlung der gut 20 Dörfer, Weiler und Einöden zu richten, die ihren geistlichen und räumlichen Mittelpunkt im weithin sichtbaren Wehrkirchen-Ensemble ST. MARIEN ZUM GESEES haben. Er beschreibt kurzweilig die Geschichte und Kultur dieser Landschaft des Hummelgaues, die trotz ihrer Nähe zur quirligen Bezirkshauptstadt BAYREUTH und trotz mancher Zuwanderung in sich selbst ruht. In einem kenntnisreichen biographischen Vorwort stellt der Neuherausgeber Jürgen Joachim Taegert seinen Kollegen Pfarrer HÜBSCH als hochbegabten, umtriebigen, kulturhistorisch und sozial engagierten Theologen, promovierten Philologen und Heimatforscher in Wort und Bild persönlich vor und informiert in vertiefenden Exkursen über das Besondere seines Anliegens. Denn erstaunlicherweise erfährt man in der sonst allwissenden gemeinnützigen Enzyklopädie Wikipedia über Pfarrer Hübsch bislang noch gar nichts und auch auf anderen Internetseiten nur sehr wenig. Auch seine Evang.-Luth. Landeskirche in Bayern hat ihn für ihre Geschichtsschreibung noch nicht entdeckt. Dabei wirkte Hübsch seelsorgerlich-aufklärend und sozial-nachhaltig in einer sehr markanten und bedrängenden Phase der Kirchwerdung im Bayerischen Königreich. Hübschs geschichtspädagogisches Wirken in Gesees und sein nachfolgendes, für ganz Oberfranken bis heute wirksames diakonisches Engagement insbesondere in Naila machen ihn zu einer ganz markanten Persönlichkeit des 19. Jahrhundert.

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Seitenzahl: 332

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Lithographie in der Erstausgabe von 1842

JOHANN GEORG ADAM HÜBSCH – Lithographie Naila 1858

Inhalt

Zum Geleit

Grußwort des Ersten Bürgermeisters der Gemeinde Gesees Harald Feulner

Einführung zur Neuausgabe des Geseeser Büchleins

Pfarrer Hübsch und seine Bücher

Auf der Suche nach dem „protestantischen Profil“

Ein brüderlicher Amtskollege

Vorreiter bei den diakonischen Aufgaben der Kirche

Ein bescheidener Pionier bei der Kirchwerdung der Protestantischen Landeskirche

Anmerkungen zur Neuauflage

Vorrede

Land und Leute

Gesees

Die Tracht

Der Charakter

Die Gebräuche

1.

Kindtaufen

2.

Hochzeiten

3.

Beerdigungen

4.

Sichel- und Drischellege

5.

Schlachtschüsseln

6.

Kirchweihen

Die Hummeln

Die Abstammung der Hummelbauern

Die Mistel

Die altdeutschen Gräber

Religion

Das Heidentum

Das Christentum mit dem Mariabilde

Die Geseeser Mariensage

Das Geseeser Kirchen-Ensemble

Die Kapelle und Kirche unserer liebenFrau zum Gesees

Die Sage über die Stätte des Kirchbaus und die erste urkundliche Erwähnung 1321

Hussitensturm und kirchlicher Wiederaufbau

Der Innenraum der Kirche

Der Kirchturm

Das Glockenhäuschen

Der Kirchhof

Kirchenvermögen und -verwaltung

Der Stiftungswald

Das Kirchenvermögen

Die Verwaltung

Die Ortsteile und ihre Geschichte

Der Pfarrsprengel

I.

Die Landgemeinde Gesees

II.

Die Landgemeinde Forkendorf

III.

Die Landgemeinde Thiergarten

IV.

Die Landgemeinde Obernschreez

V.

Die Landgemeinde Pettendorf.

VI.

Die Landgemeinde Pittersdorf.

VII.

Die Gesamtzahl der Gemeindeglieder

Die Pfarrstellen und ihre Inhaber

Die Erste Pfarrstelle

Liste der Ersten Pfarrer in Gesees

Die Zweite Pfarrstelle.

Liste der Zweiten Geistlichen

Frühmesser

Kapläne und Frühmesser

Verzeichnis einiger gelehrter Männer

,

die zuGesees geboren sind

Schulische Verhältnisse

Die Schule

Der Schulsprengel

Liste der Schullehrer

Die Nebenschule zu Pittersdorf

Die Grundherrschaft

Die Herren von Mistelbach zu Mistelbach

Die Herren von Heerdegen

Landschaft

Der Sophienberg

Berauschende Aussicht

Ein alter Herrensitz

Bedeutsame Feiern

Geschichtliche Ereignisse und Kriege

Die Reformation.

Der Bauernkrieg

Der Dreißigjährige Krieg

Der Dreißigjährige Krieg im Bayreuther Land

Die Napoleonischen Kriege 1792-1815

Teuere Zeiten: Das Notjahr 1816

Viktualienpreise

Gesees auf den Uraufnahmeblättern 1850

Synopse

Pfarrer und Ereignisse in Gesees 1321 - 2021

Übersichtskarte

: Der Kirchensprengel Gesees und seine Ortschaften

Zum Geleit

Grußwort des Ersten Bürgermeisters der Gemeinde Gesees Harald Feulner

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe an den Geseesern Interessierte, froh und dankbar bin ich, mit diesem Buch ein Kleinod Geseeser Geschichtsschreibung in Händen zu halten, welches in seiner Urform vor fast 180 Jahren entstanden ist.

Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts hatte es sich der damalige Pfarrer der hiesigen Kirchengemeinde, Herr Dr. JOHANN GEORG ADAM HÜBSCH, zur Aufgabe gemacht, die Geschichte des Ortes Gesees – seiner ersten Pfarrstelle – umfassend zu recherchieren und für die Nachwelt festzuhalten. Das dabei entstandene „Geseeser Büchlein“ ist aber längst vergriffen. Auch ließ er es in der damals üblichen Frakturschrift drucken, einer Schriftart, die heutzutage für viele nur noch schwer lesbar ist.

Jetzt hat Herr Pfarrer JÜRGEN JOACHIM TAEGERT, der in Gesees seine letzte Pfarrstelle innehatte, dieses einmalige und voller geschichtlicher Kostbarkeiten steckende Werk neu eingelesen, mit ergänzenden Anmerkungen zum einstigen Verfasser, Erläuterungen zu schwer verständlichen Begriffen und einer Synopse zu den geschichtlichen Zusammenhängen versehen und uns damit einen wahren Wissensschatz allgemein zugänglich gemacht. Etliche seltene Farb- und Schwarzweißbilder vervollständigen die Neuausgabe. Dafür gebührt ihm ein ganz herzliches Vergelt’s Gott!

Was die beiden Geseeser Kirchenvertreter, Pfarrer HÜBSCH und Pfarrer TAEGERT, über die Jahrhunderte hinweg verbindet, ist die große Liebe zu den Menschen hier in der Region. Das Interesse an Details der Geschichte über die Gemeinde hinaus, verknüpft mit der Frage nach den politischen und sozialen Bewegungen der jeweiligen Zeit; das Ganze geleitet von der Sehnsucht nach passender pädagogischer Vermittlung von Glaube und Wissen, zum Wohle und Glaubensbildung der Menschen vor Ort.

Auszüge des Hübsch‘en Vermächtnisses waren zuvor bereits dankenswerterweise vom ortsansässigen Kreisheimatpfleger, Herrn RÜDIGER BAURIEDEL immer wieder einmal im „Hummelgauer Heimatboten“ veröffentlicht und erläutert worden. Sogar eine Gesamtausgabe des Geseeser Büchleins konnte man seinerzeit aus Einlageblättern zusammenstellen. Mit diesem Band liegt das Buch nun in einer geschlossenen Gesamtausgabe vor.

Überlegungen für eine Neuausgabe gab es schon vor 100 Jahren, nachdem Hübschs Urausgabe vergriffen war, wurden aber nicht realisiert. Neben KARL-MEIER-GESEES befasste sich auch der seinerzeitige Inhaber der II. Pfarrstelle Pfarrer FRIEDRICH BUCKEL persönlich damit. Lehrer DÜMLEIN ließ gar den Inhalt des Geseeser Büchleins in die Schulchronik abschreiben und lieferte selbst zusätzliche Informationen in Form von Fußnoten (Bauriedel). Dass dieses Projekt nun umgesetzte werden kann, ist Ideen im Arbeitskreis „700 Jahr-Feier Gesees“ zu verdanken. Das nun vollendet vorliegende und einer breiten Öffentlichkeit zugängliche Werk wird als wertvolle historische Ergänzung zum „Heimatbuch“ für dieses große Jubiläum im Jahr 2021 dienen können. Bei dieser Gelegenheit gilt mein ganz besonders herzlicher Dank auch allen anderen Mitarbeitenden, welche in zeitaufwendiger, ehrenamtlicher Arbeit diese Chronik zur 700 Jahr-Feier von Gesees verfassen.

So bin ich als amtierender Bürgermeister mehr als dankbar, dass diese historische Schrift anlässlich des großen Jubiläums von Gesees nun eine späte liebevolle Wertschätzung auch durch die breite Öffentlichkeit erfahren darf.

Uns allen wünsche ich auch zu den anderen Planungen und Veranstaltungen rund um die 700-Jahr-Feier unseres schönen „G’sees“ allseits gutes Gelingen und spannende Impulse.

Harald Feulner

1. BGM Gemeinde Gesees

Frühjahr 2020

Einführung zur Neuausgabe des Geseeser Büchleins

Pfarrer Hübsch und seine Bücher

Noch heute, viele Jahre nach dem Ende meiner Dienstzeit in GESEES, blättere ich gern im alten „Geseeser Büchlein“, das ich in einer Paperback-Kopie der Staatsbibliothek BAMBERG besitze.1 Ich versetze mich zurück in die menschenfreundliche Ausstrahlung der hier beschriebenen gut 20 Dörfer, Weiler und Einöden, die ihren geistlichen und räumlichen Mittelpunkt im weithin sichtbaren Ensemble der WEHRKIRCHE ST. MARIEN ZUM GESEES haben. Dieses ausstrahlende geistliche Kleinod ragt vom Sporn des Bayreuther Hausberges auf, des Sophienberges; doch trotz der fußläufigen Nähe zur quirligen Bezirkshauptstadt BAYREUTH ist dieser benachbarte Raum des östlichen Hummelgaues noch völlig unverstädtert geblieben; er ruht trotz mancher Zuwanderung von Neubürgern in sich selbst.

Der einstige Verfasser JOHANN GEORG ADAM HÜBSCH ist in diese Landschaft und ihre Menschen verliebt und begegnet ihnen mit Achtung – das spürt man seinen Zeilen noch heute an. Sein kurzweiliger Schreibstil hat es mir angetan; von seiner Lebendigkeit kann man als Verfasser von Publikationen, die sich mit der Verbindung von Geschichte, Kultur, Landschaft und menschlichem Geschick befassen, viel lernen.

Einen „historischen Versuch“, so nannte der Autor bescheiden sein im Jahr 1842 im Selbstverlag erschienenes kleines Taschenbüchlein im unscheinbaren erdbraunen Hardcover-Einband. Es ist aber bis heute das einzige geschlossene Werk zur Orts- und Kirchengeschichte des oberfränkischen Dorfes GESEES geblieben und wird von Kennern immer noch gern als kompetente Quelle zitiert. Schon dieses Alleinstellungsmerkmal wäre ein Grund für eine Neuausgabe, die ich hiermit im Einvernehmen mit der Gemeinde GESEES aus Anlass der 700-Jahr-Feier der ersten urkundlichen Erwähnung von Ort und Kirche im Jahr 1321 wage. Hinzu kommt aber, dass Hübschs feuilletonartiger Schreibstil noch heute Genuss bereitet; von ihm kann jeder Heimatkundler lernen, der an der Verbreitung seiner Erkenntnisse interessiert ist.

Anstatt vom Katheder herab zu dozieren, setzt HÜBSCH betont am Empfinden der Leser an. Wenn er z.B. den aufwendigen Bau der ortsbildenden Bezirksstraße von Pottenstein nach BAYREUTH im Jahr 1817 in der Startphase des jungen bayerischen Königreiches beschreiben will, der die einst bodenlosen Fahrspuren im dort verbreiteten Lehmgrund ablöste, dann redet er nicht vom Aufwand für die Straßenbauer oder die sicher deftigen Kosten des Projektes. Sondern er sieht den aufatmenden Bauern vor sich, dessen zwei Ochsen auf dieser Straße nun die gleiche Last ziehen, „wie deren sechs in früheren Jahren, und kommen doch schneller und wohlbehaltener mit Wagen und Geschirr am Ziele an.“ Oder wenn er die Misere des unbefriedigenden Trinkwassers beschreiben will, dann redet er nicht vom pH-Wert bzw. der „potentia Hydrogenii“, sondern er schildert, wie „schwächliche Personen“ beim Genuss dieses Wasser „Magenbeschwerden“ erleiden; oder er beschreibt den Kummer der Hausfrau, der dieses harte Wasser zum „Kochen der Hülsenfrüchte ebenso wenig taugt, wie zum Reinigen der Wäsche und zum Bleichen der Leinwand“, und die erleben muss, wie sich die Seife nicht auflösen will, sondern „wie geronnene Milch“ aufflockt.

Bedauerlicherweise erfährt man über diesen hochbegabten, umtriebigen, kulturhistorisch und sozial engagierten Theologen, promovierten Philologen und Heimatforscher in der sonst allwissenden gemeinnützigen Enzyklopädie Wikipedia noch gar nichts und auf anderen Internetseiten auch nur wenig. Auch die Geschichtsschreibung der Evang.-Luth. Landeskirche hat ihn noch nicht entdeckt, obwohl dieser Pfarrer in einer sehr markanten und bedrängenden Phase der protestantischen Kirchwerdung im Bayerischen Königreich wirkte und sehr Charakteristisches zu ihrem Werden beigetragen hat, was gleich noch zu zeigen sein wird.

Aufschlussreich mag aber vorab die Tatsache sein, dass Pfarrer HÜBSCH fast über jede wichtige Station seines Lebens ein solches Geschichtswerk wie das „Geseeser Büchlein“ hinterlassen hat, sodass man auf diese Weise Vergleiche über das unterschiedliche Wesen der damaligen Gemeinden, wie über den Fortschritt der Zeit anstellen kann.

Dr. HÜBSCH hat immerhin 11 Jahre lang, von 1837-48, auf der II. Geseeser Pfarrstelle gewirkt. Bereits vor der Hälfte seiner Amtszeit hat er dieses Heimatbüchlein auf eigene Kosten herausgegeben. Seine nächste Pfarrstelle war NAILA am Frankenwald. Auf die dortige I. Pfarrstelle hatte er sich im Revolutionsjahr 1848 beworben. Unter dramatischen Umständen folgte im Jahr 1862 die Pfarrstelle in HELMBRECHTS. Im Jahr 1866 bewarb er sich schließlich ins mittelfränkische Dreieck zwischen ROTH, ALLERSBERG und THALMÄSSING und übernahm die Gemeinde EYSÖLDEN. Dort starb HÜBSCH im Jahr 1872 im Alter von erst 66 Jahren. Er hatte sich in seinem intensiven und engagierten Leben vorzeitig aufgebraucht.

Seine fundierten Chroniken legen Zeugnis ab von seiner Leidenschaft als Historiker. Die wichtigsten Schriften sind heute in digitalisierter Form im Internet greifbar: In NAILA verfasste er seinerzeit eine Geschichte seiner Geburtsstadt BAIERSDORF, die zwischen ERLANGEN und FORCHHEIM liegt; dieses mit 31 Seiten recht schmale Büchlein erschien 1862 in ANSBACH und ist z.B. auf der Webseite der Bayer. Staatsbibliothek MÜNCHEN als Faksimile zu lesen, allerdings, wie auch das Geseeser Büchlein, nur in der damals üblichen Frakturschrift.2

Als Gemeindepfarrer in HELMBRECHTS brachte HÜBSCH im Jahr 1863 seine „Geschichte der Stadt und des Bezirks Naila” heraus. Diese Chronik ist mit immerhin gut 180 Seiten etwas stärker, als das Werk über GESEES. Sie ist ebenfalls in Frakturschrift auf der Webseite der Staatsbibliothek einsehbar bzw. bestellbar.3

Auf seiner letzte Pfarrstelle in EYSÖLDEN verfasste HÜBSCH zunächst seine 112-seitige „Chronik der Stadt und Festung Forchheim“, die in NÜRNBERG 1867 erschien und ebenfalls digitalisiert ist.4

Im folgenden Jahr 1868 gab er, ebenfalls in NÜRNBERG, die 100-seitige „Geschichte des Marktes Eysölden und seiner Umgegend“ heraus. Auch für diesen Ort ist es bezeichnenderweise bis heute die einzige umfassende Monographie, sodass man unschwer daraus folgern kann, dass diese Arbeit so ordentlich war, dass niemand sich bisher an die Abfassung einer Nachfolgerin herangetraut oder eine solche für nötig befunden hat. Im Jahr 2014 hat MARKUS TRÄGER eine Neuauflage als E-Book herausgegeben, die in moderner Antiquaschrift gesetzt und damit auch für jüngere Generationen lesbar ist.5

Auf der Suche nach dem „protestantischen Profil“

Nicht zu folgen vermag ich aber der Einschätzung, die TRÄGER in seinem Vorwort zum Eysöldener Büchlein äußert, wenn er den Autor etwas abschätzig als „fleißigen Heimatkundler“ und „Hobby-Historiker“ bezeichnet, dessen Arbeit „nicht wissenschaftlichen Standards“ entspreche. Die Historischen Vereine, wie das Forum des Nordoberfränkischen Vereins für Natur-, Geschichts- und Landeskunde e.V., sehen das nämlich anders. Sie nennen HÜBSCH vielmehr einen „bedeutenden Geschichts- und Heimatforscher.” Mit Recht erinnert auch der Heimatpfleger des Landkreises Bayreuth RÜDIGER BAURIEDEL an Hübschs Tätigkeiten und Verdienste als Vorstand beim Historischen Verein für Oberfranken. HÜBSCH soll auch an den archäologischen Ausgrabungen bei Gosen und Spänfleck verantwortlich beteiligt gewesen sein.

Auch wenn es zutreffen mag, dass „einige Feststellungen und Mutmaßungen des Autors … nach dem heutigen Stand der Geschichtsforschung als widerlegt bzw. unzutreffend gelten [müssen]”, so hat der genannte Kommentator doch wohl die Intention von Pfr. HÜBSCH überhaupt nicht verstanden. HÜBSCH hat, in durchaus pädagogischer Absicht, ein typisches „Heimatbuch“6 für eine ländlich strukturierte Gemeinde mit einer ausdrücklich pädagogischen Zielsetzung geschaffen. Bei der hier vorherrschenden charakteristische Mischung von Stilarten, wie Geschichtsschreibung, Landeskunde, Geographie, Volkskunde, Soziologie, Sprache und Literatur, hat er den „Landmann“ vor Augen, dem er „eine würdige Unterhaltung in müßigen Stunden des Sommers und in den langen Abenden des Winters“ vermitteln will.

Dieser Ansatz ist typisch auch für andere gelehrte protestantischen Pfarrer dieser Zeit, die ihre Aufgabe neben der geistlichen auch in einer allgemeinen Bildung der Bevölkerung sahen und die sich bewusst nicht als erhabene Geschichtsdozenten, sondern bisweilen als sehr wirkungsvolle „Volksschriftsteller“ betätigten. Ein typisches und bekanntes Beispiel dafür ist der Gründer und Redakteur des kirchlichen „Sonntagsblattes“ Pfarrer WILHELM REDENBACHER aus PAPPENHEIM (1800-1876), der hochgeachtete Großvater des in WEIDENBERG von 1919-49 tätigen Bekenntnispfarrers GEORG REDENBACHER.7 Das ist deshalb interessant, weil HÜBSCH und WILH. REDENBACHER praktisch gleichalt waren. Somit erhält man ein Bild über die damaligen Zeitumstände für die Protestanten.

Genau im Jahr der Veröffentlichung des „Geseeser Büchleins“ 1842 wurde WILHELM REDENBACHER in der evangelischen Welt durch sein mannhaftes Auftreten im „Kniebeugungstreit“ weit über Bayen hinaus bekannt. Der Katholikenfreund KÖNIG LUDWIG I. hatte nämlich die tolerante Linie seines Vaters MAXIMILIAN verlassen, die den Protestanten in Bayern bis dahin eine weitgehende Anerkennung und Gleichstellung mit den Katholiken garantiert hatte. König LUDWIG hatte im revolutionären Klima seiner Zeit aus Sorge um seinen Thron und seinen Kopf Rückhalt bei den Katholiken gesucht und die Protestanten dabei auf verschiedene Weise düpiert.

So hatte der König den protestantischen Soldaten befohlen, vor dem „Sanctissimum“ der Katholiken – also der beim „Umgang“ an Fronleichnam mitgeführten Monstanz – das Knie zu beugen. Gegen diese Praxis hatte REDENBACHER mit der Veröffentlichung eines kritischen Synodalvortrages protestiert und zum Ungehorsam aufgerufen. Er war darauhin wegen „Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe durch Missbrauch der Religion“ zu einer einjährigen Festungshaft verurteilt worden, konnte sich aber dem Strafantritt durch ein Exil beim König von Preußen entziehen. Sein Fall führte dazu, dass die aus vielen Kirchen zusammengewürfelten Protestanten Bayerns näher zusammenrückten und diese junge Landeskirche nun stärker ihr eigenes Profil suchte und ausbildete.

Dieses Streben nach konfessioneller Profilierung ist auch bei HÜBSCH erkennbar, z.B. in der Weise, wie er sich immer wieder vom römischen Katholizismus abzugrenzen sucht. Zudem will er in der Volksbildung „Aufklärer“ auch auf dem Lande sein. So strebt er an, den verbreiteten Aberglauben auszuräumen. Die entstehende „Lücke“ will er durch „ernste Gespräche“ ausfüllen, „welche der Männerkreis beim Lesen der vaterländischen Geschichte über die merkwürdigsten Begebenheiten anstellt“. Seine Ziele sind „Belehrung, Unterhaltung und Liebe zum Vaterlande“.

HÜBSCH gehört damit zum damals wachsenden Kreis der rational eingestellten protestantischen Pfarrer, die den demokratischen Bestrebungen ihrer Zeit skeptisch gegenüberstehen und die Erfüllung ihrer Träume eher in einer monarchisch geführten christlichen Nation sehen, eine Einstellung, die man heute gern als „Deutschnational“ bezeichnet und die im protestantischen Bürgertum weit verbreitet war. Delikaterweise ist der „summus episcopus“ – der oberste Herr auch der evangelischen Kirche und Dienstherr der evangelischen Pfarrer – in Hübschs Zeit bis zum Ende des Bayerischen Königtums 1919 der katholische Landesherr, also der jeweilige König.

Ein brüderlicher Amtskollege

Pfarrer JOHANN GEORG ADAM HÜBSCH war am 22. August 1805 als Sohn eines Schuhmachermeisters in BAIERSDORF im heutigen Landkreis ERLANGEN-HÖCHSTADT geboren worden. Er hatte in ERLANGEN von 1824 bis 1828 Philologie und Theologie studiert und war dort zum Dr. phil. promoviert worden. Nach verschiedenen Anfängerstellen war er 1832-1837 als Religionslehrer an der „höhere Bürgerschule“ in KITZINGEN eingesetzt. Im Jahr 1837 hatte ihn der oberste Dienstherr der Protestanten, der katholische König LUDWIG I., zum Antritt seiner ersten Pfarrstelle nach GESEES gerufen.

Pfarrer HÜBSCH war verheiratet und hatte mindestens drei Kinder. Die Situation in GESEES war für ihn nicht einfach. Denn es gab zwar seit dem 27. November 1824 eine formale Gleichstellung der Pfarrer durch den Titel „Zweiter Pfarrer“. Und er wohnte, wie auch der I. Pfarrer, in einem festen und einigermaßen ordentlichen zweistöckigen Steinhaus aus der Barockzeit, während zu dieser Zeit die meisten Gemeindeglieder noch in recht kleinen einstöckigen Holzhäusern mit Stroh- oder Schindeldach und offenem Herd hausten. Aber noch lange Zeit hindurch waren die Dotierungen der Pfarrstellen sehr unterschiedlich. So lagen die Einkünfte des II. Pfarrers zur Zeit von Pfr. HÜBSCH nur bei 58% der I. Stelle. Gleichwohl spürt man bei ihm darüber nur verhaltenen Unmut. Vielmehr erweist er sich trotz solcher eklatanten Einkommensunterschiede als vorbildlicher Kollege, ja sogar in gutem Sinn als Amts-„Bruder“.

Denn als er im Alter von 34 Jahren seine Stelle in GESEES antritt, findet er in JOHANN JAKOB DÖHLA einen Kollegen vor, der zu diesem Zeitpunkt schon 75 Jahre alt ist, aber trotz dieses hohen Alters weiter amtiert! DÖHLA ist ein oberfränkisches Urgestein aus ZELL am westlichen Fichtelgebirgsrand und hat noch die beiden letzten Markgrafen FRIEDRICH CHRISTIAN und CHRISTIAN ALEXANDER miterlebt.

Die Zusammenarbeit der beiden im Alter und wohl auch in ihrer Prägung so unterschiedlichen Pfarrer erwies sich als ein Glücksfall. HÜBSCH unterstützte vorbehaltlos seinen hochbetagten Kollegen und machte es so möglich, dass DÖHLA sogar noch bis zu seinem Tode mit 86 Jahren (!) in GESEES pastoral wirken konnte. Um das zu ermöglichen, nahm HÜBSCH seinem Amtsbruder die gesamte umfangreiche Kirchenverwaltung ab, die ja auch das Management für die ausgedehnten Stiftungsgrundstücke und das leidige Bauwesen mit umfasste, das zum Erhalt des spätgotischen Kirchenensembles auf dem Geseeser Kirchberg und der Pfarrgebäude notwendig war.

Resolut wie junge Leute manchmal sind, wollte HÜBSCH gleich zu Beginn seiner Amtseit Platz für mehr Gräber schaffen. So veranlasste er leider 1838-39, dass vier der fünf baufälligen Wehrtürmchen dieses mittelalterlichen Ensembles auf der Burgmauer abgebaut und die östliche Mauer eingerissen wurde. Sturmschäden erzwangen im Folgejahr Bauarbeiten an der Kirche und die Neuerrichtung des Turmhelms. Dabei wurde zur Vereinfachung der Wartung auf die charakteristischen vier Ecktürmchen verzichtet. Bei dieser Gelegenheit entdeckte HÜBSCH auch die in seinem Büchlein genannte Jahreszahl 1583. Das Zifferblatt der Turmuhr wurde 1841 erneuert, die Glocke von 1665 wegen Rissbildung umgegossen.

Obwohl also HÜBSCH, ohne dazu verpflichtet zu sein, sich auch um Dienstobliegenheiten seines älteren Amtsbruders kümmerte, stellte er diesem doch in eigener Bescheidenheit das glänzende Zeugnis aus, „durch gewissenhafte Amtstreue und Herzensgüte allgemein geehrt und beliebt auch in hohem Alter“ zu sein und widmete ihm den liebenswerten Segenswunsch: „Gott lasse den Abend seines Lebens recht heiter und ungestört sein und ihn noch lange das Glück seiner Kinder und Enkel schauen“.

Pfarrer HÜBSCH hatte in seiner Zeit also alle Hände voll zu tun, wenn er neben seinem eigenen Dienst auf der II. Pfarrstelle als Sprengelseelsorger für das benachbarte Pittersdorf und Pettendorf noch die Verwaltungstätigkeit des I. Pfarrers mit ausübte. Darüber hinaus bereiste er auch die entsprechenden Archive, um seine historischen Forschungen abzusichern. Deshalb suchte er trotz seiner kargen Einkünfte Unterstützung für seinen Familien-Haushalt

Er fand sie in der jungen, ledigen, um 1820 geborenen MARGARETHA HACKER. Laut Kirchenbuch war sie die dritte Tochter des Geseeser Bauern JOHANN HACKER, Haus Nr. 47. Sie stammte also aus dem „Veit'n-Anwesen“ oberhalb des Pfaffenberger'schen Wirtshauses am „Schmiedshügel“, mit der heutigen Anschrift Hauptstr. 6. Die junge Frau arbeitete seitdem als Köchin und Wirtschafterin im zweiten Geseeser Pfarrhaus. Sie wurde im Jahr 1844 Mutter einer Tochter BARBARA, blieb aber ledig. Der Vater ist unbekannt. Im Jahr 1870 erbaute sie zusammen mit dieser Tochter und ihrem Schwiegersohn ANDREAS HACKER, welcher aus Pettendorf stammte und in Nürnberg als Bäckermeister erfolgreich geworden war – er trug zufällig denselben Nachnamen, wie seine Braut, ohne verwandt zu sein – das bekannte „Lindis-Wirtshauses” am nördlichen Geseeser Ortseingang.

Vorreiter bei den diakonischen Aufgaben der Kirche

Nach Pfr. Döhlas Tod 1848 hätte HÜBSCH, versiert durch so viel Erfahrung, sicher auch die I. Stelle in GESEES übernehmen können. Aber in diesem Jahr herrschte in Bayern, hervorgerufen durch die überall spürbare Forderung nach Liberalisierung und angeheizt durch das allseits missbilligte Verhältnis des reaktionären Königs LUDWIG I. mit der irischen Tänzerin LOLA MONTEZ, eine revolutionäre Stimmung, die aber nach der freiwilligen Abdankung des Monarchen im März 1848 sofort in ein Klima des begeisterten Aufbruchs umschlug. Der protestantischen Kirche winkten unter dem toleranteren Nachfolger MAXIMILIAN II. mehr Anerkennung und ganz neue Aufgabenfelder. So zog es Pfarrer HÜBSCH in die Stadt. Er bewarb sich für die Kreisstadt NAILA im Frankenwald, die damals 4.500 Einwohner hatte und noch heute Dekanatssitz ist.

Die Überlegungen für die Profilierung der protestantischen Kirche gingen seinerzeit in zwei Richtungen: Nach innen war die Frage nach dem lutherischen Bekenntnis zu stellen, das die Gläubigen dieser Kirche verbindet und sie erkennbar macht. Dieser Arbeit nahm man sich zwar schon länger an der Universität ERLANGEN an. Die Aufgabe hatte sich aber neu vertieft durch kirchenübergreifende Glaubensbewegungen, die den kühlen, rationalen Geist der Aufklärung überwinden und hin zu einer persönlichen Frömmigkeit wandeln wollten. Zum anderen stellte aber auch der gesellschaftliche Wandel durch die industrielle Revolution die Kirche vor neue Herausforderungen. Viele Menschen waren entwurzelt. Die Jugend drohte zu verwahrlosen. Dies wurde von vielen Pfarrern nicht nur als seelsorgerliche Aufgabe wahrgenommen, sondern zugleich als Aufforderung zum deutlichen christlichen Handeln verstanden.

So hatte der Pfarrer und Pädagoge JOHANN HINRICH WICHERN, der nur wenige Jahre jünger war als HÜBSCH, im Jahr 1833 mit dem „Rauhen Hauses“ in HAMBURG ein beispielgebendes Pilotprojekt zur Rettung verwahrloster Kinder gestartet. Im revolutionären Jahr 1848 hatte WICHERN auf dem ersten Evangelischen Kirchentag in WITTENBERG eine programmatische Rede gehalten und damit breite Begeisterung entfacht. Eine Folge war die Gründung des „Centralausschusses für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche“, der Vorläuferorganisation des heutigen Diakonischen Werkes.

Die Botschaft zur Neuentdeckung der Diakonie muss damals auch bei Pfarrer HÜBSCH gezündet und ihn vom geordneten Geseeser Landleben weggezogen haben. Er erkannte in NAILA das diakonische Anliegen als Gebot der Stunde und griff es auf.8 Ganz im Geist seiner Zeit wurde er hier zum Gründer eines Rettungshauses für „arme, verlassene und verwahrloste Kinder“.

Auf einer kleinen Anhöhe im Süden der Stadt NAILA im Bereich der heutigen Neulandstraße entstand so die erste Einrichtung der Diakonie Naila. Sie wurde nach dem Reformator MARTIN LUTHER „Martinsberg“ benannt und ist noch heute, in erweiterter und pädagogisch angepasster Form, ein Aushängeschild des praktischen christlichen Handelns in NAILA. In der Folge entstand in den 1970er Jahren außerhalb der Stadt NAILA das Kinder- und Jugenddorf „Am Steinbühl“, ein beispielhaftes heilpädagogischpsychotherapeutisches Zentrum.

Das Haupthaus des Martinsberges in den 1950-er Jahren

Nach seinem eigenen Bericht hatte Pfarrer Dr. HÜBSCH seinerzeit im Jahr 1851 am sogenannten Kupferschmiedsberglein in einem kleinen Mietshäuschen mit drei Jungen und drei Mädchen begonnen. Dabei musste er gegen manche Anfangsschwierigkeiten ankämpfen. Doch rasch wurde die Arbeit dieser Rettungsanstalt zum Erfolgsmodell. Zahlreiche Bürger unterstützten ihn bei dem ehrgeizigen Projekt. Von Jahr zu Jahr mussten Erweiterungsbauten errichtet werden, und im Jahr 1854 kam sogar eine eigene Schule hinzu. Immer wieder freilich warfen Brandunglücke in den Gründerjahren die Arbeit zurück. Sie nahmen vorweg, was dann im Jahr 1862 mit dem großen Stadtbrand die ganze Stadt NAILA und auch Pfr. HÜBSCH selbst betraf.

Auffallend ist ja heute der neugotische Neubau der Stadtkirche. Er hat in diesem gewaltigen Stadtbrand seine erschütternde Wurzel. Für Pfarrer HÜBSCH war dieser Großbrand von 1862 eine persönliche Katastrophe. Weil mit weiten Teilen des Ortes auch das Pfarrhaus mit abbrannte, verlor dieser gelehrte und sozial engagierte Mann nicht nur seine ganze Habe, sondern auch viele unersetzliche Schätze seiner wissenschaftlichen Arbeit. Ein Glück, dass er manches von seinen Schriften durch Druckherausgabe rechtzeitig verewigt hatte!

Da an den Neubau des Pfarrhauses so rasch nicht zu denken war, wechselte Pfr. HÜBSCH schweren Herzens ins 13 km entfernte HELMBRECHTS. Dort gab er dann rückblickend 1863 seine schon genannte „Geschichte der Stadt und des Bezirks Naila“ heraus.

Im Vorwort beklagt er, dass seine Darstellung einem NAILA gelte, das durch den Brand unwiederbringlich der Vergangenheit angehöre. Das Rettungshaus jedoch blieb seinerzeit unbeschädigt und bot den Kindern weiterhin eine Heimat, einen geregelten Tagesablauf und eine Erziehung zu „Disziplin und christlichen Tugenden“. Im Jahr 1953 wurde das „Erziehungsheim Martinsberg“ in ein „Heilpädagogisches Kinderheim“ mit Sonderschule umgewandelt. Seit dem Jahr 1990 leistet das Diakoniewerk Martinsberg e.V. auch stationäre und häusliche Altenpflege in NAILA und Umgebung. Im ehemaligen „Rettungshaus“ in der Neulandstraße entstanden Wohnungen für betreutes Wohnen und gegenüberliegend ein stationäres Hospiz. Für seine Verdienste ehrte NAILA seinen engagierten Stadtgeistlichen mit der Benennung der „Pfarrer-Hübsch-Straße“.

Ein bescheidener Pionier bei der Kirchwerdung der Protestantischen Landeskirche

Mit seinem Engagement gehört Pfr. HÜBSCH zu den Pionieren in der dritten Phase der Neuausrichtung9 der Protestantischen Landeskirche in der Bayerischen Monarchie.

Durch die Vereinnahmung Frankens, der Pfalz und schließlich des zuletzt französischen Fürstentums BAYREUTH war ja das alte, noch fast durchwegs katholische Wittelsbachische Herzogtum Bayern auf doppelte Ausdehnung angewachsen. Von den nun über drei Millionen Einwohnern der jungen Monarchie waren jetzt immerhin ein Viertel Protestanten.

Sie waren bisher freilich auf 90 Kirchenwesen höchst unterschiedlichsten Charakters in den zerstückelten Territorien verteilt gewesen und hatten vorher völlig unabhängig voneinander existiert. Doch der neue Staat – beeinflusst von französischen Ideen des Zentralismus – war auf Einheitlichkeit und klare zentrale Verwaltungsstrukturen bedacht und fasste die Vielzahl der vorgefundenen evangelischen Kirchenwesen in den neu erworbenen Gebieten zu einer zentral verwalteten Staatskirche zusammen. Diese protestantische Kirche sollte eine einzige Gesamtgemeinde bilden und auf irgendeine Weise das bisherige kirchliche Chaos bei den Lutherischen und Calvinisten bändigen, war aber anfangs nur ein untergeordneter Behördenapparat der Monarchie ohne gemeinsame geistliche Substanz und ohne regionale Einheitlichkeit.

Es war in einer ersten Phase der jungen Bayerischen Monarchie das Dreigestirn aus dem katholischen Thronprätendenten MAX IV. JOSEPH – der als gebürtiger Mannheimer aus den pfälzischen Neuerwerbungen kam, – mitsamt seiner evangelischen Gattin Prinzessin KAROLINE VON BADEN, sowie drittens Max‘ Vertrautem und „Superminister“ JOSEPH DE GARNERIN GRAF MONTGELAS, welche die sehr zukunftsweisende Idee hatten, ihr geplantes Königtum mit geistvollem Leben zu füllen. Sie fragten sich nämlich sehr pragmatisch, wie man im Geist der Aufklärung das bekannte reiche kulturelle und geisteswissenschaftliche Erbe des Protestantismus dem neuen Königreich nutzbar machen könnte. Gegen die starre Bastion der katholischen Altgläubigen konnte dies nur mit Privilegien und rechtlichen Absicherungen für die Protestantische Kirche funktionieren. Denn nach dem gewaltigen Aderlass der Säkularisation und dem Ende ihrer geistlichen Fürstentümer verteidigten die Katholiken die verbliebenen Bastionen mit Zähnen und Klauen und ließen sich dabei von Rom massiv unterstützen.

So war es das Religionsedikt, das MAXIMILIAN bereits im Jahr 1803, noch als bayerischer Kurfürst, nach dem Vorbild der kurpfälzischen Religionsdeklaration vom Jahr 1799 unterschrieb. Es führte für die Protestanten in Bayern eine „Konstantinische Wende“ herbei: Denn es garantierte den drei nun anerkannten Konfessionen der Katholiken, Lutheraner und Reformierten im neuen Bayern gleiche Rechte auf Niederlassung und Gottesdienste.

Als dann aber MONTGELAS im Jahr 1802 ein Fanal der aufgeklärten Vernunft gegen die angeblich überholte katholische Volksreligion suchte und einen völlig unnötigen gewaltsamen „Bildersturm“ vom Zaun brach – er ließ in der Oberen Pfalz und in Altbaiern die Martern, Feldkreuze und Kapellen zu Tausenden als Symbole der alten Religion „demolieren“, – rief das bei den Katholiken viel bleibende Wut gegen die Regierung, die katholische Kirchenleitung, aber auch gegen die Protestanten hervor. Darüber hinaus weckten die Privilegien der Protestanten und ihr unverhohlener Anspruch, „geistige Elite“ im neuen Staat zu sein, allerhand Missgunst bei den Altgläubigen. Das führte in MÜNCHEN sogar zu Pogromstimmungen und Attentatsversuchen gegen Evangelische.

Gleichwohl wurde die junge evangelische Kirche im Jahr 1818 in der neuen Bayerischen Verfassung verankert. Und diese Konstitution hatte nun für genau 100 Jahre Gültigkeit. Die evangelische Landeskirche, die seit 1824 auf Geheiß des Königs „Protestantische Kirche“ hieß, war nun eine unierte Staatskirche unter Leitung von Beamten, mit einem Oberkonsistorium in MÜNCHEN und den drei untergeordneten Konsistorien ANSBACH, BAYREUTH und „für den Rheinkreis zu SPEYER“. Diese Staatsordnung blieb bis zum Ende von Kaiserreich und Königtum in den Revolutionswirren vom Jahr 1918 in Kraft.

In der ersten Phase dieser Kirchwerdung war es für die Kirche vor allem darum gegangen, die Gläubigen zu sammeln und sich mit den kirchlichen Erwartungen im Königtum vertraut zu machen. In den ländlichen Gebieten blieben die alten Traditionen in Kraft; aber die Pfarrer bemühten sich – wie in GESEES zu sehen – neben der Seelsorge und der Weckung der Moral auch um die Bildung des Volkes und die Überwindung des Aberglaubens. In den Städten hingegen pflegte man zumeist eine schöngeistige, bürgerliche Religiosität ohne vertiefte Frömmigkeit.

Eine Veränderung dieser Gemeindefrömmigkeit hatte sich aber in der zweiten Phase gewissermaßen wider Willen, „von oben“, angebahnt, als Maximilians oben genanter Nachfolger, KÖNIG LUDWIG I., den Protestanten die „Lutherische Linie“ verpasste, aber selbst zum „Protestantenfresser“ wurde. Denn mit der Berufung des Württembergischen Juristen, Finanzmanns und autodidaktischen Gelehrten FRIEDRICH ROTH (1780-1852) zum Präsidenten des kirchlichen Oberkonsistoriums hatte der König einen einflussreichen Mann an die Spitze der Kirche gestellt, der durch eigene Forschungen einen erstaunlichen inneren Wandel vom Aufklärer hin zu einem Lutheraner vollzogen hatte. Ihm hatten sich viele Pfarrer angeschlossen. Im breiten Bewusstsein der Protestanten war LUTHER nun nicht länger der deutsche Held und Garant der Nation, sondern zunehmend der Prediger des biblischen Evangeliums und der Verkünder der Rechtfertigung aus Gnaden.

Diese liberale Phase, in der sich das lutherische Bekenntnis festigte, war aber seit der Französischen Juli-Revolution von 1830 überschattet von den Ängsten des bayerischen Monarchen um seinen Thron; sie hatten ihn nach Bundesgenossen Ausschau halten lassen. Er hatte sie in den erzkonservativ-katholischen Kreisen gefunden, mit entsprechenden Verhärtungen gegenüber den Protestanten. Der oben geschilderte „Kniefallstreit“ war dann in diesem Konflikt der Höhe- und Wendepunkt zugleich. Mit Ludwigs Demission hatten sich die Protestanten wie befreit gefühlt. Mit neuem Mut suchten sie ihre Aufgaben in Kirche und Staat. Diese Aufgaben lagen auf der Hand.

Denn das moderne Leben wies in seiner Mitmenschlichkeit tiefgreifenden Defizite auf. Zu dem Zeitpunkt, als Pfr. HÜBSCH von GESEEs nach NAILA wechselte, lag es praktisch in der Luft, die Diakonie als wesentlichen Teil des christlichen Auftrages neu zu entdecken. Sie wurde nun zu einem Zentrum des kirchlichen Handelns. Zugleich galt es, auch die kirchliche Glaubensverkündigung zu vertiefen. Sie stand ja seit der Aufklärung in einem wachsenden Kampf mit dem Rationalismus. Mit den Entdeckungen der modernen Naturwissenschaften vertieften sich die theologischen Fragen. So suchte man neue Wege, um die Frömmigkeit in der Bevölkerung zu wecken.

Pfr. HÜBSCH hatte an diesen geistlichen Prozessen vollen Anteil. Der Kirchenleitung gegenüber gehörte er jedoch mehr zu den „Stillen im Lande“. Andere waren lauter, so sein impulsiver mittelfränkischer Alterskollege WILHELM LÖHE. Dieser wilde junge Mann fiel schon in seiner Vikarszeit im nahen KIRCHENLAMITZ dadurch auf, dass er mit seinen erwecklichen Predigten zwar die Gemeinde aktivierte; aber man warf ihm doch vor, dass seine gutbesuchten Erbauungs- und Bibellesestunden die Jugend von allen weltlichen Vergnügungen (!) abhielten. LÖHE wurde deswegen sogar angezeigt! Er störte in der biedermeierlichen Beamtenkirche den damals vorherrschenden angepassten Zeitgeist. Das Bayreuther Konsistorium berief LÖHE ab. Man war auf Ruhe in den Gemeinden bedacht.

Das hinderte LÖHE aber nicht, weiterhin die Auseinandersetzung mit seiner Kirche zu suchen. Er wurde in den nächsten Jahren das unzähmbare „enfant terrible“ dieser Kirche und schafft es zunehmend, sich mit seinem vierfachen Ansatz von Frömmigkeit, Gemeindebezug, diakonischem und missionarischem Engagement im Selbstverständnis der Bayerischen Landeskirche zu verewigen.

Anders Pfr. HÜBSCH; seine damalige verbale Zurückhaltung bewirkte, dass man ihn bis heute in seiner Bedeutung leicht übersieht. Dabei wirkte er durch die Erfolge seiner diakonischen Arbeit in Oberfranken sehr nachhaltig. Er wurde damit ein beispielgebender Mahner seiner Kirche: Eine zeitgemäße Kirche muss immer wieder ihren biedermeierlichen Geist abstreifen und ihr Evangelium mit den Problemen der Zeit konfrontieren.

Aber HÜBSCH trug seine großen Ziele nie plakativ vor sich her, sondern hielt sich in seiner typischen Bescheidenheit eher im Hintergrund. Das macht ihn sympathisch und soll eine Ermutigung für alle diejenigen sein, die in einem geschwisterlichen Miteinander im Geiste Jesu einen grundlegenden Wesenszug der Kirche sehen. Diesem seinem Anliegen einer geschwisterlichen Kirche soll auch die Neuauflage seines Geseeser Büchleins gewidmet sein.

1 Das Büchlein ist in digitalisierter Form auf verschiedenen Internetseiten greifbar, allerdings zumeist in Frakturschrift, z.B. http:// bsb3.bsb.lrz.de/~db/1037/bsb10374768/images/in-dex.html?id=10374768&fip=qrssdaseayaxsxse-ayaewqweayaqrsewq&no=3&seite=15

2https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10333257/bsb:BV005198143?page=5

3https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb10999765/bsb:BV004266990?page=5

4http://www.bsb-muenchen-digital.de/~web/web1037/bsb10374769/images/index.html?id=10374769&fip=qrssdaseayaxsxse-ayaewqweayaqrsewq&no=6&seite=1

5https://www.thalmaessing.de/fileadmin/Dateien/Dateien/Geschichte_des_Marktes_Eysoelden_und_seiner_Umgegend.pdf

6 Vergl. zum Begriff des „Heimatbuches“ den Bericht über das Symposion der Universität TÜBINGEN im Oktober 2007 zu diesem Thema, nachzulesen auf der Webseite https://www.hsozkult.de/ conferencereport/id/tagungsberichte-1807, bzw. als Text einsehbar bei der Gemeinde Gesees bzw. in meinem Archiv.

7 Vergl. dazu von JÜRGEN JOACHIM TAEGERT das Projekt „Myrten für Dornen“ zur Weidenberger Kirchen- und Ortsgeschichte, insbesondere die Folge 2 „Licht und Schatten – Alltags-Erleben und Kirche in der Vorahnung der Katastrophe“. Hier wird die Vita der beiden genannten Protagonisten ausführlich geschildert (ISBN 978-3-94724716-5).

8 Die folgenden Informationen verdanken sich dem Aufsatz von THOMAS HOHENBERGER „Ordnende Verwaltung und Aufbrüche der Erweckung, Die kirchengeschichtliche Entwicklung des Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirks Naila seit seiner Gründung 1810/11 bis zur Gegenwart“ – greifbar auf der Seite: http://dekanat-naila.de/sites/dekanat-naila.de/files/dokumente/200_Jahre_Dekanat_Festvortrag_Dr..__Hohenberger_Hohenberger.pdf

9 Vergl. dazu auch bei JÜRGEN JOACHIM TAEGERT im Projekt „Myrten für Dornen“ in Folge 4 „Christsein am Scheideweg“ das Kapitel „10 Wunder bei der Entwicklung der Protestantischen Landeskirche in Bayern und im Kirchenkampf im Dritten Reich“, BoD 2021.

Anmerkungen zur Neuauflage

Die vorliegende Ausgabe kommt auf Initiative der Gemeinde GESEES und ihres Bürgermeisters HARALD FEULNER zustande und dient, wie schon oben gesagt, der vertiefenden Ergänzung des 700-jährigen Jubiläums der ersten bekannten urkundlichen Erwähnung von GESEES und seiner Kirche. Zu dieser Neuausgabe des „Geseeser Büchleins“ sei noch folgendes angemerkt:

Der Text entspricht inhaltlich Wort für Wort dem in Fraktur gedruckten Urtext von Pfr. HÜBSCH. Bedauernd ist anzumerken, dass diese Schriftart heute von der jüngeren Generation nicht mehr gelesen wird. Eine Diskussion über die Verwendung von „Antiqua“ oder „gebrochener Druckschrift“ gab es zu allen Zeiten, ebenso über die früher geschriebene „Kurrent- bzw. Sütterlinschrift“ und über die „lateinische Schreibschrift“. In den Tagen von Pfr. HÜBSCH war dieses Problem so gelöst, dass man beim Druck für den deutschen Laufttext Fraktur, für lateinische Begriffe aber Antiqua verwendete. Dies ist in seiner Ausgabe des Geseeser Büchleins erkennbar. – Übrigens verfasste HÜBSCH seine handschriftlichen Kirchenbucheinträge seinerzeit in der üblichen „Kurrentschrift“.

Fraktur und Kurrentschrift gelten gemeinhin noch heute als „deutsche Schriften“. Man benutzt heutzutage aber Fraktur gern abfällig, um damit Nazis zu kennzeichnen. Das ist freilich völlig anachronistisch. Nur wenigen dürfte wohl bekannt sein, dass es ja ausgerechnet ADOLF HITLER war, der diese beiden Schriftarten im „Normschrifterlass“ von 1941 sogar verbieten ließ. Seitdem stirbt die Fraktur, wie viele Ältere sie auch noch aus ihren Kinderbüchern, dem Gesangbuch, der Bibel u.v.a.m. kennen, vollständig aus. Hitlers Vorstellung war, dass einst ganz Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus leben sollte und die Erlasse dieser Diktatur überall lesbar sein müssten. Seitdem wurden auch die Kirchenbucheinträge in lateinischer Schrift abgefasst, außer von einigen „Unverbesserlichen“, über deren Schreibweise man vielleicht stöhnen, deren Ungehorsam man aber würdigen muss.

Angemerkt werden darf in diesem Zusammenhang noch, dass die Redaktion des „Hummelgauer Heimatboten“ bereits vor vielen Jahren das komplette Geseeser Büchlein eingelesen und auf den Innenseiten ihrer Hefte in Antiquaschrift abgedruckt hat. Die Blätter konnten seinerzeit herausgenommen und zu einem eigenen Büchlein gebunden werden. Auch ich bin für diese nützliche Vorarbeit dankbar.

Behutsam angepasst habe ich die Rechtschreibung, die sich damals bei manchen alten deutschen Worten (Thal, That usw.), aber auch bei Worten aus dem Französischen noch im Fluss befand. Bei den Ortsnamen habe ich die damals wohl üblichen Bezeichnungen in der Regel beibehalten.

Personennamen, die bei HÜBSCH meist gesperrt geschrieben werden, sind in dieser Fassung in Kapitälchen gesetzt. Jahreszahlen sind bei Hübsch fett geschrieben; dies habe ich aber nur dann übernommen, wenn sie besonders hervorgehoben werden sollen. Umgekehrt habe ich solche Hervorhebungen von Begriffen oder Aussagen auch dann durchgeführt, wenn es mir vom Sinn her geboten schien.

Abkürzungen oder Zahlen bis Zehn sind jetzt meist ausgeschrieben. Wo es mir notwendig schien, wurden heute ungebräuchliche Ausdrücke in erklärenden Verweisen erläutert.

Bei den Anmerkungen habe ich den Bestand erheblich erweitert. Hübschs Anmerkungen, auf die er in seiner Erstausgabe mit einem Sternchen verweist, tragen nun fortlaufende Ziffern ohne weitere Beifügungen. Dort, wo ich selbst Erläuterungen vornehme, erscheinen die Ziffern mit einem beigefügten „(jt)“.

Auch habe ich zur besseren Lesbarkeit zusätzliche Überschriften und Zwischenabsätze eingefügt. Diese bedeuten gewissermaßen den größten Eingriff am Text, ermöglichen aber andererseits die Erstellung eines aussagekräftigen Inhaltsverzeichnisses und damit eine bessere Orientierung in diesem gehaltvollen Werk.

Im Ganzen mag deutlich werden, dass ich mich bemühe, der Person des Autors und seinem Werk mit dem größten Respekt zu begegnen. In diesem Zusammenhang danke ich auch dem Vorsitzenden des Diakonievereins „Martinsberg Naila“, Herrn KARL BAYER, für die in GESEES noch unbekannten Lithographien mit dem Bild von Pfr. HÜBSCH und seinem Nailaer Projekt, die hier erstmals gezeigt werden können. Für die Mitarbeit bei der Korrekturlesung danke ich Herrn RÜDIGER BAURIEDEL. Für die Unterstützung bei dieser Neuausgabe verdient Herr Bürgermeister HARALD FEULNER großen Dank.

Jürgen Joachim Taegert

Kirchenpingarten, im März 2020

Vorrede

Jedem vernünftigen Menschen drängt sich von selbst die Frage auf, wie sein Wohnort entstanden und durch welche Veränderungen und Schicksale derselbe zu seiner gegenwärtigen Gestalt und Beschaffenheit gekommen sei. Aus diesem Grunde fand die Geschichte größerer Städte fast überall ihre fleißigen Bearbeiter und eifrigen Leser, nur das platte Land blieb als zu unbedeutend mehr oder weniger im Dunkel der Vergessenheit liegen. Selten nur ist der Landmann so glücklich, über sein Dorf eine gründliche Geschichtskenntnis zu erlangen; meistens muss er sich mit ungewissen Sagen begnügen.

Auch über die Geschichte von GESEES war bisher nirgends eine genauere Auskunft oder zusammenhängende Nachricht zu finden, obgleich es durch seine Lage wie durch seine Bewohner vor anderen Dörfern der Umgebung sich auszeichnet und schon längst die Aufmerksamkeit eines würdigeren Geschichtsforschers verdient hätte.

Der Bauer bedarf ja auch, und zwar aus mehr als einem Grunde, einer umfassenderen Belehrung über den Ursprung und die Schicksale seines Dorfes und dessen Bewohner. Denn sie liefert ihm eine würdige Unterhaltung in müßigen Stunden des Sommers und in den langen Abenden des Winters und vermag gewiss die Lücke auszufüllen, die durch den zunehmenden Verfall des Aberglaubens immer fühlbarer hervortritt. Viel lieber noch als den faden Märchen von Gespenster- und Teufelserscheinungen, Hexen und Hexen-bannern, Schatzgräbern u. dergl. wird sich die verständige Jugend beiderlei Geschlechts den ernsten Gesprächen zuwenden, welche der Männerkreis beim Lesen der vaterländischen Geschichte über die merkwürdigsten Begebenheiten anstellt. Oder sollte unsere Jugend keinen Sinn für das Vaterland und sein Wohl und Wehe haben, während SCHILLER in seinem Tell die Schweizerin GERTRUD, des edlen Ibergs Tochter, also redend einführt:

… Wir Schwestern saßen,

die Wolle spinnend, in den langen Nächten,

wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter

versammelten, die Pergamente lasen

der alten Kaiser, und des Landes Wohl

bedachten im vernünftigen Gespräch.

Aufmerkend hört’ ich da manch kluges Wort,

was der Verständ’ge denkt, der Gute wünscht,

und still im Herzen hab’ ich mir’s bewahrt.