Wachs auf dem Mist, den andere machen! - Rolf  Friedrich Schuett - E-Book

Wachs auf dem Mist, den andere machen! E-Book

Rolf Friedrich Schuett

0,0

Beschreibung

"Gut beschreibt man nur, was man nicht selbst erlebt hat." (Rémy de Gourmont) "Ein Haufen aufs Geratewohl hingeschütteter Dinge ist die schönste Weltordnung." (Heraklit, um 500 v. Chr.) "Der Witz ist das Prinzip und Organ der Universalphilosophie." (Friedrich Schlegel) "Alles Schreiben ist aphoristisch." (Jacques Derrida) "Der Philosoph vergesse nie, dass er eine Kunst treibt und keine Wissenschaft." (Arthur Schopenhauer) I N H A L T Verschüttete Philosophiegeschichte - Dritte Welt der Glasperlenspielregeln Melanges und Wackersteinchen der Weisen Sekundärliteratur zum Aphorismus "Leichte Sprache" Zwischen Beckett und Léautaud? Jugend- und Alterslektüren Was in den Betttrieb hineingesteckt wird, muss sich amor-teasieren Kein Gedanke ist der Vater unglücklicher Wunschlosigkeit Mach dir einen Begriff von allem und kein Bild! Aphorismen zur Hoch- und Vorschulweisheit Kurt erzählt : Steht zu eurem (W)Ort! Kurzgeschichte des kurzen Worts Von Arkadien zum Bücherparadies

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 104

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Verschüttete Philosophiegeschichte

Dritte Welt der Glasperlenspielregeln

Melanges und Wackersteinchen der Weisen

Sekundärliteratur zum Aphorismus

„Leichte Sprache“

Zwischen Beckett und Léautaud?

Jugend- und Alterslektüren

Was in den Betttrieb hineingesteckt wird, muss sich amor’teasieren

Kein Gedanke ist der Vater unglücklicher Wunschlosigkeit

Mach dir einen Begriff von allem und kein Bild

Aphorismen zur Hoch- und Vorschulweisheit

Kurt erzählt : Steht zu eurem (W)Ort!

Kurzgeschichte des kurzen Worts

Von Arkadien zum Bücherparadies

Für Elke

Verschüttete PhilosophiegeschichteDritte Welt der Glasperlenspielregeln

Wissenschaft

Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin,

dem andern

Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt.

(Friedrich Schiller)

Viele Jahrhunderte lang seit ihren Anfängen verherrlichte die Philosophie das „beschauliche Leben“ des einsamen Theoretikers in seiner gelehrten Muße. Die Neuzeit räumte auch damit auf und zeichnete seither das „aktive Leben“ des produktiv Handelnden und werktätig Arbeitenden aus, besonders seit der Reformation. Der Theoretiker wird nur noch anerkannt und finanziert als „Grundlagenforscher“, der für technisch-industrielle Nutzanwendungen die (natur)wissenschaftlichen Voraussetzungen schafft, die sich möglichst rasch und gut zu amortisieren haben. Es wird Zeit, dass Philosophie sich erinnert an ihre unzeitgemäß theoretische Tradition, die heute verpönte reine Wissenschaft um ihrer selbst willen, als unrentabel persönlichen Selbstzweck.

Logischer Platonismus erschaute ewige Ideen und erfasste durch Begriffe das reine Wesen der Dinge jenseits ihrer nur kontingent vergänglichen Existenz. „Ideen“ waren für Platon geometrische Idealkörper.

"Kinder aufziehen ist eine unsichere Sache; geht es gut, dann hat man davon ein Leben voll Kampf und Sorge gehabt; geht es schlecht, ist der Kummer bitterer als jeder andere." (Demokritos von Abdera : Fragment 275)

"Mir scheint es nicht gut, Kinder zu bekommen. Denn ich sehe darin viel schwere Gefahren und viel Kummer, dagegen nur selten Gewinn, und auch dieser ist nur klein und unbedeutend." (Demokritos : Fragment 276)

Theologie und Theoria : Aristoteles verteidigte die dianoetischen gegen sozialpraktische Tugenden und sah primär im Philosophieren den bíos theoretikós. "Sind sie mit diesen (lebensnotwendigen) Dingen zur Genüge versehen, so braucht der Gerechte immer noch Menschen, an denen und mit denen er gerecht handeln kann, und so auch der Besonnene und der Tapfere und alle übrigen − der Weise dagegen kann sich der geistigen Schau hingeben, auch wenn er ganz für sich ist, und, je weiser er ist, desto eindringlicher. Vielleicht gelingt es noch besser, wenn er Freunde hat, aber gleichwohl wäre er der Unabhängigste. Ferner gilt, daß diese Tätigkeit des Geistes die einzige ist, die um ihrer selbst willen geliebt wird, denn außer dem Vollzug der geistigen Schau erwartet man von ihr nichts weiter, während wir vom praktischen Wirken mehr oder weniger großen Gewinn noch neben dem bloßen Handeln haben."

"Wenn nun (a) unter den hochwertigen Tätigkeiten das Handeln im öffentlichen Leben und im Krieg durch Glanz und Größe zwar hervorragt, aber der Muße entbehrt, nach einem (außerhalb liegenden) Ziel strebt, und nicht an sich wählenswert ist, und wenn (b) andererseits gilt, daß das Tätigsein des Geistes, als ein Akt des Schauens, durch seine ernste Würde sich auszeichnet, nach keinem außerhalb gelegenen Ziele strebt, ferner vollendete Lust − die ihrerseits wieder die Tätigkeit intensiviert − wesensmäßig in sich schließt; und wenn (c) das Selbstgenügsame, das Ruhevolle und, innerhalb der menschlichen Grenzen, das Unermüdbare und alles, was sonst noch dem Menschen auf der Höhe seines Glücks zugeschrieben wird, an diesem Tätigsein in Erscheinung tritt, so folgt, daß dieses Tätigsein das vollendete Menschenglück darstellt, falls es ein Vollmaß des Lebens andauert ... "

"Ist also, mit dem Menschen verglichen, der Geist etwas Göttliches, so ist auch ein Leben im Geistigen, verglichen mit dem menschlichen Leben, etwas Göttliches."

"Für das Zustandekommen der sittlichen Tat sind viele (äußere) Gegebenheiten nötig und, je bedeutender und edler sie ist, desto mehr. Für das Leben des Geistes dagegen ist nichts von alledem vonnöten, jedenfalls nicht für die reine Tätigkeit, ja, man möchte sagen, dieses Äußere ist sogar ein Hindernis − jedenfalls für die reine Schau." "Wenn man aber von einem lebenden Wesen das Handeln und mehr noch das Hervorbringen wegnimmt, was bleibt dann anderes übrig als die reine Schau? So muß denn das Wirken der Gottheit, ausgezeichnet durch höchste Seligkeit, das reine Schauen sein. Und folglich hat jenes menschliche Tun, das dem Wirken der Gottheit am nächsten kommt, am meisten vom Wesen des Glücks an sich." "Wer aber ein aktives Leben des Geistes führt und den Geist pflegt, von dem darf man sagen, sein Leben sei aufs beste geordnet und er werde von den Göttern am meisten geliebt ... Daß dies aber im höchsten Grade bei dem Philosophen zu finden ist, darüber besteht kein Zweifel ... Als Liebling der Götter aber genießt er auch das höchste Glück.“ „Videtur beatitudo in otio esse sita.“

(„Nikomachische Ethik“, Buch X, 7, 8, 9)

Epikur nahm auch Sklaven und Frauen auf in seinen Garten und blühte im Verborgenen : Lathé biósas! "Wenn auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grade eintritt durch eine bestimmte Macht, Störungen zu beseitigen, und durch Reichtum, so entspringt doch die reinste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor der Masse." (Epikur, Lehrsatz XIV)

Der gebildete Natur-Kyniker Diogenes kultivierte bedürfnislos seinen skeptischen Witz gegenüber dem Staat und der gesellschaftlichen Zivilisation.

Stoiker Seneca verteidigte aphoristisch pointiert die Autarkeia, Apathia und Ataraxia gelehrter Muße. "Muße ohne Wissenschaften ist der Tod und das Grab des lebenden Menschen." (Seneca : epistola ad Lucilium 82)

„Die Welt ist eine Komödie für Denkende und eine Tragödie für alle, die fühlen.“ (Sophist Hippokrates)

Thomas von Aquin sah die vita contemplativa mit Aristoteles aller vita activa überlegen. Er verteidigte gelehrte Bettelmönche gegen die reiche MA-Kirche.

Pascal, Miterfinder der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Rechenmaschine, sah den Menschen als „denkendes Schilfrohr“, das ohne „divertissements“ leider nicht ruhig in seinem Zimmer sitzen könne. Sein esprit de géometrie war ein esprit de finesse.

Neuzeitlicher bios theoretikós wurde rationalistisch und verschrieb sich der mathematischen Logik.

Je pense, je suis: Descartes algebraisierte die Geometrie und distanzierte die Natur formal-analytisch.

Spinoza sah „Deus sive natura“ more geometrico.

Leibniz entwarf mit der formalen Logik die infinitesimale Ars Magna einer characteristica universalis.

Lichtenberg : „Ich glaube, dass es im strengsten Verstand für den Menschen nur eine einzige Wissenschaft gibt, und dieses ist reine Mathematik“ − also formale Logik.

Kants Wissenschaftsideal war die Physik Newtons, in der nicht mehr Wissenschaft sei als Mathematik und Logik. (Allerdings beschränkte er das Wissen dann nur, um dem Handeln Platz zu machen.)

„Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.“

„Was würde ein Newton, ein Leibniz dazu sagen, wenn sie hören sollten, dass man ihre herrliche Erfindung (Differentialrechnung) nicht als einen Funken der Gottheit, als einen Adelsbrief, wodurch die hohe Abstammung des menschlichen Geistes von den reinen Intelligenzen bewiesen wird, sondern bloß des Nutzens wegen schätzen will, dass man dadurch (in der Artillerie) berechnen kann, wie man die größte mögliche Anzahl von Menschen in der kürzesten Zeit tödten kann?“ (S. Maimon, 1794)

M. sah Mathematik als die göttlichste Wissenschaft und sprach von Kants Ding-an-sich als „Differential des Bewusstseins“ noch vor Hermann Cohen.

Fichte entdeckte die allen Objekten (und Affekten) „entfremdete Subjektivität“ der produktiven Einbildungskraft, die sich beliebig in Objekte investieren und daraus wieder in sich zurückziehen könne.

Schelling sah „Kunst als Organon der Philosophie“, das Faktum der Vernunft als unvordenkliches Seyn.

Hegels Panlogismus war nicht mehr mathematisch, sondern christlich. Vernunft sei logischer Schluss und Absolutes nur in realisierten Ideen zu fassen. Philosophie sei ihre Zeit in Gedanken erfasst, nicht in Gefühlen oder Geschäft(igkeit)en. Über idealer Essenz und zufälliger Existenz liege die realisierte Idee. Mathematik sei tot, formale Logik aber ideale Metaphysik, die nur als Physik real wird : Selbstentwicklung des Begriffs zu Schlüssen, die sich zur Natur entschließen. Das allgemein(gültig)e Ideal sei seine eigene besondere Realisierung, also Übergang in sein Gegenteil, oder ein Drittes über zwei Subjekten, die einander widersprechen und anerkennen. Konkrete Liebe sei das natürliche Abbild abstrakter Erkenntnis, Gattungsbegriffe seien eher Urbilder als Ebenbilder von Begattungen.

„Die Herrschaft der Freiheit kann nicht beginnen, solange die Arbeit nicht beendet ist, welche uns Notwendigkeit und äußerliche Endgültigkeit auferlegen.“ (Marx : „Das Kapital“, III) „Es gibt keine größere Eselei für Leute von allgemeinen Bestrebungen, als überhaupt zu heiraten und sich so zu verraten an die petites misères de la vie domestique et privée ... Beatus ille, der keine Familie hat."

Marx suchte eine „Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“, nicht etwa umgekehrt.

„Der Schriftsteller betrachtet keineswegs seine Arbeiten als Mittel. Sie sind Selbstzwecke, sie sind so wenig Mittel für ihn selbst und für andere, daß er ihrer Existenz seine Existenz opfert, wenn´s not tut…Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. Dem Schriftsteller, der sie zum materiellen Mittel herabsetzt, gebührt als Strafe dieser inneren Unfreiheit die äußere, die Zensur ... " (MEW 1, S. 71).

Für Schopenhauer war die Kunst nur unbegrifflich kontemplative Schau platonischer Ideen und Moral ein Mitleid der Wissenden mit den nur Wollenden. Künste und Wissenschaften standen ihm über allen Machenschaften, Leidenschaften und Seilschaften. Die Welt sei schön zu sehen und schlimm zu sein. „Dieses intellektuelle Leben schwebt, wie eine ätherische Zugabe, ein sich aus der Gärung entwickelnder wohlriechender Duft, über dem weltlichen Treiben, dem eigentlich realen, vom Willen geführten Leben der Völker, und neben der Weltgeschichte geht schuldlos und nicht blutbefleckt die Geschichte der Philosophie, der Wissenschaften und der Künste.“ („Parerga und Paralipomena“ II, 1. Teilband, Kapitel 3, § 52) Das reine „Weltauge“ stehe überm Welttreiben der Triebe und Betriebsamkeit. Zitate aus den „Aphorismen zur Lebensweisheit“ (1852): "Ein geistreicher Mensch hat, in gänzlicher Einsamkeit, an seinen eigenen Gedanken und Phantasien vortreffliche Unterhaltung, während von einem Stumpfen die fortwährende Abwechselung von Gesellschaften, Schauspielen, Ausfahrten und Lustbarkeiten, die marternde Langeweile nicht abzuwehren vermag." (Reclam, Stuttgart, S. 21 f.)

"Die Leere ihres Innern, das Fade ihres Bewußtseyns, die Armut ihres Geistes treibt sie zur Gesellschaft, die nun aber aus eben Solchen besteht; similis simili gaudet." (25)

"Sokrates sagte, beim Anblick zum Verkauf ausgelegter Luxusartikel: "wie Vieles gibt es doch, was ich nicht brauche." " (22)

"Der geistreiche Mensch wird vor Allem nach Schmerzlosigkeit, Ungehudeltseyn, Ruhe und Muße streben, folglich ein stilles, bescheidenes, aber möglichst unangefochtenes Leben suchen und demgemäß, nach einiger Bekanntschaft mit den sogenannten Menschen, die Zurückgezogenheit und, bei großem Geist, sogar die Einsamkeit wählen. Denn je mehr Einer an sich selbst hat, desto weniger bedarf er von außen und desto weniger auch können die Übrigen ihm seyn. Darum führt die Eminenz des Geistes zur Ungeselligkeit.“ (35 f.)

"Anregung geben ihm die Werke der Natur und der Anblick des menschlichen Treibens, sodann die so verschiedenartigen Leistungen der Hochbegabten aller Zeiten und Länder, als welche eigentlich nur ihm genießbar, weil nur ihm ganz verständlich und fühlbar sind. Für ihn demnach haben Jene wirklich gelebt, an ihn haben sie sich eigentlich gewendet ..." (45 f.)

"Denn die freie Muße eines Jeden ist soviel wert, wie er selbst wert ist." (50)

"Ball, Theater, Gesellschaft, Kartenspiel, Hasardspiel, Pferde, Weiber, Trinken, Reisen usw. Und doch reicht dies Alles gegen die Langeweile nicht aus, wo Mangel an geistigen Bedürfnissen die geistigen Genüsse unmöglich macht." (53) "Als die oberste Regel aller Lebensweisheit sehe ich einen Satz an, den Aristoteles beiläufig ausgesprochen hat, in der Nikomachäischen Ethik (VII, 12) :

"Der Vernünftige geht auf Schmerzlosigkeit, nicht auf Genuß aus."." (131)

"Demgemäß wird die möglichste Einfachheit unserer Verhältnisse und sogar Einförmigkeit der Lebensweise, so lange sie nicht Langeweile erzeugt, beglücken; weil sie das Leben selbst, folglich auch die ihm wesentliche Last, am wenigsten spüren läßt : es fließt dahin, wie ein Bach, ohne Wellen und Strudel." (147)

"Ganz er selbst seyn darf Jeder nur, so lange er allein ist: wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit : denn nur wenn man allein ist, ist man frei. Zwang ist der unzertrennliche Gefährte jeder Gesellschaft, und jede fordert Opfer, die umso schwerer fallen, je bedeutender die eigene Individualität. Demgemäß wird Jeder in genauer Proportion zum Werte seines eigenen Selbst die Einsamkeit fliehen, ertragen, oder lieben. Denn in ihr fühlt der Jämmerliche seine ganze Jämmerlichkeit, der große Geist seine ganze Größe, kurz, Jeder sich als was er ist." (150 f.)

"In diesem Sinne kann man auch die Gesellschaft einem Feuer vergleichen, an welchem der Kluge sich in gehöriger Entfernung wärmt, nicht aber hineingreift, wie der Tor, der dann, nachdem er sich verbrannt hat, in die Kälte der Einsamkeit flieht und jammert, daß das Feuer brennt." (164) "Es gibt drei Aristokratien: 1) die der Geburt und des Ranges, 2) die Geldaristokratie, 3) die geistige Aristokratie. Letztere ist eigentlich die vornehmste.“ (165)