7,99 €
Macho werden ist nicht schwer, Macho sein dagegen sehr
Weichei! – Das ist das Letzte, was Robert Süßemilch von seiner Freundin zu hören bekommt. Damit hat er alles, was ein erfolgreicher Mittdreißiger nicht braucht: eine gescheiterte Beziehung und einen schlecht bezahlten Job. Er beschließt, seiner Exfreundin zu beweisen, dass aus dem vermeintlichen Weichei ein harter Kerl geworden ist. Nach gescheiterten Selbstversuchen auf grotesken Partys, im Rotlichtmilieu und beim Speeddating scheint sein Vorhaben zu scheitern – bis ihm das Schicksal die Tür zur Verwirklichung seines Traums öffnet. Allerdings nur so weit, dass eine einzige Lüge hindurchpasst. Eine Lüge, deren Folgen er nicht absehen kann …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 281
Das hatte sich Robert Süßemilch so schön ausgedacht: Nach neun gemeinsamen Jahren mit seiner Freundin Steffi möchte er ihr endlich einen Heiratsantrag machen. Mit frischen, dampfenden Brötchen und einem Verlobungsring im Gepäck will er sie zum Frühstück überraschen, und dann das: Steffi liegt mit einem ihrer Kollegen in den Federn, und das lässt nur einen Schluss zu …
Weichei! Das ist das Letzte, was Robert von seiner Freundin zu hören bekommt. Und damit hat er alles, was ein Mittdreißiger so gar nicht braucht: eine gescheiterte Beziehung, ein seit Jahren ruhendes Studium, einen schlecht bezahlten Job und einen gähnenden Abgrund einsamer Abende vor sich. Doch unterstützt von seinem Macho-Kollegen Emile beschließt Robert, seiner Exfreundin und sich selbst zu beweisen, dass aus dem vermeintlichen Weichei ein harter Kerl und Womanizer geworden ist. Voller Elan stürzt er sich ins wilde, pralle Leben, besucht groteske Sexpartys, unternimmt Viagra-Selbstversuche im Rotlichtmilieu und nimmt an bizarren Speed-Dating-Veranstaltungen teil.
Bei der Hochzeit eines alten Schulfreunds begegnet Robert schließlich der attraktiven Jana, mit der er chaotisch-schöne Stunden und Tage verbringt – allerdings baut diese Liaison auf einer grandiosen Lüge auf, die ihm ein ums andere Mal beinahe zum Verhängnis wird. Da meldet sich seine Exfreundin Steffi wieder bei ihm und bittet um Versöhnung. Sieg, denkt Robert, Sieg! Doch ein Abendessen mit Jana und Hirsebratlingen geht ihm nicht mehr aus dem Kopf …
Tim Boltz, Jahrgang 1974, arbeitete zunächst als Redakteur. Und nein, »Weichei« ist nicht seine Biografie. Der Autor lebt zwar in Frankfurt am Main, arbeitet allerdings nicht an einer Tankstelle mit einem Kollegen namens Emile. Stattdessen hat er unter dem Namen Zeno Diegelmann diverse Kriminalromane und Thriller sowie ein Musical verfasst. »Weichei« ist sein erster Comedyroman.
Eine Fortsetzung ist bei Goldmann bereits in Planung.
Lass sie zische, kommt ’ne Frische.«
So hallt mir die pädagogisch zwar fragwürdige, aber doch wertvolle Aussage meines Vaters in den Ohren. Ich erinnere mich noch genau. Ich war zwölf Jahre alt und kam heulend mit meinem Turnbeutel von der Schule nach Hause gerannt. Meine feste Freundin Wiebke, aus der 4 b, hatte mitten auf dem Schulhof ihre »Capri-Sonne Kirsch« mit dem Klassenclown geteilt. Ein unumstößliches Indiz für das Ende unserer dreitägigen Beziehung. Zwanzig Jahre später fühle ich mich genauso beschissen. Nur ohne Turnbeutel und ohne Capri-Sonne.
Es ist rot. Ich sitze im Auto an der Kreuzung Miquellallee zur Eckenheimer Landstraße, und die Ampel leuchtet in ihrem sattesten Rot, das sie zu dieser frühen Stunde auf die geriffelte Plexiglasscheibe der Lichtsignalanlage zaubern kann. Es ist so rot, dass es unweigerlich in den Augen brennt, wenn man länger hineinschaut. Ich spüre jedoch von dem Brennen rein gar nichts, da bereits etwas anderes das komplette Schmerzsensorium meines Körpers für sich in Anspruch nimmt.
Neben mir liegt eine Tüte mit fünf Brötchen auf dem Beifahrersitz, der, wie mir gerade auffällt, immer noch genau so eingestellt ist, dass Stefanies hundertdreiundsechzig Zentimeter großer Körper darin am bequemsten Platz finden kann. Der Sitz ist durch all die Jahre mit ihr als Beifahrerin perfekt geformt worden und hat sich mit ihrer Anatomie nahezu synchronisiert. Wie ein geheimer Trampelpfad zwischen der grünen Grenze Ungarns und der ehemaligen DDR haben sich die Gebrauchsspuren mit der Zeit ausgetreten und eine Selbstverständlichkeit ins Sitzleder gebeult, die keiner Worte bedurften.
Doch nun ist nichts mehr so, wie es noch vor wenigen Minuten war. Auch nicht der Beifahrersitz.
Sofort verstelle ich die Lehne um zwei Positionen nach hinten. Das sollte fürs Erste genügen. Ich mache die grüne Grenze sozusagen wieder dicht und höre dabei die Stimme Hans Dietrich Genschers aus der Kopfstütze zu mir sprechen: Ich bin heute hierhergekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise … nicht genehmigt wurde.
Gelb. – Das kurze Lichtsignal scheint heute irgendwie schleppender als sonst zu reagieren. Ich kann die Ampel nur allzu gut verstehen und gaffe weiter der Welt entrückt in das grelle Rundlicht. Hm, irgendwie erinnert es mich an die aufgeschnittene Orange auf einer Packung Capri-Sonne …
Dann wandert mein Blick zurück zum Beifahrersitz.
Durch das kleine Sichtfenster der Papiertüte lachen mich noch immer die Brötchen unseres Lieblingsbäckers an. Zwei normale Brötchen, die ich bevorzuge, ein Sonnenblumenkörnerbrötchen und zwei Kürbiskernbrötchen, die Stefanie so gerne mag.
Meine normalen Brötchen verhalten sich mir gegenüber neutral, doch ihre, die Sonnenblumen- und Kürbiskernfraktion, hat sich mit der Herrin der Finsternis scheinbar solidarisiert. Sie lachen mich mit ihrem teigigen Gesicht aus. Voller Verachtung. Das dickere Kürbiskernbrötchen lacht dabei besonders fies, weiß es doch, dass es heute nicht nur Teig und diese blöden Kerne, sondern noch einen besonders gehaltvollen Anteil in Form eines Verlobungsrings in sich trägt. So als wollte es sagen: Robert Süßemilch, was bist du nur für ein Idiot! – Was für ein grandioser Fehlschlag.
Ich hatte den Ring noch schnell vor der Haustür in die Mitte des Brötchenbauchs gedrückt, weil ich die Idee extrem witzig fand, Steffi auf diese Art zu fragen, ob sie mich nicht heiraten wolle.
Heute beim überraschenden Frühstück.
Ich dachte, es sei jetzt einfach an der Zeit. Der logische nächste Schritt. Sie hatte wahrscheinlich schon lange darauf gewartet, aber ich traute mich nicht so recht. Eine Charaktereigenschaft, die mich mein ganzes Leben schon verfolgt. Doch heute wollte ich über meinen Schatten springen und ihr zeigen, welch verantwortungsvoller Kerl in mir steckt. So weit die nackte Kalkulation.
Grün. – Dass Steffi mir so etwas antun könnte, hätte ich nicht für möglich gehalten. Doch bereits, als ich den Schlüssel in das Schloss steckte, hatte ich so ein komisches Gefühl, obwohl ich zuvor schon Hunderte Male in ihre Wohnung gegangen war. Ich glaubte, ein Huschen wahrzunehmen. Gerade so wie in einem billigen New Yorker Motel, in dem die Kakerlaken flüchten, sobald man das Licht im Zimmer einschaltet. Wie sehr ich mit diesem Vergleich recht behalten sollte, ahnte ich da noch nicht.
Die Brötchen fest in der Hand steuerte ich auf die Schlafzimmertür zu. Ich kenne Steffis Gesicht in allen Facetten, die das Leben so mit sich bringt: erfreut, ängstlich, verstört, traurig, und ohne mich besonders beweihräuchern zu wollen, durchaus auch ekstatisch erregt. Aber das maskenhafte Lächeln, das sich mir in diesem Moment bot, wird mir wohl ewig in Erinnerung bleiben. Eine Mischung aus spastischer Verkrampfung und peinlicher Berührtheit. Einen ähnlichen Ausdruck hat meine Wangenmuskulatur nur einmal im Alter von sechzehn Jahren auf mein Gesicht kontrahieren können, als mein Vater mich mit einer korsischen Austauschschülerin unserer Schule im Tischtenniskeller erwischte und ich die Hose in Höhe der Kniekehle geparkt hatte.
Doch das war in der Pubertät, und wir standen nicht im Tischtenniskeller meines Vaters, sondern in dem Schlafzimmer, in dem wir seit sieben Jahren miteinander schliefen. Steffi lag im Bett, die Decke bis zu ihrem Kinn heraufgezogen. Neben dem Bett die gut ein Meter große Kuschelvariante einer grünen Shrekfigur, die ich ihr vor einem Jahr im Schweiße meines Angesichts auf dem Schützenfest erkämpft hatte und die nun ebenso paralysiert wie ich auf das IKEA-Rattanbett starrte. Denn falls Steffi in den letzten achtundvierzig Stunden, in denen ich sie nicht gesehen hatte, keine Blitzschwangerschaft durchlebt hatte, war die große Rundung unter der Federdecke kein Bauch, sondern eine weitere Person, die sich dort vergeblich zu verstecken versuchte. Die groteske Situation spitzte sich sogar noch zu, als der Mann unter der Decke hervorkroch, mir zunickte und einen Guten Morgen wünschte. Dabei lachte er verschämt und legte seine monströse Zahnsammlung frei, die so perfekt weiß und exakt angeordnet war, dass man spontan Lust bekommen konnte, Klavier spielen zu wollen.
Das Klaviergesicht passte erstaunlich gut zu einem von Steffis Lufthansakollegen, den sie mir mal auf einer Feier vorgestellt hatte und der, glaube ich, Claus hieß, Claus mit C.
Ein Pilot.
Steffi schwärmte schon damals, dass er ein ganz netter Kerl mit tollem Charakter und inneren Werten sei. Dann stand Claus mit C aus dem Bett auf, ging splitternackt an mir vorbei ins Bad, und ich musste erkennen, dass seine inneren Werte geradezu verschwindend gering gegenüber seinen äußeren Werten wirkten. So beeindruckt und desillusioniert zugleich, richteten Shrek und ich beschämt den Blick zu Boden. Steffi hatte mich im Streit oft als zu soft beschimpft, als zu wenig männlich. Dass Männer ab und an auch mal Arschlöcher sein müssen. Aber dass sie sich diesem schleimigen Macho in Uniform vor das Mega-Gemächt wirft, hätte ich nie gedacht.
Obwohl diese Begegnung gerade mal zwanzig Minuten her ist, bin ich noch immer von meiner Selbstbeherrschung begeistert, in der ich nur wortlos den grünen Oger aus dieser Situation rettete und den Schlüssel auf den Tisch legte, um im Anschluss stillschweigend die Wohnung zu verlassen. Im Treppenhaus spielten sich in meinem Kopf noch Szenarien ab, in denen ich Claus in bester Bruce-Willis-Manier vermöbelte und sogar noch ein Yepeahyeah Schweinebacke hinterherrief.
Doch bin ich weder Bruce Willis noch besonders heldenhaft und schon gar kein Schlägertyp.
Ich bin eher ein Oger.
Genau wie Shrek.
Friedliebend.
Mit schlecht sitzenden Klamotten.
Und manchmal zu wohlerzogen oder einfach auch nur zu dämlich, um jemand wohlverdient in den Arsch zu treten.
Im Rückspiegel hat ein verschüchterter Shrek seine Trompetenohren angelegt und schaut mich aus seinen traurigen Knopfaugen an. Was er in den letzten Stunden mit ansehen musste, wird sich unauslöschbar in das Hirn des grünen Wesens eingebrannt haben. Hinter mir hupt es, und als ich gerade mein Auto in Bewegung setzen will, schaltet die Ampel wieder zurück auf die Sonderfarbe »Capri-Sonne Kirschrot«.
Zu spät. Ich muss erneut warten. Genau wie im Leben. Ich war zu spät, um ihr die Frage der Fragen zu stellen und zu früh für das gemeinsame Frühstück. Ich war zu weich und sein Penis zu hart, um sie für ein Leben mit mir zu gewinnen. Das war es dann mit dem Frühstück, Stefanie und der Verlobung. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben … Oder ein Mann mit mächtigem Glied und einem Gebiss wie ein frisch gestrichener Gartenzaun.
Ich fühle mich wie ein Schoko-Adventskalender am 25. Dezember. Leer und überflüssig. Daher verbringe ich die nächsten Tage damit, wie ein Linienbus zwischen meiner und Steffis Wohnung zu pendeln. Nicht etwa, um noch Sachen abzuholen oder mit ihr zu sprechen. Nein, dafür fehlt mir schlicht und einfach der Mut. Ich fahre ganz einfach aus reiner Gewohnheit dorthin. Meist schaue ich direkt nach meiner Spätschicht an der Tankstelle bei ihr vorbei und parke den Wagen am Straßenrand mit Blick auf ihre Wohnung. Neben mir sitzt Shrek immer angeschnallt auf dem Beifahrersitz. Wir versuchen, uns in dieser schweren Zeit einfach gegenseitig ein wenig Halt zu geben. Doch noch scheint er unter einem posttraumatischen Schock zu stehen. Kein Wort kommt ihm seither über die Lippen, und seine leeren Blicke wandern ins Nichts. Ich hatte ihn Steffi auf dem Schützenfest am Losstand erkämpft. Es war nach einem Streit, und ich wollte sie wieder gnädig stimmen. Sie fand ihn so süß, da er sie an mich erinnerte. Der Oger und ich wären beide so lieb und hätten den gleichen Gesichtsausdruck, wenn wir sauer wären.
Na super!
Wer will schon wie eine fette Comicfigur aus dem Wald aussehen? Und wer will schon mit jemandem verglichen werden, der Trompeten statt Ohren hat?
Außerdem ist lieb auch kein Attribut, mit dem man in der Frauenwelt Bonusmeilen sammelt. Nein, man muss ein Arschloch sein. Oder wenigstens so ein Pseudomacho wie ihr TV-Liebling Til Schweiger. Er war der Auslöser des damaligen Streits. Wenn ich den Namen nur höre, wird mir schon schlecht. Ständig diese Schwärmerei. Til hier, Til da, der Til ist ja sooo süß …
Ich erinnere mich noch genau. Wir hatten zwei seiner Filme auf DVD geschaut. Keinohrhase und Zweiohrkücken. Was sind das denn bitte schön für Titel? Hört sich an wie das Gestammel bei einem Deutschtest auf dem Einbürgerungsamt.
Jedenfalls haben wir uns so gezofft, weil er in einer Szene so süß besoffen in Frauenkleidern rumgefallen ist. Ich nannte ihn eine nuschelnde Machotranse, sie ihn einfach nur mega-sexy. Ich fragte, was denn daran so maskulin sei, und machte den Vorschlag, dass man den Film wegen seiner Unmännlichkeit besser in Keineihase umbenennen sollte. Erst keifte sie zurück, dass ich keine Ahnung von Filmen hätte und selbst ein absolutes Weichei sei. Dann knallte sie die Tür zum Schlafzimmer zu und bestrafte mich mit Rede- und Sexentzug. Somit war ich dann auch ein Schweiger, und zwar ganze vierzehn Tage lang.
Dann kam die Dippemess, das Frankfurter Schützenfest. Und ich? Was habe ich Trottel gemacht? Ich habe damals mein halbes Urlaubsgeld in einen Putzeimer voller Lose investiert, bis ich die scheiß Figurenserie endlich komplett hatte und der schnauzbärtige Typ auf dem Wagen nach einer Stunde seine Glocke läutete und über sein Mikrofon verkündete: »Auf geht’s, dabei sein. Hier lacht das Glück. Gelb, grün, lila, blau, schwarz, weiß und rot. Wer die kompletten sieben Zwerge zusammenhat, gewinnt mit freier Auswahl. DING DING DING DING! Und schon wieder haben wir einen Hauptgewinn.«
Selbst mit meiner Kurzsichtigkeit – 1,9 Dioptrien – hätte ich wahrscheinlich weniger am Schießstand für dieses Stofftier auf den Tisch legen müssen als bei diesem Halsabschneider von Losverkäufer. Jedenfalls vertrugen wir uns wieder, und Shrek saß seit diesem Frühjahrstag auf einem Sonderplatz direkt neben ihrem Bett. Bis zu meinem Gefühls-Pearl-Harbour. Jetzt sitzt Trompetenohr noch stummer als sonst neben mir und schweigt mich an. Steffi hatte recht. Shrek und ich sind uns in der Tat sehr ähnlich. Beides keine Til Schweigers oder Prince Charmings, sondern tatsächlich Weicheier, die von der Gesellschaft in den Wald geschickt wurden, um dort ihr tristes Leben zu fristen. Nur hat man mir nun meine Fiona genommen.
Oben in Steffis Wohnung geht gerade das Licht im Schlafzimmer an und kurz darauf wieder aus. Was will sie nur von diesem Piloten-Til-Schweiger-Ersatz? Denn eins ist doch klar: So leicht gebe ich mich nicht geschlagen. Ich werde ihr schon zeigen, was für ein geiler Typ ich bin. Früher oder später wird sie auf Knien rutschend darum flehen, dass ich wieder zurückkomme. Früher oder später…
Jetzt sitze ich allerdings erst mal mit gebrochenem Herzen in einem Auto am Straßenrand und schaue hinauf zu ihrer Wohnung, in der sie vor exakt dreiundvierzig Minuten und achtunddreißig Sekunden angekommen ist. Gerade überlege ich, ob ich nicht doch einfach klingeln soll, um sie vor weiteren Fehlern zu bewahren, als ein anthrazitfarbener Geländewagen vor der Tür hält und ein bekannter Typ aussteigt: braun gebranntes Gesicht inklusive 1a-Gebiss.
Es ist Claus, Claus mit C.
Mit seinem breiten Elfenbeinlächeln und seiner schmierigen Gelfrisur sieht er so schwul aus, dass es mich nicht wundern würde, wenn er zu Hause weiße Tiger für eine Las-Vegas-Zaubershow züchten würde. Zu seinem Eine-Million-Dollar-Grinsen hat er noch Pizza und eine Flasche Wein mitgebracht. Entweder hat er also neben seinem Pilotenjob noch eine Vierhunderteurostelle als Pizzaservicefahrer angenommen oder er verbringt mit Steffi einen Abend voller Lust und Leidenschaft. Weiß ich doch nur allzu gut, wie sie schon auf wenige Schlucke Alkohol reagiert.
Na klasse.
Ich spüre ein gewisses Gewaltpotenzial in mir aufkommen und würde am liebsten über die Straße rennen, um Claus die Flasche anal entkorken zu lassen.
Ich lasse es und frage mich, ob ich wirklich so ein eierloses Wesen bin. Wütend schlage ich auf das Lenkrad und feuere mich an, jetzt zu klingeln und Claus per Faust-OP die eine oder andere Taste aus der Klaviatur zu extrahieren.
Stattdessen schalte ich das Radio ein, wo gerade ein altes Lied der Ärzte läuft. Wenigstens die verstehen mich. Ich drehe die Lautstärke voll auf und singe unter salzigen Tränen und Oger-Umarmungen laut mit: »He du, bleib stehn, ich weiß, wohin du gehst! Du brauchst nicht so zu tun, als ob du nicht verstehst. Du bist auf dem Weg zu ihr, sie gehörte mal zu mir …«
Durch mein passives Besuchsrecht, das ich mir selbst eingeräumt habe, besteht mein Lebensrhythmus momentan aus Stalken, Trinken und Nichtrasieren. Meine Antriebslosigkeit könnte man nicht mal mit einer Europalette Sanostol auf ein brauchbares Level dopen. Ich sitze zu Hause in meiner Wohnung und perfektioniere mein neues Hobby: das Starren.
Ich starre, wo ich stehe und liege. In der Küche, dem Bad, dem Wohnzimmer. Alles wird stumm von mir angestarrt. Meine Wohnung eignet sich bestens dazu. Sie ist nicht sehr stilvoll eingerichtet, sondern eher zweckmäßig, und bietet somit genug Freiraum zum Starren. Es ist eine klassisch geschnittene Dreizimmerwohnung in Bockenheim. Ursprünglich wohnte ich hier mit zwei Kommilitonen in einer WG zusammen, die aber nach dem erfolgreichen Studienabschluss ausgezogen sind und nun mit ihren Ehefrauen deutlich größere, bessere und vor allen Dingen eigene Wohnungen bezogen haben. Ich blieb zurück und finanziere mir seither das Studium und die Miete mit meinem Job an der Tankstelle. Durch das Stalken und Starren taktet sich dazu meine innere, biologische Uhr neu, und ich schaue zusammen mit Shrek oftmals bis wenigstens vier Uhr morgens fern. Obwohl die Flimmerkiste meist ohne große Beachtung meinerseits nebenbei läuft, beruhigt es mich. Die Stimmen vermitteln mir ein Gefühl von Normalität und Alltag. Gerade so, als sei ich nicht allein in meiner Wohnung. Überhaupt muss ich feststellen, dass mir mein neuer Singlealltag noch etwas gewöhnungsbedürftig erscheint. So muss ich zum Beispiel erkennen, gar keine eigenen Termine zu haben. Bisher war alles fein säuberlich auf Pärchenkompatibilität ausgerichtet.
Montags auf VOX CSI und Boston Legal schauen und im Anschluss soliden Sex mit Steffi haben.
Dienstags mit Steffi zoffen, da sie behauptet, dass die Montage immer gleich verlaufen und wir Sex nach Terminplan haben.
Mittwochs zugeben, dass es tatsächlich so ist, um darauf tollen Versöhnungssex mit ihr zu haben.
Donnerstags ist Steffis Mädelsabend, und ich hole sie gegen Viertel nach zwölf angetrunken aus einer Bar an der Bergerstraße ab.
Freitags ausmachen, dass man doch auch mal wieder zusammen ausgehen könnte, um dann doch wieder auf Pro7 das Eventmovie oder eine Til-Schweiger-DVD zu schauen.
Samstags Fußball schauen in der Marriott-Sportsbar an der Messe, danach Sportschau gucken, um schließlich das Gesehene noch mal abends im Sportstudio zu verfestigen.
Sonntags wahlweise zu meinen oder Steffis Eltern fahren und sich darauf freuen, am nächsten Tag einfach mal zu Hause bleiben zu können, um auf VOX CSI oder Boston Legal zu schauen.
Heute Morgen nach dem Aufstehen gegen vierzehn Uhr war es mir sogar so langweilig, dass ich unbedingt unter Menschen wollte. Einen festen Termin haben. Irgendwas, an dem ich mich orientieren kann. Also habe ich bei meinem Hausarzt angerufen und gefragt, ob denn nicht mal wieder eine Impfung anstünde. Ganz egal was. Grippepandemie, Tetanusimpfung oder sei es auch nur eine handelsübliche Kinderprophylaxe gegen Mumps. Nach Durchsicht der Akten wurde mir aber mitgeteilt, dass ich noch sieben Jahre Schutz gegen alles hätte. Außerdem bekäme man nur einmal im Leben Mumps, und das wäre schon im Alter von neun Jahren bei mir über die Bühne gegangen. Selbst auf Nachfrage, was ich mir sonst noch so spritzen lassen könnte, bekam ich als ernüchternde Antwort, dass ich bestens versorgt sei und mir keine Gedanken machen solle. Alles sei prima.
Leicht gesagt. Ihr habt ja auch keinen Piloten auf eurem Partner landen sehen.
Dank meiner weinerlichen Penetranz wurde mir dann aber doch noch von der Arzthelferin angeboten, zum Blutabnehmen vorbeikommen zu können. Das könne schließlich nie schaden. Dankbar für diese Unterbrechung meines Jammer-Zyklus’ habe ich mir daraufhin am Nachmittag gleich mal zwei Ampullen abnehmen lassen. So entleert und noch auf Jahre präventiv geschützt vor Zecken, Hundebissen und Hepatitis liege ich nun also wieder im Bett, starre vor mich hin und höre diese kleine, fiese Stimme in meinem Kopf, die mich unaufhörlich beschimpft: Idiot, bist selbst dran schuld. Du elendes Weichei. Du kannst es Steffi noch nicht einmal wirklich verdenken. Jahrelang hat sie darauf gewartet, dass du ihr einen Antrag machst.
Stimmt.
Wobei das Ticken ihrer biologischen Uhr in den letzten Monaten eher dem stündlichen Glockenschlag des Big Ben glich. Sie sei nun in dem Alter, in dem sie gerne ein Kind und eine gesicherte Zukunft hätte. Beides Dinge, die ich grundsätzlich nicht ablehne, die sich aber bisher eher im Mittelfeld meiner Prioritätenliste wiederfanden. Aber musste sie zu diesem Zweck gleich den gegelten C-Claus zum Vater ihrer Kinder auserwählen? Und was für Kinder sollen das werden? Sizilianische Mafiosokopien im Miniformat, die im Kindergarten Schutzgeld für Förmchen und Schaufeln am Sandkastenrand erpressen und dabei lächelnd ihre perfekten Milchzähne präsentieren?
Als ich bei diesem Gedanken eine von zahllosen Dosen Bier neben dem Bett abstelle, mache ich im Fernsehen den wahren Anstifter für meine Trennung aus: Johannes B. Kerner.
Gerade wuchtet sich Herr Kerner nach dem morgendlichen Frühstückswursteinkauf beschwingt über den Gartenzaun, um seiner Familie beste Geflügelwurst aufs Brot zu legen. War es vor einigen Tausend Jahren noch ein Mammut, das man erlegte, um die Sippe in der Höhle ernähren zu können, ist es nun fettarme Geflügelmortadella, die die Familie gnädig und glücklich stimmt. Und da ich weder Familie noch einen Gartenzaun besitze, bin ich demzufolge auch kein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft.
Ich zappe weiter.
Fernsehtechnisch gesehen sind Shrek und ich momentan nicht sehr wählerisch, und so konsumieren wir zu jeder Tages- und Nachtzeit schlichtweg alles. Von den Golden Girls über Night Rider mit David Hasselhoff, als der noch nicht besoffen Burger aus der Pappschachtel fraß, hangele ich mich weiter zu Dokumentationen über geheime Raketenprojekte der Nazis am Bodensee bis zu den beliebtesten Bahnstrecken Vorderasiens. Schließlich kann ich nun endlich mal ohne Steffis Gezicke: Ich kann bei dem Licht nicht schlafen, die Glotze stur durchlaufen lassen. Das ist ein Vorteil. Muss ich mir merken. Ist also nicht alles schlecht am Singleleben. Vielleicht sollte ich eine Pro- und Contra-Liste anfertigen. Das wird mich beruhigen. Was mich hingegen wirklich nervt, sind diese unglaublich dämlichen Quizshows, bei denen man einen cholerischen Moderator anrufen muss, der wie von Sinnen in die Röhre schreit, dass gleich der Hotbutton zuschlagen werde und es sich nur noch um Sekunden handeln könne. Nach geschlagenen zwanzig Minuten schickt sich der erste durchgestellte Anrufer an, das knallharte Rätsel zu lösen. Das diffizile Fragenkonstrukt besteht aus der Aufgabe, einen weiblichen Vornamen mit vier Buchstaben zu finden, bei dem am Anfang und am Ende ein A stehen muss. Dieser erste, leicht alkoholisiert wirkende Anrufer fragt erst mal, ob er denn nun durchgekommen sei, um dann als Lösungsvorschlag AUDI über den Äther zu lallen. Entweder der Typ hängt noch vom Vorgängerspiel über Automarken in der Leitung oder seine zukünftige Tochter kann sich über viele fragende Augen im Kindergarten freuen.
Wenn solch dämliche Fragen von Sendern mit einer Zuschauerzielgruppe angeboten werden, die einen IQ unter dem eines gerösteten Knäckebrots hat, verstehe ich das ja noch, aber mittlerweile haben selbst die Gewinnspiele in Werbepausen von Länderspielen im Ersten und Zweiten dieses Niveau. Und wer präsentiert dann das Ganze? Richtig!
Johannes B. Kerner. Der Mann, der Gartentüren überspringt anstatt hindurchzugehen.
Die sportliche Allzweckwaffe deutscher Fernsehsender.
Der Aufschnittfetischist.
Das Wiesenhofwiesel.
Der Gutfriedgott.
Ich habe genug und schalte die Glotze aus. Heute Abend werde ich früher schlafen gehen, denn morgen muss ich wieder an die Tankstelle, an der ich seit Jahr und Tag neben dem Studium jobbe. Lust habe ich darauf wie auf Fußpilz, aber was will ich machen. Das Leben schert sich schließlich einen Scheiß um Leute wie mich und meinen Biorhythmus. Und erst recht nicht um mein Seelenheil. Jedenfalls so lange nicht, wie bei mir noch kein Hotbutton zuschlägt oder ich Geflügelaufschnitt über Gartenzäune wuchte.
Kollege, was soll’s?«, tönt mir holprig ein albanisch-deutscher Akzent entgegen. »Du musst jetzt Ablenkung machen. Rumheulen bringt nix, musst Gas geben. Auch wenn dein Trainer dich gegen einen anderen ausgewechselt hat. Aber du kommst wieder. Du musst ihr beweisen, dass du Capitano und nicht nur Auswechselspieler bist.«
Emile, einer meiner Kollegen, ist der Erste, dem ich von dem Schreckensszenario um Steffi und Claus berichtet habe. Und genau das bereue ich bereits wieder. Aber ich sehe echt scheiße aus, was selbst Emile nicht verborgen bleibt, und er war ganz einfach als Erster greifbar. Und wenn ich ganz ehrlich bin, bin ich sogar dankbar für diese Form der Ablenkung. Ich bin dankbar für jede Form der Ablenkung – und sei es sogar meine Arbeit an der Tanke. Es ist kein Marken-Mega-Rasthof mit integriertem Fast-Food-Anbieter und Lkw-Stellplätzen bis zur polnischen Grenze. Auch kein moderner Tank- und Einkaufstempel mit fluoreszierendem Backshop und einem Warensortiment wie bei Alice im Wunderland. Nein. Es ist eine unscheinbare OIL!-Tankstelle in einem Industriegebiet von Frankfurt. Ehrlich und erdig. Bei uns geht eher Ramazotti als Red Bull. Chips statt Ciabattabrötchen. Und die einzigen Grünpflanzen, die wir verkaufen, sind gepresste Ex-Tabakstauden in genormten EU-Packungen, die vor Impotenz und Krebs warnen. Laut der Aussage des Pächters soll unser Tanktempel ja auch den Familien der Nachbarschaft als sozialer Treffpunkt, Einkaufslädchen, Grill und Kneipe dienen. Da wir aber in einem Industriegebiet liegen, gibt es in der Nachbarschaft gar keine Familien, die hier einkaufen könnten, womit uns einzig das Grill- und Kneipenmonopol bliebe. Und genau aus dieser Zielgruppe rekrutieren wir auch fleißig unsere promilleaffine Kundschaft.
Emile verfällt derweil in einen Monolog und meint, dass man einer Frau von Anfang an in etwa so souverän gegenübertreten muss, wie Bayern München einen klassentieferen Pokalgegner beherrscht und ihn durch individuelle Klasse problemlos an die Wand spielt. Er vergleicht alles gerne mit Fußball, da es die einzige Sache ist, die er wohl wirklich gut kann. Er ist davon überzeugt, dass ich so schnell wie möglich wieder zurück aufs Feld muss, und er erklärt mir weiter, dass das Internet so etwas wie ein Trainingslager für mich sein könnte und ich dort sicherlich ein paar dankbare Gegner finden würde.
Ich weiß, Emile meint es gut. Er spielte zu Hause im Kosovo angeblich sogar in einer Landesauswahl, bevor er vor zwölf Jahren nach Deutschland auswanderte. Mittlerweile kickt er bei Teutonia Oberursel in der sechsten Liga, und seine einstmals spielerische Klasse hat sich dem Dorfniveau erstaunlich schnell angepasst. Dafür verfügt er aber mittlerweile über ein beachtliches Repertoire an deutschen Trinkliedern und entwickelt besonders beim Thema Frauen trotz scheinbar unüberwindlicher sprachlicher Hürden eine geradezu philosophisch-bunte Rhetorik. Und tatsächlich war ich in den letzten Jahren immer neidisch auf Emiles erfolgreich wechselnde Frauengeschichten, von denen er stets zu berichten wusste. Ich würde jede Wette halten, dass Emiles Kopf in mehr Betten gelegen hat als ein Schokominzblättchen auf einem Hotelkissen. Sein Sexleben kann man nur mit dem Bewegungsdrang eines Hais vergleichen. Aufgrund fehlender Schwimmblase muss er sich ganz einfach ständig bewegen, ansonsten säuft er ab und stirbt.
Nach besonders erfolgreichen Wochenenden spricht er gerne von Freistößen und hautenger Manndeckung. Dazu zwinkert er, damit man auch ja nicht den witzigen Vergleich überhören kann. Emile ist sicherlich nicht gerade die männliche Krone der Schöpfung und würde in einem Mister-Soundso-Wettbewerb auf jeder Dorfdisco zielsicher den letzten Platz belegen. Besonders seine schief stehenden Zähne und die zu große Nase würden ihm allein schon genetisch bedingt vordere Plätze verwehren.
Aber er verfügt über ein ebenso unerschütterliches wie für mich nicht nachvollziehbares Selbstvertrauen, das ihm bei diesem Wettbewerb dennoch eine nicht unattraktive Frau aus dem Publikum verschaffen würde, während sich die anderen Brad-Pitt-Waschbrettbäuche auf der Bühne in Pose werfen würden. Ich beneide ihn darum.
Und er hat ja recht. Ich muss zurück ins Leben. Verlorene Jahre aufholen und es mal richtig krachen lassen. Mich endlich etwas trauen und an mich glauben. Die letzten Tage und Nächte pendelte ich ohnehin ständig nur zwischen Hasselhoff auf RTL und Hass auf Claus. Und wenn Steffi erkennt, was sie an mir hatte, und sieht, wie maskulin ich mich verhalte und sich eine Frau nach der anderen durch mein Bett stöhnt, wird sie schneller wieder an meiner Seite sein, als Claus ein SOS aus dem Cockpit funken kann.
Nach der Zusage, einen Wochenenddienst zu tauschen, bin ich nur Minuten später im Besitz von Emiles Zugangsdaten für eine ganz spezielle Internetseite. In der Pause setze ich mich an den Computer und tippe die Adresse in die Suchmaske.
1. Auflage Originalausgabe Oktober 2011
Copyright © 2011 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München Umschlagfoto: © FinePic; © Getty Images/Juno Gestaltung der Umschlaginnenseiten: UNO Werbeagentur, München Motiv der Umschlaginnenseiten: © Juno, Getty Images BH · Herstellung: Str. Redaktion: Gerhard Seidl Satz: Uhl + Massopust, Aalen
eISBN 978-3-641-09462-1
www.goldmann-verlag.de
www.randomhouse.de
Leseprobe