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Der Traum einer Gesellschaft, in der jeder die gleichen Chancen hat und ohne materielle Sorgen sein Glück suchen kann, ist vorbei. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in Deutschland immer weiter auseinander. Die breite Mittelschicht, die einst unser Land gekennzeichnet und unsere Gesellschaft getragen hat, erodiert. Die Krisen der letzten Jahre haben diesen Trend verstärkt und die Politik will oder kann nicht gegensteuern. Jens Berger wirft einen schonungslosen Blick hinter die Statistiken, erklärt die Zusammenhänge und zeigt Lösungen, die unumgänglich sind, wenn wir den gesellschaftlichen Frieden im 21. Jahrhundert erhalten wollen.
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Seitenzahl: 355
Ebook Edition
Cover
Wem gehört Deutschland? Zehn vertane Jahre
1 Mein Haus, mein Auto, mein Boot: Die Probleme der Vermögensstatistiken
Was ist Vermögen?
Was ist eigentlich der Wert einer Sache?
Reiche Arme und arme Reiche
Die armen Armen
Reichtum, die große Unbekannte
Das SOEP – ein Hoffnungsschimmer mit methodischen Schwächen
PHF-Studie der Bundesbank – detailreiche Ergänzung mit Scheuklappen
Von Äpfeln und Birnen
2 Deutschland: Weltspitze in Sachen Ungleichheit
Gemessene Ungleichheit
Welche Relevanz haben diese Zahlen?
Umverteilung von unten nach oben
Umverteilung politisch gefördert
Ungleichheit und Instabilität
3 Im Geldspeicher von Dagobert Duck: Die Deutschen und ihr Geldvermögen
Durchschnitt, Median und Prävalenz
Altersvorsorge und Geldanlage
Große Geldvermögen – die große Unbekannte
Millionen Millionäre
4 Millionen kleine Kapitalisten: Die Deutschen und ihre Altersvorsorge
Die Sabotage des Rentensystems
Lebensversicherungen – eine Tradition mit Problemen
ETF – Shootingstar am Anlagehimmel
Felix Austria – die klassische Rente hat Zukunft
Der faustische Pakt
5 Eigener Herd ist Goldes wert:Die Deutschen und ihr Immobilienbesitz
Wem gehört das Haus?
Der Mythos vom Volkseigentum
Vonovia und die große Umverteilung
Wohnkonzerne enteignen?
Wohnraum und Umverteilung
Wer hat, dem wird gegeben
Gegensteuern ist möglich, aber unwahrscheinlich
6 Fürsten und neue Junker:Die Deutschen und ihr Grundbesitz
Deutscher Wald in Fürstenhand
Bauernland in Junkerhand
7 Das Land der viereinhalb Millionen Unternehmer:Die Deutschen und ihr Betriebsvermögen
Der Mythos vom Mittelstand
Großkonzerne beherrschen die Wirtschaft
Standortdebatte und Strukturwandel
8 Von der Deutschland AG zur World Inc.: Die Deutschen und ihr Aktienvermögen
Der Traum vom Volkskapitalismus durch Aktien
Willkommen in der Deutschland AG
Die Entdeckung des Shareholder-Value
Abwicklung der Deutschland AG
Von der Deutschland AG zur World Inc.
Wem gehört der DAX?
Die Herren der Welt
Wem gehören BlackRock und Co.?
9 Wer hat, dem wird gegeben:Wird Vermögen erspart oder ererbt?
Von Tellerwäschern und Millionären
Kann man sich ein Vermögen zusammensparen?
Der Zinseffekt
Erbschaften in Billionenhöhe
10 Uns gehört Deutschland: Die Vermögenden der Republik
Die Dividendenkönige
Die Nazi-Profiteure
Rüstungsmagnaten, Wurstkönige und Hühnerbarone
Der Heiler auf Abwegen
Die Impfmilliardäre
Uns gehört Deutschland
11 Corona: Der große Ungleichmacher
Gewinner und Verlierer
Wer hat, dem wird geholfen
12 Die Wendejahre: Deutschlands Weg in die Multikrise
Die Zeitenwende
Die Gaswende
Die Zinswende
Preissteigerungen allerorten
Reale Einbußen
13 Sozialismus für Reiche:Die auseinanderklaffende Vermögensschere
Der Lastenausgleich
Die Geburt der sozialen Marktwirtschaft
Das Ende der sozialen Marktwirtschaft
14 Der Frosch im Kochtopf: Schluss mit der Ungleichheit
Warum bleibt der Frosch ruhig?
Die Erbschaft und das Gerechtigkeitsproblem
Das Steuersystem reformieren
In tax we trust
Steuern sind kein Selbstzweck
Bauen muss für alle bezahlbar werden
Die soziale Frage und der Klimaschutz müssen Hand in Hand gehen
Der Elefant im Raum
Anmerkungen
Cover
Inhaltsverzeichnis
Jens Berger
Wem gehört Deutschland?
Die Bilanz der letzten 10 Jahre
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www.westendverlag.de
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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ISBN: 978-3-86489-284-4
© Westend Verlag GmbH, Neu-Isenburg 2024
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
Satz: Publikations Atelier, Weiterstadt
Deutschlandkarte, S. 44: © der Vorlage Freepik
Als vor nunmehr zehn Jahren die erste Auflage von Wem gehört Deutschland? in den Handel kam, betrat das Buch publizistisches Neuland, versuchte es doch, das komplexe und gesellschaftlich hochbrisante Thema Vermögensverteilung erstmals allgemeinverständlich einem größeren Publikum näherzubringen. Retrospektiv kann man wohl sagen, dass 2014 die Zeit für ein solches Buch war. Finanz- und Eurokrise offenbarten die ersten Risse im Kitt unseres Wirtschaftssystems, und europaweit setzte vor allem die politische Linke auf eine Rückabwicklung der neoliberalen Politik, die für das Auseinanderklaffen der Vermögensschere verantwortlich zeichnet. Für kurze Zeit gab es wohl das, was man im Englischen als »Windows of opportunity« bezeichnet, also ein Zeitfenster, in dem die Politik, getrieben von der öffentlichen Meinung, sinnvolle Reformen hätte umsetzen können.
Dieses Zeitfenster hat sich wieder geschlossen. Sowohl in den großen Medien als auch in den sozialen Netzwerken rangiert das Thema Vermögensverteilung heute wieder unter ferner liefen. Die großen Themen wie Corona oder Krieg und Frieden bestimmen die gesellschaftliche Debatte. Die politische Linke hat ihre Koordinaten verschoben und redet lieber über identitätspolitische Themen als über die Vermögensverteilung. Der politische Wille, die Umverteilung von unten nach oben wieder umzukehren, ist – so scheint es – heute geringer denn je. Das ist erstaunlich, da das Problem in den vergangenen zehn Jahren nicht kleiner, sondern größer geworden ist.
Global hat das letzte Jahrzehnt mit seinen multiplen Krisen zu einer noch dramatischeren Spreizung der Vermögensschere geführt. Mehr als die Hälfte des in den letzten zehn Jahren neu erwirtschafteten Vermögens ging laut einer Studie der globalisierungskritischen NGO Oxfam auf die Konten des reichsten Prozents der Menschheit1 – seit 2020 hat sich diese Entwicklung übrigens noch weiter forciert, und der Anteil ist seitdem auf fast zwei Drittel gestiegen. Von 100 US-Dollar Vermögen, die in den letzten zehn Jahren erwirtschaftet wurden, gingen demnach 54,40 US-Dollar an das reichste Prozent, während die gesamte untere Hälfte, also die ärmeren 50 Prozent der Weltbevölkerung, gerade einmal 0,70 US-Dollar, also 0,7 Prozent des Vermögenszuwachses, für sich verbuchen konnten.2
Die mittlerweile weltweit 2 640 Milliardäre konnten ihr Vermögen in Summe in den vergangenen zehn Jahren verdoppeln. Ihr Vermögenszuwachs ist dabei fast sechsmal so hoch wie bei den ärmsten 50 Prozent zusammen. Ein paar Tausend Menschen am oberen Ende der Vermögensskala haben also fast sechsmal so viel Vermögen zugelegt wie die vier Milliarden Menschen am unteren Ende.
Und selbst diese Zahlen, die sich auf die letzten zehn Jahre beziehen, wurden seit Beginn der multiplen Krisen im Jahre 2020 noch einmal übertroffen. In den Jahren 2020 bis 2022 hat sich das reichste Prozent der Bevölkerung mit 26 Billionen US-Dollar ganze 63 Prozent des weltweiten Vermögenszuwachses angeeignet. 26 Billionen US-Dollar: Das sind 26 000 Milliarden oder 2,6 Millionen Millionen. Und wir sprechen hier nur über den Vermögenszuwachs, und das nur in drei Jahren. Für jeden einzigen seit 2020 neu erwirtschafteten US-Dollar, den ein Mensch, der zur unteren Hälfte der globalen Vermögensverteilung gehört, gewonnen hat, hat gleichzeitig ein Milliardär sein Vermögen um 1,7 Millionen US-Dollar gesteigert.3
Als ich vor zehn Jahren Wem gehört Deutschland? schrieb, betrug das Gesamtvermögen der in der Forbes-Liste vertretenen Milliardäre rund 7 Billionen US-Dollar. 2022 waren es 12,7 Billionen US-Dollar.4 Insgesamt besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung heute 45,6 Prozent des weltweiten Vermögens und die ärmere Hälfte nur 0,75 Prozent.
Diese historisch ungerechte Vermögenskonzentration wurde durch die Krisenpolitik der Regierungen in den letzten Jahren verschärft. Öffentliche Gelder wurden zum Abfedern der multiplen Krisen in die Wirtschaft gepumpt. Das ist im Prinzip richtig, um einen ökonomischen Flächenbrand zu verhindern. Jedoch vermied man wohlweislich, die daraus resultierenden Vermögensgewinne, die beispielsweise durch einen Wertzuwachs von Anlageprodukten wie Aktien oder Immobilien entstanden, über eine progressive Besteuerung wieder abzuschöpfen. So landeten die Milliarden und Abermilliarden der weltweit aufgelegten steuerfinanzierten Rettungsschirme und Konjunkturprogramme am Ende der Wirtschaftskette als Vermögenszuwächse bei den Reichsten der Reichen. Hätte man dies verhindern wollen, was weder technisch noch rechtlich ein großes Problem gewesen wäre, hätte man jedoch das System infrage stellen müssen. Und das wollte man nicht; sehr zur Freude der Reichen.
Extremer Reichtum nimmt weltweit schon seit Jahrzehnten zu. Immerhin gab es bis vor wenigen Jahren global noch den kleinen Lichtblick, dass die extreme Armut zumindest in kleinen Schritten zurückgegangen ist. Doch auch das hat sich 2020 erstmals seit mehreren Jahrzehnten wieder geändert: Über 70 Millionen Menschen wurden auf der Welt zusätzlich in die extreme Armut gedrängt und müssen mit weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag auskommen. Dieser Trend wird sich die nächsten Jahre fortsetzen, da die gestiegenen Lebensmittel- und Energiekosten hauptsächlich die Ärmsten besonders hart treffen, geben sie doch etwa zwei Drittel ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Das UN-Entwicklungsprogramm schätzt, dass die steigende Inflation allein 2022 in den drei Monaten März bis Mai 71 Millionen Menschen in die Armut getrieben hat.5
Was für die Welt gilt, gilt auch für Deutschland. Wo es großen Reichtum gibt, gibt es meist auch große Armut. In der deutschen Nachkriegsgeschichte war beides vergleichsweise selten anzutreffen. Heute gehören Reichtum und Armut zur gesellschaftlichen Normalität. Wir haben offenbar akzeptiert, dass im ökonomischen Bereich Darwins Lehre vom Überleben der Stärksten wieder ihre Geltung hat – fressen oder gefressen werden.
Schon vor der Coronakrise hatte Deutschland im OECD-Vergleich mit die höchste Ungleichheit bei privaten Vermögen. Millionäre und Milliardäre besitzen hierzulande fast die Hälfte des gesamten Privatvermögens – dies sind 1,5 Prozent der Bevölkerung. Den obersten 25 Prozent gehören 89 Prozent des Vermögens. Die untersten 50 Prozent der Bevölkerung kommen zusammen auf gerade einmal 1,1 Prozent. Das Vermögen der 226 wohlhabendsten deutschen Familien ist 15-mal so groß wie das Vermögen der unteren 40 Millionen Deutschen zusammen und ungefähr so groß wie das Vermögen der unteren zwei Drittel. Heruntergebrochen auf eine hypothetische Großstadt mit 350 000 Einwohnern hieße dies, dass ein einziger Reicher mehr als 15-mal so viel besitzt wie die Hälfte der Stadt. So würde man sich 15-mal eine Großstadt im feudalistischen Mittelalter vorstellen – aber diese Zahlen stammen aus dem Jahre 2021.
Die multiplen Krisen der letzten Jahre haben Deutschland dementsprechend hart getroffen. In seinem Armutsbericht 20226 musste der Paritätische Wohlfahrtsverband vermelden, dass die Armutsquote im zweiten Pandemiejahr 2021 mit 16,9 Prozent einen neuen traurigen Höchststand erreicht hatte. Innerhalb der zwei Coronajahre ist die Armutsquote damit um einen ganzen Prozentpunkt gestiegen. 2021 mussten demnach 14,1 Millionen Menschen in Deutschland zu den Armen gerechnet werden – 840 000 mehr als vor der Pandemie. Diese Zahlen stammen wohlgemerkt von 2021, also noch vor dem Preisschock im Jahr darauf, der die Armutsquote noch einmal deutlich nach oben getrieben haben dürfte. Ende 2022 meldeten die Tafeln,7 dass mittlerweile zwei Millionen Menschen diese Einrichtung besuchen, 50 Prozent mehr als im Vorjahr.
Der Sparkassenverband schätze im August 2022,8 dass schon bald bis zu 60 Prozent der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte – oder mehr – für die reine Lebenshaltung einsetzen müssen. Noch 2021 habe dieser Wert bei »nur« 15 Prozent gelegen. Wer kein Geld sparen oder investieren kann, kann auch keine Vermögenswerte aufbauen. Wer dann auch noch seine Rücklage anzapfen muss, wenn etwa das Auto kaputt ist oder eine neue Waschmaschine angeschafft werden muss, baut sein Vermögen sogar ab. Die Armen werden ärmer. Und die Reichen?
Denen geht es besser denn je. Im Jahr 2021 stieg der Zahl der Millionäre in Deutschland laut dem Word Wealth Report von Cap Gemini9 um 6,4 Prozent auf mittlerweile rund 1,6 Millionen Menschen. Nach Analysen von Oxfam gingen 81 Prozent des 2021 und 2022 erwirtschafteten Vermögenszuwachses an das reichste Prozent. Die »unteren 99 Prozent« der Bevölkerung mussten sich demnach mit 19 Prozent zufriedengeben – oder eben Vermögen abbauen, wenn das Einkommen nicht mehr ausreicht, um die nötigen Kosten zu decken. Aktuell gibt es in Deutschland 117 Milliardäre, die auf ein Gesamtvermögen von 528,3 Milliarden US-Dollar kommen. Die sechs reichsten unter ihnen besitzen mit 158,5 Milliarden US-Dollar in etwa so viel wie die untersten 40 Prozent der Bevölkerung zusammen, also 34 Millionen Menschen. Und der Trend setzt sich fort.
Auch in Deutschland kam es – wie wir später noch lesen werden – neben den schon als normal geltenden Vermögenszuwächsen der finanziellen Oberschicht während der Coronakrise auch zu sagenhaften Vermögensgewinnen, die nur wegen der Krise entstanden – so beispielsweise bei den Anteilseignern von Impfstoffherstellern und E-Commerce-Unternehmen, während vor allem die meist kleinen Unternehmen aus den Bereichen Gastronomie, Tourismus und Kultur vor die Hunde gingen. Die 2022 förmlich explodierenden Energiekosten haben auf der anderen Seite auch mit staatlichen Subventionen zu sagenhaften Übergewinnen bei den weltweit größten Energie- und Lebensmittelkonzernen geführt und ihre Anteilseigner reicher gemacht, während sowohl die normalen Haushalte als auch die kleinen Betriebe unter den gestiegenen Kosten ächzen. Dies ist eine Umverteilung von unten nach oben, wie sie im Buche steht.
Es ist so, als befänden wir uns bei einem Ringkampf zwischen einer Ameise und einem Löwen und seien dabei selbst die Ameise. Nur sehr selten hat das Vermögen einer Person etwas mit ihrer wie auch immer definierten Leistungsfähigkeit zu tun. Vermögen werden in Deutschland in der Regel nicht erarbeitet oder gar zusammengespart, sondern ererbt. Der Unterschied zwischen Arm und Reich entscheidet sich also meist beim Spermienlotto. In einer Gesellschaft, die in ihren Sonntagsreden stets so viel Wert auf Chancengleichheit legt, ist dies ein seltsam anmutender Anachronismus.
Umso erstaunlicher ist – auch zehn Jahre nach der Erstauflage dieses Buchs – das immer noch weitverbreitete Desinteresse am Thema Vermögensverteilung. Hohe Vermögen schweben schließlich nicht im luftleeren Raum – sie bedeuten stets auch Macht. Wer Vermögen besitzt, hat auch den Hebel in der Hand, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und die politische Debatte zu lenken. Dafür sorgen nicht zuletzt die zahlreichen Denkfabriken, die auffällig oft von Familienstiftungen der Superreichen finanziert werden.
Die Spreizung der Vermögensschere ist nicht vom Himmel gefallen. Im Gegenteil – diese Entwicklung ist in der Bundesrepublik vergleichsweise neu. Bis Mitte der 1990er-Jahre haben sich die Vermögen der Bundesbürger sogar immer mehr angeglichen. Erst seit diesem Zeitpunkt öffnet sich die Vermögensschere mit ungeahnter Geschwindigkeit, und die Krisen der letzten Jahre haben die Entwicklung weiter beschleunigt. Verantwortlich dafür sind vor allem sogenannte Reformen der Politik: Mit einem bunten Reigen an Steuersenkungen und Steuervereinfachungen wurde die Steuerlast der Vermögenden systematisch heruntergeschraubt, während der Rest der Bevölkerung durch höhere Steuern zusätzlich belastet wurde. Seit 1997 verzichtet die Politik sogar freiwillig auf die Erhebung der Vermögenssteuer, die das deutsche Recht vorsieht.
Arbeitsmarktreformen haben dafür gesorgt, dass ein Großteil der Bevölkerung immer weniger frei verfügbares Einkommen hat, mit dem er ein eigenes Vermögen aufbauen kann. Privatisierungen der öffentlichen Sozialsysteme haben dazu geführt, dass selbst die vorhandenen Ersparnisse der Bevölkerung zunehmend in Finanzprodukte gelenkt werden, von denen oft die Anbieter selbst am meisten profitieren.
Die in diesem Buch beschriebene Entwicklung war vorauszusehen – ja, sie war geplant. Die folgenden Kapitel sollen zeigen, wie weit diese Entwicklung bereits geht, an welchen Stellen sich die Vermögensschere besonders stark öffnet und welche Auswirkungen dies auf unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem hat. Dazu gehören auch immer wieder historische Analysen: Wie konnte es so weit kommen, welche Akteure haben ein Interesse an einer Spreizung der Vermögensschere, und warum hat die Politik sich nicht ausreichend zur Wehr gesetzt?
Und warum ist in den vergangenen Jahren seit Veröffentlichung der ersten Ausgabe von Wem gehört Deutschland? so wenig passiert? Dabei gab es Ende der 2010er-Jahre sogar Gründe für gedämpften Optimismus. Es schien so, als sei die oft mit dem Begriff »Neoliberalismus« bezeichnete Politik so langsam auf dem Rückzug. Insbesondere die brummende Weltwirtschaft und der sich abzeichnende Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in bestimmten Branchen haben den einen oder anderen Entscheider zum Nachdenken angeregt. Doch dann kam Corona, und mit der Pandemie und den Maßnahmen zu deren Eindämmung verschwand das Thema Vermögensverteilung wieder vom Tableau. Und nach Corona waren es der Ukrainekrieg und die damit verbundenen Preissteigerungen, die Fragen und Antworten rund um die Vermögensverteilung in Vergessenheit geraten ließen.
Wem gehört Deutschland? Die Beantwortung dieser Frage ist keinesfalls so einfach, wie sie auf den ersten Blick scheint. Deutschland weiß zwar fast alles über seine Armen, die statistisch gründlich durchleuchtet werden. Über seine Reichen weiß Deutschland jedoch so gut wie nichts. Die Behörden erfassen keine statistischen Daten zum Reichtum, sämtliche Daten zu Vermögensverhältnissen sind Verschlusssache. Wer sich diesen Fragen nähern will, muss schon Detektivarbeit aufbringen und sich durch Studien und Daten fressen, die der Öffentlichkeit leider nicht immer bekannt sind.
Ziel dieses Buchs ist es, die Debatte über die Vermögensverteilung wieder neu anzuregen und gleichzeitig zahlreiche Zahlen, Daten und Zusammenhänge verständlich aufzubereiten. Diese Debatte ist überfällig, das Problem drängt mehr denn je. Denn bei der faktisch vorhandenen Vermögensungleichverteilung handelt es sich um weit mehr als ein reines Gerechtigkeitsproblem. Die Marktwirtschaft, wie wir sie kennen, steuert mit steigender Ungleichverteilung bedrohlich auf die nächste Krise zu – und ob unsere Demokratie krisenfest ist, darf heute mehr denn je bezweifelt werden. Es steht also einiges auf dem Spiel, das weit über den informativen Charakter, wem denn nun Deutschland gehört, hinausgeht. Man kann nur hoffen, dass die nächsten zehn Jahre nicht weitere vertane Jahre sind. Wenn dieses Buch dazu etwas beitragen kann, hat es seinen Sinn erfüllt.
Wissen Sie eigentlich, wie vermögend Sie sind? Diese Frage ist keineswegs profan, und sicherlich kann sie niemand aus dem Stegreif beantworten. Wie misst man überhaupt Vermögen? Was ist das eigentlich? Und was heißt Reichtum? Wenn Sie bei diesen Fragen stocken, ist das vollkommen normal – und zwar nicht, weil man so fürchterlich reich ist, dass man glatt den Überblick über Hab und Gut verloren hat. Vermögen ist etwas Abstraktes. Es zu messen und zu definieren, was Reichtum ist und wo er anfängt, ist kein einfaches Unterfangen.
Bevor man sich an die Fragen der Vermögensverteilung begibt, um eine Ahnung davon zu bekommen, wem Deutschland gehört, muss man den Begriff Vermögen überhaupt erst einmal verstehen. Der Duden definiert Vermögen als »gesamten Besitz, der einen materiellen Wert darstellt«, und trifft damit mit wenigen Worten den Kern. »Materiell« heißt in diesem Kontext, dass etwas einen Marktwert hat, es verkäuflich ist. Ideelle Werte spielen bei der Definition von Vermögen also keine Rolle. Auch wenn Sie noch so wertvolle Erinnerungen mit der alten, kaputten Uhr ihres Großvaters verbinden, die Sie einst von ihm geerbt haben – in eine Vermögensaufstellung geht nur der Wert der Uhr ein, zu dem Sie diese jemandem verkaufen könnten, der keine Emotionen mit ihr verbindet. Obgleich kaum ein Thema derart emotional betrachtet wird wie die Frage von Reichtum und Armut, so geht es bei Vermögensstatistiken nicht um Emotionen, sondern um kalte, nackte Zahlen.
In der Umgangssprache wird Vermögen oft mit dem Geldvermögen gleichgesetzt. Offenbar schwirrt hier in den Köpfen immer noch Onkel Dagoberts Geldspeicher herum. Doch Vermögen ist mehr als Geld und weitaus mehr als die schwarze Zahl auf dem Girokonto. Die Geldvermögen spielen bei der Gesamtvermögensaufstellung eine wichtige, aber keinesfalls dominante Rolle. Elon Musk ist sicherlich nicht der reichste Mensch der Welt, weil er unglaublich viel Geld in seinem Portemonnaie oder auf seinem Girokonto hat, und in einem Geldspeicher badet er auch nicht. Es könnte sogar sein, dass er gar kein Portemonnaie besitzt und sein Konto im Minus ist. Doch das ist unerheblich, wenn man wie Elon Musk Aktienpakete im dreistelligen Milliardenwert besitzt und bei jeder Bank der Welt eine Kreditkarte ohne Limit ausgestellt bekommt.
Es gibt sogar einen Zusammenhang zwischen der Höhe des Vermögens und der Art und Weise, wie es sich zusammensetzt. Sortiert man die Bewohner Deutschlands nach ihrem Vermögen, entdeckt man, dass die Geldvermögen, darunter in besonderer Weise das Girokonto und die klassischen Sparkonten, vor allem bei vergleichsweise ärmeren Bevölkerungsschichten den größten Vermögensposten1 neben dem Auto darstellen. Aktien, Fondsanteile, Betriebsvermögen und sogar die private Altersvorsorge spielen für Ärmere hingegen keine nennenswerte Rolle.
Je wohlhabender die Menschen sind, desto wichtiger wird in der persönlichen Vermögensaufstellung die selbst genutzte Immobilie. Bei der gesamten Mittelschicht, also dem Bereich zwischen 40 und 90 Prozent der Vermögensverteilung, ist die selbst genutzte Immobilie der mit großem Abstand wichtigste Vermögenswert. Nicht Gold, sondern Betongold ist das eigentliche Vermögen der übergroßen Mehrheit der Deutschen.
Erst bei den oberen 10 Prozent der Vermögensskala, also den Wohlhabenden der Republik, nehmen auch Vermögenswerte wie nicht selbst genutzte, also vermietete, Immobilien und Betriebsvermögen eine wichtige Rolle ein. Interessant ist, dass selbst bei den Wohlhabenden das Geldvermögen im Durchschnitt geringer ist als der Wert der selbst genutzten Immobilie. Dies kehrt sich erst bei den wirklichen Reichen, dem obersten Prozent in der Vermögensverteilung, um. Hier spielen dann meist Betriebsvermögen und Aktien, aber auch vermietete Immobilien die dominante Rolle.
Da fast ausschließlich die vermögenderen Haushalte nicht selbst genutzte Immobilien und Betriebsvermögen besitzen, ist es nicht verwunderlich, dass sowohl das Immobilien- als auch das Betriebsvermögen in Deutschland besonders ungleich verteilt sind. Eine genaue Aufstellung der Vermögenspositionen der Bewohner Deutschlands zeigt folgende Tabelle, deren Basiswerte aus der PHF-Studie der Bundesbank stammen.2
Aufteilung des Vermögens in Deutschland 2021
Zu dieser Tabelle ist anzumerken, dass die Werte innerhalb der nach ihrem Nettovermögen sortierten Bevölkerungsgruppen jeweils Durchschnittswerte sind und daher hauptsächlich in der obersten, aber auch in der untersten Gruppe mit Vorsicht zu genießen sind. Zur generellen Aussagekraft dieser Daten kommen wir später.
Wenn der Duden von »materiellen Werten« spricht, so lässt dies Fragen offen. Niemand wird daran zweifeln, dass ein Haus oder ein Auto einen Wert hat. Welchen Wert diese materiellen Gegenstände besitzen, ist jedoch eine Frage der Interpretation. Anders als in den Naturwissenschaften, in denen jeder Wert eine klar definierte physikalische Größe ist, gibt es in den Wirtschaftswissenschaften unterschiedliche Vorstellungen:
Die klassischen Ökonomen definierten den Wert anhand der Arbeitszeit, die gesellschaftlich notwendig ist, um eine Ware herzustellen. Diese Interpretation, die ihren Höhepunkt in Marx’ Arbeitswertlehre fand, lässt jedoch grundlegende Fragen offen. Warum ist ein Gemälde von Picasso ungleich wertvoller als das Gemälde eines Dilettanten? Die investierte Arbeitszeit hat damit jedenfalls nichts zu tun. Warum ist ein Haus mit unverbaubarem Seeblick wertvoller als ein Haus mit Blick auf ein Stahlwerk? Auch hier liefert die Reduzierung auf die investierte Arbeit keine befriedigende Antwort.Das andere Extrem stellt die sogenannte Grenznutzenschule dar, die den Nutzen zum Maß aller Dinge erhebt und damit mit voller Kraft ins Wertparadoxon steuerte. Warum ist ein Diamant, der keinen erkennbaren Nutzen hat, so viel wertvoller als ein Liter Wasser? Letztlich konnte dieses Paradoxon dadurch entschärft werden, indem man den objektiven Nutzen vom subjektiven Nutzen trennte. So kann der Diamant ohne objektiven Nutzen sehr wohl einen sehr hohen subjektiven Nutzen und damit einen hohen Preis haben – nur weil er so schön glitzert und unsere Mitmenschen neidisch dreinblicken lässt.Neoliberale Ökonomen machen es sich bei dieser Frage einfach: Für sie ist der Preis, also der Wert, den die Märkte einem Gut zumessen, auch der Wert dieses Gutes. Das kommt zwar einer befriedigenden Definition schon sehr nah, aber auch Märkte können irren. Wenn die neoliberale Definition zutreffend wäre, dann war eine einzige Tulpe der Sorte Viceroy zum Höhepunkt der Amsterdamer Tulpenmanie im Februar 1637 tatsächlich so viel wert wie 670 Scheffel Weizen oder eines der teuersten Häuser in Amsterdam.3 Gerade in Zeiten von Blasen an den Finanz- oder Immobilienmärkten ist diese Definition daher mit Vorsicht zu genießen. Dummerweise merkt man erst, wenn die Blase geplatzt ist, dass die Marktpreise Blasenpreise sind.Unabhängig von diesen eher theoretischen Betrachtungen ist der Unterschied zwischen Wert und Preis auch bei der heutigen Betrachtung der Vermögen elementar. Marktwerte sind lediglich eine theoretische Momentaufnahme. Eine Sache ist nur dann wirklich so viel wie ihr Preis wert, wenn sie zu diesem tatsächlich ver- oder gekauft wird. Gerade bei den selbst bewohnten Immobilien, die ja die Säule des Vermögens der meisten Deutschen sind, ist das nicht unproblematisch, da der »tatsächliche Wert« erheblich von diesem »angenommenen Wert« abweichen kann – besonders wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Seit der Zinswende, die Immobilienkredite deutlich verteuert hat, ist dies spürbar. Ähnlich komplex gestaltet sich die Wertbestimmung bei den Betriebsvermögen: Wie viel ein Unternehmen wirklich wert ist, kann der Besitzer erst dann mit Sicherheit wissen, wenn er einen Käufer gefunden hat, der bereit ist, exakt diesen Preis zu zahlen.
Ein besonderer Unsicherheitsfaktor bei der Vermögensberechnung besteht darin, dass vor allem die Geldvermögen aus ökonomischer Perspektive Forderungen sind. Der Wert einer Lebensversicherung stellt eine Forderung gegenüber der Versicherungsgesellschaft dar, die wiederum die Beiträge ihrer Kunden an andere verliehen hat und daher selbst auf einem ganzen Haufen von Forderungen sitzt. Auch das Geld auf dem Girokonto oder dem Sparbuch ist eine Forderung – in diesem Fall gegen die Bank. In der Regel gehen diese Forderungen mit dem vollen Wert in der Vermögensbilanz ein. Dies mag bei Girokonten und Sparbüchern, solange sie von der Einlagensicherung betroffen sind, gerechtfertigt sein. Eine Lebensversicherung, die bei jüngeren Versicherten erst in ferner Zukunft ausgezahlt wird, mit dem vollen Zeitwert zu bewerten, ist jedoch ein fragwürdiges Unterfangen. Da es keinen echten Markt für diese Papiere gibt, müssten sie eigentlich bei seriöser Betrachtung eher zum wesentlich niedrigeren Rückkaufswert bilanzieren.
Vermögensbilanzen sind daher stets Momentaufnahmen und beruhen auf Daten, die in der Regel einen Erwartungswert darstellen. Wenn sich diese Erwartungen in der Zukunft nicht erfüllen, können sich diese Werte massiv verschieben.
Während der Vermögensbegriff trotz unterschiedlicher Definition immer noch greifbar ist und man sich mit ein wenig gutem Willen auf eine Definition einigen könnte, ist der Begriff Reichtum vollends schwammig. Erstaunlicherweise hat sogar die Wissenschaft ihre Probleme damit. Während das Gegenteil, nämlich die Armut, relativ klar umrissen ist, gibt es für den Begriff Reichtum keine allseits anerkannte Definition. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Zum einen ist der Begriff Armut nicht über das Vermögen der betreffenden Personen definiert, sondern über das Einkommen. Wer arm ist, verfügt in der Regel ohnehin über kein nennenswertes Vermögen. Umgekehrt muss eine Person ohne nennenswertes Vermögen nicht zwingend arm sein. Wer beispielsweise über ein fürstliches Einkommen verfügt und das komplette Geld auf den Kopf haut, ohne sich davon irgendwelche Vermögenswerte zu kaufen, hat ebenfalls kein messbares Vermögen, gehört dennoch nicht zu den Armen der Gesellschaft.
Diese »reichen Armen« sind in Zeiten der horrenden Mietpreise in den Metropolen keine Seltenheit. Wer beispielsweise über ein hohes Einkommen verfügt, aber gleichzeitig eine hohe Miete zahlen muss und den Rest des Einkommens für Konsum und Freizeit ausgibt, steht – so paradox es klingen mag – in der reinen Vermögensstatistik mit dem Hilfsarbeiter, der von seinem geringen Einkommen eine niedrige Miete zahlen muss und den Rest für Konsum und Freizeit ausgibt, auf derselben Stufe. Doch dies sind zugegebenermaßen eher Ausnahmen. Folgt man den Vermögensstatistiken der Bundesbank, besteht die größte gemessene Korrelation zur Höhe des Vermögens in der Tat zu einem hohen Einkommen. Die obersten 10 Prozent der Einkommensskala besitzen mit durchschnittlich 1 060 200 Euro ein Nettovermögen, das deutlich über dem Durchschnitt liegt.
Es gibt jedoch auch die »armen Reichen«, und die sind trotz eines hohen Vermögens in der untersten Einkommensskala zu finden. Wer zu den unteren 20 Prozent der Einkommensskala gehört, verfügt im Median, also im Mittelwert, nur über ein Nettovermögen in Höhe von 10 500 Euro. Es gibt in dieser Gruppe folglich genau so viele Haushalte, die weniger und die mehr als 10 500 Euro Vermögen haben. Interessanterweise ist das durchschnittliche Nettovermögen dieser Gruppe mit 103 500 Euro fast zehnmal so hoch wie der Median. Wenn der Unterschied zwischen Median und Durchschnitt derart groß ist, deutet dies darauf hin, dass einige wenige Haushalte mit einem sehr hohen Vermögen den Durchschnitt extrem verzerren. Gibt es wirklich Haushalte mit einem sehr hohen Vermögen, die über keine oder nur geringe Einkommen verfügen? Oh ja, die gibt es.
Diese Personen haben in der Tat kein nennenswertes Einkommen und verzehren im wahrsten Sinne des Wortes ihr Vermögen. Zu diesen »armen Reichen« gehören nicht nur Erben, sondern oft auch ehemalige Selbstständige und Freiberufler, die es versäumt haben, in die klassischen Altersvorsorgesysteme einzuzahlen, und im Alter von ihren Ersparnissen leben. Wie bereits erwähnt – an den Rändern, oben wie unten, wird es bei der Vermögensverteilung oft unscharf. Doch sowohl die »reichen Armen« als auch die »armen Reichen« sind eher eine statistische Randnotiz – die man nicht ausblenden sollte, wenn man sich mit dem Thema Vermögensverteilung beschäftigt. Denn man stößt immer wieder auf Daten, die nicht ins Bild passen, wenn man nicht um die Ecke denkt.
Wie sieht es mit den »armen Armen« aus? Der Begriff Armut ist aus den bereits genannten naheliegenden Gründen nicht über das Vermögen, sondern über das Einkommen definiert. In den Industriestaaten geht es dabei vorwiegend nicht um die absolute Armut – obgleich es sie auch hierzulande gibt –, wie man sie hauptsächlich aus den Entwicklungsländern kennt, sondern um die relative Armut. Maßstab ist hierbei das, was die Wissenschaft den Median des Nettoäquivalenzeinkommens nennt. Das klingt kompliziert – und ist es auch.
Es macht einen großen Unterschied, ob man mit einem Haushaltseinkommen von 3 000 Euro netto nur sich selbst in einem Single-Haushalt oder eine sechsköpfige Familie ernähren muss. Daher ist das reine Haushaltseinkommen ohne Kontext keine geeignete Größe, um Armut zu definieren. Stattdessen haben die Statistiker sich das sogenannte Äquivalenzeinkommen einfallen lassen, um ansonsten nicht Vergleichbares vergleichbar zu machen.
Das Äquivalenzeinkommen ist ein bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen je Haushaltsmitglied. Um Äquivalenzeinkommen zu bestimmen, wird das Haushaltsnettoeinkommen durch die Summe der »Bedarfsgewichte« der im Haushalt lebenden Personen geteilt: Die erste erwachsene Person bekommt stets das Gewicht 1, weitere Erwachsene und Kinder ab 14 Jahren erhalten das Gewicht 0,5, Kinder unter 14 Jahren das Gewicht 0,3. Eine Familie mit zwei Kindern unter 14 hat also das Bedarfsgewicht 2,1. Wenn das Nettohaushaltseinkommen dieser Familie 4 500 Euro pro Monat beträgt, beträgt das Nettoäquivalenzeinkommen 2 143 Euro (4 500 ÷ 2,1). Der Median wiederum ist der mittlere Wert einer aufsteigend geordneten Datenreihe – das heißt beim Einkommen, dass die eine Hälfte der Bevölkerung mehr, die andere Hälfte weniger zur Verfügung hat. Für das Jahr 2022 betrug der Median des Nettoäquivalenzeinkommens in Deutschland 25 000 Euro pro Jahr, also 2 083 Euro pro Monat.4 Unsere Familie aus dem Rechenbeispiel liegt also etwas über dem Median und gehört damit nicht zu den armen Familien.
Die EU definiert Armut folgendermaßen: Wer weniger als 70 Prozent des Nettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung hat, gilt als armutsgefährdet in sozialen Risikosituationen, wer weniger als 60 Prozent hat, gilt als allgemein armutsgefährdet, wer weniger als 50 Prozent hat, gilt als relative einkommensarm, und wer weniger als 40 Prozent hat, gilt schließlich als arm. WHO und OECD haben die Armutsgrenze mit 50 Prozent ein wenig höher definiert. Nach der EU-Definition wäre unsere Familie mit den zwei kleinen Kindern also ab einem Haushaltseinkommen von weniger als 3 062 Euro armutsgefährdet und nach WHO/OECD-Definition mit weniger als 2 188 Euro arm.
Armut ist in Deutschland politisch durchaus akzeptiert. Die Durchschnittsrente liegt mit 1 316 Euro bei Frauen sogar unter dem EU-Schwellenwert für die Armutsgefährdung. Und wir reden hier vom Durchschnitt und nicht von den Millionen Rentnern am unteren Ende der Rentenskala. Da kann es nicht verwundern, dass in Deutschland 13,2 Millionen Menschen, also 16,1 Prozent der Bevölkerung, armutsgefährdet sind.5 Besonders verbreitet ist Armut bei Alleinlebenden – hier gilt mehr als ein Viertel als armutsgefährdet. Und bei den Erwerbslosen sind es sogar mehr als die Hälfte.
Während es zahlreiche Studien zur Armut in Deutschland gibt, klafft bei den Studien über den Reichtum ein akademisches Loch. Sogar der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung trägt zwar den »Reichtum« im Titel, gibt jedoch nur sehr eingeschränkte Informationen über die wirklich Reichen preis. Das hat mehrere Gründe, der profanste lautet: Es gibt schlichtweg keine verlässlichen Daten zu den Reichen und Superreichen. Wer eine Sozialleistung vom Staat in Anspruch nehmen will, muss sich zuvor sprichwörtlich nackt machen und dem prüfenden Amt seine Einkommens- und Vermögenswerte bis ins kleinste Detail offenlegen. Der Staat weiß daher zwar nicht alles, aber doch sehr viel über die Armen im Lande. Über die Reichen weiß er jedoch so gut wie nichts und will daran offenbar nichts ändern.
Eine der wichtigsten Datenquellen des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung ist die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Bundes und der Länder (EVS), die alle fünf Jahre vom Statistischen Bundesamt und den Statistischen Landesämtern durchgeführt wird. Datenquelle sind rund 60 000 Privathaushalte, die repräsentativ für die gesamte Bevölkerung sind und freiwillig an dieser Befragung teilnehmen. Als »finanzielle Anerkennung« für ihre Antworten erhalten sie 60 Euro. Die so gewonnenen Erkenntnisse mögen einen Überblick über Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller geben, für Studien zur Vermögensverteilung ist diese Studie jedoch nicht zu gebrauchen. Oder können Sie sich vorstellen, dass Frau Klatten (BMW), Herr Schwarz (Lidl) oder die Familie Porsche (Volkswagen) freiwillig an einer ausführlichen Befragung teilnehmen, für die sie mit sagenhaften 60 Euro entlohnt werden?
Dies betrifft nicht nur die superreichen Milliardäre. Die EVS hat ein allgemeines Problem mit den Wohlhabenden, die sich kaum darum reißen, den Statistikbehörden Informationen über ihre Habseligkeiten zu geben. Daher hat das Statistische Bundesamt bei der Auswertung der Daten eine sogenannte »Abschneidegrenze« eingeführt: Haushalte mit einem Einkommen von mehr 18 000 Euro netto pro Monat werden bei der Auswertung der EVS überhaupt nicht berücksichtigt. Die offizielle Erklärung dafür ist, dass diese Haushalte »in der Regel nicht in so ausreichender Zahl an der Erhebung teilnehmen, dass gesicherte Aussagen über ihre Lebensverhältnisse getroffen werden können«.6
Laut Einkommensteuerstatistik7 gibt es allerdings mehr als 114 500 Haushalte, die über ein Jahreseinkommen von mehr als 265 327 Euro bei Alleinstehenden oder 530 654 Euro bei gemeinsam veranlagten Personen kommen und damit den Höchststeuersatz von 45 Prozent zahlen. Dazu kommen rund 27 400 Steuerpflichtige, deren Einkünfte die Million überschreiten. In beiden Fällen reden wir übrigens über das zu versteuernde Einkommen, also die Summe, die sich selbst von den in dieser Einkommensklasse sicher talentierten Steuerberatern und Anwälten nicht wegrechnen lässt. Einkommensmillionäre und Personen mit einem sehr hohen Einkommen jenseits der 18 000 Euro pro Monat sind also in der Tat eine kleine Gruppe. Wenn wir über Reichtum sprechen wollen, ist es kontraproduktiv, diese Gruppe statistisch außen vor zu lassen.
Trotz ihrer vergleichsweise großen Stichprobe von rund 60 000 Haushalten ist die EVS somit für die Untersuchung von Reichtum nicht repräsentativ, da sie die wirklich Wohlhabenden der Republik nicht erfasst. Wer die einkommensreichen Haushalte nicht in seine Untersuchungen aufnimmt, kann auch keine validen Aussagen zur Vermögensverteilung aufstellen.
Die EVS hat weitere methodische Schwächen. So wird bei dieser Untersuchung beispielsweise das Betriebsvermögen gar nicht erst abgefragt, das jedoch anderen Studien zufolge besonders für die obersten 10 Prozent der Vermögensskala einen elementaren Vermögenswert darstellt. Sämtliche Studien über Einkommen und Vermögen, die sich auf die Daten der EVS berufen, sind daher ziemlich wertlos. Das gilt insbesondere für den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der jedoch genau diesen Anspruch erhebt.
Auch die zweite große Studienserie des Statistischen Bundesamts ist nicht geeignet, um Licht ins Dunkel der Vermögensverteilung zu bringen. Der jährlich durchgeführte Mikrozensus ist der Tyrannosaurus Rex des Statistischen Bundesamts. Neben den nur selten stattfindenden Volkszählungen kann der Mikrozensus mit einer Teilnehmerzahl von mehr als 390 000 Haushalten (1 Prozent aller Haushalte) auf einen riesigen Datenpool zurückgreifen. Anders als bei der EVS ist die Teilnahme am Mikrozensus nicht freiwillig, sondern gesetzlich vorgeschrieben. Dafür gibt es für Teilnehmer keine 60 Euro Teilnahmeprämie, sondern Bußgelder für diejenigen, die den amtlichen Datenstaubsaugern keine Informationen geben. Haushalten mit einem Millionenvermögen dürfte die Strafe, die in der Regel wenige Hundert Euro beträgt, aber relativ egal sein. Für Fragen der Vermögensverteilung ist dies aber belanglos, da im Mikrozensus überhaupt keine Fragen zum Vermögen gestellt werden.
Es ist eine Schande, dass der Staat offenbar nicht das geringste Interesse daran hat, Licht ins Dunkel der Vermögensverteilung zu bringen. Aufgabe des Statistischen Bundesamts und der Landesämter für Statistik ist es, der Politik die notwendigen Daten zur Verfügung zu stellen, die benötigt werden, um sinnvolle Gesetze auf Basis verlässlicher Zahlen zu verabschieden. Wie will der Gesetzgeber sich aber dem Problem der Verteilungsungerechtigkeit stellen, wenn er ausgerechnet hierzu über keine Zahlen verfügt? Da liegt der Verdacht nahe, dass die Blindheit der Ämter und des Staats gewollt ist. Seit Jahrzehnten lautet das steuerpolitische Mantra der verschiedenen Bundesregierungen, man wolle die Einkommen lieber geringer und nicht etwa höher besteuern. Sobald irgendwo im politischen Diskurs der Ruf nach einer Besteuerung von Vermögen aufkommt, wird er sogleich im Keim erstickt. Diplomatisch formuliert könnte man wohl sagen, dass diese Debatten unerwünscht sind. Und zur Verhinderung dieser Debatten ist es nützlich, wenn es erst gar keine verlässlichen Statistiken gibt. Wenn man das Problem nicht sieht, muss man es auch nicht lösen. Die Lobbyisten der Reichen haben sehr erfolgreiche Arbeit geleistet.
Wer bessere Informationen zur Vermögensverteilung sucht, wird beim Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) fündig. Das SOEP ist eine unter 12 000 Privathaushalten seit 1984 jährlich durchgeführte Panelstudie. Das heißt, es werden, wenn möglich, immer dieselben Haushalte befragt, um zeitliche Entwicklungen transparent zu machen. Qualitativ ist das SOEP wohl der Goldstandard der sozioökonomischen Studien in Deutschland.
Perfekt ist das SOEP für Fragen zur Vermögensverteilung jedoch nicht. Das fängt bei der Qualität der Daten an. Da die Teilnahme am SOEP ebenfalls freiwillig ist und die Antworten der Teilnehmer nicht kontrolliert werden können, besteht die Gefahr, dass vor allem von den Reicheren bestimmte Vermögensposten »vergessen« werden. Wer würde in einer Befragung des DIW schon angeben, dass er Schwarzgeld in der Schweiz gebunkert hat oder auf den Caymans einen Trust unterhält, um Steuern zu »sparen«? Das Bundesfinanzministerium geht in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion davon aus,8 dass deutsche Steuerhinterzieher mindestens 222 Milliarden Euro in sogenannten Steueroasen gebunkert haben. Diese Vermögenswerte sind real, werden jedoch in keiner Statistik zur Vermögensverteilung erfasst.
Da die Teilnahme am SOEP also freiwillig ist und die Vermögenskonzentration bei einer kleinen Gruppe von Superreichen durch statistische Stichproben auf freiwilliger Basis kaum zu erfassen ist, leidet auch diese Erhebung daran, keine stichfesten Daten zu haben. Im Jahr 2002 wurde das SOEP daher um eine zusätzliche Teilstichprobe von 1 224 Haushalten mit einem Einkommen von mehr als 4 500 Euro erweitert. Dennoch bleibt das grundsätzliche Problem, dass äußerst wohlhabende Haushalte nicht unbedingt dafür bekannt sind, freiwillig an Befragungen von Sozialforschern teilzunehmen, und auch das SOEP daher Lücken im obersten Vermögensbereich vorweist.
Am SOEP für das Jahr 2007 haben nach Informationen des DIW 75 Personen teilgenommen, die über ein Vermögen von mehr als zwei Millionen Euro verfügen, und 20 Personen mit einem Vermögen von mehr als fünf Millionen Euro – der wohlhabendste SOEP-Teilnehmer gab dabei ein Vermögen von weniger als 50 Millionen Euro an. Nun lesen freilich auch die DIW-Forscher die »Liste der 500 reichsten Deutschen«, die jährlich vom Manager Magazin herausgegeben wird. Zusammengenommen verfügen die laut Manager Magazin 500 reichsten Deutschen über ein Vermögen von 1 093 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Als ich 2014 die Erstausgabe von Wem gehört Deutschland? schrieb, waren es nur 528 Milliarden Euro. 1 093 Milliarden Euro entspricht übrigens rund 27 000 Euro pro deutschem Haushalt! Das ist mehr, als der deutsche Durchschnittshaushalt überhaupt besitzt! Allein die 500 reichsten Deutschen besitzen somit mehr als die rund 40 Millionen Deutschen der unteren Hälfte der Vermögensskala.
Für eine Sonderauswertung zur Vermögenssteuer hatte das DIW daher im Jahre 2011 seine Daten mit den öffentlich bekannten Daten der Superreichen ergänzt und kam so zu einem Ergebnis, das wohl – allen methodischen Schwächen zum Trotz – der tatsächlichen Vermögensverteilung schon ziemlich nahekommt.9 Dazu ist jedoch auch anzumerken, dass die Liste des Manager Magazins nicht vollständig ist. Die im Dezember 2023 ausgestrahlte ZDF-Dokumentation Die geheime Welt der Superreichen. Das Milliardenspiel ging der Sache nach und kommt zum Ergebnis, dass das Manager Magazin Vermögen im Wert von rund 500 Milliarden Euro nicht berücksichtigt hat. Es wird vermutet, dass rechtliche Gründe dahinterstehen – Superreiche haben nun einmal gute Anwälte.
2017 wurden die Studiendaten des DIW dann sogar um eine weitere Teilstichprobe erweitert.10 Diese Stichprobe erfasst erstmals die Haushalte, die relevante Anteile an Unternehmen besitzen. Dafür hat das DIW sich die Orbis Datenbank des kommerziellen Dienstleisters Bureau van Dijk vorgenommen, in der 1,7 Millionen Menschen mit Wohnsitz in Deutschland gelistet sind, die nennenswerte Anteile an einem Unternehmen weltweit halten. Aus dieser Gruppe wurde eine zufällige Stichprobe von 1 959 Haushalten ausgewählt, denen dann der SOEP-Fragebogen zuging. Diese erstmals erhobenen Daten haben für die Reichtumsforschung einen unschätzbaren Wert, da erstmals umfangreiche Daten zu den Vermögen der oberen 5 Prozent der Vermögensskala erhoben und ausgewertet wurden.
Eine Datenlücke gibt es jedoch selbst in dieser Sonderbefragung am obersten Ende der Vermögensskala. Daher habe ich für die Übersichtsdaten in den folgenden Kapiteln die Daten des SOEP samt Sonderstichprobe selbst mit den aktuellen Daten der Top-500 des Manager Magazins ergänzt. Das mag von der Methodik her zwar nicht harten wissenschaftlichen Standards entsprechen, gibt aber einen Einblick in die Vermögensverteilung, der der Realität ziemlich nahekommt.
Eine weitere brauchbare Quelle zur Analyse der Vermögensverteilung kam vor 15 Jahren von unerwarteter Seite. Als in Europa während der Finanzkrise die Banken wankten, bekam die EZB kalte Füße und stellte sich Fragen. Bekanntlich bilden Immobilienkredite und Hypotheken den Großteil der vergebenen Kredite. Welche Auswirkungen hätte nun aber ein Rückgang der Immobilienpreise um 10 Prozent? Wie hoch sind die Privathaushalte verschuldet, und welche Vermögenswerte besitzen sie, die herangezogen werden könnten, um die Verluste auszugleichen? Um solche Szenarien halbwegs seriös zu berechnen, braucht es Daten. Und nicht nur in Deutschland, auch in den anderen Euro-Ländern sind verlässliche Daten zu den Vermögensposten der Bevölkerung rar.
Um diese Wissenslücke zu schließen, beauftragte die EZB die nationalen Zentralbanken, die bereits 2006 umrissene gemeinsame Erhebung zu Vermögen und Finanzen privater Haushalte im Rahmen der »Household Finance and Comsumption Survey« (HFCS) durchzuführen. In Deutschland kam diese Aufgabe der Deutschen Bundesbank zu, die in Zusammenarbeit mit dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut infas 3 565 deutsche Haushalte ausgiebig zu deren Vermögensverhältnissen befragte. Die Ergebnisse fasste die Bundesbank erstmals im April 2013 zur Studie Private Haushalte und ihre Finanzen (PHF) zusammen. Mittlerweile ist diese Studie in die vierte Runde gegangen, im April 2023 wurden die Daten der vierten Befragung aus dem Jahre 2021 vorgelegt.11 Auch diese Daten sind in den jeweiligen Kapiteln dieses Buchs zu finden.
Die PHF-Studie hat ebenfalls deutliche Schwächen. Die Teilnahme an der Studie ist freiwillig, und als Dank bekommen die Teilnehmer eine 10-Euro-Gedenkmünze – sicher kein überzeugendes Argument für wohlhabende Haushalte, ausgerechnet der Bundesbank detaillierte Informationen zum Vermögen zu geben; schon gar nicht zu möglichen Schwarzgeldkonten.
Da arme Haushalte, die keine Immobilie besitzen und außer dem Dispo auf dem Girokonto mit dem Bankensystem nichts zu tun haben, für die EZB bei dieser Erhebung nicht sonderlich interessant sind, werden die wohlhabenderen Haushalte überrepräsentativ befragt. Die von der Bundesbank ausgewerteten Stichproben enthalten also mehr wohlhabende Haushalte, als es dem repräsentativen Schnitt entspricht. Dank dieses »Oversamplings« enthält die PHF-Studie jedoch recht detaillierte Informationen über die verschiedenen Vermögensposten der Haushalte. Doch sind zwar wohlhabendere Haushalte überrepräsentiert, aber die sehr reichen Haushalte sind unterrepräsentiert und die Reichsten der Reichen werden überhaupt nicht berücksichtigt. Dies sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Teilergebnisse der Studie zum Immobilien-, zum Geld- und zum Betriebsvermögen der Deutschen hochinteressant sind und dank ihres Detailreichtums eine sinnvolle Ergänzung zum SOEP darstellen.
Noch schwerer, als Vermögen auf nationaler Ebene zu messen, ist es, die nationalen Zahlen international zu vergleichen. Als mahnendes Beispiel kann eben jene PHF-Studie gelten, die in jeder ihrer vier Veröffentlichungsrunden zu absurden Reaktionen in Teilen der deutschen Medienlandschaft geführt hat. Obgleich das HFCS natürlich nie als Vergleichsstudie zwischen den Euro-Ländern gedacht war, werden die nationalen Ergebnisse in den Medien immer wieder als genau dies aufgegriffen. Nicht die dramatische Verteilungsungleichheit in Deutschland, die auch die PHF-Studie eindrücklich belegt, sondern die unsinnige Scheinerkenntnis, dass »die Griechen reicher als wir Deutschen« sind, geisterte bereits als Reaktion auf die erste Studienveröffentlichung durch die Presse. Sogar die seriöse FAZ konnte es nicht lassen und präsentierte ihren Lesern damals »unglaubliche Fakten«, die belegen sollten, dass die Deutschen die »Ärmsten im Euroraum« seien.12