Wer gut abschneidet, kastriert - Rolf Friedrich Schuett - E-Book

Wer gut abschneidet, kastriert E-Book

Rolf Friedrich Schuett

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Beschreibung

Romantik ist mehr als wilde Gespensterruinen im Mondschein und wanderlustige Sehnsucht in blaue Fernen. Das frühromantische Modell des Buches entwirft eine komplexe Konstellation aus Kunst und Wissenschaft, Poesie und Philosophie, Aphorismus und Essay, Fragment und Bezugssystem, Text und Kritik, Rhetorik und Logik, Ästhetik und Metaphysik, Religion und Reflexion. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage

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INHALT

Aphorismen zur Volksweisheit

Schräge Fehlzündungen

Rätselhafte Zwerg-Satiren

Spätlese der Frühromantik :

Wittgenstein

Religiöse Spruchweisheit

Nachwort zum Gesamtwerk

Ein Elektronengehirn philosophiert

Roman(t)ische Etyme und Ungetüme

Surrealistische Romantik

Frühe Sozialromantik?

Theolog(ist)ische Ästhetik

Parergon : Wunschbilder, Zerrbilder

Aphoristik zwischen Wissenschaft und Philosophie

Mm-oral oder Amor-Aal?

Jaspers auf Freuds Filosofa

Gnomologion, Florilegium, Satzgeflügel

Anhang 1

: Moralistische Breviers

Anhang 2

: Große Denker, große Liebe

Für meine Familie

Aphorismen zur Volksweisheit Schräge Fehlzündungen

„Priester, der jedes Paar kopuliert“(Jean Paul)

Man macht geistige Arbeiten nicht, weil man zufällig Talent hat. Eher umgekehrt. Wer damit anfängt, weiß in aller Regel nicht, ob sein Talent dafür ausreicht. Er weiß es auch am Ende nicht. Er weiß nur eins: Wenn etwas Brauchbares herauskommt, wird er ausreichend Begabung dafür gehabt haben. Er arbeitet weder für die unbekannte Nachwelt noch für die liebe Mitwelt, und würde auch durchhalten, wenn er die Garantie hätte (die es zum Glück nie gibt), dass niemand sich je für die Ergebnisse seiner Bemühungen interessieren wird. Ein bisschen Abwechslung in Spiel und Spaß, Konsum und Komfort nimmt so einer gern mit, wenn sie sich zufällig bieten, aber das genügt ihm nicht, und er würde nie sehr viel dafür tun. Wenn zu entscheiden wäre, fiele ihm die Wahl gar nicht schwer. Und diese Arbeiten haben entweder gar keinen Sinn oder ihren Sinn in sich selber und nicht in einem zweifelhaften und unerlebbaren Nachruhm oder praktischen Nutzen. Die Frage ist : Hat einer umsonst gelebt? Ein Leben ohne solches Arbeiten kommt dem, der es mit diesem Arbeiten versucht hat, eher fade, albern und sinnlos vor. Kurzum : Am Anfang steht gar kein mysteriöses Naturtalent, sondern immer neue Verwunderung, bohrendes Wissenwollen und ausdauernde Besessenheit (die Platon eine mania nannte). Das ist alles, und man macht das, wenn man nichts Besseres kann. Der Sinn des Lebens ist geistige Durchdringung der Welt, nicht sinnlicher Drang, und dann Rechenschaft und Zeugnis abzulegen von dem, was man gesehen hat oder eben gesehen haben will.

Die Seele ist nicht der Innenarchitekt der Gedankengebäude.

Der Unfreie schmeichelt sich damit, was er in Freiheit alles könnte. Der Freie hat diese Ausrede nicht.

Fahr ins Blaue, triff ins Schwarze. Talentlosigkeit ist die Gabe, sich trotzdem für fähiger zu halten.

Genies genieren sich vor dem Genius und den Genien.

Wie, wenn mehr physikalische als logische Gesetze die gleichen wären in allen möglichen Welten?

Der Nimmerhungrige ist der wahre Nimmersatt.

Wer mehr erlebt, stirbt eher : Wer sein kurzes Leben länger erleben will, muss sich mehr langweilen.

Um Geldtöpfe an seinen Enden zu finden, darf man auch den Regenbogen nicht überspannen.

Innen- und Außenwelt verändern sich, ihre Logik nie?

Mancher gibt sich schneller zufrieden, um seine Gefühle und Gedanken loszuwerden.

Der Aphorismus ist ein unübersetzbarer Satz, der uns entsetzt und zusetzt und sich nicht durchsetzt, ganze Aufsätze ersetzt und Unwahrheiten vor- und nachsetzt

Die Realität der Welt ist so unabhängig von uns wie ihre logische Form im Kopf.

Ein Erzähler ist umso besser, je stärker und vitaler er Gegenspieler wider die Hauptfigur macht, ihn selbst.

Wenn der Wille von Widerstandskämpfern unfrei ist, ist ihr Kampf von vornherein vergeblich.

Homo-Hype schafft die Homophobie, die er anklagt.

Wer den Ellbogen überspannt, bricht das Recht, nicht das Faustrecht.

Das Ziel der Geschichte : zu begreifen, dass sie keins braucht. Das Schicksal ist der Zufall, mit der Mittelmaß sich durchsetzt, als wäre es höchste Absicht.

Wachstum wurde Verwesung alles Wesentlichen.

Ein Generaldirektor ist kein Leitungs- und Weisungsspezialist.

Die Ahnen hatten keine Ahnung, sie wussten alles.

Ich hasse Fehler und liebe Tugenden, ich liebe dich trotz deiner Stärken und wegen deiner Schwächen.

Zieh deine Ökobilanz! Ich bin in der Praxis weitaus „grüner“ als die Berufsumweltler in der Theorie.

Menschen schaffen Worte, um die Welt zu erfassen; der Ewige erschafft Welten, die Sein Wort erfassen.

Der Angsthase flieht so weit, bis er sich einen Löwen dünkt.

Liebt die Wirklichkeit schon, wer wirklich liebt?

Ein Leben verläuft so planlos, als wäre das geplant.

Die Sprache naht und weicht und wehrt der Sache.

Mir zu geben, sollte dir mehr geben als nehmen.

Wer Geld erhält, erhält das Finanzsystem.

Die beste Stütze des Wahren, Guten und Schönen ist das Falsche, Schlimme und Hässliche bei anderen.

Hübsches Bild aus hässlichen Details oder ekler Harem aus schönsten Frauen: Immer eine andere Einheit, doch immer derselbe Unterschied voneinander, unbegreiflich griffig und doch ungreifbar fasslich …

Schwankst du zwischen Angst, die nicht spannend ist, und Langeweile, die nicht sicherer macht?

„Die kurzen Wörter sind die schwierigsten.“

(Gilbert Keith Chesterton)

Flieht die Bibel aus ewigem Naturkreislauf von Fressen und Gefressenwerden zu unplatonischen Ideen?

Alles Schöne muss, alles Schlimme soll vergehen.

Was einst die Zeit tat, tut nun der Mensch : sich und alles verändern.

Zusammenarbeit in einem Werk ersetzt keine Arbeit an einem Werk.

Sich aus Köpfen nichts zu machen, macht noch keinen besonders guten Kopf.

Ist es ein Abgrund, dass es für alles Gründe gibt?

In der Masse geht man nicht auf wie die Sonne, eine Blume, Rechnung oder Tür.

Wem du nicht traust, dem traust du alles zu, und dir nicht zu, dich ihm anzutrauen.

Menschenspringfluten in den Hütten : Menschensintfluten gegen Paläste.

Ist es dumm, sich für klug zu halten, oder intelligent, unter der eigenen Dummheit zu leiden?

Im Allgemeinen stimmt fast alles, im Einzelfall fast gar nichts.

Macht der Mache. Händler wurden Handelsobjekte.

Heute wirken Gene veränderbarer als Gesellschaften.

Es gibt Sinfonien aus Disharmonien und Missklang diverser Symmetrien.

Seit Platon bewies die Vernunft einen Gott, der sich widerlegen lässt. Seit Kant macht sie uns erfahrener, bis uns Erfahrung unvernünftiger macht.

Was ich will, muss ich wollen, und nur was ich soll, kann ich selber wollen.

Einst war Handeln brauchbar und Grübeln unnütz. Nun werden die Theorien praktikabel und große Taten immer theoretischer.

Ein vernünftig gewordener Gott vergöttert und vergötzt meine Vernunft.

Welches Gewissen fordert, dass das Gewissen uns mehr abfordert als Gewissheit?

Sperrt alle ein, die euch ausschließen wollen, und sperrt aus, die euch einschließen können.

Die Hymen und Hoden steigen zu Haupte, das Hirn rutscht in die Hose, wenn kein Herz vermittelt.

Das beste Geburtstagsgeschenk ist die Erinnerung, das Licht der Welt zu erblicken, ohne jährlich neu geboren zu werden.

Gottes Gaben sind oft Gifte oder Strafen und Gerichte oft Geschenke.

Vulgär ist nur eines nicht, das gemeine Volk.

Die Erde ist nie von Menschen übervölkert, sondern immer von Bakterien, Unmenschen und Undingen.

Unglück liegt eher in Armweite als in Reichweite.

Man sieht alles im blendenden Licht der Welt, das man erblickt, ohne ihm ins Auge sehen zu können.

Wissenschaftler sind hohe Tiere, die in Zoogehegen besser gedeihen als in freier Wildbahn.

Wer mit der Welt fertig ist, wird nicht mit ihr fertig.

Dein Innerstes, gleicht es wirklich dem innersten Kern der Dinge hinter ihren Fassaden, oder bist du dir selbst der Fernste?

Götzendiener vergessen das Wesen über seinen Erscheinungen, doch die Objekte über ihrem Begriff.

Kann man willenlos oder unwillig sein wollen?

Als Natriumchlorid ist Salz noch nicht verschwunden.

Kunst erinnert dich, dass du seit dem 3. Lebensjahr alles und dich vergessen hast.

Wer die Bibel für ein Märchenbuch hält, sollte mal ein Sagenbuch zu seiner Bibel gemacht haben.

Die wichtigsten Dinge auf der Welt sind die idealen, die es dort nicht gibt.

Kommt einer zu Bewusstsein, ist das Sein das Seine?

Der Idealist scheut des Leibes Leid, nicht dessen Lust. Auch der Christ hofft auf unsterbliche Seele in einem „neuen Leib“ (Paulus).

Revolution eilte von Unterschicht über Unterbewusstsein zu Unterleib und endete in Unterwelt & Überbau.

Ich kann nicht wollen, was ich weiß, aber wissen, was ich wollen muss.

Nur der Kopf ist allgemeiner Geist im einzelnen Leib.

Dien keinem Dienst und Verdienst, hab ausgedient und sei bedient!

Bräuche werden unbrauchbar, und wozu ist Nützlichkeit gut?

Kunst informiert durch Form darüber, dass sie über nichts informiert.

Auch die subjektive Wahrheit kommt als Versuch des Kopfes daher, dem Wahnsinn zu entkommen.

Wer überall auf meisten Nutzen sieht und setzt, nützt allen am wenigsten.

Heidegger war der größte Philosoph des 20. Jahrhunderts, weil er sich denken musste, dass er nachdenken kann, was ist, und an nichts dachte als ans Nichts.

Je besser Eva verdient, desto höher will sie heiraten, und liebt nur den Millionär, der die Teller wäscht.

Das Credo gibt Kredit und glaubt an höhere Zinsen.

Recht erlaubt, was es nicht verbietet; Moral verbietet, was sie nicht fordert.

Ich kann nicht tun, was ich will, aber nur wollen, was ich bin.

Kants Ding an sich ist nicht Wissen oder Willen, sondern das Gewissen als Ungewissheit.

Nur Freiheit, die du hast, fordert Freiheiten.

Die Natur sagt nicht „Ich“, sie hat mit uns nur eins gemeinsam : sie sagt „ E=m*c2“.

Ich weiß nicht, was ich will, ich will nicht, was ich weiß, aber weiß bald, was ich gewollt haben werde.

Eher wird Realismus zum Ideal als ein Ideal realisiert.

Der Sachzwang spricht dich frei, die Gewissensfreiheit nicht.

Lass dich frei, ohne frei zu wählen und zu handeln!

Höhlenmalerei war schon die dekadente Verfeinerung unserer Primitiven heute.

Freiheiten entstehen unfreiwillig, wo Gesellschaften schlecht funktionieren.

Manche halten das Gewissen für modische Gewißheit der Unwissenden.

Geschichte, Politik und Gesellschaft zeigen, was man hassen und fürchten müßte; Literatur, Philosophie und Religion sollten zeigen, was man pflegen und hoffen könnte.

Der Verstand sieht die Bestandteile, der Sentimentale den ganzen Zustand.

Ich verstehe mich mit dem, der mich schlecht versteht, nie schlechter als mit dem, der mich nur zu gut versteht.

Das Ewige ist immer ein Anachronismus, der uchronisch wurde oder urkomisch.

Lifting ist Dummheit, nur Klugheit ist Anti-Aging, das dich überleben kann.

Ein sinnlicher Mensch fühlt Grenzen seiner fünf Sinne mit und läßt sich nie dort ergreifen, wo er begreifen soll

Die Physik könnte den Wert haben, ein Leben zu erleichtern, das sich der Metaphysik widmet, die dem Leben wieder Gewicht gibt.

Christen waren Sklaven, die Sklaven befreiten. Nur Sklavenhalter sprechen Abtreiber frei.

Warum heißt es Konsum- und nie Industrieterror?

Zur Allgemeinheit taugt panische Gemeinplatzangst.

Wer sich Stärken einbildet, lässt sich Schwächen durchgehen.

Amoral, die so viel Mühe macht wie Moral, wird genauso umgangen.

Jeder wird ein Gefangener seiner uneinnehmbarsten Festung.

Der Fromme weiß Gott in der Geschichte, die sich aber in Gott weiß.

Ein schmaler Abgrund lässt sich überbrücken oder überspringen, aber kein endloser Abstand.

Kunst ist, was teurer ist als Kunstgewerbe, das teurer ist als Industrieprodukte, aber nicht immer mehr wert.

Der Zeitgeist langweilt sich schnell, da mit dem lieben Gott auch der Teufel entschwand.

Man muß sich dumm genug fühlen, um lernen zu wollen, und zugleich klug genug, um lernen zu können.

Objektivität und Ignoranz verdanken sich derselben Distanz zur Welt.

Man selektiert und mutiert ganz natürlich drauflos, doch Bestangepasste entwickeln sich nicht weiter und höher.

Wahrheit ist keine misslungene Lüge und Güte keine missglückte Bosheit.

In öffentlichen Bibliotheken landen oft die Bücher, die man im häuslichen Bücherschrank nie duldet u. u.

Die Welt rennt vor Religion weg, die ihr hinterher rennt.

Zu wenig Philosophie verwirrt, zu viel betäubt.

Wer sich von Zielen, Normen oder Eseln ziehen lässt, ist ebenso frei wie der, der sich von Genen, Trieben oder Menschen schieben lässt.

Wir halten uns für gleich, um uns nicht zu beneiden, und für ungleich, um uns nicht überflügeln zu müssen.

Integration bedeutet auch Verstrickung in Vernetzung.

Zu viel Literatur wird von ihren Gegnern geschrieben.

Zum Ursprung zurück kann unser Leben nur, wo es Ursprung neuen Lebens wird.

Die zweite Schandtat fällt leicht, die zweite Wohltat schon schwerer.

Begründen und ableiten lässt sich allein, was für das Leben ohne Bedeutung ist, wie logisch-mathematische Urteile.

Mächtige, nicht Ohnmächtige, hassen die Mächtigeren.

Wir schwächen unsere Stärken, die von Gott sind, wo wir Schwächen verstärken, die von uns sind.

Wer keinen Geist hat, hat zur Strafe wenigstens Geld.

Die Welträtsel löst nur, wer sie gar nicht kennt.

Ob man einen Menschen liebt oder hasst, man liebt seine Schwächen.

Wer nicht mit beiden Beinen auf der Erde steht, kann sie nun auch umkreisen.

Ewiges gibt es, weil die Weltgeschichte nur von außen zu bewegen ist.

Jeder versteht Mutter Natur, bevor Physiker sie ihm erklären.

Sinnliche und Besonnene einigen sich nie: der eine kennt nur Einzelheiten, der andere gar keine Einzelheit

Wer mein Über-Ich weniger rigide macht, löst meine Neurose nur auf, um mich in eine Psychose zu stürzen.

Man will sich Zusammenhängen einordnen, nicht Abhängigen unterordnen, aber ist das nicht das gleiche?

Wer sich nicht hinrichten lässt, lässt sich abrichten.

Das Universum kennt keine Universalien, die Gesellschaft keine Individuen.

Wahr ist nur die Generalisierung, daß keine wahr ist?

Glauben wir Gott so sehr, daß wir Seine heilige Schrift gar nicht mehr nachdenken zu müssen glauben?

Die Industrie liefert immer kurzlebigere Dinge für immer langlebigere Leute.

So tief Ängste vor dem Unterbewußten auch sind, sie besänftigen noch tiefere Ängste vorm Übernatürlichen.

Materielle Sucht kompensiert oft religiöse Sehnsucht.

Meine Freiheit ist der Zwang, sie durch deine zu begrenzen.

Hirngespinste mögen nackte Realität ebenso verfehlen wie wahre Werke von Hoden und Hintern übertreffen.

Der Reiche denkt nicht an das Gute, das er tun könnte, der Arme aber an das viele Böse, das er nicht tun kann.

Welcher Mensch ist nur ein arithmetisches Mittel aus Übermensch und Untermensch?

Klio, die Muse der Geschichtsschreiber, würde nie auf das kommen, was Menschen so planen — u. u.

Wichtiges darf nur geringschätzen, wer dafür nichts Nichtiges hochschätzt.

Der Christ liebt Nächstbessere wie Nächstniedere.

Wissenschaft kennt nicht Philosophie, die sie selber enthält, und Philosophie nicht die Wissenschaft, für die sie sich selber hält.

Mancher Satz (über)trifft die ganze Welt, manches Buch verfehlt wichtige Details.

Fast alles endet mit seinem Ursprung und beginnt mit seiner Vollendung.

Deine Vernunft ist die Tochter deiner Feinde, doch dein Verstand nicht die Mutter deiner Freunde.

Christentum ist keine Autoimmunkrankheit, Christen können mein und dein gut unterscheiden.

Man kann praktisch keine Werte realisieren, sondern nur hoffen, daß seine Praxis einmal einen Wert bekommt.

Nicht einmal wahres Genie entschädigt für falsche Gesinnung, doch rechte Gesinnung für ein schlichtes Gemüt.

Was determiniert (oder befreit) jemanden dazu, Determinismus oder Willensfreiheit anzunehmen?

Aus Philosophie entstand Soziologie, als die Einzelnen vergingen, und Psychologie, als deren Einheit zerging.

Geistliche leben in einem Orden, Zeitgeister für einen Orden.

An Hildegard von Bingen interessiert gerade noch ihr Kräuterbuch.

Man hört vor allem dem zu, den man gleich in Grund und Boden reden will.

Haben Bessere und Größere ein Recht auf Gleichheit?

Hättest du nicht so viel Genie, dächtest du wie Kant.

Wer macht die Natur nicht kulturgetreu nach?

Der Mensch ist mehr als das Tier durch die Erkenntnis, nicht viel mehr zu sein.

Wer gesellschaftliche Verschleierungen hasst, hat zufällig einen schönen Körper oder das nicht nötig.

Der Sklave kann das Licht anknipsen, ohne etwas von Elektronen zu verstehen.

Nicht ewige Religion macht den nackten Körper fix und fertig, sondern ewiger Fitness-Sex.

Unteres und Niederes, das allem Hohen und Hehren zu Grunde liegt, kommt auch vom Allerhöchsten.

Philosophie blüht unter Desinteressierten und welkt unter Aktivisten.

Erkenntnis lässt die Theorie einer Erfahrung durch die Erfahrung einer Theorie bestätigen / widerlegen.

Dass Vernunft mal Triebe steuert, gilt als triebgesteuert.

Nicht mehr Verpöntes wird gleich bei Strafe befohlen.

Wer hat ein persönliches Interesse daran, hinter edlen Absichten lediglich persönliche Interessen zu entdecken?

Reiche lieben Kunst engagiert, Arme l'art pour l'art.

Philosophen denken und Dirnen lieben um Geld.

Der Praktiker macht sich zum Opfer der Theorien, die er nicht kennt.

Wer eine jede Voraussetzung als Schlussfolgerung und jede Konsequenz als Prämisse nimmt, will sein Denken in keinem Gedanken zu Ende bringen.

Gegensätze ziehen sich an.

Nach der Vereinigung stoßen sie sich ab.

Wer alles sagt über alles, was selber gar nichts sagt, ist noch kein Philosoph.

Das Patriarchat bekämpft nur Mamakinder.

Mancher fühlt sich den Großen schon verwandt, weil er nur ihre kleinen Schwächen teilt.

Seit Karl Marx sind Proletariermassen zu Kleinbürgerschichten glänzend verelendet.

Außenwelt und Innenleben unterscheidet man erst, seit Natur- und Kulturwissenschaften sich getrennt haben.

Der Kluge weiß, wer der Dumme ist; der Dumme weiß nicht, wer nicht dumm ist.

Bevor Industrie demokratisiert wird, ist die Demokratie längst automatisiert.

Heutige Feinde befreien uns von gestrigen Gegnern.

Um nicht mehr von Schuld und Sühne sprechen zu müssen, reden wir gern nur noch von Ursache und Wirkung.

Ist ein Christ gedemütigt durch seine und stolz auf deine Erfolge?

Wirkt strafmindernd, wenn Untäter unschuldige Kinder zeugen?

Das Buch führt auf Papier seine Selbstgespräche so, daß wir eigene Selbstgespräche zu lesen glauben.

Man erinnert sich nicht an seine schöne Jugend, sondern an ihre erfolglosen Sehnsüchte.

Erbaut Gott durch Vernichten oder vernichtet Satan durch Bauwerke?

Demokratie ist umso hochwertiger, je minderwertiger ihre Wähler und Gewählten wirken.

Abstrakte Kunst ist mir zu privat, nicht zu hoch.

"Gott ist tot, und den Teufel gibt es nicht", sagt dieser.

Nicht jeder kann sich einsperren in die Befreiung von seinen Launen.

Mich zu überzeugen heißt, mir meine eigenen Ansichten zu beweisen.

Wir beweisen heute nicht mehr, daß Gott existiert, sondern daß dieser Begriff einen Sinn macht.

Dogmen sind toleranter gegen abweichende Gedanken als gegen windelweiche Gedankenlosigkeit.

Religion heißt heute nicht viel mehr, als daß Sündigen sich auszahlt.

Dem Mächtigen neidet man die Schandtaten, die er begeht, und nicht die Wohltaten, die er vollbringen könnte.

Menschenfischer fangen nun mit sozialen Netzen (auf).

Tiere will frei sehen, wer von Menschen nicht frei ist.

Wer Menschen erbauen will, muss zuweilen eine Welt zerstören — und umgekehrt.

Am leichtgläubigsten ist stets der ungläubige Thomas.

Ideen müssen sich vor keinem Menschen verantworten, der sich vor ihnen zu verantworten hat.

Der Avantgardist sieht die heutige Kultur schon als künftigen Kitsch.

Industrialismus gilt als technische Imitation der Zukunft und fortschrittlichste Erfindung der Tradition.

Todsünden geben sich als Heldentaten aus und Kerkerstrafen für Luxusreisen.

Damit deine Siege etwas wert sind, musst du deine Gegner mehr als respektabel finden.

Gemeinschaft wird meistens von wenigen Einzelnen gebührenpflichtig veranstaltet.

Früh krümmt sich, was kein Rückgrat werden will.

Wahre Liebe : Mein gesunder Geist in deinem gesunden Körper – und umgekehrt.

Freiheit tut nicht, was sie will, sondern findet, was sie guten Gewissens ungestraft wollen kann.

Die Früchte der Arbeit sind ein Segen von oben. Zum Warten auf Eingebung genügt schon Selbstbewusstsein.

Die Entropie der Natur begünstigt göttliche Vorsehung und menschliche Subjektivität zugleich.

Naturwissenschaft gilt als Theologie der Industrie.

Im Materialismus wirken unsere Klamotten freier und beseelter als wir selber im Idealismus.

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Wer die Ausnahme von der Regel sein möchte, darf kein Individualist sein.

Ein Aphorismus kann mangelhafter als jedes Buch seine Mängel kaschieren.

Wer das Böse bekämpft, wird zum Teufel.

Wer es nicht bekämpft, geht zum Teufel.

Durch welche und gegen welche Normen wird man normal?

Älter werden heißt, immer mehr Sprichwörter bestätigt zu finden.

Ewigkeit besteht nicht aus unendlich vielen Zeitpunkten, die Zeit aber aus endlich vielen Ewigkeiten.

Die Kosten des Kapitalismus hindern, jene Kosten des Industrialismus zu sehen, die er mit Sozialismus teilt.

Ändere stets deine transzendentale Welt und nie die transzendente.

Machen Besserungsanstalten Anstalten, sich mal zu bessern?

Die Gemeinschaft lebt in ihrer Gemeinde, der Eigenbrötler in der Welt.

Was ist leichter beim Lieben, Sexualhemmungen abzubauen oder Aggressionshemmungen aufzubauen?

Der Zeitgeist tut ganz so, als sei es viel schwerer, seine Triebe ganz auszuleben als sie nur etwas aufzuschieben.

Riesenkatastrophen sind für so manche Zwerge auch Genugtuungen.

Liebe deine Feinde – aber erst nach deiner (oder ihrer) Niederlage.

Welche Zwänge muss ein jeder erdulden, um seine Freiheiten genießen zu können, doch wie frei darf er sein, um sich in die Schranken seines Schicksals weisen zu lassen?

Man verachtet, wen man belügt, und betrügt, wen man verachtet.

Zivilisation ist voller Chaos und Chaoten, die Wildnis voller law and order.

Wer nicht den gläsernen Bürger will, fordere nicht den gläsernen Staat.

Kinder wollen groß werden, so groß wie Alte, die wieder kindisch werden.

Das Genie erreicht als erster ein Ziel, das später mal alle hinter sich lassen werden.

Alle Revolutionen wollten Befreiung von unrentableren Formen der Ausbeutung.

Als der mittelalterliche Mensch noch im Mittelpunkt des Alls stand, sah er sich als ein Nichts vor seinem Schöpfer. Seit er sich nur noch als Staubkorn im Unendlichen weiß, fühlt er sich aber als Herr der Natur.

Etwas wird so oft widerlegt, bis seine Wahrheit bewiesen scheint.

Gutes gibt es auf der Welt, damit Böses sich nicht dafür hält oder ausgibt.

Liebe stürzt die Selbständigen und stützt die Unselbständigen.

Das Leben hat den Sinn, den man ihm nimmt.

Der bittersten Medizin wird ein schmerzloser Krebs leicht vorgezogen.

Der Schöpfer denkt, was er nicht ist, sein Geschöpf aber ist, was es nicht denkt.

Jede gute Theorie befördert einen Fortschritt und behindert den folgenden.

Für Kultur war man einst zu arm und ist man nun zu reich.

Wer seine Ziele erreicht hat, hat gewöhnlich noch ein Ziel : den Ursprung. Aber nicht mehr im Rücken.

Wenn wir etwas feststellen oder entscheiden, ist die Welt längst weiter und vorbei.

Wieviel Originalität ist nur misslungene Imitation?

Man will für das Gemeinwohl mehr wirken als für den Willen der Mehrheit.

Am lautesten lachen stets die Lächerlichsten.

Lerne Judo, um im Notfall deine Leere verteidigen zu können.

Roman: Kunst gleichstarker Gegenspieler des Helden.

Die Reichen lassen den Armen nicht so reich werden, dass er nicht mehr arbeiten will und muss, aber auch nicht so arm, dass er nicht mehr arbeiten kann für sie.

Ist das Weltall ein Ganzes, oder hat ein einziges Elektron eine Individualität?

Werden Delikte von Reichen legalisiert, um mit den Steuern die Gefängnisse für Arme zu finanzieren?

Ordnung in Wildnisse bringen nur die Allerwildesten.

Arme flüchten vorm Krieg der Reichen, Reiche vorm Krieg mit Kinderreichen, Geistreiche vor Geschlechterkriegen.

Entscheide dich, was du alles nicht selbst entscheiden kannst und willst. Sartre konnte nicht entscheiden, ob er alles selbst entscheiden wollte.

Arme Kinderreiche flüchten vorm Krieg, um uns reiche Kinderlose zu bereichern. Wir exportieren dazu das Kriegsgerät.

Komiker als Gnomiker? Wer nicht nachdenkt, denkt an nichts, doch noch nicht ans Nichts, und wer dir nachdenkt, macht dir keine Gedanken.

Alle Religion lebt vom Tod aller und stirbt nicht an deren Leben(digkeit).

Alle, die täglich im All leben, leben nicht alltäglich.

Arme und Schwache haben nichts miteinander gemein als die an ihnen verübten Verbrechen.

Theorie soll heute der Erfahrung helfen, Praxis ihr widerstreiten.

Füll ein ganzes Meer in die Weinflasche und wirf die Flaschenpost ins Meer.

Kapitalismus. Ich bekämpfe ihn nicht. Ich kaufe nur nichts.

Wir sterben aus. Wir exportieren Kriegszeug.

Wir kriegen Flüchtlingsfluten.

Reiche sind sicher vor Kriegsterror, Arme vor Konsumterror.

Rätselhafte Zwerg-Satiren

Der Philosoph will meine falschen Klarheiten verwirren, um begründetere Klarheit zu gewinnen. Er ist bedeutend, wenn er nur dadurch deutbar ist, daß er undeutlich macht, was eindeutig schien, indem er etwas mehrdeutig macht, damit es nicht zweideutig bleibt. Für den Bruchteil einer Sekunde wenigstens raubt er, wenn er etwas kann, dem Leser die Fassung, überrascht ihn mit einer Abweichung vom Geltenden, die sich so schnell nicht abweisen läßt, macht ihn schwankend, ob das Rätsel zu lösen sei, und der Coup gelingt, wenn die Irritation permanent und ein Pfahl im Fleisch des Lesers bleibt, der nur noch Gründe für die Unlösbarkeit des Rätsels suchen kann. Diese »Unstimmigkeiten« sind nicht nur subjektive, sondern auch objektive.

Nach Franz Mautner besteht der Aphorismus aus »Einfall und Klärung«, also zweistufig aus intuitiver Eingebung und späterer intellektueller Verarbeitung. Freud sprach einige Jahrzehnte früher von vorbewußtem Material, das für einen Augenblick der Überarbeitung durch das Unbewußte überlassen werde, bevor das Resultat sich in eine Form bringe, die der Realitätsprüfung wie der Gewissenszensur genügt. Die pointierte Fassade solle dem unbewußten Tabubruch das Anstößige nehmen, ohne ihn rückgängig zu machen, und uns mit ihm versöhnen. Das sei keine hinter unserem Rücken ablaufende Kompromißbildung zwischen Es und Über-Ich wie im Traum, sondern eine elegante und soziale Befriedigung beider divergenten Ansprüche zugleich. Wenn diese »Witzlust« nicht gleich »abgelacht« wird, bleibt sie als Lust zum philosophischen Weiterdenken noch verfügbar. So etwas wie eine Psychoanalyse des philosophischen Aphorismus wäre dort anzusiedeln, wo Freud zwischen leichtverständlichem Witz und kopfzerbrechendem Rätsel unterscheidet. Der Aphorismus, der die vorbewußte Sprachpointe und unbewußte Sachpointe sinnig verknüpft, verschafft Lust und fordert dennoch zum Nachdenken heraus, weil er Denkarbeit verlangt und trotzdem Vergnügen macht an der Düpierung der Zensurinstanz, die über die Einhaltung der Denk- und Sittenschablonen, der Gefühlsstereotype und Vorurteile wacht. Der Aphorismus unterscheidet sich vom Witz durch den größeren Denkaufwand, den er dem Leser zumutet, und vom Rätsel durch die Auflösung, die er versteckt mitliefert und die sich dann doch regelmäßig als ganz ungenügend erweist. Hermann Schmitz hat die Struktur des Unbewußten als zahlunfähig »chaotische Mannigfaltigkeit«, die Struktur des Bewußtseins aber als »instabile« zwischen mehrdeutig chaotischer und numerisch eindeutiger Mannigfaltigkeit analysiert. Darauf läßt sich zurückgreifen, um das im Metaphorismus geistreich werdende Verhältnis zwischen unbewußt und vorbewußt begrifflich strenger zu fassen. Wenn der Traum ein (für andere witzloser) Witz im Schlaf ist, dann der Witz ein weitererzählbarer Wachtraum. Er entbindet nicht nur den Sinn im Unsinn der frühkindlichen Wortlust, sondern auch Lust an infantilen erotischen wie aggressiven Affekten, die sich hier Luft verschaffen und doch das soziale Gewissen zufriedenstellen oder elegant austricksen.

Adorno verteidigt im schneidenden Aphorismus ein Kastrationsmesser und kein Beschneidungsmesser. Der Spruch wird zum Ein-Spruch gegen Hegels postödipale Versöhnung von Vater und Sohn, die die fruchtbare eheliche Vereinigung von männlichem Begriff und weiblichem Liebesobjekt ermöglicht. Adornos schneidender Aphorismus will die (bürgerlich ausphantasierten) Väter kastrieren, um zu den Müttern heimzukehren. Er kündigt die Kumpanei des Geistes mit dem vermeintlichen »Machtwillen« der Väter auf und bekämpft dann geistreich einen patriarchalischen Zeitgeist, den es gar nicht gibt. Vielleicht ist es kein Zufall, daß er sich lieber nach seiner korsischen Mutter Adorno als nach seinem askenasischen Vater Wiesengrund benannte. Seine Affirmation der »bestimmten Negation« bewaffnet das Bündnis des Einzelkindes mit seiner Mutter (Natur) gegen das Prinzip Vater, aber bekämpft den vermeintlich väterlichen Machtwillen nicht durch Willenlosigkeit, sondern durch mächtigen Unwillen.

Den Machtwillen der Zwangssysteme bekämpft ein aphoristischer Machtwille, der geistreiche Ohnmachthaber attackiert die Macht der Dummheit. Der Aphoristiker akzeptiert, was jeder an seiner Stelle ebenso gut sagen könnte, aber er leugnet, daß es wichtiger als das ist, was nur er sagen kann. Jeder ist dazu bestimmt, sich selbst zu bestimmen, und bestimmt sich dann meist nur dazu, über sich selbst bestimmen zu lassen. Die Gesellschaft bewegt mich zur Selbstverantwortung, und dann bin ich so frei, mich zum Produkt der Gesellschaft zu machen. Jeder Aphorismus registriert auf engstem Raum den plötzlichen Zusammenprall zwischen Einbildungskraft und Urteilskraft, zwischen dem Geschöpf und seiner Selbstschöpfung, zwischen dem, was ich selber gebe, und dem, was sich daraus anderes ergibt, zwischen dem, was ich wohl will, und dem, was die Welt aus dem macht, was ich aus mir selber mache. Den Aphoristiker trennen vom Existenzialisten die objektiven Befunde und vom Positivisten die subjektiven Selbsterfindungen. Kants dritte kosmologische Antinomie über die „dynamische Causalität der Natur und aus Freiheit“ wird bei Fichte zum sukzessiven Wechsel von Abhängigkeit und Unabhängigkeit des Ich, von Endlichkeit und approximativer Unendlichkeit, von aktiver Tathandlung und passiver Leidenschaft. Jedes frühromantische Fragment ist ein zündender Witz aus der auf jeder Ebene sich erneuernden Ambivalenz von Bestimmtheit und Selbstbestimmung, ein Potenzgrad der Reflexion.

Durch die Art ihrer Aussage gibt die Ironie immer das Gegenteil zu verstehen, jeder Satz meint seinen Gegensatz mit und parodiert ihn zugleich. Fichtes endlose Reflexion zerbricht an ihrem ewigen Widerspruch von Ich und Nicht-Ich in unendlich viele Fragmente. Das Ich ist ein synthetisches Vorurteil apriori, das sich zu beweisen sucht und dabei nur reproduziert. Jeder Spruch ist eschatologischer Einspruch gegen den abschließenden Schiedsspruch des Jüngsten Gerichts.

Hegels »übergreifendes Allgemeines«, die Idee als dialektische Identität von Begriff und Realität, ist die Einheit von romantischer Ironie und naturwissenschaftlicher Empirie, also die (transzendentale) Subjektivität als Einheit von (empirischem) Subjekt und (empirischem) Objekt. Dadurch ist der aphoristische Teufel von der List der Vernunft in göttlichen Dienst genommen und die destruktive Ironie der Romantiker in der List der Vernunft gut aufgehoben, d. h. dekonstruiert, funktionalisiert und sublimiert zugleich. In Hegels »Phänomenologie des Geistes« werden die Frühromantiker moralisch schon so verdächtigt wie später im § 140 der Rechtsphilosophie, aber ihr »reines Gewissen der schönen Seele« bei aller vermeintlichen »Heuchelei« doch als epochale Schwelle zum »absoluten Wissen« gewürdigt. Der »verrückte« Novalis und der böse Tatmensch Napoleon verzeihen einander gut christlich, und die Romantik hebt sich auf in der griechischen Kunst, die dann ihrerseits über den gemeinen Menschen hinter erhabenen Theaterrollen überleite zum Menschen Jesus hinter dem göttlichen Christus, also zu Religion und Philosophie. Daß die romantischen Gnomiker alles frech verlachen, was ihm und seiner Zeit heilig ist, erregt Hegels lebenslangen Zorn, und er sucht die geistreichen Spötter mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, doch dabei treibt er seine eigene moralische Heuchelei so weit, sie moralische Heuchler zu schimpfen.

Schlegels ironisch selbstentfremdete Subjektivität soll ihre Einseitigkeit verlieren, indem sie mit der positivistisch entfremdeten Objektivität in einer dialektisch »übergreifenden« Subjektivität versöhnt wird, durch beide Extreme hindurch. Beide sind Idealisten, aber Hegels Subjekt weiß sein Objekt in sich, Schlegel aber ewig unerschöpflich außer sich, als Ideal. Hegel reserviert für sich die Einheit der Vernunft und weist Schlegel die »bloßen Reflexionsbestimmungen« des Verstandes zu, die dieser stolz annimmt. Adorno und nach ihm Manfred Frank haben darauf hingewiesen, daß das romantische Fragment durch die reflexive »Unerschöpflichkeit des Gegenstandes« das »antiidealistische Motiv inmitten des Idealismus« vertrete und nicht die davon selbstironisch »entfremdete Subjektivität«, wie es Hermann Schmitz behauptet. Gegen Schlegels vermeintlich egoistisch frivolen Narzissmus setzte Hegel erst die sinnliche Gattenliebe und später den sittlichen Rechtsstaat.

Um die philosophische Vernunft nicht in beliebige einzelne Witze zerfallen zu lassen, ist Hegels Systematik als Universalwitz von Witzen ein Prinzip, aphoristisch zündende Witze methodisch aufzuheben, d. h. weiterzuerzählen, ihren ernsten Kern aus der witzigen Verkleidung zu schälen und auf die witzlose Moral von der Geschichte abzuheben. Mit jeder Gnome wird etwas gesetzt und damit von anderen Gnomen abgesetzt. Jedes Fragment kann immer auch ganz anders, wie Musils Mann ohne Eigenschaften, und ist über seine eigenen Festlegungen auch immer wieder ganz leicht und flexibel hinaus. Die »Stellung des Menschen im Kosmos« (Max Scheler) ist ihm objektiv zugewiesen und zugleich subjektiv von ihm selber gewählt : Die unauflösliche Spannung dazwischen entlädt sich in immer neuen witzigen Einfällen. Der Aphorismus ist die paradoxe Einheit von produktiver Setzung und distanzierender Absetzung, bis zu Schlegels identifizierender »Selbstschöpfung«, die Hegel zum Außersichsein des Geistes macht, und Schlegels »Selbstvernichtung«, die Hegel zur Rückkehr der einseitigen Subjektivität in substantielle Allgemeinheit veredeln will. Schlegels »Selbstschöpfung und Selbstvernichtung« lebt wieder auf in Sartres Wesensbestimmung der Existenz, die sich durch Selbstüberschreitung selber erschafft und durch Selbsterfindung hinter sich läßt. »Ich bin nicht, was ich bin, und bin, was ich nicht bin«: Das wäre eine Definition des Witzes und ist doch ganz witzlos gemeint, obgleich Sartre den Geist der Seriosität hasst und den Menschen für das Wesen hält, das einen Menschen einfach nur spielt. Sartre ist so witzlos pedantisch wie die postmodernen Differentialphilosophen, die heteronome, heterologische und heterogene Abweichungen von allem Homophilosophischen ganz homophilosophisch kultivieren. Gnomische Sprüche sind »jemeinige« Meinungen, ohne allgemeingültige Ansprüche deshalb preiszugeben, und umgekehrt platonische Ideen, ohne deshalb die widersprüchlichen Doxai aufzugeben.

Der Adressat darf und muß selbst entscheiden, wieweit er sich getroffen fühlen will und wie unverbindlich die unverbundenen Urteile über ihn sind.

Phänomenologen sind inzwischen auch nur noch Experten für Nichtexpertenfragen und ergänzen den Dilettantismus der Spezialisten. Sie normieren den Otto Normalverbraucher und sehen nicht die manipulierte Befangenheit gerade ihrer »unbefangenen Lebenserfahrung«. Das »Erstgegebene und Letztbegründende« (Waldenfels) der heutigen Phänomenologie ist weder die Gottesidee noch die proletarische Hundelebenswelt und das physikalische Weltall, sondern der spätbürgerliche Alltag der Klassengesellschaft. Der heute fundierende »Weltglaube« ist ideologisch durch und durch und kein Boden für ein Wahrheitskriterium. Die unmittelbare Lebenserfahrung des phänomenologischen Lebensweltbürgertums ist gesellschaftlich vermittelter, als sie wahrhaben will. »In den Netzen der Lebenswelt«, die heute alternative Netzwerke heißen, hängen die kleinen Fische, und die Phänomenologie-Beamten als demokratische Edelleute reflektieren nur noch (auf) ihre eigenen privilegierten Alltagssorgen.

Bei Hippokrates wird die Medizin zum Aphorismus, bei Kant der Witz zur Medizin. Lachen trage zum körperlichen Wohlbefinden bei und findet auch Platz in Wittgensteins Idee eines »therapeutischen Philosophierens«. Sind Aphorismen nach dem pragmatistischen Kriterium von William James sinnvolle Sätze, bei denen es »für das konkrete Leben nützlich ist, sie zu glauben«, und einen Unterschied macht, ob sie wahr sind oder nicht? Hans Blumenberg sagt in seinen »Höhlenausgängen«: „Die Weisheit von Sprüchen entwöhnt schnell vom Umgang mit Kontexten“ – der Konsenskonformisten.

Jede witzig paradoxe »Vereinigung des Unvereinbaren« als Kehrseite von Adornos Selbstverschiedenheit des Identifizierten hebt Hegels schlußdialektische »Identität von Identität und Nichtidentität« wieder auf. Das Ich kommt bei Novalis nicht ins Schweben, sondern ist nichts als dieses Schweben zwischen Selbstbindung und Selbstauflösung. Fichtes Ich-Substanz brauchte noch einen äußeren Anstoß, den sie dann nie wieder ganz in sich aufheben konnte; die Einbildungskraft des Novalis dagegen hat das Prinzip des Selbstgegensatzes in sich und ist aphoristisch witzige Identität von Homogenität und Heterogenität zwischen Individuen und ihren Begriffen.

Kurz: Das multivalente Ich des Frühromantikers zwischen zählbar eindeutigen und chaotisch verschwommenen Bestimmungen ist der geborene Aphoristiker. Bei ihm erhält die von objektiven Tatsachen »entfremdete Subjektivität« (H. Schmitz) der unendlichen Reflexion gleich eine aphoristische Binnenstruktur. Und Hegel holte nicht Schellings Objektivismus, sondern Friedrich Schlegels Subjektivismus dialektisch zurück in seinen eigenen objektiven Geist.

»Progressive Universalpoesie« als Universalphilosophie war der unendliche Progressus von Fichtes transzendentalem Zirkel, die Schraube endloser Reflexionen der investierenden und dann distanzierenden Einbildungskraft. Jede Schraubendrehung der potenzierten Reflexion war ein eigenes Fragment. Die bei Novalis ambivalent »geraffte Ironie« (H. Schmitz) ist eben aphoristisch gerafft zu einer schwebenden Irritation in Permanenz, einer objektiven Unstimmigkeit, die sich nicht auflösen läßt wie bei einem Witz oder einer optischen Täuschung. (Edmund Husserl nannte die Schaufensterpuppe, die für einen Moment wie ein Mensch aussieht.) »Witzverhalte könnten auch Tatsachen sein, und die Welt könnte von unauflöslichen Unstimmigkeiten nach Art der Husserlschen Puppe durchzogen werden ... Wenn das Flackern des Charakterwechsels ... zur simultanen, nicht weichenden gegenseitigen Überschiebung zusammenrückte, müßte die Husserlsche Puppe auch als Ding an sich, als nicht auflösbarer Weltbestand ernst genommen werden ...« (Schmitz: „Neue Grundlagen der Erkenntnistheorie“, Bonn 1994, S. 142 ff.) Diese Dinge an sich mit instabilen Wesenszügen sind bevorzugte Objekte des Aphorismus, der paradox klingt, weil er Objekte beschreibt, die von sich selbst verschieden sind, ohne sich deshalb zu vernichten oder in mehrere Objekte zu zerfallen.

Marx, Schopenhauer, Nietzsche, Wittgenstein, Heidegger, Sartre, Bloch, Adorno, Habermas, Foucault, Derrida ... haben wenigstens eins gemeinsam, außer daß sie die international renommiertesten Philosophen der Neuzeit darstellen: Es sind Denker, für die der Ewige so tot ist, daß sie ihn längst nicht mehr vermissen oder bekämpfen. So revolutionär sie sich auch sonst gerieren, darin sind sie unkritische Nachbeter des Zeitgeistes, der nun schon zwei Jahrhunderte lang unangefochten herrscht. Der »Herr der Geschichte« läßt sie machen und überlebt den »Gott der Philosophen« ganz mühelos. Er macht sich rar nicht in der Wirklichkeit, sondern im akademischen Überbau, und seine lange Abwesenheit nährt die Gegenkräfte, die ihn zurückerwarten.

Gott ist ein Naturgesetzgeber und milder Anwalt von Naturgesetzbrechern nur nebenbei. Christen brechen Gottes Gesetz und plädieren für mildernde Umstände und auf Unzurechnungsfähigkeit, aber kein Christ