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Am 8. Februar 1979 lud der Erzbischof von Wien, Kardinal König, Erich Fromm zu einem Symposium führender Persönlichkeiten nach Rom ein. Thema war die Frage nach „einem sinnvollen Modell des Menschen und seiner Grundwerte angesichts der gegenwärtigen Orientierungslosigkeit unserer Kultur und Zeit“. Fromms Beitrag trug den Titel „Der Mensch – wer ist er wirklich?“, allerdings verhinderten gesundheitliche Gründe seine Teilnahme. In einem Begleitbrief drückte er seine Sorge um den Menschen von heute so aus: „Ich bin immer tiefer davon überzeugt, dass die Hoffnungslosigkeit des modernen Menschen die vielleicht größte Gefahr ist, die ihm droht, auch wenn er diese Hoffnungslosigkeit durch einen lärmenden Optimismus zu übertönen versucht. Ich komme in meiner professionellen Tätigkeit als Menschenbeobachter immer mehr zur festen Überzeugung, dass die Mehrzahl der heutigen Menschen das Bewusstsein von ihrer Freud- und Hoffnungslosigkeit verdrängen und sich mit der Arbeit und mit dem Vergnügen einen Ersatz zu schaffen versuchen – ein Versuch natürlich, der zum Fehlschlag verurteilt sein muss.“
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Seitenzahl: 21
(Man – Who Is He Really?)
Erich Fromm(1983d])
Als E-Book herausgegeben und kommentiert von Rainer Funk.Aus dem Amerikanischen von Marianne Koch, überarbeitet von Rainer Funk
Wer ist der Mensch? ist die Übersetzung des Beitrags Man – Who Is He Really?, den Fromm für den von Kardinal König aus Wien organisierten Kongress „Nova spes“ geschrieben hat. Die Erstveröffentlichung erfolgte im Deutschen unter dem Titel Wer ist der Mensch?, in E. Fromm, Über die Liebe zum Leben. Rundfunksendungen hg. von Hans Jürgen Schultz, Stuttgart (Deutsche Verlags-Anstalt) 1983, S. 170-179. Mit textlichen Verbesserungen durch Rainer Funk wurde der Beitrag 1999 in die Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag), Band GA XI, S. 601-607, aufgenommen.
Die E-Book-Ausgabe orientiert sich an der von Rainer Funk herausgegebenen und kommentierten Textfassung in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, Band XI, S. 601-607.
Die Zahlen in [eckigen Klammern] geben die Seitenwechsel in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden wieder.
Copyright © 1983 by The Estate of Erich Fromm; Copyright © als E-Book 2015 by The Estate of Erich Fromm. Copyright © Edition Erich Fromm 2015 by Rainer Funk.
Die Formulierung der Frage, wer der Mensch wirklich ist[1], führt unmittelbar zum Kern des Problems. Wenn der Mensch ein Ding wäre, könnte man fragen, was er sei, und ihn definieren, wie man einen Gegenstand in der Natur oder ein industrielles Erzeugnis definiert. Der Mensch ist aber kein Ding und kann auch nicht wie ein Ding definiert werden. Die Frage lautet also richtig: Wer ist der Mensch?
Allerdings wird der Mensch sehr häufig als Ding gesehen. Man sagt von ihm, er sei Arbeiter, Fabrikdirektor, Arzt usw., doch damit wird lediglich seine gesellschaftliche Funktion bezeichnet, und der Mensch wird nach seiner Tätigkeit in seiner gesellschaftlichen Stellung eingeordnet.
Der Mensch ist kein Ding, sondern ein Lebewesen, das in einem fortdauernden Entwicklungsprozess begriffen ist. An jedem Punkt seines Lebens ist er noch nicht das, was er sein kann und was er möglicherweise werden wird.