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Aus dem reichen Schatz der Mystik schöpfen
Endlich den eigenen spirituellen Weg finden - mit dem Jahresbegleiter der Bestsellerautorin Marion Küstenmacher!
Wir haben heute das Glück, aus dem reichen Schatz der Weltreligionen zu schöpfen, um genau den spirituellen Weg zu finden, der für uns ganz persönlich tragfähig ist. Doch wie ebnet man diesen eigenen Weg? Welche Denkfiguren aus Buddhismus, Hinduismus, aus den Naturreligionen, aus Islam, Juden- und Christentum sind passend für das individuelle Leben?
In 52 Impulsen mit passenden Übungen für den Alltag navigiert die Theologin und Mystikexpertin Marion Küstenmacher quer durch die mystischen Traditionen der Jahrhunderte. Behutsam führt sie heran an mystische Erfahrungen, in denen sich starre Grenzen des Erlebens ebenso wie dualistische Denkgewohnheiten auflösen und spirituelles Erwachen möglich wird. Plötzlich wird der Blick weit für die verborgene Wirklichkeit hinter den Dingen und für die Wunder im Alltäglichen. Eine Einladung für ein ganz persönliches, interspirituelles Abenteuer!
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Seitenzahl: 177
Endlich den eigenen spirituellen Weg finden – mit dem Jahresbegleiter der Bestsellerautorin Marion Küstenmacher.
Wir haben heute das Glück, aus dem reichen Schatz der Weltreligionen zu schöpfen, um genau den spirituellen Weg zu finden, der für uns ganz persönlich tragfähig ist. Doch wie ebnet man diesen eigenen Weg? Welche Denkfiguren aus Buddhismus, Hinduismus, aus den Naturreligionen, aus Islam, Juden- und Christentum sind passend für das individuelle Leben?
In 52 Impulsen mit passenden Übungen für den Alltag navigiert die Theologin und Mystikexpertin Marion Küstenmacher quer durch die mystischen Traditionen der Jahrhunderte. Behutsam führt sie heran an mystische Erfahrungen, in denen sich starre Grenzen des Erlebens ebenso wie dualistische Denkgewohnheiten auflösen und spirituelles Erwachen möglich wird. Plötzlich wird der Blick weit für die verborgene Wirklichkeit hinter den Dingen und für die Wunder im Alltäglichen. Eine Einladung für ein ganz persönliches, interspirituelles Abenteuer!
Marion
Küstenmacher
52 Impulse aus der Mystik für mehr innere Ruhe und Gelassenheit
Kösel
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Teile dieses Buches wurden bereits veröffentlicht in: Marion Küstenmacher: Wo die Seele Atem holt. 52 Impulse aus der Mystik für mehr Gelassenheit, innere Ruhe und Wachheit – Aufsteller mit Magnetverschluss. München 2014.
Copyright © 2022 Kösel-Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Umschlagmotiv: © FinePic®, München
Innenteil: Symbole: © FinePic®, München; Florale Kreise: anatartan / Stock.Adobe.com
Satz: dtp im Verlag
E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-29557-8V001
www.koesel.de
INHALT
VORWORT
EINLEITUNG
EIN-BILDEN
Vom Innehalten und Wahrnehmen
1. Vertraue dem Weg des Geistes2. Wende dich dem Alltäglichen zu3. Verstehe deinen Körper als Instrument des Geistes4. Schule deine fünf Sinne5. Ehre die Natur als freundliche Lehrmeisterin6. Schau auf das Kleine und auf das Große7. Lerne wieder zu staunen8. Erlerne die Achtsamkeit9. Verbinde dich mit deinem Atem10. Finde dein Mantra11. Verweile im gegenwärtigen Augenblick12. Lerne, nichts zu tun
AUS-BILDEN
Vom Üben und Wachwerden
13. Wende dich nach innen14. Lausche auf die Stimme des Herzens15. Mach dich empfänglich16. Wach auf! Wach auf! Wach auf!17. Übe dich im Schweigen18. Halte Ausschau nach spirituellen Gefährten19. Erkenne deinen Schatten20. Meide die Gewalt und was anderen schadet21. Verurteile weder dich noch andere22. Scheue dich nicht vor Einsamkeit23. Bleibe geduldig und entwickle Ausdauer24. Folge deiner Sehnsucht
ENT-BILDEN
Vom Loslassen und Freiwerden
25. Halte nichts fest. Lass los, was dich bindet26. Wohne in der Stille27. Nimm deine Armut an. Werde leer28. Wende dich dem Nichts zu29. Nimm an, was dir an Leid zugemessen wird30. Verliere nicht den Mut31. Verwandle dich in der Dunkelheit32. Wärme dich am Trost der Heiligen33. Finde zum Raum hinter den Gegensätzen34. Werde eins mit dem EINEN35. Tanze in der Liebe36. Segne, was dir begegnet37. Hüte dich vor dem Stolz38. Sei dankbar in allen Dingen
ÜBER-BILDEN
Vom Wachsen und Reifen
39. Sei klar und eindeutig40. Breite Frieden um dich aus41. Praktiziere Verbundenheit42. Verkörpere Mitgefühl43. Drücke Freude und Mitfreude aus44. Lass dich von Sanftheit durchdringen45. Finde zu deinem Dienst46. Zeige dich freigebig47. Suche den offenen Horizont48. Wähle das Universum zu deiner Heimat49. Vermehre die Schönheit50. Liebe alle Menschen51. Bitte weiter um ein reines Herz52. Werde selbst zum Licht
Anhang
Register
Weiterführende Literatur
VORWORT
Liebe Leserin, lieber Leser!
Wo die Seele Atem holt heißt dieser Mystik-Begleiter durch 52 Wochen. Sein Titel ist inspiriert von einem Wort des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber: »Mystik ist das Grenzgebiet des Glaubens, in dem die Seele Atem holt zwischen Wort und Wort.« Ich hoffe, Sie spüren die Verlockung, die in diesen Worten steckt, und bekommen Lust, dieses weite Feld der Mystik selbst zu erforschen.
Mit der Mystik betreten Sie das Hoheitsgebiet Ihrer Seele. Es geht um Ihre ureigene Sehnsucht, um die feinen Suchbewegungen Ihrer Seele nach dem Göttlichen, dem geheimnisvollen Urgrund allen Daseins in Ihnen und um Sie herum. Im Hebräischen, der Sprache Bubers und des Alten Testaments, heißt die Seele »näfäsch«. Dieses Wort bedeutet zugleich auch noch »Leben«, »Mensch«, »Gemüt« und »Atem«. Bewusstes Atmen und seelische Prozesse gehören zusammen. Wenn Ihr Atem frei in Sie hinein fließt und Sie durchströmt, kann Ihre Seele aufatmen. Getragen vom Atem schwingt sie sich auf, kommt in Resonanz mit ihrer eigenen Weite und öffnet sich der unendlichen Wirklichkeit, die wir Gott nennen.
Starten Sie damit einfach da, wo Sie gerade stehen. Da, »wo man ein wahres Leben lebt«, beginnt jede mystische Reise, betonte Martin Buber und fügte hinzu: »Jeder Mensch kann von seinem Punkt, von seinem Wesen aus zu Gott kommen.« Buber nannte ihn auch den »archimedischen Punkt«, von dem aus jeder Einzelne die Welt bewegen kann – einfach dadurch, dass er sich selbst wandelt. Und noch etwas war für Buber aufgrund seiner Mystikstudien klar: »Alle Menschen haben einen Zugang zu Gott, aber jeder einen anderen.« Auf dieser ausdrücklich interreligiösen Offenheit bei gleichzeitiger Wertschätzung und Vertiefung der eigenen spirituellen Tradition beruht auch dieses Buch.
Wie Ihr persönlicher Zugang zur grenzenlosen Weite des Bewusstseins aussieht, können nur Sie selbst herausfinden. Das ist das Abenteuer der Mystik. Sie werden aber rasch merken, dass Sie in diesem Grenzgebiet zwischen Religion, Philosophie und Bewusstseinsforschung nicht alleine unterwegs sind. Sie werden auf viele andere spirituelle Individualisten treffen, auch auf große Mystiker und Mystikerinnen. Diese Pioniere des Geistes sind alle ihren eigenen Weg gegangen. Sie waren ihrer Umgebung und Zeit oft weit voraus. Sie waren Rebellinnen und Friedensstifter, Poetinnen und Liedermacher, Liebende und soziale Aktivistinnen. Heute wissen wir auch: Mystikerinnen sind gute Brückenbauer zwischen den verschiedenen spirituellen Richtungen, Konfessionen und Religionen. Sie kommen aus allen möglichen religiösen Traditionen, und doch ähneln sich viele ihrer Erfahrungen auf verblüffende Weise. Im Hawaiianischen bedeutet das Wort für Familie »ohana«, wörtlich »Menschen, die gemeinsam atmen«. So eine weltumspannende spirituelle Familie sind die Mystiker und Mystikerinnen. Viele ihrer Worte und Bilder atmen bei allen Unterschieden den gleichen universalen Geist. Das Cover dieses Buches drückt das schon auf zarte Weise aus: Im gemeinsamen »Atemholen zwischen Wort und Wort« können sich die Religionen friedlich über ihre mystische Mitte austauschen und sich gegenseitig ergänzen und bereichern.
Sie alle erzählen, jede und jeder in der Sprache der eigenen Tradition, letztlich immer eine einzige große Geschichte: Sie sprechen von einer unstillbaren Sehnsucht nach Tiefe, Wahrhaftigkeit und Sinn, die sie antrieb. Sie spürten die Notwendigkeit, dafür das eigene Innere zu erforschen. Sie wählten dafür ganz unterschiedliche Wege: Sie zogen sich dafür in die Einsamkeit zurück oder gründeten Gemeinschaften. Sie blieben ihren Familien und Berufen treu oder ließen alles zurück und folgten entschlossen einem Meister. Sie wurden zu Tiefseetauchern des Bewusstseins: Sie übten sich in Achtsamkeit, Stille, bewusstem Atmen, Schweigen, Hingeben, Loslassen und Leerwerden. Sie verlangten nichts mehr. Sie erlebten beglückende Gipfelerfahrungen und anstrengende transformatorische Prozesse. Sie meisterten Phasen der Stagnation. Sie gruben sich durch den Schmerz der Ich-Preisgabe hindurch. Sie litten und sie liebten über sich hinaus. Und so fanden sie Gott, das Allumfassende, Eine.
Später schilderten sie ihre besonderen Bewusstseinszustände, Flow-Erlebnisse und Gipfelerfahrungen, die so unbeschreiblich waren, dass sie dafür um Worte ringen oder sogar ganz neue dafür erfinden mussten. Sie beschrieben ihre Wanderungen durch die Landschaften und Räume der Seele in Worten und Bildern, die wie Fenster einen Blick auf das eigentlich Geschaute ermöglichen sollten. Die meisten versuchten, sich diese Erfahrungen mithilfe ihrer vertrauten Konfession oder Religion zu deuten. Nicht wenige aber erkannten Eigenes auch in anderen spirituellen Traditionen und wurden zu interreligiösen Brückenbauern. Und schließlich fanden sie auf dem Pfad der Mystik ihre Hauptaufgabe darin, der Welt zu dienen und das Wahre, Gute und Schöne zu vermehren.
Sie befinden sich also in bester Gesellschaft, wenn Sie mystische Texte lesen und meditieren. Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Seele »Atem holt zwischen Wort und Wort« und Ihnen die wunderbaren Worte der Mystikerinnen und Mystiker guttun, die ich hier für Sie als interreligiösen Übungsweg zusammengetragen habe. Im zweiten Teil des Buches finden Sie zur weiteren Inspiration, wie »man ein wahres Leben lebt«, noch knappe biografische Hinweise zu den hier genannten Mystikerinnen und Mystikern. Vielleicht möchten Sie den einen oder die andere danach noch besser kennenlernen. Gut möglich, dass Sie so Ihrer ganz persönlichen Weisheitslehrerin oder Ihrem inneren Meister begegnen – ganz gleich, welche religiösen Traditionen sich dabei in Ihnen treffen und gegenseitig bereichern.
Herzlichst, Ihre Marion Küstenmacher
Ostern 2022
EINLEITUNG
Warum eigentlich Mystik?
»Mystik ist der Strom, der durch alle Religionen fließt« – diese Kurzformel der Islamgelehrten Annemarie Schimmel beschreibt gut, dass Mystik viel mehr ist als die Angelegenheit einiger religiöser Ausnahmegestalten. Mystik ist die eigentliche Lebensform für alle Menschen mit spirituellem Interesse. Ich nehme an, dass Sie dazu gehören. Sie wollen die Tiefendimension der Religionen nicht nur als intellektuelles, theologisches Programm begreifen. Sie wollen Gott, das Unendliche, das Eine in Allem nicht nur vom Hörensagen kennen, sondern auch selbst erfahren oder ihm zumindest näherkommen. Sie sind neugierig auf das Leben, stehen mit beiden Beinen auf der Erde und tragen trotzdem eine unstillbare Sehnsucht in sich. Vielleicht geht es Ihnen wie den Sufis, den Mystikern der Liebe im Islam. Wie diese spüren Sie, dass Ihr Herz zum Ursprung der Liebe zurückkehren will, zu dem Urgrund, der Gott heißt und aus dem alles entsteht. Sie wissen, dass Sie ein verborgenes Leben mit Gott in sich tragen – ganz gleich welchen Namen Sie ihm auch geben möchten. Für Sie stimmt, was Gershom Scholem, Erforscher der jüdischen Mystik, sagt: »Mystik ist Religion in ihrer innerlichsten, tiefsten und lebendigsten Form.« Für Sie findet Mystik nicht irgendwo in schwindelerregenden Höhen statt, sondern mitten in Ihrer persönlichen Existenz und in Ihrem Alltag. Für Sie ist dieser Mystik-Begleiter gedacht.
Welche Weisheitstraditionen wurden berücksichtigt?
Hier sprechen vor allem die Mystikerinnen und Mystiker aus den fünf großen Weltreligionen zu Ihnen: Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam. Damit umspannen die Texte nicht nur den ganzen Globus, sondern auch weit über 3000 Jahre. Außerdem habe ich die antike Philosophie, den Taoismus, Konfuzianismus und die Weisheitstradition der indigenen Völker berücksichtigt. Gerade die Letzteren repräsentieren die älteste Schicht menschlicher Erfahrungen mit spirituellen Bewusstseinszuständen und Einheitserlebnissen. Auch ihre Ältesten und Schamanen sprechen vom »Großen Geist«, der in allen Menschen wohnt und uns in jedem sichtbaren Phänomen entgegentreten kann.
Innerhalb eines Kapitels mischen sich darum oft die Wortmeldungen aus verschiedenen Traditionen. Keine Religion ist eine Insel. Religionen haben keine festen Landesgrenzen, sie entstanden über Jahrhunderte durch wechselseitige Befruchtung, die gerne als Synkretismus verurteilt wurde. Dabei stützte sich das Judentum unter anderem auf ägyptische Gebete, als es seine Psalmen formulierte. Das Christentum war von Anfang an ein interreligiöses Projekt und ein »Textspiel« mit vielschichtigen Bezügen zum Judentum. Die hebräische Bibel und Israels Gotteserfahrungen bilden zusammen mit dem Neuen Testament einen gemeinsamen Kanon und gehören zum heiligen Kernbestand der Christenheit. Durch das vertiefte Lesen der anderen Religion lernt man, den Horizont der eigenen Tradition besser zu verstehen. Der Koran wiederum hat unzählige Elemente aus Judentum und Christentum aufgegriffen, variiert oder weitergetextet. Eine Verwandtschaft, die man ohne Kenntnis der beiden älteren Religionen nicht erfassen kann. Heute spricht man von interreligiösen »Echos« innerhalb spiritueller Texte. Sie verweisen nicht nur wechselseitig aufeinander, sondern auf den Urgrund oder das göttliche Geheimnis hinter allen Texten.
Von farbigen Gläsern und dem farblosen Licht
Da sie selbst oft Grenzgänger ihrer eigenen Religion waren, wurden Mystiker und Mystikerinnen auch in anderen religiösen Traditionen fündig. Sie nahmen auch von dort Metaphern auf, um ihre Erfahrungen zu illustrieren. Ein Beispiel:
Der Kirchenvater Gregor von Nyssa (335–nach 394 n. Chr.) bezeichnet in seinem Kommentar zum Hohelied intellektuell abstrakt die unendliche und unbegreifliche Natur des Göttlichen unter anderem als gestalt-, form- und farblos. Das ungefärbte Göttliche geht allen »farbig« ausgestalteten Gottesvorstellungen voraus, nichts kann es fassen.
Der Sufi-Mystiker Abu'l-Qasim Al-Junayd († 910), Sohn eines Flaschenhändlers aus Bagdad, findet dafür ein eingängiges Alltagsbild: »Das Wasser nimmt immer die Farbe des Gefäßes an, in dem es ist.« Das farblose Wasser steht für das namenlose Göttliche. Die farbig unterschiedlichen Gefäße sind die Formen, Bilder und Konzepte, in die wir unsere Vorstellungen von Gott gießen.
Gut 600 Jahre später erläutert der Kabbalist Rabbi Moses Cordovero (1522–1570) dieses Gleichnis noch ausführlicher: »Der Eine, der ausströmt, verändert sich nicht … Das lässt sich durch das folgende Gleichnis erklären: Man stelle sich vor, reines Wasser würde in Glasflaschen von unterschiedlicher Farbe gegossen. Eine weiße, eine rote, eine grüne und so weiter … Sobald sich das Wasser in den Flaschen befindet, scheint sich seine Farbe dem jeweiligen Behältnis angepasst zu haben. Doch in Wirklichkeit hat sich nicht das Wasser geändert, sondern nur seine äußere Erscheinung … Was immer das Eine, Göttliche aufnimmt, hat seine eigene Farbe, entsprechend seiner jeweiligen Funktion. Doch das Licht selbst bleibt frei von jeglicher Farbe.«
Ein Christ, ein Moslem, ein Jude – und alle drei sprechen als Mystiker über ein Wissen, das man nur in der formlosen Kontemplation gewinnen kann.
Fraktale Selbstähnlichkeit der Religionen in der Mystik
Natürlich gibt es in jeder Religion unterschiedliche Erwartungshorizonte und strukturbildende kulturelle Muster, die auch das spirituelle Erleben prägen. So wird ein Buddhist eher keine Marienerscheinung erleben, eine Jüdin keine innere Begegnung mit Krishna haben. Wir haben es aber bei Religionen mit einer fraktalen, also vielfältig gebrochenen Struktur zu tun, in der sich das Ganze oder Göttliche kulturübergreifend in ähnlichen Mustern zeigen kann. So sind sich die Religionen gerade in der Mystik selbstähnlich, ohne miteinander identisch zu sein. Es gibt nur einen mystischen Pfad, nämlich die Hinwendung ins eigene Innere, aber er führt zu unterschiedlichen Erfahrungstiefen und theologischen Deutungen. Religionen haben formale, kulturell ausgeprägte Strukturen entwickelt, die gewissermaßen die Außenseite des Glaubens bilden. Die Mystik erschließt die Innenseite und das göttliche Geheimnis in der jeweils passenden Sprache. Damit bleibt jede Mystik einerseits in ihre Herkunftsreligion eingebettet, während sie diese gleichzeitig transzendieren und die relative Wahrheit in allen Religionen würdigen kann. So wie der Hindu Mahatma Gandhi im Blick auf Christentum und Islam: »Beide Religionen sind für mich so wahr wie meine eigene. Meine eigene aber stillt alle meine inneren Bedürfnisse. Sie bietet mir alles, was ich zu meiner inneren Entwicklung bedarf.«
Religionen sind immer nur Annäherungen an die Wirklichkeit. Licht und Schatten finden sich darum in allen. Bis heute sind nicht wenige religiös geprägte Menschen verstrickt in Kämpfe um Wahrheit, Macht, Besitz und Ansehen. Der Grund dafür ist immer menschliche Unreife, Unwissenheit, Gier und Egoismus. Paradoxerweise sind die Religionen aber gleichzeitig großartige »Förderbänder« für seelische und geistige Entwicklung. Gerade ihre mystischen Pfade können viel dazu beitragen, dass Menschen ihre Egozentrik reduzieren und immer mehr Herzensgüte, Mitgefühl und interreligiöse wie interkulturelle Friedfertigkeit entwickeln. Im hinduistischen Text Bhagavata-Purana (Das alte Buch von Gott) heißt es: »Wie die Biene, die von verschiedenen Blumen Honig sammelt, erkennt der Weise in allen Heiligen Schriften den wahren Kern und sieht in allen Religionen nur das Gute.« Auch der Dalai Lama sieht als Buddhist genau darin das Verbindende der Religionen: »Grundsätzliche Einstellungen wie Altruismus, Liebe und Mitgefühl sind zudem vollkommen gleich, alle Lehren vermitteln die gleichen grundsätzlichen Botschaften.« Sri Ramakrishna, einer der großen Hindu-Mystiker Indiens, wurde nicht müde, in vielen Bildern auf das Gemeinsame aller religiösen Traditionen hinzuweisen: »An einem heiligen Badeplatz gibt es zahlreiche Treppen, die zum Wasser herabführen. So gibt es auch viele Treppen zum Wasser des Ewigen. Jede Religion der Erde ist eine solche Treppe zum Ewigen. Gehe mit Ernst und reinem Herzen auf einer Treppe, dann wirst du das Wasser des ewigen Heils erreichen. Aber sage nicht, deine Religion sei besser als die anderen.« Ein weiteres Bild des Hindus: »In einem Töpferladen gibt es Gefäße von verschiedener Gestalt und Form: Krüge, Tiegel, Schüsseln, Teller usw., aber alle sind aus demselben Ton gemacht. So ist Gott auch Einer, wird aber in verschiedenen Zeiten und Ländern unter verschiedenen Namen und in verschiedenen Aspekten verehrt.«
Der Moslem Ibn Arabi bekannte im 13. Jahrhundert: »Mein Herz wurde fähig, jede Form zu tragen: Es ist eine Weide für Gazellen, ein Kloster für gelehrte Mönche, ein Tempel für Götterstatuen und die Kaaba des Pilgers. Ich finde in mir die Tafeln der Tora ebenso wie ein Exemplar des Koran. Ich folge stets der Religion der Liebe, ganz gleich, wohin die Kamele der Liebe mich tragen, dort finde ich meine Religion und meinen Glauben.« Heute gibt es im Islam die Mystik des »Größeren oder Universalen Sufismus«. Er lehrt: »Religionen sind die Finger, das Absolute ist die Hand.«
Der Logos wohnt in allem, lehrt das Johannesevangelium. Nichts ist unabhängig vom Logos, auch wenn uns das oft nicht bewusst ist. Also sind alle Dinge, alle Lebewesen, alle unsere Handlungen reale Sakramente des einen Geistes. Für den Blick von Mystikerinnen und Mystikern werden die Dinge und Menschen immer transparenter. Sie sprechen darum, wie Pierre Teilhard de Chardin, von der Diaphanie Gottes: Das Göttliche leuchtet ihnen aus allem hervor. Jörg Zink formulierte als Christ: »Warum sollte ich den Geist Gottes, der diese ganze Welt durchwirkt, nicht ahnen dürfen im Schweigen Buddhas, in der Ehrfurcht der Moslems, im Tanz der Derwische oder im Gesang der Indios? Wie komme ich dazu, dem Geist Gottes Grenzen zu setzen? Wenn mir Gott groß genug ist, wird mir auch die Wahrheit, die er irgendeinem Menschen eröffnet, groß sein. Wenn ich in seinen Augen klein genug bin, werde ich sehen, dass die Wahrheit, die ich bisher in mein Leben einverwandeln konnte, klein ist.«
Welcher Struktur folgt dieses Buch?
Ich hoffe, dass Sie beim Lesen diesen grenzüberschreitenden Geist spüren, der aus all diesen Worten spricht. Mystiker und Mystikerinnen wissen natürlich trotzdem, dass alle Worte, Symbole oder Bilder zu Gott letztlich immer unzulänglich bleiben. Aber irgendwie müssen sie ihre Erfahrungen ja ausdrücken, und dafür eignen sich Bilder, Geschichten oder Gleichnisse immer noch am besten. Wenn Sie ein Wort oder Zitat besonders berührt, bleiben Sie ruhig ein paar Tage dabei. Gehen Sie in einen inneren Dialog damit und befragen Sie es: Was drückst du für mich aus? Was noch? Was noch? Sie werden sehen, dass diese Betrachtungsweise Ihnen eine Fülle von Antworten aus Ihrem Inneren zuspielt. Bitte schlagen Sie hinten im Register nach, welcher Tradition ein Name oder eine spirituelle Schrift zuzurechnen ist, da es im Text nicht immer erwähnt wird.
Für die großen vier Themenblöcke des mystischen Prozesses habe ich mich von Meister Eckhart (1260–1328), unserem größten deutschen Mystiker, inspirieren lassen. Er war Philosoph, Theologe, Mystiker und spiritueller Lehrer für viele Menschen. Meister Eckhart war auch ein Meister der deutschen Sprache. Viele uns geläufige Begriffe hat er erfunden, um damit spirituelle Erfahrungen auszudrücken. Das wunderbare Wort »Gelassenheit« etwa, oder »Wirklichkeit«. Auch unser Begriff »Bildung« stammt von ihm. Allerdings bezieht er diesen Begriff nicht auf Schulen, Seminare oder Lehrpläne. Bildung ist für ihn eine »Gottessache«, ein transformatorischer Prozess seelischer Umwandlung mit einem klaren Ziel: »damit der Mensch Gott ähnlich werde«. Dafür braucht es Entschlossenheit, den echten Wunsch, sich seine innerste Wirklichkeit zu erschließen und dort nach Gott zu suchen. Meister Eckhart hat oft mit dem Verb »bilden« gespielt und es variiert, um diese seelischen Bildungsprozesse zu verdeutlichen. Vier davon habe ich als Leitmotive ausgewählt: Ein-Bilden, Aus-Bilden, Ent-Bilden und Über-Bilden.
Teil 1 EINBILDEN. Vom Innehalten und Wahrnehmen
Zu Beginn des Weges geht es um das Ein-Bilden. Bei Meister Eckhart hat das nichts mit unserem negativen Verständnis von Einbildung oder Eingebildetsein zu tun. Es geht ganz ursprünglich darum, welche Eindrücke, Bilder, Gedanken, Ideen, Urteile und Konzepte Sie in sich hineinnehmen und wie Sie es tun. Stets haben Sie es dabei mit Ihrem Ich (als Subjekt) zu tun, das etwas (ein Objekt) erkennt. Es gibt also immer zwei: einen Erkennenden und ein Erkanntes. Auf diese Weise bilden Sie ständig Ihre Ich-Identität, mit der Sie sich orientieren und in der Welt vielfältiger Phänomene zurechtfinden. Dieses Unterscheiden und Trennen hilft uns, mit immer größerer Komplexität zurechtzukommen, immer mehr verstehen, einbeziehen und würdigen zu können. Es gibt aber auch den umgekehrten Weg, von der Vielfalt zurück zur Einfalt im mystischen Sinn, also vom Vielen zum Einen, zur Einheit mit Gott mitten im eigenen Bewusstsein. Mystiker und Mystikerinnen sprechen vom wahren Wesen oder vom »kensho«, der Wesensschau, bei der im Bewusstsein Erkennender, Erkennen und Erkanntes wieder als Eines erfahren werden. Mystik ist darum ein Weg des Geistes und der Bewusstseinsschulung hin zur Einheitserfahrung.
Deshalb drehen sich die ersten zwölf Kapitel um achtsame Wahrnehmung. Es geht um Ihre Aufmerksamkeit für Ihren eigenen Körper, seine fünf Sinne und besonders den Atem. Sie schulen Ihre Achtsamkeit auch im sorgsamen Blick auf die Natur, auf Mikro- und Makrokosmos. Sie üben sich darin, sich im Hier und Jetzt zu verankern, um präsentisch und gesammelt immer genau das erfassen zu können, was sich gerade zeigt. Sie trainieren Ihren Anfängergeist und lernen, Ihre Konzentration willentlich zu steuern. Diese achtsame Aufmerksamkeit brauchen Sie als »Beistand, der euch hilft, den größeren Geist oder den Geist, der überall ist, wahrzunehmen« (Shunryu Suzuki). Es geht also darum, eine unterscheidungsfähige Urteilskraft im Blick auf die volle Wirklichkeit zu entwickeln.