Womit und wie wir Kinder früher spielten - Ernst Woll - E-Book

Womit und wie wir Kinder früher spielten E-Book

Ernst Woll

4,8

Beschreibung

Ausgewählt wurden vorrangig Kinderspiele, die mit außergewöhnlichen Erlebnissen verbunden waren. Die Geschichten widerspiegeln, wie in der Zeit von Mitte der 1930er bis Mitte der 1940er Jahre Kinder ihre Freizeit verbrachten. Es wird an Kinderspiele erinnert, die bis Mitte des vorigen Jahrhunderts beliebt waren. Für sie brauchte man keine teuren Geräte. Sie verschafften uns Kindern meistens Bewegung, auch vorwiegend im Freien. Dagegen werden heute Computerspiele, vor allem Gewaltspiele, bevorzugt.

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Inhalt

Prolog

Abzählreime

Fang- und Versteckspiele

Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?

Fischer wie tief ist das Wasser?

Geländespiele der Hitlerjugend

Spiele mit einfachen Geräten

Stelzenlaufen

Eieraufwerfen mit Netzen

Ausfahrt mit Handwagen

Sackhüpfen

Strickhupfen

Trittrollerrennen

Kreiseln

Ballspiele

Fahrten mit Kinderfahrrädern

Meine besonderen Spielsachen

Kaufmannsladen

Schaukelpferd

Zinnsoldaten- und Tierfiguren

Spielzeugeisenbahn

Gesellschaftsspiele für Kinder

Schlitten- und Skifahren

Spiele in der Familie

Außergewöhnliche Spielerlebnisse

Spielen mit Autowrack und Kipploren

Alte Leute foppen

Drei Jungen bauen ein Floß

Epilog

Prolog

Ausgewählt wurden vorrangig Kinderspiele, die mit außergewöhnlichen Erlebnissen verbunden waren. Die Geschichten widerspiegeln, wie in der Zeit von Mitte der 1930er bis Mitte der 1940er Jahre Kinder ihre Freizeit mit spielen verbrachten. Einige frühere Spielvarianten, die heute beinahe vergessenen sind, werden dargestellt. Es soll an Kinderspiele erinnert werden, die bis Mitte des vorigen Jahrhunderts beliebt waren. Für sie brauchte man keine teuren Geräte. Sie verschafften uns Kindern meistens Bewegungen auch vorwiegend im Freien. Dagegen werden heute Computerspiele, vor allem Gewaltspiele, bevorzugt.

Derzeit fast nicht mehr gespielt werden viele

einfache Kinder- und Gesellschaftsspiele.

Heute spielen schon Kinder am PC,

Bewegung im Freien ist nahezu passee.

Frührer war es in Familien Pflicht,

das Spiel: „Mensch ärgere dich nicht“,

das konnte Groß und Klein Freude bereiten,

darum überdauerte das Spiel auch alle Zeiten.

Aber für Gewaltspiele, die heute in Mode,

wären unbedingt nötig, gezielte Verbote.

Abzählreime

Meine Kinder- und Jugendzeit verbrachte ich in den 1930/40er Jahren in einer Ostthüringer Kleinstadt mit Dorfcharakter. In unserer Straße und Nachbarschaft gab es etwa 15 Jungen und Mädchen im Alter von 8 bis 14 Jahren, die sich häufig zu gemeinsamen Kinder- und Gesellschaftsspielen trafen. Die gesellschaftliche Stellung der Eltern spielte dabei keine Rolle. Für uns Kinder gab es beim Spiel keine Unterschiede ob Arbeiter-, Bauern-, Handwerker-, Arzt- Rechtsanwaltkind oder anderes Elternhaus, alle hatten sich letztlich der Mehrheitsmeinung unter uns Kindern zu fügen. Wenn einige, die älter wurden, dann nicht mehr mit Kindern spielen wollten, kam trotzdem immer wieder Nachwuchs hinzu. Nicht nur an schönen Sommertagen sondern selbst im Herbst und Winter spielten wir gern im Freien Versteck-, Fang-, Ball- Reifenspiele und ähnliches, ohne aber auch wintersportliche oder der jeweiligen Jahreszeit angepasste Betätigung zu vernachlässigen. Bei vielen Spielen mussten zunächst die Fänger oder die, die das Spiel beginnen sollten, ausgelost werden. Bei der Auswahl und Anwendung der hierfür genutzten Abzählreime gab es viel Spaß aber auch schon am Anfang manchen Streit. Es war also gang und gäbe, dass immer einige die „Bestimmer“ sein wollten aber die hatten es in der großen Gruppe meist sehr schwer sich durchzusetzen.

So wurde schon zu Beginn darüber gestritten welche Abzählreime man nimmt. „Eins, zwei, drei und du bist frei“, war besonders den älteren Jungen zu harmlos, sie wollten Sprüche in denen so genannte schlechte Wörter, z. B. Scheiße, Furz und ähnliche vorkommen. Die durften wir in Anwesenheit Erwachsener und zu hause nicht sagen und drückten deshalb damit auch eine gewisse Kraftmeierei aus. Heutzutage sind diese Begriffe salonfähig geworden und fast niemand stört sich daran, wenn selbst auf dem Schulhof die Kinder laut Scheiße rufen. Von unseren Lehrern hätte es in meiner Volksschulzeit hiefür Hiebe mit dem Rohrstock gegeben.

Häufig setzten sich Abzählreime durch wie: „Ene, dene turz, der Teufel ließ nen Furz, gerade übern Kaffeetrinken, tat der ganze Kaffee stinken“ oder „zwischen Rosen und Narzissen hat der/die (hier wurde ein Vorname eines anwesenden Kindes gerufen) hingeschissen“. Das waren dann die Auserwählten für den Spielbeginn z. B. als „Fänger“ bzw. „Sucher“.

Den nächsten Streit gab es häufig beim Auszählen mit den Abzählreimen, Gewiefte schummelten oft dabei. Sie übersprangen einfach Silben oder wählten den Anfang beim Abzählen so, dass letztlich immer einer oder eine, die man auf dem Kieker hatte, drankam. Das waren häufig die Kinder, die immer den Buhmann spielen mussten oder viel gehänselt wurden. Heute spielt das beim Mobben eine Rolle, damals für uns ein unbekannter Begriff.

Als ich diese Geschichten über Abzählreime meiner 10jährigen Urenkelin erzählte, meinte sie: „Weißt du eigentlich, dass man heute fürs Auswählen derjenigen, die Spiele anfangen, Zufallsgeneratoren verwendet? Das hab ich schon im Fernsehen bei Ratespielen gesehen. Und Auszählreime findet man in Massen im Internet, du musst nur bei Google oder einer Suchmaschine diesen Begriff eingeben und kannst dann auswählen. Für Vorbereitungen von Kindergeburtstagen, wo wir auch Gesellschaftsspiele machen, hat das mein Vater auch schon getan. Ich konnte mit diesen coolen Reimen meine Freundinnen überraschen.“

Da begriff ich, mit meinem Wissen aus der fernen Vergangenheit konnte ich bei den Kindern heute keinen „Blumentopf“ mehr gewinnen!

Wir verwendeten damals besonders Abzählreime aus mündlichen Überlieferungen von unsrer Eltern. Ich entsinne mich außerdem, dass der Sohn vom Amtsrichter, die zuhause viele Bücher hatten, mal eines mit solchen Reimen uns zeigte und damit angab. Er wurde ausgelacht und mein Freund Hermann, der in unserer Gruppe meistens ein Anführer sein wollte, sagte: „Diese vielen zahmen hochgeschraubten Sprüche sind doch großer Mist, das dauert doch viel zu lange ehe man mit dem Spielen anfangen kann. Bei uns wird weiter kurz und bündig ausgezählt mit: Ene dene, daus und du bist raus.“ Damit war eine Linie vorgegeben aber ich erinnere mich an ein Vorkommnis, bei dem es zwischen Hermann und dem Geschwisterpaar Lothar und Hilde wegen der Auszählprozedur sogar zu einem Streit mit einer Prügelei kam.

Hermann war grundsätzlich derjenige der auszählte, und bei Spielen bei denen die Ausgewählten die schwierigste oder eine unbeliebte Aufgabe übernehmen mussten, war immer Lothar oder Hilde dran. Sie waren körperlich nicht so robust wie wir anderen und wurden wegen ihrer großen Ängstlichkeit oft Memmen genannt. Vielleicht sind sie nicht ganz gesund gewesen und wurden deshalb von ihren Eltern etwas stärker behütet. Das merkten wir Kinder aber nicht und bei unserem gegenseitigen Umgang waren die beiden auch auf anderen Gebieten oft Zielscheiben für Hänseleien.

Nach einiger Zeit "schnallte" Hilde, dass sie und ihr Bruder beim Auszählen fast immer die Benachteiligten waren, sie protestierte und beschuldigte Hermann zu schummeln. Er ließ sich das nicht gefallen und beschimpfte sie als alte hässliche, grantige Zicke. Sie blieb nichts schuldig und nannte ihn blödes Elefantenbaby. Er zog sie sogar an den Haaren, ein Anlass für Lothar, dazwischen zu gehen und man begann sich gegenseitig zu schubsen. Weil Hermann schließlich die Köpfe der beiden Angreifer in seine Armzangen nahm, trat Lothar ihn heftig ans Schienbein und nun ging es richtig zur Sache, wobei ganz offensichtlich Hermann der stärkere und überlegene war. Wir standen drum rum und feuerten an. Noch heute nach so vielen Jahren kann ich mich noch deutlich an die Szene erinnern. Da tauchte wie aus dem Nichts der große stämmige Vater des Geschwisterpaares auf, packte Hermann am Jackenkragen, versetzte ihm einen derben Schlag auf den Hintern, zog ihn hoch um ihn gleich wieder auf den Weg zu werfen. Der schrie auf: „Dich wird mein Vater totschlagen.“ Mit der Stärke unserer Väter prahlten wir damals alle gern.