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"Wer versteht, was Jesus hier sagen will, für den ändert sich die Welt; er ist ein buchstäblich Verwandelter", so Drewermann, der die acht Seligpreisungen Jesu in exemplarischen Lebensgeschichten lebendig veranschaulicht. Eindrucksvoll erschließt er die befreiende Wirkung dieser "Glücklichpreisungen", die den Kern der Bergpredigt bilden. Drewermanns Auslegung bietet spirituellen Halt in vielen Lebenssituationen.
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Seitenzahl: 117
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Impressum
Hinweise des Verlags
Eugen Drewermann
Worte der Freiheit
Die Seligpreisungen Jesu
Patmos Verlag
Einleitung
DIE SELIGPREISUNGEN
Glücklich die aus Geist Armen, ihrer ist das Königtum der Himmel
Glücklich die Trauernden, denn sie werden Zuspruch von Gott erfahren
Glücklich die Wehrlosen, denn sie werden das Land erben
Glücklich die hungernd und dürstend sind nach richtigem Leben vor Gott, denn sie werden gesättigt werden
Glücklich die sich Erbarmenden, denn sie werden Erbarmen finden
Glücklich die im Herzen Reinen, denn sie werden Gott schauen
Glücklich die Friedenstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen
Glücklich die Verfolgung leiden um des rechten Lebens vor Gott willen, denn ihrer ist das Königreich der Himmel
Die Worte der Seligpreisungen sind wie ein fein geschliffener Diamant inmitten der Überlieferung des Neuen Testamentes. Wenn wir uns selbst oder einem anderen verdeutlichen möchten, was Jesus uns gebracht und ermöglicht hat, so lässt es sich in der reinsten und besten Form nicht anders sagen als in diesen acht Preisungen, die all diejenigen glücklich nennen, die ihr Leben einzig gründen im Vertrauen auf Gott (vgl. Mt 5,1–12). Eine Stimmung wie von Morgenfrühe und von Neubeginn liegt über dem Berg der Seligpreisungen bei diesen Worten Jesu, so als begönne die Geschichte Israels noch einmal ganz von vorn – ein neuer Auszug aus dem Land der Knechtschaft und der Unterdrückung sowie die Verkündigung eines neuen Gesetzes der Freiheit von einem neuen Gottesberg herab.
Nur: wie ganz anders als damals ist diese Szene um die Gestalt Jesu bei diesen Worten der Bergpredigt! Äußerlich wiederholt Matthäus hier in absichtsvoller Symbolisierung die Begebenheit des Exodus; aber man flieht nicht mehr vor einem äußeren Zwingherrn in dem antiken Staatengebilde am Nil; seelisch entrinnt, wer diese Worte Jesu in sich aufnimmt, der Menschenfurcht und -abhängigkeit, wie sie ein jeder für gewöhnlich mit sich selbst herumschleppt. Äußerlich gesehen sucht man in Israel daher den Berg vergebens, an dem diese Worte der Seligpreisungen zum ersten Mal gesprochen wurden; sie werden und wurden gesagt allein auf den Bergen des Herzens, und nur dort sind sie zu vernehmen. Wo irgend wir uns selbst wie zu Gott emporgehoben und ganz nahe fühlen, dringen diese Worte an unser Ohr und erreichen unser Inneres. Im Unterschied zu der Szene des Exodus gibt es auch dies nicht mehr, dass man zu einem Gott aufschauen müsste, der im Wetterdräuen aus dem Wolkendunkel unter Blitz und Donner Furcht einflößend zu den Menschen redete (Ex 19,18–19) und mit Hammer und Meißel seine Gesetze in Stein prägen würde; vor uns steht als Gestalt eines zweiten Moses ein Mensch, in dem Gott erscheint, weil er nichts anderes ist und sein möchte als unser Bruder. Und auch wir selbst, die Scharen, die sich zu ihm drängen, gelten in diesem Augenblick als »neues Gottesvolk«. Und wie damals die siebzig mit Moses zusammen auf den Berg stiegen, Gott entgegen (Ex 24,9), so tritt jetzt ein engerer Kreis der Jünger um ihn zusammen, während er seinen Mund öffnet, um zu sprechen, was niemals so zu sagen war.
Freilich, der Diamant der Bergpredigt im Evangelium des Matthäus ist durch diese Redaktion des Evangelisten in eine Fassung gebracht worden, die nicht ohne Brüche und Widersprüche bleibt. Für das Matthäusevangelium bildet, kühn genug, die Bergpredigt gerade aufgrund der Parallelisierungen zum Alten Testament so etwas wie die Urkunde beziehungsweise wie die konstituierende Gesetzgebung der frühen Kirche. Bewusst möchte Matthäus mit diesem neuen Gesetz des Neuen Bundes die frühe Kirche herauslösen aus der jüdischen Synagoge und sie doch zugleich verstehen als deren Fortsetzung und Vollendung. Nie hat Jesus, historisch gesehen, selbst so gedacht, ganz im Gegenteil. Der Jude aus Nazareth wollte uns, die wir aus den Heiden stammen, hereinholen in das Volk der Erwählung und uns einen Platz geben unter den Kindern Abrahams. Dem Volk Israel gilt daher unser aller Segen und unser aller Dankbarkeit, denn aus ihm kommt der Jude Jesus selbst. Auch ein »Gesetz« im Unterschied zu dem Gesetz des Moses wollte Jesus so nie aussprechen. Vielmehr: Ermächtigungsworte der Freiheit sind es, die er hier über die Menschheit vom Himmel herabkommen lässt wie Regen über Pflanzen, die in der Gluthitze der Dürre fast verdurstet und verkommen sind; ein großes Erbarmen wollte er bringen, auf dass wir Menschen leben könnten und aus innen heraus eine Freiheit und eine Unabhängigkeit zu gewinnen vermöchten, wie sie in dieser Weise niemals zuvor bestanden hatte. Eine Botschaft sollte dies sein, die den Heerzug der Kranken und der Notleidenden aufrichtet; darin allerdings kommt auch die Konstruktion des Matthäus dem ursprünglichen Sinn der Worte Jesu außerordentlich nahe. Denn Punkt für Punkt werden insbesondere die »Seligpreisungen« der Bergpredigt all die Formen menschlicher Erniedrigung aufgreifen und durchgehen – all das, wovor wir uns für gewöhnlich fürchten und was wir mit allen Kräften zu vermeiden trachten. Es war für Jesus offensichtlich, wie infolge bestimmter Ängste unser Leben immer von Neuem sich in einen Kokon von Lügen einspinnt und sich verpuppt zu einem raupenartigen Etwas, das niemals seine Flügel zu breiten und sich in die Freiheit eines Meeres von Licht und Wind zu stürzen wagen wird. Gerade das, was normalerweise »Glück« genannt wird, kann unter diesen Umständen als die ausgemachteste Fluchtburg der Angst vor sich selbst gelten, und alles kommt darauf an, den Menschen den Mut zur Ehrlichkeit sich selbst gegenüber zurückzuschenken. Mögen wir in den Augen unserer Mitmenschen oder sogar schon in unseren eigenen Augen auch noch so erbärmlich dastehen – wenn wir es nur erst wagen, uns zu dem zu bekennen, was wir wirklich sind, beginnt eine unerhörte stille Revolution der gesamten Lebenseinstellung, und was ehedem noch wie »verflucht« erschien, kehrt nun zurück in den Frieden eines verlorenen Paradieses.
Die unerlässliche Voraussetzung dazu aber ist ein totaler Umsturz unserer Weltbetrachtung. Solange wir zur Bewertung unseres Lebens nur die Parameter des Endlichen wählen, bleiben wir die Gefangenen unserer eigenen Angst, die Ausgelieferten fremder Be- und Verurteilungen, die Marionetten des Äußeren. Demgegenüber sind die »Seligpreisungen« Jesu am Anfang der Bergpredigt so etwas wie eine Probe aufs Exempel, inwieweit es gelin- gen kann, nachzuerleben, was Jesus selbst bei der »Taufe« im Jordan erlebt haben muss: dass diese Welt des Todes sich auf den Himmel hin öffnet und das ganze Leben noch einmal neu und wirklich beginnen kann, wenn man es aufgreift von Gott her.
Kein Wort der Bergpredigt lässt sich daher verstehen als eine »Forderung«, als ein »Sollensanspruch« in moralischem Sinne, ein jedes ist zu interpretieren stets und einzig als die Beschreibung dessen, was möglich wird für denjenigen, der sich wirklich auf Gott einlässt. Wer versteht, was Jesus hier sagen will, für den ändert sich die Welt; er ist ein buchstäblich Verwandelter, ein aus Elend Geretteter, ein wie durch die sakramentale Magie der Worte des Glaubens Erlöster. Und so muss man insbesondere die »Seligpreisungen« hören wie die Ouvertüre zu einer zauberhaften Symphonie, die in unser scheinbar so verlorenes Leben Töne von Heimweh und Rückkehr, von Verheißung und Wiedergefundenwerden zurückträgt, bis dass es uns verlockt, all die Wahrheiten und Überzeugungen endlich zu leben, die wir im Grunde immer schon wie schlafend in uns trugen und die wir uns dennoch niemals wirklich zutrauen mochten.
Alles beginnt mit der Seligpreisung der Armen. – Im Lukasevangelium sind damit Menschen gemeint, die auf jedweden äußeren Besitz Verzicht tun; für Matthäus aber ist dieses Wort tiefer und innerlicher zu verstehen. Arm aus Geist sind für ihn diejenigen, die in ihrer Gesinnung und Selbstwahrnehmung sich nicht länger verleugnen, sondern die in der Kraft Gottes zu dem stehen, was sie sind. Religionsgeschichtlich gab es zur Zeit Jesu die Bewegung der geistig Armen, der anije ruach, – wie sie bereits in den Psalmen mitunter erwähnt werden. Aber nicht auf sie als eine religiöse Organisation bezieht sich das erste Wort der Seligpreisungen; auf uns selbst als Menschen richtet es sich, die wir von den Tagen Adams an uns unendlich schwer tun, einfach so zu sein, wie wir sind. Deshalb lässt sich die erste Seligpreisung Jesu übersetzen mit den Worten: »Glücklich« – nicht: »die Armen im (aus) Geiste«, sondern –, »die ihre Armut von Gott her (an)erkennen«.
Nichts gibt es, was wir in unserem Leben mehr zu vermeiden und wovor wir hastiger und angestrengter wegzulaufen suchen würden als das Gefühl unserer Armut und Armseligkeit. Immer wieder halten wir dies für das Allerschlimmste: nicht »reich« genug zu sein, und ständig schämen wir uns für unsere vermeintlichen und wirklichen Mangelstellen. Ständig entdecken wir, wo wir vermeintlich zu kurz geraten sind und nicht ausreichend erscheinen könnten unter den Augen der strengen Kritik anderer. Und schon geht es los – das Spiel der Selbstablehnung, der wechselseitigen Erniedrigungen, der Verfolgungsjagden, der Lügen, der Maskeraden. Es hört nicht auf, es müsste aber unbedingt beendet werden, wenn wir je die Chance wiedergewinnen wollen, Menschen zu sein. Deshalb offenbar rückt Jesus das Thema Armut an den Anfang der Seligpreisungen, und er wird in seinem ganzen Leben auch künftig nichts anderes sagen, als dass wir zu Gott aufblicken könnten als zu unserem Vater, mit einem Vertrauen, dass Gott alles weiß, was uns auf der Seele liegt, noch ehe wir’s aussprechen; ihm könnten wir ehrlich gegenübertreten, und es fiele das Gefühl der Schande und der Scham von uns ab; wir könnten uns zutrauen, aufrecht vor Gott zu stehen, und wir brauchten nicht mehr gegen uns selbst, gegen unsere Kleinheit und Armseligkeit anzukämpfen, wir könnten unser Dasein Gott überlassen, und augenblicklich würden wir die Schönheit unseres Lebens zurückgewinnen und die Macht Gottes spüren, die nichts weiter möchte, als dass wir so sind, wie seine Hände uns geformt haben.
Genau besehen gibt es wohl nur diese eine Wahl, wenn man dies denn als eine Wahl bezeichnen möchte: zwischen Himmel und Hölle, zwischen Angst und Vertrauen, zwischen Selbstverachtung oder Selbstannahme, und sie entscheidet sich je nach unserer Stellung zu Gott. Entweder wir sehen ab von Gott und nehmen unser Leben, wie es ist; dann werden wir finden, dass es aus Staub gemacht ist, dass es eine mangelhafte Form besitzt und dass es endlos verbesserungsbedürftig ist; und schon werden wir beginnen, an uns herumzupressen und herumzumodeln, um etwas Besseres, Festeres, Konsistenteres aus uns zu machen, als wir sind, ein jeder selbst sein eigener Schöpfer, ein Ersatzgott im Privaten, inmitten einer gnadenlosen Welt, und jeder zugleich folglich auch sein eigener Henker; und es wird dieser Terror des Selbsthasses nicht aufhören. Immer wieder wird es heißen: Verflucht ist, wer schwach ist, und: Weh dem, der arm ist. Oder es beginnt eine Welt außerhalb der »Pharaonenherrschaft«, außerhalb der Menschendespotie, und wir leben nicht mehr länger in »Ägyptenland«, im Schmelzofen des Hasses, sondern sehen uns zum ersten Mal auf dieser Zwischenstation des Berges, unterwegs in das Land der Verheißung; dann ist es erlaubt, so zu sein, wie Gott uns wollte, keinen Deut anders, nicht mehr und nicht weniger; und alles fände sein Ende, womit wir uns sonst quälen, und wir hätten endgültig nichts mehr zu fürchten; wir wüssten, wie sehr Gott auf unserer Seite steht, und alle Seiten der Bibel würden wir neu verstehen, vor allem die Worte, die Jesus sprach, als er selbst, nicht am Berg der Seligpreisungen, wohl aber am Ölberg sein Schicksal und sein Leben in die Hände Gottes zurückgab (Mt 26,39).
Auf keine andere Weise wird ein Mensch zu sich selbst befreit, als dass er es in dem Akt eines solchen äußersten Einverständnisses lernt, seine Beschränktheiten und Grenzen anzunehmen. Es ist die Grundformel zur inneren Befreiung und Erlösung aller Menschen, die Grundformel zur Wiederherstellung des Menschen aus seinen zwanghaften Deformationen: dass alle Schuld und Selbstverfehlung im letzten eine Art Selbstüberforderung aus Ekel an der eigenen Schwäche darstellt und es nur einen einzigen Gedanken gibt, der den Menschen vor sich selbst in Schutz nimmt und ihm die notwendige Selbstachtung zukommen lässt: der Glaube, dass Gott uns geschaffen hat mit unserer Armseligkeit, mit unserer Begrenztheit, mit all dem, was uns fehlt. Anderenfalls werden wir gezwungen sein, uns auf irgendeine Art trotz allem zu beweisen, dass wir kein nichtiges Stück Etwas, kein bloßes Nichts sind, und es bleibt uns dann nichts anderes übrig, als das schier Unmögliche von uns zu fordern: Absolut ungerechtfertigt, verlangen wir von uns das Absolute, um uns zu rechtfertigen für unsere Nichtigkeit, und werden ständig von unserem überforderten schlechten Gewissen zu neuen Leistungen und neuen Resignationen angetrieben. Unausweichlich ergehen wir uns dann, wie max frisch es einmal ausgedrückt hat, in einer Art koketter Selbsterkenntnis, die dem anderen stets mit der Beschreibung unserer eigenen Schwächen zuvorzukommen sucht und doch nichts ist als eine »lebenslängliche Melancholie, als geistreicher Umgang mit unserer früheren Resignation … und Menschen dieser Art sind zuweilen die nettesten Tischgenossen«1. frisch meinte, es sei auch nicht wahr, dass »die Selbstannahme mit dem Alter von selber komme … In gewisser Hinsicht wird es mit dem Alter sogar schwieriger. Immer mehr Leute, zu denen wir in Bewunderung emporschauen, sind jünger als wir, unsere Frist wird kürzer und kürzer und kürzer, eine Resignation immer leichter … Es braucht die höchste Lebenskraft, um sich selbst anzunehmen … In der Forderung, man solle seinen Nächsten lieben wie sich selbst, ist es als Selbstverständlichkeit enthalten, dass einer sich selbst liebe, sich selbst annimmt, so wie er erschaffen worden ist. Allein, auch mit der Selbstannahme ist es noch nicht getan! Solange ich die Umwelt überzeugen will, dass ich niemand anders als ich selbst bin, habe ich notwendigerweise Angst vor Missdeutung, bleibe ihr Gefangener kraft dieser Angst … Ohne die Gewissheit«, fügt max frisch hinzu, »von einer absoluten Instanz außerhalb menschlicher Deutung, ohne die Gewissheit, dass es eine absolute Realität gibt, kann ich mir … nicht denken …, dass wir je dahin gelangen können, frei zu sein.«2