Züngelnder Groll - Franziska König - E-Book

Züngelnder Groll E-Book

Franziska König

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Beschreibung

"Meine Aufgabe ist es GUTE Musik zu präsentieren,und die Politik überlasse ich lieber den anderen!" legte er sich gleichsam stramm klingende und wohldosierte Worte zurecht.....

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Aus dem Leben einer Musikerfamilie

2014 Januar

Meinem allerliebsten Ming gewidmet!

Franziska (Kika) im Jahre 1995 fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott

Ein Buch ohne Vorwort Sie können gleich anfangen zu lesen.

Die wichtigsten Vorkömmlinge finden Sie am Ende des Buches im Personenverzeichnis

Hier aber schon mal die Allerwichtigsten: Rehlein: meine Mutter Buz: mein Vater und Ming: mein Bruder Letzterer wohnt mit seiner kleinen Familie in Ostfriesland.

Inhaltsverzeichnis

Januar 2014

Mittwoch, 1. Januar

Donnerstag, 2. Januar

Freitag, 3. Januar

Samstag, 4. Januar

Sonntag, 5. Januar

Montag 6. Januar

Dienstag, 7. Januar

Mittwoch, 8. Januar

Donnerstag, 9. Januar

Freitag, 10. Januar

Samstag, 11. Januar

Sonntag, 12. Januar

Montag, 13. Januar

Dienstag, 14. Januar

Mittwoch, 15. Januar

Donnerstag 16. Januar

Freitag 17. Januar

Samstag, 18. Januar

Sonntag, 19. Januar

Montag, 20. Januar

Dienstag, 21. Januar

Mittwoch, 22. Januar

Donnerstag, 23. Januar

Freitag, 24. Januar

Samstag, 25. Januar

Sonntag, 26. Januar

Montag, 27. Januar

Dienstag, 28. Januar

Mittwoch, 29. Januar

Donnerstag, 30. Januar

Freitag, 31. Januar

Personenverzeichnis

Januar 2014

Mittwoch, 1. Januar

Ofenbach

(ein unscheinbares Dorf in Niederösterreich)

Sonnenglanz,

nur am Nachmittag leichte Wolkenschwaden

Erhoben um 7 Uhr 15.

Ich im Keller war sehr tief in den Brunnen des Schlafes hinabgesunken, doch wann, wenn nicht heut am Neujahrstag, gäbe es eine passende Gelegenheit, das Sprungbrett zu einem neuen Leben zu besteigen?

Gottlob! Ich schaffte das geplante Früherhöbnis, und konnte somit vor mir selber mit gutem Beispiel vorangehen. Oben in der Stube lag Rehlein in einer Gymnastikpose auf dem Boden und begrüßte mich gleich mit dem gereckten Zeigefinger vor ihren Lippen mit einem „Pssssssst!!“

Es erinnerte mich an früher, als wir noch in Ostfriesland lebten, und ich zum Frühstück oftmals aufdringlich mit einem „Psssst!“ empfangen wurde, weil im Radio „am Morgen vorgelesen“ wurde, und man somit still zu sein hatte, obwohl ich so viele tausende Male lieber ein lebhaftes Plauderfrühstück mit meinen Lieben abgehalten hätte.

Mir, mit der geistesdurchwobenen Lektüre erging es damals so, wie es Rehlein ein Leben lang mit Buzens Geigenschülern* erging. Immer eine fremde Stimme am Frühstückstisch!

*Die Schüler kamen, blieben den ganzen Tag, da sie Buzen in einen pädagogischen Rausch zu versetzen pflegten, verpassten den Zug, ließen sich ein Bett beziehen, und blieben auch noch zum Frühstück.

Damals jedoch war es die Stimme des so hochgeschätzten Gert Westphal, der die quälend auf der Stelle tretenden Texte eines Thomas Mann verlas, die mir in ihrer Zähigkeit und dem aufdringlichen Altherrenparfüm das sich durch die Zeilen zog, auf die Nerven fielen.

Der Hörer wird in eine Szene hineingenagelt, die ihn wenig interessiert, und kommt einfach nicht mehr vom Fleck. Ein Altherrengebabbel – wenn auch natürlich hochgeistiger Natur.

(So dachte ich dereinst in meiner juvenilen Unreife)

Der Televisor lief.

Zum Frühstück gab es einen interessanten Honig mit halben Walnußstücken, die sich wie Käfer auf der Brotesoberfläche ausnahmen, und zu diesem Hochgenuß verfolgten wir den Gottesdienst im Petersdom mit Papst Franziskus.

Leider sah der Franziskus beim Oblatenverteilen alles andere als erleuchtet aus: Käsig und übermüdet mühte er sich mit diesem Ritual ab, und ich stellte mir vor, wie er genau in dieser Scheißlaune auch den Bischof Tebartz empfangen hat.

Der Bischof twittert: „Franziskus hat schon den ganzen Tag diese Scheißlaune!“

(Drei saure Smilies zur Bekräftigung dieser harten Worte.)

Ich fühlte Onkel Ottos Erbmasse in meinem Inneren glimmen, und dachte einen überlieferten Gedanken des Verstorbenen: „Daß erwachsene Menschen sich mit dererlei befassen, ist mir unbegreiflich!“

Rehlein meinte, der Papst würde die Eucharistie womöglich als nötiges Übel hinnehmen, da sie zum Papsttum einfach dazugehöre – aber darüber hinaus ginge es ihm womöglich auch nicht so besonders gut, da er im Laufe eines langen Lebens all jene Organe gespendet habe, auf die man zur Not verzichten könne:

Die eine Niere z.B. einer armen kranken alten Frau, die die Niere nötiger hatte als er.

Nach dem Frühstück folgte Rehlein dem Lockruf der Sonnenstrahlen, und stieg in ihren glänzenden Biberpelz, um sich auf einen Spaziergang zu begeben.

Ich prägte mir den Anblick meiner hinfortstrebenden Frau Mama ganz intensiv ein, denn was, wenn Rehlein von diesem Spaziergang auf geheimnisvollste Weise nie wieder zurückkehren würde?

Kein Mensch sieht oder hört jemals wieder etwas von Rehlein, und bis an unser Lebensende müssen wir mit der Ungewissheit weiterleben, was aus Rehlein wohl geworden sein mag?

Und tatsächlich war Rehlein um 11 Uhr immer noch nicht zurückgekehrt, obwohl ihr doch das Neujahrskonzert so am Herzen gelegen war.

Buz im Musikzimmer übte etwas schwerfällig auf seiner Violine. Das Fokussierungsglas des angestrebten Fortschritts bloß auf einen Punkt – die Bogenführung - gerichtet, so daß er den innewohnenden Ausdruck der Melodien sträflich vernachlässigte.

Na, Rehlein war dann zum Neujahrskonzert gottlob doch wieder daheim.

Die Wiener Philharmoniker spielten unter der Leitung von Daniel Barenboim.

„Wann hat er bloß die Zeit gefunden, die ganzen Walzer auch noch auswendig zu lernen?“ frägt sich da so manch einer unter uns bewundernd, aber wahrscheinlich ließ er nur seine natürliche Musikalität spielen, und über die Wiener Philharmoniker wiederum heißt´s, die spielten eh von allein.

Ein berühmter Dirigent mit geschliffener Gestik und tiefer Musikalität, die sich telegen auf seinen Zügen spiegelt…dies sei eher Zierde denn Notwendigkeit für diesen traditionsschweren Klangkorpus.

Dafür bekäme der Barenboim einer groben Schätzung Buzens zufolge etwa eine Million €uro Cash, weswegen er auch nur sehr kurz gezögert habe, als man ihm dies Dirigat angetragen hat.

Hi und da schob Rehlein ein zischendes „Psssst!“ vor oder zwischen Worte Buzens, z.B. als Buz auf die Ähnlichkeit eines Geigers mit einem Politiker hinwies, und dann redete Rehlein selber an anderer Stelle.

Rehlein sprach etwas hochnäsig im Ausdruck davon, daß der Barenboim zu Ehren seiner Frau Elena die Helenenquadrille spielen ließe.

Die Kamera schwenkte auf die solchermaßen Geehrte drauf, die man natürlich sehr gerne etwas länger betrachtet hätte.

Doch man hatte einen kurzen Eindruck bekommen:

Das Alter hat nach der einst schönsten Frau der Welt gegriffen, worüber auch ein Lächeln und ein Frisörbesuch nicht hinwegzutäuschen vermochte – mehr noch: Eine verschwitzt wirkende Babuschkafigur versucht sich nun, womöglich gegen den Willen dieser ehelichen Einheit, Bahn zu brechen!

„Wenn da ein jeder käme, und für seine Frau eine Quadrille spielen ließe!“

Ein kurz aufgeflammter, leicht entrüsteter Seniorengedanke, dessen innewohnende Konsternierung beim näheren Hindenken jedoch rasch an Substanz verliert, denn grad diese Idee gefiel mir, und davon gefiel sie Rehlein nun auch.

„Der Papa würde dir zu Ehren doch wohl auch gerne mal eine Erika-Quadrille spielen lassen?!“ lachte ich, und schaute unser Familienoberhaupt zu diesen weithergeholten Worten liebevoll von der Seite an.

Immer wieder wurden kleine Filmchen über die Vorbereitungen zum Neujahrskonzert eingeschoben: Man sah z.B. wie die Barenboims mit dem Privatjet herbeijetteten…dann gab es einen Schnitt, und wenig später entstiegen Barenboim und Frau einer noblen schwarzen Luxuslimousine, die das eheliche Gespann vor einer feinen Adresse ablud.

Stellvertretend für die Elena bewehte mich ein leichtes Elendsgefühl:

Man ist nichts weiter als das verblühte Anhängsel eines weltberühmten Dirigenten und Friedensnobelpreisnominators, der sich mit seinem kleinen Frauchen womöglich nur schmücken möchte, und im Alltag nicht groß über seine Gattin nachzudenken pflegt, da sein Kopf bis zum Bersten mit klugen und wichtigeren Gedanken angefüllt ist?

Interessiert begoogelte ich die Elena, und las darüber, wie sie im Windschatten ihres gigantischen Ehemanns das internationale Kammermusikfestival von Jerusalem betreut, wo die Künstler leider aus Prinzip nicht bezahlt werden, da es dort NUR um die Musik geht.

Auf zwei Fotos schaute die einst so Schöne ausgesprochen töricht aus.

Interessiert streckte ich die Fühler auch nach ihrem Sohn Michael, dem Geiger, aus und ließ ihn unmittelbar nach dem Neujahrskonzert, bei Youtube auf seiner Violine aufspielen:

Mozarts A-Dur Konzert.

Zum Klang der Musik frug ich mich, was der Barenboim nach dem Konzert wohl so treibt?

Vor meinem geistigen Auge suchte man soeben ein Bistro auf, doch Rehlein meinte, man säße bereits im koscheren Lokal der Frau von Sammy Molcho, wo der Barenboim allerdings am Händi absorbiert sei, da er noch rasch mit seinem Steuerberater beratschlagen müsse, auf welches Konto die Million wohl zu transferieren sei?

Nun denken wir Derartiges, und hernach spendet er die ganze Millionen für den Frieden, und beschämt uns alle tief?

Die Sonne schien, und ich machte mir laut Gedanken über das Talent des jungen Violinisten, von welchem ja immerhin beide Großväter bedeutsame Klavierprofessoren waren. Doch es heißt, Talent potenziere sich leider nicht. Wenn man Glück hat, so erbe man vielleicht ein bißchen davon von seinen Vorfahren. Den Rest müsse man sich hart erarbeiten.

„Hoffentlich hat das Pröppilein* genügend Talent!“ bangte ich plötzlich, und hoffte sehr, daß zumindest eine von den zwölf Feen, die an der Wiege standen, ganz schnell noch etwas mehr Talent mit der goldenen Schöpfkelle auf den Säugling draufgeschwappt hat, so wie es ja einst beim süßesten Ming geschehen ist.

*Meine kleine Nichte Yara, ein Jahr alt

In den Nachrichten zur Mittagsstund´ wurde verkündet, daß ein 53-jähriger Herr aus Niederösterreich durch einen Böller um´s Leben kam. Er hatte sich einen Böller aus dem Internet bestellt, doch der knallte nicht los, und dann beugte er sich fragend darüber, und dann bollerte er doch los. Den ganzen restlichen Tag dachte ich an den armen Herrn und seine Lieben.

Abends schauten wir das Zirkus-Festival von Monte Carlo an.

Die Charlene sah leider immer so unfroh aus, doch dies liegt wohl daran, daß das kleine Vögelchen ganz unartgerecht gehalten wird? Ständig schauen alle Leute drauf, wie sie wohl gelaunt ist, und versuchen aus ihrer Miene herauszulesen, ob der Albääär womöglich fremdgeht?

Ein Brief von Buzens Meisterschülerin Julia Kim, der schon seit zwei Tagen auf Rehleins Eingangs-Spieß stak, sorgte für Wirbel.

Rehlein hatte ihn noch gar nicht angeklickt, weil sie ihn für einen schlichten Neujahrsgruß gehalten hatte. Tatsächlich aber vibrierte die pflichtgemäße Neujahrsgratulation zu Briefbeginn geradezu vor Bestreben, rasch abgehakt zu werden um Wichtigerem Platz zu machen: Einer empörenden Geschichte. Aber hört selber: In einer Gruppe, bestehend aus zehn Musikanten, hatte man einen Preis gewonnen: 1500 €.

Doch eine böse chinesische Tänzerin rückt das Geld nicht heraus, weil sie es ganz für sich allein beansprucht.

(Davon morgen mehr.)

Donnerstag, 2. Januar

Graugetöntes, so jedoch angenehmes Sonnenwetter. Etwas frösteliger temperiert als gestern

Undurchsichtige Kumuluswolken, die nichts von ihren Plänen preisgeben wollen.

Man schaut durchs Fenster und hat vielleicht ein bißchen das Gefühl, es könne bald losschneien?

Schlafessüße und auch noch ein Traumgebilde stak mir im Gebein, und zunächst galt´s, im Alltag wieder einigermaßen Tritt zu fassen.

Ich stieg in die silberne Thermobüx und einen grauen Pulli, und oben lag Rehlein wie alle Tage als Gymnastikbetreibende auf dem Boden.

Mit der mütterlichen Info behaucht, daß es draussen sehr windig sei, wetzte ich augenblicklich los.*

*Mein Morgensport: Jeden Morgen 45 Minuten lang durch den Wald zu rennen, um Kalorien abzubauen und Sauerstoff zu tanken.

Das Sahnehäubchen auf der Oberfläche vom Schneeberg wurde von der aufgehenden Sonne mit purem Gold beschwappt.

Beim Frühstück mit meinen Lieben erzählte ich von Frau Lisa Leonskaja, die immer sehr gerne in Konzerte geht. Früher lud ich sie oft zu meinen Vorspielen in der Wiener Musikhochschule ein, und wann immer sich die Gelegenheit ergab, kam sie, denn sie liebte es. Die knisternde Atmosphäre, die nervösen Studenten, die vor den kritischen Ohren der Anderen nur ein Bruchteil ihres Könnens zustande brachten, und die Erinnerungen an das Gemäuer des Moskauer Konversatoriums, -jener Brutstätte für die so hochgepriesene sowjetische Interpretengarde…es war richtig rührend!

Ich begoogelte sie und fand ein recht nettes und lebhaftes Interview, dem zu entnehmen war, daß es sich bei ihr um einen Anekdötchentypus handelt, so wie ich einer bin. Allein zwei Anekdötchen in einem Interview!

Aber auch ihre tiefsitzende Meinung, daß man wohl am ehesten die Musik seines Landes verstünde, schimmerte durch die Anekdötchen hindurch:

„Martha Argerich klagte: „Ich verstehe keinen Schubert!“

„Matjotschka! Du kannst nichts dafür, daß Du in Argentinien geboren bist!““ - und hier an dieser Stelle hört der Leser Lisas herzliches, einnehmendes Lachen - soll heißen: Jemand, der in Argentinien geboren ist, sollte vielleicht die Finger von Schubert lassen? Zu leicht verbrennt man sich die Finger dabei, denn der Schubertsche Geist ist doch wohl kaum in Buenos Aires geboren!?! Und haben die dort nicht genug eigene Musik, an der sie ihre Selbstdarstellung austoben können? Werke von Piazzolla oder Villa-Lobos z.B.?

Das Problem um Julia Kim herum, rückte wieder in den Entrüstungsfokus der Erwachsenen:

Die chinesische Tänzerin Yu-Ting faselt etwas von einem Video bei Youtube, von dem sie sich ihren großen internationalen Durchbruch erhofft, und Julia Kim in ihrem leicht verbitterten, vorerst jedoch unabgesandtem Briefe schrieb, wenn zwar in simplerer Wortwahl und hinzu auf ausländerdeutsch, daß die Musikanten an der Peripherie des Herumgehopses doch gar nichts davon hätten, unentgeltlich bei ihr mitzuspielen?

Als ich nach einer ersten Übstunde auf meiner Violine wieder in die heimische Stube zurückkehrte, war Rehlein dabei einen flammend geharnischten Brief an Julia Kim zu verfassen:

Rotgefärbt und höchst erbost schrieb Rehlein ihre entrüstete Meinung in Julias Schrieb hinein.

Abends wurde ein Film über David Garrett gesendet:

Gezeigt wurden Ausschnitte aus einer Show mit abenteuerlicher Kulisse: Ganz in Gold getunkt, und mit brennenden Fackeln geschmückt.

Auf Teufel komm raus, wollte man eine irre Show hinlegen, doch das Geschrappe, und die Gesänge auf der Violine, wenn auch mit Worten so hinbeschworen, als sei dies etwas ganz und gar Unglaubliches, stopfen einem bloß die Ohren mit fadem Lärm und wirken auf mich, umgemünzt, eher so, als bette man sich ein Blatt mit WC-frisch getränktem Toilettenpapier auf die Zunge, und wolle sich einreden lassen, dies sei eine Delikatesse der besonderen Art.

Man sah die amerikanische Mutti des Interpreten beim stolzen Rumprahlen, und ihr Ex in Aachen dürfte gedacht haben: „Ich kotz gleich!“

Dann sah man Davids Geigenpatronatin Ida Haendel mit ihrer üppigen Wiegenfrisur über dem gedörrten länglichen Gesicht, in dem sich nichts als empörter, fast lugubrer Ernst spiegelte. Wenn es ihm Spaß mache Rock zu spielen? – Bitte schön.

Worte, die man mit schiefem Blick und spitzen Fingern aus seinem Inneren gefischt vor sich ausgebreitet hat, um leicht angeekelt draufzublicken.

Und sogar Beethovens Violinkonzert hat der junge Mann im Repertoire. Die feurig-rockige Art hat er sich aus seinem sog. Crossover-Leben beibehalten, doch ansonsten klangen jene Teile des Finales, die man für den Film zusammengeschnitten hatte, ruchlos und ungepflegt, als röchen sie nach Achselschweiß.

Freitag, 3. Januar

Schön sonnig. Zur nachmittäglichen Stund schwächte der Sonnenschein allerdings etwas ab

__________________________________

Kleines Vorwissen für den Tag:

Seit unserem Besuch im letzten November in Petaluma/Kalifornien bin ich mit meiner Tante Bea leider verstimmt, da sie sich immer so izzelig und zwiderwurzig gab, auf luftabschnürende Weise, wie es in Amerika und in Künstlerkreisen offenbar Ehrensache ist, mit der Zeit geizte, schlecht hinhörte und ständig alles fehlinterpretierte, so daß das Leben mit ihr keine Freude war, wenn sie auch sehr gut gekocht hat, und darüber hinaus ihre Memorien schreibt, was ja wiederum interessant und reizvoll ist.

Wieder schlief ich sagenhaft und träumte:

Mein sorgloses Studentenleben, in dem ich mich wie in einem warmen Wannenbad gefühlt hatte, bewegte sich ganz plötzlich seinem Ende zu.

In jenem Musikhochschulzweig am Belvederepark in Wien, lief ich einen Flur entlang. Laut und einsamstimmend hallten meine Schritte. Der Flur verengte sich nach einer Weile, und bald schaute es aus wie in einem alten Eisenbahnwaggon. Dort saß in abgematteter, dämmriger Beleuchtung ein Gremium, bestehend aus wichtigen Hochschulgrößen, aber auch Freunden wie beispielsweise der Veronika, da eine neue Prüfungsordnung erfunden, bzw. natürlich „entwickelt“ worden war:

Die Kommission besteht aus zwölf Geschworenen:

Drei Freunden und drei Feinden aus dem Kreise der hauseigenen Professoren, und sechs weiteren neutralen Hörern, von denen drei musikalisch und drei unmusikalisch sein müssen, bzw. “den kleinen Mann” verkörpern sollen, denn die Welt besteht ja auch aus normalen Menschen, und nicht nur aus Künstlern wie Frau König.

(Auricher Kulturamtslogik aus dem wahren Leben.)

Und nun wurde ganz knapp, und „auf den Punkt gebracht“ der erste Teil des Prüfungsprogramms besprochen, wo u.a. Schuberts Arpeggione-Sonate aufzutönen habe, da das Bratschenspiel ebenfalls dazugehöre. Dies Programm sei in wenigen Tagen vorzuführen, gefolgt vom nächsten und finalen Teil, und dann wäre ich auch schon dem Studentenleben enthoben.

Im wahren Leben beugte ich mich dem Weckerschrill, und redete beim lästigen Erhebungsvorgang begütigend und begeisterungstreibend auf mich selber ein, begrüßte alsbald das süßeste Rehlein, das wie alle Tage in einer Gymnastikpose in den Tag hineingepflanzt schien, und wetzte los. Die Uhr zeigte 7 Uhr 27.

Ich hoppele immer den gleichen Weg entlang: Den Dr.Gerhard-Poppinger-Weg in die Höh´, vorbei an der schönen Villa unserer lieben Freunde durch den Wald bis zum Echofeld, wo unter einer tausendjährigen Eiche „unsere“ Bank steht, (ein Geschenk der Poppingers für Opa und Rehlein).

Und nach 22 ½ Minuten stürme ich wieder zurück.

Als ich wieder auf unser Heim zuhoppelte, glaubte ich, Buz musiziere zu so früher Morgenstund´ bereits auf seiner Violine, aber es war ja doch bloß das Radio, aus welchem ein Satz von Janačeks Sinfonietta heraustönte.

Eine Aufnahme aus dem Jahre 1971: Nüchtern, und auf eine Weise interpretiert, als wolle man sich „absichtlich blöd stellen“, indem man die Gefühle nicht an sich heranließ, und die innewohnenden feinsten Gefühlsnuancen auf militant diktatorische Art einfach plattwalzte.

(„Er läßt den Schmerz nicht an sich heran, und hat darüber hinaus auch kein Ohr für das Bitten, Barmen und Flehen der Anderen!“ könnte somit über den Dirigenten vom alten Schlage vermerkt werden.)

Aber man hörte Klänge, die zu einem Zeitpunkt aus den Instrumenten herausschollen, als so Viele, die man kannte, noch gelebt haben.

Beim Gang in den Keller, wo ich mich rasch noch umzog, nahm ich das liebliche Bildnis Rehleins mit, das sich bereits so lieb im Türrahmen gezeigt hatte.

Sie habe mir bereits einen Orangensaft ausgepresst, sagte Rehlein warm und mütterlich.

Und oben im Sorgenstuhle war der kühle O-Saft wenig später so was an labend!

Bald darauf zeigte sich der süße Buz in seinem Schlafanzug, und Rehlein war so lieb zu Buzen: Er sähe aus wie ein Bub, und der Schlafanzug stünde ihm so gut!

Gestern abend sah Buz so schlecht aus: Fahl und mit rötlich umrandeten Augen. Doch nun schaute er gottlob etwas ausgeschlafener aus.

Wie alle Tage frühstückten wir im Banne des Televisors zu Zoo-Geschichten aus Stuttgart.

Man lernte einen Stuttgarter Zitteraal kennen, - ferner die vier uralten Elefantendamen, ein Quartett, das damals, als der Film gedreht wurde, noch vollzählig war, und von dem ich vergnügliche Geschichten zu erzählen wußte: Daß es bei denen gerochen habe wie im Augustinum, wenn auch etwas besser (vegetarischer), und daß die Pama eine reiche Sponsorin habe.

Als Party-Gag stand der beliebte Elefant aus dem städtischen Zoo, geschmückt auf einer Wiese, auf der ein Sommerfest abgehalten wurde.

Einmal wurde uns von einem lieben harmlosen Pfleger der sog. „Somalia-Esel“ vorgestellt, der ja, wie der Name schon sagt, aus Somalia kommt, und von dem es weltweit nur etwa 200 Stück gibt, so daß er zu einer echten Kostbarkeit mutiert ist, auch wenn die meisten Zoobesucher achtlos an ihm vorbeizulaufen pflegen.

Doch wer näher hinschaut, der lernt ein ganz besonderes Tier kennen: Wie von Wilhelm Busch gezeichnet, und hinzu goldgetönt.

Seit zwei Tagen versucht die reuezerknirschte Tante Bea nun schon, uns per Skype zu erreichen, doch mir mit der Bea geht´s nun so, wie einst der Bea selber mit Opa & Mobbln: Ich müsste die Bea eigentlich gar nicht nochmal sehen, und auch Dies muß man sich doch mal vor Augen führen: In Amerika hat sie uns kaum zu Wort kommen lassen, und auf einmal soll man skypen! Hallo?!? Da kann man doch nur Hohn lachen.

Ich stellte mir vor, wie mein Ärger immer anwächst – schließlich wachsen mir hohe Ärgerblätter über den Kopf hinweg, denn ich seh´s nicht mehr ein, warum man sich wohl alles gefallen lassen solle?

„Ich hab mich eigentlich geärgert!“ sagte ich der Bea im Geiste, und: „Ich nehme meinen Dank zurück!“

Abends rief uns die Irma an, die sich für Rehleins Jahresrundbrief bedanken, und hinzu schöne Neujahrswünsche übermitteln wollte. Doch als ich Rehlein herbeirief, sagte Rehlein fast bebend vor Telefonierunlust: „Ich kann grad nicht!“

„Ok!“ sagte die Irma. Für mich aber klang´s so, als wolle sie enttäuscht „schlucken“.

„Für mich alte Frau haben die jungen Leute nunmal keine Zeit mehr. Damit werde ich mich wohl abfinden müssen.“

Doch dann konnte Rehlein ja doch.

Samstag, 4. Januar

Klar und bleich. Im Grunde angenehm –

eine matte, bergende Gräue

Am Morgen erhob ich mich aus bergendem Traumgeschehen:

Es gab ein Wiedersehen mit Ming nach langer Zeit, doch Ming war sehr stringent geworden und erzählte alles, was zu sagen war eher „im Vorübergehen“ und hinzu in flapsigem Tonfall. Z.B. setzte er einen nur im Vorübergehen über einen Nachbarn in Kenntnis, der sehr unter seinen Migräne-Attacken litt.

Da aber schrillte mich der Wecker in die saure Realität heraus.

Wieder stieg ich in die knistrige silberne Trimmkluft, begrüßte das süßeste Rehlein das in einer Gymnastikpose stak, und schickte mich an, die beschwerliche Hoppelage zu absolvieren.

Beim Rennen durch die Morgenfrische überlegte ich, daß ich Onkel Dölein und Tante Bea meinen umgearbeiteten „Petaluma-Report“ doch wohl kapitelweise zuschicken könnte?

Man stellt es sich so schön vor: Alle brennen vor Wollust weiterzulesen. „Weiter!“ schreibense mir atemlos, doch in Wirklichkeit schaut´s wohl eher so aus, daß man nie etwas von ihnen hört.

Allenfalls verlangt vielleicht Onkel Dö einen Tag Nachschub, und dann kommt der schöne „Austausch“ auch schon bald zum Erliegen?

Man sieht´s ja auch daran, daß ich mit Beätchens Memorien noch nicht einmal angefangen habe.

Endlich war ich wieder daheim, und auch wenn Rehlein gestern von geradezu frühlingshaften Temperaturen sprach, die vorverkündet worden waren - jetzt war die Hinterscheibe von meinem Auto eisverkrustet.

Ein frohes Neues! schrieb ich in schönster Lehrerinnenhandschrift in das Eis.

„Wer kann denn das gewesen sein?“ dachte der kontaktfreudige Buz in mir, der immer auf ein Wunder wartet, erfreut und, „das ist doch niemals die Schrift von der Kika?!“

Den freudenzersetzenden Gedanken vom Morgen zum Trotze, begann ich nun dennoch, den Petaluma-Report einem, wie von mir selber propagierten, fünfmaligen Schleudergang zu unterziehen, in dessen Folge kaum ein Buchstabe auf seinem Platze stehen blieb, und die Arbeit bereitete mir gute Laune!

Ich begann das Schriftstück zu einer ansprechenden Erzählung umzuformen, erfand etwas dazu, und substanzloses Geschwätz wurde erbarmungslos gestrichen.

Später dachte ich mir auch noch aus, wie ich Beätchens Rundbrief kritisch unter die Lupe nehme: Ich färbe ganze Passagen rot und schreibe nach Art eines kleinen Buttjés, der alle Zeit der Welt zu haben hat, und mit seinen stämmigen Beinchen aufrecht an den Gitterstäben seines Kinderbettchens steht: „Solch substanzloses Geschwätz sollte erbarmungslos gestrichen werden!“ Da mir der Ausdruck „erbarmungslos“ zur Zeit so gut gefällt.

Dann frühstückten wir.

Anlehnend an meine eigene, positiv aufladende Erfahrung, riet ich Buz, seine Memorien in einem Guss zu schreiben, und hernach fünf Schleudergängen zu unterziehen. Doch wie es so ist mit guten Erfahrungen…Rehlein lenkte ein: „Du machst es so, und er so!“

Ich riß zwei gute Witze und freute mich unerhört, daß sie Buzen erheiterten. Einen davon hatte ich selber erfunden, und meiner Meinung nach bereits vor geraumer Zeit schon einmal gezündet. Buz aber reagierte darauf, als höre er ihn das erste Mal, und lachte amüsiert:

Was macht ein Ostfriese der versehentlich Salz auf einem Tischtuch verstreut hat? Er gießt Rotwein drüber…“

Rehlein sagte so nett „Ich liebe Dich!“ zu Buzen.

Ein Satz, den man in dieser schlichten und anrührenden Form schon lange nicht mehr von ihr gehört hat.

Zu Mittag gab´s ein sämiges Gemüsesüppchen und hernach eine Bio-Pizza, üppig mit goldgelbem Käse überzogen, von Rehlein gedrittelt, und von uns mit Genuß verspeist.

Bald darauf setzte ich meine Studien auf der Violine fort, und draussen wurde es ziemlich neblig, so daß die OCD* Schraube in meinem Inneren aufgedreht, bzw. gelockert wurde: Wollte Buz nicht heut mit meinem Auto zum nachmittäglichen Lanzenkirchner Neujahrskonzert fahren?

Ich stellte mir vor, wie man in der Gebrauchsanweisung studiert, wie die Nebelschlußleuchte wohl funktioniere, um es Buzen für den kurzen Weg zum Gemeindehaus beizubringen. Doch Buz schlägt die guten Lehren in den Wind, zumal er irgendwo gelesen haben will, daß das mit der Nebelschlußleuchte gar nicht so gut sei? Dann rummst ihm jemand in seinen Autopo – oder aber Buz rammt jemand anderem den Seinen?

Ferner sah ich es bereits jetzt vor mir, wie Buz nach dem Konzert ratlos in den Taschen seiner Joppe nach meinem Autoschlüssel wühlt.

*obsessive compulsive disorder (eine leichte Geisteskrankheit)

Mittags schauten Buz und Rehlein „Old Schatterhand“, und zweng der abgeschlossenen Haustüre mußte ich mich auf die Terrasse begeben, ans Fenster donnern, um mit einer (gefühlt) geschüttelten Faust auf die mißliche Lage aufmerksam zu machen, in der ich stük.