Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Eine Milieustudie oder Realdoku aus dem wahren Leben. Der Leser ist dazu eingeladen, eine Geigerin auf ihrem Lebenswege zu begleiten, und an den Freuden und Dramen zu partizipieren, die den September 2003 in eine Symphonie verwandeln sollten. Der Alltag selber diktiert die Handlung.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 197
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Journal
Realdoku aus dem wahren Leben
Für Onkel Dölein
Franziska (Kika) mit ihrer Violine – fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott aus Rottweil.
„Wenn ich dereinst verstorben bin, so schweigt auch meine Violine!“ sagt sie.
Drum bringt Franziska alle vier Wochen ein schlankes bis vollschlankes Taschenbuch heraus.
Erzählt werden Geschichten aus dem wahren Leben, die von erhöhtem Interesse sein dürften.
Jeden vierten Dienstag um 18.05 wird das fertige Manuskript in die Umlaufbahn entsandt.
Die meisten Vorkömmlinge finden sich im Personenverzeichnis am Ende des Buches
Hier die Familie vorweg:
Buz (Wolfram), unser Papa (*1938) Professor für Violine an der Musikhochschule in TrossingenRehlein (Erika), unsere Mutter (*1939)Ming (Iwan), mein Bruder (*1964)
Ein Buch ohne Vorwort. Sie können gleich anfangen zu lesen…
September 2003
Montag, 1. September
Dienstag, 2. September
Mittwoch, 3. September
Donnerstag, 4. September
Freitag, 5. September
Samstag, 6. September
Sonntag, 7. September
Montag, 8. September
Dienstag, 9. September
Mittwoch, 10. September
Donnerstag, 11. September
Freitag, 12. September
Samstag, 13. September
Sonntag, 14. September
Montag, 15. September
Dienstag, 16. September
Mittwoch, 17. September
Donnerstag, 18. September
Freitag, 19. September
Samstag, 20. September
Sonntag, 21. September
Montag, 22. September
Dienstag, 23. September
Mittwoch, 24. September
Donnerstag, 25. September
Freitag, 26. September
Samstag, 27. September
Sonntag, 28. September
Montag, 29. September
Dienstag, 30. September
Personenverzeichnis
September 2003
Vorwissen:
Ich befand mich mit meinem Onkel Dölein auf Reisen. Zu Beginn des frisch angeknabberten Monat Septembers waren wir bei Onkel Andi und Tante Lisel im Brandenburgischen zu Gast…
Montag, 1. September
Blankenfelde/Brandenburg – Lübeck
Eher grau, wenn es auch am Nachmittag in Lübeck zuweilen wunderschön beleuchtet war. Sonnenglanz und arielweiße Kumuluswolken wechselten mit tiefgrauem Gewölk in der Farbtönung verkochter Auberginen
Andi pflegt sich zu erheben um alsbald zum Dienst zu streben
Der September begann mit einem Reim.
Um sechs Uhr in der Früh beugte sich der Onkel wie alle Tage dem Weckerschrill.
In der Wohnstube im unteren Stockwerk wartete ein liebevoll zubereitetes Frühstück, und auch die Pausenbrote hatte die brave Gattin Lisel bereits gerichtet.
Mit dem Aktenkoffer in der Hand – so, wie einst der Opa – rumpelte der Onkel die Stiegen herab. Doch die Zeit für ein gemütliches Frühstück mit den weitgereisten Verwandten schien knapp bemessen.
Mit Kaffee, Müsli und Brötchen versuchte der Arbeitnehmer die Süße der Nacht zu vertreiben, die ihm noch im Gebein zu stecken schien.
Onkel Dölein und mir als Verwandten ließ er je eine Umarmung angedeihen. Die Lisel küsste er, wie es von einem treuen Ehemann erwartet wird auf den Mund, hernach tätschelte er seinem Hund Ada neckisch den Kopf, und verschwand.
Bei der Lisel ist es immer so adrett.
Auch sie erhebt sich früh, und entwirft noch im Erhebungsschwunge steckend innerlich einen klaren Tagesplan, auf daß der Tag in eine gescheite Form gepresst würde.
Dölein, Lisel und ich gruppierten uns um die Frühstückstafel herum. Lisels kleine Enkelin Sabrina pflegt bis um halb elf zu schlafen. Zeitweise spürten wir ihre Aura gar nicht mehr, und vergaßen ganz, daß es sie gibt. Nichtsdestotrotz psychologisierten wir aber über ihre Mutti Dana, die so schön ist, daß Lisels Zweitgeborener Wolfgang eigentlich ganz taumelig vor Glück sein müsste. Doch auch hier hat sich bereits das Glücksknacksvirus, kurz GKV, eingenistet: Auf erfrischend unkomplizierte Weise erzählte uns die Lisel, daß die Dana bekloppt sei.
Ich sprach davon, daß Verliebte zu einer - einzeln gesehen - wertlosen Hülle mutieren. Nur noch im Doppelpack scheint ihr Leben einen Sinn zu haben.
Da ich einen gänzlich anderen Humor habe als die Lisel, machte ich mir´s zur Gewohnheit, mich in ihrer Gegenwart eines eher leichten und bekömmlicheren Humores zu bedienen, und wann immer es mir gelang, die Lisel mit einer Geschichte zu erheitern, freute ich mich solcherart, als hätte ich ein Tor geschossen.
Vergnügt lachte die Lisel über jene Geschichte von meinem Vetter Vanni, die traurig und lustig in einem scheint: Vanni´s Freundin wollte heiraten und eine Familie gründen. - „Jetzt sofort! Ich warte keine Minute länger!“ - während dem Vanni doch gerade eine so interessante Arbeit in Wien angeboten worden war! Meine Tante Uta in Rom riet ihrem leider sehr mageren Sohn, endlich mal energisch auf den Tisch zu hauen, und seine Interessen durchzuboxen, statt sich hündchenhaft den Grillen des dummen Luders zu beugen. Da hieb der Vanni energisch auf den Tisch und brach sich dabei sein dünnes Ärmchen!
Der Kaffee bei der Lisel schmeckt leider so schrecklich bitter, und doch kommt Behagen auf, wenn ausgerufen wird: “Soll ich noch ein bißchen Kaffee kochen?“
Auf dem Zenit des Frühstückbehagens rief der Onkel Andi an, und vergnügte sich auf seine unnachahmliche Art, Ergötzen aus Banalitäten zu ziehen an der Vorstellung, daß wir vielleicht immer noch dasitzen und scherzen, wenn er am späten Nachmittag heimkehrt.
Es ächzte im Gebälk. Kleine Kinderschrittchen tönten: Die Sabrina war aufgewacht.
Onkel Dölein hätte sich sehr über ein Abschiedsküsschen von dem niedlichen kleinen Mädchen gefreut und türmte die Lippen in die Länge. Ein Anblick, der mich leicht an die Tante Bea in Amerika erinnerte, die ihrerseits die Lippen zum Kusse so possierlich zu spitzen pflegt, wie ein Orang-Utan. Einen entzückenden Anblick bietend!
Doch die kleine Sabrina wandte sich verlegen ab. Hier an dieser Stelle erhebt der Lektor Einspruch: Warum schreibt sie denn nicht gleich, daß Onkel Dölein die Lippen nach Art eines Orang-Utans gespitzt hat? Warum den lachhaften Umweg über Amerika?
Ja warum bloß?
Wir fuhren ab, und grad so wie Rehlein, redete ich ohne Unterlass auf den Onkel hinter dem Steuer ein.
Einmal legten wir eine Rast in Krakow am See ein.
Der See selber erinnerte heut an eine Riesenpfütze. Den vollgeregneten Fußabdruck eines Mammuts der vor Menschengedenken hier vorbeigelaufen war.
Wir stiegen ab und gönnten uns einen Pfirsich, den uns die Lisel zum Abschied eingepackt hatte.
„Diesen Pfirsich sirpf ich!“ schien mir auf den ersten Horch ein Schüttelreim geglückt.
Im wahren Leben kommen Rainer & Sharyn nächste Woche nach Europa. Doch irgendwelche Ambitionen, die Familie zu sehen, zeigen sie eigentlich nicht. Es ist vielmehr so, daß der Rainer gekommen ist, um Leipzig und Dresden zu besichtigen, und den Onkel Andi beauftragt hat, Karten für die Oper zu beschaffen. Doch ob er sie ihm je bezahlt?
Onkel Rainer gilt als listiger Sparefuchs.
Schließlich kamen wir in der Buntekuhstraße in Lübeck an und klingelten mit bangem Herzen. Die Lieselotte war allein zuhaus, und durch die Sinne vom Onkel Dölein betrachtet, machte sie mir gleich so einen netten und ansprechenden Eindruck.
Der Rüdiger stak noch im Dienst beim Städtischen Symphonieorchester, wo er als langjähriger Geiger tätig ist.
Auf ihn, durch Döleins Sinne nach mehr als 35 Jahren, war ich sehr gespannt, doch als man endlich die heißersehnten Schritte im Flur hörte, wurde der Heimkömmling buzesgleich schon im Flur auf dem Weg zur Küche vom Telefon beschrillt und abgefangen, so daß die Spannung noch eine Weile erhalten blieb.
Das Telefon klingelte im Laufe des Tages so oft, daß es geradezu grotesk war. (So etwa neun bis zehnmal pro Stunde, so wie bei uns im „Musikalischen Sommer“)
Die Liselotte hatte eine so wunderschöne Zwetschgenkuchenjause vorbereitet.
Schließlich betrat der Rüdiger die Küche, und leuchtete vor Freude über das Wiedersehen. Leider hatte er viel zu wenig Zeit im Gepäck, da am Abend ein Symphoniekonzert auf der Agenda stand. Die kurze Pause zwischen Probenende und Konzertbeginn sei zu einem kurzem Besuch im Duschhäusel und einer angemessenen Kostümierung zu nutzen, so daß sie strenggenommen eigentlich keine Pause mehr ist.
Die Geige hatte er im Orchestergraben gelassen. Gemeinsam radelten wir am Fluss, der so lieblich über das Ufer plätscherte entlang, und brachten den Rüdi zu seiner Dienststelle im Theater, wo heut die „Lustige Witwe“ aufgeführt wurde, und der Rüdi mag sich vielleicht so gefühlt haben wie ein Schulkind, das in die Schule gehen muß, obwohl doch die Großeltern zu Besuch sind! (Ein Gefühl aus der Kindheit, das in mir regelrecht eingebrannt ist!)
Dölein und ich radelten durch die Fußgängerzone heim zur Liselotte. Die Liselotte hatte uns bereits in einer sehr netten Gesundheitspension eingemietet, nur wenige Schritte von ihrer Behausung entfernt. Dort liefen wir jetzt in der Abenddämmerung hin, und auf dem Wege studierte ich interessiert die Broschüre der Pension: „Da bei uns die Gesundheit ganz groß geschrieben wird, sind wir ein Nichtraucherhaus“, stand da sympathisch, sehr in unserem Sinne zu lesen. Wir klingelten und lernten die Herbergsmutti mit ihrem zirka zehnjährigen Sohn kennen. Die Pension in einer schlichten Altbauvilla hat überhaupt nur zwei Zimmer! Sehr geschwärmt wird in der Broschüre von dem „wahren Muntermacherfrühstück“ mit Müsli, Obst und selbstgebackenem Brot.
„Dort könnten wir doch unseren nächsten Urlaub machen!“ regte ich begeistert an. Wir nehmen die Liselotte mit, und dem Rüdi schicken wir gelegentlich eine Karte aus dem Urlaub.
Bis kurz nach 23 Uhr saßen wir gemütlich mit der Liselotte zusammen, und warteten auf den Rüdi für den wir den geplanten Weingenuss in Viersamkeit aufsparten. Im Schein der Lampe studierte die Liselotte ein kleines Fotoalbum, das Onkel Dölein für eventuell Interessierte zusammengestellt hatte: Bilder aus seinem Leben, und Bilder seiner Lieben.
Die Liselotte erzählte uns eine unglaubliche Geschichte:
Interessiert wollte sie ein Rathauskonzert mit acht Cellisten aufnehmen, und führte zu diesem Zwecke in ihrer Handtasche ein kleines DAT-Gerät mit sich, aus dem ein paar Kabel heraushingen.
Als sie nach dem Konzert jedoch wieder zuhause war, bemerkte sie, daß sie die Handtasche im Rathaus vergessen hatte!
Am nächsten Tag aber war dort der Teufel los: Die Lübecker Innenstadt war gesperrt, und die Handtasche gesprengt worden! Außerdem hatte Liselottes Sohn Bruno einen Adapter gebastelt, auf dem ein Pickerl mit Namen und Telefonnummer seines Lehrers angebracht war, und der Lehrer in Dortmund wurde sofort von der Kriminalpolizei verhaftet und verhört!
Endlich knarzte die Türe leise auf. Familienoberhaupt Rüdiger kehrte heim, doch leider war´s bereits so schrecklich spät.
Wir probierten einen Wein aus, den die Geigergattin Frau Bronn den Eheleuten als kleines Dankeschön für eine Gefälligkeit geschenkt hatte, und erfuhren bei dieser Gelegenheit, daß Frau Bronn über ihren Mann wörtlich genauso gesprochen hat, wie die Lisel über ihren Ex, „den Middecke“:
„Wie geht es ihrem Mann?“
„Das weiß ich nicht. Und es interessiert mich auch nicht.“
Zu später Stund (um halb eins in der Nacht) brachte uns der Rüdi noch in die Pension. In der Pensionsküche klingelte laut ein Wecker, der sich nicht abstellen ließ!
Dienstag, 2. September
Lübeck – Kiel
Lieblich, so jedoch bereits sehr herbstlich
In dem fast kinderzimmerartigen Zimmer der Gesundheitspension Grabow schlief ich ausgezeichnet.
Am Morgen wurden wir allerdings durch Kindergeschrei geweckt: Die Familie Grabow rüstete zum Gesundheitsfrühstück, das wir aller Wahrscheinlichkeit nach erst kennenlernen dürfen, wenn Rüdi und Liselotte verstorben sind, denn bis dahin wollen wir natürlich immer mit denen frühstücken.
Dölein und ich plauderten mit der engagierten Pensionswirtin Frau Grabow (zirka 31 Jahre alt), die von uns je 45 €uro kassierte.
Das köstliche Wetter schien im Preis mit inbegriffen zu sein. Ein wunderschöner, leuchtender Herbsttag hatte sich entrollt…
Leider war ich wenig später, beim gemeinsamen Frühstück so unerträglich müd!
Nur mit Mühe konnte ich mich sitzend auf meinem Platz halten. Die leckeren herz- oder auch babuschenförmigen Brötchen schmeckten mir ungemein, aber ich hatte eine solche Müh´, eine gescheite Stimmung heraufzubeschwören!
Einmal sprach ich den Rüdi auf sein Zerwürfnis mit seinem Neffen Horst an, doch der Rüdi maß dem keine allzugroße Bedeutung bei und meinte lediglich, daß er erkannt habe, daß so manch einer unter uns doch ziemlich empfindlich sei. Dann ließ er auch noch einen markigen Spruch ab: Daß er doch nichts dafür könne, wenn er ständig in Fettnäpfchen tritt, die andere irgendwo hinstellen…
Nach dem Frühstück sollte ein wenig musiziert werden, doch es dauerte sehr lange, bis wir endlich losspielen konnten, da beständig jemand anrief oder klingelte und alles mit Instrumenten vollgerümpelt war. Wir lernten einen wie von Loriot gezeichneten „Herrn Müller“ kennen, der sich damit brüstete ein entfernter Verwandter von Stockhausen zu sein. Dieser Herr hatte für seinen Enkel in Madrid einen teuren Kontrabass gekauft.
Vom Treppensteigen war Herr Müller leider ganz kurzatmig geworden, doch man wärmte sich rasch mit ihm an, und später wünschte er sich vom Dölein Fotos, wo auch der Bass drauf zu sehen war.
Durch das Fenster des einen kleinen Zimmers blickt man auf eine Littfaßsäule, so daß man immer im Bilde ist – zumal in Lübeck die Kultur ganz groß geschrieben wird. Und in diesem Zimmer stehen so viele Bücher herum, daß es ganz leicht wäre, dort eine lebenslängliche Haftstrafe abzusitzen, da die Bücher allesamt handverlesen und hochinteressant sind.
Der Rüdi suchte verzweifelt eine Geigenstimme, die sich nicht finden ließ. Immer wieder kommen Leute, borgen sich mit flehendem Beiklang in der Stimme ganz dringend eine Notenstimme aus, und bringen sie nicht wieder zurück. Der Rüdi telefonierte der Triostimme sogar hinterher, und sagte hernach: „Ich glaube, mit der Triostimme ist etwas ganz Schreckliches passiert!“
Mit großem Pläsier las ich im Gesamtwerk von Wilhelm Busch die Geschichte vom Bürgermeister, dessen Nachthaube in Brand geraten war. Beim Weiterblättern fand ich gar eine mir bis dato unbekannte Geschichte, die mir direkt auf Onkel Dölein und sein Schicksal zugeschnitten schien.
Die Geschichte handelte von einem heranreifenden Töchterlein mit Namen „Hermine“.
Der Vater nahm den Hausschlüssel mit ins Bett und hielt ihn beim Schlafen fest in Händen, während die Hermine, so wie einst Onkel Döleins Tochter Julie aus dem Fenster entwich.
Lachend zeigte ich die Geschichte herum, und Onkel Dölein erzählte plastisch, wie sich die Julie nachts aus dem Hause stehlen wollte. Er sei ihr heimlich gefolgt. Dann gewahrte sie ihn allerdings doch, und tat schnell so, als wolle sie sich nur ein Glas Wasser holen.
Einmal wurde die Rede auf meinen längst verstorbenen Verwandten, den kleinen Andreas geschwenkt, der einst nur 14 Tage gelebt hat, so daß ich später, als wir da saßen und Trio spielten, nach so vielen Jahren an ihn denken mußte. (Ein fast vergessenes Söhnchen von Onkel Dölein und seiner verstorbenen Exe Christa). Wir spielten ein Terzett, und ich überlegte, ob dieses Vom-Blatt-Gespiele für die fleißige Liselotte in der Küche wohl eine Zumutung sei?
Mitten im Spiel hörte der Rüdi auf, und sagte feierlich zu Onkel Dölein: „Du, Dölein! Das empfinde ich jetzt als Geschenk, mit Dir zu spielen!“
Dann gab´s ein wirklich sagenhaftes köstliches Essen: Einen feinen Salat, einen Nudelauflauf und zum Nachtisch zart angeschmolzenes Milchkaffeeis.
Nach dem Essen besuchten wir die Lübecker Innenstadt. Onkel Dölein kaufte Postkarten für die Verwandten und Freunde, und ich war immer noch müder geworden. Meine Hoffnung, jemals wieder munterer zu werden sank dermaßen, daß ich mich vor lauter Ratlosigkeit sogar hinsetzen mußte.
Am Nachmittag fuhren wir nach Kiel. Ich saß neben Onkel Dölein und drohte beständig in einen Schlummer zu verfallen, doch ich wehrte mich mit aller Kraft dagegen, da es mich sonst so an eine Exe Mings in Rom erinnert hätte:
Alte Erinnerung aus den 80er Jahren:
Der verliebte Ming fuhr mit seiner späteren Exe nach Rom und war so begeistert. Wie gerne hätte der süßeste Ming seine lodernde Freude und Begeisterung mit jemandem geteilt – aber nein, wann immer er den Blick nach rechts wandte – die Dame durmelte oder schlief auf ihre leidende Art.
Und man möchte Onkel Dölein doch ein Urlaubsvergnügen bieten.
Bereits um 17 Uhr trafen wir bei der Irma ein, die uns in einer frischen, sommerlichen und angenehmen Ausstrahlung empfing.
Zuerst saßen wir zu Anwärmungszwecken beim Kaffee, und dann fuhren wir an den Hafen, wo das Aquarium noch offen gehabt hätte, doch es war zu spät, und so begnügten wir uns damit, Seehunde in einem Wannenbecken zu bestaunen.
Wir erzählten vom Besuch beim Onkel Andi, den die Irma einst in jungen Jahren als Ruderer in einer Rudergruppe auf irgendeinem Gewässer erleben durfte. Gewonnen habe seine Mannschaft jedoch leider nicht.
„Das lag aber nicht an ihm!“ sagte ich eifrig, “nur wenn die Mannschafts gewonnen hätte, dann wär´s an ihm gelegen!“
Die Irma führte uns durch die Fußgängerzone, und bald schon erreichten wir den Rathausvorplatz, auf dem eine riesengroße, grünspanige Statue zu bewundern ist: Ein Herr mit einem Dolch.
„Mein Schwiegersohn!“ scherzte ich für die Irma und brachte den Scherz auf pubertäre Weise sogar zwiefach an.
Daheim gab´s ein köstliches Buchstabensüppchen und hernach noch einen über und über mit gehobelten Mandeln belegten Ofenschlupfer.
Onkel Dölein zückte das kleine Fotoalbum mit den Bildern seiner Lieben, um es der Tante über den Tisch zu reichen.
Die Irma geriet ins Erzählen, und erzählte, daß sich an Weihnachten alle wie selbstverständlich bei ihr einzuladen pflegen. Nie kommt mal jemand auf die Idee, die alte Frau zu sich einzuladen. Onkel Dölein wiederum meinte, daß sein Haus in Amerika für ihn und die Debbie nun langsam zu groß würde, und daß man die Julie allerhöchstens zwei bis dreimal im Jahr sähe, da sie, wenn sie schon frei hat, lieber zu ihrem Freund Tim nach New York fährt. In einem bestimmten Alter, so Onkel Dölein, werden die Eltern ins hinterste Hirnkasterl verbannt, und erst wieder hervorgeholt, wenn man Geld, oder aber ein paar helfende Hände an welken Armen bei der Aufzucht benötigt.
Die Irma entkorkte eine Flasche Wein, und wir verzogen uns ins Kuscheleck. Gebannt lauschten wir den Erzählungen der alten Dame, die tief in die Schatztruhe der Erinnerungen griff, und wir erfuhren allerlei:
Zu Beginn der Bekanntschaft mit ihrem späteren Ehemann, Opas verstorbenem Bruder Otto um das Jahr 1955 herum, habe der Otto die damals blutjunge, bildhübsche und knusprig-knackige Irma mal über Weihnachten zum Kekse-essen eingeladen. Seine Schwägerin Lotte habe ein Päckchen mit Gutsles geschickt. Und nach so vielen Jahren liebte ich Omi Mobbl für diese gute Tat unglaublich!
Mittwoch, 3. September
Kiel – Aurich
In Kiel grau und trübe. In Ostfriesland trotz gelegentlicher Wolkenüberzüge sagenhaft reizvoll
Im Traume stand ich, wie schon so oft, kurz vor meiner Musikgeschichtsprüfung, wobei sich die Themen in meinem Kopf höchst schwammig und unscharf niedergelassen hatten, so daß man sich traumesunlogischerweise eine Brille von über Minus zwanzig Dioptrien hätte anfertigen lassen müssen, um sie sich überhaupt ansehen zu können. Mehr noch: Die Themen ließen sich überhaupt nicht greifen! Die Prüfung – dies war mir gesagt worden – sollte mit vier letzten Fragen enden, die man in Form von Zahlenformeln niederschreiben sollte, die ich mir müüühsamst auswendig eingeprägt hatte, bloß, daß sie in meiner Erinnerung grade am Zerfallen waren. JdhKdeiohohrHhuweee2332dxsji (solcherart – sehr schwer zu merken).
Buz im Auto sagte in leicht spöttisch-wissendem Tonfall, solcherart, wie er eine normal zänkisch veranlagte Tochter wohl zur Weißglut treiben würde: “Ich hoffe, du hast dich wenigstens ein bißchen vorbereitet?“
Ich hatte ganz viele Prüfungen als Hospitantin mitgemacht, doch nun war die Galgenfrist abgelaufen, und in mir stieg eine unglaublich unangenehme Nervosität auf. Ich dachte sogar noch: „Jetzt hab ich´s so oft geträumt, daß ich Musikgeschichtsprüfung hab, und nun ist´s Realität.“
Und mitten in dies Traumgeschehen hinein weckte mich die Irma auf eine sehr frische nette Art durch Gepoche an der Tür.
„Bad ist frei!“ rief sie herzlich und entfernte sich zum Brötchenkauf.
Heut schraubten wir uns je in jenen Tag hinein, in welchem ich nach einer elftägigen, und Onkel Dölein nach einer mehrjährigen Odyssee endlich zu Rehlein nach Aurich zurückkehren würden.
Ich an den Mutterbusen, und Dölein in die bergende Aura seiner liebsten Schwester.
„Mir kommt´s vor, als wären es elf Jaaahre gewesen!“ rief ich in der Küche, für Irmas Ohren vielleicht leicht seltsam, aus.
Wir frühstückten voller Behagen, und Onkel Dölein als begeisterter Loriot-Fän rief vielleicht leicht verwunderlich für die Tante aus: „Wie viele Minuten hat das Ei gekocht?“
Wir ritzten lauter nicht uninteressante, aber auch nicht wirklich weltbewegende Themen an:
Beispielsweise „zu niedriger Blutdruck“, „früher Zubettgang“ und dergleichen. Hie und da kam es auch vor, daß ich zu einer vermeintlich elektrisierenden Anekdote ausholte, und die Erwachsenen quer an mir vorbei über etwas Anderes sprachen, so daß ich vielleicht mit einem verlegenen Hüsteln innehielt.
Die Irma wollte uns trotz der grau-sprenkeligen Wetterlage noch mit weiteren Teilen des Molochs Kiel vertraut machen, und so fuhren wir mit dem Bus los. An den Bushaltestellen blickte man auf rauchende Beaus mit geheimnisvoller Ausstrahlung und unergründlicher Persönlichkeit, die in Form großformatiger Plakate alle Blicke auf sich zogen .
„Was soll ich davon halten? Am besten die Cigarette. Einfach Lucy Strike“ las der Interessierte.
Einmal stieg ein altes Mütterlein aus, und wirkte nach dem Ausstieg ganz ratlos. Es wirkte so, als sei es ferngesteuert, und die Batterie ließe nach. Doch sind wir das nicht alle?
Dann stiegen wir an einer Stelle an Land, wo man auf eine einsam daliegende, hellgrüne Rasenfläche mit geschwungenen altmodischen Bänken und Aussicht auf die Segelschiffe blicken konnte, und an einer Stelle wäre Onkel Dölein beinahe in einen Hundehaufen gestiegen. Für einen kurzen Moment sah´s ganz so aus, und wir Damen krischen auf. Doch auf sportliche Weise gelang´s dem Onkel, diesem Schmach nochmals zu enthupfen.
Wir liefen auf schlanken grauen Wegen, schauten auf würfelzuckerartige Wohnungen drauf, und die Irma erzählte von Onkel Ottos Schlaganfall, der nur wenige Wochen später in seinen Exitus münden sollte.
Wir kamen an eine sehr häßliche, Stelle, die durch das graue Sprenkelregenwetter sogar noch häßlicher wurde. (Siebziger Jahre Bauten).
In einem Einkaufszentrum, das in einen grauen Betonklotz eingearbeitet war, kaufte sich die Irma eine Regenjacke, und während wir draußen warteten, lief eine Mutti mit vier zirka gleichkurzen Kleinkindern vorbei, so daß Onkel Dölein mutmaßte, dies könnten womöglich Vierlinge seien. Die nette Frau erahnte Onkel Döleins Gedanken jedoch mit dem siebten Sinn und rief uns auf eine frische Art zu, daß dem nicht so sei.
Wir liefen weiter, und obwohl niemand von uns Hunger verspürte, schauten wir uns nach einem einfachen Wegesrandlokal um.
Bald schon hatten wir eines gefunden, und nahmen Platz. Durch das Glasfenster konnte man auf die Strandkörbe draufschaun, die wie gebeugte Gestalten im Regen auf dem nassgeregneten Sand standen.
Dölein und ich aßen je eine Currywurst und die Irmi einen knackig frischen Salat mit Fetastückchen.
Ob Ming inmitten seines Abiturstresses wohl noch gut Klavier spiele? Und zu dieser anteilnehmenden Frage bettete sie sich genüsslich ein Fetastückchen auf die Zunge.
„Besser denn je!“ sagte ich stolz über den süßesten aller Mings. Bloß, wenn er mit seiner Freundin vierhändig spielt, so gäbe es noch etwas Luft nach oben, berichtete ich auf die typische Art einer großen Schwester, und erzählte, wie Rehlein neulich nach zwei Stücken “Es rahaicht!“ gerufen habe. Doch schon in das Wort „reicht“ hinein begann das Liebespaar das dritte Werk.
Nach dem Essen eilten wir zur Bushaltestelle, doch der Bus war bereits um 12 Uhr 46 abgefahren und somit schon weg. Da sprach mich Dölein auf die blaue Jacke an, die die Irma mir geborgt hatte und die ich jetzt nicht mehr trug. Verärgert auf mich selber, und Döleins ungläubiges, konsterniertes Lächeln, das seine Exen stets zur Weißglut getrieben hat, im Nacken spürend rannte ich zum Lokal zurück. Doch dort hing nicht nur die Jacke, sondern auch Döleins teure Paparazzokamera und mit einigem, wenn auch freudigem Schaudern dachten wir darüber nach, wie es im Leben wohl weitergegangen wäre, wenn wir den Bus doch noch erreicht hätten! Die ganze lange und gewundene Straße war doch mit kleinen Fisch- bzw. Currywurstlokalen gesäumt, und ob wir dieses Eine jemals wiedergefunden hätten?!