Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Funktionieren ist alles! Zwei Fremde, die an ihre Grenzen stoßen. Fremdgesteuert, marionettenhaft, unglücklich! Für ihr Umfeld perfekt. Bis der Körper NEIN schreit. Und das Herz die Hoffnung sucht.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 180
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Funktionieren ist alles! Zwei Fremde, die an ihre Grenzen stoßen.
Fremdgesteuert, marionettenhaft, unglücklich!
Für ihr Umfeld perfekt.
Bis der Körper NEIN schreit. Und das Herz die Hoffnung sucht.
Ich widme dieses Buch dem Leben, das so viele Facetten beinhaltet und Inspirationen liefert. Das Leben, das einen formt, herausfordert, prügelt, liebt, motiviert, lobt, ermahnt, auf Flügeln trägt, in Abgründe stürzt, Hoffnung gibt, demütig macht, lachen und weinen lässt. Und das so endlich ist, obwohl wir uns verhalten, als ob es unendlich wäre.
Titel,
Buch
Widmung
Titel, Untertitel,
Impressum
Inhalt
Zur Autorin,
Erklärung
Danksagung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Epilog
Liebe Leserschaft
Quellenangaben
Weitere Bücher der Autorin
Helen Marie Rosenits studierte Jus an den Universitäten Wien und Salzburg, promovierte an der Paris-Lodron-Universität. Sie arbeitete in verschiedenen Bereichen, betreute ihre Blogs und verfasste Artikel für die Zeitung ihres Hundevereines, bis sie ihrer Leidenschaft nachgab, und auch Romane zu schreiben begann. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Niederösterreich.
www.helenmarierosenits.at
http://helenmarierosenits.blogspot.com
https://www.facebook.com/profile.php?id=100010622282861/
https://www.instagram.com/helen_marie_rosenits
Artikel in Zeitungen, Berichte in Illustrierten, Erzählungen von Familie und Freunden, Erlebnisse von Bekannten und eigene Erfahrungen sowie Beobachtungen – alles vermischt, durch Fantasie in einem neuen Puzzle zusammengefügt, in Worte gekleidet und als Roman niedergeschrieben.
Alle Ereignisse in diesem Roman sind frei erfunden. Namen, Charaktere und Geschehnisse entspringen der Vorstellungskraft der Autorin oder wurden in einen fiktiven Kontext gesetzt und bilden nicht die Wirklichkeit ab. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen, tatsächlichen Ereignissen oder Organisationen ist rein zufällig.
Mein herzliches Dankeschön geht zuerst an meinen Mann, der mit sehr viel Geduld und Hilfsbereitschaft meinen Weg des Schreibens begleitet.
Vor allem aber möchte ich meinem geschätzten Gymnasialprofessor, meinem werten Herrn Hofrat, ganz besonders danken – für seine nimmermüde Bereitschaft, mich mit gerechter Kritik anzuspornen, mir unzählige Vorschläge zur inhaltlichen Optimierung zu unterbreiten und meine schriftlichen Ergüsse einer umfassenden Korrektur zu unterziehen.
Für dieses Buch geht ein großes Merci an Dr. Barbara Prill, ‚Die Autorenflüsterin‘, für ihre Anregungen zu Klappentext und Cover.
Zudem ist es mir ein besonderes Bedürfnis, all meinen Freundinnen/Freunden und Bekannten, egal ob im realen Leben oder bloß auf virtueller Ebene, von Herzen zu danken – für ihren Zuspruch, ihre Ermutigung, ihr Mitgefühl und ihre Unterstützung in meinem Leben. Ihr gebt mir Kraft, macht mir Mut und wärmt mein Herz.
Was tat sie sich bloß da an? Ist sie verrückt gewesen, diesem Vorschlag zuzustimmen? Dabei hatte das Angebot einer Lesung so verlockend geklungen. – Harmlos eigentlich und irgendwie Wichtigkeit vermittelnd.
War es Übermut oder bloße Euphorie über ihr fertiges Buch? – Oder schlicht der Drang, ihre persönliche Geschichte anderen mit ihrer eigenen Stimme und ihren tiefsten Emotionen vorzutragen?
Vermutlich von allem ein wenig.
Ihr Glück, ihr Erstlingswerk in einem Verlag veröffentlichen zu können, wurde ihr erst nach dem Eintauchen in die literarische Welt bewusst.
Dieses in der Kategorie ‚Ratgeber‘ gelistet zu sehen, war zwar nicht ganz nach ihrem Geschmack, aber offenbar mussten die diversen erfolgversprechendsten Schubladen eben bedient werden.
Nun saß sie hier, an einem kleinen Tisch, der an eine Schulbank ihrer Kindheit erinnerte, und wartete auf den Beginn der Veranstaltung.
Rechts neben ihr in gebührender Entfernung und mit zwei Scheinwerfern bestrahlt thronte an einem großen Edelstahl-Glastisch der Star des Abends, der über die Landesgrenzen hinaus gefeierte und geschätzte Krimiautor Hans Gräber.
Fleißig verteilte er Autogramme, am eifrigsten in die soeben von Lesern bzw. Leserinnen erworbenen Exemplare, und beantwortete bemüht diverse an ihn gerichtete Fragen.
Die Langeweile und Ungeduld auf seiner Miene konnte er nicht immer kaschieren. Vermutlich war er genervt, dass nicht er sofort beginnen durfte, sondern sie, die Jungautorin (haha, und das bei über 60 Jahren), quasi sein zeitlich sehr eingegrenztes Vorprogramm war.
Nun war es ihr egal, was er empfand.
Sie wischte sich zum wiederholten Male ihre feuchten Hände möglichst unauffällig an ihrer Hose ab und wünschte, ihr Vortrag wäre bereits zu Ende.
Ihr Puls raste und hämmerte unangenehm in ihrem Hals. Verkrampft schluckte sie ein paar Mal, nahm das nächste Zuckerl in den Mund und kontrollierte, ob noch Wasser in dem für sie bereitgestellten Glase war.
Still betete sie, dass ihr nicht die Stimme versagen, sie nicht über Wörter stolpern oder zu leise klingen würde.
Aus ihrer gespannten Versunkenheit schreckte sie durch das aufgeregte Geplapper etlicher Jugendlicher auf. Voller Elan und Enthusiasmus eroberte eine Schulklasse mit ihrer Lehrerin die örtliche Bibliothek.
Wie nicht anders zu erwarten, stürzten sie auf den Krimi-Star zu und wurden nur halbherzig von ihrer Professorin eingebremst. Dann begannen sie, zu Ordnung und vorbereiteter Reihenfolge aufgerufen, mit ihrem Fragenbombardement.
Sie konnte nur Wortfetzen verstehen, verhaltenes Lachen hören und aufgedrehtes Kichern vernehmen. Die Girls waren hübsch und manche besonders zurechtgemacht. Na ja, der Autor vor ihnen war ja auch zugegebenermaßen eine maskuline Augenweide.
Prompt traten die Reporter und Fotografen der lokalen Presse in Aktion und erledigten ihre Routinearbeit.
Dass sie selbst nur auf ein, zwei Bildern zu sehen sein würde, störte sie nicht wirklich. Schließlich sollte ihrer Meinung nach ihr Buch für sie sprechen und nicht ihr Äußeres, das den optischen Anforderungen der modernen Zeit nicht gerecht wurde.
In der Realität konnte sie keine Fotosoftware vor ihr Gesicht oder ihre Gestalt halten, um die Falten und Speckröllchen wegzuzaubern oder ihre Größe zu optimieren. Oder eine Glätte und Jugendlichkeit der Haut vorzutäuschen, die ihr Geburtsdatum Lügen strafen würden.
Auch das Selbstbewusstsein der jungen Generation vermochte sie nicht aufzubringen, zu sehr hatte sie die strenge Erziehung ihrer Jugend, die sie klein hielt, einengte und ihre Flügel stutzte, verinnerlicht.
Unbehaglich richtete sie ihre Wirbelsäule auf, wandte seufzend den Blick von dem Menschenauflauf ab und sah geradewegs in ein Paar leuchtend graue Augen, die sie abschätzend musterten. – Sie wollte wegsehen und konnte es nicht. Die Geräusche der Umgebung verschwanden, der Raum wurde nichtig, nur der Moment erstarrte.
Sie fühlte sich entblößt, sowohl körperlich als auch seelisch, wobei sie fehlende Kleidung nicht so verstört hätte wie die Intensität dieses hellen Schiefergraus, das sich in sie bohrte – fragend, unsicher, herausfordernd. Dazu ein leicht schräg geneigter Kopf und eine verschlossene Körperhaltung mit vor der Brust gekreuzten Armen, die von einer teils gelangweilten, teils neugierigen Miene begleitet wurden.
Ihre Finger erzitterten, als wollten sie durch sein graumeliertes Haar streichen, und ihre Füße zuckten, als wären sie auf dem Sprung in seine Arme.
Völlig verrückt! Wie konnte der Anblick eines attraktiven Mannes sie plötzlich so aus dem Gleichgewicht bringen? Noch dazu so knapp vor dem wichtigsten Schritt ihres jungen Autorenlebens.
Und doch zog sie alles zu ihm hin. Als riefe eine einsame Seele eine andere zu Hilfe.
Sie rang mit sich, mit den Erfahrungen ihres bisherigen Lebens, in denen kein Mann, zu dem sie sich je hingezogen gefühlt hatte, sie auch nur eines zweiten Blickes gewürdigt hätte.
Zu groß war die weibliche Konkurrenz und zu gering die Bereitschaft, nicht nur eine hübsche Maske und einen anziehenden Körper wahrzunehmen, sondern hinter die Fassade eines unauffälligen Äußeren zu blicken. Zumindest früher, jetzt im Alter war es vielleicht anders, wo unter Umständen so etwas wie Lebensweisheit eine vorschnelle optische Qualifizierung bremste.
Sie könnte unauffällig aufstehen, in seine Richtung schlendern und etwas Unverfängliches von sich geben, sofern ihr nicht vor Aufregung jegliche Worte entfielen oder ihr bloß ein unverständliches Flüstern entkäme.
Warum traute sie sich nicht?
Sie hatte doch geschworen, nichts würde sie mehr nach ihrem Schlaganfall bremsen. Nun ja, zwischen euphorisch gefassten Vorhaben und der irritierenden Wirklichkeit schien noch immer eine zu große Kluft zu klaffen.
Als sie sich mit einem Ruck erheben wollte, ließ ein lautes Klatschen sie wieder unauffällig in ihren Stuhl zurücksinken.
„Liebe Krimifans und Bücherjunkies“, ertönte die Stimme ihrer Verlagsmanagerin in die nun eintretende Stille, „heute werden Sie zwei besondere Lesungen hören. Eine Textprobe aus dem biografischen Ratgeber von Elisabeth Weiser. – Wie man einen Schicksalsschlag erfolgreich bewältigen und Strategien für ein besseres, gesünderes Leben verfolgen kann, erfahren Sie in diesem aufwühlenden Buch unserer neu im Verlag vertretenen Autorin.
Und zum Star des Abends, unseren geschätzten Krimi-Autor Hans Gräber, gibt es nur anzumerken: Lassen Sie sich von der neuesten, spannenden Geschichte faszinieren, wie immer mit dem Mordermittler Chefinspektor Manfred Lustig im Mittelpunkt der Aufklärungsarbeit.
Ich wünsche einen unterhaltsamen Abend!“
Kurzer Applaus brandete auf, dann folgte Elisabeth der ausgestreckten Hand der Verlagsvertreterin, die auf sie zeigte.
Lieber Himmel, es war soweit!
Sie schluckte, wollte davonlaufen und blieb doch an ihrem Platz, wie festgefroren.
Mit zitternden Fingern umklammerte sie ihr Manuskript, räusperte sich unmerklich. Dank ihrer Lesebrille verschwammen die Gesichter der Zuhörer zu einer unscharfen Masse, nur ihr Text sprang ihr beinahe überdeutlich in die Augen.
Zunächst leise und dann immer lauter und sicherer begann sie ihren Vortrag, ließ sich beim Lesen mitreißen von der Geschichte, IHRER Geschichte.
Elisabeth sah von ihrer Lektüre auf. Erneut starrte sie auf die Zeiger der großen Wanduhr, die erst um fünfzehn Minuten weitergewandert waren.
Mit Kalkül hatte sie eine Kulisse der Arbeitsamkeit aufgebaut: geöffnetes Dokument auf dem Bildschirm, aufgeschlagener Akt vor ihr auf dem Schreibtisch und einen Stift zwischen den Fingern.
Eine Lesebrille, die grotesk schief auf dem Haar ober der Stirn drapiert war oder an einer modisch abgestimmten Kette um den Hals hing, wie bei mancher Kollegin, blieb ihr erspart, denn als mit zehn Dioptrien ‚gesegnete‘ Kurzsichtige war sie ohne Sehhilfe blind wie ein Maulwurf.
Das Gestell auf ihrer Nase war seit ihrem zehnten Lebensjahr ein notwendiger Bestandteil ihres Alltags, doch wie sich auch sonst ihr Körper mit dem Älterwerden veränderte, brauchten ihre Augen mittlerweile sowohl für die Nähe als auch die Ferne eine Sehhilfe, was ihren ständig latenten Lebens-Frust nicht gerade verbesserte.
Doch der flüchtige Eindruck, den ein zufälliger Beobachter gewinnen würde, täuschte. Weder bewegte sich der Cursor über die Seite noch ein Finger über die Blätter aus Papier. Nur die Gedanken huschten hastig und wirr durch ihren Kopf, waren längst der Gegenwart vorausgeeilt, hin zu einem verlängerten Wochenende, das endlich allein ihr und ihrer Erholung gehören sollte.
Die letzten beiden Jahre waren eine einzige Herausforderung gewesen.
Nicht nur, dass Corona auch über ihren Arbeitsbereich hereingebrochen war, was allein für sich schon eine oft kaum zu bewältigende Aufgabe gewesen war, wurde noch dazu der Chefposten über ihr neu besetzt. Ihr ruhiger, vernünftigen Argumenten und manchmal gewitzten Vorgehensweisen offener Vorgesetzter war in den Ruhestand getreten.
Da sie nach ihm die am längsten Dienende der Abteilung war, hatte sie sich natürlich für die Nachfolge beworben. Ihre Hoffnung war durch einige interne Gespräche noch bestärkt worden. Umso bestürzter war sie, als eine viel jüngere, in ihren Augen weniger qualifizierte Kollegin auf den vakanten Posten ernannt wurde.
Gott, wie naiv sie mit ihren 59 Jahren noch immer gewesen war! Hatte sie denn nichts in all der Zeit gelernt? Offenbar nicht, sonst wäre sie nicht auf schöne Worte und vage Versprechen hereingefallen.
Und doch war sie bestrebt gewesen, unvoreingenommen und kooperativ der neuen Chefin zu begegnen. Bis, …….. ja bis diese in den Besprechungsraum, in dem alle in der Abteilung Beschäftigten versammelt waren, hereingerauscht kam.
Kopf hochgeworfen, herablassendes Lächeln auf den Lippen und Stahl im Blick – eine Power-Frau wie aus einer PR-Broschüre, gemäß dem ungeschriebenen Dresscode im grauen Business-Kostüm mit weißer Bluse, akkurater Frisur und einem wohlgeformten Körper bis hin zum dezent geschminkten, sehr hübschen Gesicht. – Fürwahr, perfekt vom Scheitel bis zur Sohle!
Ihre Ansprache an ihre neuen Mitarbeiter/ -innen war wohl überlegt formuliert und gewann ihr auf Anhieb etliche Sympathien.
Nur Elisabeth konnte das Unbehagen bei diesem Auftritt nicht ablegen, hörte auch die unausgesprochenen Sätze und spürte die Kälte dahinter. Die latente Arroganz dieser Frau und die schwelende Bereitschaft, ihren Willen durchzusetzen, ließen schlimme Vorahnungen in Elisabeth aufsteigen.
Ihre Antipathie war in Sekunden erwacht, genauso wie ihre Angst vor den nächsten Berufsjahren.
Leider war sie einfach noch zu jung, um sich gleichfalls in die Pension zu verabschieden.
Mit einem tiefen Seufzen kehrte sie aus der Vergangenheit zurück. Alle ihre Befürchtungen waren eingetreten. Die beiden letzten Jahre waren wie der Aufstieg auf einen Berg, wo man den Gipfel stets vor Augen hat, ihn aber nie erreicht. Als das genaue Gegenteil ihrer Chefin, klein gewachsen, zu rundlich proportioniert und unscheinbar, war sie von Anfang an das perfekte Angriffsziel gewesen.
Sie hatte die kompliziertesten Akten erhalten, die am meisten widerspenstigen Antragsteller und lästigsten Querulanten. Ganz zu schweigen von den abfälligen Musterungen ihrer Outfits, die zwar farblich harmonisch, aber bequem, also casual style waren und in keiner Weise business like, samt ätzenden Kommentaren dazu (‚Ein Sack sieht modischer aus! Haben Sie sich im Kleiderkasten Ihrer Oma bedient?‘).
Hatte sie sich in so manchem Geschäfts-Fall um Konsens bemüht oder um eine vernünftige Vorgehensweise, erhielt sie mit Garantie eine Weisung der Chefin in konträrer Richtung oder sogar eine Zurechtweisung direkt vor den Parteien.
Nichts an ihrer Arbeit bereitete Elisabeth noch Freude, sie schleppte sich nur mehr von Wochenende zu Wochenende.
Corona brachte dann nur noch einen neuen Level an Unannehmlichkeiten: Masken tragen, Abstand halten, eingeschränkter Parteienverkehr, vermehrte Bildschirmarbeit, die Abteilung wegen Erkrankungen, Pflegeurlauben und Long-Covid-Krankenständen ständig unterbesetzt.
Wegen ihrer vorgeschädigten Bronchien nach einer in ihrer Jugend erlittenen Virus-Lungenentzündung trug Elisabeth zur Vorsicht stets eine FFP3-Maske. Die höhnischen Kommentare über das Ungetüm vor ihrer Nase und dass man so wenigstens ihr unansehnliches Gesicht nicht sehen müsse, ließ sie irgendwann ungefiltert zum rechten Ohr hinein und zum linken wieder heraus. Ihre Chefin konnte sie mit ihren Worten nicht mehr beleidigen.
Was diese jedoch tun konnte, waren die Anweisungen, Fenstertage ihren Kolleginnen und Kollegen, die Familie hatten, zu überlassen und für diese Dienst zu verrichten. Selbst Erholungsurlaub länger als 14 Tage wurde Elisabeth verwehrt. Auf diese Weise hatte sie unzählige Überstunden und freie Tage angehäuft, jedoch keine Gelegenheit, diese auch zu konsumieren.
Bis heute. Endlich hatte sie nicht nur ein verlängertes Wochenende, sondern insgesamt elf freie Tage vor sich.
Lange hatte sie überlegt, wie sie die gewonnene Zeit verbringen sollte.
Am Ende hatte sie sich für ein Wellness-Angebot entschieden, wo sie nicht nur ein Schwimmbad, sondern auch Massagen, Gesichtsbehandlungen oder Schlammpackungen nutzen könnte. Voller Vorfreude hatte sie den ausgesuchten Trip gebucht.
In Gedanken spürte sie bereits die wohltuenden Griffe des Masseurs, die ihre verspannten Muskeln bearbeiten würden. Das angenehme Gefühl von Händen auf ihrer Haut, das ihr als Single sonst nicht vergönnt war.
Nein, sie hatte weder einen Freund noch Lebensgefährten, auch keine One-Night-Stands oder Geld für einen sog. ‚Liebesdiener‘, einen Mann für gewisse Stunden.
Diese mühsam unterdrückte Sehnsucht nach Nähe, Zärtlichkeit und gegenseitigem Verstehen versperrte sie zumeist an den tiefsten Stellen ihres Herzens. Nur manchmal ließ sich ihr Frausein nicht verleugnen und dann gönnte sie sich das unschuldige Vergnügen einer Massage. Nicht so oft, wie sie eventuell gewünscht hätte, denn ihre finanziellen Ressourcen waren eingeschränkt.
Seit sie ihr geerbtes Elternhaus renovieren musste, angefangen vom neuen Dach über den Ersatz der alten Heizanlage bis hin zum Austausch aller Fenster, hatte sie sich an ihren festgelegten monatlichen Finanzierungsplan zu halten. – Ein zusätzliches Korsett, das ihr Leben erschwerte.
Tief atmete Elisabeth durch, schloss sekundenlang die Augen und vermeinte, bereits die erfrischenden Wellen des Schwimmbades zu spüren.
Nur noch eine Stunde, dann winkte die Freiheit, dann konnte sie das zermürbende Rad der Arbeit und des eher freudlosen Alltags hinter sich lassen. Endlich!
„So geht das nicht!“, rief die Chefin aufgebracht und stürzte ins Büro. Mit einem Knall landete die Tür an der Mauer dahinter und Elisabeth zuckte erschrocken zusammen.
Braune Augen, kalt und herrisch, bohrten sich in sie, fixierten ihren Blick.
„Frau Weiser“, bellte sie mit hämisch verzogenen Lippen, „Sie können Ihren Urlaub vergessen. Ich brauche Sie hier in der Abteilung. Soeben erhielt ich die Krankenstandsmeldung von zwei ihrer Kolleginnen!“
Echauffiert schnappte sie nach Luft: „Sie können sich jetzt nicht frei nehmen, ich verbiete es!“
Die Silben kamen wie Schüsse aus ihrem Mund, trafen auf eine müde, resignierte Seele.
Elisabeth starrte sie an, versuchte, die harschen Worte zu verarbeiten. – In der Arbeit bleiben, kein Urlaub, keine Erholung, keine Massage, keine Wickel für ihre schmerzenden Gelenke, kein Schwimmen ….. nichts, nichts, wieder einmal, nur Leere.
Ihr Herz begann zu stolpern, ihr Blick verschwamm, Übelkeit stieg in ihrem Magen auf. Mit Mühe versuchte sie, die noch folgenden Anweisungen zu verstehen, aber das Dröhnen in ihrem Kopf wurde stetig quälender, das Rauschen in ihren Ohren permanent lauter, der Schmerz in ihrer Brust immer heftiger.
Sie keuchte, um tiefer Luft zu holen. Umklammerte die Sessellehne, um sich aufrecht zu halten. Riss die Augen auf, um mehr zu sehen. Und doch engte sich ihr Gesichtsfeld ein, explodierte ein Blitz über ihrer linken Schläfe und Dunkelheit breitete sich aus. Angsteinflößend und doch willkommen, verschlingend und zugleich tröstend.
Die hektischen Rufe nach dem Notarzt, die rasende Fahrt ins Spital, die Ankunft in der Notaufnahme und die Verlegung auf die Intensivstation – nichts bekam Elisabeth mehr mit.
Sie trieb in beruhigender Finsternis, in Schmerz lindernder Stille, wollte diesen Ort umarmen und nie wieder verlassen. Endlich Frieden.
Biep, beeeep, biep, beeeep, biep, beeeep, …… Boom, plop, boom, plop, boom, plop, …… Warum waren da diese unbekannten Geräusche? Wieso ließ man sie nicht schlafen? Hatte sie sich nicht diesen Urlaub redlich verdient?
Elisabeth wollte nicht aus der beruhigenden Finsternis auftauchen, nicht die Augen öffnen, noch aus ihrem Kokon an Wärme und bunten Träumen geweckt werden.
Doch hartnäckig drängte ihr Bewusstsein sie, die Augen zu öffnen und auf weiße Wände zu starren, am Rücken liegend, was sie überhaupt nicht ausstehen konnte. Sie bevorzugte, seitlich oder am Bauch liegend zu ruhen. Mit einem Schwung wollte sie sich nach links drehen, als eine Kakofonie an Tönen über ihrem Kopf ausbrach. Völlig geschockt hielt sie inne, während plötzlich zwei Personen neben ihr Bett stürzten und ihre Arme umklammerten.
„Bitte, Frau Weiser bleiben Sie ruhig liegen. Sie sind im Spital, an Infusion und elektronische Messgeräte angeschlossen!“, erklärte eine weibliche Stimme in beschwörendem Tonfall.
„Können Sie sich noch erinnern, Frau Weiser?“, fragte ein angenehm tiefes Timbre, das sie sofort anzog und ihren Kopf in diese Richtung wenden ließ.
Ein Mann mit verschwommenen Gesichtszügen neigte sich über sie, die schärfer wurden, je näher er sich beugte. Ja, so war es besser, so fühlte sie sich gleich nicht mehr so verloren.
„Ich…“, sie schluckte, „Durst….“
„Ja, sicher, hier, trinken Sie ein wenig“, bemerkte jetzt die Frau und hielt ihr einen Schnabelbecher an den Mund. Skeptisch musterte sie das Ding, das ihr aus der Pflege ihrer demenzkranken Mutter nur zu bekannt war.
‚Verdammt, dann bin ich wirklich krank‘, dachte sie und nahm ein paar Schluck Wasser.
„Ich…“, versuchte sie es erneut, „Büro…, Chefin….., kein Urlaub, …..“, krächzend brach sie ab, jedes Wort eine Qual auf ihren Lippen, dabei wollte sie doch von dem Unrecht erzählen, das ihr widerfahren war, von der Gemeinheit ihrer Vorgesetzten berichten.
Wollte darauf bestehen, dass sie ihren Wellness-Trip antreten durfte, doch keiner der Gedanken formte sich in Wörter und Laute. Verzweifelt wollte sie diese doch herauspressen, ballte ihre Hände zu Fäusten und holte tief Luft.
„Ruhig, ganz ruhig“, wieder die sonore Stimme und eine große Männerhand, die sich lindernd auf ihren Brustkorb legte und damit auch die schrillen Alarmsignale über ihr einbremste. „Ich sehe, dass Sie sich an die Situation erinnern. Sie haben sich sehr aufgeregt und das hat Ihren Herzrhythmus komplett außer Tritt gebracht, weshalb Sie bewusstlos wurden.“
Vorsichtig nickte Elisabeth und sah ihn fragend an, um ihn zum Weitersprechen aufzufordern.
„Anhand Ihrer digitalen Krankenakte konnten wir sehen, dass Sie bereits Betablocker gegen Ihr Vorhofflimmern erhalten. Trotzdem haben sich kleine Blutgerinnsel gebildet, da Sie leider keine Medikamente zur Antikoagulation einnehmen. Ein solcher kleiner Blutpfropfen hat sich gelöst und eine Mangel-Durchblutung in Ihrem Hirn verursacht.“
Entsetzt riss Elisabeth die Augen auf, sie wusste, was das bedeutete: Schlaganfall. Gelähmte Körperseite, herabhängende Mundwinkel, unverständliche Sprache, Pflegeheim.
NEIN! NEIN! Alles schrie in ihr, bitte nein! Panik überrollte sie, Verzweiflung krallte sich in ihr fest.
„Bitte bleiben Sie ruhig, sonst schaden Sie Ihrem Herzen. Zu einem großen Teil haben Sie es selbst in der Hand, wie Sie sich fühlen werden. Sie sind hier bei uns, auf der Stroke Unit, in den besten Händen. Sie haben sofort Infusionen bekommen, um die Gerinnsel aufzulösen und Ihren Herzschlag zu normalisieren. Wir haben gestern bereits eine Computertomografie gemacht, doch konnten wir noch keine Auswirkungen des ischämischen Infarkts lokalisieren. Deshalb wird am Nachmittag nochmals eine CT durchgeführt.“
Elisabeth konzentrierte sich auf jedes Wort, jede Nuance der Intonation und verankerte sich in den haselnussbraunen Augen über ihr. Fühlte die Wärme der maskulinen Finger oberhalb ihres Herzens und das besänftigende Streicheln der anderen Hand über ihren Arm.
„Versuchen Sie zu schlafen, das hilft Ihrem Körper, und zwingen Sie sich nicht zu irgendeiner Form der Anstrengung, weder zum Sprechen noch zum Aufsetzen. Schwester Iris ist jederzeit zur Stelle, wenn Sie auf den Knopf neben Ihrer rechten Hand drücken, und wird Ihnen helfen.“
Die Finger lösten sich von ihr, beraubten sie des einzigen Halts in einem Meer an Ungewissheit und Unbehagen. Bevor die Gestalt im weißen Mantel wieder unscharf wurde und sich wegdrehte, verließen heiser und unsicher einige Silben ihren Mund.
„Wahrheit, …. bitte, …..Zukunft, ….. wie?“
Es war alles, was sie aus ihrem rasenden Wirrwarr in ihrem Kopf extrahieren konnte. Alles, was sie wissen musste. Ob die Guillotine dieses Ereignisses ihr weiteres Leben vernichten oder ihr doch einen freudvollen, wenn auch vielleicht steinigen Weg in die Zukunft gestatten würde.
Ob Verzweiflung oder Hoffnung ihr Schicksal wäre.
Ein tiefer Atemzug, ein leises Räuspern.