9,99 €
'Keine Katze wäre gern ein Mensch. Aber jeder Mensch wäre manchmal wirklich gerne eine Katze …' Über acht Millionen Katzen leben in deutschen Haushalten. Also kommt auf ungefähr zehn Deutsche eine Katze. Das ist unglaublich. Und das muss Gründe haben (vermutlich sogar mehr als 111). Was macht diese kleinen, eigenwilligen Persönlichkeiten so liebenswert? Wie verändern sie unser Leben? Warum ist es fast unmöglich, in Gegenwart einer Katze schlechte Laune zu haben? Und wie ist das eigentlich, wenn man plötzlich mit einer Katze lebt?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 329
Hauke Brost
»Die Katze wäre bestimmt nicht gern ein Mensch.
Aber der Mensch wäre manchmal gern eine Katze.«
(aus diesem Buch)
Liebe Rumpel,
Du bist schon heute Deutschlands bekannteste Katze! Das Buch »111 Gründe, Katzen zu lieben« handelte fast nur von Dir (stellvertretend für Millionen andere Katzen). Es wurde ein Bestseller, und hier ist nun die um 33 Gründe erweiterte Neuausgabe. Macht 144 Gründe, Katzen zu lieben – und Du stehst natürlich wieder im Mittelpunkt! Viel Spaß beim Lesen, liebe Rumpel. Denn ich bin sicher, dass Katzen lesen können. Es gibt da einen Witz: Sagt die eine Katze zur anderen: »Meine Menschen sind so blöd. Die glauben, ich kann weder lesen noch schreiben.« Sagt die andere: »Sei doch froh. Sonst musst du denen auch noch die ganze Buchhaltung machen …«
***
Rumpel weiß von diesem Buch. Die klügste aller Katzen mit dem niedlichen weißen Fleck auf der Brust, die länger als wir unseren alten Bauernhof an der Nordseeküste bewohnt, aalt sich genüsslich auf dem warmen Pflaster des Hofplatzes. Sie zeigt den missmutig glotzenden Neufundländern demonstrativ ihr Hinterteil und signalisiert ihnen mit dieser Geste, wie sehr sie sie verachtet: »Schaut mal, ihr Blödmänner, ich muss euch nicht mal im Blick behalten! Ihr könnt mir gar nichts.« Sie wirft sich auf den Rücken und streckt alle viere in die Luft. »Mein Buch! Endlich!«
Die Arbeit am letzten Buch hat sie übrigens konsequent ignoriert. Der Titel gefiel ihr wohl nicht so. »111 Gründe, Hunde zu lieben«, erschienen im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag.›
Aber dies wird kein Buch nur über unsere Rumpel, sondern es wird ein Buch über alle Katzen – mit einem leisen Lächeln geschrieben für alle, die eine Katze haben, und außerdem ein Buch für alle, die noch keine Katze haben. Es wird sogar ein Buch für Menschen, die sich niemals eine Katze zulegen würden.
Zu dieser – gar nicht so kleinen – Bevölkerungsgruppe haben wir als notorische Hundeliebhaber auch einmal gehört. Als meine Frau mich noch nicht kannte, gab es vor ihrem Haus in der Lüneburger Heide sogar einen Schuhsohlensauberkratzer in Form eines Hundes vor der Haustür, und auf dem stand provokativ: »No cats please!« Deutlicher kann man es nicht sagen, oder?
Meine erste eigene Katze ist schon ziemlich lange her. Auf dieses recht missratene Tier komme ich gleich zurück. Es gab danach durchaus einige Katzen im näheren Bekanntenkreis, deren Leben ich jedoch eher aus der Distanz verfolgte. Eine davon gehörte dem Hafenmeister auf der Elbe, wo mein Schiff liegt. Sie war nicht unbedingt dazu geeignet, meine Katzenliebe zu steigern. Kaum war sie bei mir an Bord geschlüpft, pflegte sie sich zwischen meinen Unterhosen im Kleiderschrank zu verstecken. Das gefiel mir nicht. Mit List und Tücke vertrieben, legte sie sich umgehend zwischen die Geschirrtücher. Sie hatte einen unbändigen Drang, sich ständig hinter oder unter irgendetwas zu verstecken. Sie war ein richtiges Höhlentier. Aber ich wollte weder eine Katze zwischen meinen Unterhosen noch zwischen meinen Geschirrtüchern, zumal sie freiwillig auch nicht wieder rauskam. Deshalb bekam sie am Ende Bordverbot bei mir. Ich konnte mich trotzdem auch weiterhin wunderbar mit ihr unterhalten. Sie antwortete mit speziellem Maunzen und der dazugehörigen Körpersprache. Lachen Sie nicht! Das war weder Zufall noch Einbildung. Diese Katze »sprach« mit Menschen.
Irgendwann flackerte ihre Lebenskerze nur noch leise vor sich hin und sie musste eingeschläfert werden. Ich habe echt um sie getrauert und es natürlich im Nachhinein bedauert, dass ich so gemein zu ihr gewesen bin. Seitdem ist »Maxi« unser Hafenkater. Er ist schneeweiß, aus dem Tierheim und recht gelehrig. Er spricht auch mit Menschen. Aber lange nicht so deutlich und intensiv wie seine Vorgängerin.
Meine erste eigene Katze, um auf die zurückzukommen. Sie war uns quasi zugelaufen. Sie hatte keinerlei Manieren und einen heftigen Zerstörungstrieb. Kaum verließ ich morgens das Haus, kletterte sie die Gardine rauf bis zur Decke und riss sie runter. Dann kletterte sie die nächste rauf usw. Einige Wochen war ich jeden Abend damit beschäftigt, auf eine Leiter zu klettern und die Gardinen wieder aufzuhängen. Das war ziemlich anstrengend! Dann erzählte mir ein Kollege, dass seine Kinder so gern eine Katze haben wollten …
Heute denke ich, dass diese Katze einfach Langweile hatte. Andererseits konnte das aber nicht sein, denn auch wenn ich vor der Arbeit reichlich mit ihr gespielt hatte, riss sie die Gardinen runter. Ich konnte das sogar auf dem Weg von der Haustür zum Auto sehen. Tür zu, Schlüssel umgedreht, und die Katze hing an der Gardine.
»No cats please«? Verstehen kann ich das, aber für uns gilt es nicht mehr. Als wir nämlich den alten Bauernhof kauften, »erbten« wir Katze Rumpel mit. Sie lebte schon lange da, allerdings war es ihr nicht sehr gut ergangen. Mit uns freundete sie sich langsam und ausgesprochen zögernd an und blieb uns bis heute treu. Wir möchten sie nicht mehr missen.
Katzen sind unglaublich intelligent (schlauer als Hunde sind sie allemal) und extrem sauber, sie machen richtig Spaß, lernen blitzschnell, haben einen verdammten Dickkopf und können sich so ursprünglich freuen, dass uns Menschen garantiert die schlechte Laune vergeht.
Trotzdem können Katzen einen auch zur Verzweiflung bringen. Ja, Rumpel: Das gilt auch für dich! Weißt du noch, wie du auf der Flucht vor unserem Dackel »Hummel«, der inzwischen längst als radikalster Katzenhasser im ganzen Hundehimmel gilt, ins Bücherregal gesprungen bist und vor Aufregung meine Bestseller »Wie Männer ticken« und »Wie Frauen ticken« vollgepisst hast? Wir werden nicht umhinkommen, auch ein paar katzenkritische Worte in diesem Buch zu verlieren. Denn, das nur am Rande erwähnt: Es gibt auch mindestens 111 Gründe, sich niemals eine Katze zuzulegen …
Hauke Brost
www.haukebrost.de
Kapitel 1
Da fangen wir doch gleich mit der liebenswertesten und herausragendsten Charaktereigenschaft der Katze an. Sie lernt zwar – aber nur, wenn sie will. Sie ist zwar lieb – aber nur, wenn ihr danach ist. Sie könnte sogar gehorchen, wenn sie wollte. Die Katze kann nämlich alles, was ein Hund auch kann. Theoretisch. Sie sieht nur nicht ein, wozu Gehorchen gut sein soll. Sie entscheidet selbst, was sie macht. Eine Katze macht nicht »Sitz« auf Kommando, obwohl sie dazu zweifellos in der Lage wäre: Sie zeigt uns lieber die ausgestreckte mittlere Vorderkralle. Jedenfalls würde sie das tun, wenn ihr der Sinn dieser Geste bewusst wäre!
Eine Katze unterwirft sich nicht und lässt sich nicht verbiegen. Es sei denn, sie wird gequält und hat Angst, zum Beispiel vor Schlägen. Aber selbst dann gehorcht sie nicht. Sie läuft weg, so schnell sie kann, und versteckt sich irgendwo. Wenn sie aber in der Falle sitzt und nicht mehr weglaufen kann, dann fährt sie ihre Krallen aus und wird echt gefährlich. Katzen sind Wesen für Menschen, die niemanden unterdrücken und knechten wollen.‹ Ich sage es nur einmal und gleich hier: Nichts von dem, was hier steht, ist gegen Hundefreunde gerichtet. Sätze wie dieser vor der Fußnote bedeuten nicht, dass das Gegenteil auf Hundefreunde zutrifft. Das gilt natürlich auch für die anderen 110 in diesem Buch geschilderten Gründe, Katzen zu lieben. › Es sind vermutlich die menschlichsten Zeitgenossen, die man auf vier Beinen in eine Mietwohnung einquartieren kann. Katzen sind Lebenspartner. Eine Katze »hält« man sich nicht. Mit einer Katze lebt man. Du und die Katze, das ist wie eine WG. Und wenn du Glück hast, akzeptiert dich die Katze als Mitbewohner.
Das macht die Katze so liebenswert: ihr eigenwilliger Charakter. Hat sie schlechte Laune oder ist verstimmt, dann guckt sie dich buchstäblich mit dem Arsch nicht an. Ist sie gut drauf und du bist gut zu ihr, dann überschüttet sie dich mit Freundlichkeit und Liebe. Katzen sind launisch, oftmals gemein, bisweilen auch ungerecht, fies und natürlich immerzu äußerst egoistisch. Mit Katzen kann man sich herrlich streiten, und manchmal ist man wirklich wütend auf sie. Das Schöne ist aber: Die Katze kuscht nicht. Sie meckert zurück. Es sei denn, sie hat ein verdammt schlechtes Gewissen und weiß genau, dass sie Mist gebaut hat: Dann entschuldigt sich die Katze mit Gesten und einem ganz besonderen Laut, den sie sich für diese seltenen Situationen aufgehoben hat. Die Katze ist ein wirkliches Wundertier! Man staunt nur, dass sie nicht »richtig« sprechen kann.
Das war doch schon mal ein schöner Grund, Katzen zu lieben. Eigentlich waren es sogar mehrere Gründe. Ja und?, sagt der Katzengegner: Deswegen muss ich mir noch lange keine zulegen! Aber warten Sie mal ab. Es folgen ja noch 110 weitere Gründe …
Es ist still bei uns im Hafen. Leise glucksen die Wellen an den Steg. Des Hafenmeisters Katze döst in der prallen Sonne und beobachtet aus den Augenwinkeln einige Entenküken, die zum Glück nichts von dem ahnen, was eine gesunde, durchaus schwimmfähige (wenn auch wasserscheue) Katze beim Anblick von Entenküken denkt. Plötzlich springt die Katze auf, rennt mit ihrem putzigen Hoppel-Galopp die 100 Meter über den Steg zur Brücke, rast bis zur Straße hinauf und hockt sich mit spitz aufgestellten Ohren erwartungsvoll dort oben hin. Drei Minuten später (!) rollt das Auto des Hafenmeisters auf den Parkplatz. Das Begrüßungs-Miauen hört man bis auf mein Boot. Die Katze drängt sich an seine Beine, hüpft ihm hinterher, schaut ihn liebevoll mit schräg gestelltem Kopf von unten an und weicht ihm die nächsten Stunden nicht mehr von der Seite. Schließlich ist er ja der zweitliebste Mensch, den sie hat (gleich nach der Hafenmeisterin). Man kann nun lange darüber diskutieren, wieso die Katze drei Minuten vor Ankunft des Hafenmeisters dessen Auto gehört hat: In drei Minuten legt ein Auto bei 50 km/h 2,5 Kilometer zurück, und selbst eine Katze dürfte das Motorengeräusch »ihres« Autos unter den Geräuschen anderer Autos nicht auf eine Distanz von zweieinhalb Kilometern wahrnehmen können.
Intuition? Gedankenübertragung? Was auch immer, aber so passiert es täglich bei uns im Hafen, auch wenn der Hafenmeister zu unterschiedlichen Zeiten erscheint. Also kann es nicht die »innere Uhr« der Katze sein. Aber hier geht es um die hundertprozentige Liebe, die einem die Katze gibt. Alles ist plötzlich unwichtig. Sogar eine Maus würde sie sausen lassen für diese Begrüßungszeremonie. Ihr ganzer kleiner Körper lacht, strahlt Glück aus, richtiges reines vollkommenes Glück. So glücklich wie die kleine Katze in ihrer unendlichen Liebe waren wahrscheinlich nur Adam und Eva im Paradies, und zwar vor dem blöden Apfel. Hat uns der liebe Gott so gewollt, wie die Katze heute noch ist?
Stunden später kommt die Hafenmeisterin von der Arbeit. Sie hat den Hafenmeister auch lieb, aber nach einem Küsschen und einer Umarmung, wie das bei Menschen eben so ist, erzählt sie von ihrem schweren Tag und muss erst einmal entspannen. Die Katze freut sich immer noch wie Bolle, denn jetzt sind beide Menschen da und ihr Glück ist erst richtig perfekt.
Unsere Katze auf dem alten Bauernhof da oben an der Nordseeküste ist eine sogenannte halbwilde Katze. Das heißt, sie ist ein Indianer, aber sie weiß den Komfort einer beheizten Bude dennoch zu schätzen.
Bevor wir in ihr Leben traten mit diesen unglaublich lauten und trampeligen Menschenschuhen, dürfte sie einige Jahre unter recht widrigen Umständen weitgehend auf sich selbst gestellt gewesen sein, lebte wohl vorwiegend von selbstgefangenen Mäusen, trank aus Pfützen und schlief bei Regen und Schnee in einem heruntergekommenen baufälligen Schuppen am Rande unseres Grundstückes. Durch unser Erscheinen hat sich ihre Lage natürlich drastisch verbessert, aber irgendwie steckt immer noch der alte Indianer in ihr drin. Jede halbwilde Katze ist Überlebenskünstler, Streetfighter, Gauner, Hütchenspieler, Dieb, Mörder (wenigstens aus Mäusesicht), zumindest ist eine halbwilde Katze jedoch rotzfrech und bauernschlau. Weil sie sonst da draußen in der freien Wildbahn gar nicht überleben könnte.
Wir brauchten ein halbes Jahr, bis wir sie anfassen durften, und ein weiteres halbes, bis sie das Haus betrat. Wir wollten sie nicht domestizieren und empfahlen ihr deshalb, sich der Garage, der Werkstatt und des Heizöltankraumes zu bemächtigen, insgesamt circa 70 Quadratmeter, also für eine eher kleine Katze wohl ausreichend viel Innenraum. Komfortabel mit insgesamt drei von uns gebauten Katzenhäusern und -verstecken ausgestattet (eines in jedem Raum, natürlich mit der Aufschrift »No dogs please«) gingen wir davon aus, dass sie wenigstens eines der angebotenen Quartiere akzeptieren würde.
Das tat sie auch, indem sie wahlweise eines der drei mit Beschlag belegte. Als es jedoch draußen kälter wurde, beschloss die Katze, dass es sich in unserem Gästezimmer noch bequemer leben ließe.
Sie blieb tagelang verschwunden. Wir wussten nicht, wo sie abgeblieben war, und machten uns Sorgen. Gäste hatten wir zu der Zeit nicht im Haus. Die Tür zum ebenerdigen Gästezimmer stand allerdings immer etwas offen. Nach Tagen haben wir sie dann entdeckt: Sie hatte sich ins Gästebett gelegt, sich die Decke vollständig über die Ohren gezogen, war also unsichtbar und hatte das Gästezimmer nur zweimal täglich verlassen, um an den schlafenden katzenhassenden Hunden vorbei nach draußen zu schleichen, ihren Napf leerzufressen und ihr Geschäft zu verrichten. Es bedurfte wirklich sehr viel Energie, um die Katze davon zu überzeugen, dass dieses Gästezimmer eine »No-go-area« für sie war!
Und wie leise Katzen treten können. Auch eine wahrhaft indianische Begabung. Einer der Hunde schläft draußen, ist aber dennoch halbwach. Die Katze guckt aus ihrer schwingenden Klappe, die wir in die Garagentür eingefräst haben. Au verdammt, da liegt ein Hund!, denkt sie. Da kann ich nicht raus. Andererseits muss ich mal. Ich könnte es versuchen, indem ich einen beschwerlichen Umweg über die Blumenkästen wähle und dabei keinen Lärm mache. Man sieht es ihr an, wie sie überlegt, nach links guckt, nach rechts, immer noch halb in der Garage drin, nur der Kopf guckt aus der Klappe raus.
Jetzt geht sie los. Nein: Sie geht nicht, sie schleicht. Hochbeinig. In Zeitlupe. Hebt jede Pfote an, prüft den nächsten Schritt, kontrolliert die Festigkeit des Untergrundes, okay, das könnte gehen, ganz in Ruhe und nur keinen Fehler machen: So schleicht sie sich keinen Meter vom Hund entfernt an diesem vorbei, und er schnallt es nicht einmal. Husch, ist sie im Gebüsch.
Der Hund hebt den Kopf: War da was? Nö. Er schläft weiter. Und merkt nicht, dass dieses ihm intellektuell haushoch überlegene Kätzchen nach einer halben Stunde wieder denselben Schleichweg in der Gegenrichtung wählt, um dann mit einem Riesensatz durch die schwingende Klappe in ihrer Garage zu verschwinden. Aber natürlich nicht, ohne drinnen einen Megalärm zu machen: Hier kann ihr keiner, und der Hund (inzwischen hellwach) kriegt nicht mal die Schnauze durch die Schlupfklappe. Das findet sie super! Lala, lala, lala, so hört man sie drinnen ihre Liedchen singen (na ja, sie maunzt, aber das ist eben ein Katzenlied). Und ich bin sicher, dass sie in Richtung Hund soeben die Zunge herausgestreckt hat.
Ein Freund wollte verreisen und es stellte sich die Frage, was mit seiner Katze geschieht. Da sie munter zwischen draußen und drinnen pendelte, gab es eigentlich nur das essenstechnische Problem. Das lösten die Nachbarskinder. Die verpflichteten sich, gegen geringes Entgelt zweimal täglich die Katze zu füttern und ihr Klo zu reinigen. Es funktionierte hervorragend, und der Katze ging es sehr gut. Sie schien meinen Freund auch weiterhin nicht zu vermissen.
Nach einer Woche kam er zurück und freute sich, die Katze begrüßen zu dürfen. Die jedoch ignorierte ihn konsequent. Sie ließ sich nicht streicheln, schnurrte nicht so wie sonst um seine Füße, schaute ihn nicht einmal an, sondern sie verschwand demonstrativ auf seinem Kleiderschrank und kam tagelang nur zum Fressen und zum Kacken herunter. Wohl selten hat ein Tier so demonstrativ nachtragend auf Trennung und Liebesentzug reagiert wie dieses. Ja: Jede Katze ist nachtragend, und auch deshalb lieben wir sie. Die Katze zeigt uns unverfälscht, welche Gefühle sie hat. »Du bei mir sein? Ich dann lieb zu dir. Du mich verlassen? Ich sauer. Dann du aber auch merken, pass auf.« Die Katze besteht nur aus Emotionen. Und irgendwie – ganz im Geheimen – wären wir Menschen auch gern so: nicht immer kontrolliert und vom Intellekt gesteuert, sondern nur »aus dem Bauch heraus« agierend. Unter Menschen allerdings geht das nicht, und deshalb beneiden wir die Katze.
Ich möchte immer wieder mal etwas in dieses Buch hineinschreiben, was für Leute ohne Katze bestimmt ist. Katzen erweitern unseren menschlichen Horizont, und sie geben uns Anlass, unser eigenes Verhalten kritisch zu überprüfen. Wann haben Sie Ihrem Chef zuletzt gesagt, dass er ein Arschloch ist? Wahrscheinlich können Sie sich das nicht leisten, und deshalb beißen Sie sich seit Jahren lieber auf die Zunge. Aber woher wissen Sie, dass Ihr Chef nicht genau darauf wartet: dass ihm endlich mal jemand die Meinung sagt? Jasager hat er viele um sich. Mitarbeiter, die sich auch mal etwas trauen, sind angesagt und werden gefördert. Eine Katze kann Ihnen zeigen, wie man jemandem die Meinung sagt. Sie hat genau die natürlichen Instinkte, die wir Menschen uns aberzogen haben.
Wir können lernen von der Katze. Und deshalb sollten Sie die Frage »Warum sollte ich mir eine Katze zulegen?« auch mal unter einem ganz anderen, nämlich unter einem rein egoistischen Aspekt betrachten. Wobei ich mich selbst korrigieren möchte: Eine Katze »legt« man sich nicht »zu«. Die Katze gibt uns die Ehre, dass sie sich gerade uns »zugelegt« hat.
Unsere Katze mag keine Männer. Schon mal gar keine mit Mütze. Das liegt wohl daran, dass ihr früherer Mensch ein männlicher Witwer war und immer eine Mütze trug, wie das an der Küste so üblich ist. Dieser Mensch hat sie übel behandelt und mit Steinen beworfen, wenn sie ihm zu nahe kam. Deshalb wurde aus der Katze zwangsläufig ein Indianer, eine halbwilde Katze, wie bereits beschrieben. Nun trage ich zwar nicht immer eine Mütze und schon gar nicht, wenn ich mit der Katze schmusen möchte, aber hin und wieder eben doch. Außerdem kann ich nicht leugnen, dass ich ein Mann bin, und habe auch keine Lust, wegen der Katze ständig im Falsett zu sprechen wie ein Kastrat, um weiblicher zu wirken. Also sage ich: Liebe Katze, du musst jetzt mit mir leben und du wirst schon merken, dass es auch nette Männer gibt. Aber die Katze verzeiht mir nicht so leicht, dass ich ein Mann bin. Wenn sie mich sieht, dann haut sie ab. Wenn meine Frau sie ruft, dann kommt sie liebevoll angedackelt. Das ist blöd für mich. Denn auch als Mann möchte man mal die Katze streicheln oder füttern, man fühlt sich sonst ja diskriminiert!
Ein guter Zeitpunkt, die Einstellung der Katze zu Männern und insbesondere zu mir zu verbessern, waren drei Wochen im Sommer 2009, als meine Frau aus beruflichen Gründen den Hof verlassen musste und mir allein die Pflege von Haus, Hunden und Katze oblag. Jetzt war die Katze ja auf mich angewiesen, und sie wusste das natürlich vom ersten Tag an. Wahrscheinlich wusste sie es schon, als meine Frau ihre Koffer packte. Denn eine Katze beobachtet ihre Menschen immer, auch ohne dass die es mitkriegen.
Also: Die Katze wusste, dass harte Zeiten bevorstehen. Sie allein im Haus mit einem Mann, von den Hunden ganz zu schweigen: Das ging gar nicht. Die Katze beschloss, es ohne mich zu versuchen. Sie nahm ihre Mahlzeiten ein, wenn ich nicht da war. Sie ging zum Kacken nach draußen und ignorierte ihr Katzenklo. Sie war eigentlich unsichtbar. Nur wenn es dunkel wurde, sprang sie aufs Fensterbrett und starrte mich mit ihren grünen Augen reglos an. Stunde um Stunde.
Mir schien das ein Friedensangebot zu sein. Zwar wollte sie weder reinkommen noch gestreichelt werden, aber ganz ohne Mensch war ihr das Katzenleben doch zu einsam. Ich holte einen dieser kleinen Katzensticks, wo draufsteht, dass angeblich Lachs und Forelle drin sind, und zeigte ihr den durchs geschlossene Küchenfenster.
Am ersten Abend drehte sie indigniert den Kopf weg. Am zweiten Abend hob sie die Tatze und legte sie an die Scheibe. Am dritten Abend stellte sie sich am Fenster hoch und maunzte. Am vierten Abend öffnete ich das Fenster einen Spaltbreit, reichte ihr den Stick, sie schnappte ihn und verschwand. Die Katze hatte mir verziehen, dass ich ein Mann bin. Zwar wurden wir noch nicht gleich Freunde, aber das Abholen des Sticks mit (angeblich) Lachs und Forelle drin: Das wurde ein Ritual, das sich nun jeden Abend wiederholte. Aufs Fensterbrett springen, Fenster einen Spalt auf, Stick durchreichen und tschüs. So reglos angestarrt hat sie mich seitdem auch nicht mehr.
Katzen sind wie Frauen: Meistens sind sie zwar gut drauf, aber manchmal eben auch total launisch. Man liebt sie auch deshalb. Nie kann man ganz sicher sein, dass sie die eigene Gemütslage teilen! Man kann sich dabei sogar schwer verschätzen. Denn die Frau kann ja wenigstens sagen, wenn sie mies drauf ist. Die Katze sagt es einem nicht. Jedenfalls nicht sofort. Man kommt von der Arbeit nach Hause und freut sich auf die Katze, man ist sowieso gut gelaunt heute und möchte sie nur noch kurz streicheln, bevor man sich dem wohlverdienten Feierabend hingibt. Die Katze ärgert sich vielleicht gerade, weil ihr vorhin im Garten eine Maus durch die Lappen gegangen ist. Statt sich anzuschmiegen, holt sie kurz aus und verpasst einem so einen heftigen Kratzer, dass es gleich zu bluten anfängt. Natürlich kriegt sie daraufhin einen Schreck und verzieht sich erst mal, denn sehr empfindlich reagiert sie auf fluchende Stimmen. Die mag sie gar nicht; Fluchen ist sowieso unter ihrem Niveau. Man gewöhnt sich deshalb an, die Katze nicht gleich beim Nachhausekommen ungefragt zu streicheln – man wartet erst, bis sie selbst zum Schmusen angelaufen kommt. Das erspart einem eine Menge Kratzer.
Die Katze spielt auch gern Theater. Wenn man die Koffer packt und verreisen will, dann mimt sie gern die verlassene Geliebte. Jammernd verkriecht sie sich unters Bett oder hinter den Schrank, wo sie alleine kaum wieder herauskommt. Das Fressen rührt sie nicht an. Scheinbar bleibt auch ihr Klo unbenutzt. Nur immer dieses weinerliche Greinen aus irgendeiner Ecke. Hat man dann die Taxe bestellt und schaut sich an der Pforte noch einmal um, dann ist Schluss mit der Jammerei: Stolz steht sie am Fenster, schaut einem hinterher und überlegt, was sie in der sturmfreien Bude als Erstes anstellt. Jetzt ist sie endlich mal der Chef im Haus, was uns gleich zum nächsten Grund führt …
Die Katze unterwirft sich nie. Zwar gewährt sie dem Menschen gern die Gnade, sie füttern zu dürfen. Aber an dem Spruch »Menschen halten sich Hunde, Katzen halten sich Menschen« ist schon etwas Wahres dran. Die Katze bittet zur Audienz. Es ist eine Ehre, wenn man sie streicheln darf. Man sollte sie allerdings um Erlaubnis bitten (siehe voriges Kapitel). Zu Gast in einer schicken Villa mit Elbblick in Hamburg-Blankenese konnte ich oftmals beobachten, wie herrisch die kleine Katze mit der Hausfrau umging. Einmal bereitete die gute Frau in der Küche das Essen zu, und die Katze strich genussvoll und in Erwartung eines leckeren Happens um ihre Füße herum. »Es gibt nix«, sagte die Frau aus Spaß. Die Katze antwortete mit einem kurzen, verächtlichen Fauchen und strich weiter um sie herum, stellte sich mal kurz auf, wurde lauter, fordernder und fing, als es immer noch nichts gab, vernehmlich zu meckern an.
Das war kein richtiges Miauen! Es war eher eine Kanonade von wüsten Beschimpfungen, unterstrichen mit dieser eindeutigen Körpersprache: »Gib mir jetzt was, oder …« Der kleine niedliche Kopf wippte in einer seltsamen Wellenbewegung auf und ab, der ganze Katzenkörper war gespannt wie ein Flitzebogen, dann wieder Rollenwechsel: flehentliches Betteln und erbärmliches Jammern, als sei die Katze kurz vor dem Hungertod.
Wieder ein Rollenwechsel, jetzt versuchte sie es mit der »beleidigten Leberwurst«: Über den Rücken nach hinten wüst schimpfend, stolzierte sie Richtung Küchentür, verlor dabei nie die leckeren Bissen aus dem Auge und setzte quasi ein letztes Ultimatum: Entweder fliegt jetzt was runter, oder ich entziehe dir meine Sympathie für mindestens eine Viertelstunde!
Das ist wohl der Grund, warum mehr Frauen als Männer Katzen lieben: Die Katze schmust so unendlich gern und so unendlich lange wie die Frau. Sie kennt dabei keine Zeit. Es wird ihr niemals langweilig. Sie mag auf jeden Fall länger schmusen, als der Mensch Zeit dafür hat. Wohlig schnurrend lässt sie es sich gefallen, dass man sie krault, streichelt, sie überhaupt nur anfasst und sich mit ihr beschäftigt: Welche Frau kann dieses Bedürfnis nicht nachvollziehen? Welche Frau möchte nicht viel länger gekrault, massiert und gestreichelt werden, als der Mann sich dafür Zeit nimmt?
Katzen und Frauen, die haben sogar sehr viel gemeinsam. Sie sind nicht nur seelenverwandt, sondern sie haben auch die gleichen körperlichen Ansprüche. Oooo, wie schön, mach weiter! Meeeehr davon! Mhmmmm, das tut gut. Leider haben Männer dafür meistens nicht so viel Verständnis. Irgendwann möchten sie nicht mehr kraulen. Dabei könnte es für Frau wie Katze endlos so weitergehen. Wenn die Frau nur lange genug gestreichelt wird, bekommt sie irgendwann sogar warme Füße. Das ist ein Hochgenuss für die Frau. Ob die Katze auch ständig unter kalten Füßen bzw. Tatzen leidet, ist wohl noch nicht hinreichend erforscht. Aber das Gefühl wird dasselbe sein. Weitermachen, immer weiter! Da kann sich der Mensch Stunden Zeit nehmen, und die Katze hat immer noch nicht genug von seinen Zärtlichkeiten.
Man liebt die Katze, weil sie für Streicheleinheiten so dankbar ist. Von ganz tief unten her kommt das wohlige Schnurren. Die Augen macht sie klein, es sind als intensivster Ausdruck des Wohlbefindens nur noch winzige Schlitze. Sie streckt sich der Menschenhand entgegen. Das Köpfchen schräg gestellt, bettelt sie nach mehr. Man darf dabei gerne telefonieren, nur eine Hand sollte bitte der Katze gehören. Frauen telefonieren sowieso viel mehr als Männer. Meistens mit ihren besten Freundinnen. Dabei eine Katze auf dem Schoß zu haben, ihre Liebe zu genießen und ihr Liebe zu schenken, das ist für Frauen die Erfüllung.
Zentimeter für Zentimeter wird das weiche, glänzende Fell erforscht. Ist irgendwo eine harte Stelle, etwas verfilzt, nicht so, wie es sein sollte? Stört irgendetwas die Idylle, die Perfektion des vollkommenen Glücks, der vollkommenen Schönheit? Man kann hier ein bisschen tasten und dort ein bisschen pusseln. So würde die Frau auch gern ihren Mann einmal unter die Lupe nehmen. Es gibt ja viele Frauen, die an der Gesichtshaut ihres Mannes herumdrücken möchten, die gerne Mitesser ausdrücken und das für vollkommen normal halten. Der Mann sagt ziemlich schnell: »Lass das!«, und zieht sich zurück. Die Frau kann das gar nicht verstehen. Sie wollte doch nur … Sie hat doch nur … Aber die Katze, die weiß ihre Liebe zu schätzen. Viel mehr als der Mann. Wie gesagt: Frau und Katze, die sind seelenverwandt. Die müssen sich einfach lieben.
Fällt Ihnen noch ein anderer Hausgenosse ein, der so widersprüchliche Eigenschaften wie eine Katze hat? Der Kanarienvogel sitzt immer gleich gelaunt auf seiner Stange (jedenfalls erweckt er nicht den Eindruck, als wenn zwei Seelen in seiner gefiederten Brust steckten). Er frisst und piept, er kackt und freut sich seines Lebens. Frisst er nicht mehr, ist er wohl krank.‹ Ich gebe allerdings zu, dass ich mich noch nie näher mit der Psyche eines Kanarienvogels befasst habe.› Der Fisch in seinem Aquarium – na ja: Vielleicht können Freunde der Zierfische tatsächlich Geschichten von deren Seelenzustand erzählen; mich interessieren sie nur insofern, als ich ihnen dringend raten würde, Abstand zu unserer Katze zu halten. Und selbst Hunde haben, wenn sie normal entwickelt sind, ein weitgehend berechenbares und gleichförmiges Gemüt.
Nur in der Katze stecken zwei vollkommen unterschiedliche Wesen, und sie lebt beide aus: Schmusekätzchen ist sie und brutales Raubtier, sanftes Herzchen und eiskalte Jägerin, faul wie die Sünde und schneller als die Maus. Genusssüchtig ist sie bis zum Verfetten und genügsam bis zum Abmagern, zutraulich wie ein Kind und misstrauisch wie ein Betteljunge. Ihre Liebe verschenkt sie aus vollstem Herzen und ihre Antipathie zeigt sie derart direkt, dass es uns Menschen manchmal fast unangenehm ist. Und wenn richtig Stress aufkommt, erkennt man das eigene Tier nicht wieder. Haben Sie sich schon mal mit einer Katze angelegt, die sich in die Enge getrieben fühlt? Es ist dringend davon abzuraten: Dieses kleine, eben noch so herzige Wesen verfügt über Kampftechniken, denen des Menschen Reaktionsgeschwindigkeit nicht gewachsen ist. So schnell hält niemand die schützende Hand vors Gesicht, wie eine Katze in Angst ihre Krallen durchzieht.
Ich erinnere mich an einen Nachbarn, dessen treues schmusiges Kätzchen in einem Moment der Unachtsamkeit ausrutschte und ins Wasser fiel. Der Nachbar zog sich aus und sprang hinterher, um die Katze zu retten. Im Wasser traf er auf ein anderes Wesen. Ich sah ihn erst am nächsten Tag. Eine Wunde war genäht, ein Auge war zugeschwollen, am Hals hatte er tiefe Kratzwunden und der Rest war bandagiert. Er sah aus wie ein Zombie. Die kleine Katze war allein an Land geschwommen und blinzelte träge in die Sonne, so als könne sie kein Wässerchen trüben.
Wenn man mit einer Katze zusammenlebt, kennt man nach einer Weile diese zwei vollkommen gegensätzlichen Wesen, die in ihr stecken. Und man liebt sie auch deswegen. Allerdings entwickelt man im Laufe der Zeit auch einen gehörigen Respekt vor ihr. Denn so lieb, wie sie sich meistens gibt, ist sie durchaus nicht immer.
Nehmen wir sie mit, geben wir sie weg oder soll Oma kommen? Das ist natürlich die klassische Katzen-Familien-Frage vorm Urlaub, und die Entscheidung fällt niemals leicht. Die erste Alternative hat schon dazu geführt, dass es der letzte Urlaub mit der Katze war. Ungewohnte Umgebung, abgehauen, nie wiedergekommen. Was die Urlaubsfreude in gewisser Weise schmälert. Die zweite Alternative ist teuer, sofern man sich für ein Katzenhotel entscheidet, und man weiß ja auch nicht, wie es ihr dort gefallen wird. Also wieder Oma zum Einhüten. Der aber bricht es fast das Herz, wie deutlich sichtbar die Katze »ihre« Menschen vermisst. Es ist für die Katze nämlich nicht dasselbe, wenn jemand anders sie streichelt und mit ihr spricht. Den ganzen Tag sitzt sie am Fenster und schaut traurig hinaus, denn irgendwann müssen die doch mal wiederkommen. Beim leisesten Geräusch zuckt sie zusammen und spitzt die Ohren. Das wird auch nach einigen Tagen nicht besser.
Katzen haben ein sehr gutes Gedächtnis. Vermutlich ein viel ausgeprägteres als zum Beispiel Hunde, die ihre Menschen zwar auch vermissen – aber sich doch nach einigen Stunden oder spätestens am zweiten Tag wieder den genüsslichen Seiten des Lebens zuwenden können. Die Katze trauert und trauert. Sie hat zu nichts mehr richtig Lust. Das Wollknäuel, dem sie sonst hinterherjagt wie nix Gutes, beobachtet sie mit depressiver Körperhaltung und lässt es reglos direkt vor der Nase entlangrollen. Appetit hat sie kaum. Mäkelig schnuppert sie an ihrem Napf herum, wendet sich angeekelt ab, nimmt allenfalls ein paar Bissen, trinkt einen winzigen Schluck und widmet sich wieder ganz ihrer Trauer, in der sie aufgeht wie ein Klageweib an der Mauer. Sie ist nicht einfach traurig, sie ist die personifizierte (bzw. animalisierte) Trauer. Sie erlebt kein Drama, sondern sie durchlebt es. Viele Katzen kommen aus Sehnsucht nach ihren Menschen dem Tode nahe. Vor allem, wenn sie alt oder sonst wie geschwächt sind und über nicht so viele Reserven verfügen, von denen sie in diesen schlimmen Wochen zehren können. Man muss wirklich lange überlegen, ob es noch andere Tiere gibt, die so ausdauernd vermissen können. Vermutlich gibt es keine. Wenn aber die Katze unter der Trennung leidet und sogar aus Kummer langfristig das Fressen verweigert: Müsste man ihr dann nicht unterstellen, dass sie Trauer empfinden kann? Sagen Sie nicht vorschnell »ja, warum nicht?«! Sie begeben sich damit nämlich auf ziemlich dünnes Eis. Es ist so: Wenn die Katze Trauer empfinden könnte, dann hätte sie ein Bewusstsein. Es wäre ihr nämlich bewusst, dass ihr etwas fehlt (Sie nämlich). Hat die Katze aber ein Bewusstsein, so wäre damit die Schwelle überschritten zu der größtmöglichen Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier. Wissenschaftler sprechen diese Nähe nur wenigen als hochintelligent geltenden Tieren zu (Schimpansen zum Beispiel und Delfinen, aber Katzen keineswegs).
Ich persönlich glaube ja, dass Katzen noch viel intelligenter sind als Schimpansen und Delfine. Und dass sie durchaus Trauer empfinden können. Und dass sie ein Bewusstsein haben. Aber damit stehe ich in wissenschaftlichen Kreisen ziemlich alleine da (was wohl daran liegt, dass ich gar kein Wissenschaftler bin).
Und dann ist der Mensch endlich zurück. An dieser Stelle erwarten Nicht-Katzen-Kenner eine rührende Geschichte von dem lieben kleinen Kätzchen, das ganz aus dem Häuschen ist, den Menschen um die Beine streicht, herzergreifend miaut, gar nicht mehr runter will vom Arm und sich sooo freut, dass Frauchen oder Herrchen wieder da sind! Stimmt’s?
Denkste. So kommt es meistens nicht. Die Katze freut sich zwar. Aber sie wird den Teufel tun, das so direkt zu zeigen. Zwar kann es sein, dass für einige Momente die Freude mit ihr durchgeht und sie tatsächlich schmusig angedackelt bzw. »angekatzelt« kommt. Aber viele Menschen sind total enttäuscht, weil die Katze nach dieser kurzen emotional gefärbten Reaktion überhaupt keine Gefühlsregung zeigt. Im Gegenteil. Sie guckt demonstrativ woandershin, sie putzt sich erst einmal, als sei alles ganz normal, sie fängt mit irgendwas zu spielen an und – ja, sie straft den heimkehrenden Menschen mit einer provokativen Mischung aus Missachtung und Ignoranz bis hin zur Unhöflichkeit.
Und sie weiß genau, warum sie das macht. »Mich Katze lässt man nicht ungestraft einfach allein«, heißt die Botschaft. »Du denkst, dass ich jetzt angeschmust komme? Da hast du dich aber geschnitten. Ich habe dich mehr vermisst, als dich je ein anderer Mensch vermissen wird. Ich wäre fast gestorben vor Trauer. Und jetzt, wo du mal eben wieder da bist, soll ich in Jubel ausbrechen? Was denkst du, wer du bist, du Mensch?«
Manchmal scheint es, dass Katzen ihre Emotionen total unter Kontrolle haben. Das kann natürlich nicht sein. Emotionen kontrollieren zu können (jedenfalls meistens), betrachten wir Menschen als unser Privileg und vor allem als eines der Unterscheidungsmerkmale zwischen uns und dem Tier. Das Tier sei ausschließlich von Emotionen und Erfahrungen beeinflusst, haben uns die Wissenschaftler beigebracht. Nur der Mensch habe die Gabe, erst zu denken und dann zu handeln, Emotionen ganz nach Belieben zuzulassen oder zu unterdrücken, sie auszuleben oder sie auszuschalten. Deshalb stehe der Mensch auf einer höheren Ebene als das Tier.
Wer lange mit einer Katze zusammenlebt und den »gesunden« Menschenverstand gebraucht‹ Das ist übrigens auch eine Floskel, über die man mal diskutieren müsste. Was ist am sogenannten Menschenverstand eigentlich »gesund«? ›, der hat daran seine Zweifel. Denn gerade eine Katze, die nach längerer Zeit der Trennung ihren Menschen wiedersieht, verhält sich so gar nicht »tiergemäß«. Die Katze straft und belohnt, sie vergibt emotionale Leckerlis und teilt seelische Hiebe aus. Rätsel Katze. Wer sich je mit einer beschäftigt hat, der wird immer mit einer leben wollen.
Kapitel 2
Katzen, die raus dürfen, sind besonders glückliche Katzen. Das soll nun nicht heißen, dass Katzen in einer Stadtwohnung unglücklich sind. Das zu behaupten, wäre wirklich Quatsch. Katzen in einer Stadtwohnung (auf die wir übrigens noch ausführlich zu sprechen kommen) haben zum Beispiel erheblich weniger Krankheiten bzw. Verletzungen als Katzen im Freien, sie haben auch weniger Gefahren zu bestehen, sie leben in der Regel erheblich länger und verursachen, ganz nebenbei erwähnt, auch erheblich weniger Tierarztkosten. Dennoch stelle ich die Behauptung auf, dass die glücklichste Katze draußen und drinnen leben darf. Der Mensch hat es sich zur Gewohnheit gemacht, Tiere zu domestizieren; man bezeichnet diese Errungenschaft sogar als Ursprung der angeblichen menschlichen Überlegenheit gegenüber dem Tier: Er, der Mensch also, »machte sich die Tiere untertan« (Bibel). Die Katze hat der liebe Gott natürlich nicht damit gemeint. Eine Katze macht sich niemand »untertan«. Man kann der Katze nur ein warmes Plätzchen für kalte Tage anbieten, und wenn man Glück hat, dann nimmt die Katze dieses Plätzchen gnädig an.
Also, obwohl Katzen in einer Stadtwohnung ohne Garten glücklich steinalt werden können, hat das Leben der Katze drinnen und draußen unbestrittene Vorteile, und am geilsten findet es die Katze, wenn sie so wie unsere ein fast nicht mehr zu beherrschendes Outdoor-Revier von immerhin 13.000 Quadratmeter mit Knicks und Gebüschen, Weiden und Gräben, baufälligen Schuppen, Werkstätten und Garagen ihr Eigen nennt und sie trotzdem per Katzenklappe bei Regen, Sturm, Graupelschauern, Gewitter, Hagel, Schnee und anderen Wetterwidrigkeiten jederzeit ins Warme hüpfen kann, wo es – welch Luxus! – auch noch etwas zu essen gibt, weil da ein kleiner sauberer Napf mit was drin steht, und daneben sogar noch eine Schale mit frischem Wasser.
Wow. Davon kann der wilde Kater vom Bauern gegenüber, dieser verfluchte Terrorist mit seiner unglaublichen Futterneid-Dreistigkeit und den schlechten Manieren, doch nur träumen! Aber der soll mal kommen. Dem haut sie gleich was vors Maul, so dass er humpelnd und schreiend das Weite suchen wird. Ist er schon da? Raschelt da was im Gebüsch? Komm raus, du Feigling!
50 Quadratmeter Vorgarten sind der Katze ebenso recht. Es geht ihr nicht um die Größe ihres Reviers. Es geht um die unglaubliche Vielfalt von Beutetieren, die in einem Vor- oder Schrebergarten genauso vorhanden ist wie auf einer 5-Hektar-Weide. Vor allem geht es selbstverständlich um der Katze liebstes Beutetier. Und das ist natürlich die Maus.
Nun hat die Katze den unbestreitbaren Vorteil, dass der Mensch die Maus aus irgendwelchen Gründen auf die No-go-Liste gesetzt hat. Der Mensch mag die Maus nicht. Deshalb freut sich der Mensch, wenn die Katze eine Maus fängt. Er lobt sie dafür und sagt: »Oh, wie schön, hast du eine Maus gefangen?« Das ist natürlich mal wieder so ein Fall von »gesundem Menschenverstand«, der gar nicht gesund ist (wie bereits erwähnt). Es ist so unverständlich wie die Vorliebe des Menschen für Marienkäfer (»oh, wie süß«) und seine Antipathie gegen Spinnen, die auch viele Beine haben und im Gegensatz zum Marienkäfer sogar noch nützlich sind (»iiih, eine Spinne«).
Mäuse jedenfalls mag der Mensch nicht, und darum lobt er die Katze, wenn sie eine fängt. Wer eine Outdoor-Katze hat, reduziert sogar das Futter, damit die Katze ja nicht das Mäusefangen verlernt (das machen wir auch so). Wobei das eigentlich Quatsch ist: Die Katze fängt die Maus ja nicht, weil sie Hunger hat und nun unbedingt eine Maus zum Überleben braucht, sondern sie fängt die Maus aus Jux, weil sie einen ausgeprägten Jagdinstinkt hat und die Maus so blöd ist, dass sie ständig wegläuft.
Fremde Geräusche, lauernde Feinde, lockende Beute, ferne Stimmen, fallende Blätter, knackende Äste, seltsame Gerüche, nagender Hunger und es ist Nacht. Einsam geht die Katze nun auf die Jagd. Wir Menschen sitzen drinnen vor dem Fernseher. Viel spannender wäre es, jetzt die perfekteste aller Jägerinnen da draußen im Garten zu beobachten. Wenn die Sonne untergeht und sich der Abend auf die Rosenbeete senkt, ist die Katze in ihrem Element. Unglaublich, wie elegant und lautlos sie sich bewegt. Unfassbar, was sie in der Dunkelheit sieht. Kein Soldat hat so ein Nachtsichtgerät zur Verfügung wie das Auge der Katze. Ein Restlichtverstärker für viele tausend Euro wäre ein lachhaftes Spielzeug gegen das riesengroße grüne alles sehende Auge der nachts jagenden Katze. Dazu kommt diese unglaubliche Schnelligkeit, mit der sie zielgerichtet abspringen, punktgenau landen und eiskalt zupacken kann.