A Touch of Ice - Tracy Wolff - E-Book

A Touch of Ice E-Book

Tracy Wolff

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Beschreibung

Ash & Tansy – kann sie ihm dabei helfen, den Sprung zurück in sein altes Leben zu wagen?

Der schönste Tag im Leben von Profi-Snowboarder Ash Lewis verwandelt sich in einen Albtraum, als am Tag seiner Teilnahme an der Winterolympiade seine Eltern tödlich verunglücken. Er überlegt, dem Wintersport auf ewig den Rücken zu kehren. Genau da tritt die lebensfrohe und impulsive Tansy in sein Leben, die seit der Überwindung ihrer Krebskrankheit jeden neuen Tag als Geschenk ansieht. Trotz ihrer Gegensätzlichkeit sprühen zwischen den beiden sofort die Funken. Tansy ist fest entschlossen, die frostige Fassade des Profisportlers zu durchbrechen – denn schließlich weiß sie selbst am besten, wie man sein Leben aus einem Scherbenhaufen wieder aufbaut …

Sports Romance trifft auf Opposites Attract – Band 2 der »Hearts on Boards«-Reihe von Nr.-1-SPIEGEL-Bestsellerautorin Tracy Wolff!

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Seitenzahl: 515

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Buch

Der schönste Tag im Leben von Profi-Snowboarder Ash Lewis verwandelt sich in einen Albtraum, als am Tag seiner Teilnahme an der Winterolympiade seine Eltern tödlich verunglücken. Er überlegt, dem Wintersport auf ewig den Rücken zu kehren. Genau da tritt die lebensfrohe und impulsive Tansy in sein Leben, die seit der Überwindung ihrer Krebskrankheit jeden neuen Tag als Geschenk ansieht. Trotz ihrer Gegensätzlichkeit sprühen zwischen den beiden sofort die Funken. Tansy ist fest entschlossen, die frostige Fassade des Profisportlers zu durchbrechen – denn schließlich weiß sie selbst am besten, wie man sein Leben aus einem Scherbenhaufen wieder aufbaut …

Autorin

Tracy Wolff schrieb ihr erstes Buch bereits in der zweiten Klasse. Seitdem sind viele »New York Times«-, »USA Today«- und SPIEGEL-Bestseller dazugekommen. Die Autorin hat ihren Ursprung in der zeitgenössischen Romance: »Hearts on Boards« zählt zu ihren beliebtesten Reihen und erscheint erstmals auf Deutsch bei Blanvalet. Die ehemalige Englischprofessorin widmet sich heute ganz dem Schreiben und lebt mit ihrer Familie in Austin, Texas.

Die »Hearts on Boards«-Reihe von Tracy Wolff bei Blanvalet:

A Touch of Snow

A Touch of Ice

A Touch of Storm

TRACY WOLFF

A TOUCH OF Ice

ROMAN

Deutsch von Anita Nirschl

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »Shattered« bei Flirt, an imprint of Random House, a division of Random House LLC, a Penguin Random House Company, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2014 by Tracy Deebs-Elkenaney

All rights reserved.

This edition published by arrangement with Ballantine Books, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Angela Kuepper

Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de

Umschlagdesign und -motiv: © www.buerosued.de

Innengestaltung unter Verwendung der Bilder von: © Adobe Stock (Valentina Rusinova)

SH · Herstellung: DiMo

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-32677-7V001

www.blanvalet.de

Liebe Leser*innen, dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet sich auf S. 368 eine Triggerwarnung. Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch. Wir wünschen allen das bestmögliche Leseerlebnis.

Prolog

»Es wird einiges geboten heute bei den X-Games in Aspen, Colorado. Der Großteil der amerikanischen Snowboard-Olympiamannschaft ist anwesend – zusammen mit den Teams aus anderen Ländern –, und die Bedingungen sind ausgezeichnet. Viel Pulverschnee bei wenig Wind. Es wird ein unglaublicher Abend hier bei den Snowboard-SuperPipe-Ausscheidungskämpfen der Männer werden. Und ich für meinen Teil kann es kaum erwarten, dass es losgeht.«

»Ich auch nicht, Mike. Es nehmen so viele Talente an diesem Wettbewerb teil, dass ich gar nicht weiß, wo ich mit einer Prognose anfangen soll, wer es bis ins Finale schafft, geschweige denn, wer am Ende der Wettkämpfe die ersten drei Plätze belegen wird.«

»Ich weiß, was du meinst. Die Jungs sind unglaublich. Ich bin seit über einem Jahrzehnt ein Fan vom Snowboarden, und ich sage dir, ich habe den Sport noch nie so aufregend erlebt wie in diesen Tagen. Im letzten Jahr haben diese Boarder sich selbst, ihre physische Verfassung und den Sport so weit vorwärtsgepusht, dass die Ergebnisse spektakulär sind. Ich erwarte, dass wir heute Tricks sehen werden, die noch vor einem Jahr niemand auch nur für möglich gehalten hätte. So sehr verändert sich dieser Sport jede Saison, jeden Tag.«

»Absolut, absolut. Natürlich gibt es ein paar Favoriten, die wir hier in der SuperPipe einfach anfeuern müssen. Z Michaels hat dieses Jahr den Schnee geshreddet, und wenn ich mir einen Favoriten für den Hauptpreis aussuchen müsste, dann wäre es er.«

»Das finde ich auch. Aber er ist nicht der Einzige, den man im Auge behalten sollte. Luc Jennings hat wirklich gute Chancen, unter die ersten drei zu kommen, genauso wie Ash Lewis.«

»Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn du mich vor einem Monat gefragt hättest, hätte ich gesagt, dass Ash und Z hier in Aspen den ersten Platz untereinander ausfechten werden. Aber die Tragödie, die Ash kürzlich widerfahren ist … Das hat ihn erschüttert. Ich meine, so würde es jedem ergehen, der seine Eltern auf solch eine Weise verloren hat. Und da sein jüngerer Bruder immer noch im Krankenhaus liegt, ist alles einfach furchtbar schwierig. Es ist immer schlimm zu hören, dass jemandem so etwas passiert, aber bei Ash Lewis? Gerade als er anfing, nach olympischem Gold zu greifen? Das ist übel, Mann. Das ist einfach nur übel.«

»Das ist es wirklich. Er ist so ein krasser Boarder und ein wirklich toller Kerl. Seit dem Unfall ist er fast ununterbrochen bei seinem Bruder und hat sogar die meisten Olympiaqualifikationen verpasst, um an seinem Krankenbett zu sitzen. Trotzdem hat er es ins Team geschafft – aufgrund seiner Leistung bei jenem ersten Wettkampf –, und man hat ihm den Freiraum gelassen, um zu trauern. Aber soweit ich weiß, haben die Trainer inzwischen ein Machtwort gesprochen. Er muss heute hier sein, sonst verliert er seinen Platz in der Olympiamannschaft.«

»Das ist hart, aber verständlich. Diese Spiele sind unheimlich wichtig, und es ist eine Chance für Boarder aus der ganzen Welt, vor den Olympischen Spielen gegeneinander anzutreten. Trotzdem, ich bin mir nicht sicher, wie bereit Ash für die SuperPipe ist. Die anderen Teilnehmer sind schon seit Tagen hier, um sich an die Pipe und die Pisten zu gewöhnen, aber Ash ist erst ein paar Stunden vor dem Slopestyle-Wettbewerb heute Nachmittag eingeflogen …«

»Komm schon, Mann.« Mein bester Freund Z packt mich am Oberarm und zieht mich außer Hörweite der Ansager. »Wir müssen los.«

Ich weiß, dass er recht hat. Genauso wie ich weiß, dass das Letzte, was ich gerade tun sollte, ist, darauf zu hören, was die Ansager über mich verbreiten. Vor allem, wenn sie mit diesen betroffenen Stimmen sprechen, als würden sie mich bemitleiden. Als wäre ich derjenige, der gestorben ist oder so.

Ich brauche ihr Mitleid nicht. Ich brauche gar nichts. Schließlich geht es mir gut. Ich bin gesund, stark, in einem Stück.

Und am Leben.

Nicht zu vergessen, ich bin am Leben. Nicht wie meine Eltern, die bei einem Autounfall starben, als sie unterwegs waren, um mich bei den olympischen Qualifikationswettkämpfen boarden zu sehen. Und ganz sicher nicht wie mein kleiner Bruder Logan, der im Krankenhaus in Salt Lake City im Koma liegt, zerschmettert in tausend Teile.

Das sage ich nicht zu Z, obwohl ich weiß, dass er mir zuhören … und es verstehen würde. Eigentlich sage ich überhaupt nichts zu ihm, obwohl er so ziemlich der Einzige ist, der mich in den letzten Wochen bei Verstand gehalten hat. Na ja, er und Luc und Cam und Ophelia. Sie waren dabei, als ich das mit meinen Eltern erfuhr, und seitdem sind sie so ziemlich jede Minute für mich da gewesen.

Sie haben sich um die Polizei und den Krankenhausscheiß gekümmert, als ich nicht mehr denken konnte.

Sie haben sich für mich um die Beerdigung gekümmert, als ich es nicht verkraftet habe.

Und mindestens einer von ihnen hat jeden Tag an Logans Bett neben mir gesessen, selbst wenn ich nicht sprechen, nicht funktionieren, nicht richtig atmen konnte.

Besonders dann.

Z hat bei den Olympia-Trainern seinen Charme spielen lassen und sie dazu gebracht, mir in den letzten Wochen beispiellose Sonderrechte zu gewähren, während ich versucht habe, die Tatsache zu begreifen, dass mein ganzes Leben praktisch in sich zusammengefallen ist. Aber selbst er hat sie nicht dazu überreden können, dass ich die X-Games ausfallen lassen kann, also bin ich jetzt hier und fühle mich völlig unvorbereitet und apathisch, was das Ganze angeht.

Es sind Gefühle, die ich nicht gewohnt bin. Schon so ungefähr, seit ich laufen lernte, wollte ich snowboarden. Meine Eltern stellten mich mit vier zum ersten Mal auf ein Snowboard, und ich schwöre, ich habe nie mehr etwas anderes gewollt. Von diesem Moment an wollte ich immer nur fahren. Überall. Die ganze Zeit.

Bis jetzt.

»Alles okay bei dir?«, fragt Z, als wir den steilen Anstieg zum Wartebereich für die SuperPipe-Teilnehmer in Angriff nehmen.

»Bestens«, antworte ich ihm.

Er sieht mich eine Sekunde lang an, dabei wandert sein Blick musternd über mein Gesicht. Ich starre ausdruckslos zurück und weigere mich, anzuerkennen, wie sehr er tatsächlich mit mir mitfühlt. Wie könnte er auch nicht, nachdem er den Tod seiner eigenen Schwester vor all den Jahren durchgemacht hat? Und das Letzte, was ich tun möchte, ist, seinen Kopf durcheinanderzubringen, jetzt, da es endlich, endlich so verdammt gut für ihn läuft.

Er will noch etwas hinzufügen, das weiß ich, aber ich vermute, dass er genauso viel Angst hat, meinen Kopf durcheinanderzubringen, wie ich seinen. Beinahe sage ich ihm, dass er sich keine Sorgen machen soll. Mein Verstand ist im Moment so kaputt, dass es nicht viel gibt, was es noch schlimmer machen könnte. Außer vielleicht ein weiterer Anruf, der mir mitteilt, dass mein Bruder auch tot ist. Es klingt morbide, auch nur daran zu denken, aber die Wahrheit ist, dass ich an nichts anderes denken kann, seit ich in Aspen bin.

Logan, der allein in diesem Krankenhauszimmer stirbt, weil ich hier bin und mich um die Olympischen Spiele sorge. Mich darum sorge, einen perfekten 1440 hinzukriegen. Mich ums Snowboarden sorge.

Die nächsten paar Minuten vergehen wie in einem Nebel. Ich starre auf die Monitore, sehe zu, wie die anderen ihre Runs in der Pipe absolvieren. Normalerweise analysiere ich jeden Fahrer, studiere, was sie gut machen und was nicht. Oder ich behalte Z im Auge, um sicherzustellen, dass er okay ist. Dass sein Kopf in der richtigen Verfassung ist. Es fühlt sich komisch an, hier zu stehen und zu wissen, dass diesmal meine Freunde mich beobachten. Sich um mich Sorgen machen.

Dass dieses Mal alle mich für denjenigen halten, der ausflippen könnte.

Nicht, dass ich das vorhätte. Auf gar keinen Fall. Ich muss die Kontrolle behalten, muss mich zusammenreißen. Falls nicht, habe ich Angst, in so viele Stücke zu zerbrechen, dass sie mich nie wieder zusammensetzen können. Der Unfall ist jetzt einen Monat her, und jeder Tag fühlt sich an wie der erste danach. Als wäre der Schock wieder und immer wieder brandneu.

Gleich bin ich an der Reihe. Sie drängen mich in Richtung Deck, und zum ersten Mal bin ich nicht bereit dafür.

Aber es ist ja nicht so, als hätte ich eine Wahl. Das ist der Moment. Jetzt fahren oder den Platz bei den Olympischen Spielen verlieren. Den Lauf meines Lebens hinlegen oder meinen Traum für immer aufgeben müssen.

Der Typ vor mir ist gut – wirklich gut –, aber nicht unschlagbar. Ich sehe zu, wie er einen 1260 raushaut, gefolgt von einem Inverted Back 1080. Er endet mit einem Triple Cork. Es ist ein starker Run, aber ich kann ihn im Schlaf schlagen. Und Z, Z kann ihn vernichten.

»Bist du bereit?«, fragt mich der Organisator oben, als ich mein Board fertig angeschnallt habe.

Aus irgendeinem Grund trifft mich die Frage hart. Ich war für nichts von alledem bereit. Ich war nicht bereit für den Tod meiner Eltern. Ich war nicht bereit, der Vormund meines Bruders zu sein. Und ich war ganz sicher nicht bereit, ihm den Rücken zu kehren. Ihn zurückzulassen, in einem Krankenhaus, allein.

»Ash?«, wiederholt er. »Bist du startklar?«

Ich nicke, atme tief ein. Versuche, meinen Kopf in den Zustand zu bringen, in dem er sein muss. Aber schon als ich mich abstoße, weiß ich, dass das nicht funktionieren wird.

Die Kommentatoren reden, die Menge jubelt, ich droppe in die Pipe – meinen Lieblingsort –, und die Wahrheit ist, ich spüre einfach gar nichts. Weder die Kälte noch das Adrenalin, das mich normalerweise durchflutet. Noch das scharf kribbelnde Bewusstsein, wie leicht das alles schiefgehen kann. Ich bin gefühllos, völlig betäubt.

Aber das spielt keine Rolle, denn ich fahre die Pipe runter, nehme Schwung auf, carve wieder hoch.

Es ist Zeit für meinen ersten Trick – einen sicken Inverted 1280. Ich muss alles geben, muss den Absprung punktgenau treffen, um früh im Run genug Schwung zu bekommen. Es ist so weit. Ich spüre es am Gleiten des Boards über den Schnee, an der Neigung meines Körpers im Wind. Und es ist mir einfach egal.

Ich verpasse den Trick, versuche ihn gar nicht erst.

Ich kann das verwirrte Raunen der Menge hören, die Verständnislosigkeit in der Stimme des Sprechers. Aber es ist, als würden sie über jemand anders reden. Jemand, dessen Zukunft – und Vergangenheit – mir einfach scheißegal sind.

Ich komme schnell an der Seite der Pipe runter, so wie ich es sollte. Aber anstatt das Vert auf der anderen Seite wieder hochzucarven, drehe ich um. Gleite. Fahre in gerader Linie zur Mitte der Pipe hinunter. Überall um mich herum reden die Leute und rufen Dinge. Vielleicht buhen sie auch. Was immer es ist, spielt sowieso keine Rolle.

Ich erreiche das Ende der Pipe, und dort wartet Luc auf mich, mit blassem Gesicht und zusammengepressten Lippen.

»Was ist los, Mann? Bist du verletzt?«

Ich schüttle seine Hand ab, während ich aus meinem Board steige. Er sagt nichts weiter, sondern sieht mich nur mit großen, ängstlichen Augen an. Ich wende mich ab, aber ich spüre seinen Blick immer noch auf mir. Spüre, wie er mich anstarrt, durch mich hindurchstarrt.

Früher wäre das der Moment gewesen, an dem ich ihm ein beruhigendes Lächeln zugeworfen hätte. Der Moment, an dem ich einen Witz gerissen oder eine Geschichte erzählt hätte, vielleicht sogar ein oder zwei gespielte Boxhiebe ausgeteilt hätte.

Weil ich derjenige bin, der uns immer im Gleichgewicht hält. Der dafür sorgt, dass alles glatt und richtig und normal läuft. Aber das kann ich jetzt nicht mehr. Ich kann nicht so tun, als wäre alles in Ordnung, wenn meine ganze Welt alles andere als glatt, alles andere als normal ist.

Als ich mich aufrichte, sehe ich, wie Cam und Ophelia sich ihren Weg durch die Menge der Zuschauer bahnen. Mit großen Augen und besorgten Gesichtern kommen sie direkt auf mich zu, und ich … Ich kann im Moment einfach nicht mit noch mehr Sorge umgehen. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht atmen kann, dass ihre Sorge von allen Seiten auf mich eindrückt. Mich erstickt. Mich ertränkt.

»Ich muss gehen«, sage ich zu Luc.

Er versteift sich, und seine Augen weiten sich erschrocken. »Logan?«

Natürlich denkt er das. Natürlich denkt er, dass etwas mit meinem kleinen Bruder passiert ist. Warum sonst sollte ich von hier weggehen? Meinen Traum aufgeben?

Ich werfe einen Blick auf die Menschenmenge, auf die Pipe, in der inzwischen ein anderer Teilnehmer fährt. Auf den Schnee, der, seit ich denken kann, ebenso sehr ein Teil von mir ist wie mein Blut. Auf meine Freunde. Auf die Olympia-Trainer, die mich von ihrer Kabine oben auf der Tribüne aus beobachten.

Und ich fühle nichts.

»Ich muss gehen«, sage ich noch mal zu Luc. Diesmal werfe ich ihm mein Snowboard – mein topmodernes Jones Aviator 2.0 – vor die Füße.

Er schreit alarmiert auf, aber ich ignoriere es, ignoriere ihn – ignoriere alles –, während ich mich umdrehe und weggehe. Hinter mir ruft Cam meinen Namen, versucht, sich einen Weg durch die Menschenmassen zu bahnen, aber ich gehe einfach schneller. Ich bin fertig. Mehr als fertig.

Snowboarden ist meine Vergangenheit. Und meine Zukunft … ja, nun, im Moment habe ich nicht das Gefühl, eine zu haben.

Kapitel 1

Ash

Nichts macht einen beschissenen Tag besser, als im Sommer ein Schneehäschen zu vögeln. Die Tatsache, dass ich das Mädchen nie wiedersehen muss, setzt allerdings noch einen drauf. Zumindest rede ich mir das ein.

»Kann ich dich anrufen?«

Ich halte inne, während ich meine Jeans zuknöpfe, und werfe einen Blick auf die Kleine, die immer noch an die Wand gepresst ist. Ihre Lippen sind geschwollen, ihr Make-up ist verschmiert, ihre Kleidung zerzaust. Sie hat langes blondes Haar und große braune Augen. Große Brüste und lange Beine, die unter ihrem kurzen, zerknitterten Sommerkleid hervorlugen. Ein ganz hübsches Lächeln. Und trotz der Tatsache, dass ich gerade meinen Schwanz in ihrem Mund hatte, kann ich mich nicht an ihren Namen erinnern.

Eine Sekunde lang steigt Scham in mir auf. Das bin nicht ich, höhnt eine Stimme in meinem Hinterkopf. Dieses ganze gleichgültige Sex-und-Hopp ist nicht, wer ich bin. So behandle ich Frauen nicht, habe es nie getan. Das war schon immer eher Zs Sache.

Offenbar – ich sehe zu, wie sie ihren BH wieder zurechtrückt, das Oberteil hochzieht und die Träger über die Schultern streift – tue ich das jetzt aber doch. Denn ich weiß nicht, wie sie heißt, und ich will es auch nicht wissen. Ich will nicht, dass sie mich anruft, und erst recht nicht will ich sie anrufen.

Ich habe im Moment zu viel anderen Scheiß, um den ich mich kümmern muss. Ein anonymer Fick ist so ziemlich alles, wozu ich in der Lage bin.

Trotzdem bin ich kein solcher Idiot, ihr das zu sagen. »Klar«, behaupte ich stattdessen und fahre mir nachlässig mit der Hand durch die Haare, während ich meine Nummer herunterleiere. Ich schaue mich nach meinen Schuhen um, bevor ich merke, dass ich sie noch an den Füßen habe. Ich habe mir nicht einmal die Mühe gemacht, sie auszuziehen.

»Ich muss los, Babe. Danke für den …« Ich breche ab und deute auf ihren roten Mund und die immer noch glänzenden Lippen. »Man sieht sich.«

Und dann bin ich weg, verlasse ihr Hotelzimmer und gehe den Flur entlang. Wir sind in der obersten Etage des Resorts, aber ich mache mir nicht die Mühe, auf den Aufzug zu warten. Das dauert mir zu lange. Außerdem bin ich dieser Tage nicht besonders gut im Nichtstun. Ich bleibe gern in Action, in Bewegung. Das macht es einfacher, nicht nachzudenken. Irgendwie genauso wie anonymes Vögeln.

Ich nehme die fünf Treppen fast im Laufschritt und trete genau zwei Minuten und dreißig Sekunden vor Ablauf meiner zwanzigminütigen Pause durch die Tür des Aufenthaltsraums für Mitarbeiter. Das heißt, ich habe gerade noch genug Zeit, um …

»Hey, Ash. Wie geht’s?«

Beim Klang der süßen Stimme drehe ich mich um und sehe Ophelia neben mir stehen, ihr langes blondes Haar zu einem Dutt gebunden, der bereits wieder auseinanderfällt. Ich lächle vorsichtig. »Gut, danke. Und wie geht es dir?«

»Ich hab langsam die Nase voll davon, nach Kaffee zu riechen«, sagt sie mit einem Augenrollen. »Ich schwöre, ich brauche einen neuen Job.«

Daraufhin entspanne ich mich ein wenig, denn sie verhält sich ungezwungen, normal. Sie starrt mich nicht an, wie ihr Freund Z es tut. Sie unterhält sich mit mir, ohne mich genau zu beobachten, so wie der Rest meiner Freunde. Sie überprüft nicht, wie ich zurechtkomme. Sucht nicht nach Rissen, die sie ausnutzen kann, oder nach Anzeichen, dass ich zusammenbreche.

»Könnte schlimmer sein. Du könntest Touristen ausrüsten und ihnen das Klettern beibringen müssen.« Das ist mein Job. Weit davon entfernt, Powder zu shredden, unterstützt von einem Dutzend Sponsoren, die die Rechnung übernehmen, aber im Moment will ich es genau so haben.

»So spricht jemand, der in dieser Woche noch keine eintausendsiebenhundertsechsundneunzig Latte Macchiato gemacht hat.«

»Es macht mir ein wenig Angst, dass du die genaue Anzahl weißt.«

»Ja, nun, bei Nummern geht es nicht immer nur um Sex.«

Ich breche in prustendes Gelächter aus. Ich schwöre bei Gott, ich weiß nie, was aus dem Mund dieses Mädchens kommen wird. Kein Wunder, dass Z so unglaublich verrückt nach ihr ist. »Falls dich das ein bisschen aufmuntert, ich bin mir sicher, dass ich diese Woche fast genauso viele Stinkfüße in Wanderschuhe gesteckt habe.«

Sie tut so, als müsse sie würgen. »Okay, du hast gewonnen.«

»Das tue ich immer.«

Ophelia verdreht die Augen und wendet sich zum Gehen. Aber dann dreht sie sich an der Tür des Aufenthaltsraums noch einmal um, kommt zurück und schlingt die Arme um mich, um mich kurz und fest zu drücken. »Du machst das großartig«, sagt sie. »Scheiß auf jeden, der dir was anderes erzählt.«

Und dann ist sie weg und lässt mich mit brennenden Augen und einem hohlen Gefühl in der Brust zurück. Scheiße! Der Blowjob von eben sollte diesen Mist doch regeln. Wenn ich nicht aufpasse, werde ich noch zu einem totalen Weichei. Zu einem Typen, der mit seinem Mist nicht klarkommt, überhaupt nicht.

Ich nehme mir eine Flasche Wasser aus dem Automaten und laufe dann den Flur entlang zum Equipment-Verleih. Im Winter geht es vor allem darum, die Touristen mit ihrer Schneeausrüstung auszustatten – Schuhe, Skier, Snowboards, Helme. Ich habe definitiv nicht vor, dann hier zu sein. Aber im Sommer ist es gar nicht so schlecht. Ich verleihe Wanderschuhe, Ruder für die Kanus, Outdoor-Spiele und einen Haufen anderer Sommersachen. Außerdem unterrichte ich im Bergsteigen und führe manchmal Tageswanderungen durch.

Es ist kein toller Job, aber er ist gut genug. Er sorgt dafür, dass ich viel draußen bin, in Bewegung und beschäftigt. Und vor allem ist Alex, mein Manager, ziemlich flexibel, was meinen Zeitplan angeht. Bei all den Arztterminen und der täglichen Physiotherapie, die Logan hat, wäre es unmöglich, sich an starre Arbeitszeiten zu halten.

Als ich mich gerade hinter den Tresen des Ladens bücke, klingelt mein Handy. Laut Mitarbeiterregeln dürfen wir keine Anrufe annehmen, während wir auf der Etage sind, aber als ich runterschaue, stelle ich fest, dass der Anruf von Logans häuslicher Pflegerin kommt. Ich habe keine andere Wahl. Ich werfe einen Blick zu Mandy, dem Mädchen, das den ganzen Vormittag mit mir an der Theke gearbeitet hat. Sie beendet gerade ihre Schicht – sobald ich aus der Pause zurückkomme, darf sie nach Hause gehen. Aber ich muss da drangehen.

Sie kann es mir am Gesicht ablesen, und obwohl sie ein wenig die Augen verdreht, bedeutet sie mir, den Anruf entgegenzunehmen. Ich forme ein kurzes Dankeschön mit den Lippen und gehe zurück in den Flur, um dranzugehen.

»Ja? Ist alles okay, Sarah?« Noch während ich die Frage stelle, gefriert mir das Blut in den Adern zu Eis. Sie ruft mich nie an, es sei denn, es gibt ein Problem, also weiß ich schon, dass etwas nicht stimmen kann.

»Alles in Ordnung«, sagt sie mit ihrer beruhigenden Stimme. Natürlich ist das ein weiterer Hinweis darauf, dass es nicht so ist – sie redet nur dann in diesem Tonfall, wenn sie sich darauf vorbereitet, eine schlechte Nachricht zu überbringen.

»Wo ist Logan?«

»Er ist hier bei mir im Auto. Es geht ihm gut, aber wir hatten einen kleinen Unfall, und ich fahre ihn ins Krankenhaus, um ihn untersuchen zu lassen.«

Meine Handflächen beginnen zu schwitzen. »Was ist passiert? Ist es sein Rücken?« Scheiße! Scheiße! Scheiße! Ich wusste, ich hätte ihn heute Morgen nicht allein lassen dürfen, ich hätte zu Hause bleiben sollen. Er war nicht glücklich, fühlte sich nicht wohl und …

»Nein, nein, seinem Rücken geht es gut. Er war draußen, um Körbe zu werfen, und hat das Gleichgewicht verloren. Er ist aus dem Rollstuhl gefallen und hat sich den Kopf ziemlich hart angeschlagen. Der Arzt und ich sind uns einig, dass er geröntgt werden sollte.«

»Körbe …« Ich unterbreche mich, bevor ich sie mit Flüchen überschütte. Warum zum Teufel war mein gelähmter Bruder draußen, um Körbe zu werfen? »Wo bringst du ihn hin? Ich komme …«

»Nein, das wirst du nicht«, ertönt Logans Stimme über den Lautsprecher des Telefons. »Es geht mir gut, Mann. Arbeite einfach deine Schicht fertig, und wir sehen uns später zu Hause.«

»Wir sehen uns in fünfzehn Minuten in der Notfallklinik …«

»Herrgott, Ash! Hör auf, mich wie eine verdammte Glucke zu bemuttern, okay? Es geht mir gut. Nur eine kleine Beule. Ich wäre nicht mal losgefahren, wenn Sarah mich nicht ins Auto gezerrt hätte.«

»Darüber werde ich mit dir nicht streiten. Gib mir Sarah wieder ans Telefon.«

»Ich bin hier. Und er ist wirklich okay, Ash. Wir wollen nur auf Nummer sicher gehen.«

»Bringst du ihn in die Klinik in der Maple Street? Oder in die in …«

»Wenn du deine Arbeit dafür sausen lässt, das schwöre ich dir, dann streue ich Juckpulver in jede deiner Unterhosen. Du weißt, dass Luc und Cam mir helfen werden.«

»Logan …«

»Sag auf Wiedersehen, Ash.«

Aus dem Telefon dringt kein Laut, und obwohl ich zurückrufe – zweimal –, nimmt niemand das Gespräch an. Gottverdammt!

Dieser blöde vierzehnjährige Mistkerl denkt, er wüsste, was das Beste für alle ist, sogar für mich. Vor allem für mich.

Ich atme tief durch und reibe mir über die Augen, während ich versuche, mich wieder zusammenzureißen. Ich muss da reingehen und versuchen, Mandy zu überreden, dass sie länger bleibt, damit ich zum Arzt fahren kann. Sie hat das schon mal für mich getan – dreimal allein diesen Monat –, und ich verlange es nur ungern von ihr. Aber ich bin für Logan verantwortlich, seit meine Eltern gestorben sind. Ich muss für ihn da sein. Das muss ich.

Doch Mandy wirft nur einen einzigen Blick auf mein Gesicht, als ich den Laden betrete, und schüttelt den Kopf. »Heute nicht, Ash. Ich kann nicht. Ich muss meine Oma zum Arzt bringen.«

Scheiße. »Ja, natürlich. Geh nur. Ich mache das schon.« Ich betrachte die kurze Reihe von Gästen vor mir und möchte auf etwas einschlagen. Ich fühle mich, als würde ich gevierteilt, als würde ich in so viele verschiedene Richtungen gleichzeitig gezogen, dass ich anfange, in der Mitte durchzureißen.

»Soll ich Alex anrufen?«, fragt sie, während sie hinter dem Tresen hervorkommt. »Fragen, ob er übernehmen kann?«

»Nö. Er ist sowieso gerade nicht hier.«

Sie zögert. »Ist Logan okay? Ich meine, vielleicht kann ich …«

Ich zwinge mich zu einem Lächeln, auch wenn ich mich beschissen fühle. Aber sie ist eine gute Freundin, und ich möchte nicht, dass sie sich für etwas schuldig fühlt, für das sie überhaupt nichts kann. »Es geht ihm gut. Er ist aus dem Rollstuhl gefallen, aber es geht ihm gut. Sarah ist bei ihm, und ich reagiere nur übertrieben.«

Sie entspannt sich. »Okay, dann bis morgen, schätze ich.«

»Ja, bis morgen.«

Sie geht, und ich wende mich den nächsten Leuten in der Schlange zu. Es ist ein einfacher Auftrag – sie wollen ein paar Sportgeräte und einen Kinderwagen leihen –, aber ich bin so damit beschäftigt, mir Sorgen um Logan zu machen, dass ich ihn trotzdem versaue. Und den nächsten Auftrag und den übernächsten und den danach auch.

Als sich die Schlange dem Ende zuneigt, bin ich kurz davor, aus der Haut zu fahren. Erneut rufe ich Sarah an, die diesmal drangeht und mir sagt, dass sie in der Klinik in der Maple Street darauf warten, an die Reihe zu kommen. Sie versichert mir ein weiteres Mal, dass alles unter Kontrolle ist, aber ich kann einfach nicht anders, als mir trotzdem Sorgen zu machen.

Mein Bruder, meine Verantwortung. Wenn ihm noch etwas zustößt, weiß ich nicht, was ich tun werde. Es ist bereits meine Schuld, dass er in diesem Rollstuhl sitzt, meine Schuld, dass er ohne seine Eltern aufwachsen muss. Alles andere wäre wirklich zu viel.

Aber wenn ich in den letzten sechs Monaten etwas gelernt habe, dann ist es, dass das Universum sich einen Dreck darum schert, ob etwas zu viel ist. Manchmal häuft es einfach so viel Scheiße an, bis man sich unter dem Gewicht kaum aufrecht halten kann. Und dann klatscht es immer noch mehr drauf, nur für das Vergnügen, dabei zuzusehen, wie deine Knie brechen und du zu Boden gehst.

Ich beende das Gespräch und werfe einen Blick hinter mich zum Verleihschalter. Jetzt steht nur noch eine Person in der Schlange, ein junges Mädchen mit kurzen hellrosa Haaren, und ich hebe rasch einen Finger, um ihr anzudeuten, dass ich gleich da bin. Dann tue ich das Einzige, was ich tun kann – ich rufe Cam an und bitte sie, im Krankenhaus nach Logan zu sehen.

»Klar, natürlich«, sagt sie ohne jegliches Zögern. »Ist er in der Maple Street?«

»Ja. Sarah sagt, es geht ihm gut, aber …«

»Aber du willst einfach nur sicher sein. Das verstehe ich.« Ich höre, wie sie den Fernseher ausschaltet, dann das Klimpern ihrer Schlüssel, als sie sie aus dem alten Pokal holt, in dem sie sie aufbewahrt. »Ich rufe dich an, wenn ich da bin und etwas weiß. Okay?«

»Ja, das wäre toll.« Ich schließe die Augen, während mich Erleichterung durchströmt. Ich habe wirklich die verdammt besten Freunde der Welt. »Danke.«

»Sei nicht albern.«

Sie legt auf, bevor ich noch etwas sagen kann.

Ich bin nach wie vor nervös, immer noch leicht panisch wegen der ganzen Sache, aber wenigstens kann ich jetzt ein bisschen durchatmen. Wenigstens kann ich mich wieder konzentrieren. Vielleicht.

Mit einem Lächeln, bei dem ich nicht einmal versuche, es echt aussehen zu lassen, drehe ich mich wieder zum Tresen um. Und finde mich Auge in Auge mit dem kleinen Mädchen mit den rosa Haaren wieder. Nur zeigt mir ein einziger Blick, dass sie gar nicht mehr so klein ist trotz ihrer zierlichen Statur. Ein zweiter Blick verrät mir, dass sie verdammt schön ist – mit großen haselnussbraunen Augen, blasser, glatter Haut und rosafarbenen vollen Lippen, die großartig aussehen würden, wenn sie sie um meinen Schwanz oder um jeden anderen Teil meiner Anatomie legen würde.

Vielleicht ist der Nachmittag ja doch kein Totalverlust. Vor allem nicht, wenn ich in der Abstellkammer von dem hübschesten Mädchen flachgelegt werden kann, das ich seit langer, langer Zeit gesehen habe. Zumindest würde mich das für zehn Minuten von meinem Bruder ablenken.

Vielleicht länger, wenn das Mädchen so sportlich ist, wie ich hoffe …

Kapitel 2

Tansy

»Wie kann ich dir helfen?«, fragt Ash, während er sich mit einem Lächeln an den Tresen lehnt, das seine Augen nicht ganz erreicht.

Ich schlucke ein wenig, versuche zu sprechen, aber meine Kehle fühlt sich plötzlich an wie die Wüste. Wer kann es mir verübeln? Ich habe Fotos von Ash Lewis gesehen – natürlich habe ich das. Er ist einer der talentiertesten und beliebtesten Snowboarder der Welt und war schon auf einer Million Titelseiten. Zumindest war er das, bevor er den letztjährigen X-Games, den Olympischen Winterspielen und allem dazwischen den Rücken gekehrt hat. Seitdem scheint niemand zu wissen, was Ash treibt oder mit wem.

Nachdem der Auftrag reinkam, verbrachte ich während der Fahrt mit dem Zug hierher eine Stunde damit, ihn zu googeln. Ich wollte etwas über ihn lesen, um herauszufinden, wie er tickt, damit ich mich auf dieses Treffen vorbereiten konnte. Stattdessen ertappte ich mich dabei, ein Bild nach dem anderen von ihm anzustarren – einige in voller Snowboard-Ausrüstung, andere in normaler Kleidung, ein paar mit freiem Oberkörper. Ich sah sogar ein paar Fotos von ihm in der Halfpipe, auf denen er nur seine Unterhose und Snowboardschuhe trug.

Möglicherweise habe ich diese Bilder ein bisschen zu lange angestarrt. Aber noch mal: Wer kann es mir verübeln? Ich habe noch nie jemanden gesehen, der rote Boxershorts so rocken kann wie Ash Lewis. Selbst bei minus fünf Grad Außentemperatur.

Und dennoch, all diese Recherchen – all diese Fotos – haben mich nicht auf mein erstes persönliches Treffen mit diesem Kerl vorbereitet. Wie könnten sie auch, wenn sie dieses tiefe, irre Blau seiner Augen nicht eingefangen haben, ein Blau, das mich an das Wasser vor Maui erinnert, wohin mich meine Eltern zu meinem sechzehnten Geburtstag mitnahmen.

Und dann sind da noch sein Kiefer und seine Wangenknochen, die beide aussehen, als könne man Glas damit schneiden.

Und sein Bizeps, der in echt noch größer ist.

Und diese Jeans mit den strategisch platzierten Rissen an seinem rechten Oberschenkel und über dem linken Knie.

Und …

Ich unterbreche mich, bevor ich in meinem Lob für Ash Lewis noch ertrinke – oder ist das mein Sabber? Er ist so heiß, dass mir das durchaus passieren könnte, aber deshalb bin ich nicht hier. Ich habe viel wichtigere Dinge zu erledigen, als zu versuchen, die perfekte Farbe zu finden, mit der sich sein blondes Haar beschreiben ließe.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf räuspere ich mich und versuche, mich an die Rede zu erinnern, die ich mir im Zug hierher zurechtgelegt habe. Aber ich bin so nervös, dass nichts herauskommt. Das ist mein erster großer Auftrag, das erste Mal, dass mir jemand zutraut, eine Sache allein zu machen. Und obwohl ich weiß, dass das mehr mit meiner Nähe zu Park City zu tun hat als mit dem Vertrauen in meine Fähigkeiten, bin ich fest entschlossen, es nicht zu vermasseln. Das Ganze ist zu wichtig, als dass ich einen Fehler machen dürfte.

»Hey«, sagt Ash und legt eine Hand auf meine, die zitternd auf dem Tresen ruht. »Alles okay?«

»Ja«, quieke ich. »Alles bestens.« Bis auf die Tatsache, dass der leibhaftige Ash Lewis mit seinem Daumen sanft über meinen Handrücken streicht. Das ist definitiv etwas, aber ich glaube nicht, dass »bestens« das richtige Wort dafür wäre.

»Gut.« Er hebt die Hand und zupft leicht an einer Locke meiner unordentlich geschnittenen Haare. »Rosa steht dir.«

»Ähm … danke.«

Er lacht. »Gern geschehen.«

Er betrachtet mich erwartungsvoll, und ein Teil meines Gehirns schreit mich an, dass ich sprechen soll. Dass ich ihm sagen soll, warum ich hergekommen bin. Aber der Rest meines Gehirns funktioniert kaum noch. Es ist zu benommen von der Tatsache, dass er mich berührt hat. Dass er mir ein Kompliment gemacht hat. Dass er mich immer noch ansieht, eine Augenbraue neugierig hochgezogen, während seine Augen – diese irren, wunderschönen Augen – mich von oben bis unten mustern.

»Also«, sagt Ash nach einer Minute, in der ich ihn weiterhin ausdruckslos anstarre. »Gibt es etwas, wobei ich dir helfen kann?«

Ungefähr eine Million unangemessener Antworten schießen mir durch den Kopf, aber – Gott sei Dank – auch die richtige. Schon allein der Gedanke daran, warum ich hier bin, an Timmy, lässt meine Aufmerksamkeit zurückschnellen und bringt das Blut in meinem Gehirn endlich, endlich wieder zum Fließen.

»Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich ein paar Minuten mit dir reden könnte.«

Diese Augenbraue von ihm wandert noch höher. »Du willst … reden?«

»Ähm, ja. Wenn es gerade nicht passt, kann ich später wiederkommen …«

»Nein, das ist in Ordnung. Heute Nachmittag scheint es hier ziemlich ruhig zu sein.«

»Toll.« Ich lächle erleichtert. Das Ganze stellt sich als einfacher heraus, als ich dachte. Ich meine, solange ich nicht vergesse zu atmen. Und ihm nicht länger als ein oder zwei Sekunden in die Augen sehe. Und nicht meine eigene Zunge verschlucke. Wenn ich das alles hinkriege, sollte es ein Kinderspiel werden. Zumindest ist das die Story, an die ich mich halte.

Doch bevor ich noch etwas sagen kann, bimmelt die Glocke an der Tür, und ein junges Paar mit seinen beiden kleinen Kindern kommt herein.

Ash richtet sich vom Tresen auf, und nachdem er mir ein Lächeln und ein Augenzwinkern – ein Augenzwinkern! – zugeworfen hat, fragt er die Eltern: »Was kann ich für Sie tun?«

»Wir hatten gehofft, ein Boot zu mieten«, sagt der Vater. »Aber wir brauchen Schwimmwesten für die Kleinen und alles, was Sie sonst noch für nötig halten.«

»Schwimmwesten sollten reichen«, sagt Ash mit einem trägen Lächeln. Dieses Lächeln reicht sogar bis zu seinen Augen, und ich spüre, wie meine Knie unter seiner Wucht ein wenig weich werden. »Außerdem bekommen Sie hier Ihre Ruder, und wenn Sie dann am Steg sind, gibt man Ihnen einen Motor und weist Ihnen ein Boot zu. Hört sich das gut an?«

So muss es sein, denn Geld und Ruder wechseln die Besitzer, ebenso wie zwei der grellsten Schwimmwesten, die ich je gesehen habe. Leuchtend orange und neonpink in den Grundfarben und mit wilden Mustern in verschiedensten fluoreszierenden Farben verziert. Sie tun ein bisschen in den Augen weh, wenn ich ehrlich bin, aber ich denke, genau darum geht es. Die Kinder werden nicht zu übersehen sein, wenn sie die anhaben.

Als Ash mit der Familie fertig ist, stehen schon zwei weitere Gruppen Schlange. Er wirft einen Blick zu mir, während er sie bedient, fast so, als wolle er sich vergewissern, dass ich noch da bin. Der Gedanke wärmt mich aus völlig unprofessionellen Gründen, und ich verbringe die zusätzliche Zeit damit, meine Rede so umzuformulieren, dass sie sich sogar ein Idiot merken könnte. Ich bin fest entschlossen, Ashs intensivem indigoblauem Blick kein zweites Mal zum Opfer zu fallen.

Es dauert etwa eine Viertelstunde, bis der Laden leer ist, und dann ist Ash wieder da und lehnt träge am Tresen, während er eine Strähne meiner Haare zwischen seinen Fingern reibt. Meine Haare sind kurz – richtig kurz, dank der letzten Chemotherapie –, sodass seine Hand nur ein paar Zentimeter von meiner Kopfhaut entfernt ist. Das Wissen, dass er mit seinen Fingerknöcheln leicht über meine Stirn oder über meine Wange streichen könnte, macht die Nähe noch aufregender.

»Du bist geblieben«, sagt er.

»Ja.«

»Das überrascht mich.«

Verwirrt sehe ich ihn mit schmalen Augen an. »Warum?«

»Du scheinst nicht der Typ zu sein, der auf so etwas wartet.«

Ich bin jetzt wirklich verwirrt, aber ich bin fest entschlossen, ihn das nicht merken zu lassen. Ich habe mich vor ihm schon genug zur Närrin gemacht. Es ist höchste Zeit, dass ich mich wie ein vernünftiger Mensch verhalte. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich mit dir reden will.«

»Ja.« Er hebt die Arme mit den Handflächen nach oben und deutet auf den leeren Raum, als wolle er sagen: »Schieß los.«

»Ich …« Ich stocke kurz, ziehe den Kopf ein. »Ich hatte eigentlich gehofft, wir könnten uns irgendwo unterhalten, wo wir ein bisschen ungestörter sind.« Der Laden ist nicht überfüllt, aber es ist definitiv viel los. Schon jetzt sehe ich jemanden neben der Tür warten, der aussieht, als überlege er reinzukommen.

Diesmal berühren Ashs Augenbrauen fast seinen Haaransatz. »Wo wir ungestört sind?«

»Ist das okay? Wie ich schon sagte, ich kann auch später wiederkommen, wenn das besser ist.«

»Das ist in Ordnung, aber …« Er bricht ab, als sein Handy vibriert. Er sieht mich nicht an, als er es aus der Tasche zieht und eine Nachricht liest. Eine Sekunde lang, nur eine Sekunde lang, scheint seine Miene zu bröckeln. Doch genauso rasch legt sich eine ausdruckslose Maske über sein Gesicht, und er tippt etwas zurück, rasend schnell.

Ich möchte fragen, ob alles in Ordnung ist – ob es ihm gut geht –, aber das erscheint mir unangebracht. Also sage ich lange Sekunden nichts und er auch nicht. Die Stille dehnt sich zwischen uns.

»Immer noch Lust zu reden?«, fragt er mit einer seltsamen Betonung auf dem letzten Wort, während er sich unter dem Tresen hervor duckt und zur Tür geht.

»Ja!« Gott, Tansy, nicht so übereifrig! »Ich meine, natürlich.«

Er nickt und dreht das kleine Schild an der Tür um, sodass die Seite mit dem Bild einer Uhr und der Aufschrift »In zehn Minuten zurück« nach außen zeigt. Dann packt er mich an der Hand und zerrt mich regelrecht hinter den Tresen und in einen Raum im hinteren Bereich.

»Wow!«, sage ich nach einer Sekunde, während meine Augen Mühe haben, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. »Hier drin ist es wirklich dunkel.«

Ash antwortet nicht. Ich will mich gerade umdrehen, um zu sehen, was los ist – langsam bekomme ich nämlich das Gefühl, die Einzige zu sein, die den Witz nicht kapiert –, aber dann ist er da, direkt hinter mir. Seine Brust lehnt an meinem Rücken, seine Handfläche liegt flach auf meinem Bauch.

»Was …«, quietsche ich, und ich weiß, ich klinge wie eine Dreijährige, aber Heilige Scheiße! Vergesst den Witz, ich fühle mich, als wäre ich in den Kaninchenbau hinuntergestolpert. »Was machst du denn?«

»Ich dachte, das wäre offensichtlich«, antwortet Ash mit leiser, amüsierter Stimme. Seine Hand malte beruhigende Kreise auf meinem Bauch, und ein Teil von mir wünscht sich nichts sehnlicher, als gegen ihn zu sinken. Mich von ihm berühren zu lassen, wie – und wo – er auch immer will.

»Das ist … nicht«, keuche ich nach einer Sekunde, wofür ich jedes letzte Quäntchen Vernunft aufbringe, das ich habe. Es ist schwerer, als es sein sollte, aber ich schiebe das auf seine Nähe.

Auf die Hitze, die er ausstrahlt.

Auf die Tatsache, dass seine Lippen – genau jetzt – über die Kurve gleiten, wo mein Hals in meine Schulter übergeht.

Ich erschaudere, bevor ich mich zurückhalten kann.

»Hm.« Seine Lippen formen ein Lächeln auf meiner Haut, sein Atem ist heiß an meinem Nacken. »Dann sollte ich vielleicht etwas anderes ausprobieren.«

Und das tut er. O Gott, das tut er. Ein, zwei, drei Küsse mit offenem Mund in einer senkrechten Linie meinen Hals hinauf, von meinem Kragen bis zu meinem Haaransatz.

Beim dritten Mal schnellt seine Zunge ein wenig heraus, und mein Gehirn vernebelt sich. Ich meine, es wird buchstäblich vernebelt. Ich habe mich immer gefragt, was dieser Ausdruck bedeutet, und jetzt weiß ich es. Alles um mich herum ist verschwommen, verworren, und mein Körper verschmilzt mit seinem.

Das ist doch verrückt, oder? Ich muss es mir einbilden, denn so etwas passiert nicht. Nicht im wirklichen Leben. Nicht Mädchen wie mir.

Ich meine, noch nie hat mich ein Mann auch nur annähernd so berührt – und ich habe keine Ahnung, was ich hier tun soll. Es ist wirklich peinlich, wie unerfahren ich für mein Alter bin.

Ich bin neunzehn, aber ich habe den Großteil der letzten zehn Jahre im Krankenhaus verbracht, während ich gegen den Krebs gekämpft habe. Ein Rhabdomyosarkom, um genau zu sein. Was bedeutet, dass ich, abgesehen von ein paar sehr unbeholfenen Küssen nach sehr unbeholfenen Dates, die meine Familie aus Mitleid mit mir arrangiert hat, null Erfahrung mit Jungs habe. Und ich habe ganz sicher keine Erfahrung mit Jungs wie Ash.

Ein Teil von mir will es einfach machen. Es ist derselbe Teil, der mir nach der letzten Chemotherapie, nachdem der Arzt mir sagte, dass ich endlich – endlich – in Remission sei, versprochen hat, mein Leben in vollen Zügen zu genießen. Alles zu erleben, was ich in den vergangenen zehn Jahren versäumt habe. Und es ist nicht so, dass ich nicht wissen will, wie sich Sex anfühlt. Das will ich. Das will ich wirklich.

Aber als ich beschloss, die verlorene Zeit nachzuholen, war mir nie in den Sinn gekommen, dass eine der Erfahrungen, die ich versäumt habe, eine schnelle Nett-dich-kennenzulernen-Nummer in etwas, das wie eine Art Lagerraum aussieht, sein würde. Mit einem wirklich heißen Profi-Snowboarder, der offensichtlich nicht unter denselben Selbstvertrauensproblemen leidet wie ich. Und den ich eigentlich um Hilfe bitten sollte.

Der Gedanke an meinen Job, an den Grund, warum ich hergekommen bin, reicht aus, um mich vom Abgrund zurückzuholen. Ich trete von Ash weg, drehe mich zu ihm um und räuspere mich. Versuche, mich nicht an meiner eigenen Zunge zu verschlucken, während ich nach Worten ringe – irgendwelchen Worten –, um dieses Treffen wieder auf den richtigen Weg zurückzubringen.

»Was …« Meine Stimme bricht mitten im Satz, also atme ich tief durch und fange noch mal an. »Was ist hier los?«

Ash tritt vor und legt diesmal seine Hände um meine Taille. »Du hast gesagt, du willst reden.« Er senkt den Kopf, als wolle er mich küssen, und ich weiß – ich weiß! –, wenn seine Lippen meine berühren, werde ich meinen eigenen Namen vergessen, geschweige denn alles, was ich vorhabe.

Ich drücke meine Hände gegen seine Brust und stoße ihn entschieden weg. »Ja, reden. Reden. Nicht vögeln.«

»Hm.« Sein Gesicht ist so nah, dass ich den verwirrten Ausdruck darauf erkennen kann. »Wirklich?«

»Ja, wirklich. Ich meine, hast du echt geglaubt, ich wollte …« Ich lasse das Ende so stehen, zu verlegen, um es noch einmal auszusprechen.

Er zuckt mit den Schultern. »Na ja, schon. Ich dachte, es wäre eine Umschreibung. Ich meine, normalerweise ist es das, wenn ein Mädchen nach mir sucht.«

Normalerweise ist es … Wer ist dieser Typ? »Ernsthaft? Ich meine, du vögelst wirklich Mädchen, die du gerade erst kennengelernt hast, in der Abstellkammer hinter dem Laden, wo du Schwimmwesten an Fünfjährige verleihst?«

Er streckt die Hand aus und schaltet ein Licht ein. Lange Sekunden starren wir uns blinzelnd an, während wir versuchen, uns an die plötzliche Änderung der Helligkeit zu gewöhnen. Schließlich zuckt er mit den Schultern. Grinst mit diesem kleinen, selbstironischen Krümmen seiner Lippen, das meinen Magen erneut flattern lässt. »Ich meine, nicht immer in der Abstellkammer. Es gibt noch jede Menge anderer Orte, an denen man es tun kann. Da wäre die Garderobe, die Umkleidekabine, die Toilette …«

»Schon kapiert!« Ich lege ihm die flache Hand auf den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen und die Bilder auszublenden, die seine Worte in mir hervorrufen. Himmel! Und ich dachte, der Umgang mit den sterbenden Kindern wäre der schwierigste Teil dieses Jobs. Wer hätte gedacht, dass es die sexbesessenen Sportler sind, vor denen ich mich in Acht nehmen muss?

Er leckt über die Mitte meiner Handfläche, und ich zucke zusammen und reiße meine Hand weg. »Igitt! Ekelhaft!« Und das ist es auch – das ist es wirklich. Aber es ist auch irgendwie, vielleicht, nur ein kleines bisschen … heiß?

O mein Gott! Es ist, als wäre ich von einem sexbesessenen Alien oder etwas in der Art übernommen worden. Einem Alien ohne soziale Kompetenz.

Schon allein der Gedanke lässt mich erschaudern. Sehr bewusst wische ich mir die Hand an meiner Jeans ab, während ich mich dafür schelte, mich so lächerlich zu verhalten. Ich muss meinen Kopf klar kriegen und mich konzentrieren, sonst habe ich nach diesem Treffen nichts weiter vorzuweisen als einen Knutschfleck. Und wenn es nur um mich ginge, wäre das vielleicht in Ordnung. Aber so ist es nicht. Hier geht es um Timmy. Er verlässt sich auf mich, und ich werde nicht zulassen, dass ihm die Kombination aus meinen plötzlich außer Kontrolle geratenen Hormonen und einem Kerl, der offensichtlich alles vögelt, das vermasselt.

»Du bist wirklich süß, wenn du ausflippst, weißt du das?« Ash gibt mir einen Stups auf die Nase.

Ich verdrehe die Augen. »Und du bist wirklich kitschig, wenn du jemanden flachlegen willst. Verklag mich doch.«

»Ich würde dich lieber vögeln.«

»Ja, den Eindruck hatte ich auch. Glaub mir, ich nehme das nicht persönlich.«

Er greift nach mir, und ich mache einen großen Schritt rückwärts, fest entschlossen, mich nicht noch einmal von ihm anfassen zu lassen. Ich möchte, dass mein Gehirn zu mehr dient als nur als Schwimmhilfe, vielen Dank auch. »Können wir jetzt reden, oder wirst du versuchen, mir deine Zunge in den Hals zu schieben?«

Ich bin ziemlich stolz auf die schnoddrige Frage – und den Tonfall, in dem ich sie stelle. Zumindest bis ich merke, dass meine Hände immer noch zittern und Ash sich dieser Tatsache sehr bewusst ist.

Ich rechne damit, dass er seinen Vorteil ausnutzt, nachdem er diese Schwäche entdeckt hat, aber stattdessen tritt er zurück und streckt die Hände aus, die Handflächen mir zugewandt, in einer offensichtlichen »Ich halte mich jetzt zurück«-Geste.

»Klar. Schieß los. Aber mach lieber schnell. Ich muss zurück in den Laden.«

Ja, genau. Er hat alle Zeit der Welt, um mich zu vögeln, aber wenn ich will, dass er ein richtiges Gespräch mit mir führt, dann tickt die Uhr. Gott! Kerle sind wirklich wandelnde Klischees.

Trotzdem, ich habe jetzt seine Aufmerksamkeit. Dann kann ich sie ebenso gut zu meinem Vorteil nutzen. Ich straffe die Schultern und strecke meine Hand für einen hoffentlich professionellen Händedruck aus.

»Mein Name ist Tansy Hampton, Ash. Ich arbeite für die Make-A-Wish-Stiftung.« Ich warte eine Sekunde, um das wirken zu lassen, und sehe, wie sich seine Augen weiten und noch leerer werden – etwas, das ich gar nicht für möglich gehalten hätte. »Meine Chefin versucht schon seit ein paar Wochen, dich über die E-Mail-Adresse auf deiner Webseite zu erreichen, aber sie hat keine Antwort bekommen.«

»Ich …« Er schüttelt den Kopf, fährt sich mit der Hand durch die Haare. »Ich checke diese E-Mails nicht mehr.«

Zum ersten Mal, seit ich den Anruf bekommen habe, atme ich auf. Wenigstens weiß ich jetzt, dass er uns nicht ignoriert hat. Das lässt diese ganze Sache viel realistischer erscheinen. Es lässt ihn auch viel weniger wie einen Mistkerl wirken, trotz seines Verhaltens eben.

»Wir dachten uns schon, dass es so etwas ist«, sage ich lässig und überspiele damit unsere panische Angst, dass wir das nicht hinbekommen würden. »Aber da gibt es einen sehr kranken Jungen, der dich unbedingt kennenlernen möchte.«

»Ich weiß nicht, warum. Ich bin niemand Besonderes.«

»Nun, er findet schon. Er ist ein großer Snowboard-Fan und davon überzeugt, dass du ›der sickeste Snowboarder der ganzen Welt‹ bist. Seine Worte.«

Er räuspert sich, tritt von einem Fuß auf den anderen. »Das war vielleicht mal so. Ich war früher ein sicker Snowboarder. Jetzt bin ich im Ruhestand.«

»Mit einundzwanzig?« Skeptisch sehe ich ihn an.

»Ja.« Zum ersten Mal wirkt er aggressiv. »Hast du ein Problem damit?«

»Nein, natürlich nicht.« Ich meine, mit neunzehn fängt mein Leben gerade erst an. Ich kann mir nicht vorstellen – trotz des Unfalls, bei dem seine Eltern starben –, dass er mit einundzwanzig so sicher ist, dass sein Leben schon vorbei ist. »Aber im Ruhestand oder nicht, das ändert nichts an der Tatsache, dass Timmy dich verehrt.«

»Ja. Was das angeht … wie alt ist der Junge?«

»Er ist gerade dreizehn.«

Wenn möglich, sieht Ash noch unbehaglicher aus. Um nicht zu sagen, ein wenig krank. »Wo wohnt er?«

»Er ist aus Boulder, Colorado.«

Ash nickt. »Ja, okay. Ich könnte mir einen Tag freinehmen und hinfliegen, um ihn zu sehen. Vielleicht sogar Z Michaels und Luc Jennings mitnehmen. Meinst du, er würde uns gern alle drei kennenlernen?«

»Ich glaube, er würde schon allein bei der Aussicht darauf ein bisschen durchdrehen. Aber dieser Wunsch ist etwas komplizierter, als dich einfach nur zu treffen.«

Sein Wachsamkeitsquotient steigt, und eine Sekunde lang sieht er aus wie ein wildes Tier, das Gefahr wittert. So sehr, dass ein Teil von mir erwartet, er würde seine Nase in die Luft recken, um nach Raubtieren zu schnuppern.

»Was bedeutet das?«

»Das bedeutet, dass er mehr tun will, als dich zu treffen. Er möchte dir beim Snowboarden zusehen.«

Sofort macht Ash dicht. »Ja, nun, daraus wird nichts.«

»Warum nicht? Ich weiß, du hast gesagt, dass du keine professionellen Wettkämpfe mehr fährst, aber darum geht es ihm nicht. Er will einfach nur einen Tag mit seinem Idol auf der Piste verbringen und dir zusehen, wie du durch den Powder shreddest.«

Er zieht wieder diese verdammte Augenbraue hoch. »›Durch den Powder shredden‹?«

Ich spüre, wie meine Wangen rot werden. »Sagt ihr Leute das nicht so?«

»Äh, na ja, normalerweise klingt es bei uns anders.«

»Wie meinst du das?«

Er setzt zu einer Antwort an, schüttelt dann aber den Kopf. »Vergiss es. Das ist nicht wichtig.«

»Also wirst du es tun?«

»Das habe ich nicht gesagt.« Wieder schüttelt er den Kopf. »Ich kann nicht einfach für einen ganzen Tag zum Snowboarden fahren. Ich habe … Verpflichtungen. Außerdem ist es Juni. Es wird noch monatelang keinen Schnee geben.«

»Timmy hat keine Monate mehr.« Die Worte fühlen sich schrecklich in meinem Mund an und schmerzen noch mehr, als ich sie ausspreche. »Wir müssen das in den nächsten Wochen machen.«

Daraufhin sieht Ash ein wenig krank aus. »Ja, nun, es tut mir leid. Dann wird da nichts draus werden. Auf Erde kann ich nicht shredden.«

»Deshalb wollen wir euch alle rauf nach Oregon bringen, zum Mount Hood. Dort oben auf dem Berg gibt es ein Sommer-Ski- und Snowboardcamp, das Schnee hat. Wir haben schon mit ihnen gesprochen und alles vorbereitet.«

»Ihr habt das arrangiert, ohne vorher mit mir zu reden?«

»Ich meine, wir haben sichergestellt, dass es möglich ist. Ein paar Termine ausgesucht, die klappen könnten. Das ist alles.«

Er nickt, sieht aus, als würde er über meine Worte nachdenken, während er anfängt, in der Enge der Abstellkammer ein wenig auf und ab zu marschieren. Sekunden – Minuten – vergehen, und ich unterbreche ihn nicht. Dränge nicht. Ich weiß nicht, worüber er so angestrengt nachdenkt, aber er denkt auf jeden Fall über etwas nach, und ich will nichts tun, was die Chance kaputtmacht, dass er Ja sagt.

Doch als er schließlich vor mir zum Stehen kommt, kann ich die Antwort in seinen Augen sehen. Und sie lautet nicht »Ja«.

Und tatsächlich sagt er: »Hör mal, Tansy, ich möchte helfen. Wirklich. Und wenn du willst, dass ich nach Colorado fliege und ein paar Stunden mit diesem Jungen verbringe …«

»Timmy. Sein Name ist Timmy.«

Er nickt. »Mit Timmy. Das mache ich gerne, solange ich abends wieder hier sein kann. Aber rauf nach Oregon fahren und auf dem Mount Hood snowboarden, das ist etwas ganz anderes. Das wird ein paar Tage dauern, und die habe ich einfach nicht. Ich kann nicht so lange von hier weg. Nicht im Moment. Außerdem fahre ich nicht mehr Snowboard. Überhaupt nicht mehr. Das Ganze ist also rundherum ziemlich unnütz. Ich meine, ich kann dir jemand anderen besorgen. Ich kann Z dazu überreden. Wenn Timmy ein Snowboard-Fan ist, dann muss er doch wissen, wer Z Michaels ist, oder? Der Typ hat letzten Winter zwei Goldmedaillen geholt. Also ist er wahrscheinlich sowieso besser geeignet als ich. Oder ich kann jemand anderen anrufen. Ich kenne die meisten großen Namen in diesem Sport. Wer ist sein Lieblings…?«

»Du bist sein Lieblings-Snowboarder. Er will keinen anderen. Er will dich.«

»Scheiße.« Ash senkt den Kopf, reibt sich mit der Hand über den Nacken. »Dann tut es mir leid. Ich kann es nicht machen.«

»Du meinst, du willst es nicht machen.« Ich möchte nicht anklagend klingen, aber mal ehrlich. Timmy wird bald sterben, und sein letzter Wunsch ist es, Ash Lewis – persönlich – einen Berg runterboarden zu sehen. Ash könnte das im Schlaf, also weiß ich nicht, wo das Problem liegt. Warum kann er nicht einfach für drei Tage nach Oregon fliegen, mit dem Jungen abhängen und dann wieder nach Hause kommen? Das ist einfach, kostet ihn nichts außer ein wenig Zeit. Und es wird den Traum dieses Kindes wahr werden lassen.

»Schätze, ja«, sagt Ash. »Wenn du es so sehen willst. Ich will es nicht machen. Sorry.«

Ich kann es nicht glauben. Das ist der erste richtige Auftrag, den mir meine Chefin erteilt hat, meine erste Chance, allen zu zeigen, dass ich das kann. Dass ich gut darin sein werde. Und Ash nimmt es mir weg. Nimmt es Timmy weg. Das ist einfach scheiße. Er ist einfach scheiße.

»Du willst das wirklich nicht machen?«, frage ich ihn ungläubig. »Der Junge wird sterben.«

Ash macht direkt vor meinen Augen dicht – was wirklich seltsam zu beobachten ist. Um nicht zu sagen, unerwartet, weil ich dachte, er wäre bereits ziemlich verschlossen. Aber jetzt ist er wie eine leere Wand. Augen, Mund, Gesicht … alles ist völlig ausdruckslos.

»Ich habe dir gesagt, was ich tun kann«, erwidert er, tritt um mich herum und geht zurück in den Hauptbereich des Ladens. »Sag Bescheid, wenn du darauf eingehen willst.«

Ich setze an, mit ihm zu diskutieren – sicher gibt es doch irgendetwas, was ihn davon überzeugen wird, das für Timmy zu tun –, aber er öffnet soeben die Tür des Ladens und lässt die Handvoll Leute herein, die in der Halle gewartet haben. Macht bereits Witze mit den Kunden und verleiht Ausrüstung, ohne auch nur einen Blick in meine Richtung zu werfen.

In Anbetracht der Tatsache, dass sein Versuch, mich zu vögeln, kaum zwanzig Minuten her ist, bin ich ein bisschen beleidigt. Okay, sehr beleidigt.

Da ich nicht weiß, was ich sonst noch tun kann, hinterlasse ich meine Visitenkarte auf dem Tresen – nur für den Fall, dass er es sich anders überlegt – und gehe davon. Ash bemerkt nicht mal, dass ich verschwinde.

Kapitel 3

Ash

Als ich von der Arbeit nach Hause komme, liegt mein Bruder auf dem Sofa und spielt ein Winterolympiade-Game mit Z. Seine Füße ruhen in Cams Schoß, während sie sie sanft massiert und ihn anfeuert.

Ich mustere ihn von oben bis unten, um nach Anzeichen für Verletzungen durch den Sturz von zuvor zu suchen. Er hat ein kleines Pflaster am Kopf, das nicht allzu schlimm aussieht, und ein paar blaue Flecken auf seiner Wange. Ich möchte sie untersuchen, um sicherzugehen, dass es ihm wirklich gut geht, trotz Sarahs und Cams Beteuerungen, aber er hat gerade so viel Spaß, dass ich ihm den nicht verderben möchte, indem ich die Aufmerksamkeit auf seine Verletzungen lenke.

Z macht irgendetwas im Spiel – ich kann nicht sagen, was, weil ich mit dem Rücken zum Fernseher stehe –, aber Logan stößt ihn zur Vergeltung so hart mit dem Ellbogen, dass er fast von der Armlehne der Couch fällt. Z antwortet, indem er meinen Bruder in den Schwitzkasten nimmt und ihm mit den Fingerknöcheln kräftig über den Kopf rubbelt.

Logan windet sich weg, oder er versucht es zumindest. Aber es ist nicht so, als könnte er recht weit kommen, da er von der Hüfte abwärts gelähmt ist. Cam packt demonstrativ seine Beine und tut so, als ob sie ihn festhalten will, aber ich weiß, was sie wirklich damit bezweckt. Sichergehen, dass er nicht wieder hinfällt. Und obwohl ich ihr dankbar bin, all meinen Freunden dankbar bin für die Art und Weise, wie sie sich in den letzten sechs Monaten für mich und Logan eingesetzt haben, hasse ich es, dass es so weit gekommen ist.

Hasse die Tatsache, dass Logan gelähmt ist.

Hasse es, dass meine Eltern tot sind.

Hasse die Schuldgefühle, die sich wie eine Schlinge um meinen Hals legen und mich mit jedem Tag, mit jeder Minute, die vergeht, ein bisschen mehr ersticken.

Hasse es noch mehr, dass ich bei dieser ganzen Sache so ein Versager bin, dass meine Freunde mir ständig zu Hilfe kommen müssen.

Aber ich darf sie das nicht merken lassen, darf nicht zulassen, dass Logan sieht, wie kaputt ich wegen der Situation bin. Ich meine, welches verdammte Recht habe ich denn, kaputt zu sein? Er ist gelähmt. Mom und Dad sind tot. Und ich bin einfach … nichts. Ich bin nichts. Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste, nichts, worüber man sich beschweren könnte, nichts …

Scheiß auf das Selbstmitleid.

»Wer gewinnt?«, frage ich, während ich zu Logan rübergehe und ihm absichtlich die Haare zerzause, wobei ich zum ersten Mal ihre Aufmerksamkeit auf mich lenke.

»Alter!«, schreit Logan auf und lässt bei dem Versuch, seine Haartolle zu schützen, fast seinen Controller fallen.

»Wie oft muss ich euch das noch sagen, Leute? Nicht die Haare!«

»Oh. Tut mir leid.« Ich wühle mit meinen Händen in seinen zu langen Strähnen und mache eine noch größere Katastrophe daraus. »Bringe ich etwa deinen perfekten Style durcheinander? Ich suche nur nach Beulen und blauen Flecken. Bei Kopfverletzungen kann man nicht vorsichtig genug sein.«

»Aaaaaaash!«, jammert er und schlägt nach mir. »Ich habe keine Kopfverletzung!«

»Bist du sicher?« Ich pikse gegen das Pflaster, fest genug, dass es schmerzt, aber nicht genug, um ihm wirklich wehzutun. »Denn das hier sieht für mich aus wie …«

»Geh weg!« Diesmal schlägt er etwas fester zu, aber er gackert wie ein Huhn, also denke ich, es ist alles gut.

Ich möchte trotzdem mit Sarah sprechen. Sie hat mich nach dem Besuch in der Notaufnahme angerufen und mir versichert, dass alles in Ordnung ist, aber ich möchte noch einmal hören, was genau sie zu sagen hat. Am liebsten von Angesicht zu Angesicht, damit ich ihre Mimik lesen kann. Logans Pflegerin hat die Angewohnheit, die Dinge zu beschönigen, um mich nicht aufzuregen, besonders wenn ich auf der Arbeit bin.

»Wo ist Sarah?«, frage ich, während Z auf seinem Board ein paar sicke Tricks raushaut und den Punktestand in die Höhe treibt.

»In der Küche mit Luc«, sagt Cam, und in der Stimme meiner besten Freundin liegt etwas, das mich eine Augenbraue hochziehen lässt. »Sie hilft ihm, das Abendessen zu machen.«

»Luc kocht?«

»Anscheinend. Sagt, er hat die Nase voll von Lieferservice-Essen«, meint Z, bevor er triumphierend loskräht. »Hab ich dich, du Loser!«

»Hey!«, krächzt Logan entrüstet, während er mit zusammengekniffenen Augen auf das Videospiel schielt. »Im Ernst? Wie ist das überhaupt möglich?«

»Sieh zu und lerne, junger Padawan. Sieh zu und lerne.«

»Was soll’s.« Logan sieht gekränkt aus. »Ich kann nicht glauben, dass du einen Krüppel schlagen würdest.«

Mein Herz wird zu Eis, setzt sich irgendwo in der Nähe meines Magens fest. Aber Z lacht nur leise und böse. »Alter, den Spruch kannst du ein paarmal bringen, bevor er langweilig wird.«

Ich will ihm an die Gurgel gehen – ich kann nicht glauben, dass er das gerade zu Logan gesagt hat, nach allem, was er durchgemacht hat –, aber Cam fängt meinen Blick auf. Schüttelt ganz leicht den Kopf. Nicht stark, aber es reicht aus, um mich dazu zu bringen, die Szene vor mir genauer zu betrachten, wirklich zu betrachten.

Z neckt Logan, der genauso gut austeilt, wie er einsteckt. Logan ist nicht gekränkt, er ist nicht verärgert. Genau genommen sieht er sogar glücklich aus. Normal. Wie der Junge, der er vor dem Unfall war.

Mein Gott, wann werde ich diese ganze Großer-Bruder-Sache endlich richtig hinbekommen? Ich habe das Gefühl, dass alle anderen es besser können als ich.