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In „Abschied von den Kriegsteilnehmern“ erzählt Hanns-Josef Ortheil von der Flucht eines jungen Mannes nach Amerika, wo er den Bildern von Krieg und Nachkrieg entkommen will, die ihn seit dem Tod seines Vaters obsessiv verfolgen. Zum Mississippi, nach New Orleans und in die Karibik führt diese immer manischer werdende und Schrecken auslösende Flucht, bis der Sohn wieder den Weg nach Europa findet, wo mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 gerade die „Vater-Epoche“ zu Ende geht. „Abschied von den Kriegsteilnehmern“ ist eine große Elegie auf die deutsche Nachkriegszeit: Ein Roman über Väter und Söhne, über Bilder und Vorbilder.
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Seitenzahl: 490
Buch
Sein Vater ist gestorben, und der Erzähler versucht, dem Abschiednehmen zu entgehen: In einer langen Flucht will er sich Ende der 1980er Jahre den Bildern von Krieg und Nachkrieg entziehen, die ihn aus der Biographie des Vaters zunehmend obsessiv verfolgen. Nach Westen flieht der Sohn, immer weiter, möglichst weit weg vom Osten, von der Grenze, jenem Rand des Abgrunds. Die Flucht führt ihn nach Amerika, bis hin zum Mississippi, hinunter nach New Orleans, in die Karibik, bis er über Florida wieder einen Weg zurück nach Europa findet, wo mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs die Epoche zu Ende geht, die das Leben des Vaters bestimmt hat.
»Abschied von den Kriegsteilnehmern« ist eine große Elegie auf die Nachkriegszeit, ein Roman über Väter und Söhne, über Bilder und Vorbilder. Der 1992 erschienene Roman gilt heute als Epoche machend: denn erstmals ging es nicht mehr nur um eine Abrechnung mit den Vätern – ein Sohn versucht vielmehr, seinem Vater gerecht zu werden, und geht an der daraus entstehenden Nähe fast zugrunde …
Autor
Hanns-Josef Ortheil, 1951 in Köln geboren, gehört zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart, sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Brandenburger Literaturpreis und dem Thomas-Mann-Preis der Hansestadt Lübeck. Er lehrt als Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Zuletzt erschien im Luchterhand Literaturverlag der Roman »Die geheimen Stunden der Nacht«.
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1. Auflage Genehmigte Taschenbuchausgabe November 2005 btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Copyright © Hanns-Josef Ortheil »Abschied von den Kriegsteilnehmern« erschien zuerst 1992 im Piper Verlag, München Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagfoto: photonica Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin MM · Herstellung: AW
eISBN 978-3-641-18813-9
www.btb-verlag.de
www.randomhouse.de
FÜR JOSEF
Überall suchten ihn meine Augen, aberer kam mir nicht wieder. Und ichhaßte alle Dinge, weil sie ihn mir nichtwiederbringen konnten, weil sie mirnimmer sagen konnten: sieh, dakommt er, wie früher wohl in denTagen seines Lebens, da er fort warund wiederkommen sollte. Und mirselber ward ich zum großen Rätsel …
Augustinus, Confessiones
... Als ich aber aus der kleinen Leichenhalle des Dorfes ins Freie trat, schlugen mir die Sonnenstrahlen gerade ins Gesicht, und während ich geblendet weiterging und weiter versuchte, ruhig, langsam und sicher aufzutreten, aufzutreten auf dem noch feuchten Kies, in dem ich jeden einzelnen Stein zu erkennen glaubte, dachte ich immer nur, daß es nichts sei, dies hier, gar nichts, nichtiges Gehen, sonst nichts, und so ging ich mit diesem verschleppten Gang hinter dem auf dem kleinen Karren vor mir dahinschwankenden Eichensarg her, in dem die Leiche meines Vaters liegen mußte.
Ich konnte mich in diesen Momenten nicht an meinen Vater erinnern, ja, ich versuchte es nicht einmal, sondern ging, wie ich mir befahl, nur langsam und ruhig hinter dem Sarg her und versuchte, alle Erinnerung aus meinen Gedanken fortzuschaufeln, um nichts, rein gar nichts zu empfinden. Nein, dachte ich nur, in diesem Sarg liegt nicht die Leiche meines Vaters, nein, mein Vater ist irgendwo, jedenfalls nicht in diesem Sarg, wie sollte er denn auch in diesen Sarg gelangt sein, wer hätte ihn hineingelegt, und wenn überhaupt …, dann hätte er ja zuvor gestorben sein müssen. Neinnein, dachte ich weiter, natürlich ist Vater nicht gestorben, noch nicht jetzt, irgendwann wird er sterben, aber noch lebt er ja, er lebt, vielleicht nicht ganz gesund, vielleicht mit seinen geringen Alterskräften, er lebt oben in dem kleinen Haus, das er sich auf der höchsten Erhebung der Gegend, gerade unter dem trigonometrischen Punkt erbaut hat, er lebt in diesem seinem eigenen Denkmal, in diesem Haus eines Vermessers, eines Geodaten, das nur ein Haus gerade unterhalb eines trigonometrischen Punktes sein konnte. Dort würde er in irgendeinem Sessel sitzen und lesen, so dachte ich, und der Eichensarg, der hier vor mir über den feuchten Kies geschoben wurde, war nur irgendein Sarg, jedenfalls keiner, in dem sich etwas befand, was auch mich anging, und erst recht nicht mein Vater.
Die Sonnenstrahlen blendeten mich so stark, daß ich dauernd auf den Boden schauen mußte, und auf dem Boden glitzerten plötzlich die Kieselsteine als feurige Spektren und tanzten mir ihre Farben vor, und ich stierte nur auf diesen unter mir dahinfließenden Teppich, den irgendwer nun auch seitwärts, da, wo meine Mutter vor sich hin stolperte, entlangzog, so daß ich sie am Arm nahm, meine Mutter, die aus unerfindlichen Gründen neben mir ging, weil sie dem schlimmen Wahn verfallen war, in dem vor uns dahinholpernden Eichensarg befinde sich die Leiche meines Vaters. Schon oft hatte meine Mutter mich mit solchen Irrtümern verstört, in den letzten Jahren hatte sie es geradezu darauf angelegt, mich immer wieder zu irritieren, indem sie mich an den entlegensten Orten angerufen hatte, um mir mitzuteilen, daß es meinem Vater nicht gut gehe, daß es ihm schlecht, schlechter, miserabel gehe, daß der Tod bevorstehe, daß der Tod angekündigt, aufgeschoben, verdrängt, abgespeist sei, und jedesmal hatte ich sie noch beruhigen können, manchmal freilich nur dadurch, daß ich in das Haus unterhalb des trigonometrischen Punktes gefahren war, in mein Elternhaus also, in dem ich zu den Zeiten meiner Aufenthalte das obere Stockwerk mit dem unendlichen Blick in die Landschaft bewohnte, einem geradezu überwältigenden Blick, in dem es kaum Einzelheiten, sondern nur den Rachen der Weite gab.
Dort hatte ich meist einige Tage zugebracht, treppauf, treppab, immer dem Mienenspiel meines Vaters auf der Spur, seinen Stimmungen ergeben, seinen Launen folgend, mit dem Blick nicht in die Weite, sondern in das immer schärfer, prägnanter und asiatischer werdende Gesicht meines Vaters, und ich hatte wie selbstverständlich damit gerechnet, daß sich das Befinden meines Vaters in meiner Gegenwart bessern würde. Und so war es immer wieder gekommen, natürlich, ich hatte allein durch mein Dasein meinem Vater immer wieder auf die Beine geholfen, aufgestanden war er wie ein frischer Mann, wie der Mann also, der mit mir monatelang allein unterwegs gewesen war, früher, in den Tagen, als ich »sein einziger Sohn« war.
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