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Der Adler ist seit Jahrtausenden ein magischer, ein symbolträchtiger Vogel. Welche Bedeutung hat der Adler im schamanischen Weltbild? Welche Bedeutung könnte er in einer neuen, zukünftigen Form einer Spiritualität der Natur haben? Der Autor und Künstler Wolf E. Matzker untersucht die Möglichkeiten einer spirituellen Arbeit mit dem Adler und auch mit anderen Vögeln. Dem Autor geht es darum, Sensibilität für den Adler, den Raben, den Falken, die Eule, den Schwan und viele andere Vögel zu entwickeln, um eine kreative Spiritualität der Erde, bezogen auf die Vögel, zu praktizieren und täglich zu leben. Der hier dargestellte Schamanismus ist kreativ und poetisch, voller Mitgefühl für die Vögel und ihre Welt, einfach und elementar. Man kann dieses Buch als ein kleines Gesamtkunstwerk bezeichnen, weil es Kunst, Philosophie und Poesie, Fakten und Inspirationen, Systemkritik und spirituelle Praxis miteinander verbindet. Bis auf einige Korrekturen am Text entspricht das Buch im Wesentlichen der Ausgabe des Jahres 2015. Einige neue, magische Illustrationen wurden ergänzt.
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Seitenzahl: 205
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1.
Der Adler und verschiedene Sichtweisen
2.
Der kreative Weg: Adler, Albatros und andere Vögel in meinen Gemälden
3.
Der Adler und der wilde Lebensraum
4.
Der Adler und die alten Steine
5.
Der Adler und andere Vögel in der Mythologie
6.
Das Medizinrad der Vögel
7.
Vögel ohne Mythologie – oder bei denen eine Mythologie nicht so wichtig ist
8.
Der spirituelle Weg: Arbeit mit Vögeln im feinfühligen Schamanismus
9.
Reisen und Rituale
10.
Überblick der spirituellen Praxis
Der Adler fliegt zur Sonne
Wie jedes Tier, so kann man auch den Adler ganz unterschiedlich verstehen und ihm ganz unterschiedliche Bedeutungen zuschreiben. In der Politik spielt der Adler, spielt die Symbolik des Adlers seit Jahrtausenden eine Rolle. Das soll uns in diesem Werk weniger interessieren.
Es gibt ganz unterschiedliche symbolische Darstellungen, die logischerweise ganz verschiedene Bedeutungen haben. Der deutsche Bundesadler sieht wie eine dicke Henne aus, der Adler des Bundesnachrichtendienstes sieht einfach nur grauenhaft aus, wie eine dümmliche Strichzeichnung, das Siegel des Bundes gehört zur Tradition der Heraldik, ist also ein Wappen. Der stilisierte Adler der NS-Zeit trug in seinen Krallen das Hakenkreuz im Eichenkranz. Der amerikanische Adler zeigt seine Krallen. Und so weiter und so fort.
Spiritualität ist eine andere Ebene. Dort geht es nicht um staatliche Gewalt und Macht, in welcher Form auch immer, sondern um den Bezug zu dem Allumfassenden, zu dem großen Ganzen. Die mehr naturalistische Zeichnung des Autors auf Seite 5 soll dies zum Ausdruck bringen. Es geht nicht um Welteroberung oder Weltbeherrschung, sondern um geistige und seelische Verbundenheit mit der ganzen Welt, mit dem ganzen Kreis der Erde, wobei der Adler als Tier der Luft für die oberen Dimensionen zuständig ist.
Der Gegensatz zwischen Politik und Spiritualität zeigt uns die Positionen auf. In der Politik geht es immer um die Macht des Menschen, um seine Ansprüche, seinen Herrschaftsbereich. In der Spiritualität hingegen nicht, oder sollte es nicht. Jede Form von erdverbundener Spiritualität sieht immer das Ganze der ursprünglichen Natur, das sie als Maßstab der Orientierung nimmt. Eine rein geistig ausgerichtete Spiritualität ist so einseitig wie die Politik. Sie sieht nicht den Kreis des Lebens oder will ihn nicht sehen.
Man sollte immer den ganzen Kreis des Lebens beachten, denke ich.
Adler der Freiheit der wilden Natur
Kunst im Sinne einer Kunst der Wildnis ist aus meiner Sicht ein kreativer Weg einer spirituellen Annäherung und Selbst-Erweiterung. Dabei geht es um eine innere Identifikation mit den Kräften der Natur.
Der Adler lebt immer in einem wilden Raum, der sehr groß sein muss, um ihn ernähren zu können. Der weite Raum der Berglandschaft ist ganz wesentlich, denn ohne ihn kann der Adler nicht existieren. Man muss sich das ganz bewusst machen.
Der Adler ist jedoch kein absolutistischer Herrscher, das ist das typische Missverständnis des Menschen, sondern der Hüter der Landschaft, der eben am Ende der Nahrungskette steht. Die Landschaft zu hüten bedeutet, dass man ihre Schönheit und Vielfalt erhält. Und ihre Natürlichkeit!
Wir wissen alle, wie es heute in den Alpen aussieht. Von Natürlichkeit kann keine Rede mehr sein. Es gibt einfach zu viel Zivilisation. Davon kann ein Adler nicht leben, sondern von freien Murmeltieren oder von Hasen, die genügend Lebensraum zur Verfügung haben! Wenn ein Steinadler Gänse und Hühner fangen muss, wie im übersiedelten Tal von Mittenwald, dann stimmt das Gleichgewicht der Natur nicht mehr.
Das Gemälde auf Seite 7 zeigt einen Steinadler, hoch oben in den Bergen, 2000 Meter über dem Meeresspiegel. Der Adler sitzt auf einem Felsen und hütet eine Region der Freiheit und Offenheit. Der Himmel ist sowohl wild als auch klar und rein. Die Welt des Adlers, wie sie hier dargestellt wird, ist eine ganz elementare und ursprüngliche.
Das zweite Gemälde zeigt ebenfalls einen Steinadler, wie es ihn in den Alpen gibt. Auch hier geht es um die Urkraft des Vogels. Man sollte sich, soweit es bei den Drucken möglich ist, in das Gemälde einfühlen, um den etwas anderen Aspekt der Kraft zu spüren. Abstrakte Begriffe helfen uns da nicht viel weiter, selbst wenn wir vom „Hüter“ oder vom „Schützer“ sprechen. Wer unterscheidet das auf sprachlicher Ebene schon genau?
Besser ist es, sein Gefühl herauszufinden, denke ich.
Adler der schwarzen Berge
Das zweite Gemälde zeigt nur einen Ausschnitt, die linke Seite. Die rechte Seite des Panoramagemäldes gibt den Blick frei in die Landschaft und auf die Kette der Berge am Horizont.
Auf der rechten Seite liegt zentral ein großer Berg mit einem weißen Gipfel. Er erinnert in der Form an den Watzmann, was durchaus bewusste Absicht gewesen war. Aber ich wollte kein realistisches Bild der Landschaft am Watzmann malen. Es ging mir um die Symbolik, die sich in der naturalistischen Darstellung versteckt. Sie gilt es zu erspüren und auf diesem Wege zu erkennen, also nicht mit dem Kopf oder dem Verstand! Hier zum Vergleich das ganze Gemälde (70cm x 140cm) in Schwarz-Weiß, um nur die Struktur zu sehen.
Die „schwarzen Berge“ stehen für den Westen des Medizinrades, also für den Bereich der Innenschau und der Erdverbundenheit, der Nacht und der dunklen Wälder. Es handelt sich somit um ein kraftvolles, regeneratives „Schwarz“ und nicht etwa um ein destruktives.
Der Begriff „Krieger“ kann missverstanden werden. Im spirituellen Bereich ist damit Einsatz, Engagement gemeint, das zielorientierte Leben und Arbeiten für eine höhere Sache.
Wir können vielleicht vom selbstlosen Einsatz für das Allumfassende sprechen.
Der Adler als spiritueller Krieger
Um es noch einmal zu betonen, es geht hier nicht um irgendeinen egoistischen Machtanspruch. Das sollte man einmal vergessen. Der Adler als eine Art von Krieger steht immer im Zusammenhang mit dem Allumfassenden. Ich verwende ganz bewusst nicht den allgemein üblichen Begriff, weil ich diesen inzwischen für überholt halte. Jede Form von männlicher Dominanz sollten wir vergessen bzw. uns davon konsequent befreien.
Selbstloses Engagement ist etwas Anderes! Das Ego und seine kleingeistigen Ansprüche sind überwunden!
Der Adler steht immer in Bezug zur Erde. Er ist immer geerdet, denn er lebt von der Erde, nicht vom Himmel. Der Himmel ist somit nur teilweise sein Lebensraum, nicht absolut. Absolutistisch denkende Menschen und Herrscher haben das immer missverstanden. Sie haben den Himmel verabsolutiert und die Erde verachtet. Kein Adler verachtet die Erde, denn ohne die Erde ist der Himmel nichts. Der Himmel braucht die Erde und die Erde braucht den Himmel. Diese Aussage kann man auf alle Lebensbereiche beziehen.
Wenn das Leben einseitig ist, dann ist es krank und kann nur gesund werden, indem es wieder das Ganze sieht, wieder ganzheitlich wird.
Die Philosophie des Adlers ist einfach. Es ist klar, dass der reale Adler kein Philosoph ist, aber wenn er einer wäre, dann hätte er eine elementare Philosophie von Himmel und Erde, vom Fliegen und von der Erdverbundenheit. Im Himmel kann man nicht brüten und kein Junges füttern. Dafür braucht man einen Horst, sei es in einer Felswand oder auf einem großen Baum.
Wer fliegt, muss immer wieder zurückkehren, er muss immer wieder auf der Erde landen, auf einem Ast, auf einem Baum, einem Felsen und einem Stein.
Adler zwischen Erde und Himmel
Seit Urzeiten beobachten Menschen Tiere. Dabei ist ihnen vor allem der Adler aufgefallen, auch wenn sie all die anderen Vögel ebenfalls beobachtet haben.
Wenn ich hier vom Adler spreche, so sollten wir vielleicht die vielen anderen Vögel immer einbeziehen und nicht zu sehr auf den Adler fixiert sein.
Vom Standpunkt des Künstlers gesehen, ist der Adler nun einmal das Symboltier schlechthin. Auf der realistischen Ebene sieht man vielleicht eher Amseln, Krähen, Tauben, Meisen etc. Eine Taube, eine Möwe oder einen Bussard kann man öfter sehen und beobachten. Der Adler ist nur ein besonderer Vogel von vielen, vielen anderen. In der Kunst wird er gewissermaßen zum Repräsentanten – also eben nicht zum absoluten Herrscher – der vielfältigen Vogelwelt.
Der Adler fliegt hoch, hoch oben am Himmel. Er scheint immer weiter fliegen zu wollen, hinauf in den Himmel, hinauf zur Sonne. Die Sonne ist das Leben spendende Feuer, die Leben gebende Kraft des Universums. Alle Pflanzen und alle Tiere verehren die Sonne. Alle Menschen der Natur ebenso. Für das Leben, für die kreative Vielfalt auf der Erde, gibt es nichts Wichtigeres als die Sonne. Ohne das kosmische Feuer der Sonne wäre die Erde ein toter Planet.
Der Adler kommt von der Erde und er fliegt zur Sonne. Aus der Perspektive des Menschen, der immer am Boden bleiben muss, der mühsam über die Erde laufen und jagen muss, ist der Adler frei. Er kann in den Himmel und zur Sonne fliegen. Der Mensch, das Lauftier, kann dem Adler, dem Flieger, nur hinterherblicken und träumen.
Der Adler fliegt zur Sonne
Als Greifvogel muss der Adler natürlich töten, um zu leben. Das ist ein Gesetz der Natur: Man muss töten, um zu leben. Es gibt in der Natur nicht nur friedlich grasende Schafe auf einer Wiese oder Kühe auf der einer Alm. Wir stellen es uns vor, wir wünschen es uns vielleicht.
Der Mensch, der das größte „Raubtier“ auf der Erde ist und am meisten getötet hat, nicht nur Tiere, sondern auch seine eigene Art, die Feinde, hat sich mit dem Töten identifiziert. Er mag gedacht haben: Ich bin stark und mächtig wie ein Adler, ich töte wie ein Adler.
Andererseits, wenn ein Adler in den Bergen ein Lamm getötet hatte, richtete sich die Wut gegen den Adler. Dann schoss man auf den König der Lüfte oder versuchte ihn mit vergifteten Ködern zur Strecke zu bringen.
Man hasste den Seeadler, weil er sich die Fische aus dem See oder den Fischteichen holte, die man für sich selbst haben wollte.
Das Problem ist immer der Mensch mit seinem überzogenen Anspruch an die Natur. Die Natur lässt alles leben. In ursprünglichen Landschaften gibt es nur eine bestimmte Anzahl von Raubtieren. Die Natur regelt das von allein, wir bräuchten da gar nichts zu tun.
Was der Mensch allerdings leisten muss, er muss seine überzogenen Ansprüche aufgeben, anders kann es kein harmonisches Miteinander im ökologischen Kreislauf geben. Die Harmonie der Natur impliziert allerdings, dass es tötende Tiere gibt, eben die sogenannten „Raubtiere“.
Wir müssen die Natur annehmen, wie sie ist. Wer sie mit einseitigen Vorstellungen ändern will, schafft nur Unordnung, was wir heute weltweit sehen können.
Der Adler ist, wie gesagt, ein Greifvogel. Er greift an, er tötet. Dabei geht es jedoch nur ums Überleben, nicht mehr. Es geht nicht, wie beim Menschen, um immer noch mehr, um endlosen Zuwachs und endlose Expansion.
Angreifender Adler
Der Adler ist ein symbolträchtiger Vogel, der Rotmilan nicht. Was weiß man vom Rotmilan? Wer kennt den Rotmilan? Der Adler wurde vom Menschen mit symbolischen Deutungen, mit Projektionen überfrachtet. Der Milan wurde eher vergessen. Das ist gut.
Er eignet sich nicht für irgendeine Machtdemonstration. Er schwebt am Himmel, auf der Suche nach Nahrung, nach kleinen Tieren, nach Resten, nach Aas. Er ist nicht so groß wie ein Adler, aber seine Spannweite beträgt um die 160 cm. Das ist nicht wenig.
Der Rotmilan ist ein schöner Vogel, wenn man ihn von Nahem sehen kann, wenn man seine rötlichen Schwanzfedern betrachtet und vor allem, wenn man ihn am Himmel kreisen sieht. Auch die Farbkombination von Grau, Braunrot, Schwarz und Weiß ist sehr schön. Ein Greifvogel der Schönheit, wenn man so will.
Sein Flugbild ist leicht zu erkennen. Man nennt ihn auch „Gabelweihe“, wegen des gegabelten Schwanzes.
Den Adler mögen wir mit der universellen Macht des Himmels verbinden, den Rotmilan eher mit dem heiteren, leichten, befreienden Himmel. Im Gleit- und Segelflug überfliegt der Rotmilan in relativ geringer Höhe die offene Kulturlandschaft, die Äcker und Wiesen, die Felder und kleinen Wäldchen. Sogar über meinem Dorf, über meinem Haus kann ich ihn kreisen sehen.
Milan am Himmel
Den Albatros kann man mit den unendlichen Weiten des Meeres verbinden. Die meiste Zeit seines Lebens verbringt er segelnd über dem Meer. Eine schöne Vorstellung von Unendlichkeit.
Demgegenüber mag der Adler doch sehr erdgebunden sein, mit seinem Nest in der Felswand oder auf einem großen Baum, mit seinem Territorium, das ihn von anderen Adlern abgrenzt und das er bewachen muss.
Der Albatros muss nichts bewachen. Er fliegt einfach durch die Weiten des Meeres. (Dass er auch mal brüten muss, können wir einmal kurz vergessen.)
Der Ozean ist grenzenlos.
Der Flug des Albatros ist grenzenlos.
Die Welt des Albatros ist die Welt der Freiheit.
(Wer will, kann sich das Lied der Gruppe KARAT bei youtube anhören. Entstanden in der ehemaligen DDR, war es ein politisches Lied der Befreiung und der Freiheit. Man kann es, denke ich, durchaus als schamanisches Freiheitslied verstehen, geht es doch um die völlige Überwindung von einengenden Grenzen.)
Adler und Albatros kann man als Gegensatz begreifen: Das Hochgebirge und der weite Ozean. Zwei ganz unterschiedliche, extreme Lebensräume auf der Erde.
Den Milan können wir da als einen Greifvogel der mittleren Welt ansehen. Die Kulturlandschaft in Mitteleuropa, wo es hier und da wilde Regionen gibt: Wälder und Felsregionen.
Albatros
Vielleicht gibt es keinen Vogel, den man so sehr mit dem Schamanismus oder den Schamanen verbinden kann, wie den Uhu. Das ist mir wieder aufgefallen, als ich eine Falknerei im Harz besuchte. Wie ein seltsames, fremdes Wesen sitzt der Uhu auf seinem Baumast und beobachtet die Welt.
Der Uhu ist ein Vogel der Nacht, der Dunkelheit, der dunklen Wälder. Das Geheimnisvolle ist seine Welt. In dem Gemälde habe ich das durch die magischen Zeichen in der Landschaft ausgedrückt, deren Symbolik aber nicht eindeutig sein soll.
Jeder Betrachter des Gemäldes kann und soll seine eigene Deutung suchen und finden.
Jeder Greifvogel und jede Eule muss gut sehen und gut hören können. Sehr gut sogar. Ausgezeichnete Sinnesorgane sind eine Lebensnotwendigkeit. Wir Menschen können davon nur träumen. Wir sehen nicht sonderlich gut und scharf, wir hören wegen des Lärms in der Welt immer weniger und riechen können wir, wenn wir uns mit dem Wolf vergleichen, fast nichts.
Ein Schamane, oder ich sage besser mal: ein hoch sensibler Mensch, muss gut sehen können, auch in der Dunkelheit, im übertragenen Sinn natürlich. Der hoch sensible Mensch sieht sich in eine andere Dimension gleichsam hinein. Wer sich an technischen Messinstrumenten orientiert und sich auf diese verlässt, wird das immer als subjektiv abtun. Gut, wer ist auch schon hypersensibel? Sonderlich anerkannt ist das in der modernen Gesellschaft nicht, denn man hat die technischen Apparate.
Man sollte einmal darüber nachdenken, ob man seine Sinne nicht wieder neu kultiviert. Als einzelnes Individuum kann man damit beginnen. Zum Beispiel im dunklen Wald, oder einfach in dunkler Nacht auf dem Lande.
Uhu im Winter
Originalgröße der Adlergemälde: 70x140cm.
Der Adler ist kein Herrscher.
Der Adler ist kein Herrscher über das Land.
Der Adler ist kein Herrscher über die ganze Natur.
Das sind menschliche Vorstellungen, menschliche Ideen, menschliche Ansprüche. Der Mensch projiziert seine eigenen Phantasien von Macht und Aggression, von Größe und Herrschaft auf den Adler.
Die Natur kennt keinen Herrscher und braucht keinen. Alles zusammen bildet einen Kreislauf, mehr nicht. Alles das, was sich in der Natur und im Universum findet, gehört in einer umfassenden Ganzheit zusammen. Das Netz des Lebens ist nur das Netz, das Gewebe des Lebens. Leben und Tod, Werden und Vergehen, Sein und Nichtsein bilden die Einheit. Dafür brauchen wir keinen chinesischen Kaiser, keine Partei, keinen Präsidenten, keinen König, keinen französischen Sonnenkönig, keinen gigantomanischen Feldherrn, keinen Konzernchef, keine allmächtigen Milliardäre, keinen Gott. Die Natur ist nur die Natur, sie ist alles, was ist und was nicht ist.
Der Adler ist nur ein Teil, ist nur ein Lebewesen. Der Mensch ist auch nur ein Teil, auch nur ein Lebewesen, eines von vielen anderen. Das Leben braucht und will immer Vielfalt. Vielfalt ist vielleicht nur ein anderes Wort für Lebendigkeit.
In der Gegend, in der ich lebe, gibt es keine Adler. Aber es gibt Milane und Bussarde, Falken und Eulen. Wenn man so will, dann könnte man den Bussard als „kleinen Adler“ bezeichnen. Der Bussard ist ein kleinerer Greifvogel, der Adler ist ein größerer Greifvogel. Das ist eigentlich alles. Beide sind gleich wichtig und wertvoll für den Kreislauf der Natur. Für ein naturspirituelles System sind beide ebenfalls gleichwertig, denn auch in diesem System sollte es keine Fixierung auf den Adler geben.
Für einen Steinadler ist die Gegend zwischen Elm und Asse nicht wild genug, für einen Seeadler gibt es nicht genug Seen und auch keinen großen Fluss wie die Elbe. Für den Bussard und für den Milan ist die Gegend aber „wild“ genug. Sie haben ihre Wäldchen, ihre hohen Bäume, ihre Orte des Rückzugs, wohin sich kaum ein Mensch mal verirrt, und die Bauern sitzen ja meist in ihren großen Traktoren oder Getreidemähern.
Der Adler hat nicht die wilde Natur, sondern in der wilden Natur gibt es unter anderen Lebewesen auch den Adler. Erst kommt die Natur, die wilde Natur, dann unter anderem ein Adler. Erst kommt die Steppe, danach der Steppenadler. Erst das Gebirge, z.B. die Alpen, dann der Steinadler. Erst die Seenlandschaft in Schleswig-Holstein, dann der Seeadler.
Der Mensch denkt leider immer noch, dass er die Reihenfolge ändern könnte. Erst kommt der Mensch, dann kommt die Natur: das ist eben die falsche Sichtweise, die falsche Reihenfolge. Das große Ganze steht immer am Anfang. Die Natur ist immer der Anfang, und letztendlich wird sie auch immer wichtiger sein als alles, was der Mensch jemals geschaffen haben wird.
Das ganze Macht- und Herrschaftsdenken, das immer noch mit dem Adler verbunden wird, muss völlig überwunden werden. Der Adler ist nur ein Teil in einem großen Kreis.
Wir könnten also auch den Milan oder den Bussard als „König der Lüfte“ sehen. Aber diese Metapher ist alt und abgegriffen. Von Königen sollten wir uns verabschieden. Im ökologischen System gibt es keine Könige.
Der Adler ist kein König.
Der Adler ist ein großer Greifvogel. Und so klein sind der Bussard oder der Milan auch nicht!
Auf jeden Fall braucht ein Adler einen großen Lebensraum. Zwischen Elm und Asse könnte sicher nur ein Adlerpaar leben. Theoretisch, was die Quadratkilometer betrifft. Aber, wie schon gesagt, gibt es zu wenig wild gelassene Natur.
„Lebensraum“ ist ein problematisches Wort. Tatsache ist und bleibt allerdings, dass jedes Lebewesen einen Lebensraum braucht. Wenn dieser zu klein ist, dann gibt es Probleme: Streit, Aggression. Das Verhältnis von Lebensraum und Aggression scheint mir ein Tabuthema zu sein, besonders in Hinblick auf den Menschen. Man will die Zusammenhänge nicht wahr haben. Im Bereich der Wildbiologie weiß und akzeptiert man das.
Der Lebensraum, die Größe des Aktionsraumes des Adlers kann stark variieren. Das ist natürlich. Es hängt von vielen Faktoren ab, der Beschaffenheit des Gebietes, des Nahrungsangebotes, Nistmöglichkeiten und Ruhezonen.
Aber immer ist es eine Menge an Quadratkilometern. Wenn ich an völlig übersiedelte Alpentäler denke, dann kann ich mir nicht vorstellen, wie dort ein Adler leben könnte. Soll er in den Eigenheimsiedlungen Beute jagen? Es müssten schon weniger besiedelte oder unbesiedelte Täler sein, die für ihn in Frage kommen. Oder eben die Naturschutzgebiete hoch oben in den Bergen. Aber dort tummeln sich oft die vielen Touristen, die wilden Mountainbiker, die Gleitschirmflieger, die den Luftraum stören, und sicher auch wieder die Soldaten, um eine Geländeübung durchzuführen.
Beim Adler ist es dasselbe wie beim Wolf. Im Grunde beansprucht der Mensch alles für sich und seine Bedürfnisse. Das hat immer Priorität. Wie auch immer die konkreten Verhältnisse in einer bestimmten Landschaft aussehen mögen, der Adler braucht genug Quadratkilometer als ungestörten Lebensraum, sonst kann er nicht existieren.
Eigentlich braucht auch der Mensch einen großen Lebensraum. In Wohnungen kann man nur degenerieren. In den Städten kann man nur, mehr oder weniger, zum Automaten werden, zum Roboter.
Wie viel Lebensraum braucht ein Mensch? Sind es nicht auch, wenn wir an kleine Menschengruppen denken, viele Quadratkilometer? Ein ganzes Tal, ein Wald, ein paar Berge? Lebt der Mensch nicht schon zu lange in zu engen Räumen?
Wir könnten den Gegensatz aufstellen: Adler – Automat. Der Adler ist dann das freie, selbstbestimmte Leben.
Aber man darf das nicht verabsolutieren, sondern man muss immer die wechselseitigen Abhängigkeiten im Blick haben, auch bei dem genannten Gegensatz. Es gibt kein völlig selbstbestimmtes Leben. Es gibt immer Interdependenzen.
Leo Bigger verabsolutiert den Adler in seinem Buch „Adlerauge“, weil er ein symbolisches Tier für seinen absoluten Gott braucht, seinen Gott der totalen Macht und Stärke. So wird der Adler spirituell missbraucht, wie er von den Machtpolitikern missbraucht worden ist, von den Römern, den Amerikanern, den Nazis etc. Beim Missbrauch sieht man nicht die ökologische Vernetzung und will sie auch nicht sehen. Man hat keine ganzheitliche Sichtweise der Natur, sondern sieht nur einen Aspekt, den man besonders betonen und herausstellen will. Eben die Macht.
Aber der Adler ist immer auch machtlos, ist immer auch abhängig von seiner ursprünglichen Landschaft und seinen Beutetieren. Wenn seine Landschaft nicht halbwegs ursprünglich ist, kann er gar nicht existieren. Der Bussard oder der kleine Turmfalke sind mit weniger zufrieden. Wenn es nicht genug Beutetiere gibt, dann verhungert der große Adler, oder sein Junges.
Wilde Natur, Lebensraum und der Adler müssen also immer aus ganzheitlicher Perspektive betrachtet werden. Alles gehört eben zusammen, übt aufeinander Einfluss aus. Eine ökologische Sichtweise muss das Ganze sehen, ob es sich nun um eine ökologische Politik oder um eine ökologische Spiritualität handelt.
Absolutismen gehören eigentlich der Vergangenheit an. Eigentlich, denn tatsächlich hat der Mensch sie noch längst nicht überwunden. Deshalb muss es nicht wundern, dass ein Autor wie Leo Bigger über einen unökologischen, verabsolutierten, abstrakten Power-Adler schreibt, weil ihn nur das interessiert: Power für den einzelnen Menschen, Kraft und Stärke, Kraft und Freude. Zum Teil braucht das jeder Mensch, aber es bleibt nur ein Teil des Lebens und ein Teil im ganzen Kreislauf des Werdens und Vergehens.
*
Als ich über die brauen Felder ging, erinnerte mich die Landschaft an Kasachstan, obgleich ich dort real noch nicht gewesen bin. Die Weite, die Leere, die beigefarbene Steppe.
Ich dachte darüber nach, warum es hier keinen Steppenadler gibt. Später beobachtete ich kreisende Bussarde und flatternde Milane, die oft nur in wenigen Metern Höhe über die braunen, trockenen Felder flogen. Das sind eigentlich auch Steppenadler, dachte ich. Sie heißen nur nicht so.
Es steckt immer noch zu sehr in unseren Köpfen, dass der „Adler“ etwas Besonderes ist, dabei ist es nur ein Name. Der Adler ist nur einer der Greifvögel, mehr nicht. Der Bussard ist genauso gut und wertvoll. Der Milan ist genauso gut und wertvoll.
Kein Hase, kein Adler.
Das ist eine Art von „Koan“. Ein irritierender Minisatz aus dem Zen, den man nicht mit Logik, nicht mit dem Verstand knacken kann. Man muss darüber meditieren, bis einen die Lösung erleuchtet, bis einem der tiefere Sinn einleuchtet.
Kein Hase, kein Adler.
Viele Mäuse, viele Eulen.
Keine Maus, keine Eule.
Der Mensch als Beutejäger denkt immer noch nicht ökologisch, weder in wirtschaftlicher noch in spiritueller Hinsicht. Er will die Lektion nicht lernen, dabei ist das eigentlich das Niveau der ersten Klasse.
Kein Hase, kein Adler.
Bei den wenigen Hasen kann in meiner Gegend, in diesem weiten Urstromtal, kein Steppenadler existieren. Die Bussarde, die Milane und die kleinen Turmfalken mögen noch genug finden.
Es erinnert mich an einen Film über die Schneeeule. Es gab nicht genug Lemminge, deshalb konnte sie ihre Jungen nicht ernähren. Sie gingen ein. Sie hatten einfach nichts zum Futtern. Am Ende ist das die Tragik des Lebens. Hat man genug zum Futtern oder nicht? Wenn nicht, dann stirbt man.
*
Auf meiner Fahrt zu einem Seeadlergebiet bei Gartow im Wendland bin ich durch große Waldgebiete gekommen. Hier könnten Wölfe leben, dachte ich. Zehn und mehr Kilometer nur Wald. Kiefernwälder. Eine abseitige Gegend in Deutschland. Irgendwie vergessen. Altmark. Der Name sagt es vielleicht schon. Aber es ist gut, wenn Gebiete vergessen werden.
Ob die Wälder allerdings in Ruhe gelassen werden, möchte ich eher bezweifeln. Mir kamen sie wie Wolfswälder vor, Wälder für Wölfe.
Nichts für einen großen Vogel wie den Seeadler. Der braucht offenes Gelände. Wiesen. Seen. Einen natürlichen Fluss. Auenlandschaften, in denen die Zeit stehen geblieben ist, in denen die Zeit der Erde tickt, langsam und still, nur für sich mit den Rhythmen der Jahreszeiten, der kommenden und gehenden Jahre, ohne Ziel, ohne Eile. Die großen Eichen bewahren die alten Zeiten. Die Straßen, wo links und rechts große Eichen stehen, über viele Kilometer. Das Land wirkt leer. Kein Wunder, dass man sich mal diese abseitige Gegend für den Atommüll ausgesucht hatte, kein Wunder. Republik Freies Wendland – eine alternative Idee, lange ist das her, mehr als dreißig Jahre.
Freies Land des Seeadlers.
Aber ich gebe mich keiner Illusion hin. Es ist alles erfasst, kontrolliert, überwacht. Überall gibt es Besitzer, die ihren Besitz bewachen, mit und ohne Hund, mit und ohne Kamera.