Heimat und Spiritualität - Wolf E. Matzker - E-Book

Heimat und Spiritualität E-Book

Wolf E. Matzker

4,8

Beschreibung

Heimat und Spiritualität mag für manche ein Gegensatz sein. Aber eine erdverbundene, naturverbundene Form der Spiritualität braucht einen Platz auf der Erde, einen Ort, eine Region, in der sie zuhause ist. Das war bei den Naturvölkern und den ethnischen Religionen immer der Fall. Seit vielen Jahren studiert der Autor dieses Thema. Sein Heimatraum bezieht sich vor allem auf Niedersachsen, von den Nordseeinseln bis zum Harz. Heimat ist immer konkret: der Strand auf der Insel Wangerooge, die Heide im Gebiet des Wilseder Berges, die Findlinge aus der Eiszeit, die magischen Wälder, alte Kultstätten und die Felsklippen im Harz. Es geht dem Autor um eine progressive Neuentdeckung von Heimat in einer globalisierten Welt, um eine neue Verwurzelung und Verbundenheit mit der näheren Umgebung, um eine authentische spirituelle Lebenspraxis in und mit der konkreten Natur vor Ort.

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Inhaltsverzeichnis:

Vorwort

Die Mutter des Meeres

Die Göttin der Heide

Etwas ganz Anderes

Land der Göttin

Eine alte Kultstätte

Die Idee einer lokalen Naturverbundenheit

Mein spirituelles Heimatland

Bäume und Heimat

Die große Mutter und die Heimat der Seele

Kultstätten der Göttin

Rituale für die Große Mutter

Warum das Christentum gar nicht zu uns gehört

ein neuheidnisches, schamanisches Bekenntnis des Lebens

Wangerooge, Osten

1. Vorwort

zum Begriff „Heimat“

„Heimat“ ist sicher immer noch ein problematischer Begriff. Warum eigentlich?

Haben wir keine Heimat oder wollen wir keine haben? Können oder wollen wir uns zu unserer Heimat nicht bekennen? Haben wir ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Heimat, so wie man ein gestörtes Selbstwertgefühl haben kann? Und welche Heimat meinen wir eigentlich?

Die Heimat ist das Heim in der Landschaft, das Zu-Hause in einer bestimmten Region. Der Boden, das Klima, die Vegetation, die Tiere, die Menschen, die Sprache einer Region und nicht zuletzt die Geister der Natur bilden die Heimat.

Heimat oder Heimatland ist eine Region, die man kennt, die man zu Fuß erwandern kann, vielleicht in ein bis drei Tagen. Was einen größeren Umkreis als 30 bis 50 Kilometer hat, ist oft schon wieder eine andere Region.

Der heutige Mensch denkt, da er schnell, eigentlich zu schnell, mit dem Auto durch Deutschland fahren kann, sofern es keinen Stau gibt, dass er überall leben könne, dass er überall sein Zuhause, seine Heimat haben könne. Es käme ja vor allem auf die „Freunde“ an. Ich halte das für eine Illusion. Man kann auf diese Weise nirgendwo Wurzeln haben. Ob man sich überhaupt Wurzeln schaffen kann, das ist sowieso eine Frage. Müssen nicht Wurzeln entstehen, in den frühen Lebensjahren? Müssen in dieser Zeit nicht gute und starke Wurzeln entstehen? Muss nicht in dieser Zeit eine tiefe und starke Verbundenheit mit einer Region, einer Heimat, einem Land der Ahnen aufgebaut werden? Muss das nicht alles ganz normal sein, einfach, unkompliziert und natürlich?

Gerade der Bezug zu den Ahnen ist heute vielfach verloren gegangen. Was nützen mir Ahnen in Schlesien, wenn ich dort nicht bin und nicht lebe? Was nützen mir gefühlte Ahnen am Baikalsee, wenn ich dorthin nicht reisen und schon gar nicht leben kann? Was nützen mir Ahnen, wenn ich von denen real eigentlich nichts weiß und vielleicht nicht einmal deren Namen und Personen kenne? Bei sehr vielen Menschen ist viel verloren gegangen. Die moderne Industriewelt zerstört vieles, auch das. Sie will nur willige Sklaven haben, sonst nichts, keine Menschen, Sklaven, Konsumenten, dumme Schafe, die einer Spaß-Gesellschaft frönen. Erde und Heimat, Natur und Verwurzelung, das ist nichts für den Spaß. Das ist vorhanden oder eben nicht. Wenn es vorhanden ist, dann gibt es Ruhe und eine innere Zufriedenheit, um Spaß geht es hier nicht. Die Verwurzelung gibt Heimat, Kraft, Verbundenheit und Treue zur Erde.

Ich schreibe von Heimat, weil ich eigentlich keine habe, denn meine Eltern kommen aus sehr unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Meine Heimat könnte Friesland sein, aber dort bin ich nur aufgewachsen. (Friesland ist die Region um Jever. Das bekanntere Ostfriesland liegt westlich davon, ist also bereits eine andere Region.) Meine Heimat könnte die Wildeshausener Geest sein, aber dort bin ich immer nur Gast gewesen, so wie in Südtirol oder im Bayrischen Wald. Meine Heimat könnte die Gegend sein, in der ich seit über zwanzig Jahren wohne, aber sie ist doch nicht richtig meine Heimat geworden, weil das Klima hier ein anderes ist als an der Nordseeküste, und auch die Sprache und die Mentalität der Menschen sind mir fremd geblieben.

Ich bräuchte eine Seelen-Heimat. Eigentlich bräuchten wir alle eine, denke ich. Eine starke Seelenheimat! Teilweise haben mich die vielen Zerstörungen sehr verletzt, z.B. der verschwundene Geniusstrand in Wilhelmshaven, mit Windrädern vollgetackerte Weiden, das verschwundene Wattenmeer am Jadebusen. Dadurch gehen Natur und spirituelle Heimat verloren und die Seelenwunden bleiben für immer.

Mich interessiert vor allem der spirituelle Aspekt von Heimat. Wo, an welchem Ort, in welcher Landschaft fühle ich mich spirituell zuhause? Das Christentum kommt aus Kleinasien. Der Buddhismus aus Nordindien, Nepal. Die indianischen Religionen aus Amerika. Der Schamanismus aus dem Altai und anderen Regionen.

Was kommt aus Niedersachsen? Was ist die wahre Religion – also spirituelle Lebensform – von und in Niedersachsen? Was kann uns da „Heimat“ sein?

Zum Begriff der „Göttin“

Die Natur ist immer die Natur, sie wird immer die Natur bleiben.

Wir können sie personifizieren, also „Göttin“ nennen. Wenn wir sie so nennen, dann wollen wir damit gewisse Qualitäten zum Ausdruck bringen. Die weibliche Schöpferkraft, denn Mütter schenken das Leben. Schutz, Fürsorge, Nahrung, Früchte wären Begriffe, die man nennen könnte.

Die GROSSE MUTTER oder die GÖTTIN stehen in einem Kontrast zu den patriarchalischen Denkmustern, die in der Vergangenheit vertreten wurden und leider immer noch vertreten werden. In der Ur-Religion geht man von einer Großen Ur-Mutter aus, die alles Leben geschaffen hat und immer noch weiter kreiert. Die Evolution ist nicht beendet. Das Leben entfaltet sich weiter und weiter in die Zukunft hinein.

Auch wenn in heutiger Zeit viele Atheisten sind, so sind doch die meisten Menschen Anhänger oder Mitläufer einer hemmungslosen, exzessiven Naturausbeutung. Am Ende schlägt diese auf den Menschen zurück, durch Naturkatastrophen, Klimaveränderungen, Epidemien etc.

Wer die Natur wirklich liebt, will sie bewahren, will sie schützen, kennt das Maß und hält sich daran. Die moderne Maßlosigkeit ist ein destruktiver Exzess. Letztendlich ist aber auch das Natur. Nur zerstört der Mensch damit die Grundlagen des Lebens. Ökologisches Gleichgewicht und eine harmonische Ausgewogenheit der Kräfte sind eine unerlässliche Bedingung des Lebens und der Biodiversität auf der Erde. Das ist keine Frage des Glaubens oder der persönlichen Ansicht, es ist einfach eine Tatsache.

Man kann, wie gesagt, die Natur als GÖTTIN verstehen und für eine Verehrung der Natur ist das auch sinnvoll. Man muss es nicht, aber an die Tatsachen muss man sich halten. Wer gegen die Gesetze der Natur verstößt, verwirkt sein Leben auf der Erde. Er kann verschwinden; und so wie sich der Mensch als Gattung verhält, kann er das auch.

Die GÖTTIN ist ambivalent wie die Natur. Schaffen und Zerstören sind die zwei Seiten. Alles entsteht, lebt, stirbt und vergeht wieder. Das war und ist die Natur. Es gibt das Licht, aber auch die Dunkelheit. Es gibt nicht nur Licht, es gibt nicht nur Dunkelheit. Wer in der Natur nur den Zerfall und den Tod sieht, hat eine einseitige Sichtweise. Man muss die Natur nehmen, wie sie nun einmal ist. Das Gesicht der Natur hat eine helle und eine dunkle Seite (vgl. die germanische Göttin HEL). Eine Dämonisierung zeigt nur, dass man die Natur nicht verstanden hat, deshalb ist sie falsch, z.B. eine Schlucht als „Teufelsschlucht“ zu bezeichnen.

Wilde Natur ist eigentlich immer schön. Viele Menschen, viele Künstler, viele Dichter haben das erkannt, dargestellt und gefeiert. Als Künstler geht es mir immer darum, die heilige Schönheit der Natur zu zeigen, zu feiern. Die Schönheit und die ganzheitliche Harmonie der Natur sind und bleiben der Orientierungsmaßstab.

2. Die Mutter des Meeres

Ich hatte ein altes Gemälde von einem naturalistischen Maler gekauft. Ein Meeresmotiv. Eine untergehende Sonne am Meer. Wie am Westende meiner Insel. Ich hatte das Bild zufällig in einem Antiquitätenladen entdeckt. Was wollte mir das Bild sagen? Weshalb hatte ich es erwerben sollen? Was wollte mir das Meer sagen?

Das Meer ist zwar überall das Meer, aber mein Meer war die Nordsee. Auf meiner Nordseeinsel entdeckte ich in einer Kirche eine Marienfigur. Eine Mutter des Meeres. Die Figur sprach mich an, nicht zuletzt deshalb, weil sie mich an etwas sehr Bekanntes erinnerte.

Aber war sie auch für die anderen eine Mutter des Meeres, für die normalen Kirchgänger, die oft nur ihren Katechismus kannten? Sicher nicht. Maria war für sie nur die Maria aus der Bibel, mehr nicht. Eine reale Mutter, die man ein wenig spirituell überhöht hatte, aber eine universelle Bedeutung sahen die meisten nicht in ihr.

Eine Mutter des Meeres wurde an der Nordseeküste nicht verehrt. So wenig wie Mutter Erde. Das große Meer war ein Teil von Mutter Erde.

Ich war in der Hinsicht allein mit meinen Gefühlen. Ich kannte niemanden, der das Meer spirituell verehrte. Es war nur ein großes Wasser, auf dem die Containerschiffe nach Bremerhaven und Hamburg fuhren, und natürlich die grauen Militärschiffe. Ein großes, von Wasser überflutetes Gebiet, in das man Windparks rammen kann oder aus dem man Öl gewinnen kann, um noch mehr Verbrennungsmotoren zu betreiben, damit die Biosphäre noch mehr mit Kohlendioxid angereichert wird.

Die GROSSE MUTTER des Lebens, wer sah sie im Meer?

Wer verehrte sie, wer betete sie an?

Wer stand am Meer und betete zur Großen Mutter des Meeres?

„Stern des Meeres“, eine der viele Metaphern für Maria. Aber was sagen diese Metaphern, wenn der konkrete Bezug zur Erde fehlt? Sind sie dann nicht nur Metaphern und sprachliche Formeln aus einer anderen Zeit, als man noch mehr direkten und realen Bezug zur Natur hatte, als die Zeit der Verehrung der Natur und der Großen Göttin noch nicht so lange vergangen war, wie heute im einundzwanzigsten Jahrhundert?

Spiritualität sollte immer einen richtigen Bezug zur Erde haben, dachte ich. Das allgemeine Gerede reicht nicht aus. Es bleibt zu distanziert. Man bleibt dann nur im Sessel oder im Strandkorb sitzen und geht nicht wirklich hinaus in den salzigen Wind oder ins Wasser des Meeres. Auf der körperlichen Ebene suchen die meisten Menschen das ja, aber in ihren Köpfen bleiben sie am Ende doch lieber oben auf der Promenade sitzen, trinken und schwatzen über tausend Themen.

Ich hatte immer die unmittelbare Nähe gesucht. Zum Meer, zu den Bergen, zum Wald, zu den Steinen und zur Heide. Überall hatte ich die Große Mutter gesucht. Die vielen Figuren der Maria waren schön. Es waren oft Kunstwerke. Hinter ihnen stand jedoch die Große Natur, die Große Mutter des Lebens. Im patriarchalischen System der Kirchen war Maria nur eine Frau, die einen Sohn zur Welt gebracht hatte. Im patriarchalischen System würde sie immer nur eine untergeordnete Rolle spielen. Ich hatte es schon oft gedacht und gesagt. Es lief immer wieder darauf hinaus. Im patriarchalischen System kann sie keine besondere Stellung haben, kann die Natur keine besondere Stellung haben. Das politische und das wirtschaftliche System sind patriarchalisch, dachte ich. Daran wird sich vorerst nichts ändern. Alle politischen Parteien beteten für mich nur zum Gott des Geldes. Das war ihr allmächtiger Vater! Mich widerte das an.

Sie beuten das Meer aus. Sie überfischen das Meer. Sie werfen ihren ganzen Müll ins Meer. Sie können das Meer gar nicht als Große Mutter ansehen. Sie können es nur besudeln und verschmutzen. Die Hardliner wollen nichts lernen und nichts ändern, ob sie nun ökonomisch oder spirituell denken, das ist egal. Ein Hardliner kann das Meer nie verstehen, weil er kein Herz hat, sondern nur einen Verbrennungsmotor.

In alten Gemälden kann man noch das Herz für die Naturerscheinungen finden, genau wie in alten Gedichten. Ich denke, dass viele Menschen vor hundert und mehr Jahren wirklich sensibler waren.

Vor Jahren hatte ich an eine Versöhnung von Christentum und Naturreligion geglaubt. Aber man wollte sie nicht, man wollte sie nicht wirklich. Man tat so, als wäre man jetzt auch ein wenig ökologisch, als hätte man begriffen, endlich begriffen, dass der anthropozentrische Standpunkt ein falscher ist. Am Ende setzte sich jedoch immer wieder die alte Haltung durch. Bei den Wirtschaftsmenschen war und ist es immer das Profitprinzip, bei den religiösen Leuten bleibt man beim Gott der Macht und Herrschaft. Es ist wie ein Gefängnis des Denkens, dachte ich kritisch. Ich sah mich schon immer als einen Revolutionär der Philosophie. Sie sind gefangen in ihren Denkstrukturen, in ihren Schematismen!

Am Ende ist es egal, ob links oder rechts vorne in einer Kirche ein Marienaltar steht oder nicht. Wirklich wichtig ist Maria nicht, weil sie nicht zentral ist. Sie ist eher eine Art Alibi. Man sei doch gar nicht so patriarchalisch, man sei doch gar nicht so einseitig. Man achte doch das Weibliche, man achte doch die Frauen. Ja, sicher, dachte ich, aber nicht wirklich. Solange es keine Priesterinnen der Göttin gibt und nur diese Mannweiber mit ihren Kurzhaarschnitten und ihrem rigiden Denken, gibt es keine Verbesserung der Situation. Und meistens haben Frauen gar nichts zu sagen und dürfen auch keine Priesterin sein.

Das Meer ist der größte Lebensraum auf der Erde. Unseren Planeten nennt man auch den „blauen Planeten“. Das Meer ist blau. Wenn man sich einen Globus anschaut, dann sieht man sehr viel Meer. Ich besaß noch den schönen Globus, den ich 1961 von meinen Eltern geschenkt bekommen hatte, weil ich mich damals sehr für Erdkunde interessiert hatte. Geographie. Erdkunde. Heimatkunde. Eigentlich sind das unsere Wörter. Die Kunde von der ganzen Erde. Wenn man die ganze Erde sah, dann musste man erkennen, dass es weniger Landmasse als Ozeane und Meer gibt (29,3% Landmasse).

Meine Eltern dachten damals sicher, dass ich mich nur für Geographie interessieren würde, und Erdkunde, wie es in der Schule hieß, war eines meiner Lieblingsfächer gewesen. Sie sahen aber nicht den Ruf von Mutter Erde. Sie konnten es nicht sehen und sie konnten es nicht verstehen.

Das große Meer umschließt alles, umfasst alles. Ein fürchterlicher Gedanke für die alten, bärtigen Männer, die an der Spitze der Schöpfung stehen wollen. Das Meer wird sie fortspülen, so wie das Meer die ganze Männerzivilisation jetzt fortspülen wird. So hat der Anstieg des Meeresspiegels sein Gutes. Die Kopfmenschen mit ihren Kopfgöttern werden verschwinden, dachte ich zornig. Die GROSSE MUTTER wird sie fortspülen.

„Mutter des Meeres“, gibt es diese Metapher für Maria? Ich wusste es nicht. Selbst wenn, dann wird es nur eine leere Formel sein wie „Stern des Meeres“ oder „Himmelskönigin“. Metaphern müssen im Realen, im Konkreten verwurzelt, richtig geerdet sein, sonst bleiben sie nur schöne Rhetorik.

„Feministische Theologie“ war ein Versuch einer Veränderung gewesen, der aber scheitern musste, weil die Wurzel faul war und ist. Das Fundament taugt nichts, deshalb kann es alles nicht funktionieren, dachte ich. Dorothee Sölle oder Uta Ranke-Heinemann bleiben nur Versuche, gut gemeinte Versuche. Man müsste das verdammte Fundament in die Luft sprengen, dachte der Revolutionär in mir.

Weiches Wasser bricht den Stein, so hieß es einmal in einem Lied. Das Element des Wassers kann die Steinbauten zu Fall bringen. Man muss sich nur die Flutkatastrophen auf der Erde anschauen.

„Macht euch die Erde untertan!“ Ein böses Programm, dachte ich, ein falsches, fatales Programm. Sie haben es übernommen, sie haben es bis heute nicht überwunden. Es steckt in ihren Köpfen, ob sie nun religiös oder nicht religiös sind. Auch die Atheisten huldigen dem Gott des Machens und der Macht. Sie wollen das Programm auch gar nicht ändern, sie sehen keinen Grund. Ihre Ökologie ist eine technische, ihre Liebe zur Natur nur geheuchelt.

Sie lieben nicht das Meer, sie lassen es nicht in Ruhe, sie wollen es nicht reinigen. Sie wollen ihre gigantischen Windparks und ihre vielen Bohrinseln. Auf der Insel Wangerooge bauen sie immer weiter neue Häuser, obgleich die Insel wegen der Klimaveränderungen keine Zukunft haben wird, denn den Anstieg des Meeresspiegels von zwei Metern und mehr kann und wird die Insel nicht verkraften können. Schon heute kostet der Küstenschutz jedes Jahr Millionen. Im letzten Jahr wurde der Strand fortgespült. In diesem Jahre ebenso.

Maria ist nur eine schöne Holzfigur in der Kirche St.Willehad auf Wangerooge. Und wenn die Menschen vor ihr beten oder ihre Kerzen anzünden, dann denken sie vor allem an sich, an ihr kleines Problem, an ihre Magenschmerzen, an ihre Rückenschmerzen, an ihren Krebs, an ihre zerrüttete Ehe, an ihr verlorenes Kind. Sie sehen das kleine Leid, nicht das große Leiden der Erde, des Meeres, des Himmels. Auch der Himmel ist ja längst nicht mehr rein und erfüllt von guter Luft.

Er saß auf einer Düne und schaute den Möwen zu. Seit Jahrtausenden leben sie ihr Leben mit dem Meer und dem Wind. Sie bauen keine Häuser, brauchen keine Eigentumswohnung, brauchen keine Unzahl an Kulturgütern. Sie leben ganz mit den Elementen des Lebens, und damit leben sie immer mit der Großen Mutter. Sie fliegen in ihrer Dimension. Wir Menschen sind herausgefallen, wie unreife Vögel, und schauen zurück auf das Verlorene.

Im Buch des Leben würde vielleicht der Satz stehen: „Lebt und schwingt mit der Erde!“ Es müsste ein Buch des Lebens geben, aber kein Buch des Todes, das mit dem Mord beginnt und mit einem Mord endet. (Kain erschlug Abel – und am Ende wird Jesus ermordet.) Dieses Buch der Mörder kann keine Zukunft haben.

Ich hatte es oft nicht verstanden, warum ein Sokrates oder ein Jesus keine Schriften hinterlassen hatten. Vielleicht wollten sie den geistigen Prozess lebendig erhalten. Vielleicht war nur das ihre zentrale Botschaft: Halte deinen Geist lebendig! Schwinge mit dem Sein! Schwinge und atme mit der Mutter des Meeres! Platon und Paulus, die zwei ersten großen Interpreten von Sokrates und Jesus haben diesen Geist in ihren Werken noch gehabt. Später ging er dann eher verloren. Je kleingeistiger man wurde oder ohnehin bereits war, desto mehr wollte man festlegen. Katechismen sind tote Schriften. Gesetzesbücher sind tote Schriften. Ihre Bibel ist ein Totenbuch, mit dem sie das Leben erschlagen.

Im Grunde geht es immer wieder darum, dass man eine eigene Vision haben muss. Sokrates hatte eine. Er nannte sie „daimonion“. Jesus hatte eine. Platon hatte eine. Paulus hatte eine. Man kann die Vision eines anderen nicht übernehmen. Einfach glauben, so funktioniert es nicht. Es reicht nicht, einfach nur zu glauben. Man muss seine eigene Vision haben, seine eigenen Erfahrungen machen.

Ich hatte die Vision einer geheilten Erde, einer liebenden Mutter Erde. Deshalb errichtete ich im Tal der Isar die Steinkreise, die Medizinräder. Es waren Botschaften für die Zukunft.

Ich stand auf der Düne. Es war dunkel geworden. Das Meer rauschte wie immer sein uraltes Lied. Ich meinte, eine Gestalt rechts in den Dünen zu sehen, war mir aber nicht sicher. Sie schien näher zu kommen.

Ja, ich bin es, die Frau aus dem Meer.

Ich bin die Mutter des Meeres.