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Heilige Berge gibt es überall auf der Erde. Sie waren schon heilig, als es noch keine festgelegten, institutionalisierten Religionen gab. Der Autor untersucht in diesem Buch heilige Berge und Felsen, vor allem im Harz und in Deutschland, aber auch in anderen Ländern. Dabei geht es ihm immer auch um eine elementare, naturverbundene Form der Spiritualität. Ergänzt wird der Text durch Gemälde, Zeichnungen und Fotos des Künstlers.
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Seitenzahl: 170
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Was ist das, ein heiliger Berg
Der Kailash – Tibets heiliger Berg
Gemälde von Bergen
Die Schönheit der Berge
Mandala heiliger Berge
Heilige Berge und Klippen im Harz
Bayrischer Wald
Alpen
Verschiedene Heilige Berge in Deutschland
Berge in der Ferne, die man oft leider nicht besuchen kann
Philosophisches
spirituelle Praxis
Brockengipfel
Berge gibt es überall auf der Erde. Die Alpen, die Anden, die Rocky Mountains, der Altai, der Ural und vor allem der Himalaya, das höchste Gebirge der Welt zwischen Indien und Tibet. Das Dach der Welt. Der Berg aller Berge auf dem Dach der Welt, der Kailash.
Berge werden von MUTTER ERDE gestaltet, aufgetürmt und wieder abgetragen, geschaffen und allmählich wieder zerstört.
Es gibt alte Gebirge, uralte – und junge, erdgeschichtlich gesehen.
Manche Berge sind besondere Berge, heilige Berge, Berge für Gebete und Rituale. Auch solche Berge gibt es überall auf der ganzen Erde.
Die Berge gibt es schon sehr, sehr lange. Wir Menschen können aus unserer Perspektive die Zeiträume nicht erfassen. Jahrmillionen können wir uns nicht vorstellen. Das entzieht sich unserer Erfahrung. Die Berge waren schon immer da, lange vorm Erscheinen des Menschen, lange, sehr lange vor dem eigenen Erscheinen auf der Erde, vor dem eigenen Leben.
Irgendwann bestieg jemand einen Berg und schaute in die Weite. Es musste ein einschneidendes Erlebnis gewesen sein. Das erste Mal einen Horizont in der Ferne zu sehen. Das erste Mal jenseits dunkler Wälder auf einem hohen Felsen zu stehen. Das erste Mal das Gefühl, dem Himmel näher zu sein als unten im Tal oder im Wald.
Man spürte, dass es mehr gab, einfach ein großes Mehr, was immer das sein mochte. Götter, die machte man sich später. Eine Religion noch später. Komplizierte System noch viel später. Am Anfang war man allein, mit sich und der Welt.
Wer auf einen Berg steigt, sucht auch heute das Archaische, das Ursprüngliche, einen Anfang, etwas Neues und Anderes. Der Alltag kann zurückbleiben, unten im Tal, unten im Wald. Wer zum Berg geht und ihn besteigt, sucht den Weg in eine andere Welt.
Die andere Welt, das ist die höhere Welt. Ganz konkret: höher als das umliegende Land. Vielleicht jenseits der Baumgrenze, vielleicht hoch oben in den nackten Felsen.
Der Indianer, der wie Black Elk auf einen Berg steigt, sucht eine Vision, für sein Volk. Der indianische Mensch, also der naturverbundene und die Natur verehrende Mensch, sucht Inspiration und Kraft für seine persönliche Religion. Die modernen Bergsteiger suchen mehr sich selbst, den Beweis ihrer Kraft und ihres bergsteigerischen Könnens. Selbstfindung ist völlig in Ordnung. Mir geht es jedoch um mehr.
Ein spiritueller Mensch sucht nicht sich, sondern etwas jenseits seiner Individualität. Irgendwie sucht er das Göttliche, welchen Namen er ihm auch immer geben mag.
Die Berge gehören keiner Religion, die einen Namen hat. Sie sind Teil von MUTTER ERDE, ihrer Kraft und Gestaltung der Erdplatten und der Gesteine. Sie ist die große Gestalterin. Wir Menschen schauen nur zu, selbst wenn wir frevelhaft ganze Berge abtragen, um Steine zu gewinnen, oder sie umgestalten wollen, nach unseren eigenmächtigen Vorstellungen.
Die Berge gehören nicht uns. Sie gehören sich. Wie die alten Bäume so gehören auch die alten Berge nur sich selbst. Das gilt es zu respektieren. Das gilt es in ganzer Tiefe zu achten.
Was ist das eigentlich, ein heiliger Berg?
Wissen wir es? Wollen wir es überhaupt wissen?
Passt ein heiliger Berg in ein materialistisches Weltbild?
Ich sage bewusst nicht „unser materialistisches“ Weltbild, denn meines ist nicht materialistisch. Die meisten Menschen haben heutzutage ein materialistisches Weltbild, selbst wenn sie sich religiös oder allgemein spirituell nennen mögen, denn wenn man es genauer überprüft, dann gehen sie nicht von der Existenz einer geistigen Dimension aus. Vielmehr benötigen sie für alles sogenannte wissenschaftliche Beweise, also letztendlich materielle Erklärungen. Das gilt dann als objektiv. Das gilt als real und man kann es mit irgendeinem Messinstrument aufzeigen.
Aber spirituell? Eine spirituelle Dimension kann man nicht mit der herkömmlichen Wissenschaft beweisen. So wird sie von deren Vertretern kategorisch abgelehnt. Sie existiert einfach nicht. Oder noch schlimmer: sie soll auch gar nicht existieren, denn Objekte kann man beherrschen, über sie verfügen, mit ihnen handeln und sie verkaufen, mit ihnen Profit machen – und das ist es ja, worum es in einer materialistischen Gesellschaft vor allem geht.
Mit echter Spiritualität ist das nicht möglich!
Ein heiliger Berg ist einfach vorhanden. Man kann ihn nicht besitzen oder verkaufen. Man kann ihn verehren, eine Verbindung zu ihm suchen, ein Ritual machen. Aber immer bleibt der heilige Berge für sich, ist Zweck für sich. Er repräsentiert eine höhere Dimension, jenseits aller Verfügbarkeit, jenseits aller Materie, auch wenn er selbst aus Materie besteht.
Ein Indianer würde die Frage gar nicht stellen, weil ein heiliger Berg für ihn eine Selbstverständlichkeit ist.
Der moderne Zivilisationsmensch stellt diese Frage, weil es in seinem Weltbild das Heilige nicht gibt. Dinge machen Spaß oder auch nicht. Dinge kann man kaufen, genießen oder fortwerfen. Dinge kann man sammeln und später dann entsorgen.
Das Heilige ist kein Ding.
Es ist nicht verfügbar. Der Mensch hat hier keine Macht – und jeder Gedanke an Macht ist sowieso grundsätzlich falsch. Das Heilige will von uns geachtet und verehrt werden. Durch Verehrung erlangen wir Zugang. Durch Skepsis sind wir blockiert und werden keinen Zugang erhalten.
Der menschliche Verstand kann das Heilige nicht erfassen, weil er als Verstand auf das Dastehende, auf das Objekt, das Objektive, das Materielle fixiert ist.
Das Heilige öffnet sich dem Herzen. Aber nicht dem einfachen Gefühl, sondern dem verehrenden Gemüt. Emotionen haben alle, mehr oder weniger. Beim offenen Herzen sieht es schon anders aus. Viele denken, dass sie ein Herz haben, aber es ist oft nur ein populärer Gedanke, den sie in ihrem Kopf haben. Emotionen sind meist nur von Anziehung und Abneigung geprägt. Ein geistig-seelisches Empfindungsvermögen ist vielschichtiger, komplexer, geht mehr in die Tiefe oder in die Höhe.
Das „Heilige“ oder der heilige Berg ist immer etwas, das weit über die menschliche Dimension hinausgeht. Dessen muss man sich bewusst sein, und das muss man auch wünschen und zulassen wollen.
Der wichtigste spirituelle Lehrer ist für mich Lama Anagarika Govinda. Sein autobiografisches Werk „Der Weg der weißen Wolken“ ist ein zeitloses Werk, das man auch nach 50 Jahren immer noch lesen kann. Auch zum Thema des heiligen Berges enthält es zeitlose Wahrheiten.
„Diese ehrfürchtige oder religiöse Haltung ist nicht durch wissenschaftliche Fakten, wie die in Zahlen ausdrückbare Höhe, bestimmt, die den modernen Menschen in erster Linie beeindruckt. Ebensowenig ist der religiös empfindende Mensch von der Idee beherrscht, den Berg „erobern“ oder „bezwingen“ zu wollen. Im Gegenteil, er zieht es vor, sich vom Berg überwältigen zu lassen, um von seiner Macht erfüllt zu werden. Er öffnet seine Seele dem Geist des Berges und läßt sich von ihm in Besitz nehmen, denn nur der „Ergriffene“ kann vom göttlichen Geist inspiriert werden und an seiner Natur teilhaben. Während der Mensch unserer Zeit aus Ehrgeiz und zur Verherrlichung seines eigenen Ichs zur Beseitigung eines außergewöhnlichen Berges getrieben wird, um als Erster auf seinem Gipfel zu stehen, ist der Verehrer des Berges mehr an seinem geistigen Aufstieg interessiert als an der physischen Leistung der Gipfelbezwingung. Ihm ist der Berg ein göttliches Symbol, und ebensowenig, wie er den Fuß auf den Kopf eines Kultbildes setzen würde, würde es ihm in den Sinn kommen, seinen Fuß auf den Gipfel eines heiligen Berges zu setzen.“ (Govinda, S.304; meine Unterstreichungen)
Mit der „Macht“ ist die Kraft, die Energie, das Wesen, der Geist des Berges gemeint. Man muss das also vor allem spirituell verstehen. Inspiration ist nicht etwas, das wir kontrollieren können, sondern wir können es erfahren. Es kann uns geschenkt werden. Das ist ja immer das Missverständnis, dass die meisten meinen, sie könnten das bestimmen, beherrschen und kontrollieren. Die Geister und Götter sind die Gebenden, und wir sind diejenigen, die etwas dankbar empfangen. Ehrfurcht und Dank, das sollte unser Verhalten sein.
Damit wir Inspiration empfangen können, müssen wir dazu natürlich bereit sein, wir müssen dafür offen sein, hingebungsvoll. Wer das mit Skepsis angehen will, wird nichts erhalten. Wer es nur mit dem Kopf verstehen will, wird auch nichts erhalten. „Hingabe“ ist in der heutigen Zeit sehr unpopulär geworden, denn uns wird permanent das Menschenbild des Machers eingehämmert. Diese anthropologische Propaganda läuft in allen Medien den ganzen Tag. Der spirituelle Mensch fühlt sich davon angewidert, denn er sucht ja das Gegenteil: die Überwältigung durch das Größere und Höhere, durch einen göttlichen Geist. Alle Kleingeister, die sich für intelligent halten, sind logischerweise dagegen, denn sie wollen nichts über sich haben und dulden; und einen Berg wollen sie dann eben „erobern oder bezwingen“, wie Govinda schreibt.
Was müssen wir uns unter einem „geistigen Aufstieg“ vorstellen? Es ist die geistig-spirituelle Entwicklung des Bewusstseins von der nur-individuellen Perspektive hin zu einer kosmisch-universellen Verbundenheit mit dem ganzen Sein.
Es ist natürlich nicht notwendig, das sei gleich an dieser Stelle betont, dass man unbedingt in Tibet und beim Kailash gewesen sein muss; und in Zeiten des chinesisch-materialistischen Größenwahns und totaler Überwachung schon gar nicht. Govinda war vor 1950 dort gewesen!
Govinda spricht beim Kailash von einem „göttlichen Symbol“. Genau genommen, handelt es sich nicht um ein Symbol, sondern um ein Bild. Im Zusammenhang mit der Beschreibung des Kailash und der Umrundung behandelt er das folgende Symbol:
Ein heiliger Berg ist hingegen immer konkret. Man sieht ihn draußen vor sich, er hat viele Gesichter. Man kann ein Symbol in ihm erkennen oder irgendwie spüren, aber er bleibt doch immer reale Natur, die uns mal so und mal wieder anders erscheinen kann. Das ist auch gut, denn sie ist nicht festgelegt. Natur ist niemals fixiert, sie ist und bleibt für immer flexibel. Auch ein heiliger Berg ist das, denn im Laufe von Jahrmillionen wird er wieder verschwinden. Aus unserer begrenzten Lebensperspektive sehen wir allerdings den Berg als absolut stabil an. Für uns ist er es.
Der Kailash hat eine besondere Form. Wie eine Kuppel ragt er über das tibetische Hochland hinaus. Das alleine hat ihn schon vor zig Jahrtausenden zu einem besonderen, einem magischen, heiligen, spirituellen, göttlichen Berg werden lassen. Die große Natur hat ihn erschaffen. Er ist Ausdruck ihrer Kreativität. Selbst wenn der Mensch ihn niemals entdeckt hätte, wäre er immer noch heilig. Entscheiden tun das die Geister der Natur, nicht der Mensch.
Vielleicht sind „Schönheit“ und „Magie“ die zentralen Wörter für einen heiligen Berg. Die Menschen haben die Schönheit und die magische Ausstrahlung des Kailash gespürt. Sie mussten dafür nicht unbedingt ein Wort, einen Begriff, eine Erklärung haben. Wenn man wirklich etwas fühlt, dann fühlt man das. Wenn man nichts fühlt, dann klagt der Verstand und will eine Erklärung haben, die ihm aber niemals die fehlende Gefühlsverbindung ersetzen kann.
Die angemessene Reaktion ist Namaste (Verehrungsgeste, Hände werden vor dem Herzen aneinander gelegt) und die Niederwerfung (Prostration). Das muss ganz automatisch kommen. Das muss ein inneres Bedürfnis sein.
Ehrfurcht verlangt nach Ausdruck. Vielleicht hat bereits der erste Mensch, der jemals den Kailash gesehen hat, entsprechend reagiert und seinen tiefen Respekt zum Ausdruck gebracht.
„Für Hindus und Buddhisten ist der Kailash das Zentrum der Welt. Nach ältester Sanskrittradition wird die Achse des Universums als Meru oder Berg Sumeru bezeichnet, und dies bezieht sich nicht nur auf die physische, sondern ebenso auf die metaphysische Welt.“ (Govinda, S.305)
Das mag sich für manchen nach einer willkürlichen Theorie anhören. Es geht hier aber um Ausdruck von Erfahrungen. Schon sehr früh haben Menschen an markanten und besonderen Punkten das intensive Gefühl gehabt, dass sie sich am Zentrum der Welt befinden. Das hat ihre weitere Empfindungswelt geprägt und schlussendlich zu der Ausprägung einer Religion, z.B. dem Bön oder dem Buddhismus, geführt. Am Anfang stand und steht die spirituelle Erfahrung, nicht das Wort oder irgendein Name.
Andere Völker auf der Erde hatten logischerweise ein anderes Zentrum, einen anderen heiligen Berg. Das relativiert die Aussage aber nicht in der Weise, dass man behaupten kann, es sei eben nicht objektiv und rein willkürlich. Wer so denkt, hat den zentralen Punkt nicht verstanden.
Govinda erklärt anhand der geographischen Lage die herausragende Bedeutung des Kailash. Es mag genügen, allein die beiden großen Flüsse Indus und Brahmaputra zu erwähnen.
Govinda beschreibt in seinem Buch sehr schön und intensiv die Erlebnisse eines Pilgers zum Kailash, und somit auch seine eigenen. Ich denke, dass sein Bericht immer noch lesenswert ist. Außerdem schreibt er voll und ganz aus der Perspektive eines Buddhisten. Über den Blick auf die Nordseite des Kailash schreibt Govinda:
„Der Berg erscheint so nah, daß der Pilger glaubt, er könne ihn mit Händen greifen – und gleichzeitig hat er das Gefühl, sich einer unnahbaren, unberührbaren ätherischen Erscheinung gegenüber zu befinden, als wäre sie jenseits des irdischen Bereichs, jenseits aller materiellen Wirklichkeit: ein himmlischer Tempel mit einer Kuppel aus Kristall oder Diamant. Und wahrlich, dem religiös Gesinnten ist es ein himmlischer Tempel, der Thron der Götter, der Sitz und das Zentrum kosmischer Kräfte, die Achse, die unsere irdische Welt mit dem Universum verbindet, eine Superantenne für den Ein- und Ausfluß geistiger Energien unseres Planeten.
Was der Pilger mit seinem leiblichen Auge sieht, ist nur der Unterbau oder die Emanation von etwas viel Größerem und Gewaltigerem. Für den Tibeter ist der Berg umgeben und bewohnt von Tausenden meditierender Buddhas und Bodhisattvas, die Frieden und Segen ausstrahlen und den Samen des Lichts in die Herzen derer säen, die den Wusch haben, sich von der Dunkelheit des Nichtwissens, des Hasses und der Begierden zu befreien.“ (S.319)
Vermutlich kann das nur der „religiös Gesinnte“ adäquat nachvollziehen. Wer an keine transzendente Welt und Dimension glaubt, wird es wohl nicht können. Wer meint, es handle sich hier um eine nur-buddhistische Deutung, greift zu kurz, denn es geht um eine anthropologische Konstante der menschlichen Spiritualität, die darin besteht, an eine transzendente Dimension zu glauben. Auch der Schlusspart ist von universeller Bedeutung. Wenn es nicht darum geht, dann hat man etwas missverstanden. Nichtwissen (Ignoranz), Hass (Aggression) und Begierden (Formen der Sucht) sind auch im Christentum Todsünden, also definitiv unethisches Verhalten. Man kommt auch Gott nur nahe, wenn man die Todsünden hinter sich gelassen hat oder es zumindest ernsthaft anstrebt.
Zwei weitere Punkte auf der Umrundung des Kailash haben markante Bedeutung. Die Konfrontation mit dem Tod und der Vergänglichkeit des irdischen Lebens und die Begegnung mit der gütigen Dölma. Die „mütterlich schützende, allbarmherzige Dölma“ ist die Maria der Buddhisten. Auch bei diesen beiden Punkten handelt es sich um typische Elemente der menschlichen Spiritualität, die man in Variationen in vielen Religionen finden kann. Der Mensch wird immer irgendwie mit dem Tod konfrontiert sein, jeder ist dieser Krise, mal mehr oder mal weniger, ausgesetzt. Und jeder Mensch sucht, wünscht, hofft, erwartet eine Erlösung. Ob er diese nun in einer Figur wie der Dölma oder der Maria sieht, oder rein abstrakt, ist weniger wichtig.
Zurück zu der Natur der Berge. Die oben genannten Elemente kann man in der Welt der Berge erfahren. Die Erscheinungen und Orte der Natur setzen die Empfindungen und Erlebnisse in Bewegung. Das kann umso mehr geschehen, je grandioser, wunderbarer, symbolträchtiger und gefährlicher die wilde Natur ist.
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Um es noch einmal zu betonen: am Anfang war die konkrete Erfahrung in der Landschaft. Die Urmenschen sahen, beobachteten, hatten ihre Erlebnisse. Sie spürten die Besonderheit eines Ortes, eines Berges, einer Region. Beim Kailash ist es nicht nur der Berg, sondern auch die ganze Gegend. Das tibetische Hochplateau, die beiden Seen, Manasarovar und Rakastal, die für die solaren und die lunaren Kräfte stehen, oder auch einfach für die hellen und die dunklen Energien. Alles liegt auf der Hand. Alles lässt sich einfach durch Beobachtung und Dasein erfahren.
Wenn man aufmerksam und achtsam an besonderen Orten der Natur ist, dann erfährt und erkennt man alles.
Da ich nicht am Kailash gewesen bin, habe ich es nicht dort erfahren. Aber an genügend anderen heiligen Orten. Über den Kailash gibt es Bücher und Erklärungen, die man nachlesen kann. Über viele Orte und Berge der Kraft in Norddeutschland gibt es nichts. Dort muss man selbst seine Erfahrungen machen.
Es müssen nicht bestimmte Wörter sein, bestimmte Begriffe, schon gar nicht festgelegte. Es muss keine bestimmte Religion sein, weder Bön noch der Buddhismus, weder Hinduismus noch irgendeine andere Religion. Wer den Kailash als buddhistischen heiligen Berg bezeichnet, hat nichts verstanden.
Auf den Fotos und in den Filmen kann man immer massenhaft die Gebetsfahnen sehen. Ehrlich gesagt, mir ist das zu viel. Man kann alles übertreiben. Man könnte, oder sollte, mal alles wegräumen, entsorgen, um mal wieder einen unverstellten Blick zu haben. Die heilige Natur braucht den ganzen „Müll“ nicht. Am Ende ist es nämlich nur das, „Müll“, spiritueller Müll, wenn man so will.
Als Schamane würde ich sagen: Jetzt machen wir erst mal sauber und hinterlassen mal 100 Jahre keinerlei Spuren. Wie wäre das? Eine Zeit der Reinigung. Im übrigen wäre das für die ganze Erde angesagt.
Der Buddhismus gilt ja allgemein als antimaterialistisch. Das stimmt; aber auch wieder nicht. Denn viele Statuen, Tschörten (rituelles Denkmal, das Reliquien oder die körperlichen Reste eines Lamas enthält), Manimauern (Mauern mit Steinplatten, auf denen Gebetsformeln stehen), Thankas (Ritualbilder mit Figuren der buddhistischen Ikonographie), Gebetsketten, Gebetsfahnen, Kataks (weißer Schal) etc. sind auch Materie, also der materialistische Aspekt.
Wenn ich mir Fotos von der inneren Kora und der Südseite des Kailash anschaue, dann ist mir das jedenfalls zu überladen mit Objekten, also zu materialistisch. Siehe die genannten Werke von Baumann und Glogowski. Aus meiner Sicht sollte an besonders heiligen Orten der Natur nichts Menschengemachtes vorhanden sein. Nur Natur. Hier sollte das indianische Prinzip gelten: „Don't leave any footsteps!“
Aber viele wollten eigentlich immer ihre Macht demonstrieren. Ein gutes Beispiel scheint mir das Felsband in der Südwand des Kailash zu sein, also am Endpunkt der inneren Kora. Wenn ich mir auf den Fotos von Bruno Baumann die vielen Tschörten ansehe, dann spüre ich da nicht gerade ein spirituelles Anliegen, sondern eine Machtdemonstration über den Tod hinaus. Man besetzt einen „heiligen Platz“, mit der Folge, dass spätere Generationen hier nichts mehr besetzen können. Man kann sich fragen, ob das nicht unglaublich arrogant ist?
Wir haben in der westlichen Kultur auch dieses Problem. Man setzte Kirchen oder Kapellen auf irgendeinen heiligen Hügel oder Berg, um so für alle Zeiten seinen Gebietsanspruch zu zementieren. Die Herrscher, und die Lamas oder Priester haben sich oft auch nur als Herrscher verstanden, haben dann die besten Grabstätten für sich reserviert. Man könnte argumentieren, dass das menschlich sei. Gut, dann sage ich, dass ich diese Art von „Menschlichkeit“ ablehne. Es steht auch im Widerspruch zur beanspruchten Spiritualität. Im Buddhismus geht man davon aus, wieder in der „Großen Leere“ zu verschwinden. Dafür muss man sich aber nicht nach dem Tod in einen Tschörten einmauern lassen, ein sogenanntes „Himmelsbegräbnis“ wäre da ausreichend, aber dann wäre man, materiell gesehen, völlig verschwunden in der „Großen Leere“ oder einfach der Natur. Einfach in der Natur verschwinden? Wie schrecklich!
Zu viele Objekte sind außerdem sehr schlecht für nachfolgende Generationen, denen durch die ganzen Objekte eine bestimmte Sichtweise vorgegeben wird. Es wird einem vermittelt, dass dies ein buddhistischer Berg sei oder ein Berg des Bön, wobei wohl insgesamt, soweit ich das beurteilen kann, vor allem buddhistische Objekte zu sehen sind. Wie soll man jetzt eigene Erfahrungen machen? Wenn alles vorher festgelegt ist, dann kann man keine eigenen Erfahrungen mehr machen?
Also kann ich meinen Vorschlag nur wiederholen: einfach mal sauber machen. Alles wegräumen. Renaturieren!
Ein Berg sollte natürlich sein.
Wenn man im Sinne des Bön oder des Buddhismus den Kailasch interpretiert, wenn man Vorberge bestimmten Gottheiten zuordnet, dann ist das eine der möglichen Interpretationen. Aber es ist nicht die einzige und allgemeingültige Interpretation. Man muss sich dessen bewusst sein.