Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Der rote Kleinbus mit der Aufschrift »Kinderheim Sophienlust« stand abfahrbereit auf dem Parkplatz vor dem Gymnasium in Maibach. Der Chauffeur Hermann schaute prüfend über die Köpfe der lebhaften kleinen Schar, die eben eingestiegen war. Die Buben und Mädchen von Sophienlust waren sichtlich froh, einen anstrengenden Schultag hinter sich gebracht zu haben. Munter schwatzten sie alle durcheinander. »War das eine Hitze«, stöhnte Nick, ein hübscher Junge mit blauschwarzem Haar und intelligenten dunklen Augen. »Gleich nach dem Essen fahre ich zum Baden an den See.« »Ich komme mit«, erklärte Pünktchen, das Mädchen mit den vielen lustigen Sommersprossen. Für sie war es selbstverständlich, sich Nicks Unternehmungen anzuschließen, denn sie mochte den großen Jungen sehr. Heimlich träumte sie davon, eines Tages mehr für ihn zu sein als nur ein guter Kumpel. »Ich auch«, meldete sich Angelika. Sie schob die Unterlippe vor und blies sich eine blonde Strähne aus der Stirn. »Puh, stöhnte sie und verdrehte gekonnt die blauen Augen. »Unsere Mathearbeit war ganz schön schwer.« »Komm du erst einmal in die höheren Klassen. Dann hast du Grund zum Seufzen«, meinte ein kräftiger Junge mit backsteinrotem Haar. »Wie ist es dir ergangen?« wandte sich Nick an Ayoto, einen kleinen Japaner, der vorübergehend in Sophienlust weilte. Seine Eltern, die in Deutschland lebten, hatten wegen einer Familienangelegenheit in die Heimat reisen müssen und ihn nicht mitnehmen können. Ayoto, der besser Englisch als Deutsch sprach, strahlte Nick aus seinen schräggestellten dunklen Augen dankbar an. »Alle sein sehr nett«, äußerte er in etwas singendem Tonfall. »Sind sehr nett«, verbesserte Angelika ungerührt. Sie ärgerte sich ein bißchen darüber,
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2018
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Der rote Kleinbus mit der Aufschrift »Kinderheim Sophienlust« stand abfahrbereit auf dem Parkplatz vor dem Gymnasium in Maibach. Der Chauffeur Hermann schaute prüfend über die Köpfe der lebhaften kleinen Schar, die eben eingestiegen war.
Die Buben und Mädchen von Sophienlust waren sichtlich froh, einen anstrengenden Schultag hinter sich gebracht zu haben. Munter schwatzten sie alle durcheinander.
»War das eine Hitze«, stöhnte Nick, ein hübscher Junge mit blauschwarzem Haar und intelligenten dunklen Augen. »Gleich nach dem Essen fahre ich zum Baden an den See.«
»Ich komme mit«, erklärte Pünktchen, das Mädchen mit den vielen lustigen Sommersprossen. Für sie war es selbstverständlich, sich Nicks Unternehmungen anzuschließen, denn sie mochte den großen Jungen sehr. Heimlich träumte sie davon, eines Tages mehr für ihn zu sein als nur ein guter Kumpel.
»Ich auch«, meldete sich Angelika. Sie schob die Unterlippe vor und blies sich eine blonde Strähne aus der Stirn. »Puh, stöhnte sie und verdrehte gekonnt die blauen Augen. »Unsere Mathearbeit war ganz schön schwer.«
»Komm du erst einmal in die höheren Klassen. Dann hast du Grund zum Seufzen«, meinte ein kräftiger Junge mit backsteinrotem Haar.
»Wie ist es dir ergangen?« wandte sich Nick an Ayoto, einen kleinen Japaner, der vorübergehend in Sophienlust weilte. Seine Eltern, die in Deutschland lebten, hatten wegen einer Familienangelegenheit in die Heimat reisen müssen und ihn nicht mitnehmen können.
Ayoto, der besser Englisch als Deutsch sprach, strahlte Nick aus seinen schräggestellten dunklen Augen dankbar an. »Alle sein sehr nett«, äußerte er in etwas singendem Tonfall.
»Sind sehr nett«, verbesserte Angelika ungerührt. Sie ärgerte sich ein bißchen darüber, daß der kleine Japaner im Mittelpunkt des Interesses stand, während ihr Bericht über die schwierige Mathearbeit keinerlei Beachtung fand.
»Irmela fehlt noch«, stellte der Chauffeur jetzt fest. Er schaute auf den leergebliebenen Fensterplatz und dann auf den Schulhof, auf dem es noch immer sehr turbulent zuging. Da standen Schüler in kleinen Gruppen beisammen und diskutierten, andere liefen ins Gebäude zurück, und wieder andere drängten sich mit ihren Fahrrädern oder Mopeds durch die Kameraden.
»Irmela kommt nicht«, erklärte Pünktchen etwas unsicher.
»Muß sie nachsitzen?« Die hellen Augen des rothaarigen Jungen blitzten schadenfroh auf.
»Nein. Sie hat eine Verabredung.« Pünktchen kam sich in diesem Moment sehr erwachsen vor. Endlich wußte sie einmal mehr als alle anderen. Das würde Nick bestimmt imponieren.
»Was soll das denn heißen?« Nick legte den Kopf schief und musterte das Mädchen von Kopf bis Fuß. Das, was er sah, war sehr erfreulich. Obwohl Pünktchen, die eigentlich Angelina hieß, in einem Alter war, in dem sie weder über den Liebreiz eines jüngeren Kindes noch über die Vorzüge eines jungen Mädchens verfügte, sah sie doch ausgesprochen hübsch aus. Große blaue Augen beherrschten ihr frisches, sehr apartes Gesicht, das von langem blondem Haar umrahmt wurde.
»Irmela ist von einem Schüler der Oberstufe eingeladen worden«, erklärte Pünktchen triumphierend.
»Sie kommt also nicht mit nach Hause?« Auf Hermanns Stirn zeigten sich zwei tiefe Kummerfalten. Er war verpflichtet, alle Kinder nach Sophienlust zurückzubringen, und er nahm diese Verantwortung ernst.
»Irmela kommt später.« Pünktchen fühlte sich bei dieser Aussage selbst nicht ganz wohl.
»Das geht doch nicht«, prustete jetzt Nick. Seit er denken konnte, war es das erste Mal, daß eines der Kinder von Sophienlust auszubrechen drohte.
Der Chauffeur Hermann war derselben Ansicht. »Bitte, geh zurück und hole Irmela«, wandte er sich an Pünktchen. »Ich möchte euch alle wohlbehalten in Sophienlust abliefern.«
»Irmela ist schon mit Erik weggegangen.« Pünktchen zuckte ratlos die Achseln.
Das gutmütige Gesicht des Chauffeurs lief rot an. »Was für ein Erik?« erkundigte er sich unbehaglich. Wahrscheinlich würde ihm Frau Rennert, die Heimleiterin, Vorhaltungen machen. Dabei konnte er nichts dafür, daß aus der kleinen, sonst so bescheidenen Irmela eine junge Dame zu werden schien.
»Erik Benson. Er hat in diesem Jahr sein Abi gemacht und verläßt in den nächsten Tagen die Schule.« Pünktchen sah in lauter verständnislose Gesichter. Es war klar, daß der ruhigen, vernünftigen Irmela niemand so etwas zugetraut hatte. Doch Pünktchen konnte die ältere Kameradin verstehen. Erik Benson war ein unerhört gutaussehender junger Mann. Er war groß, schlank und sportlich, hatte lockiges dunkles Haar, eine sonnenbraune Haut und stahlblaue, blitzende Augen. Alle Mädchen der Schule schwärmten für ihn – sogar Pünktchens Klassenkameradinnen, obwohl sie dazu eigentlich noch viel zu jung waren.
»Erik Benson, das ist doch der Angeber, der im offenen Sportwagen zur Schule kommt«, brummte Nick verärgert. Er sah die Sache ganz anders und verstand die Mädchen nicht, die auf diesen Erik hereinfielen.
»Seine Eltern haben eine Süßwarenfabrik.« Angelika fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und dachte mehr an die Schokolade, die Eriks Vater herstellte, als an den umschwärmten jungen Mann.
»Kann man Irmela denn nicht zurückholen?« Der Chauffeur dachte nun daran, selbst ins Schulgebäude zu gehen.
Pünktchen schüttelte heftig den Kopf. »Wir würden sie nicht finden.«
»Dann müssen wir also ohne Irmela zurückfahren.« Hermann seufzte abgrundtief, weil er an die gewiß unerfreuliche Unterredung mit Frau Rennert dachte. Kopfschüttelnd klemmte er sich hinters Steuerrad und ließ den Motor an. Es hatte ihm bisher stets Spaß gemacht, die Kinder von Sophienlust zur Schule zu bringen und um die Mittagszeit wieder abzuholen. Aber nun stellte sich heraus, daß diese Kinder mehr und mehr erwachsen wurden, und das brachte Probleme mit sich, vor denen er sich fürchtete.
»Sie ist schön dumm. Es gibt doch heute Kartoffelklöße und Sauerbraten«, murmelte der rothaarige Kurt, der sich schon den ganzen Vormittag über auf dieses Gericht gefreut hatte.
»Und Nachtisch bekommt sie auch nicht«, pflichtete Angelika ihm bei.
»Glaubst du, Tante Isi wird schimpfen?« erkundigte sich der kleine Japaner, der noch nicht lange in Sophienlust war.
»Tante Isi schimpft nie«, gab Angelika überzeugt zurück. »Aber vielleicht ist sie traurig.«
Tante Isi war Nicks Mutter und wurde von allen Kindern zärtlich geliebt. Vor vielen Jahren hatte sie das Kinderheim Sophienlust gegründet und sich zur Aufgabe gemacht, allen Kindern zu helfen, die allein, in Not oder Bedrängnis waren. Da sie mit ihrer Familie auf dem benachbarten Gut Schoeneich wohnte, hatte sie die Obhut für Sophienlust der Heimleiterin, Frau Rennert, übertragen. Denise von Schoenecker, das war Tante Isis richtiger Name, kam jedoch jeden Tag von Gut Schoeneich herüber, um nach ihren Schützlingen zu sehen.
»So ein Mist«, murmelte Nick, der ebenfalls Komplikationen voraussah. Denn Erik Benson war nicht nur der umschwärmteste junge Mann der Oberstufe, er war auch leichtsinnig und keinem Mädchen treu. »Ich hätte nicht gedacht, daß Irmela so dumm ist.«
»Wieso dumm?« Pünktchen war bereit, das ältere Mädchen gegen alle Angriffe zu verteidigen. Sie wußte nämlich genau, daß auch sie keinen Augenblick zögern würde, wenn Nick sie einmal einladen würde. Doch Nick dachte gar nicht an so etwas. Er war in dieser Beziehung ein großer dummer Junge. Wenigstens fand Pünktchen das.
»Weil dieser Erik Irmela doch nur an der Nase herumführt.«
»Woher willst du das wissen? Vielleicht liebt er sie.« Pünktchen wurde ein bißchen rot.
»Mensch, wenn ich so etwas höre«, entrüstete sich Nick.
»Irmela ist doch noch viel zu jung. Sie ist sogar ein Jahr jünger als ich.« In komischer Verzweiflung verdrehte Nick die Augen.
»Mädchen sind eben weiter«, antwortete Pünktchen triumphierend.
»Ach, das ist doch Quatsch. Spätestens nächste Woche sitzt Irmela hier im Bus und heult. Das ist alles, was passiert.«
»Woher willst du das wissen?« Pünktchen war plötzlich froh, daß sie selbst noch so jung war, daß das Abenteuer der ersten Liebe für sie vorerst tabu blieb.
»Weil ich diesen Benson kenne. Er ist ein ganz verwöhnter Kerl, der von zu Hause jeden Wunsch erfüllt bekommt. Er hat jede Woche so viel Taschengeld wie ich im ganzen Jahr nicht.« Nick biß die Zähne so zusammen, daß sie leise knirschten. »Überhaupt hat er nichts als Mädchen im Kopf. Deshalb hat er auch erst mit neunzehn Abi gemacht.«
Pünktchen sagte nichts mehr. Es war ihr klar, daß Nick wieder einmal recht hatte. Außerdem rollte der Kleinbus eben durch das schmiedeeiserne Tor, das den riesigen Park von Sophienlust zur Straße hin abschloß.
*
Irmela Grootes langes blondes Haar flatterte im Fahrtwind. Sie fand es herrlich, im offenen Sportwagen an Eriks Seite durch die schöne Umgebung von Maibach zu brausen. Heimlich beobachtete sie immer wieder den jungen Mann an ihrer Seite.
Erik hatte sich zurückgelehnt und hielt lässig, fast spielerisch das Steuer des schnellen Wagens. Modisch lang war sein glänzendes dunkles Haar, das sich an den Schläfen und im Nacken zu hübschen Locken ringelte. Der junge Mann trug ein enganliegendes Hemd zu ebenso engen Jeans. Ein goldenes Medaillon glänzte auf der sonnenbraunen Haut seiner Brust.
Die Schülerin fand, daß Erik hinreißend aussah. Diesem Umstand war es wohl zu verdanken, daß Irmela alle Bedenken beiseite geschoben hatte und zu Erik Benson in den Sportwagen geklettert war. Wenn das junge Mädchen jedoch an Sophienlust und an Tante Isi dachte, hatte es ein schlechtes Gewissen. Doch es gab sich Mühe, derartige Gedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen.
»Gefällt es dir?« fragte Erika, nicht ohne gewissen Stolz. Schließlich war er der einzige Schüler des Maibacher Gymnasiums, der einen teuren Sportwagen fuhr. Daß er es damit leichter hatte, den Mädchen zu imponieren, war gar keine Frage und ärgerte alle Mitschüler. Doch Erik lachte nur, wenn sie versuchten, ihn deshalb aufzuziehen. Er war der geborene Sonnyboy und nahm nichts tragisch. Auch daß er in der Schule nicht gerade die besten Noten gehabt hatte, machte ihm keinen Kummer. Er hatte mit Mühe und Not die Reifeprüfung bestanden, doch das genügte ihm. Schließlich würde er später einmal, wie sein Bruder, in der Fabrik des Vaters tätig sein. An dieses Später wollte er aber noch nicht denken. Nach der harten Schulzeit wollte er zunächst einmal das Leben genießen, wollte weite Reisen unternehmen, die Welt kennenlernen.
»Ja, sehr. Ich bin noch nie in einem tollen Auto gefahren«, Irmela lächelte glücklich und sah in diesem Moment sehr reizvoll aus. Nicht wie eine kleine Schülerin, sondern wie eine junge Dame. Eine sehr hübsche junge Dame.
»Ich glaube, es gibt noch vieles, was du im Kinderheim nicht kennengelernt hast. Ich werde dir alles zeigen. Du wirst staunen.« Erik hatte so viel Vertrauen in seine Fahrkünste, daß er ungeniert zu Irmela hinübersah. Er lachte und zeigte dabei zwei Reihen wundervoller weißer Zähne.
»Oh, du darfst nicht glauben, daß man in Sophienlust etwas entbehrt. Wir leben dort wie in einer großen Familie«, verteidigte Irmela das Haus, in dem sie herangewachsen war.
»Ich weiß, Sophienlust ist das Herrschaftshaus des früheren Gutes und sieht aus wie ein Schloß. Früher habe ich gedacht, daß es für Waisenkinder viel zu schade sei. Aber seit ich dich kenne, finde ich es ganz in Ordnung, daß Frau von Schoenecker so viel Geld und Arbeit investiert.« Erik hätte gern den Arm um Irmelas Schultern gelegt, doch noch wagte er das nicht. Er wollte dieses reizvolle Mädchen nicht erschrecken.
»Sophienlust gehört Nick, Frau von Schoeneckers Sohn aus ihrer ersten Ehe. Die Urgroßmama hat Nick Sophienlust vererbt. Seine Mutti verwaltet den Besitz nur bis zu seiner Volljährigkeit.«
Für Erik Benson war dieses Thema nicht so interessant. »Wie bist du eigentlich nach Sophienlust gekommen?« erkundigte er sich, ohne das Tempo zu verringern. Er fand es selbstverständlich, daß er dem Mädchen zeigte, was in seinem schnellen Wagen steckte. »Ich weiß noch gar nichts über dich.«
Irmela wurde sehr ernst. Ihre blauen Augen schimmerten plötzlich feucht.
»Ich habe meinen Vater verloren, als ich noch ein kleines Mädchen war. Ich hatte ihn sehr gern und war sehr traurig über seinen Tod. Deshalb konnte ich auch nicht verstehen, daß meine Mutter bald einen anderen Mann heiratete. Ich war sehr böse auf sie. Als die beiden nach Bombay zogen, erklärte ich, hierbleiben zu wollen. Einmal wegen der Schule und zum anderen, um nicht mit meinem Stiefvater zusammen leben zu müssen.«
»Und man hat dir das erlaubt?« Bewundernd schaute Erik auf seine junge Beifahrerin. Sie war so natürlich und ungezwungen und unternahm nicht den geringsten Versuch, ihn zu verführen, wie es die anderen Mädchen meist taten.
»Meine Mutti ist eine sehr kluge Frau. Das wurde mir erst viel später bewußt. Sie hätte mich nie zu etwas gezwungen, obwohl ihr die Trennung sehr schwer gefallen sein muß. Ich bekam meinen Willen. Heute bewundere ich meine Mutter und warte schmerzlich auf jeden Brief von ihr. Auch meinen Stiefvater habe ich inzwischen längst akzeptiert. Er ist ein großzügiger, gütiger Mann.«
»Ich bin froh, daß du nicht nach Bombay gegangen bist. Aber sag mal, warum tust du’s eigentlich nicht?« Erik blinzelte, denn in der Ferne tauchte ein langsam fahrender Traktor auf. Sofort nahm er den Fuß vom Gaspedal.
»Zuerst möchte ich die Schule beenden und dann studieren. Manchmal träume ich davon, als Ärztin nach Bombay zu gehen. Aber es ist noch ein weiter Weg bis dahin. Ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde.« Irmela sog tief die Atemluft ein. Bisher hatte sie kaum mit jemandem über ihre Zukunftspläne gesprochen. Doch zu Erik hatte sie Vertrauen.
»Du schaffst es bestimmt«, versicherte der junge Mann mit der ihm eigenen Unbekümmertheit. »Du bist nicht nur hübsch, du bist auch klug und ehrgeizig. Das hätte ich gar nicht von dir gedacht.« Anerkennung schwang in seiner Stimme mit. Dann fragte er: »Was hältst du davon, daß wir im Club-Restaurant zu Mittag essen?«
Erik bog bereits in das Areal des sehr gepflegten Golfplatzes ein. Hellgrüne Rasenflächen schimmerten zwischen dunkelgrünen Tannen und Beeten mit wundervollen Rosen.
»Ist das…, ist das nicht viel zu vornehm?« Irmela stotterte vor Aufregung. Sie hatte noch nie ein so luxuriöses Hotel besucht und schon gar nicht in Begleitung eines jungen Mannes.
»Das sieht nur so aus. Als Clubmitglied fühlt man sich hier pudelwohl. Du wirst schon sehen.« Gekonnt stoppte Erik seinen Flitzer auf dem Parkplatz.
Der Portier in der dunkelblauen Uniform tippte ehrerbietig an die Schirmmütze. Erik gab den Gruß unbekümmert zurück und kletterte ungeniert über die niedrige Karosserie seines Wagens. Die Tür zu öffnen hätte er als unsportlich abgelehnt.
Irmela, die ebenfalls Jeans trug, tat es ihm gleich. Beim Betreten des exklusiven Lokals mußte sie feststellen, daß Erik hier recht gut bekannt sein mußte. Denn er wurde fast freundschaftlich von dem Kellner im eleganten Frack begrüßt.
»Möchten Sie wieder den Tisch auf der Terrasse, Herr Benson?«
»Es gibt keinen hübscheren. Stimmt’s?«
»Selbstverständlich nicht.« Dienstbeflissen ging der Kellner voraus und führte das junge Paar zu einem runden Tisch unter einem bunten Sonnenschirm. Von diesem Platz aus hatte man durch eine Lücke in den Tannen einen wunderschönen Blick über das ganze Tal bis hinunter nach Maibach.
»Schön ist es hier«, stellte Irmela fast andächtig fest. Ihre anfängliche Befangenheit war längst gewichen. Sie fand, es ging hier tatsächlich nicht so steif zu, wie sie zunächst befürchtet hatte. Am Ende der Terrasse war ein Tisch von einer Gruppe lustiger junger Leute besetzt. Sonst war es überraschend leer.
»Mit dir ist es besonders schön hier.« Erik strahlte seine junge Partnerin an. »Was möchtest du essen?« Der Sohn des Süßwarenfabrikanten reichte Irmela galant die Speisekarte.
»Wie wär’s mit Sauerbraten und Klößen?« fragte Irmela, die gerade an Sophienlust dachte. Dort saß man jetzt bestimmt im gemütlichen Speisesaal und ließ sich Magdas Menü schmecken.
»Ja, warum nicht?« Erik verzichtete darauf, einen Blick auf die Speisekarte zu werfen. Er winkte den Kellner herbei und gab die Bestellung auf.
Danach sah er Irmela lange und aufmerksam an. »Weißt du eigentlich, daß du sagenhaft gut aussiehst?« murmelte er verliebt. »Du hast die hübschesten blauen Augen, die ich je gesehen habe.«
Irmela hätte das Kompliment gern zurückgegeben, doch sie brachte vor Verlegenheit kein einziges Wort hervor. Der Blick von Eriks stahlblauen Augen verwirrte sie maßlos.
»Eigentlich habe ich mir schon lange gewünscht, mit dir einmal einen Nachmittag zu verbringen. Aber ich habe nicht gewagt, dich darum zu bitten. Du bist nach der Schule immer sofort zu eurem Bus gegangen, und ich hatte das Nachsehen. Wirklich, ich finde, du bist große Klasse.« Erik zeigte sein betörendstes Lächeln. Er hatte schon als kleiner Junge die Erfahrung gemacht, daß diesem Lächeln keiner widerstehen konnte, nicht einmal Erzieherinnen oder Lehrerinnen. Er hatte damit bisher stets seinen Willen durchgesetzt.
»Sagst du das allen Mädchen?« erkundigte sich Irmela kokett. In ihrem Herzen regte sich neben Stolz ein völlig neues, verwirrendes Gefühl. War das die Liebe, von der die Erwachsenen erzählten? Die Liebe, von der alle Klassenkameradinnen schwärmten?
Eriks Lächeln vertiefte sich. »Ich streite nicht ab, daß ich schon eine Menge Freundinnen hatte. Aber keine war so reizvoll wie du. Und das hab’ ich nun wirklich noch keiner gesagt.« Vorsichtig schob Erik seine Hand über den Tisch, legte sie über Irmelas schmale Finger.
Für das junge Mädchen war dies die zärtlichste Berührung seines Lebens. Ganz still hielt Irmela. Sie wagte kaum zu atmen.
Der Zauber wurde jäh verscheucht, als der elegant gekleidete Kellner auf silbernen Platten das Essen servierte. Es schmeckte fabelhaft, doch das wurde Irmela nicht bewußt. Sie kaute und schluckte mechanisch, ohne eigentlich zu wissen, was sie in den Mund schob.
Irmelas Bewunderung für den jungen Erik Benson stieg noch, als sie sah, mit welcher Selbstverständlichkeit er die recht hohe Rechnung bezahlte und dem Kellner ein entsprechendes Trinkgeld gab. Alles tat er mit einer Sicherheit, die Irmela unglaublich imponierte.
»Und jetzt spielen wir ein bißchen Golf. Es ist zwar fast zu heiß dafür, aber wir werden uns eben im Schatten aufhalten, und danach erfrischen wir uns im Pool.«
»Aber ich habe doch gar keinen Badeanzug dabei«, protestierte Irmela schwach.
»Das macht nichts. Man hat hier Bikinis in allen Größen vorrätig. Du wirst schon sehen.« Erik wählte einen Wagen mit Golfschlägern und Bällen aus und führte Irmela durch eine Halle zum hügeligen Golfplatz. Liebevoll legte er jetzt den Arm um die Schultern des Mädchens.
Irmela hatte nichts dagegen. Alle Bedenken wegen ihres unerlaubten Ausflugs schwanden in Eriks Nähe. Vergessen war die Schultasche mit den zu erledigenden Aufgaben.
Erik Benson kannte sich in der gepflegten Anlage sehr gut aus. Er wußte auch, daß um diese Zeit hier kaum jemand anzutreffen war. Geschäftsleute wie sein Vater spielten am frühen Morgen Golf oder aber nach Sonnenuntergang. Nur die Gärtner waren mit dem Ausbessern des Rasens und der Pflege der Blumenbeete beschäftigt. Aber sie störten Erik nicht.
Der junge Mann führte Irmela zu einer Birkengruppe, unter der eine weiße Bank zum Verweilen einlud. Er ließ sich darauf nieder und zog das Mädchen neben sich.